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COMPACT-Magazin 04-2016

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<strong>COMPACT</strong> Leben<br />

Die Insel der Träumer<br />

_ von Jan von Flocken<br />

Vor 500 Jahren erschien das Buch «Utopia» von Thomas Morus. Viele Linke reklamieren<br />

den Zukunftsentwurf für sich, weil er die Abschaffung des Privateigentums beinhaltet.<br />

Andere Elemente des visionären Inselstaates dürften ihnen weniger gefallen.<br />

1516 war ein symbolträchtiges Jahr für den Beginn<br />

von Europas neuer Ära. Der Maler Raffael wurde<br />

vom Papst zum Leiter der antiken Ausgrabungen in<br />

Rom ernannt. Sein Künstlerkollege Tizian schuf mit<br />

der Venus von Urbino das wohl klassischste Renaissance-Gemälde,<br />

Ariosto veröffentlichte sein epochales<br />

Werk über den Rasenden Roland, Franz von Taxis<br />

etablierte seit dem Römerreich erstmals wieder eine<br />

durchgehende Post auf dem Kontinent, und weit entfernt<br />

im Südatlantik entdeckte der Spanier Juan Diaz<br />

de Solís die Mündung des Rio de la Plata.<br />

In jenem Jahr erschien auch eine Schrift aus der<br />

Feder des Gelehrten Thomas More, welche zum geflügelten<br />

Wort avancieren sollte: die Utopia, genauer De<br />

optimo rei publicae statu deque nova insula Utopia<br />

(Über den besten Zustand des Staates und die neue<br />

Insel Utopia). More, ein Rechtsanwalt, der sich nach<br />

den damaligen Gepflogenheiten der Wissenschaft<br />

latinisierend Morus nannte, war Ende 30, als er sein<br />

Epos veröffentlichte. England wurde seit sieben Jahren<br />

von König Heinrich VIII. regiert, und noch deutete<br />

hier nichts auf die gewaltigen Stürme hin, die Luthers<br />

Reformation 1517 auslösen würde. Im Land herrschte<br />

weitgehende Wissenschaftsfreiheit und sein Tudor-<br />

König hatte sich noch nicht als der bluttriefende Tyrann<br />

späterer Jahre entpuppt.<br />

Abschottung nach außen<br />

Der Name von Mores Schrift war Programm. Utopia<br />

ist ein Kunstwort; es setzt sich zusammen aus<br />

den altgriechischen Vokabeln «ou» (nicht, nein) und<br />

«tópos» (Gegend, Land) – also Nichtland oder eleganter<br />

Nirgendheim. Dieser Idealstaat basiert angeblich<br />

auf den Grundsätzen der allgemeinen Gleichheit,<br />

des Fleißes und Strebens nach Bildung – eine Gesellschaft<br />

mit vielen demokratischen Grundzügen. Utopia<br />

konnte aber erst entstehen, nachdem seine Bewohner<br />

die ursprüngliche Halbinsel durch einen riesigen Kanal<br />

vom Festland getrennt hatten, «um schlechte Einflüsse<br />

von außerhalb fernzuhalten (…). Dies ermöglicht durch<br />

natürliche Grenzen, dass Eindringlinge oder Ausländer<br />

die Insel Utopia nur selten erreichen».<br />

Auf der Insel existieren neben der Hauptstadt<br />

Amaurotum 54 weitere Städte, welche allesamt von<br />

einem demokratisch auf Lebenszeit gewählten Bürgermeister<br />

regiert werden. «Amaurotum liegt also an<br />

einer sanften Berglehne und ist von Gestalt beinahe<br />

viereckig. Ihre Breite beginnt etwas unterhalb des Gipfels<br />

des Hügels und erstreckt sich zweitausend Schritt<br />

am Flusse Anydrus hin», fabulierte More. Ein kleiner<br />

Spaß für Eingeweihte, denn im Altgriechischen bedeutet<br />

anhydrous «ohne Wasser».<br />

Über die Utopier wusste er viel Tugendsames zu<br />

berichten: «Man kann sehen, dass es gar keine Gelegenheiten<br />

zum Müßiggang, keinen Vorwand zum Faulenzen<br />

gibt. Keine Weinschenke, keine Bierkneipe,<br />

kein Bordell, kein Anlass zur Sittenverderbnis, keine<br />

Schlupfwinkel, keine geheimen Zusammenkünfte. Vielmehr<br />

zwingen die Augen aller, die stets auf den Einzelnen<br />

gerichtet sind, ihn zu seiner gewohnten Arbeit<br />

oder zu ehrbarer Muße.» Bei einer solchen Lebensführung<br />

«ist Überfluss von allen Dingen im Volk vorhanden,<br />

und durch die gleichmäßige Verteilung der Güter<br />

gibt es auch keine Armen oder Bettler.»<br />

Das Privateigentum ist in Utopia abgeschafft, andererseits<br />

existiert Sklaverei – ein eklatanter Widerspruch,<br />

der sich aus Mores’ Vorliebe für die antike<br />

Athener Polis-Demokratie erklärt. Ebenso die Passage:<br />

«Alle Gattinnen dienen ihren Ehemännern.» –<br />

und der Umstand, dass Frauen in Utopia selbstver-<br />

Der mehrfach oscargekrönte Historienfilm<br />

«Ein Mann zu jeder Jahreszeit»<br />

(1966) gibt das Leben von Thomas<br />

Morus recht stimmig wieder.<br />

Foto: kino.de<br />

«Alle Gattinnen<br />

dienen ihren<br />

Ehemännern.» <br />

«Utopia»<br />

Karte von Utopia. Foto: Wikimedia<br />

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