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„Gina“ – eine heiße Liebe! - Gemeinschaft JaboG 49

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<strong>„Gina“</strong> <strong>–</strong> <strong>eine</strong> <strong>heiße</strong> <strong>Liebe</strong>!<br />

Geschichtliche Hintergründe - ein Beitrag von Henning Remmers<br />

Eine G. 91 R.4 mit den zwei Öffnungen auf der rechten Seite des Rumpfbugs für die Browning MGs.<br />

Insgesamt wurden 50 Flugzeuge dieser <strong>„Gina“</strong>-Variante beschafft und bei der WaSLw 50 eingesetzt.<br />

Die abgebildete Maschine ging mit 39 weiteren R.4s im Frühjahr 1966 an die Portugiesische Luftwaffe.<br />

Jedes Militärflugzeug ist ein Kind s<strong>eine</strong>r Zeit,<br />

Ausdruck wandelbarer Anschauungen über<br />

den Einsatz von Luftstreitkräften und<br />

Umsetzung in anwendbare Formen. Die Fiat<br />

G. 91 war kein Flugzeug <strong>eine</strong>r „klassischen“<br />

Rolle, also kein Jäger oder Bomber, sie war die<br />

Konsequenz aus den Erfahrungen des zweiten<br />

Weltkriegs und des Koreakriegs. „Luftnahunterstützung“<br />

war <strong>eine</strong> neue Einsatzrolle,<br />

wurde aber von den damals existierenden<br />

Flugzeugtypen nur in Nebenfunktion wahrgenommen.<br />

Die Entwicklung favorisierte zunächst<br />

das schwere Jagdbomberflugzeug, z. B.<br />

die F-84 Thunderstreak und F-105 Thunderchief,<br />

dessen Aufgabe darin bestand, Ziele im<br />

Hinterland des Gegners zu bekämpfen. Für<br />

den direkten Unterstützungseinsatz im<br />

taktischen Gefechtsraum im Zusammenwirken<br />

mit den Landstreitkräften waren sie zu<br />

unbeweglich und zu teuer. Aus diesen<br />

Erkenntnissen heraus entstand die Forderung<br />

an die Konstruktion <strong>eine</strong>s leichten Jagdbomberflugzeugs,<br />

das von kl<strong>eine</strong>n, behelfsmäßigen<br />

Plätzen <strong>–</strong> auch mit Grasoberfläche <strong>–</strong><br />

aus operieren sollte. 1953 regte die NATO die<br />

Entwicklung <strong>eine</strong>s solchen Flugzeugs an:<br />

Fluggewicht nicht mehr als 5,5 Tonnen, <strong>eine</strong><br />

Geschwindigkeit von maximal 0,95 Mach,<br />

Start- und Landestrecke auf fester Grasnarbe<br />

von höchstens 800 bis 1.000 Meter, Flugdauer<br />

ca. <strong>eine</strong> Stunde, Bewaffnung vier Maschinengewehre<br />

mit <strong>eine</strong>m Kaliber von 12,7 Millimetern<br />

oder zwei Bordkanonen sowie Außenlasten<br />

bis 500 Kilogramm in Form von<br />

Bomben und/oder Raketen. Am 3. Juni 1955<br />

wurde von <strong>eine</strong>r Beraterkommission aus acht<br />

eingereichten Entwürfen der Vorschlag der<br />

Firma Fiat Aviazione in Turin als Sieger<br />

ermittelt. 14 Monate später, am 9. August<br />

1956, startete der erste von drei gebauten<br />

Prototypen, ein Jahr später begann Fiat mit<br />

der Produktion des Flugzeugs. Im Sommer<br />

1959 fanden in Norditalien die taktischen<br />

Erprobungen statt, die den Wert der G. 91<br />

vom operativen Gesichtspunkt aus unter<br />

Beweis stellten. NATO-Beobachter waren von<br />

den Leistungen dieses leichten Jagdbombers so<br />

beeindruckt, dass sie <strong>–</strong> nach dem ebenfalls abgeschlossenen<br />

Vergleichsfliegen in Frankreich<br />

<strong>–</strong> den NATO-Staaten den Ankauf oder Lizenzbau<br />

des Waffensystems FIAT G. 91 empfahlen.


Die G. 91 R.3 in der Luftwaffe<br />

Die Fiat G. 91 war ursprünglich für den Einsatz<br />

von Graslandeplätzen vorgesehen.<br />

Die Bundesluftwaffe erhielt die ersten beiden -<br />

noch von FIAT gefertigten <strong>–</strong> G. 91 R/3’s im<br />

September 1960. An ihnen wurde das für den<br />

Flugbetrieb erforderliche technische Personal<br />

ausgebildet, gleichzeitig wurde aber auch An-<br />

Frühjahr 1961 mit der Umschulung der ersten<br />

Fluglehrer bei der Waffenschule der Luftwaffe<br />

(WaSLw) 50, damals noch in Erding stationiert,<br />

begonnen. Bereits am 20. Juni 1961<br />

hob die erste in Deutschland gebaute G. 91<br />

mit der militärischen Kennung ED + 101 vom<br />

Werksflugplatz Oberpfaffenhofen bei<br />

München ab. Der erste mit der von den Piloten<br />

bald <strong>„Gina“</strong> genannten G. 91 R.3 aufgestellte<br />

Verband war das Aufklärungsgeschwader 53<br />

(AG 53). Das Geschwader wurde im Oktober<br />

1961 in Erding gegründet, der eigentliche<br />

Standort war jedoch Leipheim bei Ulm, wo es<br />

Das Flugzeug und s<strong>eine</strong> Technik<br />

Anfang 1968 erhielten die Flugzeuge der Bundeswehr<br />

<strong>eine</strong> Vierzahlenkombination, die auch bei<br />

<strong>eine</strong>m Verbandswechsel bestehen blieb.<br />

Die ursprüngliche Forderung bei der Ausschreibung<br />

im Jahre 1953 sah ein r<strong>eine</strong>s<br />

Erdkampfunterstützungsflugzeug in Leicht-<br />

nach Abschluss der Ausbauarbeiten offiziell<br />

im Mai 1962 in Dienst gestellt wurde. Die<br />

Maschinen trugen anfangs die militärischen<br />

Kennungen EC + … mit <strong>eine</strong>m dreistelligen<br />

Zahlencode. Nachdem Griechenland und die<br />

Türkei ihr anfängliches Interesse an der „91“<br />

verloren hatten, erhielt die Luftwaffe 50<br />

Flugzeuge von der G. 91 Version R.4, die von<br />

der Waffenschule der Luftwaffe 50 in Erding<br />

übernommen wurden. Die bis 1966 übrig gebliebenen<br />

40 Maschinen mit vier fest eingebauten<br />

Browning-Maschinengewehren des<br />

Kalibers 12,7 Millimetern wurden an Portugal<br />

verkauft. In den Jahren 1960 bis 1966 erhielt<br />

die Luftwaffe insgesamt 344 G. 91 R/3, mit<br />

denen die WaSLw 50 in Erding, später<br />

Fürstenfeldbruck (Kennungen BD + …), und<br />

die Leichten Kampfgeschwader (LeKG) 41 in<br />

Husum (MA + …), LeKG 42 in Pferdsfeld<br />

(MB + …), LeKG 43 in Oldenburg (MC + …)<br />

und LeKG 44 in Leipheim (MD + …) ausgerüstet<br />

wurden. Ende 1967 änderte sich diese<br />

Buchstaben-/Zahlenkombination mit Zuordnung<br />

für die jeweiligen Verbände in <strong>eine</strong><br />

Vierzahlenkombination, die für die gesamte<br />

Lebensdauer des individuellen Flugzeugs<br />

Bestand hatte. Das Waffensystem G. 91 erhielt<br />

die Kennziffer „3“ als erste Zahl. Sämtliche<br />

Flugzeuge des Typs R/3 führten als zweite<br />

Ziffer die Zahlen „0“, „1“, „2“ oder „3“ <strong>–</strong> nur<br />

die zweisitzige Variante G-91 T/3 führte als<br />

zweite Ziffer ausschließlich die Ziffer „4“.<br />

bauweise vor. Auf Grund der von der<br />

Deutschen Luftwaffe beabsichtigten Doppelrolle<br />

wurden für den Aufklärungszweck<br />

zusätzlich drei Kameras in der Rumpfnase<br />

eingebaut. Wegen weiterer Veränderungen<br />

wurde die deutsche R.3 um fast 500 Kilogramm<br />

schwerer als die italienische Version<br />

R.1. Dieser Gewichtszuwachs rührte zum Teil<br />

auch von der Panzerung her, die den Flugzeugführer<br />

speziell bei leichtem Beschuss von<br />

unten schützen sollte. Das britische Triebwerk<br />

von Bristol-Siddeley, Orpheus MK. 803 D11,<br />

lieferte genügend Schub, um dem Flugzeug<br />

<strong>eine</strong> hohe Unterschallgeschwindigkeit zu<br />

verleihen. Die Feuerkraft der <strong>„Gina“</strong> war<br />

beachtlich, mit ihren zwei DEFA-Bordkanonen<br />

mit <strong>eine</strong>m Kaliber von 30 Millimetern<br />

konnten verschiedene Munitionsarten


verschossen werden. Von den vier Außenstationen<br />

unter den Tragflächen waren die<br />

inneren beiden Pylonen zur Aufnahme von<br />

Zusatztanks ausgelegt und die äußeren beiden<br />

dienten als Träger verschiedener Arten von<br />

Abwurfwaffen, wie Bomben und ungelenkte<br />

Raketen. Wahlweise konnten aber auch an die<br />

inneren Stationen Waffen gehängt werden,<br />

jedoch war damit <strong>eine</strong> geringe Reichweite<br />

Die <strong>„Gina“</strong> aus Sicht des Piloten Fritz Morgenstern<br />

Piloten und ihre besondere Beziehung zur <strong>„Gina“</strong><br />

war allseits bekannt !<br />

Die G. 91 war als durchweg konventionelle<br />

Konstruktion für den Unterschallbereich ein<br />

relativ „schnelles“ Flugzeug s<strong>eine</strong>r Klasse.<br />

Bei recht hoher Flächenbelastung verfügte sie<br />

(außer den Landeklappen für den extremen<br />

Langsamflug) über k<strong>eine</strong>rlei Hochauftriebshilfen<br />

im taktischen Einsatz, wie z. B.<br />

Vorflügel (Slats) oder Manöverklappen.<br />

Für den Piloten hieß das, möglichst „hohe“<br />

Geschwindigkeiten zu halten und bei Unterschreiten<br />

der 300 Knoten Grenze taktische<br />

Manöver abzubrechen, um sie gegebenenfalls<br />

wieder neu anzusetzen. Hinzu kam das Fehlen<br />

<strong>eine</strong>r Anstellwinkelanzeige (AOA) oder <strong>eine</strong>s<br />

künstlichen Strömungsabrißwarners (Stallwarning).<br />

Der Flugzeugführer musste die<br />

<strong>„Gina“</strong> mit ständigem Blick auf den<br />

Fahrtmesser nach Gefühl fliegen und auf<br />

natürliche Stall-Warnungen (die im höheren<br />

Geschwindigkeitsbereich deutlich, aber z. B.<br />

im Landeanflug kaum wahrnehmbar waren)<br />

gefasst sein. Diesen Sachverhalt begriffen zu<br />

haben kennzeichnete den Piloten <strong>eine</strong>r G. 91.<br />

Die hohe Flächenbelastung und die darauf<br />

beruhende „Schnelligkeit“ der Maschine zeigte<br />

sich auch in der hohen Landegeschwindigkeit<br />

von 140 Knoten plus je fünf Knoten pro 500<br />

verbunden. Als Außentanks standen entweder<br />

die kl<strong>eine</strong>ren Behälter mit 260 Litern Inhalt,<br />

oder Tanks mit dem doppelten Volumen von<br />

520 Litern Kerosin der Sorte JP-4 zur<br />

Verfügung. Im Routineflugbetrieb und im<br />

Rahmen der Ausbildung wurden zur<br />

Reichweitenerhöhung nahezu ausnahmslos die<br />

größeren Kraftstoffbehälter (520 Ltr) verwendet.<br />

Pounds Treibstoff (oder sonstige Zuladung) im<br />

Endanflug. Der Pilot hatte für s<strong>eine</strong> Landung<br />

nur den Fahrtmesser und sein Gefühl „im<br />

Hintern“. Obwohl für den taktischen Einsatz<br />

im Tiefflug konzipiert, hatte die G. 91 respektable<br />

Höhenflugeigenschaften. Für Überlandflüge<br />

habe ich prinzipiell versucht, als<br />

Reiseflughöhe 380, entsprechend rund 38.000<br />

Fuß, zu planen, so kam man bei der relativ<br />

geringen Spritzuladung auf brauchbare Reichweiten.<br />

Die Geschwindigkeit in solchen Höhen<br />

betrug Mach 0,86, was zugleich so ziemlich die<br />

Höchstgeschwindigkeit darstellte. Im Tiefflug<br />

erreichte die <strong>„Gina“</strong> ohne Außenlasten bis zu<br />

550 Knoten, mit Außenlasten betrug die<br />

Kampfgeschwindigkeit 400 Knoten. Ursprünglich<br />

war die G. 91 mit <strong>eine</strong>m Triebwerk ausgestattet,<br />

das angeblich für <strong>eine</strong>n Marschflugkörper<br />

vorgesehen und entsprechend einfach<br />

konstruiert war. Näheres ist mir nicht bekannt.<br />

Jedenfalls kam es mit diesem Antrieb<br />

wohl häufig zu Bränden und es wurde bereits<br />

1961/62 ersetzt (bei m<strong>eine</strong>r Ankunft in Erding<br />

Ende 1961 gab es m<strong>eine</strong>s Wissens noch k<strong>eine</strong><br />

einsatzbereiten G. 91 mit neuem Triebwerk).<br />

Der dann verwendete Antrieb Orpheus<br />

MK. 803 D11 war ein großer Spritsäufer<br />

(nach heutigen Maßstäben) und wurde durch<br />

<strong>eine</strong> relativ komplizierte Regeleinstellung<br />

(Fuel-Control) für den Betrieb am Boden bis<br />

in große Höhen recht zuverlässig geregelt. Die<br />

komplexe Regelung machte ein Notregelgerät<br />

erforderlich (Emergency Fuel Control). Zwei<br />

Eigenschaften sind noch als bemerkenswert zu<br />

erwähnen: Einmal die kurze Beschleunigungszeit<br />

des Triebwerks von Leerlauf 35% auf<br />

100% Leistung (Military) in zwei Sekunden im<br />

Stand und in dreieinhalb Sekunden im Langsamflug.<br />

Zum anderen die Triebwerksstarteinrichtung<br />

mittels pyrotechnischer Kartusche,<br />

die das Antriebsaggregat zuverlässig innerhalb<br />

von Sekunden auf Leerlaufbetrieb brachte<br />

ohne dabei die Batterie zu belasten. Das


edeutete <strong>eine</strong> hohe Reaktionsgeschwindigkeit<br />

bei extrem geringem Aufwand. Kartusche in<br />

die <strong>eine</strong>, Büchse Öl in die andere Tasche <strong>–</strong> das<br />

war’s! Es gilt noch die Bremsen zu erwähnen,<br />

die im ursprünglichen Zustand, mit Schlauchreifen<br />

kombiniert, nur ungenügend leistungsfähig<br />

waren. Ohne konstruktionsmäßig an der<br />

Maschine etwas zu ändern, erprobte man<br />

erfolgreich dickere Bremspakete mit höherer<br />

Der Arbeitsplatz des <strong>„Gina“</strong>-Piloten<br />

Einblick in den Arbeitsplatz des <strong>„Gina“</strong>-Piloten.<br />

Das Cockpit der G. 91 war, verglichen mit<br />

anderen Militärflugzeugen wie z. B. Starfighter,<br />

Tornado oder Alpha Jet bei weitem<br />

das bequemste, was ich kennen gelernt habe.<br />

Es war geräumig und der Schleudersitz<br />

(Martin Baker MK 4, später MK 6 mit<br />

Raketenpack) hatte Platz und war vom<br />

Sitzkomfort her (und das war eminent wichtig<br />

beim Einsatzauftrag der G. 91) ausgezeichnet.<br />

Die Anordnung der Instrumente und Bedienelemente<br />

wurde um 1968 herum völlig neu<br />

gestaltet und ergab danach auf diesem Gebiet<br />

ein weitgehend „perfektes“ Cockpit-Layout.<br />

Grund für diese Umgestaltung war u. a. die<br />

sehr ungünstige Anordnung der Kamera-<br />

Wärmeableitung und führte schlauchlose<br />

Reifen ein. Damit war das Flugzeug mit<br />

geringen Mitteln in diesem Punkt ausreichend<br />

leistungsfähig und konnte, wenn man es<br />

richtig machte, ohne Betätigung des Bremsschirmes<br />

auf 3.000 bis 3.500 Fuß Ausrollstrecke<br />

zum Stehen gebracht werden <strong>–</strong> aber<br />

nur, wenn man es richtig machte… !<br />

schaltung (vorn unten, hinter dem Steuerknüppel),<br />

sowie die Anordnung der Waffenschalter<br />

und des Radios. Zugleich wurde die<br />

Anordnung der Hauptfluglage- und Navigationsinstrumente<br />

auf NATO-Standard<br />

(STANAG = Standardization Agreement)<br />

gebracht und es war ein Segen für den Mann<br />

im Cockpit <strong>eine</strong>r völlig manuell zu fliegenden,<br />

wenig stabilen Maschine, wenn er im schweren<br />

Wetter auf <strong>eine</strong>n Punkt konzentriert die<br />

Flugrichtung (Kurs) und die Fluglage (Quer-<br />

und Nicklage) verfolgen und damit halten<br />

konnte. Das wurde erzielt, indem ein großer,<br />

plattformgesteuerter künstlicher Horizont<br />

direkt über der kombinierten Kurs- und<br />

TACAN-Anzeige platziert wurde. Im Übrigen<br />

wurden ein großer Nothorizont und ein großer<br />

Wendezeiger als Ersatz für die bisherigen<br />

mickrigen zwei Wendezeiger eingebaut. Radio<br />

und Hauptwaffenschalter vorn im Blickfeld<br />

und manche andere kl<strong>eine</strong> Verbesserung <strong>–</strong><br />

damit konnte der Pilot etwas anfangen. Hier<br />

hat sich der inzwischen verstorbene damalige<br />

Major Hein Schepke verdient gemacht. Die<br />

Navigationsausstattung ist ein „abendfüllendes“<br />

Thema für sich. Radio (ARC 34)<br />

und IFF/SIF-Gerät waren bewährte, leidlich<br />

zuverlässige Geräte. Das Fehlen <strong>eine</strong>s zweiten<br />

Flugfunkgerätes war allerdings fatal und für<br />

heutige Verhältnisse undenkbar. Das „bodenunabhängige“<br />

Navigationssystem PHI-3b5,<br />

kombiniert mit <strong>eine</strong>m (recht guten!) Dopplerradar<br />

für die Inputs Ground Speed (wahre<br />

Geschwindigkeit über Grund) und Drift durch<br />

Wind konnte nicht zur Einsatzreife gebracht<br />

werden. Neben der damals noch fehlenden<br />

Elektronik war die unzureichende Fehlerentdeckung-<br />

und <strong>–</strong>anzeigemöglichkeit der<br />

wesentliche Grund. Hier ist der inzwischen<br />

verstorbene Navigationslehrer bei der Waffenschule<br />

der Luftwaffe 50, Gerhard Kröchel in<br />

gute Erinnerung zu rufen, der sich außergewöhnlich<br />

um dieses System bemüht hat.


Das PHI konnte nur als Zusatzsystem genutzt<br />

werden und genoss bei den Piloten kein<br />

Vertrauen <strong>–</strong> ganz anders das Doppler-Radargerät,<br />

dessen Abdriftanzeige bei der Tiefflugnavigation<br />

sehr gute Dienste leistete, dessen<br />

Ground-Speed input allerdings nicht angezeigt<br />

wurde und deshalb nicht genutzt werden<br />

konnte. Bemühungen, <strong>eine</strong>n relativ einfach zu<br />

installierenden „Groundspeedindicator“ zu<br />

bekommen, sind leider nie realisiert worden.<br />

Ein trauriges Kapitel war die ursprüngliche<br />

Verwendung des Funkpeilgerätes (Radiokompass)<br />

ADF-102. Das Gerät konnte nicht<br />

zur Einsatzreife in der G. 91 gebracht werden,<br />

was zur Folge hatte, dass die Maschinen jahrelang,<br />

nämlich bis zum Einbau des TACAN-<br />

Gerätes AN/ARN 52, nicht blindflugtauglich<br />

waren. Das dann erfolgreich erprobte<br />

TACAN-Gerät fand s<strong>eine</strong>n Platz im rechten<br />

Bewaffnung des leichten Jabos<br />

Nun zur Bewaffnung, die G. 91 verfügte über<br />

zwei starre Maschinenkanonen des Typs<br />

DEFA 552, Kaliber 30 Millimeter mit je 125<br />

Schuss Munition, <strong>eine</strong> ursprüngliche Mauser-<br />

Entwicklung, die nun in Frankreich gefertigt<br />

wurde. Die doppelsitzige Version der G. 91, die<br />

T.3, hatte zwei Maschinengewehre mit <strong>eine</strong>m<br />

Kaliber von 12,7 Millimetern und die anfänglich<br />

von der Bundesluftwaffe genutzte R.4<br />

hatte deren vier im Rumpfbug eingebaut. Der<br />

Munitionsvorrat, <strong>eine</strong> hohe Feuergeschwindigkeit,<br />

auch Kadenz genannt, und das<br />

wahrhaft respektable Kaliber machte die<br />

DEFA zu <strong>eine</strong>r <strong>–</strong> für ihre Einsatzzwecke der<br />

G. 91 <strong>–</strong> recht brauchbaren Bewaffnung, der<br />

gegenüber der Abwurfmunition aus m<strong>eine</strong>r<br />

Sicht zu wenig Bedeutung beigemessen wurde.<br />

Sie galt als Zusatzbewaffnung und hätte wegen<br />

ihrer Potenz beispielsweise bei der<br />

Bekämpfung von marschierenden Fahrzeugkolonnen<br />

durchaus zur Hauptbewaffnung<br />

Kanonenraum und wurde anstelle des auszuhängenden<br />

Gurtkastens mittels Schnellverschlüssen<br />

eingehängt und angeschlossen <strong>–</strong> <strong>eine</strong><br />

Minutenarbeit ohne Probleme. Diese unter den<br />

Gegebenheiten gute technische Lösung führte<br />

zu der mir unverständlichen „Mär“ (insbesondere<br />

bei den „schweren“ Verbänden, die<br />

gern auf die „Gina-Muckel“ herabsahen), dass<br />

für das TACAN-Gerät die linke Kanone<br />

ausgebaut werden müsse <strong>–</strong> das wäre fürwahr<br />

k<strong>eine</strong> glanzvolle Lösung gewesen. Natürlich<br />

konnte mit eingebautem TACAN-Gerät nicht<br />

geschossen werden und im taktischen Einsatz<br />

musste auf dieses Hilfsmittel verzichtet<br />

werden. Der mit G. 91 vorgesehene taktische<br />

Einsatz musste und konnte bei gutem Training<br />

der Piloten letztlich auf diese Art der<br />

Unterstützung in der Navigation verzichten.<br />

„befördert“ werden können. Als Zusatzbewaffnung<br />

(wahlweise oder kombiniert)<br />

konnten zwei Behälter mit je 19 ungelenkten<br />

Luft-Boden-Raketen vom Kaliber 2,75 inches,<br />

zwei 500 Pfund Mehrzweckbomben und zwei<br />

750 Pfund Feuerbomben an Unterflügelstationen<br />

mitgeführt werden. Die R.3 hatte<br />

vier Unterflügelstationen für Abwurfwaffen<br />

und Raketenbehälter, die T.3 und m<strong>eine</strong>s<br />

Wissens auch die R.4 hatten deren zwei. Hier<br />

ist gleich anzumerken, dass wegen der<br />

„sauberen“ Tragfläche und womöglich wegen<br />

des gestreckten Rumpfes mit der langen<br />

Doppelkabine der zweisitzigen Variante, die<br />

T.3 schneller war als die R/3, was sich<br />

insbesondere in größeren Höhen bemerkbar<br />

machte. Mit ihren vier Unterflügelstationen<br />

konnte die R.3 <strong>eine</strong> beachtliche Feuerkraft<br />

entwickeln, beispielsweise mit 76 ungelenkten<br />

Raketen des Typs FFAR 2,75 „Mighty<br />

Mouse“. Treibstoff konnte nur an den beiden<br />

innen liegenden Lastenträgern, sog. nasse<br />

Stationen, getragen werden. Es standen 500<br />

oder 1.000 Pfund Kraftstoffbehälter zur<br />

Verfügung. Mit letzterem wurde der<br />

Aktionsradius der Maschine nachträglich<br />

gegen Ende der 60er Jahre deutlich verbessert.<br />

Alle drei in der Luftwaffe geflogenen<br />

Versionen hatten <strong>eine</strong> Kameraausrüstung<br />

(R steht für Reconnaissance = Aufklärung und<br />

T für Training). Die sehr funktionstüchtigen,<br />

gleichwohl nur bei Tage einzusetzenden<br />

VINTEN-Kameras waren in den Stellungen


links/rechts geneigt, vorwärts geneigt und<br />

senkrecht einsetzbar. Für die Option Senkrecht<br />

musste <strong>eine</strong>r der quergeneigten<br />

Apparate am Boden in die Senkrechtstellung<br />

geschwenkt werden. Die Kameras konnten<br />

Einzel- und Reihenbilder mit Verschlussgeschwindigkeiten<br />

bis 1/2.000 Sekunde aufnehmen.<br />

Die Bildqualität war gut, Versuche<br />

mit <strong>eine</strong>m Nacht-Blitzgerät in <strong>eine</strong>m gesonderten<br />

Außenbehälter sowie mit <strong>eine</strong>r nach<br />

vorn schräg gerichteten Panoramakamera der<br />

Firma Fairchild führten nicht zur Einsatzreife.<br />

Als Kuriosum wäre zu berichten, dass<br />

mit den beiden quergerichteten Kameras<br />

„nach Gefühl“ visiert werden musste, nachdem<br />

die beiden ursprünglich vorhanden<br />

gewesene klappbaren Fadenkreuzvisiere dem<br />

neuen raketenbestückten Schleudersitz<br />

weichen mussten. Manch <strong>eine</strong>r malte sich sein<br />

Die <strong>„Gina“</strong> im Einsatz<br />

Zwei G. 91 R.3 der WaSLw 50 im engen Verbandsflug.<br />

Bei taktischen Einsätzen war der Abstand der<br />

Maschinen zueinander aber wesentlich größer.<br />

Die G. 91 hatte im taktischen Nahbereich<br />

(Gefechtsfeld) verschiedene Aufgaben zu erfüllen.<br />

Untrennbar verbunden mit der <strong>„Gina“</strong><br />

und ihren Männern sind die Einsatzaufgaben<br />

„Close Air Support“ (Luftnahunterstützung<br />

mit Hilfe <strong>eine</strong>s Fliegerleitoffiziers [FLO]<br />

/Forward Air Controller [FAC]) und „Line<br />

Search“ (Suchen, Aufklären bzw. Bekämpfen<br />

entlang der Marschwege des Gegners). In<br />

diesen Einsatzarten wurde der Pilot mental<br />

und physisch hart gefordert und <strong>–</strong> oft genug <strong>–</strong><br />

überfordert. Alle Beteiligten, nicht zuletzt<br />

auch die FAC’s, können ein Lied davon<br />

singen. Diese außerordentlich fordernde<br />

höchstpersönliches Visier mit Fettstift an das<br />

Kabinendach, aber es ging, bei genügend<br />

Filmdurchlauf, auch ohne. Mit dem Wechsel<br />

der Einsatzrolle von der Aufklärung im AG 53<br />

und AG 54 zum Jagdbombereinsatz wurden<br />

die Kameras nach <strong>eine</strong>r Übergangszeit in der<br />

Zweitrolle Aufklärung entbehrlich. Abschließend<br />

möchte ich anmerken, dass die<br />

Ausbildung und der Einsatz in der Rolle<br />

Aufklärung sehr zum präzisen Fliegen erzogen<br />

und dass ich davon überzeugt bin, insbesondere<br />

auf den nachfolgenden Flugzeugtypen,<br />

sehr profitiert zu haben. Die beiden taktischen<br />

Komponenten der Ausstattung unseres<br />

„Mehrrollen-Flugzeuges“ mit der ursprünglichen<br />

Bezeichnung Light Weight Strike<br />

Reconnaissance = LWSR!) wurden erwähnt,<br />

nun noch einige Worte zum taktischen Einsatz<br />

selbst.<br />

Fliegerei verlangte vom Piloten nicht nur<br />

akrobatische Künste im Tiefflug, sondern auch<br />

das Auge des Adlers und das des Uhus zugleich,<br />

um aus <strong>eine</strong>m Meer von Braun-, Grün-<br />

und Mischtönen <strong>eine</strong>n einzelnen Jeep herauszuschälen,<br />

dem auch noch- möglichst im<br />

Anflug <strong>–</strong> ein präziser Waffen-Pass „zu bieten“<br />

war. Bei dieser Kleinigkeit also kam dem<br />

armen Mann im <strong>„Gina“</strong>- Cockpit die Einfachheit<br />

der Maschine <strong>eine</strong>rseits zupass, denn er<br />

konnte <strong>eine</strong>n Großteil s<strong>eine</strong>r Aufmerksamkeit<br />

der Navigation, dem Ziel und den<br />

Anweisungen des FAC widmen. Andererseits<br />

half ihm das Flugzeug auch nicht, außer dass<br />

es brav funktionierte. Weder irgend<strong>eine</strong><br />

Hochauftriebshilfe, noch <strong>eine</strong> Überziehwarnung<br />

(Stallwarning) hatte sie zu s<strong>eine</strong>r<br />

Unterstützung parat, geschweige denn<br />

Navigationshilfen oder Zielautomaten. Und<br />

vor allem: Es fehlte die Kraftreserve <strong>eine</strong>s<br />

Nachbrenners! Gashebel am Anschlag, gerade<br />

sitzen (gut angeschnallt sowieso!) und „pullen“<br />

war die Devise. Das war ein schneidiges, oft<br />

mit Misserfolgen gewürztes Geschäft, das zu<br />

vielen Stories Anlaß gab. Diejenigen Ginaleute,<br />

die immer nur Erfolg dabei hatten und<br />

dieses lesen, mögen mir m<strong>eine</strong> Ehrlichkeit<br />

nachsehen… .


Abschließende Bemerkungen<br />

Aus m<strong>eine</strong>n Worten über die G. 91 ist<br />

vielleicht herauszulesen, dass man für dieses<br />

einfache, robuste und natürlich häufig überforderte<br />

Flugzeug als Pilot und vielleicht auch<br />

als wackerer Mechaniker, den man bei solchen<br />

Erwägungen nie vergessen darf, durchaus so<br />

etwas wie <strong>eine</strong> stille <strong>Liebe</strong> entwickeln kann.<br />

Die <strong>„Gina“</strong> war prinzipiell gut und ein „Pilot’s<br />

Aircraft“. Sie war <strong>eine</strong> späte Vertreterin der<br />

Flugzeuge der sog. „ersten Generation“ und<br />

musste sich mit den ersten Flugzeugen der<br />

zweiten Generation messen. Sie war für das,<br />

was man von ihr erwartete, zu klein und zu<br />

leicht konzipiert, sie hatte kein Entwicklungspotential,<br />

das noch hätte genutzt werden<br />

können. Diese Eigenschaft hatten übrigens<br />

viele Flugzeuge der damaligen Zeit, auch<br />

solche mit wesentlich „klangvolleren“ Namen.<br />

Die Flugzeuge waren, bis auf Nuancen, zusehends<br />

entwickelt, wenn sie an die Truppe<br />

ausgeliefert wurden. Heute ist das anders.<br />

Beispielsweise ist das Waffensystem Tornado<br />

ein typischer Vertreter <strong>eine</strong>r Flugzeugge-<br />

neration mit „eingebautem Entwicklungspotential“,<br />

d. h. bei s<strong>eine</strong>r Indienststellung hat<br />

es <strong>eine</strong>n bestimmten Entwicklungsstand, der<br />

im Laufe s<strong>eine</strong>r Nutzungszeit beim Militär<br />

kontinuierlich und planmäßig weiterentwickelt<br />

wird. Diese Eigenschaft ist Bestandteil<br />

der Gesamtkonzeption und bedeutet, dass das<br />

Flugzeug den technischen Entwicklungen, die<br />

zur Zeit s<strong>eine</strong>r Auslieferung noch gar nicht<br />

erreicht waren, während s<strong>eine</strong>r Lebensdauer<br />

angepasst werden kann. Das verlängert die<br />

Einsatzzeit und verzögert den technischen<br />

Alterungsprozess erheblich. Trotzdem gab es<br />

auch für die G. 91 die Notwendigkeit, technische<br />

Verbesserungen im kl<strong>eine</strong>n Rahmen<br />

anzustreben und möglichst einzuführen. Für<br />

solche Zwecke gab es bei der Waffenschule der<br />

Luftwaffe 50 in Fursty von 1965 bis 1970 <strong>eine</strong>n<br />

„Lehr- und Versuchsschwarm G. 91“.<br />

Nach der Landung konnte der Pilot mit dem<br />

sog. „aerodynamic braking“ den Einsatz des<br />

Bremsschirmes (Foto unten) vermeiden.<br />

Text: Fritz Morgenstern und Henning Remmers, Fotos: Meyer und Remmers

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