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COMPACT-Edition 1

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Ausgabe Nr. 1 | 8,80 EUR (D) · www.compact-online.de<br />

Wladimir<br />

Putin<br />

Reden an die<br />

Deutschen<br />

9,90 Euro (A), 13 sFr (CH)<br />

Herausgegeben<br />

von Jürgen Elsässer<br />

und Yasmine Pazio<br />

Vom Selbstbestimmungsrecht gegen die Neue Weltordnung.<br />

Was der russische Präsident wirklich sagte – Originaltexte von 2001 bis 2014.


Das Magazin für Souveränität<br />

Unabhängig, investigativ, knallhart recherchiert.<br />

Unser Prinzip? Offenheit statt Political Correctness!<br />

Denn die Zeit der Dogmen und Denkverbote ist vorbei.<br />

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Inhalt<br />

9<br />

18<br />

20<br />

22<br />

34<br />

44<br />

55<br />

59<br />

71<br />

87<br />

94<br />

109<br />

119<br />

«Russland hatte gegenüber Deutschland immer<br />

besondere Gefühle»<br />

Rede im Deutschen Bundestag am 25. September 2001<br />

«Der Geist von Rapallo»<br />

Grußworte auf dem Petersburger Forum<br />

am 8. April 2002 in Weimar<br />

«Für eine politische Lösung des Irak-Konfliktes»<br />

Grußworte auf dem Petersburger Forum<br />

am 10. April 2003 in St. Petersburg<br />

«Mit Demokratie hat dies nichts gemein»<br />

Rede auf der Sicherheitskonferenz in München<br />

am 10. Februar 2007<br />

«Gute Beziehungen zu Frau Merkel»<br />

Pressekonferenz während des G8-Gipfels<br />

in Heiligendamm am 6. Juni 2007<br />

«Von unseren amerikanischen Freunden provoziert»<br />

Nach dem Georgien-Krieg: ARD-Interview am 29. August 2008<br />

«Wir dürfen keinerlei Fakten verschweigen»<br />

Rede zum Gedenken an den Beginn des Zweiten Weltkrieges<br />

in Polen am 1. September 2009<br />

«Es darf kein Chaos zugelassen werden!»<br />

ARD-Interview am 8. April 2013<br />

«Die Identitäten der Völker erhalten»<br />

Rede auf dem Valdai-Forum am 19. September 2013<br />

«Das wäre eine humanitäre Mission»<br />

Nach dem Umsturz in Kiew: Rede am 4. März 2014<br />

«Das Volk ist die Quelle einer jeden Macht»<br />

Rede nach dem Referendum auf der Krim am 18. März 2014<br />

«Den Menschen helfen, ihre Rechte zu verteidigen»<br />

Zur Lage in der Ostukraine: Fernsehdiskussion am 17. April 2014<br />

«300.000 Jobs wurden in Deutschland durch die<br />

Zusammenarbeit mit uns geschaffen»<br />

Zur Zukunft der Energiekooperation:<br />

Internationale Pressekonferenz am 24. Mai 2014


Best of Putin _ Zitate<br />

4<br />

«Russland hegte gegenüber Deutschland<br />

immer besondere Gefühle. Wir haben<br />

Ihr Land immer als ein bedeutendes Zentrum<br />

der europäischen und der Weltkultur<br />

behandelt.» – Rede vor dem Deutschen Bundestag,<br />

25. September 2001.<br />

«Beim Bau eines neuen Europa spielen<br />

die russisch-deutschen Beziehungen die<br />

Rolle eines Gerüstes, und zwar insofern,<br />

als sie sich stets in die europäischen Präferenzen<br />

gefügt haben. Denken wir etwa an<br />

den Rapallo-Vertrag, dessen 80. Jahrestag<br />

wir in einer Woche feiern werden.» – Grußwort<br />

für den Petersburger Dialog, 10. April 2003.<br />

«Russland verhandelt nicht mit Terroristen.<br />

Es vernichtet sie.» – Nach dem Anschlag<br />

auf die Moskauer U-Bahn, 6. Februar 2004.<br />

«Wir sind der Ansicht, dass Versuche,<br />

die von Gott gegebene Vielfalt der modernen<br />

Zivilisation dem Kasernenprinzip<br />

der monopolaren Welt zu unterwerfen,<br />

eine große Gefahr in sich bergen.» – Beim<br />

Staatsbesuch in Indien, 13. Dezember 2004.<br />

«Die Leute in Russland sagen, wer den<br />

Zusammenbruch der Sowjetunion nicht<br />

bedauert, hat kein Herz, und wer ihn bedauert,<br />

hat keinen Verstand.» – Interview<br />

mit ARD und ZDF, 5. Mai 2005.<br />

«Es gibt seit dem Tod Mahatma Gandhis<br />

niemanden, mit dem ich reden könnte.»<br />

– Pressekonferenz während des G8-Gipfels,<br />

6. Juni 2007.<br />

«Ich stehe dem positiv gegenüber.» –<br />

Auf die Frage nach einer EU-Mitgliedschaft der<br />

Ukraine. Ebenda.<br />

«Was für eine Wahl haben wir? Zwischen<br />

Wurst und Leben. Wir wählen das<br />

Leben!» – Die Wurst bezeichnet gute wirtschaftliche<br />

Beziehungen zum Westen. ARD-<br />

Interview, 29. August 2008.<br />

«Wir dürfen keinerlei Fakten verschweigen.»<br />

– Rede zum 70. Jahrestag des Beginns<br />

des Zweiten Weltkrieges, 1. September 2009.<br />

«Es ist auch höchste Zeit, damit aufzuhören,<br />

unsere Geschichte nur auf das<br />

Schlechte zu reduzieren. Wir beschimpfen<br />

uns teilweise sogar schlimmer als unsere<br />

Gegner es je tun würden.» – Rede auf dem<br />

Valdai-Forum, 19. September 2013.<br />

«Russland hat keine Gesetze zum<br />

Schikanieren sexueller Minderheiten.» –<br />

Ebenda.<br />

«Unser Land hat (...) das aufrichtige<br />

und unaufhaltsame Streben der Deutschen<br />

nach nationaler Einheit eindeutig<br />

unterstützt. Ich bin mir sicher, dass Sie das<br />

nicht vergessen haben, und rechne damit,<br />

dass die Menschen in Deutschland ebenso<br />

auch das Bestreben der russischen Welt,<br />

des historischen Russland nach Wiedererrichtung<br />

der Einheit unterstützen.» – Rede<br />

nach dem Beitritt der Krim zur Russischen Föderation,<br />

18. März 2014.


«Sowohl bei meinem Vater wie bei meiner Mutter gab es viele Kriegstote in der Familie.<br />

Fast die Hälfte ihrer Brüder und Schwestern wurden getötet. Eines ihrer Kinder starb während<br />

der Blockade von Leningrad. Mein Vater überlebte nur, weil er an der Front verwundet<br />

wurde. Und trotz alldem blieb kein Hass in unseren Herzen gegenüber dem deutschen<br />

Volk an sich zurück.»<br />

Interview mit ARD und ZDF im Mai 2005<br />

5


1958<br />

Putin mit seiner Mutter.<br />

Foto: kremlin.ru<br />

ca. 1965<br />

Putin als Schüler.<br />

Foto: kremlin.ru<br />

ca. 1980<br />

In KGB-Uniform.<br />

Foto: kremlin.ru<br />

ca. 1991<br />

Mit KPdSU-Parteichef<br />

Michael Gorbatschow.<br />

Foto: kremlin.ru<br />

1999<br />

Als FSB-Direktor mit Präsident Boris Jelzin.<br />

Foto: kremlin.ru<br />

6


2000<br />

Im Hawaiihemd mit Gerhard Schröder<br />

während einer Sitzungspause.<br />

Foto: Julia Fassbender, Bundesarchiv<br />

2002<br />

Mit Bundeskanzler Gerhard Schröder<br />

vor einer Ehrenformation der Bundeswehr.<br />

Foto: Bernd Kühler, Bundesarchiv<br />

2000<br />

Mit der damaligen CDU-Vorsitzenden<br />

Angela Merkel.<br />

Foto: Rolf Schulten, Bundesarchiv<br />

2007<br />

Rede vor dem Kreml, im Vorfeld<br />

des G8-Gipfels.<br />

Foto: Wikimedia Commons; CCL<br />

7


2012<br />

Besuch in der Grabeskirche in Jerusalem.<br />

Foto: kremlin.ru<br />

2005<br />

Putin im Cockpit eines Strategischen Bombers auf<br />

dem Charkalowski Fliegerhorst im Moskauer Gebiet.<br />

Foto: kremlin.ru<br />

8<br />

2005<br />

An Bord des Kreuzers Peter der Große<br />

während eines Manövers der Nordflotte.<br />

Foto: Pressedienst der Präsidialkanzlei; CC BY-SA 3.0<br />

2008<br />

Putin betäubt einen Tiger<br />

im Naturschutzgebiet Primorsky Krai.<br />

Foto: Premier.gov.ru; CC BY-SA 3.0


«Russland hatte gegenüber<br />

Deutschland immer<br />

besondere Gefühle»<br />

_ Rede im Deutschen Bundestag am 25. September 2001<br />

Wladimir Putin hielt als erstes russisches Staatsoberhaupt eine Rede im Deutschen<br />

Bundestag. Er sprach fast durchgehend auf deutsch.<br />

Sehr geehrter Herr Präsident. Sehr geehrter Herr Bundeskanzler. Meine sehr geehrten<br />

Damen und Herren!<br />

Ich bin aufrichtig dankbar für die Gelegenheit, hier im Bundestag zu Ihnen zu sprechen.<br />

Es ist das erste Mal in der Geschichte der deutsch-russischen Beziehungen, dass<br />

ein russisches Staatsoberhaupt in diesem Hohen Hause auftritt. Diese Ehre, die mir<br />

heute zuteil geworden ist, bestätigt das Interesse Russlands und Deutschlands am gegenseitigen<br />

Dialog.<br />

Ich bin gerührt, dass ich über die deutsch-russischen Beziehungen sprechen kann,<br />

über die Entwicklung meines Landes sowie des vereinigten Europas und über die Probleme<br />

der internationalen Sicherheit – gerade hier in Berlin, in einer Stadt mit einem so<br />

komplizierten Schicksal. Diese Stadt ist in der jüngsten Geschichte der Menschheit mehrmals<br />

zum Zentrum der Konfrontation, beinahe mit der ganzen Welt, geworden. Selbst in<br />

der schlimmsten Zeit, noch nicht einmal in den schweren Jahren der Hitler-Tyrannei, ist<br />

es aber nicht gelungen, in dieser Stadt den Geist der Freiheit und des Humanismus, für<br />

den Lessing und Wilhelm von Humboldt den Grundstein gelegt haben, auszulöschen.<br />

In unserem Lande wird das Andenken an die antifaschistischen Helden sehr gepflegt.<br />

Russland hegte gegenüber Deutschland immer besondere Gefühle. Wir haben Ihr Land<br />

immer als ein bedeutendes Zentrum der europäischen und der Weltkultur behandelt,<br />

für deren Entwicklung auch Russland viel geleistet hat. Kultur hat nie Grenzen gekannt.<br />

Kultur war immer unser gemeinsames Gut und hat die Völker verbunden. Heute erlaube<br />

ich mir die Kühnheit, einen großen Teil meiner Ansprache in der Sprache von Goethe,<br />

Schiller und Kant, in der deutschen Sprache, zu halten.<br />

Weiter auf deutsch<br />

9


3. Oktober 1990: Die deutsche Teilung ist zu Ende. Foto: Bundesarchiv, Bild 183-1990-1003-400 / Grimm,<br />

Peer; CC-BY-SA<br />

Sehr geehrte Damen und Herren, soeben sprach ich von der Einheit der europäischen<br />

Kultur. Dennoch konnte auch diese Einheit den Ausbruch zweier schrecklicher Kriege<br />

auf diesem Kontinent im letzten Jahrhundert nicht verhindern. Sie verhinderte ebenfalls<br />

nicht die Errichtung der Berliner Mauer, die zum unheilvollen Symbol der tiefen Spaltung<br />

Europas wurde. Die Berliner Mauer existiert nicht mehr; sie ist vernichtet. Es wäre angebracht,<br />

sich heute daran zu erinnern, wie es dazu gekommen ist. Ich bin mir sicher, dass<br />

großartige Veränderungen in Europa, in der ehemaligen Sowjetunion und in der Welt<br />

ohne bestimmte Voraussetzungen nicht möglich gewesen wären. Ich denke dabei an die<br />

Ereignisse, die in Russland vor zehn Jahren stattgefunden haben. Diese Ereignisse sind<br />

wichtig, um zu begreifen, was bei uns vor sich gegangen ist und was man von Russland<br />

in der Zukunft erwarten kann.<br />

Die Antwort ist eigentlich einfach: Unter der Wirkung der Entwicklungsgesetze der<br />

Informationsgesellschaft konnte die totalitäre stalinistische Ideologie den Ideen der<br />

Demokratie und der Freiheit nicht mehr gerecht werden. Der Geist dieser Ideen ergriff<br />

die überwiegende Mehrheit der russischen Bürger. Gerade die politische Entscheidung<br />

des russischen Volkes ermöglichte es der ehemaligen Führung der UdSSR, diejenigen<br />

Beschlüsse zu fassen, die letzten Endes zum Abriss der Berliner Mauer geführt haben.<br />

Gerade diese Entscheidung erweiterte mehrfach die Grenzen des europäischen Humanismus,<br />

sodass wir behaupten können, dass niemand Russland jemals wieder in die<br />

Vergangenheit zurückführen kann.<br />

10<br />

Was die europäische Integration betrifft, so unterstützen wir nicht einfach nur diese<br />

Prozesse, sondern sehen sie mit Hoffnung. Wir tun das als ein Volk, das gute Lehren aus


Rede im Deutschen Bundestag am 25. September 2001<br />

dem Kalten Krieg und aus der verderblichen Okkupationsideologie gezogen hat. Aber<br />

hier – so vermute ich – wäre es angebracht, hinzuzufügen: Auch Europa hat keinen<br />

Gewinn aus dieser Spaltung gezogen. Ich bin der festen Meinung: In der heutigen sich<br />

schnell ändernden Welt, in der wahrhaft dramatische Wandlungen in Bezug auf die Demografie<br />

und ein ungewöhnlich großes Wirtschaftswachstum in einigen Weltregionen<br />

zu beobachten sind, ist auch Europa unmittelbar an der Weiterentwicklung des Verhältnisses<br />

zu Russland interessiert.<br />

Niemand bezweifelt den großen Wert der Beziehungen Europas zu den Vereinigten<br />

Staaten. Aber ich bin der Meinung, dass Europa seinen Ruf als mächtiger und selbstständiger<br />

Mittelpunkt der Weltpolitik langfristig nur festigen wird, wenn es seine eigenen<br />

Möglichkeiten mit den russischen menschlichen, territorialen und Naturressourcen<br />

sowie mit den Wirtschafts-, Kultur- und Verteidigungspotenzialen Russlands vereinigen<br />

wird. Die ersten Schritte in diese Richtung haben wir schon gemeinsam gemacht. Jetzt<br />

ist es an der Zeit, daran zu denken, was zu tun ist, damit das einheitliche und sichere<br />

Europa zum Vorboten einer einheitlichen und sicheren Welt wird.<br />

Zusammen für den Frieden<br />

Sehr geehrte Damen und Herren, im Sicherheitsbereich haben wir in den letzten<br />

Jahren viel erreicht. Das Sicherheitssystem, welches wir in den vergangenen Jahrzehnten<br />

geschaffen haben, wurde verbessert. Eine der Errungenschaften des vergangenen<br />

Jahrzehnts war die beispiellos niedrige Konzentration von Streitkräften und Waffen in<br />

Mitteleuropa und in der baltischen Region. Russland ist ein freundlich gesinntes europäisches<br />

Land. Für unser Land, das ein Jahrhundert der Kriegskatastrophen durchgemacht<br />

hat, ist der stabile Frieden auf dem Kontinent das Hauptziel. Wie bekannt, haben wir<br />

den Vertrag über das allgemeine Verbot von Atomtests, den Vertrag über die Nichtverbreitung<br />

von Kernwaffen, die Konvention über das Verbot von biologischen Waffen<br />

sowie das START-II-Abkommen ratifiziert.<br />

Leider folgten nicht alle NATO-Länder unserem Beispiel. Da wir angefangen haben,<br />

von der Sicherheit zu sprechen, müssen wir uns zuerst klarmachen, vor wem und wie<br />

wir uns schützen müssen. In diesem Zusammenhang kann ich die Katastrophe, die am<br />

11. September in den Vereinigten Staaten geschehen ist, nicht unerwähnt lassen. Menschen<br />

in der ganzen Welt fragen sich, wie es dazu kommen konnte und wer daran schuld<br />

ist. Ich möchte diese Fragen beantworten. Ich finde, dass wir alle daran schuld sind, vor<br />

allem wir, die Politiker, denen einfache Bürger in unseren Staaten ihre Sicherheit anvertraut<br />

haben. Die Katastrophe geschah vor allem darum, weil wir es immer noch nicht geschafft<br />

haben, die Veränderungen zu erkennen, die in der Welt in den letzten zehn Jahren<br />

stattgefunden haben. Wir leben weiterhin im alten Wertesystem. Wir sprechen von<br />

einer Partnerschaft. In Wirklichkeit haben wir aber immer noch nicht gelernt, einander<br />

11


«Russland hatte gegenüber Deutschland immer besondere Gefühle»<br />

zu vertrauen. Trotz der vielen süßen Reden leisten wir weiterhin heimlich Widerstand.<br />

Mal verlangen wir Loyalität zur NATO, mal streiten wir uns über die Zweckmäßigkeit ihrer<br />

Ausbreitung. Wir können uns immer noch nicht über die Probleme im Zusammenhang<br />

mit dem Raketenabwehrsystem einigen und so weiter. Tatsächlich lebte die Welt im<br />

Laufe vieler Jahrzehnte des 20. Jahrhunderts unter den Bedingungen der Konfrontation<br />

zweier Systeme, welche die ganze Menschheit mehrmals fast vernichtet hätte. Das war<br />

so furchterregend und wir haben uns so daran gewöhnt, in diesem Count-Down-System<br />

zu leben, dass wir die heutigen Veränderungen in der Welt immer noch nicht verstehen<br />

können, als ob wir nicht bemerken würden, dass die Welt nicht mehr in zwei feindliche<br />

Lager geteilt ist. Die Welt ist sehr viel komplizierter geworden.<br />

Wir wollen oder können nicht erkennen, dass die Sicherheitsstruktur, die wir in den<br />

vorigen Jahrzehnten geschaffen haben und welche die alten Bedrohungen effektiv neutralisierte,<br />

heute nicht mehr in der Lage ist, den neuen Bedrohungen zu widerstehen. Oft<br />

streiten wir uns weiterhin über Fragen, die unserer Meinung nach noch wichtig sind.<br />

Wahrscheinlich sind sie noch wichtig. Aber währenddessen erkennen wir die neuen<br />

realen Bedrohungen nicht und übersehen die Möglichkeit von Anschlägen und von was<br />

für brutalen Anschlägen! Infolge von Explosionen bewohnter Häuser in Moskau und in<br />

anderen großen Städten Russlands kamen Hunderte friedlicher Menschen ums Leben.<br />

Religiöse Fanatiker begannen einen unverschämten und großräumigen bewaffneten<br />

Angriff auf die benachbarte Republik Dagestan, nachdem sie die Macht in Tschetschenien<br />

ergriffen und einfache Bürger zu Geiseln gemacht hatten. Internationale Terroristen<br />

haben offen – ganz offen – ihre Absichten über die Schaffung eines neuen fundamentalistischen<br />

Staates zwischen dem Schwarzen und Kaspischen Meer angekündigt, des<br />

sogenannten Kalifat oder der Vereinigten Staaten des Islam. Ich will gleich hervorheben:<br />

Ich finde es unzulässig, über einen Zivilisationskrieg zu sprechen. Fehlerhaft wäre es,<br />

ein Gleichheitszeichen zwischen Moslems im Generellen und religiösen Fanatikern zu<br />

setzen.<br />

Bei uns zum Beispiel sagte man im Jahre 1999: Die Niederlage der Aggressoren<br />

beruht auf der mutigen und harten Antwort der Bewohner Dagestans, und die sind zu<br />

100 Prozent Moslems. Kurz vor meiner Abfahrt nach Berlin habe ich mich mit den geistlichen<br />

Führern der Moslems in Russland getroffen. Sie haben die Initiative ergriffen und<br />

eine internationale Konferenz in Moskau unter der Losung durchgeführt: «Islam gegen<br />

Terror». Ich finde, wir sollten diese Initiative unterstützen.<br />

12<br />

Globale Probleme gemeinsam lösen<br />

Heutzutage verschärfen sich nicht nur die Probleme, die wir schon kennen, sondern<br />

es entstehen auch neue Gefahren. In der Tat baut Russland zusammen mit einigen GUS-


Die Berliner Mauer symbolisierte die Blockkonfrontation in Europa. Foto: SSGT F. Lee Corkran|Public Domain<br />

Ländern eine reale Barriere gegen Drogenschmuggel, organisiertes Verbrechen und<br />

Fundamentalismus aus Afghanistan wie auch aus Zentralasien und dem Kaukasus in<br />

Richtung Europa auf. Terrorismus, nationaler Hass, Separatismus und religiöser Extremismus<br />

haben überall dieselben Wurzeln und bringen dieselben giftigen Früchte hervor.<br />

Darum sollten auch die Kampfmittel gegen diese Probleme universal sein.<br />

Aber zuerst sollten wir uns in einigen grundlegenden Fragen einigen. Wir sollten uns<br />

nicht scheuen, die Probleme beim Namen zu nennen. Sehr wichtig ist es, zu begreifen,<br />

dass Untaten politischen Zielen nicht dienen können, wie gut diese Ziele auch sein<br />

mögen. Natürlich soll das Böse bestraft werden; ich bin damit einverstanden. Doch wir<br />

müssen verstehen, dass Gegenschläge den vollständigen, zielstrebigen und gut koordinierten<br />

Kampf gegen den Terrorismus nicht ersetzen können. In diesem Sinne bin ich voll<br />

und ganz mit dem amerikanischen Präsidenten einverstanden.<br />

Ich bin der Meinung, dass die Bereitschaft unserer Partner, gemeinsam Kräfte zu bündeln,<br />

um diese realen Gefahren, die nicht erdacht sind, zu bekämpfen, zeigt, wie ernst<br />

und zuverlässig unsere Partner sind. Diese Gefahren können von fernen Grenzen unseres<br />

Kontinents in die Mitte des Herzens von Europa stechen. Ich habe schon mehrmals<br />

darüber gesprochen. Aber nach den Ereignissen in den USA brauche ich es nicht mehr<br />

zu beweisen. Was fehlt heute, um zu einer effektiven Zusammenarbeit zu gelangen?<br />

Trotz allem Positiven, das in den vergangenen Jahrzehnten erreicht wurde, haben<br />

wir es bisher nicht geschafft, einen effektiven Mechanismus der Zusammenarbeit auszuarbeiten.<br />

Die bisher ausgebauten Koordinationsorgane geben Russland keine realen<br />

Möglichkeiten, bei der Vorbereitung der Beschlussfassung mitzuwirken. Heutzutage<br />

werden Entscheidungen manchmal überhaupt ohne uns getroffen. Wir werden dann<br />

13


DDR-Bereitschaftspolizisten überwachen die Öffnung des Brandenburger Tores im Dezember 1989.<br />

Foto: SSGT F. Lee Corkran<br />

nachdrücklich gebeten, sie zu bestätigen. Dann spricht man wieder von der Loyalität<br />

gegenüber der NATO. Es wird sogar gesagt, ohne Russland sei es unmöglich, diese<br />

Entscheidungen zu verwirklichen. Wir sollten uns fragen, ob das normal ist, ob das eine<br />

echte Partnerschaft ist. Die Verwirklichung demokratischer Prinzipien in den internationalen<br />

Beziehungen, die Fähigkeit, richtige Beschlüsse zu fassen, und die Bereitschaft zu<br />

einem Kompromiss, das ist eine schwierige Sache. Es waren aber ausgerechnet Europäer,<br />

die als Erste verstanden haben, wie wichtig es ist, nach einheitlichen Beschlüssen<br />

zu suchen und nationalen Egoismus zu überwinden. Wir sind einverstanden; dies sind<br />

gute Ideen. Die Qualität der Beschlussfassungen, deren Effizienz und letzten Endes die<br />

europäische und die internationale Sicherheit hängen im Großen und Ganzen davon<br />

ab, inwiefern wir diese klaren Grundsätze heute in praktische Politik umsetzen können.<br />

Noch vor kurzem schien es so, als würde auf dem Kontinent bald ein richtiges gemeinsames<br />

Haus entstehen, in welchem Europäer nicht in östliche und westliche, in<br />

nördliche und südliche geteilt werden. Solche Trennungslinien bleiben aber erhalten,<br />

und zwar deswegen, weil wir uns bis jetzt noch nicht endgültig von vielen Stereotypen<br />

und ideologischen Klischees des Kalten Krieges befreit haben. Heute müssen wir mit<br />

Bestimmtheit und endgültig erklären: Der Kalte Krieg ist vorbei!<br />

14<br />

Die Welt befindet sich in einer neuen Etappe ihrer Entwicklung. Wir verstehen: Ohne<br />

eine moderne, dauerhafte und standfeste internationale Sicherheitsarchitektur schaffen<br />

wir auf diesem Kontinent nie ein Vertrauensklima und ohne dieses Vertrauensklima ist


Rede im Deutschen Bundestag am 25. September 2001<br />

kein einheitliches Großeuropa möglich. Heute sind wir verpflichtet, zu sagen, dass wir<br />

uns von unseren Stereotypen und Ambitionen trennen sollten, um die Sicherheit der<br />

Bevölkerung Europas und die der ganzen Welt zusammen zu gewährleisten.<br />

Propaganda über Russland<br />

Liebe Freunde, Gott sei Dank wird Russland in Europa heutzutage nicht nur im Zusammenhang<br />

mit Oligarchen, Korruption und Mafia erwähnt. Aber nach wie vor herrscht<br />

ein großer Mangel an objektiver Information über Russland. Ich kann mit Zuversicht<br />

sagen: Das Hauptziel der Innenpolitik Russlands ist vor allem die Gewährleistung der<br />

demokratischen Rechte und der Freiheit, die Verbesserung des Lebensstandards und der<br />

Sicherheit des Volkes.<br />

Aber, verehrte Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie mich einen Rückblick auf die<br />

jüngsten Ereignisse werfen: Russland ist den schmerzhaften Weg der Reformen gegangen.<br />

Zu den Maßstäben und Aufgaben, die wir zu lösen hatten, gibt es in der Geschichte<br />

keine Analogien. Natürlich wurden viele Fehler gemacht. Nicht alle Probleme<br />

sind gelöst. Aber zurzeit ist Russland ein äußerst dynamischer Teil des europäischen<br />

Kontinents. Dabei ist das Wort «dynamisch» nicht nur im politischen, sondern auch im<br />

wirtschaftlichen Sinne gemeint, was besonders hoffnungsvoll zu sein scheint.<br />

Die politische Stabilität in Russland wird dank mehrerer Wirtschaftsfaktoren sichergestellt,<br />

nicht zuletzt auch dank eines der liberalsten Steuersysteme in der Welt. Mit einer<br />

Einkommensteuer von 13 Prozent und einer Gewinnsteuer von 24 Prozent ist das wirklich<br />

so. Das Wirtschaftswachstum betrug im vorigen Jahr 8,3 Prozent. Für dieses Jahr ging<br />

man von nur 4 Prozent aus. Herauskommen wird höchstwahrscheinlich ein Wachstum<br />

von ungefähr 6 Prozent; sagen wir 5,5 beziehungsweise 5,7 Prozent, mal sehen.<br />

Gleichzeitig bin ich davon überzeugt: Nur eine umfangreiche und gleichberechtigte<br />

gesamteuropäische Zusammenarbeit kann einen qualitativen Fortschritt bei der Lösung<br />

solcher Probleme wie Arbeitslosigkeit, Umweltverschmutzung und vieler anderer bewirken.<br />

Wir sind auf eine enge Handels- und Wirtschaftszusammenarbeit eingestellt. Wir<br />

haben die Absicht, in unmittelbarer Zukunft zum Mitglied der Welthandelsorganisation<br />

zu werden. Wir rechnen damit, dass uns die internationalen und die europäischen Organisationen<br />

dabei unterstützen.<br />

Ich möchte Ihre Aufmerksamkeit auf solche Dinge lenken, die Sie als Abgeordnete<br />

dieses Parlamentes sicher besser einschätzen können und die nicht in den Bereich der<br />

Propaganda gehören. Im Grunde genommen hat sich in unserem Staat ein Prioritätenund<br />

Wertewandel vollzogen. Im Haushalt 2002 nehmen die Sozialausgaben den ersten<br />

Platz ein. Ich möchte besonders betonen, dass zum ersten Mal in der Geschichte Russlands<br />

die Ausbildungsausgaben die Verteidigungsausgaben übertreffen.<br />

15


«Russland hatte gegenüber Deutschland immer besondere Gefühle»<br />

Deutschland und Russland<br />

Verehrte Kolleginnen und Kollegen, erlauben Sie mir, ein paar Worte zu den deutschrussischen<br />

Beziehungen zu sagen – ich möchte das gesondert betrachten –: Die russisch-deutschen<br />

Beziehungen sind ebenso alt wie unsere Länder. Die ersten Germanen<br />

erschienen Ende des ersten Jahrhunderts in Russland. Am Ende des 19. Jahrhunderts<br />

lag die Zahl der Deutschen in Russland an neunter Stelle. Aber nicht nur die Zahl ist<br />

wichtig, sondern natürlich auch die Rolle, die diese Menschen in der Landesentwicklung<br />

und im deutsch-russischen Verhältnis gespielt haben: Das waren Bauern, Kaufleute, die<br />

Intelligenz, das Militär und die Politiker.<br />

«Zwischen Russland und Amerika liegen Ozeane. Zwischen Russland und Deutschland<br />

liegt die große Geschichte.» Das schrieb der deutsche Historiker Michael Stürmer.<br />

Ich möchte dazu feststellen, dass die Geschichte genauso wie die Ozeane nicht nur<br />

trennt, sondern auch verbindet. Es ist wichtig, diese Geschichte richtig zu deuten. Wie<br />

ein guter westlicher Nachbar verkörperte Deutschland für Russen oft Europa, die europäische<br />

Kultur, das technische Denkvermögen und kaufmännisches Geschick.<br />

Nicht zufällig wurden früher alle Europäer in Russland Deutsche genannt, die europäische<br />

Siedlung in Moskau zum Beispiel «deutscher Vorort». Natürlich war der kulturelle<br />

Einfluss beider Völker gegenseitig. Viele Generationen von Deutschen und Russen<br />

studierten und genießen auch heute Werke von Goethe, Dostojewskij und Leo Tolstoj.<br />

Unsere beiden Völker verstehen die Mentalität des jeweils anderen Volkes sehr gut. Ein<br />

gutes Beispiel dafür sind fabelhafte russische Übersetzungen deutscher Autoren. Diese<br />

sind sehr nahe an den Texten, erhalten den Rhythmus, die Stimmung und die Schönheit<br />

der Originale. Boris Pasternaks Übersetzung des Faust ist in diesem Zusammenhang zu<br />

erwähnen.<br />

Für viele Deutsche symbolisierte Michael Gorbatschow das Ende von Mauer und Teilung.<br />

Foto: Boris Babanov; RIA Nowosti; CC BY-SA 3.0<br />

16


Rede im Deutschen Bundestag am 25. September 2001<br />

Meine Damen und Herren, in unserer gemeinsamen Geschichte hatten wir verschiedene<br />

Seiten, manchmal auch schmerzhafte, besonders im 20. Jahrhundert. Aber früher<br />

waren wir sehr oft Verbündete. Die Beziehungen zwischen unseren beiden Völkern<br />

wurden immer durch enge Abstimmung und durch die Dynastien unterstützt. Überhaupt<br />

spielten Frauen in unserer Geschichte eine besondere Rolle. Erinnern Sie sich zum Beispiel<br />

an die Tochter Ludwigs IV., des Fürsten von Hessen-Darmstadt: Sie ist in Russland<br />

als Fürstin Elisabeth bekannt. Sie hatte ein wirklich tragisches Schicksal. Nach dem<br />

Mord an ihren Mann gründete sie ein Nonnenkloster. Während des Ersten Weltkrieges<br />

pflegte sie russische und deutsche Verletzte. Im Jahre 1918 wurde sie von Bolschewisten<br />

hingerichtet. Ihr galt eine allgemeine Verehrung. Vor kurzem wurde ihr Wirken<br />

anerkannt und sie wurde heilig gesprochen. Ein Denkmal für sie steht heute im Zentrum<br />

Moskaus.<br />

Vergessen wir auch nicht die Prinzessin von Anhalt-Zerbst. Sie hieß Sophie Auguste<br />

Friederike. Sie leistete einen einzigartigen Beitrag zur russischen Geschichte. Einfache<br />

russische Menschen nannten sie Mutter. Aber in die Weltgeschichte ging sie als russische<br />

Zarin Katharina die Große ein.<br />

Heutzutage ist Deutschland der wichtigste Wirtschaftspartner Russlands, unser bedeutsamster<br />

Gläubiger, einer der Hauptinvestoren und maßgeblicher außenpolitischer<br />

Gesprächspartner. Um ein Beispiel zu nennen: Im vorigen Jahr erreichte der Warenumsatz<br />

zwischen unseren Staaten die Rekordhöhe von 23 Milliarden Euro. Das ist vergleichbar<br />

mit dem Gesamtwarenumsatz zwischen den beiden ehemaligen deutschen<br />

Staaten und der Sowjetunion. Ich glaube nicht, dass man sich damit zufrieden geben<br />

kann und hier Halt machen darf. Es bleibt noch genug Spielraum für die deutsch-russische<br />

Zusammenarbeit.<br />

Ich bin überzeugt: Wir schlagen heute eine neue Seite in der Geschichte unserer<br />

bilateralen Beziehungen auf und wir leisten damit unseren gemeinsamen Beitrag zum<br />

Aufbau des europäischen Hauses.<br />

Zum Schluss will ich die Aussagen, mit denen Deutschland und seine Hauptstadt<br />

vor einiger Zeit charakterisiert wurden, auf Russland beziehen: Wir sind natürlich am<br />

Anfang des Aufbaus einer demokratischen Gesellschaft und einer Marktwirtschaft. Auf<br />

diesem Wege haben wir viele Hürden und Hindernisse zu überwinden. Aber abgesehen<br />

von den objektiven Problemen und trotz mancher, ganz aufrichtig und ehrlich gesagt, Ungeschicklichkeit<br />

schlägt unter allem das starke und lebendige Herz Russlands, welches<br />

für eine vollwertige Zusammenarbeit und Partnerschaft geöffnet ist.<br />

Ich bedanke mich.<br />

Quelle: bundestag.de/kulturundgeschichte/geschichte/gastredner/putin/putin_wort.html<br />

17


«Der Geist von Rapallo»<br />

_ Grußworte auf dem Petersburger Forum am 8. April 2002 in Weimar<br />

Bundeskanzler Schröder: (...) Weimar – das ist natürlich, wie man in Russland ebenso<br />

weiß wie in Deutschland, ein Ort von hoher Symbolkraft; und zwar Symbolkraft keineswegs<br />

nur politisch, sondern bezogen auf das, was wir mit unserem Dialog erreichen<br />

wollen, nämlich die Einbeziehung der Zivilgesellschaft. Kultur und zivile Courage, ziviles<br />

Verhalten, das passt sehr gut mit Weimar zusammen. Ich muss die Großen, die hier<br />

gelebt und gewirkt haben nicht nennen. Ich denke, das wird einem unmittelbar präsent,<br />

wenn man durch die Stadt geht. Selbst wenn man nur sehr kurze Zeit hier ist, spürt man<br />

etwas von der kulturellen Bedeutung dieser großartigen Stadt.<br />

Die Parallelität des Petersburger Dialogs und unserer Regierungskonsultationen ist<br />

keineswegs zufällig. Das ist durchaus etwas, was einander ergänzen soll. Wir meinen<br />

schon, dass es für die Perspektiven unserer Länder, unserer Völker wichtig ist, dass es<br />

gutnachbarschaftliche Beziehungen auf der Ebene der Regierungen gibt. Diese können<br />

ergänzt werden durch eine sehr enge, auch persönliche Zusammenarbeit zwischen den<br />

Verantwortlichen. Ich freue mich sagen zu können, dass das der Fall ist, dass unsere Zusammenarbeit<br />

auch freundschaftliche Züge hat, die man gar nicht hintanstellen sollte.<br />

Aber mindestens so wichtig wie gute Kontakte auf der Ebene von Präsident und Regierung<br />

in Russland und Regierung hier sind vertiefte Kontakte zwischen den Menschen in<br />

unseren beiden Ländern, zumal den jungen Menschen. (...)<br />

Präsident Putin: Die Weltgemeinschaft befindet sich heute in einer besonderen Situation.<br />

Sie handelt nicht nur gemeinsam gegen die globale Gefahr des Terrorismus, sondern<br />

sucht auch nach einer neuen Philosophie für die zwischenstaatlichen Beziehungen<br />

und einer effektiveren Strategie für die internationale Sicherheit.<br />

Auch die Beziehungen zwischen Russland und der NATO in Gestalt des 20er-Rats<br />

werden auf dem neuen Prinzip beiderseitiger Verantwortung aufgebaut. Wir müssen all<br />

diese Entwicklungen unbedingt gedanklich verarbeiten und in ein aktuelles logisches<br />

System bringen. In diesem System dürfen die EU-Erweiterung und der Beitritt Russlands<br />

zur [Welthandelsorganisation] WTO sich nicht nachteilig auswirken, sondern müssen für<br />

alle Beteiligten Nutzen bringen. Vor allem auf dem Markt für Energieträger, in der Frage<br />

der Anti-Dumping-Maßnahmen und der russischen Lufttransporte.<br />

18<br />

Beim Bau eines neuen Europa spielen die russisch-deutschen Beziehungen die Rolle<br />

eines Gerüsts, und zwar insofern, als sie sich stets in die europäischen Präferenzen ge-


Grußworte auf dem Petersburger Forum am 8. April 2002 in Weimar<br />

fügt haben. Denken wir etwa an den Rapallo-Vertrag [Vertrag der Weimarer Republik<br />

und der Sowjetunion], dessen 80. Jahrestag wir in einer Woche feiern werden. Der<br />

Geist von Rapallo, der Verzicht auf gegenseitige Ansprüche und die friedliche Koexistenz<br />

haben in der Geschichte Europas in den 1920er Jahren eine positive Rolle gespielt.<br />

Ich muss sagen, dass das vergangene Jahr für unsere Beziehungen ertragreich war.<br />

Die Zusammenarbeit im Bereich der Investitionen schreitet voran, beim Problem der<br />

«Transfer-Rubel» zeichnen sich erste Umrisse einer Lösung ab, und unser Warenverkehr<br />

hat die Rekordmarke von 24 Milliarden Euro erreicht. Die Struktur des Warenverkehrs<br />

kann unsere Länder allerdings nicht zufrieden stellen. Vor allem beim russischen Export<br />

gibt es noch große Reserven, und wir sind bereit, ernstzunehmende Angebote zu machen,<br />

die für den deutschen Markt lukrativ sind. Ich denke, für den Petersburger Dialog<br />

würde es sich lohnen, das Problem des Zugangs russischer Unternehmen zum deutschen<br />

Markt zu diskutieren.<br />

Die Ziele und Perspektiven der Beziehungen zwischen unseren Ländern hängen in<br />

vielem von einer positiven Entwicklung der russischen Wirtschaft ab. Wir haben in Essen<br />

viel darüber gesprochen und seit diesem Treffen schon einiges erreicht. Staat und<br />

Unternehmen verstehen sich nun nicht nur besser, sondern verhalten sich auch berechenbarer.<br />

(...)<br />

Politische und persönliche Freunde: Wladimir Putin und Gerhard Schröder im April 2005.<br />

Foto: Dmitry Avdeev; CC BY-SA 3.0<br />

19


«Für eine politische Lösung<br />

des Irak-Konfliktes»<br />

_ Grußworte auf dem Petersburger Forum am 10. April 2003 in St. Petersburg<br />

Präsident Putin: (...) Heute möchte ich kurz auf die Grundlinien in der Partnerschaft<br />

zwischen unseren Ländern eingehen. Als Erstes auf die politischen Interessen Russlands<br />

und Deutschlands. Eine unserer Aufgaben ist hier der Aufbau eines effektiven und<br />

stabilen europäischen Sicherheitssystems. Die Stabilität in Europa ist in vieler Hinsicht<br />

gleichbedeutend mit der Stabilität in unseren Ländern. Deshalb müssen wir, um den<br />

neuen bekannten Gefahren entgegenzuwirken, unbedingt gemeinsam handeln.<br />

Von ebenso großer Bedeutung ist es, unsere Haltung zum derzeit heikelsten und<br />

schwerwiegendsten Problem, der Situation in Irak, deutlich zu machen. Die militärischen<br />

Operationen dauern seit über drei Wochen an, die Ergebnisse sind bekannt. Und<br />

sie rufen Bedauern hervor. Sie wissen, dass sowohl Moskau als auch Berlin sich für eine<br />

politische Lösung des Irak-Konflikts ausgesprochen haben. Wir sind auch heute noch<br />

In seiner Heimatstadt Sankt Petersburg startete Putin 1991 seine politische Karriere.<br />

Foto: BBM Explorer; CC BY 2.0<br />

20


Grußworte auf dem Petersburger Forum am 10. April 2003 in St. Petersburg<br />

von der Aussichtslosigkeit einer militärischen Lösung überzeugt und sehen die Hauptaufgabe<br />

darin, die Initiative für die Beilegung des Konflikts schnellstmöglich wieder an<br />

die Vereinten Nationen zurückzugeben. Unsere Länder müssen alles tun, um das globale<br />

internationale Rechtssystem, das auf der führenden Rolle der Vereinten Nationen basiert,<br />

zu bewahren. Der Bundeskanzler und ich stimmen in der Auffassung vom Primat<br />

des internationalen Rechts überein. Ich muss betonen, dass Russland und Deutschland<br />

in den letzten Monaten im Weltsicherheitsrat sehr eng zusammengearbeitet haben.<br />

Beide Länder haben in einem einheitlichen außenpolitischen Koordinatensystem agiert.<br />

Keines unserer Treffen wird ohne eine Diskussion der wirtschaftlichen Problematik<br />

ablaufen, die Dreh- und Angelpunkt unserer Beziehungen ist. Für uns ist Deutschland der<br />

wichtigste Wirtschaftspartner. Die stabile Wachstumstendenz beim Handelsumsatz und<br />

die Aktivität des deutschen Kapitals in Russland bestätigen dies. Was das Investitionsvolumen<br />

angeht, liegt Deutschland nach wie vor an der Spitze. Gleichwohl gibt es auch<br />

andere Fakten. Während 15 Prozent des gesamten russischen Außenhandelsumsatzes<br />

auf Deutschland entfallen, beträgt unser Anteil am deutschen Außenhandel nur zwei<br />

Prozent. Gründe für diese Situation gibt es viele. Hier beim Petersburger Dialog sind<br />

Menschen zusammengekommen, denen diese, glaube ich, wohlbekannt sind. Um die Situation<br />

zu ändern, müssen alle tätig werden: sowohl die Behörden als auch die Vertreter<br />

der Wirtschaft. Nur der ständige, für beide Seiten nutzbringende Dialog der Wirtschaftskreise<br />

unserer Länder kann dazu verhelfen, neue Ansätze und Lösungen zu finden. (...)<br />

Bundeskanzler Schröder: (...) Herr Präsident Putin hat darauf hingewiesen: Dieser Petersburger<br />

Dialog findet in einer Phase äußerst angespannter internationaler Beziehungen<br />

statt. Vor diesem Hintergrund können wir feststellen, dass die deutsch-russischen<br />

Beziehungen in den letzten einhundert Jahren noch nie so gut waren, wie sie heute sind.<br />

Und mir liegt daran, dass deutlich wird: diese ausgezeichneten ökonomischen, politischen<br />

und kulturellen Beziehungen sind gegen niemanden gerichtet, weder heute noch<br />

in der Zukunft. Sie bringen weder Schwierigkeiten in den europäischen Beziehungen mit<br />

sich noch haben sie negative Bedeutung für die transatlantischen Beziehungen. Das gilt<br />

sowohl für Deutschland als auch für Russland.<br />

In einer international schwierigen Situation ist es umso wichtiger, wenn Staaten und<br />

Völker, die eine so wechselvolle und bisweilen blutige Geschichte miteinander verbindet,<br />

deutlich machen, dass sie für die friedliche Lösung von Konflikten in der Welt und<br />

für mehr Stabilität in den internationalen Beziehungen stehen wollen. Ich denke, dass<br />

wir aus unserer gemeinsamen Geschichte die richtigen Konsequenzen gezogen haben.<br />

Das hängt natürlich mit dem Bemühen des Präsidenten zusammen, eine strategische<br />

Beziehung zu Europa und innerhalb Europas und - ohne dass dies Ausschließlichkeitsansprüche<br />

begründen sollte – auch zu Deutschland aufzubauen. Ich sage mit Respekt:<br />

erfolgreich aufzubauen. (...)<br />

21


«Mit Demokratie<br />

hat dies nichts gemein»<br />

_ Rede auf der Sicherheitskonferenz in München am 10. Februar 2007<br />

Die Münchner Sicherheitskonferenz ist eine seit 1963 jährlich stattfindende private<br />

Veranstaltung, die von der Bundesregierung unterstützt wird und immer prominente internationale<br />

Politiker als Referenten vorweisen kann. Horst Teltschik, außenpolitischer<br />

Berater von Kanzler Helmut Kohl, fungierte von 1999 bis 2008 als Konferenzleiter.<br />

Vielen Dank, Frau Bundeskanzlerin, Herr Teltschik, meine Damen und Herren!<br />

Ich bin sehr dankbar für die Einladung zu einer derart repräsentativen Konferenz, die<br />

Politiker, Militärs, Unternehmer und Experten aus über 40 Ländern zusammengeführt hat.<br />

Die Anlage dieser Konferenz enthebt mich dem Zwang zu übertriebener Höflichkeit<br />

und dem Erfordernis, in allgemeinen, gefälligen, aber inhaltsleeren diplomatischen Formeln<br />

zu sprechen. Der Charakter der Konferenz wird es mir ermöglichen zu sagen, was<br />

ich wirklich über internationale Sicherheitsprobleme denke. Sollten meine Bemerkungen<br />

unseren Kollegen unangemessen polemisch, zugespitzt oder ungenau erscheinen,<br />

bitte ich Sie, mir nicht böse zu sein. Schließlich ist das hier nur eine Konferenz, und ich<br />

hoffe, dass Herr Teltschik nicht nach den ersten zwei oder drei Minuten meiner Rede das<br />

rote Licht da drüben einschalten wird.<br />

Es ist wohlbekannt, dass die internationale Sicherheit viel mehr beinhaltet als die<br />

mit militärischer und politischer Stabilität zusammenhängenden Fragen. Sie schließt die<br />

Stabilität der Weltwirtschaft, die Überwindung der Armut, wirtschaftliche Sicherheit<br />

und die Entwicklung eines Dialogs zwischen den Kulturen ein.<br />

Dieses universelle, unteilbare Wesen der Sicherheit kommt in ihrem Grundprinzip<br />

zum Ausdruck: «Sicherheit für einen ist Sicherheit für alle.» Wie Franklin D. Roosevelt in<br />

den ersten Tagen des Zweiten Weltkriegs sagte: «Wenn der Friede irgendwo gebrochen<br />

wird, ist der Friede aller Länder in Gefahr.»<br />

Diese Worte sind auch heute noch aktuell. Davon zeugt übrigens auch das Thema<br />

unserer Konferenz – «Globale Krisen, globale Verantwortung».<br />

22<br />

Vor nur zwei Jahrzehnten war die Welt ideologisch und wirtschaftlich gespalten,<br />

und es war das gewaltige strategische Potenzial zweier Supermächte, das die globale<br />

Sicherheit gewährleistete.


Wladimir Putin auf der Sicherheitskonferenz 2007. Foto: Antje Wildgrube; MSC 2007; CCL 3.0<br />

Diese globale Konfrontation verdrängte die schärfsten ökonomischen und sozialen<br />

Probleme an den Rand der Agenda der internationalen Gemeinschaft und der ganzen<br />

Welt. Und wie jeder Krieg hinterließ auch der Kalte Krieg uns, bildlich gesprochen,<br />

Munition, die immer noch scharf ist. Ich meine damit die ideologischen Klischees, das<br />

Messen mit zweierlei Maß und andere für das Blockdenken des Kalten Krieges charakteristische<br />

Aspekte.<br />

Das unipolare Modell<br />

Die unipolare Welt, die nach dem Kalten Krieg postuliert wurde, kam jedoch ebenfalls<br />

nicht zustande. Sicherlich hat die Menschheit in ihrer Geschichte unipolare Perioden<br />

durchgemacht und Bestrebungen, die Weltherrschaft zu erlangen, erlebt. In der<br />

Geschichte hat es schließlich so ziemlich alles bereits gegeben.<br />

Doch was ist das, eine unipolare Welt? In wie freundlichen Farben auch immer man<br />

diese ausmalen mag, am Ende bleibt doch immer, dass der Terminus sich auf eine ganz bestimmte<br />

Situation bezieht, nämlich ein einziges Zentrum der Staatsgewalt, ein Machtzentrum,<br />

ein Entscheidungszentrum. Das ist eine Welt, in der es einen Herrn gibt, einen Souverän.<br />

Im Ergebnis ist das verheerend, nicht nur für alle, die diesem System angehören,<br />

sondern auch für den Souverän selbst, weil es ihn von innen heraus selbst zerstört.<br />

Und mit Demokratie hat dies ganz gewiss nichts gemein. Denn Demokratie ist, wie<br />

Sie wissen, die Herrschaft der Mehrheit unter Berücksichtigung der Interessen und Meinungen<br />

der Minderheit.<br />

23


«Mit Demokratie hat dies nichts gemein»<br />

Es trifft sich, dass wir – Russland – permanent über die Demokratie belehrt werden.<br />

Aber aus irgendwelchen Gründen möchten diejenigen, die uns belehren, selber nicht<br />

dazulernen.<br />

Ich bin der Auffassung, dass das unipolare Modell nicht nur inakzeptabel, sondern in<br />

der heutigen Welt auch unmöglich ist. Und zwar nicht nur deshalb, weil für die Führung<br />

einer einzelnen Macht in der heutigen – ausgerechnet in der heutigen – Welt weder die<br />

militärischen noch die politischen und ökonomischen Ressourcen ausreichen würden.<br />

Noch wichtiger ist, dass das Modell selbst verfehlt ist, weil ihm keine moralischen Fundamente<br />

für die moderne Zivilisation zu Grunde liegen.<br />

Was gegenwärtig in der Welt geschieht – und wir haben gerade erst angefangen,<br />

darüber zu diskutieren – ist eine Folge der Versuche, genau dieses Konzept, das Konzept<br />

einer unipolaren Welt, in die internationalen Beziehungen zu tragen. Und was ist das<br />

Ergebnis?<br />

Unilaterale und häufig illegitime Aktionen haben kein einziges Problem gelöst. Vielmehr<br />

haben sie neue menschliche Tragödien verursacht und neue Spannungsherde geschaffen.<br />

Urteilen Sie selbst: Die Zahl der Kriege wie auch der lokalen und regionalen<br />

Konflikte hat sich nicht vermindert. Herr Teltschik hat dies sehr behutsam angesprochen.<br />

Und in diesen Konflikten gehen nicht weniger Menschen zugrunde – es sterben sogar<br />

noch mehr als zuvor. Beträchtlich mehr! Entschieden mehr!<br />

Gegenwärtig erleben wir eine fast unbeschränkte, übermäßige Anwendung von Gewalt<br />

– militärischer Gewalt – in den internationalen Beziehungen, einer Gewalt, die<br />

die Welt in einen Abgrund permanenter Konflikte stürzt. Im Ergebnis haben wir nicht<br />

genügend Kraft, auch nur einen dieser Konflikte wirklich umfassend zu lösen. Politische<br />

Lösungen zu finden, wird gleichfalls unmöglich.<br />

Wir erleben mehr und mehr Abneigung gegen die Grundprinzipien des Völkerrechts.<br />

Und Rechtsnormen, die unabhängig sein sollten, nähern sich in Wirklichkeit zunehmend<br />

dem Rechtssystem eines einzelnen Staates an. Ein Staat – und dabei spreche ich natürlich<br />

zunächst und vor allem von den Vereinigten Staaten – hat seine nationalen Grenzen<br />

in jeder Hinsicht überschritten. Das zeigen die wirtschaftlichen, politischen, kulturellen<br />

und Bildungs-Standards, die es anderen Nationen aufnötigt. Wem gefällt das? Wer ist<br />

glücklich darüber?<br />

24<br />

In den internationalen Beziehungen sehen wir eine zunehmende Neigung, bestimmte<br />

Fragen nach Kriterien sogenannter politischer Zweckmäßigkeit zu lösen, auf der Grundlage<br />

des aktuellen politischen Klimas. Natürlich ist das äußerst gefährlich. Es führt zu<br />

der Tatsache, dass niemand sich sicher fühlt. Ich möchte das betonen: Niemand fühlt<br />

sich sicher! Weil niemand sich hinter der schützenden Mauer des Völkerrechts in Sicherheit<br />

wiegen kann. Natürlich stimuliert eine derartige Politik das Wettrüsten. Die


Rede auf der Sicherheitskonferenz in München am 10. Februar 2007<br />

Dominanz der Gewalt regt unweigerlich eine ganze Reihe von Ländern dazu an, Massenvernichtungswaffen<br />

zu erlangen. Darüber hinaus sind neuartige Bedrohungen – obwohl<br />

sie auch vorher schon wohlbekannt waren – in Erscheinung getreten, und Gefahren wie<br />

der Terrorismus haben heute globalen Charakter angenommen.<br />

Der Aufstieg der BRIC-Staaten<br />

Meiner Überzeugung nach sind wir an jenem kritischen Punkt angelangt, an dem wir<br />

sehr ernst über die Architektur der globalen Sicherheit nachdenken müssen. Dabei müssen<br />

wir nach einer vernünftigen Balance zwischen den Interessen aller Teilnehmer des<br />

internationalen Dialogs suchen, besonders deshalb, weil die internationale Szenerie so<br />

vielfältig beschaffen ist und sich so schnell verändert – ein Wandel, der im Lichte der<br />

dynamischen Entwicklung in einer ganzen Reihe von Ländern und Regionen gesehen<br />

werden muss.<br />

Die Frau Bundeskanzlerin hat dies bereits erwähnt. Zusammengenommen ist das<br />

Bruttoinlandsprodukt, an der Kaufkraft gemessen, in Ländern wie Indien und China<br />

schon heute größer als dasjenige der Vereinigten Staaten. Und wenn man das Bruttoinlandsprodukt<br />

der BRIC-Länder – Brasilien, Russland, Indien und China – auf die gleiche<br />

Weise zusammenrechnet, übertrifft es bereits das Gesamt-BIP der EU. Experten zufolge<br />

wird dieser Abstand in Zukunft weiter wachsen.<br />

Es gibt keinen Grund daran zu zweifeln, dass das ökonomische Potenzial der neuen<br />

Zentren des weltwirtschaftlichen Wachstums unweigerlich in politischen Einfluss umgemünzt<br />

werden und die Multipolarität stärken wird.<br />

In diesem Zusammenhang nimmt die Rolle der multilateralen Diplomatie erheblich<br />

zu. Die Notwendigkeit von Prinzipien wie Offenheit, Transparenz und Berechenbarkeit in<br />

der Politik ist unbestritten, und der Einsatz von Gewalt sollte wirklich eine Ausnahme<br />

sein, vergleichbar der Todesstrafe im Rechtssystem mancher Länder.<br />

Gegenwärtig erleben wir jedoch die gegenteilige Tendenz, nämlich eine Situation,<br />

in der Länder, die die Todesstrafe sogar für Mörder und andere gefährliche Kriminelle<br />

verbieten, sich leichtfertig an Militäreinsätzen beteiligen, die man kaum als legitim<br />

ansehen kann. Dabei kommen in diesen Konflikten Menschen zu Tode – Hunderte und<br />

Tausende von Zivilisten!<br />

Gleichzeitig erhebt sich allerdings die Frage, ob wir verschiedenen internen Konflikten<br />

in diversen Ländern oder autoritären Regimen, Tyrannen und der Weiterverbreitung<br />

von Massenvernichtungswaffen indifferent begegnen und uns heraushalten sollten.<br />

Das stand ja auch im Zentrum der Frage, die unser geschätzter Kollege Lieberman der<br />

Bundeskanzlerin gestellt hat. [Liebermann zugewandt:] Wenn ich Sie richtig verstanden<br />

25


«Mit Demokratie hat dies nichts gemein»<br />

habe, dann handelt es sich natürlich um eine sehr ernste Frage. Können wir angesichts<br />

dessen, was in der Welt vor sich geht, teilnahmslos zuschauen? Ich möchte versuchen,<br />

Ihre Frage zu beantworten: Natürlich nicht!<br />

Das Gewaltmonopol der UNO<br />

Aber verfügen wir über die Mittel, diesen Gefahren zu begegnen? Gewiss tun wir<br />

das. Ein Blick auf die jüngste Geschichte genügt. Hat nicht unser Land, Russland, einen<br />

friedlichen Übergang zur Demokratie vollzogen? In der Tat, wir haben die friedliche<br />

Transformation des Sowjetregimes erlebt – eine friedliche Transformation! Und was für<br />

ein Regime das war! Mit welcher Menge Waffen, darunter Atomwaffen! Warum sollten<br />

wir jetzt damit anfangen, bei jeder Gelegenheit zu schießen und Bomben zu werfen?<br />

Kann es denn sein, dass wir ohne die Bedrohung wechselseitiger Vernichtung nicht über<br />

genug politische Kultur, Respekt für demokratische Werte und das Recht verfügen?<br />

Ich bin überzeugt, dass der einzige Mechanismus, der Entscheidungen über den<br />

Einsatz militärischer Gewalt als letztes Mittel treffen kann, die Charta der Vereinten<br />

Nationen ist. In diesem Zusammenhang muss ich sagen, dass ich entweder nicht verstanden<br />

habe, was unser Kollege, der italienische Verteidigungsminister, eben sagte,<br />

oder das, was er gesagt hat, war ungenau. Ich habe ihn jedenfalls so verstanden, dass<br />

der Rückgriff auf Gewalt nur dann legitim sein könne, wenn die Entscheidung dazu von<br />

der NATO, der EU oder der UNO getroffen wird. Falls er wirklich so denkt, sind wir<br />

unterschiedlicher Auffassung. Vielleicht habe ich mich aber auch verhört. Der Einsatz<br />

von Gewalt kann nur dann legitim sein, wenn die Entscheidung dazu von den Vereinten<br />

Nationen getroffen oder bestätigt wird. Es besteht keine Notwendigkeit, die UNO<br />

Amerikanische B61-Nuklearbomben. Foto: Wikimedia Commons<br />

26


Rede auf der Sicherheitskonferenz in München am 10. Februar 2007<br />

durch NATO oder EU zu ersetzen. Wenn die Vereinten Nationen wirklich die Kräfte der<br />

internationalen Gemeinschaft vereinigen und wirklich auf die Vorgänge in verschiedenen<br />

Ländern reagieren können, und wenn wir diese Abneigung gegen das Völkerrecht<br />

überwinden, dann kann sich die Situation wandeln. Andernfalls wird sie einfach in einer<br />

Sackgasse enden, und die Anzahl ernstlicher Fehler wird sich vervielfachen. Gleichzeitig<br />

ist es erforderlich sicherzustellen, dass das Völkerrecht, sowohl im Verständnis wie in<br />

der Anwendung seiner Normen, universellen Charakter hat.<br />

Man darf auch nicht vergessen, dass demokratisches politisches Handeln Diskussionen<br />

und einen mühsamen Prozess der Entscheidungsfindung voraussetzt.<br />

Meine sehr geehrten Damen und Herren!<br />

Die Gefahr einer Destabilisierung der internationalen Lage ist mit einer offenkundigen<br />

Stagnation auf dem Gebiet der Abrüstung verbunden. Russland unterstützt die<br />

Erneuerung des Dialogs über diese wichtige Frage. Es ist wichtig, den internationalen<br />

Rechtsrahmen bezüglich der Abrüstung zu bewahren und so Kontinuität im Prozess der<br />

Reduzierung von Atomwaffen zu gewährleisten.<br />

Mit den Vereinigten Staaten haben wir vereinbart, unsere jeweiligen strategischen<br />

Raketenkapazitäten bis zum 31. Dezember 2012 auf maximal 1.700 bis 2.000 Atomsprengköpfe<br />

zu reduzieren. Russland ist entschlossen, die übernommenen Verpflichtungen<br />

strikt einzuhalten. Wir hoffen, dass auch unsere Partner auf transparente Weise<br />

vorgehen werden und darauf verzichten, ein paar hundert Atomsprengköpfe für den Fall<br />

der Fälle beiseite zu legen.<br />

Und wenn heute der neue amerikanische Verteidigungsminister erklärt, dass die<br />

Vereinigten Staaten diese überflüssigen Waffen nicht in Depots oder, wie man sagen<br />

könnte, unter einem Kopfkissen oder unter der Decke verstecken werden, dann sollten<br />

wir uns, finde ich, alle erheben und diese Erklärung mit stehenden Ovationen begrüßen.<br />

Es wäre eine sehr wichtige Erklärung.<br />

Russland hält sich strikt an den Atomwaffensperrvertrag, wie auch, an das multilaterale<br />

Regime zur Überwachung der Raketentechnologien, und wir beabsichtigen uns<br />

auch weiterhin dran zu halten. Die in diesen Dokumenten niedergelegten Grundsätze<br />

sind universeller Natur.<br />

In diesem Zusammenhang möchte ich daran erinnern, dass die UdSSR und die Vereinigten<br />

Staaten in den 1980er Jahren ein Abkommen über die Vernichtung einer ganzen<br />

Kategorie von Kurz- und Mittelstreckenraketen unterzeichnet haben, dass diese Dokumente<br />

aber keinen universellen Charakter besitzen.<br />

Heute haben viele andere Staaten derartige Raketen, unter ihnen die Demokratische<br />

Volksrepublik Korea, die Republik Korea, Indien, der Iran, Pakistan und Israel. Viele Länder<br />

27


«Mit Demokratie hat dies nichts gemein»<br />

entwickeln solche Systeme und beabsichtigen, sie in ihre Waffenarsenale aufzunehmen.<br />

Nur die Vereinigten Staaten und Russland unterliegen heute der Verpflichtung, derartige<br />

Waffensysteme nicht zu entwickeln. Offensichtlich müssen wir unter solchen Umständen<br />

darüber nachdenken, wie wir unsere eigene Sicherheit gewährleisten können.<br />

Gleichzeitig ist es unmöglich, das Auftauchen neuer, destabilisierender Hightech-<br />

Waffen zu verhüten. Ich brauche wohl nicht auszuführen, dass dies Maßnahmen zur<br />

Verhütung neuer Konfrontationen, speziell im Weltraum, berührt. Der Krieg der Sterne<br />

ist nicht länger Fantasie – er ist Realität. Schon Mitte der 1980er Jahre waren unsere<br />

amerikanischen Partner fähig, einen eigenen Satelliten abzuschießen.<br />

Nach russischer Auffassung könnte die Militarisierung des Weltraums unvorhersehbare<br />

Konsequenzen für die internationale Gemeinschaft heraufbeschwören und nicht<br />

weniger als den Beginn einer nuklearen Ära provozieren. Wir haben mehr als einmal<br />

Initiativen ergriffen, die dem Einsatz von Waffen im Weltraum vorbeugen sollen.<br />

Ich möchte Ihnen heute mitteilen, dass wir einen Entwurf für ein Abkommen, das der<br />

Stationierung von Weltraumwaffen vorbeugen soll, vorbereitet haben. Es wird unseren<br />

Partnern in nächster Zeit als offizieller Vorschlag zugehen. Lassen Sie uns gemeinsam<br />

daran arbeiten.<br />

28<br />

Die Raketenrüstung von USA und NATO<br />

Die Pläne, bestimmte Elemente des Raketenabwehrsystems auf Europa auszuweiten,<br />

müssen uns zwangsläufig beunruhigen. Wer braucht einen neuen Schritt in Richtung<br />

auf etwas, was in diesem Falle unvermeidlich zu einem Wettrüsten geraten würde?<br />

Ich bezweifle zutiefst, dass die Europäer selbst so etwas brauchen.<br />

Raketenwaffen mit einer Reichweite von etwa fünf- bis achttausend Kilometern, die<br />

Europa also tatsächlich bedrohen würden, gibt es in keinem der sogenannten Problem-<br />

Länder. Und in der nächsten Zukunft wird es auch nicht dazu kommen. Es zeichnet sich<br />

auch nicht einmal irgendetwas in der Art ab. Und der hypothetische Abschuss beispielsweise<br />

einer nordkoreanischen Rakete in Richtung auf amerikanisches Gebiet über Westeuropa<br />

hinweg widerspricht offenkundig den Gesetzen der Ballistik. Es wäre, wie wir<br />

in Russland sagen, als benutzte man die rechte Hand, um sich ans linke Ohr zu fassen.<br />

Und hier in Deutschland kann ich es mir nicht versagen, den beklagenswerten Zustand<br />

zu erwähnen, in dem sich der Vertrag über konventionelle Streitkräfte in Europa befindet.<br />

Die Neufassung des Vertrags über die konventionellen Streitkräfte in Europa wurde 1999<br />

unterzeichnet. Sie berücksichtigt die neue geopolitische Realität, namentlich die Auflösung<br />

des Warschauer Blocks. Inzwischen sind sieben Jahre vergangen, aber nur vier<br />

Staaten, einschließlich der Russischen Föderation, haben dieses Dokument ratifiziert.


Rede auf der Sicherheitskonferenz in München am 10. Februar 2007<br />

Die NATO-Länder haben offen erklärt, dass sie diesen Vertrag, einschließlich der Bestimmungen<br />

über Beschränkungen an den Flanken des Vertragsgebiets [über die Stationierung<br />

einer gewissen Anzahl von Truppen in den Randgebieten] nicht ratifizieren werden,<br />

bis Russland seine Militärstützpunkte aus Georgien und Moldawien zurückgezogen<br />

hat. Unsere Armee verlässt zurzeit Georgien und folgt dabei sogar einem beschleunigten<br />

Zeitplan. Wir haben, wie jeder weiß, die Probleme, die es mit unseren georgischen Kollegen<br />

gab, gelöst. In Moldawien gibt es noch 1.500 Armeeangehörige, die friedenserhaltende<br />

Einsätze durchführen und Munitionsdepots aus Sowjetzeiten schützen. Über<br />

dieses Thema sind wir permanent im Gespräch mit Herrn Solana, und er kennt unsere<br />

Position. Wir sind bereit, weiter in diese Richtung zu arbeiten.<br />

Doch was geschieht gleichzeitig? Zur gleichen Zeit entstehen in Bulgarien und Rumänien<br />

sogenannte leichte vorgeschobene Stützpunkte der Amerikaner mit jeweils bis<br />

zu 5.000 Soldaten. Das bedeutet also, dass die NATO ihre vorgeschobenen Truppen<br />

an unseren Grenzen stationiert, während wir unsere Vertragsverpflichtungen weiterhin<br />

strikt erfüllen und auf diese Aktivitäten überhaupt nicht reagieren.<br />

Ich denke, es liegt auf der Hand, dass die Expansion der NATO mit der Modernisierung<br />

des Bündnisses selbst oder mit der Gewährleistung der Sicherheit in Europa in<br />

keinerlei Zusammenhang steht. Sie stellt im Gegenteil eine ernste Provokation dar, die<br />

das Maß des gegenseitigen Vertrauens vermindert. Wir haben das Recht zu fragen, gegen<br />

wen diese Expansion sich richtet. Und was ist aus den Zusicherungen geworden, die<br />

unsere westlichen Partner uns nach der Auflösung des Warschauer Paktes gaben? Wo<br />

sind diese Erklärungen heute? Niemand erinnert sich mehr daran. Aber ich erlaube mir<br />

meinerseits, diesem Auditorium ins Gedächtnis zu rufen, was seinerzeit erklärt wurde.<br />

Ich möchte aus der Rede von NATO-Generalsekretär Wörner am 17. Mai 1990 in Brüssel<br />

zitieren. Er sagte damals: «Die Tatsache, dass wir bereit sind, keine NATO-Truppen außerhalb<br />

des Territoriums der Bundesrepublik zu stationieren, gibt der Sowjetunion feste<br />

Sicherheitsgarantien.» Was ist aus diesen Garantien geworden?<br />

Die Steine und Betonblöcke der Berliner Mauer sind längst als Souvenirs verteilt<br />

worden. Wir sollten jedoch nicht vergessen, dass der Fall der Berliner Mauer einer historischen<br />

Entscheidung zu verdanken ist – die auch unser russisches Volk getroffen hat<br />

– einer Entscheidung für Demokratie, Freiheit, Offenheit und aufrichtige Partnerschaft<br />

mit allen Mitgliedern der großen europäischen Familie.<br />

Und jetzt versucht man, uns neue Trennungslinien und neue Mauern aufzuzwingen.<br />

Diese Mauern mögen virtuell sein, aber sie teilen dennoch, sie durchschneiden unseren<br />

Kontinent. Ist es möglich, dass wir noch einmal Jahre und Jahrzehnte sowie mehrere<br />

Generationen von Politikern brauchen werden, um diese Mauern zu demontieren und<br />

abzutragen?<br />

29


«Mit Demokratie hat dies nichts gemein»<br />

Die Weiterverbreitung von Atomwaffen<br />

Sehr geehrte Damen und Herren,<br />

wir treten unzweideutig für die Stärkung des Nichtweiterverbreitungs-Regimes ein.<br />

Die gegenwärtig geltenden internationalen Rechtsprinzipien gestatten es uns, Technologien<br />

für die Produktion von Kernbrennstoffen zu friedlichen Zwecken zu entwickeln.<br />

Und viele Länder möchten, aus gutem Grund, eine eigene Atomenergiewirtschaft entwickeln,<br />

als Grundlage für die Unabhängigkeit ihrer Energieversorgung. Uns ist aber auch<br />

klar, dass daraus schnell Kernwaffen entstehen können.<br />

Dies führt zu ernsthaften internationalen Spannungen. Die Situation, die im Umfeld<br />

des iranischen Nuklearprogramms entstanden ist, bietet ein klares Beispiel. Und wenn<br />

die internationale Gemeinschaft keine vernünftige Lösung findet, um diesen Interessenkonflikt<br />

zu lösen, wird die Welt weiterhin unter ähnlichen, destabilisierenden Krisen zu<br />

leiden haben, weil es mehr Schwellenländer gibt als nur den Iran. Beide Seiten wissen<br />

das. Wir werden weiterhin beharrlich gegen die Gefahr einer Weiterverbreitung von<br />

Massenvernichtungswaffen kämpfen.<br />

Im vergangenen Jahr hat Russland die Initiative zur Schaffung internationaler Zentren<br />

zur Urananreicherung ergriffen. Wir plädieren dafür, dass derartige Zentren nicht nur<br />

in Russland geschaffen werden, sondern auch in anderen Ländern, in denen es eine legitime<br />

Grundlage für die friedliche Nutzung der Kernenergie gibt. Länder, die ihr eigenes<br />

Nuklearpotenzial entwickeln wollen, könnten auf diese Weise sicherstellen, dass sie<br />

durch die direkte Beteiligung an diesen Zentren Nuklearbrennstoff erhalten. Und diese<br />

Zentren würden natürlich unter strikter IAEO-Aufsicht arbeiten.<br />

Die jüngsten Initiativen, die der amerikanische Präsident George W. Bush ergriffen<br />

hat, stimmen mit den russischen Vorschlägen überein. Meines Erachtens sind Russland<br />

und die USA objektiv und gleichermaßen an einer Stärkung des Regimes der Nichtweiterverbreitung<br />

von Massenvernichtungswaffen und deren Trägersystemen interessiert.<br />

Gerade unsere beiden Länder, die bei den Atom- und Raketenpotenzialen führen,<br />

müssen bei der Entwicklung neuer, strengerer Nichtweiterverbreitungs-Maßnahmen die<br />

Führungsrolle übernehmen. Russland ist dazu bereit. Und wir stehen in Konsultationen<br />

mit unseren amerikanischen Freunden.<br />

Wir sollten, ganz allgemein, über die Schaffung eines Systems politischer und ökonomischer<br />

Anreize sprechen, aufgrund dessen es nicht im Interesse der Staaten läge,<br />

eigene Kapazitäten auf dem Gebiet des nuklearen Brennstoffkreislaufs zu schaffen, das<br />

ihnen aber doch die Gelegenheit gäbe, Kernkraftpotenziale zu entwickeln und ihre Energiekapazitäten<br />

zu steigern.<br />

30


Putin und Horst Teltschik (rechts), 2007 Leiter der Sicherheitskonferenz. Foto: Kai Mörk; MSC 2007; CCL 3.0<br />

Chancen durch Kooperation<br />

In diesem Zusammenhang möchte ich detaillierter auf die internationale Zusammenarbeit<br />

im Energiebereich eingehen. Die Frau Bundeskanzlerin hat das Thema ebenfalls<br />

gestreift. Auf dem Energiesektor strebt Russland danach, einheitliche Marktprinzipien<br />

und transparente Konditionen für alle zu schaffen. Es liegt auf der Hand, dass die Energiepreise<br />

vom Markt bestimmt werden müssen, statt Gegenstand politischer Spekulation<br />

und wirtschaftlichen Drucks oder von Erpressungsversuchen zu sein.<br />

Wir sind offen für Kooperation. An allen wichtigen Energievorhaben sind bei uns<br />

ausländische Gesellschaften beteiligt. Bis zu 26 Prozent der Ölförderung in Russland<br />

wird, je nach Schätzung, von ausländischem Kapital betrieben – bitte denken Sie über<br />

diese Zahl nach: bis zu 26 Prozent! Versuchen Sie doch einmal, ein Beispiel zu finden, wo<br />

russische Unternehmen ähnlich massiv an Schlüsselsektoren westlicher Länder beteiligt<br />

sind. Solche Beispiele werden Sie nicht finden, es gibt sie nicht!<br />

Ich möchte auch an das Verhältnis zwischen ausländischen Investitionen in Russland<br />

und denen, die Russland im Ausland vornimmt, erinnern. Das Verhältnis beträgt etwa<br />

15:1. Hier haben wir ein eklatantes Beispiel für die Offenheit und Stabilität der russischen<br />

Wirtschaft.<br />

Die wirtschaftliche Stabilität ist der Bereich, in dem wir uns alle an einheitliche Prinzipien<br />

halten müssen. Wir sind zu fairem Wettbewerb bereit. Deshalb eröffnen sich in<br />

der russischen Wirtschaft immer mehr Möglichkeiten. Experten machen sich, wie unsere<br />

westlichen Partner, ein objektives Bild von diesen Veränderungen.<br />

Und so hat die Kreditwürdigkeit Russlands nach den Maßstäben der Organisation für<br />

31


«Mit Demokratie hat dies nichts gemein»<br />

wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung [OECD] sich weiter verbessert; Russland<br />

ist von der vierten in die dritte Gruppe übergewechselt. Hier in München möchte<br />

ich heute die Gelegenheit nutzen, den deutschen Kollegen für ihre Hilfe bei der genannten<br />

Entscheidung zu danken.<br />

Darüber hinaus ist, wie Sie wissen, der Prozess des russischen Beitritts zur Welthandelsorganisation<br />

[WTO] in sein abschließendes Stadium eingetreten. Ich möchte darauf<br />

hinweisen, dass wir während der langen und komplizierten Gespräche mehr als einmal<br />

von Redefreiheit, Freihandel und ähnlichen Möglichkeiten gehört haben, aber aus irgendeinem<br />

Grund stets ausschließlich in Bezug auf den russischen Markt.<br />

Und es gibt noch ein weiteres Thema, das die globale Sicherheit unmittelbar berührt.<br />

Viele reden heutzutage über den Kampf gegen die Armut. Doch was geschieht tatsächlich<br />

in dieser Hinsicht? Einerseits werden – manchmal erhebliche – finanzielle Mittel für<br />

Programme bereitgestellt, die den ärmsten Ländern der Welt helfen sollen. Aber um der<br />

Wahrheit die Ehre zu geben – auch viele in diesem Raum hier wissen Bescheid –, die<br />

Mittel sind an die Entwicklung von Unternehmen im jeweiligen Geberland gebunden.<br />

Andererseits halten die entwickelten Länder gleichzeitig an ihren Agrarsubventionen<br />

fest und beschränken den Zugang einiger Länder zu Hochtechnologie-Produkten.<br />

Sprechen wir doch offen aus, wie die Dinge liegen – eine Hand verteilt milde Gaben,<br />

und die andere konserviert nicht nur die ökonomische Rückständigkeit, sondern zieht<br />

sogar Profit daraus. Die wachsenden sozialen Spannungen in wirtschaftlich schwachen<br />

Regionen führen unvermeidlich zu einem Anwachsen von Radikalismus und Extremismus,<br />

sie nähren Terrorismus und innere Konflikte. Und wenn all dies in einer Region<br />

wie dem Nahen und Mittleren Osten geschieht, wo das Gefühl wächst, dass die Welt<br />

insgesamt ungerecht ist, dann liegt darin die Gefahr einer globalen Destabilisierung.<br />

Die führenden Staaten der Welt müssen diese Gefahr offenkundig ins Auge fassen und<br />

deshalb ein demokratischeres, gerechteres System der globalen Wirtschaftsbeziehungen<br />

errichten – ein System, das jedem die Chance und Möglichkeit gibt, sich zu entwickeln.<br />

32<br />

Die Zerstörung der OSZE<br />

Meine sehr verehrten Damen und Herren,<br />

wenn man auf der Konferenz für Sicherheitspolitik spricht, ist es unmöglich, nicht auf<br />

die Aktivitäten der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa [OSZE] zu<br />

sprechen zu kommen. Bekanntlich wurde diese Organisation zu dem Zweck geschaffen,<br />

sich mit allen – ich betone: allen – Aspekten der Sicherheit zu befassen: militärischen,<br />

politischen, wirtschaftlichen und humanitären, und ganz besonders mit dem Wechselverhältnis<br />

zwischen ihnen.


Rede auf der Sicherheitskonferenz in München am 10. Februar 2007<br />

Doch was müssen wir heute sehen? Wir sehen, dass dieses Gleichgewicht eindeutig<br />

zerstört ist. Es gibt Leute, die versuchen, die OSZE in ein vulgäres Werkzeug zu verwandeln,<br />

das der Förderung der außenpolitischen Interessen eines Landes oder einer Gruppe<br />

von Ländern dienen soll. Und diese Aufgabe wird vom bürokratischen Apparat der<br />

OSZE, der in keinerlei Verbindung mit den Gründerstaaten steht, auch erfüllt. Auf diese<br />

Aufgabe wurden auch die Entscheidungsverfahren und die Beteiligung sogenannter<br />

Nichtregierungsorganisationen zugeschnitten, die zwar formal unabhängig sind, aber<br />

zielgerichtet finanziert und daher kontrolliert werden.<br />

Folgt man den Gründungsdokumenten, so ist die OSZE auf humanitärem Gebiet dazu<br />

bestimmt, Mitgliedsländern auf deren Wunsch hin bei der Einhaltung internationaler<br />

Menschenrechtsnormen behilflich zu sein. Das ist eine wichtige Aufgabe. Wir befürworten<br />

dies. Aber das bedeutet nicht, sich in die inneren Angelegenheiten anderer Länder<br />

einzumischen, geschweige denn ein Regime zu oktroyieren [aufzwingen], das darüber<br />

entscheidet, wie diese Staaten leben und sich entwickeln sollten.<br />

Offensichtlich fördert eine solche Einmischung die Entwicklung demokratischer Staaten<br />

durchaus nicht. Im Gegenteil, sie macht diese abhängig und, in der Folge, politisch<br />

und wirtschaftlich instabil. Wir erwarten, dass die OSZE sich von ihren ursprünglichen<br />

Aufgabenstellungen leiten lässt und Beziehungen mit souveränen Staaten auf der<br />

Grundlage von Respekt, Vertrauen und Transparenz aufbaut.<br />

Meine sehr geehrten Damen und Herren,<br />

mit der folgenden Bemerkung möchte ich schließen: Wir hören sehr oft – und ich<br />

persönlich höre sehr oft – Appelle unserer Partner, darunter auch unserer europäischen<br />

Partner, Russland möge eine immer aktivere Rolle in der Weltpolitik spielen. In diesem<br />

Zusammenhang möchte ich mir eine kleine Anmerkung gestatten: Es ist kaum nötig, uns<br />

zu einem solchen Verhalten anzuspornen. Russland ist ein Land mit über tausendjähriger<br />

Geschichte und hat so gut wie stets von dem Vorrecht Gebrauch gemacht, eine unabhängige<br />

Außenpolitik zu führen.<br />

Wir haben nicht die Absicht, heute von dieser Tradition abzugehen. Zugleich ist uns<br />

durchaus bewusst, wie die Welt sich verändert hat, und wir haben ein realistisches Gespür<br />

für unsere eigenen Möglichkeiten und Potenziale. Natürlich möchten wir es gerne<br />

mit verantwortlichen und unabhängigen Partnern zu tun haben, mit denen wir zusammenarbeiten<br />

können, um eine gerechte und demokratische Weltordnung zu schaffen, die Sicherheit<br />

und Wohlstand nicht nur für wenige Auserwählte, sondern für alle gewährleistet.<br />

Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.<br />

Quelle: https://www.blaetter.de/archiv/jahrgaenge/2007/maerz/%E2%80%9Ewas-ist-ausden-garantien-geworden%E2%80%9C<br />

33


«Gute Beziehungen<br />

zu Frau Merkel»<br />

_ Pressekonferenz während des G8-Gipfels in Heiligendamm am 6. Juni 2007<br />

Der Spiegel: Herr Präsident, es hat den Anschein, dass Russland dem Westen<br />

nicht sehr wohlgesonnen ist. Unsere Beziehungen haben sich irgendwie<br />

verschlechtert. Und hier kann auch die Verschlechterung Ihrer Beziehungen<br />

zu Amerika erwähnt werden. Nähern wir uns wieder einem Kalten Krieg?<br />

Wenn es um internationale Beziehungen, Beziehungen zwischen Ländern geht, kann<br />

man kaum dieselbe Terminologie verwenden, die auf eine Beziehung zwischen Menschen<br />

zutreffen würde – insbesondere während ihrer Flitterwochen oder ihrer Vorbereitungen<br />

für den Gang zum Standesamt. Im Verlauf der Geschichte waren Interessen<br />

stets der wichtigste Organisationsfaktor für Beziehungen zwischen Staaten und in der<br />

internationalen Arena. Und je zivilisierter diese Beziehungen werden, desto deutlicher<br />

wird, dass die eigenen Interessen gegenüber den Interessen anderer Staaten ausgewogen<br />

sein müssen. Man muss dazu fähig sein, Kompromisse zu finden, um auch die<br />

schwierigsten Probleme und Angelegenheiten lösen zu können.<br />

34<br />

Eine der gegenwärtigen Hauptschwierigkeiten besteht darin, dass bestimmte Mitglieder<br />

der internationalen Gemeinschaft von der Richtigkeit ihrer eigenen Meinung<br />

völlig überzeugt sind, und selbstverständlich trägt dies kaum dazu bei, eine Atmosphäre<br />

des Vertrauens zu schaffen, die ich für unverzichtbar halte, wenn es um mehr als<br />

lediglich gegenseitig annehmbare Lösungen geht. Nämlich um das Finden optimaler<br />

Lösungen. Aber wir meinen auch, dass wir nicht alles übermäßig dramatisieren sollten.<br />

Wenn wir unsere Meinung offen, ehrlich und geradeheraus äußern, bedeutet es<br />

nicht, dass wir auf Konfrontation aus sind. Außerdem bin ich zutiefst davon überzeugt,<br />

dass die Wiederaufnahme ehrlicher Diskussionen und die Fähigkeit zu Kompromissen<br />

allen Mitgliedern der internationalen Arena zum Vorteil gereichen würde. Und ich bin<br />

ebenso davon überzeugt, dass es dann bestimmte Krisen, denen sich die internationale<br />

Gemeinschaft heute gegenüber sieht, nicht geben würde und diese keine so schwerwiegenden<br />

Auswirkungen auf die innenpolitische Lage gewisser Länder hätten. So würden<br />

die Vorgänge im Irak den Amerikanern beispielsweise keine so heftigen Kopfschmerzen<br />

bereiten. Dies ist das anschaulichste und deutlichste Beispiel, aber ich möchte, dass<br />

Sie mich verstehen. Und wie Sie sich erinnern werden, waren wir gegen ein militärisches<br />

Einschreiten im Irak. Wir denken heute darüber nach, dass eine Bewältigung der


Auf dem G8-Gipfel im Juni 2007 in Heiligendamm zeigten sich Angela Merkel und Wladimir Putin noch<br />

ausgelassen. Foto: Presse- und Informationsamt der Bundesregierung<br />

damaligen Probleme mit anderen Mitteln zu einem – meiner Meinung nach – besseren<br />

Ergebnis geführt hätte, als das, was wir heute sehen.<br />

Aus diesem Grund wünschen wir keine Konfrontation. Wir ziehen den Dialog vor.<br />

Aber wir möchten einen Dialog, der die Gleichberechtigung der Interessen beider Parteien<br />

berücksichtigt.<br />

Von Schröder zu Merkel<br />

Herr Präsident, der ehemalige Bundeskanzler Gerhard Schröder hat Sie als<br />

reinen Demokraten bezeichnet. Halten Sie sich selbst auch dafür?<br />

[Lacht] Bin ich ein reiner Demokrat? Natürlich bin ich es, absolut. Aber ist Ihnen das<br />

Problem bekannt? Nicht nur ein Problem, sondern eine echte Tragödie? Das Problem<br />

besteht darin, dass ich allein dastehe, der einzige meiner Art auf der ganzen Welt bin.<br />

Betrachten Sie nur, was sich in Nordamerika ereignet. Es ist einfach schrecklich: Folter,<br />

Obdachlose, Guantanamo, Gefangene ohne Anklage und Ermittlungen. Sehen Sie sich<br />

die Ereignisse in Europa an: Brutale Behandlung von Demonstranten, Gummigeschosse<br />

und Tränengas, die in den Hauptstädten eingesetzt werden, auf den Straßen getötete<br />

Demonstranten. Um die nachsowjetische Ära gar nicht erst zu erwähnen. Hoffnung gaben<br />

lediglich die Leute in der Ukraine, aber sie haben sich jetzt restlos diskreditiert, und<br />

die Dinge entwickeln sich dort hin zu einer kompletten Tyrannei, Preisgabe der Verfassung<br />

und der Gesetze und so weiter. Es gibt seit dem Tod Mahatma Gandhis niemanden,<br />

mit dem ich reden könnte.<br />

35


«Gute Beziehungen zu Frau Merkel»<br />

Und Ihr Land bewegt sich nicht zurück in die Richtung hin zu einem totalitären<br />

Regime?<br />

Daran ist kein Körnchen Wahrheit. Sie sollten nicht glauben, was Sie hören.<br />

Sie hatten eine sehr enge Beziehung zu Gerhard Schröder. Glauben Sie,<br />

dass Angela Merkel, die neue Kanzlerin, eher geneigt ist, sich den Vereinigten<br />

Staaten zuzuwenden als Russland?<br />

Jeder Mensch und jeder Politiker wählt seine eigene Verhaltensweise und setzt für<br />

sich Prioritäten. Ich habe nicht den Eindruck, dass es zu einer Verschlechterung unserer<br />

Beziehung mit Deutschland gekommen ist. Was meine guten Beziehungen zu Gerhard<br />

Schröder betrifft, kann ich nur sagen, dass ich auch eine gute und geschäftsmäßige Beziehungen<br />

zu Frau Merkel aufgebaut habe. Ja, sie scheint in manchen Bereichen beharrlicher<br />

zu sein. Es gefällt ihr beispielsweise sehr, sich für polnisches Fleisch einzusetzen.<br />

Wie ich bereits sagte, sie will es nicht selbst essen. Wir wissen alle, dass eine Lieferung<br />

Fleisch aus Polen in Berlin beschlagnahmt wurde. Wenn es aber um Kernfragen<br />

geht, um das Prinzip, gibt es zwischen uns keine Probleme, die bei der Entwicklung von<br />

Beziehungen zwischen unseren Ländern stören könnten. Wir haben sehr pragmatische<br />

und beständige Beziehungen, und wir sehen, dass es eine Fortsetzung der Beziehungen<br />

zur vorherigen Regierungspolitik gibt, wenn es um die Beziehungen zu Russland geht.<br />

36<br />

Wirtschaftliche Erfolge in Zahlen<br />

Wall Street Journal: Jetzt, da sich Ihre Amtszeit ihrem Ende nähert, wie<br />

möchten Sie, dass sich die Geschichte an Ihre Präsidentschaft erinnert? Was<br />

sind die Haupterrungenschaften Ihrer Präsidentschaft, von denen Sie wünschen,<br />

dass man sich daran erinnert? In dieser Hinsicht, mit welchem russischen<br />

oder globalen Führer möchten Sie, dass Ihre Präsidentschaft verglichen<br />

wird?<br />

Um am Ende zu beginnen, warum sollten Vergleiche gezogen werden? Die Situation<br />

in jeder historischen Periode und jedem Land ist stets einmalig, und ich sehe keine<br />

Notwendigkeit dafür, Vergleiche anzustellen. Die Zeit wird vergehen, und die Spezialisten,<br />

die Öffentlichkeit und die Experten werden objektiv beurteilen, was ich während<br />

dieser acht Jahre als Präsident der Russischen Föderation erreichen konnte. Ich glaube,<br />

dass es Dinge gibt, auf die die Leute, die mit mir gearbeitet haben, zu Recht stolz sein<br />

können. Dazu gehört die Wiederherstellung von Russlands territorialer Integrität, Stärkung<br />

des Staates, Fortschritt bei der Einrichtung eines Multiparteiensystems, Stärkung<br />

des parlamentarischen Systems, Wiederherstellung des Potenzials der Streitkräfte und<br />

natürlich die Entwicklung der Wirtschaft. Wie Sie wissen, ist unsere Wirtschaft im Ver-


Proteste gegen den G8-Gipfel. Foto: Salvatore Barbera; CC BY-SA 2.0<br />

lauf meiner Amtszeit jährlich um durchschnittlich 6,9 Prozent gewachsen, und unser<br />

Bruttosozialprodukt ist allein im Verlauf der ersten vier Monate dieses Jahres um 7,7<br />

Prozent angestiegen.<br />

Als ich mit meiner Arbeit im Jahre 2000 begann, lebten 30 Prozent unserer Bevölkerung<br />

unter der Armutsgrenze. Diese Zahlen sind seitdem zweistellig gefallen, und heute<br />

sind es nur noch 15 Prozent, die unterhalb der Armutsgrenze leben. Wir werden diese<br />

Zahl bis 2009 oder 2010 auf 10 Prozent senken und damit den europäischen Durchschnitt<br />

erreicht haben.<br />

Wir hatten enorme Schulden, einfach katastrophal für unsere Wirtschaft. Aber wir<br />

haben unsere Schulden getilgt. Wir haben unsere Schulden nicht nur beglichen, sondern<br />

wir haben auch die positivste Auslandsverschuldung gegenüber der Bruttosozialprodukt-Rate<br />

in Europa. Unsere Gold- und Währungsreserven sind bekannt. Im Jahre 2000<br />

standen sie bei lediglich 12 Milliarden Dollar, und unsere Verschuldung überstieg unser<br />

Bruttosozialprodukt um mehr als 100 Prozent, aber heute haben wir die drittgrößten<br />

Gold- und Währungsreserven der Welt, und sie sind allein in den ersten vier Monaten<br />

dieses Jahres auf 90 Milliarden Dollar angestiegen.<br />

Während der 1990er Jahre und selbst in den Jahren 2000 und 2001 hatten wir eine<br />

massive Kapitalflucht aus Russland in einer Größenordnung von 15 Milliarden, 20 Milliarden<br />

und 25 Milliarden Dollar, die jährlich unser Land verließen. Im vergangenen Jahr<br />

haben wir diese Situation zum ersten Mal umgekehrt und hatten einen Kapitalzufluss<br />

von 41 Milliarden zu verzeichnen. Die ersten vier Monate dieses Jahres brachten bereits<br />

einen Kapitalzufluss von 40 Milliarden. Die Kapitalisierung der russischen Börse hat im<br />

37


«Gute Beziehungen zu Frau Merkel»<br />

vergangenen Jahr einen immensen Zuwachs von rund 50 Prozent zu verzeichnen gehabt.<br />

Dies ist eines der global besten Ergebnisse, vielleicht sogar das beste. Unsere Wirtschaft<br />

lag fast am Boden, sie stand am Ende der Liste der Weltwirtschaft. Aber heute<br />

hat sie sich den neunten Platz erobert und in manchen Bereichen sogar die Wirtschaft<br />

der anderen G8-Staaten überrundet. Das bedeutet, dass wir heute in der Lage sind,<br />

uns mit sozialen Problemen auseinanderzusetzen. Das Realeinkommen steigt jährlich<br />

um 12 Prozent. In den ersten vier Monaten diesen Jahrens war bereits ein Anstieg des<br />

Realeinkommens um 14 Prozent zu verzeichnen, während die Löhne und Gehälter um<br />

11 bis 12 Prozent gestiegen sind. Was die noch zu lösenden Probleme betrifft, ist eines<br />

der dringlichsten die klaffende Einkommensschere zwischen den Leuten an der Spitze<br />

und denen am Ende der Skala. Die Bekämpfung der Armut ist zweifellos eine unserer<br />

Spitzenprioritäten, und wir müssen auch noch viel tun, um unser Renten- und Pensionssystem<br />

zu verbessern, weil das Verhältnis zwischen Pensionen und dem Durchschnittseinkommen<br />

in Russland noch immer niedriger als in Europa ist. Die Lücke zwischen den<br />

Einkommen an der Spitze und am Ende der Skala ist noch groß – ein Unterschied vom<br />

15,6- bis 15,7-fachen. Das ist zwar weniger als in den Vereinigten Staaten, die bei 15,9<br />

liegen, aber mehr als in Großbritannien oder Italien mit 13,6 bis 13,7. Aber für uns ist es<br />

noch eine große Lücke, und die Bekämpfung der Armut hat bei uns absoluten Vorrang.<br />

Die demografische Situation ist eine andere Priorität. Wir müssen alles tun, um die<br />

demografische Situation zu ändern. Wir haben in diesem Bereich ein Sonderprogramm<br />

begonnen. Ich will hier nicht alle Einzelheiten dieses Programms wiederholen, aber wir<br />

stellen große Ressourcen für die Durchführung des Programms zur Verfügung. Und ich<br />

bin sicher, dass wir Ergebnisse erzielen werden.<br />

Ein zwölf Kilometer langer und 2,5 Meter hoher Zaun schirmte die Staatslenker ab.<br />

Foto: Ulrich Joho; CC BY-SA 2.0<br />

38


Pressekonferenz während des G8-Gipfels in Heiligendamm am 6. Juni 2007<br />

Was den Staatsaufbau betrifft, werden wir häufig für die Zentralisierung der staatlichen<br />

Macht kritisiert. Aber nur wenige beachten die Tatsache, dass wir viele Entscheidungen<br />

zur Dezentralisierung der staatlichen Macht getroffen und eine Fülle von<br />

Machtbefugnissen auf die regionale und, besonders wichtig, auf die kommunale Ebene<br />

verlagert haben. Mit Erstaunen habe ich die Debatte in Deutschland darüber verfolgt,<br />

welche Machtbefugnisse den Ländern übertragen werden sollen. Im Verlauf dieser<br />

gesamten Debatte konnte ich nur staunen und sehen, dass wir alles das schon lange<br />

vollzogen haben. In Russland wäre es heute einfach nur komisch, eine Debatte über die<br />

Übertragung der Vollmacht, sagen wir der Ladenschlusszeiten, auf Regionalbehörden zu<br />

führen. Die russischen Gemeinden haben entschieden mehr Machtbefugnisse, als es in<br />

vielen europäischen Staaten der Fall ist, und wir glauben, dass unsere Politik hier die<br />

richtige ist. Leider befanden wir uns in einer Situation, wo uns die nötigen Finanzmittel<br />

zur Begleitung dieser Machtübertragung nicht zur Verfügung standen, aber wir sind dabei,<br />

die Situation nach und nach zu verbessern. Das sind die wichtigsten Dinge, die uns<br />

in Russland heute noch Sorgen bereiten, und es liegt noch viel Arbeit vor uns.<br />

EU und Ukraine<br />

The Times: Wären Sie bereit zu akzeptieren, dass die Ukraine ein Mitglied<br />

der Europäischen Union wird? Wie stehen Sie dazu?<br />

Ich stehe dem positiv gegenüber. Wir unterstützen generell alles, was die Europäische<br />

Union stärkt. Sie werden sicher wissen, dass wir uns zu diesem Prozess niemals<br />

negativ geäußert haben. Aber ich bin nicht sicher, inwieweit die Europäische Union<br />

selbst darauf vorbereitet ist, neue Mitglieder aufzunehmen, einschließlich der Ukraine.<br />

Aber das ist nicht unsere Sache. Wie ich es sehe, ist die Europäische Union darauf<br />

noch nicht ausreichend vorbereitet. Wenn es zu einer zusätzlichen Erweiterung kommt,<br />

wären die Länder Südeuropas, die Balkanstaaten, die noch nicht beigetreten sind, die<br />

ersten Kandidaten auf der Liste. Die Ukraine ist ein Land mit 45 Millionen Einwohnern,<br />

und wie wir sehen, hat es enorme wirtschaftliche und politische Probleme. Aber wenn<br />

der Zeitpunkt gekommen ist, an dem die Ukraine in der Lage ist, sich der Europäischen<br />

Union anzuschließen, würden wir dagegen keinerlei Einwände erheben.<br />

Ich bin stets über provokative Diskussionen bezüglich des laufenden Integrationsprozesses<br />

in der nachsowjetischen Ära überrascht. Wir verhandeln beispielsweise über die<br />

Schaffung eines gemeinsamen Wirtschaftsraumes, der Russland, Ukraine, Belarus und<br />

Kasachstan umfasst, und die Leute beginnen darüber zu diskutieren, ob die Ukraine ihre<br />

zukünftige Entwicklung an Europa oder Russland binden möchte. Diesen Leuten scheint<br />

entgangen zu sein, dass Russland und die Europäische Union Abkommen über die Einrichtung<br />

von vier gemeinsamen Bereichen in der Wirtschaft, Sicherheit und der humanitären<br />

Sphäre unterzeichnet haben. Und wenn Russland und Europa dieses gemeinsame<br />

39


«Gute Beziehungen zu Frau Merkel»<br />

Rahmenwerk realisieren, und Russland gleichzeitig ein gemeinsames Rahmenwerk mit<br />

der Ukraine, Belarus und Kasachstan errichtet, würde das nicht zur Harmonisierung<br />

des gesamten eurasischen Raumes führen? Und sollte sich die Ukraine an irgendeinem<br />

Punkt in dieser Entwicklung, nachdem sie eine Reihe von Beziehungen eingegangen ist,<br />

dafür entscheiden, ein Kandidat für die Mitgliedschaft in der Europäischen Union zu<br />

werden oder der Europäischen Union sogar beitreten, würde dieser gesamte Prozess<br />

den Vorgang zweifellos vereinfachen und dazu beitragen, die Chancen der Ukraine zu<br />

verbessern.<br />

Ich vermag die Logik hinter dieser Art von Diskussion, wie ich sie erwähnte, nicht zu<br />

erkennen. Es scheint mir so, dass es sich lediglich um medienwirksame politische Slogans<br />

handelt. Provokative Slogans, die den Mangel an Bereitwilligkeit erkennen lassen,<br />

sich mit der Substanz dessen, was sich ereignet, zu beschäftigen. Die von uns in der<br />

nachsowjetischen Ära betriebenen Integrationsprojekte sind für niemanden ein Hindernis,<br />

führen nicht zu Beschränkungen und errichten keine Schranken für die Entwicklung<br />

der Länder.<br />

Der hinter dem Projekt zur Schaffung eines gemeinsamen Wirtschaftsraums von<br />

den vier Staaten, die ich erwähnte, stehende Hauptgedanke ist die Errichtung eines<br />

gemeinsamen Tarifgefüges. Nichts weiter. Interessant ist, dass es hauptsächlich Russland<br />

ist, das man darum bittet, diese gemeinsamen Tarife anzuwenden. Warum war der<br />

Präsident Kasachstans der Initiator dieses Projekts? Weil Kasachstan wünscht, dass<br />

Russland gemeinsame Tarife auf dem Energie- und Transportsektor anwendet. Es war<br />

seine Initiative, aber wir sind im gemeinsamen Interesse dazu bereit.<br />

Familienbild auf der Seebrücke von Heiligendamm. Foto: G8 Information Centre<br />

40


Pressekonferenz während des G8-Gipfels in Heiligendamm am 6. Juni 2007<br />

Aber jetzt hat man es so dargestellt, als sei es Russland gewesen, das mit diesem<br />

Projekt begonnen hat, und dass es vor allem uns zum Vorteil gereicht. Niemand wird zu<br />

irgend etwas gezwungen. In der Europäischen Union – soweit mir bekannt – wiederholen<br />

85 Prozent aller von den nationalen Parlamenten verabschiedeten Gesetze das, was<br />

zuvor vom Europaparlament beschlossen worden ist. Mit anderen Worten: Die nationale<br />

Unabhängigkeit wird beständig weniger, und die Souveränität der Staaten verschwindet<br />

nach und nach. Wir, in der nachsowjetischen Ära, haben beschlossen, uns auf gemeinsame<br />

Energie- und Transporttarife zu einigen, und das führte zu einem Sturm der<br />

Entrüstung, Debatten, politischem Klatsch und Provokation. Und ein solches Verhalten<br />

kann eindeutig nicht im Interesse Europas sein. Warum kommt es dazu? Ich verstehe es<br />

nicht. Aber ich meine, dass, wie im Fall der russischen Investitionen, sich mit der Zeit<br />

alles beruhigen wird und diese politische Agitation durch Pragmatismus und Vertrauen<br />

ersetzt werden wird.<br />

Corriere della Sera: Und wie verhält es sich mit der NATO?<br />

Wir meinen, dass es sich mit der NATO-Erweiterung anders verhält, denn bei der<br />

NATO handelt es sich um einen militärisch-politischen Block, und eine solche Erweiterung<br />

führt zu Reibungen bei den Beziehungen mit Russland. Wir sehen für die Ukraine<br />

kein Bedürfnis zum NATO-Beitritt, denn niemand hat die Absicht, die Ukraine anzugreifen.<br />

Und außerdem sind wir der Meinung, dass das Argument, die NATO-Erweiterung<br />

sei geeignet, den Kampf gegen den Terrorismus effektiver zu gestalten, nichts weiter als<br />

leeres Gerede ist, das jeden gesunden Menschenverstand vermissen lässt. Die NATO<br />

selbst trägt absolut nichts zur Bekämpfung des Terrorismus bei. Es ist die multinationale<br />

Zusammenarbeit, die im Kampf gegen den Terrorismus Wirkung zeigt. Heute sehen wir<br />

uns bestimmten Bedrohungen und Herausforderungen gegenüber: Terrorismus, Menschenhandel<br />

und Drogenhandel, organisierte Kriminalität und Verbreitung von Atomwaffen,<br />

und man muss fragen, inwiefern Blockpolitik hier wirksam sein könnte?<br />

Aber es gibt dazu noch mehr zu sagen. Wir haben darüber gesprochen, was sich<br />

gegenwärtig in internationalen Angelegenheiten ereignet. Wir kennen die Gründe für<br />

vermehrte Spannungen und so weiter. Dazu kommt es, weil unsere Partner sich auf bestimmten<br />

Gebieten für ein aggressiveres Vorgehen entschieden haben. Sie erwähnten<br />

den Fall der NATO und Ukraine. Öffentliche Umfragen haben ergeben, dass 50 bis 70<br />

Prozent, vielleicht sogar 80 Prozent der Bevölkerung in der Ukraine gegen den NATO-<br />

Beitritt ist. Dessen völlig ungeachtet, stimmt der US-Kongress dafür, die Aufnahme der<br />

Ukraine in die NATO zu finanzieren. Aber haben sie das ukrainische Volk danach gefragt,<br />

was es wünscht? Warum lassen sie die erklärten Wünsche des ukrainischen Volkes<br />

völlig unberücksichtigt?<br />

41


«Gute Beziehungen zu Frau Merkel»<br />

Bedrohung durch US-Raketenabwehr<br />

Globe and Mail: Wenn die NATO dadurch Vorteile hinsichtlich der Raketenabwehr<br />

hätte, könnte es vielleicht sinnvoll sein? Die Vereinigten Staaten<br />

handeln unilateral, aber wäre statt dessen die NATO beteiligt, würde es nicht<br />

nach einem imperialistischen Schritt aussehen. Durch die Beteiligung von<br />

NATO oder Russland könnten diese Pläne zur Raketenabwehr in einem völlig<br />

anderen Licht erscheinen.<br />

Die Beteiligung der NATO würde grundsätzlich nichts ändern, denn wir wissen, wie<br />

bei der NATO Entscheidungen getroffen werden. Sie wurden in derselben Weise im<br />

Warschauer Pakt getroffen. In Ostdeutschland gab es einen Witz: Woran kann man<br />

erkennen, welches der auf dem Schreibtisch Erich Honeckers stehenden Telefone der<br />

direkte Draht nach Moskau ist? Kennen Sie den Witz?<br />

Der Spiegel: Nein.<br />

Die Antwort lautet: Es ist das Telefon, das nur eine Hör-, aber keine Sprechmuschel<br />

hat. [Gelächter].<br />

Dasselbe gilt für die NATO, außer, dass diese Telefonleitung nicht nach Moskau, sondern<br />

nach Washington führt. Und folglich gibt es keinen Unterschied, wenn die NATO an<br />

der Spitze des Projekts steht.<br />

Was die Frage des Beitritts anderer Länder betrifft: Ja, wir haben nichts dagegen,<br />

aber niemand hat uns gefragt. Wir hören oft das Gerede von europäischer Solidarität,<br />

aber über welche Solidarität reden wir? Zwei Länder – Polen und die Tschechische Republik<br />

– haben die Stationierung von Raketenabwehrsystemen auf ihrem Territorium<br />

gestattet. Man sagt uns, es sei für die Verteidigung Europas unverzichtbar. Aber hat<br />

irgend jemand Europa gefragt? War es wirklich eine gemeinsame europäische Entscheidung?<br />

Zumindest hätte die Entscheidung von der NATO kommen können und sei es auch<br />

nur aus optischen Gründen. Aber es wurde niemand gefragt. Ich bin sicher, hätte man<br />

Europa diese Frage vorgelegt, wäre man sicherlich zu einer Übereinkunft gelangt, aber<br />

die Vereinigten Staaten haben nicht einmal einen Gedanken daran verschwendet, in<br />

diesem Fall ihre Verbündeten zu konsultieren.<br />

42<br />

Was Russland betrifft, haben wir niemals abgelehnt, über dieses Projekt nachzudenken.<br />

In der Tat, so merkwürdig es auch erscheinen mag, wir haben es von Anfang an<br />

angeboten. Wir haben vorgeschlagen, in dieser Sache von Anfang an zusammenzuarbeiten,<br />

aber unser Vorschlag wurde sofort abgelehnt. Später, angesichts der Ablehnung<br />

ihrer Pläne in Europa und überall auf der Welt, sagten unsere Kollegen und Partner, dass<br />

sie mit uns über das Projekt sprechen möchten. Aber wissen Sie, worauf ihre Vorschläge<br />

für eine Zusammenarbeit hinausliefen? Sie wollten, dass wir ihnen unsere Raketen


Im Strandkorb saßen die Chefs der G8-Staaten friedlich vereint. Foto: Presse- und Informationsamt<br />

der Bundesregierung<br />

als Ziele für die Ausbildung am Raketenabwehrsystem zur Verfügung stellen. Was für<br />

Schlauköpfe mögen wohl auf diesen Gedanken gekommen sein! Einige meiner amerikanischen<br />

Kollegen, Freunde, Leute mit sehr viel Erfahrung auf dem Gebiet der Politik und<br />

internationaler Angelegenheiten reagierten genauso wie Sie und lachten. Ich beziehe<br />

mich auf bedeutende amerikanische Gestalten der politischen Bühne.<br />

Aber wir haben keinerlei substanziierte Vorschläge gehört, keine Vorschläge bezüglich<br />

einer weitreichenden Zusammenarbeit, und wir wissen, dass es solche Vorschläge<br />

auch nicht geben wird, weil dieses System als Bestandteil der Atomstreitkräfte der Vereinigten<br />

Staaten geplant ist. Selbstverständlich wäre es in der Tat merkwürdig, würden<br />

sie Russland plötzlich in ihr Allerheiligstes eintreten lassen. In dieser Sache gibt es<br />

nichts weiter zu besprechen. Es ist eine äußerst ernste Angelegenheit. Aber hätten wir<br />

Bemühungen erkennen können, dass man bereit gewesen wäre, unsere Ansichten zu<br />

berücksichtigen, auch über unsere Sicherheit nachgedacht hätte, um ein gewisses Maß<br />

an Ausgewogenheit zu bewahren, und hätten wir gesehen, dass dieses System uns<br />

nicht bedroht oder unser eigenes Potenzial unterminiert, wären wir selbstverständlich<br />

zu einer Zusammenarbeit bereit gewesen. Aber ich denke, das es höchst unwahrscheinlich<br />

ist. Wie ich sagte, es würde bedeuten, uns den Zutritt in ihr Allerheiligstes der atomaren<br />

Streitkräfte zu ermöglichen, und das ist, wie jeder einsehen wird, eine schwere<br />

Entscheidung.<br />

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit. Auf Wiedersehen.<br />

Quelle: Auszüge aus der Pressekonferenz, transkribiert durch Initiative Information–Natur–<br />

Gesellschaft (www.initiative.cc), zuerst abgedruckt in Zeit-Fragen Nr. 16 vom 14.4.2008<br />

(zeit-fragen.ch)<br />

43


«Von unseren amerikanischen<br />

Freunden provoziert»<br />

_ Nach dem Georgien-Krieg: ARD-Interview am 29. August 2008<br />

In der Nacht von dem 7. auf den 8. August 2008 griffen georgische Regierungstruppen<br />

die abtrünnige Provinz Südossetien an, die sich 1991 für unabhängig erklärt hatte und<br />

Russland zuneigt. Die russische Armee kam den Angegriffenen zu Hilfe. Der Feldzug endete<br />

nach wenigen Tagen mit der vollständigen Niederlage der georgischen Einheiten.<br />

In der Folge erklärten sich Südossetien und Abchasien zu selbständigen Staaten und<br />

wurden von Russland diplomatisch anerkannt.<br />

Thomas Roth: Herr Ministerpräsident, nach der Eskalation in Georgien sieht<br />

das Bild in der internationalen Öffentlichkeit so aus – damit meine ich Politik,<br />

aber auch Presse: Russland gegen den Rest der Welt. Warum haben Sie Ihr<br />

Land mit Gewalt in diese Situation getrieben?<br />

Wladimir Putin: Was meinen Sie, wer hat den Krieg begonnen?<br />

Der letzte Auslöser war der georgische Angriff auf Tschinwali [Hauptstadt<br />

der Provinz Südossetien].<br />

Ich danke Ihnen für diese Antwort. So ist es auch, das ist die Wahrheit. Wir werden<br />

dieses Thema später ausführlicher erörtern. Ich möchte nur anmerken, dass wir diese<br />

Situation nicht herbeigeführt haben. Und jetzt zum Ansehen Russlands.<br />

Ich bin überzeugt, dass das Ansehen eines jeden Landes, das im Stande ist, das<br />

Leben und die Würde der Bürger zu verteidigen, eines Landes, das eine unabhängige<br />

Außenpolitik betreiben kann, dass das Ansehen eines solchen Landes mittel- oder langfristig<br />

steigen wird.<br />

Und umgekehrt: Das Ansehen der Länder, die in der Regel die Interessen anderer<br />

Staaten bedienen, die die eigenen nationalen Interessen vernachlässigen, unabhängig<br />

davon, wie sie das auch erklären mögen, wird sinken.<br />

Sie haben die Frage trotzdem noch nicht beantwortet, warum Sie die Isolation<br />

Ihres ganzen Landes riskiert haben.<br />

44<br />

Ich dachte, geantwortet zu haben, aber wenn Sie zusätzliche Erklärungen brauchen,


Reste einer georgischen Militärbasis bei Gori am 11. September 2008. Foto: Nino Ozbetelashvili|; CCL 3.0<br />

dann mache ich das. Unser Land, das die Würde und den Stolz unserer Bürger verteidigen<br />

kann, und die außenpolitischen Verpflichtungen im Rahmen der Friedensstiftung<br />

erfüllen kann, wird nicht in Isolation geraten, ungeachtet dessen, was unsere Partner in<br />

Europa und USA im Rahmen ihres Blockdenkens sagen. Mit Europa und den USA endet<br />

die Welt nicht. Und im Gegenteil – ich möchte es noch einmal betonen: Wenn Staaten<br />

ihre eigenen nationalen Interessen vernachlässigen, um außenpolitische Interessen anderer<br />

Staaten zu bedienen, dann wird die Autorität dieser Länder, unabhängig davon,<br />

wie sie das auch erklären mögen, nach und nach sinken. Das heißt, wenn die europäischen<br />

Staaten die außenpolitischen Interessen der USA bedienen wollen, dann werden<br />

sie, aus meiner Sicht, nichts dabei gewinnen.<br />

Jetzt reden wir mal über unsere internationalen rechtlichen Verpflichtungen. Nach<br />

internationalen Verträgen haben die russischen Friedensstifter die Pflicht, die zivile Bevölkerung<br />

von Südossetien zu verteidigen. Erinnern wir uns jetzt an das Jahr 1995 in<br />

Bosnien. Uns ist gut bekannt, dass die europäischen Friedenstruppen, die aus niederländischen<br />

Militärangehörigen bestanden, eine der angreifenden Seiten nicht aufgehalten<br />

haben und es dieser Seite ermöglicht haben, eine ganze Ortschaft zu vernichten.<br />

Hunderte wurden getötet und verletzt. Das Problem und die Tragödie von Srebrenica<br />

ist in Europa sehr bekannt. Wollten Sie, dass wir auch so verfahren? Dass wir uns zurückgezogen<br />

hätten und den georgischen Streitkräften erlaubt hätten, die in Tschinwali<br />

lebende Bevölkerung zu vernichten?<br />

45


«Von unseren amerikanischen Freunden provoziert»<br />

Präzedenzfall Kosovo und Irak<br />

Herr Ministerpräsident, Kritiker sagen, Ihr eigentliches Kriegsziel war gar<br />

nicht, nur die südossetische Bevölkerung, aus Ihrer Sicht, zu schützen, sondern<br />

zu versuchen, den georgischen Präsidenten aus dem Amt zu treiben, um<br />

den Beitritt Georgiens über kurz oder lang zur NATO zu verhindern. Ist das so?<br />

Das stimmt nicht, das ist eine Verdrehung der Tatsachen, das ist eine Lüge. Wenn<br />

das unser Ziel gewesen wäre, hätten wir vielleicht den Konflikt begonnen. Aber, wie sie<br />

selbst sagten, das hat Georgien gemacht.<br />

Jetzt gestatte ich mir, an die Tatsachen zu erinnern. Nach der nicht legitimen Anerkennung<br />

des Kosovo haben alle erwartet, dass wir Südossetien und Abchasien anerkennen.<br />

Alle haben darauf gewartet, und wir hatten ein moralisches Recht darauf. Wir<br />

haben uns mehr als zurückgehalten. Ich will das auch nicht kommentieren. Ja, mehr<br />

noch, wir haben das geschluckt. Und was haben wir bekommen? Eine Eskalation des<br />

Konfliktes. Überfall auf unsere Friedensstifter. Überfall und Vernichtung der friedlichen<br />

Bevölkerung in Südossetien. Das sind Tatsachen, die angesprochen wurden. Augenzeugen<br />

berichteten, dass georgische Militäreinheiten gegen Frauen und Kinder mit Panzern<br />

vorgegangen sind. Sie trieben die Menschen in Häuser und verbrannten sie lebendigen<br />

Leibes. Und als georgische Soldaten in Tschinwali einmarschiert waren, haben sie in<br />

Keller, in denen sich Frauen, Kinder versteckt haben, im Vorbeigehen Granaten geworfen.<br />

Was ist das, wenn nicht Völkermord?<br />

Nun zur georgischen Führung. Leute, die ihr Land in eine Katastrophe gestürzt haben,<br />

die Führung Georgiens selbst hat mit ihren Handlungen die territoriale Integrität und<br />

Staatlichkeit Georgiens untergraben. Solche Menschen dürfen meiner Meinung nach<br />

natürlich an gar keiner Staatsspitze stehen. Egal, ob das kleine oder große Staaten sind.<br />

Wären dies anständige Menschen, dann hätten sie selbst sofort zurücktreten müssen.<br />

Das ist jedoch nicht Ihre Entscheidung, sondern die der georgischen Regierung.<br />

Natürlich. Aber wir kennen ja andere Präzedenzfälle. Erinnern wir uns daran, wie<br />

die amerikanischen Truppen in den Irak einmarschiert waren und was sie mit Saddam<br />

Hussein gemacht haben, weil er einige Dörfer der Schiiten vernichtet hat. Hier dagegen<br />

wurden gleich in den ersten Stunden zehn Dörfer auf dem Territorium Südossetiens dem<br />

Erdboden gleichgemacht.<br />

46<br />

Herr Ministerpräsident, sehen Sie sich denn im Recht, in das Territorium<br />

eines souveränen Staates, nämlich Georgiens, vorzudringen und dort Bombardierungen<br />

durchzuführen? Ich selbst sitze hier nur aus purem Zufall mit Ihnen,


Nach dem Georgien-Krieg: ARD-Interview am 29. August 2008<br />

da buchstäblich einige Meter von mir eine Bombe explodiert ist, die aus Ihrem<br />

Flugzeug abgeworfen wurde. Gibt Ihnen das aus völkerrechtlicher Sicht das<br />

Recht?<br />

Wir haben uns absolut im Rahmen des Völkerrechts bewegt. Wir haben den Angriff<br />

auf unsere Friedensstifter, auf unsere Bürger als ein Angriff auf Russland aufgefasst. In<br />

den ersten Stunden der Kampfhandlungen töteten die georgischen Streitkräfte mehrere<br />

Dutzend unserer Blauhelmsoldaten. Sie haben unsere südliche Stellung – dort gab es im<br />

Süden und im Norden Stellungen der Friedenstruppen – mit Panzern umzingelt und sie<br />

unter direkten Beschuss genommen. Als unsere Blauhelmsoldaten die Technik aus einem<br />

Hangar holen wollten, wurde ein Schlag mit dem Artilleriesystem Grad ausgeführt.<br />

Zehn Leute, die in diesen Hangar reingingen, wurden auf der Stelle getötet, also lebendig<br />

verbrannt. Danach hat die georgische Luftwaffe Luftschläge in verschiedenen Punkten<br />

in Südossetien durchgeführt. Nicht in Tschinwali, sondern inmitten von Südossetien.<br />

Und wir sahen uns gezwungen, die Verwaltungspunkte der georgischen Streitkräfte, die<br />

sich außerhalb der Konfliktzone befanden, unschädlich zu machen. Das waren solche<br />

Punkte, von wo die Artillerieschläge und die Luftangriffe auf russische Blauhelmsoldaten<br />

koordiniert und ausgeführt wurden.<br />

Ich hatte ja gesagt, dass auch die Bombardierung der Zivilbevölkerung<br />

stattgefunden hat. Sie haben womöglich nicht alle Informationen.<br />

Ich verfüge möglicherweise nicht über alle Informationen. Im Zuge der Kampfhandlungen<br />

sind Fehler möglich. Vor Kurzem haben die amerikanischen Luftstreitkräfte in Afghanistan<br />

angeblich den Taliban einen Schlag versetzt, in Wirklichkeit aber haben sie mit<br />

einem Schlag an die hundert friedliche Menschen vernichtet. Das ist die erste Möglichkeit,<br />

aber die zweite Möglichkeit ist wahrscheinlicher: Die Feuerleitstellen, die Luftwaffenlenkstellungen<br />

und die Radarstationen hat die georgische Seite manchmal gerade in<br />

Wohngebieten untergebracht, um zu verhindern, dass wir gegen diese unsere Luftwaffe<br />

einsetzen. Dadurch hat sie die Zivilbevölkerung und auch Sie als Geiseln benutzt.<br />

Potenzielle weitere Konflikte<br />

Das ist eine Mutmaßung. Der französische Außenminister [Bernard] Kouchner<br />

hat viele Sorgen geäußert in den letzten Tagen, als Minister der [EU-] Ratspräsidentschaft.<br />

Er hat auch die Sorge geäußert, dass der nächste Konfliktherd<br />

um die Ukraine beginnt, nämlich um die Krim, um die Stadt Sewastopol. Ist die<br />

Krim das nächste Ziel, der Sitz der Schwarzmeerflotte?<br />

Sie sagten das nächste Ziel. Wir haben auch hier kein Ziel gehabt. Deshalb ist es<br />

nicht korrekt, so zu reden. Und, wenn Sie gestatten, dann bekommen Sie eine zufrieden<br />

47


US-Botschafter John F. Tefft spricht zu frisch ausgebildeten georgischen Soldaten am 26. August 2007.<br />

Foto: US Dept. of State; Public Domain<br />

stellende Antwort: Die Krim ist kein kritisches Territorium, da hat es keinen ethnischen<br />

Konflikt gegeben, im Unterschied zum Konflikt zwischen Südossetien und Georgien. Und<br />

Russland hat längst die Grenzen der heutigen Ukraine anerkannt. Im Grunde genommen<br />

haben wir die Grenzverhandlungen abgeschlossen. Da bleiben nur Demarkationsangelegenheiten,<br />

das ist eine technische Angelegenheit. Und eine solche Frage riecht nach<br />

Provokation. Da gibt es innerhalb der Krim komplizierte Prozesse, Krimtataren, ukrainische<br />

Bevölkerung, russische Bevölkerung, also slawische Bevölkerung. Das ist aber ein<br />

internes Problem der Ukraine. Es gibt einen Vertrag über die Flotte bis 2017.<br />

Herr Ministerpräsident, ein weiterer Außenminister hat Sorgen geäußert,<br />

in diesem Fall der britische Außenminister [David] Milliband. Er hat vor einem<br />

neuen – ich benutze dieses Wort als Zitat – Kalten Krieg zwischen Russland<br />

und dem Westen gewarnt. Er hat vor einem beginnenden Wettrüsten gewarnt.<br />

Wo stehen wir? Wie würden Sie das bezeichnen: Ist das eine Eiszeit, ist es<br />

schon ein Kalter Krieg und hat das Wettrüsten schon begonnen, oder schließen<br />

Sie alles aus?<br />

Es gibt den Ausspruch: Haltet den Dieb! Derjenige, der am lautesten schreit, der ist<br />

der Dieb.<br />

Also ist der Räuber der britische Außenminister?<br />

48<br />

Das haben Sie gesagt. Exzellent! Es ist angenehm, sich mit Ihnen zu unterhalten.<br />

Aber das haben Sie gesagt. Meint man es aber ernst, so ist Russland keinesfalls darauf<br />

aus, dass sich die Situation zuspitzt. Wir wollen keine Spannungen, mit wem auch


Nach dem Georgien-Krieg: ARD-Interview am 29. August 2008<br />

immer. Wir streben freundliche, gutnachbarliche Beziehungen an, Partnerschaftsbeziehungen<br />

mit allen Staaten.<br />

Wenn Sie gestatten, ich denke darüber Folgendes: Es hat die Sowjetunion und den<br />

Warschauer Vertrag gegeben. In Deutschland gab es sowjetische Truppen. Ehrlich gesagt<br />

waren es Besatzungstruppen, die in Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg<br />

geblieben sind, als Truppen der Alliierten. Diese Besatzungstruppen wurden nach dem<br />

Zerfall der Sowjetunion abgezogen, der Warschauer Vertrag löste sich auf. Es gibt keine<br />

Gefahr seitens der Sowjetunion. Aber die NATO, die US-Truppen, sind in Europa geblieben.<br />

Warum?<br />

Um Ordnung im eigenen Haus, im eigenen Lager, mit den eigenen Verbündeten zu<br />

schaffen, um sie im Rahmen der Blockdisziplin zu halten – braucht man eine äußere<br />

Gefahr. Der Iran passt nicht ganz für eine solche Rolle. Also will man unbedingt Russland<br />

als Feindbild ins Leben zurückrufen. Aber in Europa hat man davor keine Angst mehr.<br />

Die EU muss sich entscheiden<br />

Die Europäische Union in Brüssel wird über Russland reden. Es wird wohl<br />

auch über Sanktionen gegen Russland zumindest geredet werden, möglicherweise<br />

werden sie beschlossen. Macht Ihnen das irgend eine Art von Sorge<br />

oder ist Ihnen das egal, weil Sie sagen, die Europäer finden sowieso nicht zu<br />

einer Stimme?<br />

Würde ich sagen, wir pfeifen drauf, es ist uns egal, würde ich lügen. Natürlich verfolgen<br />

wir alles sehr aufmerksam. Wir hoffen, dass der gesunde Menschenverstand<br />

triumphieren wird, und wir glauben, dass eine nicht politisierte, sondern objektive Einschätzung<br />

der Ereignisse gegeben wird. Wir hoffen auch, dass die Aktionen der russischen<br />

Friedensstifter unterstützt werden und die Aktionen der georgischen Seite, die<br />

diese verbrecherische Aktion durchgeführt hatte, sanktioniert werden.<br />

Herr Ministerpräsident, müssen Sie sich in Wirklichkeit nicht entscheiden?<br />

Sie wollen auf der einen Seite auf eine intensive Zusammenarbeit mit Europa<br />

nicht verzichten, Sie können es meines Erachtens wirtschaftlich auch gar<br />

nicht, andererseits wollen Sie trotzdem nach eigenen russischen Spielregeln<br />

spielen. Also auf der einen Seite ein Europa der gemeinsamen Werte, die Sie<br />

auch teilen müssen, andererseits spielen Sie nach russischen Spielregeln.<br />

Beides zusammen geht aber nicht…<br />

Wir wollen nicht nach irgendwelchen besonderen Spielregeln spielen. Wir wollen,<br />

dass alle nach einheitlichen völkerrechtlichen Regeln vorgehen. Wir wollen nicht, dass<br />

diese Begriffe manipuliert werden, in einer Region die Regeln, in einer anderen die<br />

49


«Von unseren amerikanischen Freunden provoziert»<br />

Regeln. Wir wollen einheitliche Regeln. Einheitliche Regeln, die die Interessen aller<br />

Teilnehmer berücksichtigen.<br />

Wollen Sie damit sagen, dass die EU je nach Region nach unterschiedlichen<br />

Regeln handelt, die nicht dem Völkerrecht entsprechen?<br />

Absolut. Wie hat man Kosovo anerkannt? Man vergaß die territoriale Souveränität<br />

der Staaten, die UN-Resolution 1244, die sie selbst beschlossen haben. Dort durfte man<br />

das und in Abchasien und Südossetien nicht. Warum?<br />

Das heißt Russland ist einzig und allein fähig die Regeln des internationalen<br />

Völkerrechts zu bestimmen. Alle anderen manipulieren, machen es, wie<br />

sie wollen? Hab ich Sie richtig verstanden?<br />

Sie haben mich falsch verstanden. Haben Sie die Unabhängigkeit Kosovos anerkannt?<br />

Ja oder Nein?<br />

Ich selbst nicht, ich bin Journalist.<br />

Die westlichen Länder. Im Grunde haben es alle anerkannt. Nur, wenn man es dort<br />

anerkennt, dann muss man auch die Unabhängigkeit von Abchasien und Südossetien<br />

anerkennen. Es gibt überhaupt keinen Unterschied. Der Unterschied ist ausgedacht.<br />

Dort gab es ethnische Spannungen und hier gibt es ethnische Spannungen. Dort gab<br />

es Verbrechen, praktisch von beiden Seiten, und hier kann man die wahrscheinlich finden.<br />

Wenn man etwas «gräbt», dann kann man die bestimmt finden. Dort gab es die<br />

Entscheidung, dass beide Völker nicht mehr zusammen in einem Staat leben können,<br />

und hier wollen sie es auch nicht. Es gibt keinen Unterschied und alle verstehen es in<br />

Wirklichkeit. Das alles ist nur Gerede, um rechtswidrige Schritte zu decken. Das nennt<br />

man, das Recht des Stärkeren. Und damit kann sich Russland nicht abfinden.<br />

Herr Roth Sie leben schon lange in Russland, sie sprechen hervorragend, fast ohne<br />

Akzent, russisch. Dass Sie mich verstanden haben, wundert mich nicht. Das ist mir sehr<br />

angenehm, jedoch möchte ich auch sehr, dass mich meine europäischen Kollegen verstehen,<br />

die sich am 1. September treffen und über diesen Konflikt beraten werden.<br />

50<br />

Wurde die Resolution 1244 angenommen? Ja! Dort wurde unterstrichen geschrieben:<br />

Territoriale Souveränität Serbiens! Die Resolution haben die in den Müll weggeworfen.<br />

Alles vergessen. Sie wollten die Resolution zuerst umdeuten, anders interpretieren,<br />

aber es ging nicht. Alles vergessen. Warum? Das Weiße Haus ordnete es an, und<br />

alle führen es aus! Wenn die europäischen Länder auch weiterhin eine solche Politik<br />

führen, dann werden wir über europäische Angelegenheiten in Zukunft mit Washington<br />

reden müssen.


Nach dem Georgien-Krieg: ARD-Interview am 29. August 2008<br />

Georgien-Krieg als US-Wahlkampf?<br />

Wo sehen Sie die Aufgabe von Deutschland in dieser Krise?<br />

Wir haben zu Deutschland sehr gute Beziehungen, vertrauensvolle Beziehungen, sowohl<br />

politische als auch ökonomische. Als wir mit Herrn [Nicolas] Sarkozy gesprochen<br />

haben, bei seinem Besuch hier, haben wir gesagt, dass wir keinerlei Territorien in Georgien<br />

wollen. Wir werden uns in die Sicherheitszone zurückziehen, die in den früheren<br />

internationalen Abkommen vereinbart wurde. Aber da werden wir auch nicht ewig bleiben.<br />

Wir betrachten das als georgisches Territorium. Unsere Absicht besteht nur darin,<br />

die Sicherheit zu gewährleisten und es nicht so zu machen, dass da Truppen und Kriegsgerät<br />

heimlich geballt werden. Und zu verhindern, dass da die Möglichkeit eines neuen<br />

Konfliktes entsteht. Dann begrüßen wir die Teilnahme von Beobachtern der EU, der OSZE<br />

und natürlich auch Deutschlands. Wenn die Prinzipien der Zusammenarbeit geklärt sind.<br />

Das heißt Sie werden Ihre Truppen auf jeden Fall zurückziehen?<br />

Natürlich. Es ist für uns als erstes wichtig, die Sicherheit in der Region sicherzustellen;<br />

als nächstes Südossetien zu helfen, die eigenen Grenzen zu sichern. Danach<br />

haben wir keine Gründe mehr uns dort aufhalten zu müssen. Und während dieser Arbeit<br />

würden wir die Kooperation mit der EU, OSZE nur begrüßen.<br />

Was können Sie unter der Berücksichtigung der Umstände, in dem sich diese<br />

Krise befindet, der Beziehungen zur USA und Europa, zur Eskalation dieser<br />

Krise beitragen?<br />

Als erstes, das habe ich bereits gestern Ihren CNN-Kollegen gesagt, dass diese Krise<br />

unter anderem von unseren amerikanischen Freunden, im Zuge des Vorwahlkampfes,<br />

provoziert wurde. Das schließt auch die Nutzung der administrativen Ressourcen in einer<br />

sehr bedauernswerten Ausführung ein, um einem der Kandidaten eine Mehrheit<br />

sicherzustellen. In dem Fall, dem der Regierungspartei. [Anspielung Putins auf den republikanischen<br />

Präsidentschaftskandidaten John McCain, der durch die Bush-Politik in der<br />

Georgien-Krise Rückenwind erhalten habe.]<br />

Das glauben Sie wirklich?<br />

Ja, ich glaube es.<br />

Haben Sie Fakten?<br />

Analyse.<br />

Das ist kein Fakt.<br />

51


«Von unseren amerikanischen Freunden provoziert»<br />

Das ist kein Fakt. Uns ist bekannt, dass es dort [in Georgien] viele amerikanische<br />

Berater gegeben hat. Es ist sehr schlecht, eine der Seiten beim ethnischen Konflikt aufzurüsten<br />

und dann diese dazu zu drängen, ethnische Probleme auf dem militärischen<br />

Wege zu lösen. Dies scheint zwar einfacher, als jahrelang zu verhandeln und nach Kompromissen<br />

zu suchen. Aber das ist zugleich ein sehr gefährlicher Weg, was sich ja dann<br />

aus der Entwicklung auch gezeigt hat.<br />

Aber die Berater und Instrukteure, die Ausbilder, das Personal, das die Truppen ausbildet<br />

und an der gelieferten Kriegstechnik trainiert hat, das muss sich auf dem Übungsgelände<br />

und in den Trainingszentren befinden. Und wo waren sie in Wirklichkeit? In der<br />

Zone der Kampfhandlungen. Und allein dies lässt vermuten, dass die Führung der USA<br />

über die vorbereitete Aktion im Bilde war. Mehr noch – sie hat daran höchst wahrscheinlich<br />

teilgenommen. Denn ohne das Kommando der höchsten Führung hätten amerikanische<br />

Bürger kein Recht, sich in der Konfliktzone aufzuhalten. In der Sicherheitszone<br />

durften sich nur Ortsbewohner, OSZE-Beobachter und die Friedenskräfte aufhalten. Dort<br />

haben wir aber Spuren amerikanischer Bürger entdeckt, die weder zur ersten, noch zur<br />

zweiten, noch zur dritten Kategorie gehört haben.<br />

Und da ergibt sich die Frage: Warum hat die oberste Führung der Vereinigten Staaten<br />

die Präsenz ihrer Bürger in der Sicherheitszone gestattet, die sich dort gar nicht aufhalten<br />

durften? Und wenn ihnen dies gestattet wurde, dann kommt bei mir der Verdacht auf,<br />

dass dies extra gemacht wurde, um einen kleinen siegreichen Krieg zu organisieren. Und<br />

als dieser misslungen war, wurde aus Russland ein Feindbild gemacht, um auf dieser<br />

Grundlage die Wähler um einen der Präsidentenanwärter zu scharen. Natürlich um den<br />

Kandidaten von der regierenden Partei. Weil nur die regierende Partei über solche Ressourcen<br />

verfügen kann. Dies sind meine Überlegungen und Annahmen. Es ist Ihre Sache,<br />

ob Sie damit einverstanden sind oder nicht, aber sie haben ihre Existenzberechtigung,<br />

weil wir auf die Spuren der US-Bürger in der Zone der Kampfhandlungen gestoßen sind.<br />

52<br />

Doppelter Standard in den Westmedien<br />

Und eine letzte Frage, die mich sehr interessiert. Denken Sie nicht, dass<br />

Sie sich in der Falle Ihres eigenen autoritären Systems befinden? Sie kriegen<br />

Informationen von Ihren Geheimdiensten und anderen Quellen, jedoch haben<br />

die Medien Angst etwas zu berichten, was nicht mit der Linie der Regierung<br />

übereinstimmt. Ist es nicht so, dass das von Ihnen geschaffene System Ihnen<br />

die Möglichkeit eines breiten Sichtfeldes auf diesen Konflikt nimmt, auf die<br />

Geschehnisse in Europa und anderen Ländern?<br />

Sehr geehrter Herr Roth, Sie haben unser politisches System als autoritär bezeichnet.<br />

Sie haben in unserer heutigen Diskussion auch mehrfach über unsere gemeinsa-


Nach dem Georgien-Krieg: ARD-Interview am 29. August 2008<br />

men Werte gesprochen. Woraus bestehen diese? Es gibt einige grundlegende Werte,<br />

wie das Recht zu leben. In der USA zum Beispiel gibt es immer noch die Todesstrafe, in<br />

Russland und Europa gibt es die nicht. Heißt das denn, dass Sie aus dem NATO-Block<br />

austreten wollen, weil es keine vollständige Übereinstimmung der Werte zwischen den<br />

Europäern und Amerikanern gibt?<br />

Jetzt zum Konflikt, über den wir heute sprechen. Wissen Sie denn nicht, was sich in<br />

Georgien die letzten Jahre abgespielt hat? Der rätselhafte Tod des Ministerpräsidenten<br />

[Surab] Schwania, Niederschlagung der Opposition, physische Zerschlagung von Protestmärschen<br />

der Oppositionellen, Durchführung der Wahlen während eines Ausnahmezustands<br />

und jetzt diese verbrecherische Aktion in Ossetien mit vielen Toten. Und<br />

da ist natürlich ein demokratisches Land, mit dem ein Dialog über die Aufnahme in die<br />

NATO oder gar EU geführt werden muss. Und wenn ein anderes Land seine Interessen<br />

verteidigt, das Recht seiner Bürger auf Leben verteidigt, 80 unserer Leute wurden sofort<br />

getötet, 2.000 aus der zivilen Bevölkerung wurden getötet – und wir dürfen unsere<br />

Bürger dort nicht schützen? Und wenn wir das machen, dann nimmt man uns die Wurst<br />

weg? Wir haben die Wahl Wurst oder Leben. Wir wählen das Leben, Herr Roth.<br />

Jetzt über den anderen Wert: Pressefreiheit. Sehen Sie nur wie diese Ereignisse in<br />

der amerikanischen Presse beleuchtet werden, die als leuchtendes Beispiel der Demokratie<br />

gilt. Und in der europäischen ist es ähnlich. Ich war in Peking [bei der Eröffnung<br />

der Olympischen Spiele], als die Ereignisse anfingen. Massiver Beschuss von Tschinwali,<br />

Anfang des Vorstoßes der georgischen Truppen, es gab sogar bereits vielfache<br />

Opfer, es hat keiner ein Wort gesagt. Auch Ihre Anstalt [ARD] hat geschwiegen, alle<br />

BMP 2-Panzer der 58. russischen Armee in Südossetien im August 2008. Foto: Yana Amelina; CCL 3.0<br />

53


«Von unseren amerikanischen Freunden provoziert»<br />

amerikanischen Anstalten. So als ob gar nichts passiert sei. Erst als der Aggressor<br />

«in die Fresse» bekam, «Zähne raus geschlagen» bekommen hat, als er seine ganze<br />

amerikanische Ausrüstung aufgegeben und ohne Rücksicht gerannt ist, haben sich alle<br />

erinnert. An das internationale Völkerrecht, an das böse Russland. Da waren alle wieder<br />

auf der Stelle. Wieso eine solche Willkür in der Berichterstattung?<br />

Für faire Wirtschaftsbeziehungen<br />

Nun zur «Wurst»: Wirtschaft. Wir wollen normale, wirtschaftliche Beziehungen zu<br />

allen unseren Partnern. Wir sind ein sehr zuverlässiger Partner, wir haben noch nie<br />

einen Partner betrogen. Als wir Anfang der 1960er Jahre die Pipeline in die BRD gebaut<br />

haben, hat unser transatlantischer Partner den Deutschen geraten, diesem Projekt<br />

nicht zuzustimmen. Sie müssen das ja wissen. Damals hat die Führung Deutschlands<br />

die richtige Entscheidung getroffen und die Pipeline wurde zusammen mit der Sowjetunion<br />

gebaut. Heute ist sie eine der zuverlässigsten Gas-Quellen für die deutsche<br />

Wirtschaft. 40 Milliarden Kubikmeter bekommt Deutschland jedes Jahr. Und wird es<br />

auch weiterhin, das garantiere ich. Sehen wir uns das globaler an. Wie ist die Struktur<br />

unseres Exports in die europäischen Länder und auch in die USA? 80 Prozent davon<br />

sind Rohstoffe (Öl, Gas, Ölchemie, Holz, Metalle). Das alles ist von der europäischen<br />

und Weltwirtschaft in höchstem Maße gefragt. Das sind sehr gefragte Produkte auf<br />

dem Weltmarkt. Wir haben auch die Möglichkeiten in hoch technologischen Gebieten,<br />

die sind jedoch sehr begrenzt. Mehr noch, trotz rechtsgültiger Abkommen mit der EU<br />

beispielsweise über atomaren Brennstoff werden wir rechtswidrig vom europäischen<br />

Markt ferngehalten. Wegen der Position unserer französischen Freunde. Aber sie wissen<br />

davon, wir haben mit denen lange diskutiert. Und wenn jemand diese Beziehungen<br />

aufgeben will, dann können wir nichts dagegen machen. Wir wollen das jedoch nicht.<br />

Wir hoffen sehr, dass unsere Partner ihre Pflichten genauso erfüllen wie wir unsere.<br />

Das war über unseren Export. Was Euren Export, also unseren Import, angeht, so ist<br />

Russland ein sehr zuverlässiger und großer Markt. Ich erinnere mich jetzt nicht an genaue<br />

Zahlen, der Import der Maschinenbautechnologie aus Deutschland wächst von Jahr zu<br />

Jahr. Dieser ist sehr groß heutzutage. Und wenn jemand uns nicht mehr beliefern will,<br />

dann werden wir das woanders kaufen. Nur wer braucht das, verstehe ich nicht?<br />

Wir drängen auf eine objektive Analyse der Geschehnisse und wir hoffen, dass gesunder<br />

Menschenverstand und die Gerechtigkeit siegen werden. Wir sind das Opfer<br />

der Aggression und wir hoffen auf die Unterstützung unserer europäischen Partner.<br />

54<br />

Quelle: tagesschau.de/ausland/putininterview100.html. Die ARD hatte zunächst nur eine auf<br />

zehn Minuten gekürzte Fassung des Interviews ausgestrahlt. Nach zahlreichen Zuschauerprotesten<br />

wurde die vollständige Version freigegeben.


«Wir dürfen keinerlei<br />

Fakten verschweigen»<br />

_ Rede zum Gedenken an den Beginn des Zweiten Weltkrieges in Polen<br />

am 1. September 2009<br />

Die Zeremonie fand auf der Halbinsel Westerplatte in Polen statt, wo der Angriff der<br />

Wehrmacht begonnen hatte. Es waren 30 Staatsoberhäupter anwesend.<br />

Sehr geehrter Präsident von Polen, sehr geehrter Herr Premierminister, sehr geehrte<br />

Damen und Herren, sehr geehrte Kollegen und Freunde! Wir, die Vertreter verschiedener<br />

Staaten, sind heute hier zusammengekommen, wo die ersten Salven des blutigsten und<br />

schlimmsten Krieges fielen, des schlimmsten Krieges in der Menschheitsgeschichte.<br />

Wir haben uns hier zusammengefunden, um uns zu verneigen vor den zig Millionen<br />

Opfern und gefallenen Soldaten, die sich einst gegen das faschistische Deutschland<br />

wandten. Wir verneigen uns vor den Alten, Kindern, Frauen und denen, die unter den<br />

Bomben und unter den Kugeln der Schänder, der Mörder, und in den Konzentrationslagern<br />

zu Tode kamen. Sie starben für ihre politischen Überzeugungen, für ihre religiösen<br />

Zugehörigkeiten. Der Sieg über Nazi-Deutschland verlangte einen hohen Preis. Alleine<br />

die Befreiung von Danzig kostete 53.000 Soldaten und Offizieren der Roten Armee das<br />

Leben. 600.000 Russen sind alleine in Polen gefallen, und von den 55 Millionen Gefal-<br />

Vorbeimarsch deutscher Truppen an Adolf Hitler im September 1939. Foto: Bundesarchiv; CCL 3.0<br />

55


«Wir dürfen keinerlei Fakten verschweigen»<br />

lenen des Krieges ist mehr als die Hälfte, mehr als die Hälfte waren Staatsbürger der<br />

Sowjetunion. Stellen Sie sich diese schreckliche Zahl vor! Und so ist es die Schuld, die<br />

Verpflichtung jedes Staates, jedes Volkes sich diesen hohen Preis stets vor Augen zu halten,<br />

die dramatischen Ereignisse in unserer gemeinsamen Geschichte nicht zu vergessen.<br />

Versailles als Auslöser des Krieges<br />

Wir erinnern uns an die ersten Kriegstage und müssen uns natürlich auch an die<br />

Gründe erinnern, die zu diesem Krieg führten. Wir müssen uns an die Bemühungen erinnern,<br />

die eigene Sicherheit auf Kosten der Sicherheit anderer zu schützen. Wozu führen<br />

solche Intrigen, solche Pakte? Ich schließe mich dem heute Gesagten an. Es wurde aus<br />

dem Versailler Vertrag das Schlechteste gemacht: Er schrieb nicht nur die [territorialen]<br />

Verluste Deutschlands fest, sondern auch seine Unterdrückung, was sich letztlich 1933<br />

in dem weiteren Geschehen wieder spiegelte. Wir müssen allerdings auch festhalten,<br />

dass wir kein gemeinsames Sicherheitssystem in Europa hatten, wie wir es heute haben.<br />

Wir müssen uns heute den Zweiten Weltkrieg vor Augen halten und unsere Lehren<br />

daraus ziehen. Wir müssen uns daher von den politischen Stereotypen der Presse dieser<br />

Zeit distanzieren und dürfen keinerlei Fakten verschweigen.<br />

Wir müssen verstehen, dass jegliche Zusammenarbeit mit Extremisten, wie zum Beispiel<br />

seiner Zeit mit den Nazis, egal unter welchen Bedingungen, egal aus welchen<br />

Motiven, zu einer Tragödie führen muss. Und es ging hier ja nicht nur um eine Zusammenarbeit,<br />

sondern um eine Paktiererei. Wir müssen also anerkennen: Alle Maßnahmen<br />

zwischen 1934 und 1939 mit der Absicht, die Nazis an ihrer Kriegstreiberei zu hindern,<br />

Eine Staffel Stukas Ju 87 im September 1939. Foto: Bundesarchiv; CCL 3.0<br />

56


Rede zum Gedenken an den Beginn des Zweiten Weltkrieges in Polen am 1. September 2009<br />

waren echte Friedensbemühungen. Und vom politischen Standpunkt aus gesehen war<br />

das ein außerordentlich gefährliches Unterfangen, und schließlich endete all das in einer<br />

Tragödie, im Beginn des Zweiten Weltkrieges, und natürlich muss man diese damals<br />

gemachten Fehler heute anerkennen. Unser Land hat die eigenen Fehler anerkannt. Die<br />

Duma der Russischen Föderation, unser Parlament, hat den Hitler-Stalin-Pakt, den Pakt<br />

zwischen Ribbentrop und Molotow [August 1939], verurteilt. Wir möchten, dass auch<br />

andere Staaten, die mit Nazi-Deutschland paktierten, auf gleicher Ebene eine Verurteilung<br />

vornehmen und nicht nur auf der Ebene von Lippenbekenntnissen, sondern auch auf<br />

der politischen Ebene.<br />

Allerdings müssen wir auch an die Opfer denken. Wir müssen verstehen, was damals<br />

passiert ist, denn ohne dieses Verständnis können wir keine sichere Welt aufbauen. Wir<br />

müssen die Lehren aus dem Kalten Krieg, aus den künstlichen Trennlinien, ziehen. Ich<br />

möchte hier anmerken, dass mein Land nicht nur die Fehler und die Tragödien anerkennt,<br />

sondern auch einen Beitrag erbringen möchte für die gemeinsame Zukunft. Ich möchte<br />

dabei anmerken, dass mein Land es geschafft hat, sowohl die virtuelle, wie auch die reale<br />

Berliner Mauer zu überwinden. Wir haben es geschafft, ein Europa ohne Trennlinien<br />

zu schaffen. Wir müssen die Gesellschaften von Hass, von Xenophobie, von Fremdenhass<br />

befreien, müssen Geschichtsverfälschungen vorbeugen. Die heutige Politik muss<br />

basieren auf gemeinsamen moralischen und rechtlichen Prinzipien. Ich bin überzeugt,<br />

dass es uns nur dann möglich ist, die tragischen Ereignisse und Folgen des Zweiten<br />

Weltkrieges zu überwinden und eine gute Zukunft für unsere Kinder zu begründen.<br />

Hierzu können natürlich partnerschaftliche Verbindungen zwischen der Bundesrepublik<br />

Deutschland und dem neuen Russland beitragen, wie sie in den letzten Jahren entstanden<br />

sind, diese Freundschaft und die Freundschaft zwischen diesen beiden Staaten.<br />

Wir möchten, dass auch die russisch-polnischen Beziehungen von den Belastungen der<br />

letzten Jahrzehnte befreit werden, dass eine neue Zusammenarbeit entsteht, dass wir,<br />

zwei ehrenvolle, große Nationen Europas, zusammenfinden. Ich möchte mich abschließend<br />

an die Hauptpersonen der heutigen Zeremonie wenden – an diejenigen nämlich,<br />

die in Stalingrad und auf der Westerplatte gekämpft haben. Diejenigen, die Prag, Berlin,<br />

Paris und Warschau befreit haben. Euer Ruhm ist unsterblich. Dieser Ruhm ist Maßstab<br />

für die Ehre und den Erfolg der künftigen Jahre. Vielen Dank.<br />

Quelle: youtube.com/watch?v=hDfZ5IcBEiM; Übersetzung: Phoenix.<br />

[Am selben Tag auf einer weiteren Veranstaltung]<br />

Ich möchte die Aufmerksamkeit unserer verehrten Kollegen auf Folgendes lenken:<br />

Der Pakt Ribbentrop-Molotow [sogenannter Hitler-Stalin-Pakt, August 1939] war das<br />

letzte Dokument zwischen der Sowjetunion als europäischer Macht mit Hitlers Deutschland.<br />

Vorher aber gab es den deutsch-polnischen Nichtangriffspakt im Jahre 1934.<br />

57


«Wir dürfen keinerlei Fakten verschweigen»<br />

Auch vor dem Ribbentrop-Molotow-Pakt wurden praktisch ähnliche Nichtangriffspakte<br />

zwischen Nazi-Deutschland und den anderen europäischen Großmächten abgeschlossen.<br />

Auch noch vor dem Ribbentrop-Molotow-Pakt wurde das sogenannte Münchener<br />

Abkommen [Zur Preisgabe des Sudetenlandes, September 1938, zwischen Deutschland,<br />

Großbritannien, Frankreich, Italien] unterzeichnet. Es wird auch als Münchner Verschwörung<br />

bezeichnet.<br />

Ich möchte Ihre Aufmerksamkeit auf Folgendes lenken: Nachdem das Münchner Abkommen<br />

unterzeichnet wurde – ich glaube es war Ende September 1938, wenn ich<br />

mich nicht irre – nur einen Tag danach, wortwörtlich nur einen Tag nach der Unterzeichnung,<br />

erklärte Polens damalige Regierung das Ultimatum an die Tschechoslowakei<br />

und schickte zusammen mit der deutschen Wehrmacht am selben Tag Truppen auf das<br />

Territorium der Tschechoslowakei und okkupierte zwei tschechoslowakische Gebiete.<br />

Ich gebe jetzt keinerlei Bewertungen. Dafür bin ich nicht hergekommen. Ich wurde von<br />

Polens Premierminister hierhin eingeladen, um den Opfern des Zweiten Weltkrieges<br />

zu gedenken und den Mut und Heroismus des polnischen Volkes zu loben, das tapfer<br />

gegen Nazi-Deutschland kämpfte. Wenn wir aber von einer objektiven Bewertung der<br />

Geschichte reden wollen, müssen wir verstehen, dass sie [die Geschichte] nicht nur<br />

einfarbig ist. Die Geschichte um den Zweiten Weltkrieg hatte viele Nuancen, und es<br />

wurden von vielen Seiten riesige Fehler begangen. All diese Vorgänge und Taten vieler<br />

Länder schufen – auf die eine oder andere Art und Weise – Bedingungen für den Beginn<br />

der Aggressionen von Nazi-Deutschland in diesem riesigen Maßstab. An diesen<br />

Momenten sollten wir gemeinsam arbeiten, wenn wir ein objektives Bild des Zweiten<br />

Weltkrieges sehen wollen.<br />

Wenn sich aber jemand zum Ziel setzt, aus diesem alten, schimmeligen Brötchen der<br />

Geschichte nur die Rosinen für sich heraus zu bohren und den schimmeligen Rest des<br />

Brötchens nur der anderen Seite zu überlassen, dann wird daraus nichts Gutes, weil diese<br />

Vorgehensweise keine Vorbedingungen für gegenseitiges Verständnis und Vertrauen<br />

schaffen kann, und genau das brauchen wir alle so sehr! Genau danach sollten wir alle<br />

streben. Und ich bin mir sicher, wenn wir diesen konstruktiven Dialog in dem Geiste wie<br />

heute weiter führen werden, werden wir dieses Ziel sicherlich erreichen. Man sollte<br />

hierbei koordiniert vorgehen und [die Diskussion] entpolitisieren. Denn wenn wir das<br />

nicht tun werden, und deswegen habe ich vorhin mit Herrn [Premier Donald] Tusk bereits<br />

gesprochen, dann werden wir, wissen Sie, wie ein Arzt vorgehen, der seine Patienten<br />

absichtlich mit irgendeiner Krankheit infiziert, um dann von deren Heilung zu profitieren.<br />

Warum müssen wir dem öffentlichen Bewusstsein falsche Fakten eintrichtern, um dann<br />

damit innenpolitisch zu spekulieren?<br />

58<br />

Quelle: Russisches Fernsehen, youtube.com/watch?v=s9YY1Q7NiJU&noredirect=1.<br />

Übrsetzung: K. Ziske.


«Es darf kein Chaos<br />

zugelassen werden!»<br />

_ ARD-Interview am 8. April 2013<br />

WDR-Chefredakteur Jörg Schönenborn: Herr Präsident, Deutschland und<br />

Russland, das ist eine besondere Beziehung, wirtschaftlich passt das prima<br />

zusammen, politisch hakt es zur Zeit ein bisschen. Viele Deutsche sehen mit<br />

Sorge Razzien bei hunderten von Nichtregierungsorganisationen in Russland,<br />

zwei deutsche politische Stiftungen sind betroffen. Die deutsche Öffentlichkeit<br />

hat die Erklärung: Da soll eingeschüchtert werden. Warum handeln Ihre<br />

Behörden so?<br />

Wladimir Putin: Ich glaube, Sie schüchtern die deutsche Öffentlichkeit ein. Es passiert<br />

doch gar nichts Ähnliches und man muss die Menschen nicht einschüchtern. Man<br />

muss objektiv die Entwicklungen beleuchten und was ist denn die objektive Beleuchtung?<br />

Ende vergangenen Jahres wurde in Russland ein Gesetz verabschiedet, nach dessen<br />

Maßgabe in der Russischen Föderation diejenigen Nichtregierungsorganisationen,<br />

die finanzielle Unterstützung aus dem Ausland erhalten, also aus dem Ausland finanziert<br />

werden und die innenpolitische Tätigkeit hierzulande betreiben, sich registrieren lassen<br />

müssen, als ausländische Agenten. Also geht es hier um Organisationen, die innerhalb<br />

unseres Landes auf politischem Parkett agieren und sich von ausländischem Geld bezahlen<br />

lassen. Das ist kein besonderes Novum in der globalen politischen Praxis. Ein<br />

genau solches Gesetz gibt es in den USA seit 1938. Wenn Sie zusätzliche Fragen haben,<br />

würde ich mich sehr gerne diesen Fragen stellen, um Ihnen zu erklären, was passiert.<br />

Und Ihren, also unseren Zuschauern.<br />

WDR-Chefredakteur Jörg Schönenborn und Wladimir Putin. Foto: ARD; Youtube<br />

59


«Beresowski, wir sind mit Dir»: Anti-Regierungs-Demonstration in Sankt Petersburg 2007.<br />

Foto: Marina Tsygankova; fontanka.ru<br />

Herr Präsident, mir ist nicht bekannt, dass in den USA ähnliche Durchsuchungen,<br />

Beschlagnahmungen stattfinden. Der Begriff «ausländischer Agent»,<br />

den die Organisationen tragen müssen, in unseren Ohren hört sich das nach<br />

Kaltem Krieg an.<br />

Ich... Dann werde ich präzisieren. In den USA gibt es ein solches Gesetz, es ist bislang<br />

in Kraft und unsere russischen Organisationen werden mit der gleichen Praxis konfrontiert,<br />

die dort vor Jahrzehnten eingeführt worden ist. [Putin wendet sich an einen<br />

seiner Begleiter] Ich werde Ihnen gleich ein Papier überreichen. Vor kurzem hat das<br />

amerikanische Justizministerium die Nichtregierungsorganisationen ersucht, Dokumente<br />

bereitzustellen, dass sie Gelder aus dem Ausland erhalten und dort gibt es eine lange<br />

Liste von Fragen. Wir haben ein genau ähnliches Gesetz verabschiedet, das nichts<br />

verbietet, das möchte ich unterstreichen. Dieses Gesetz verbietet ja nichts, dieses Gesetz<br />

schränkt nichts ein und lässt niemanden dicht machen. Und keine Tätigkeit, selbst<br />

innenpolitische Tätigkeit für Organisationen, die sich aus dem Ausland finanzieren, ist<br />

verboten. Wir wollen nur wissen, wer dieses Geld bekommt und wofür dieses Geld ausgegeben<br />

wird. Ich wiederhole: Das ist kein Novum, das wir uns haben einfallen lassen.<br />

Aber warum ist das so aktuell für uns? Was glauben Sie? Wie viele Nichtregierungsorganisationen<br />

gibt es in Europa, die sich aus Russland finanzieren lassen? Was glauben<br />

Sie persönlich?<br />

60<br />

Die Rolle der Nichtregierungsorganisationen<br />

Ich kann das nicht schätzen, Herr Präsident. Ich kann ja auch nur über meinen<br />

Eindruck sprechen. Lassen Sie mich...<br />

[Unterbricht Schönenborn] Entschuldigen Sie bitte die Störung. Ich werde es Ihnen<br />

sagen. [Er lässt sich eine Mappe mit Unterlagen reichen] Eine solche Organisation gibt


ARD-Interview am 8. April 2013<br />

es in Paris und die andere, die zweite Organisation ist in Nordamerika tätig und ist in<br />

den USA registriert worden. Es gibt zwei, insgesamt. Einmal in den USA, einmal in<br />

Europa. Ich habe schon geahnt, dass Sie mich fragen werden. Wie heißen Sie übrigens?<br />

Jörg Schönenborn.<br />

Jörg? [Nickt Schönenborn zu]<br />

Ja.<br />

Schauen Sie doch mal. In der Russischen Föderation gibt es 654 Nichtregierungsorganisationen,<br />

die, wie sich herausgestellt hat, Geld aus dem Ausland beziehen. 654<br />

Organisationen. Das ist ein ganzes Netzwerk, das die ganze Russische Föderation erfasst.<br />

Alle Regionen der Russischen Föderation. Nur in den vier Monaten, nachdem wir<br />

das entsprechende Gesetz verabschiedet haben, haben diese Organisationen aus dem<br />

Ausland – stellen Sie sich nur vor, Sie können sich das kaum vorstellen und ich wusste<br />

es auch nicht – also haben diese Organisationen 28.300.000.000 Rubel, das ist knapp<br />

eine Milliarde US-Dollar. 855.000.000.000 bekamen sie über diplomatische Vertretungen.<br />

Das sind die Organisationen, die eine politische Tätigkeit hier zu Lande betreiben.<br />

Darf denn unsere Gesellschaft nicht wissen, wer und wofür er sein Geld bekommt? Und<br />

– ich möchte es unterstreichen – ich möchte, dass Sie es wissen und dass die Europäer<br />

es wissen, dass die Deutschen es wissen: Niemand verbietet diese Organisationen. Wir<br />

bitten nur, dass diese zugeben: Ja, wir betreiben die politische Tätigkeit, aber lassen<br />

uns aus dem Ausland finanzieren. Die Gesellschaft hat einen Anspruch darauf. Und man<br />

muss niemanden einschüchtern, dass hier jemand festgehalten wird, dass hier etwas<br />

beschlagnahmt wird. Vielleicht hätte man was beschlagnahmen können, wenn die Menschen<br />

Gesetze verletzen. Dort gibt es administrative Strafen, aber ich glaube, das alles<br />

vollzieht sich im Rahmen von zivilisierten Regeln.<br />

Nach unserem Verständnis funktioniert Demokratie mit einer starken Opposition.<br />

Nach unserem Verständnis ist eine Opposition immer Regierung im Wartestand,<br />

gibt es auch in der Politik Wettbewerb, weil sie es im Zweifel besser<br />

machen kann als eine Regierung. Braucht Russland eine starke Opposition?<br />

[Hat Papiere aus der Mappe geholt und blickt darauf] Ja natürlich braucht es das.<br />

Ich werde gleich die Frage beantworten. [Reicht Schönenborn die Papiere] Hier sind die<br />

Dokumente, die unsere Organisationen in den USA bereitzustellen haben. Und gucken<br />

Sie, von wem diese Liste unterschrieben ist: Das ist der Aufklärungsdienst. Das ist keine<br />

Generalstaatsanwaltschaft, das ist der Aufklärungsdienst des Justizministeriums der<br />

USA. Das ist das Dokument, das man an die Organisationen verschickte. Und gucken<br />

Sie, wie viele Fragen sie zu beantworten haben. Ist das demokratisch oder nicht? [Macht<br />

eine fragende Geste]<br />

61


«Es darf kein Chaos zugelassen werden!»<br />

Demokratie braucht Opposition<br />

[Mit den Dokumenten in der Hand] Herr Präsident, wir schauen uns das Dokument<br />

an. Mir ist von ähnlichen Durchsuchungen in den USA, wie gesagt,<br />

nichts bekannt. Ich will auf die nächste Frage kommen. Ich habe gerade schon<br />

gesagt, nach unserem Verständnis lebt Demokratie auch von einer starken Opposition.<br />

Eine Opposition, die es im Zweifel immer besser machen kann als die<br />

Regierung. Wettbewerb um das politische Geschäft. Braucht Russland nicht<br />

auch eine starke Opposition?<br />

Ja natürlich braucht Russland eine starke Opposition und nicht nur das. Ich glaube,<br />

ohne Wettbewerb ist keine Entwicklung möglich, im politischen Bereich und im wirtschaftlichen<br />

Bereich. Und wir wollen diese Entwicklung gewährleisten für unser Land<br />

und für unsere Menschen. Ohne diesen Wettbewerb ist es unmöglich, effektive Regeln<br />

aufzustellen und begründete Entscheidungen zu treffen. Deshalb werden wir es natürlich<br />

anstreben, dass unsere Gesellschaft auf diesem Wettbewerb in allen Lebensbereichen<br />

beruht, besonders im politischen Bereich.<br />

Die...<br />

[Unterbricht Schönenborn] Das heißt aber nicht, dass diese Opposition sich aus dem<br />

Ausland finanzieren muss. Stimmen Sie dem nicht zu? Haben Sie eine andere Meinung?<br />

Heißt das, dass die Opposition frei demonstrieren darf?<br />

Ja, natürlich, aber im Rahmen des Gesetzes. Es gibt bestimmte Regeln, die es vorsehen,<br />

dass es verschiedene Formen politischen Engagements gibt. Wahlen, öffentliche<br />

Meinungsbekundungen, insbesondere Demonstrationen. Es gibt ein Gesetz. Ob dieses<br />

Gesetz gut oder schlecht ist, dieses Gesetz lässt sich demokratisch ändern. Ordnung<br />

muss sein. Das ist eine bekannte Regel und die findet Anwendung in allen Staaten. Und<br />

sie ist universell. Ordnung muss sein, es darf kein Chaos zugelassen werden. Wozu ein<br />

Chaos führen kann, sehen wir am Beispiel von Nordafrika. Wer braucht das?<br />

Stichwort Oppositionstätigkeit. Ich möchte Sie da auf Folgendes hinweisen: Um<br />

politische Parteien zu registrieren, musste man noch vor kurzem 50.000 Mitglieder in<br />

dieser Partei haben. Wir haben diese Mitgliedschaftsanforderungen radikal reduziert.<br />

Jetzt sind nur 500 Menschen erforderlich, um eine politische Partei zu registrieren. Wir<br />

haben 37 Parteien bereits in Russland. Und mehrere Dutzend Parteien haben das Registrierungsverfahren<br />

beantragt. Wir wollen den politischen Wettbewerb weiterentwickeln.<br />

Wir haben das Wahlverfahren für die Mitglieder der Oberkammer des russischen Parlaments,<br />

des Föderationsrates, geändert.<br />

62<br />

Die Mitglieder des Föderationsrates werden auch in geheimer, allgemeiner Abstim-


ARD-Interview am 8. April 2013<br />

mung in den entsprechenden Regionen gewählt. Die Oberkammer der Bundesrepublik<br />

wird nicht so gewählt. Wenn ich mich nicht irre, werden Abstimmungen in entsprechenden<br />

Landtagen durchgeführt. In diesem Sinne haben wir einen Schritt nach vorne<br />

gemacht. Ich bin jetzt bei den Wahlen der Gouverneure der Russischen Föderation. Wir<br />

haben Direktwahlen von Gouverneuren wieder eingeführt. In der Bundesrepublik werden<br />

Ministerpräsidenten in den Landtagen gewählt. Viele Vertreter unserer politischen<br />

Kräfte haben geglaubt, wir müssten zu der Form zurückkehren, wo das Parlament nach<br />

gemischtem Wahlsystem gebildet werden soll. Mehrheitssystem und Direktmandate.<br />

Also wir sind zu diesem System übergegangen. Wir sind auf der Suche, wir suchen nach<br />

den akzeptablen Formen der politischen Organisation unserer Gesellschaft, die den Bedürfnissen<br />

der Menschen entsprechen würden. Und das gilt auch für politische Parteien.<br />

Natürlich wünschen wir politische Konkurrenz.<br />

Die Rolle der Wirtschaftsbeziehungen<br />

Sie fahren nach Deutschland zu einer großen Wirtschaftsmesse. Ich denke,<br />

dass Ihnen vor allem die Wirtschaftsbeziehungen am Herzen liegen. Haben Sie<br />

Sorge, dass die Punkte, die wir gerade besprochen haben, das belasten können?<br />

Nein, im Gegenteil, ich freue mich sehr darüber, über unser Interview. Denn das gibt<br />

uns die Möglichkeit, die Positionen zu klären; zu erklären, was in Wirklichkeit passiert<br />

und wovon wir uns leiten lassen. Sie haben ja mit Razzien angefangen, mit Durchsuchungen,<br />

mit Verhaftungen. Von welchen Verhaftungen sprechen Sie denn? Nennen Sie<br />

bitte nur einen Namen. Das findet ja gar nicht statt.<br />

Genadi Sjuganow (rechts), Chef der Kommunistischen Partei, ist seit den 1990er Jahren der aussichtsreichste<br />

Oppositionskandidat für das Präsidentenamt. Foto: Bogomolov.PL; CCL 3.0<br />

63


«Es darf kein Chaos zugelassen werden!»<br />

Ich habe nicht von Verhaftungen gesprochen, Herr Präsident. Ich habe von<br />

Durchsuchungen gesprochen.<br />

Das hört sich so an. Es schreit nach Hilfe. Ja, es gibt die Generalstaatsanwaltschaft<br />

in der Russischen Föderation, die in der Pflicht steht, die Einhaltung der russischen Gesetze<br />

zu überwachen. Und alle Bürger, alle Organisationen, alle natürlichen und russischen<br />

und juristischen Personen müssen sich daran halten und sie müssen die Gesetze<br />

der Russischen Föderation respektieren.<br />

Was wünschen Sie sich von Ihrem Besuch in Deutschland, in wirtschaftlicher<br />

Hinsicht? Die Deutschen, vermute ich, werden eingeladen, zu investieren.<br />

Was, konkret, ist ihr Wunsch?<br />

[Seufzt] Sie haben gerade eben gesagt, dass Deutschland und Russland sehr bedeutende<br />

Partner füreinander sind. Und so ist es auch. Die europäischen Mitgliedsstaaten,<br />

die Europäische Union insgesamt, ist für uns der größte Handels- und Wirtschaftspartner.<br />

Über 50 Prozent unseres Handelsumsatzes entfallen auf die Europäische Union. Einmal<br />

mehr, einmal weniger, angesichts der schwierigen Situation in der Eurozone, in der Europäischen<br />

Union. Aber das ist trotzdem sehr viel. In den absoluten Zahlen geht es hier um<br />

450 Milliarden US-Dollar. Wir sind der drittstärkste Handels- und Wirtschaftspartner für<br />

Europa nach den USA und China. Und dabei ist der Abstand nicht so groß. Während wir<br />

450 Milliarden US-Dollar Handelsvolumen mit Europa haben, haben die USA 600 Milliarden.<br />

Wissen Sie, der Unterschied ist eigentlich nicht so groß. Deutschland ist in dieser<br />

Reihe Partner Nummer eins unter den europäischen Staaten. Denn das Handelsvolumen<br />

liegt bei 74 Milliarden US-Dollar und es nimmt zu, trotz aller Schwierigkeiten.<br />

Damit es alle verstehen können, in Russland und in der Bundesrepublik, muss man<br />

sagen, dass das nicht nur Zahlen sind. Hinter diesen Zahlen stecken Arbeitsplätze, hinter<br />

diesen Zahlen stecken neueste Technologien, die gegenseitig ausgetauscht werden.<br />

Die Struktur des Handelsumsatzes entspricht nicht nur den Wirtschaftsmöglichkeiten<br />

Deutschlands, sondern auch den Interessen. Denn der wichtigste Schwerpunkt liegt bei<br />

Handels- und Wirtschaftsbeziehungen mit Deutschland bei der Industrieproduktion. Ich<br />

wiederhole: dahinter stecken zehntausende Arbeitsplätze, Einkommen von Familien in<br />

Deutschland und in Russland. Zu 40 Prozent deckt Russland den deutschen Bedarf an<br />

Erdgas, zu 30 Prozent decken wir den Erdölbedarf. Wir erweitern unsere Zusammenarbeit<br />

im hochtechnologischen Bereich, beim Flugzeugbau, beim Maschinen- und Anlagenbau,<br />

bei Nanotechnologien, bei aussichtsreichen Entwicklungen im Bereich der<br />

Physik. Das ist eine sehr vielfältige, interessante und aussichtsreiche Zusammenarbeit.<br />

64<br />

Deutschland ist einer der größten Investoren für Russland: Es gibt 25 Milliarden<br />

US-Dollar akkumulierte Investitionen in Russland. Die deutschen Investitionen kommen<br />

sehr gut in der russischen Wirtschaft an. Das ist sehr wichtig, das ist sehr interessant


ARD-Interview am 8. April 2013<br />

und das ist sehr zukunftsweisend – das möchte ich unterstreichen. Wir werden sechs<br />

große Pavillons bei der Hannover Messe haben. Wir haben eine sehr gute Losung in<br />

die Industrieproduktion. Also das ist immer die Stärke Deutschlands gewesen und wir<br />

haben ein großes Interesse an diesen Bereichen. In diesen Pavillons werden auf der<br />

Hannover- Industriemesse über hundert russische Großunternehmen vertreten sein. Und<br />

ich lade Sie ein und alle unsere deutschen Freunde, zur Hannover-Industriemesse zu<br />

kommen und natürlich unsere russischen Pavillons zu besichtigen.<br />

Das westliche Finanzsystem<br />

Sie haben die Zahl genannt: 27 Milliarden deutsche Direktinvestitionen in<br />

Russland. Ich will die Brücke zu Zypern schlagen. Bei der Zypernkrise jetzt haben<br />

viele Deutsche zum ersten Mal bewusst wahrgenommen, wie viel russisches<br />

Geld in Zypern liegt und fragen sich: Warum sollen deutsche Unternehmen<br />

europäische Investitionen in Russland finanzieren, während viele Russen<br />

ihr Geld außer Landes bringen?<br />

Verstehen Sie wirklich nicht, wie absurd Ihre Frage ist? Bitte nehmen Sie es mir nicht<br />

übel. Was hat denn Russland und was haben denn russische Anleger in einem europäischen<br />

Mitgliedsland damit zu tun? Je mehr Sie ausländische Anleger in Finanzinstitutionen<br />

ihrer Länder anzapfen, desto besser ist es für uns. Denn alle Verletzten, alle<br />

Eingeschüchterten – wir hoffen wenigstens darauf – oder die vielen anderen, werden<br />

zu uns kommen und werden ihr Geld in unsere Banken bringen. Viele russische Anleger<br />

haben seinerzeit ihre Gelder zum Beispiel nach Zypern verbracht. Man muss ganz offen<br />

sagen, weil sie das russische Finanzsystem nicht als sicher angesehen haben. Erinnern<br />

Sie sich zum Beispiel an das Jahr 1998. Da kam es zu einem Einbruch. Im Jahr 2000,<br />

das ist doch unser gemeinsames Problem, da gab es große Ängste in Bezug auf das<br />

Weiterbestehen des Finanzsystems. 2008, als eine neue Krise kam, haben wir nicht nur<br />

unser Finanzsystem stabilisiert, wir haben es gefestigt. Und kein Finanzinstitut ist bei<br />

uns eingestürzt, wir haben niemandem erlaubt, seine Anleger zu verlassen.<br />

Natürlich hatten es die Menschen schwer, zu Krisenzeiten, aber wir haben die Zusammenarbeit<br />

mit dem Bankensystem so gestaltet, dass wir es nicht nur unterstützt haben,<br />

sondern auch bestärkt haben und bestimmte Schritte eingeleitet haben, um dieses<br />

System zu restrukturieren, um es auf diese Weise zu festigen. Und ich hoffe sehr, dass<br />

die Menschen es auch heute verstehen werden. Dass es zur Enteignung der Anleger<br />

kommt, der russischen Anleger in Zypern oder in anderen Staaten, ist ein Vertrauensverlust<br />

gegenüber dem Bankensystem der Eurozone.<br />

Jetzt zur Frage, wer wie unterstützt werden soll; wer ist schuld: Die Menschen, die<br />

dort hingegangen sind, die ihre Gelder dorthin gebracht haben, haben ja keine Gesetze<br />

65


«Es darf kein Chaos zugelassen werden!»<br />

verletzt. Sie haben die zyprischen Gesetze nicht verletzt, sie haben die europäischen Gesetze<br />

nicht verletzt. Und plötzlich hat man sie angezapft, ihre Einlagen, zu 60 Prozent. Ist<br />

das gerecht? Sie haben ja gegen nichts verstoßen. Doch wenn wir glauben, dass dieses<br />

Land eine Geldwaschanlage gewesen ist, so muss das unter Beweis gestellt werden.<br />

Wissen wir nicht, dass es ganz klare Regeln gibt? Und eine dieser klaren Regeln heißt<br />

Unschuldsvermutung. Und wenn es nicht nachgewiesen ist, dass der Mensch sich etwas<br />

hat zu Schulden kommen lassen, so ist dieser Mensch unschuldig. Wie kann man<br />

denn diese Fragen übersehen? Da kann man doch alle zu Schwindlern und Betrügern<br />

erklären.<br />

Diese Offshore-Zone, sie wurde ja nicht von uns geschaffen. Das ist das Werk der<br />

Europäischen Union. Oder die zyprischen Regierungen haben dieses geschafft und die<br />

europäischen Mächte haben es zugelassen. Ist das die einzige Offshore-Zone, die von<br />

europäischen Staaten ins Leben gerufen worden ist? Vielleicht gibt es andere Offshore-<br />

Zonen Großbritanniens oder irgendwelche anderen Offshore-Zonen. Wenn sie glauben,<br />

das ist schlecht, dann sollen sie diese Zonen schließen. Warum haben sie für alle Probleme,<br />

die in diesem Land entstanden sind, die Anleger verantwortlich gemacht? Von<br />

wo sie auch kommen: Briten, russische Bürger, Franzosen oder wer auch immer. Ich<br />

habe ja die Führung der Europäischen Kommission getroffen, ich habe ein sehr gutes<br />

persönliches Verhältnis zu ihnen aufgebaut. Wir streiten sehr viel. Viele fragen: Ist Russland<br />

daran schuld, dass es zu Problemen gekommen ist? Wenn Anleger kommen, dann<br />

unterstützen sie dadurch das ganze Bankensystem des Landes und die ganze Wirtschaft<br />

des Landes durch ihr Vertrauen.<br />

Öl und Gas bleiben Russlands wichtigste Exportgüter. Foto: Bair175; CC BY-SA 3.0<br />

66


ARD-Interview am 8. April 2013<br />

Russland und der Euro<br />

Ärgern Sie sich dass, zumindest nach allem, was ich weiß, die Europäische<br />

Union Sie nicht früher einbezogen hat, wo doch in Zypern so viele russische<br />

Unternehmen und Staatsbürger betroffen sind?<br />

Nein, natürlich nicht. In gewissem Sinne freue ich mich sogar darüber, denn das hat<br />

gezeigt, wie inkonsistent und wie unzuverlässig die Einlagen bei westlichen Banken<br />

sind. Übrigens haben wir eine viel vorteilhaftere Besteuerung als bei Ihnen. 13 Prozent<br />

ist bei uns die Einkommensteuer. Und was zahlen Sie in Deutschland?<br />

Das wäre schön. Lassen Sie uns...<br />

[Unterbricht Schönenborn] Nicht: «Das wäre schön». Das ist schön!<br />

Wenn es bei uns 13 Prozent wären, wäre das schön. [Putin lacht). Bei uns<br />

wird Wahlkampf gemacht mit Steuererhöhungen. Herr Präsident, ich will beim<br />

Euro bleiben...<br />

[Unterbricht Schönenborn] So kämpfen Sie doch bitte um die Steuerherabsetzung.<br />

Herr Präsident, ich will beim Thema Euro bleiben. Sie haben aus Ihrer Sicht<br />

über die Schwächen des Finanzsystems in Europa gesprochen. Russland hat,<br />

so weit ich weiß, etwa 40 Prozent seiner Devisenreserven in Euro angelegt,<br />

also das ist Ihr vitales Interesse.<br />

Genau.<br />

Vertrauen Sie dem Euro noch?<br />

[Seufzt] Also ich möchte vorwegstellen: Wir vertrauen dem Euro, wir vertrauen<br />

der Wirtschaftspolitik der europäischen Großmächte und der wirtschaftlichen Politik,<br />

der Führung der Bundesrepublik Deutschland. Wir wissen im Detail um verschiedene<br />

Meinungen hierzu, zur Entwicklung der Wirtschaft, zur Unterstützung des Wirtschaftswachstums,<br />

zur Unterstützung der Währung. Ich stimme dem zu, dass zunächst Ursachen<br />

behoben werden müssen, die die Krise hervorrufen. Und erst dann müsste man<br />

Liquiditätsspritzen verpassen. Aber ich will jetzt nicht ins Detail gehen und mich in diese<br />

Polemik einmischen, die uns eigentlich nicht direkt betrifft. Das ist die Angelegenheit<br />

der europäischen Staats- und Regierungschefs.<br />

Aber was wir hören und was wir sehen, von dem, was unsere Kollegen in den führenden<br />

Wirtschaften der Eurozone machen, von dem, was von der Europäischen Kommission<br />

unternommen wird – Ich wiederhole: in vielen Fragen haben wir Meinungsver-<br />

67


«Es darf kein Chaos zugelassen werden!»<br />

schiedenheiten, aber bezüglich grundlegender Fragen glauben wir, dass man dort richtig<br />

handelt, auf dem richtigen Weg ist. Und gerade das stimmt uns optimistisch, dass wir<br />

es richtig gemacht haben, dass wir einen so großen Teil unserer Gold- und Devisenreserven<br />

und unserer Reserven überhaupt in europäischer Währung angelegt haben.<br />

Und ich bin zuversichtlich. Sollte sich diese Situation so weiter entwickeln, so werden<br />

unsere Kollegen und Freunde in Europa die Schwierigkeiten meistern, mit denen wir<br />

heute konfrontiert werden. Wir haben ganz große Reserven. Wir haben 534 Milliarden<br />

US-Dollar Reserven der Zentralbank. Hinzu kommen noch 89 Milliarden US-Dollar des<br />

Reservefonds der Regierung. Es gibt noch 87 Milliarden, das ist der dritte Fonds, der<br />

nationale Wohlstandsfonds. Also das sind große Gelder.<br />

68<br />

Der Krieg in Syrien<br />

Herr Präsident, unsere Zeit ist fast um, aber ich möchte auf einen anderen<br />

Krisenherd zu sprechen kommen, der den Deutschen große Sorgen macht. Das<br />

ist Syrien, wo jeden Tag 200 Menschen ums Leben kommen. Die Position des<br />

Westens und Ihre im UN-Sicherheitsrat waren unterschiedlich. Das ist ausgetauscht,<br />

da gibt es unterschiedliche Positionen. Mich interessiert, wie sehen<br />

Sie die Möglichkeit, das Blutvergießen dort zu verändern? Was tun die russischen<br />

Behörden, was tut die russische Regierung, um diesem Blutvergießen<br />

ein Ende zu setzen?<br />

Ich glaube, die Feindseligkeiten müssen unverzüglich gestoppt werden und die Waffenlieferungen<br />

müssen sofort gestoppt werden. Man sagt uns immer wieder, Russland<br />

liefere Waffen an Assad. Aber es gibt keine Verbote für Waffenlieferungen an die amtierenden<br />

legitimen Regierungen. Und nur über die an Syrien anliegenden Flughäfen, ich<br />

glaube die New York Times hat darüber geschrieben, hat die Opposition in letzter Zeit<br />

3.500 Tonnen Rüstungen und Munition erhalten. Das muss gestoppt werden. Und ich<br />

möchte aber ein weiteres Mal unterstreichen, ich glaube, das ist eine äußerst wichtige<br />

Sache.<br />

Es gibt doch ein Völkerrecht. Es gibt doch völkerrechtliche Normen, nach deren Maßgabe<br />

Waffenlieferungen an die Gruppierungen, die die Situation in dem einen oder dem<br />

anderem Land auf bewaffnetem Wege destabilisieren wollen, unzulässig sind. Diese<br />

Normen liegen ja auf dem Tisch, sie sind ja von niemandem aufgehoben worden. Und<br />

wenn man sagt, dass Assad gegen sein eigenes Volk kämpft, na wissen Sie, das ist<br />

doch der bewaffnete Teil der Opposition. Dass dieses Massaker passiert, ist ja eine<br />

Plage, ist eine Katastrophe und dem muss ein Ende gesetzt werden. Alle rivalisierenden<br />

Parteien müssen an den Verhandlungstisch gebracht werden. Und das müsste der erste<br />

Schritt sein, den man einzuleiten habe. Und bei diesen Diskussionen muss Folgendes<br />

herausgearbeitet werden.


ARD-Interview am 8. April 2013<br />

Was ist aus unserer Sicht wichtig? Ich habe mich bereits öffentlich dazu geäußert,<br />

das werde ich Ihnen auch erzählen und ich will, dass ihre Zuschauer es auch wissen.<br />

Worin liegt denn unsere Position? Nicht darin, dass Assad heute geht, wie das unseren<br />

Partnern vorgeschlagen wird. Und erst morgen möchte man sich damit auseinandersetzen,<br />

was weiter zu machen ist. Und das ist bereits praktiziert worden, in anderen<br />

Ländern. Es ist unklar, wo sich Syrien hinbewegen wird, es ist im Grunde in zwei Teile<br />

gespalten. Wir wollen ja nicht, dass dort eine ebenso schwierige Situation, wie im Irak<br />

einkehrt, wie im Jemen und so weiter und so fort. Unsere Position liegt darin, dass alle<br />

an den Verhandlungstisch gesetzt werden, dass alle rivalisierenden Parteien sich einigen,<br />

wie ihre Interessen eingehalten werden und wie sie sich an der Regierungsführung<br />

beteiligen werden. Und wenn die Internationale Gemeinschaft Garantien abgegeben<br />

hat, wird man diesen Plan gemeinsam erfüllen.<br />

Vor einigen Monaten hat man übrigens in Genf darüber gesprochen, und das wurde<br />

auch vereinbart. Doch unsere westlichen Partner sind dann von diesen Vereinbarungen<br />

abgerückt. Ich glaube, man muss ganz beharrlich daran arbeiten, gegenseitig vorteilhafte<br />

Lösungen zu finden. Kürzlich war der französische Präsident, Herr [François] Hollande,<br />

bei uns zu Besuch. Er hat eine Reihe interessanter, aus meiner Sicht machbarer Ideen.<br />

Aber die Diplomaten müssen das noch in Angriff nehmen. Wir sind bereit, sie zu unterstützen<br />

und man sollte versuchen, diese Ideen in die Tat umzusetzen.<br />

Russland im Wandel<br />

Herr Präsident, ich möchte zum Schluss den Bogen schlagen, zu dem Thema,<br />

mit dem wir eingestiegen sind. Demokratie. Offenbar ein kontroverses<br />

Thema. Ich will Ihren Ministerpräsidenten zitieren, der hat gesagt, Herr [Dmitri]<br />

Medwedew: Über die Entwicklung von Demokratie in Russland wird man<br />

erst in hundert Jahren urteilen dürfen. Das klingt für unsere Ohren nicht sehr<br />

ehrgeizig. Sagt man das, wenn man Demokratie in Wirklichkeit gar nicht will?<br />

Ich glaube, das lag vielleicht an der Übersetzung. Würden Sie es bitte noch mal<br />

sagen.<br />

Ihr Ministerpräsident Medwedew hat sinngemäß gesagt: Über die Entwicklung<br />

von Demokratie in Russland wird man erst in hundert Jahren wirklich<br />

urteilen dürfen. Und ich habe gefragt: Ist das nicht ein bisschen wenig ehrgeizig?<br />

Sagt man das, wenn man Demokratie gar nicht will?<br />

Ich weiß nicht, ob er das wirklich gesagt hat. Man muss das im Kontext sehen. Diesen<br />

Kontext sehe ich ja gar nicht. Dass wir uns eindeutig für Demokratie entschieden<br />

haben und dass wir uns keinen anderen Entwicklungsweg vorstellen, ist offensicht-<br />

69


«Es darf kein Chaos zugelassen werden!»<br />

lich. Dass bestimmte Standards, die in den einen Ländern zur Anwendung kommen,<br />

nur schwer angewendet werden können in anderen Ländern, das ist auch eine Tatsache.<br />

Und basierend auf den fundamentalen Demokratieprinzipien müssen wir solche<br />

Instrumente ausarbeiten, die der überwiegenden Mehrheit der Menschen in unserem<br />

Lande es möglich machen, die Innen- und Außenpolitik zu beeinflussen. Das gilt für die<br />

Mehrheit und dass diese Mehrheit die Minderheiten respektiert und ihre Meinungen<br />

berücksichtigt. Wenn wir das ganze Haus unserer Innenpolitik, alle unsere staatlichen<br />

Institutionen auf diese Grundlage stellen werden, so glaube ich, könnten wir über einen<br />

Erfolg der Demokratie in Russland sprechen. Aber dass Russland sich auf diesem Wege<br />

befindet, dass Russland diesen Weg geht, ist eine offensichtliche Tatsache. Es reicht ja,<br />

zu schauen, was in der Sowjetunion gewesen ist und was bei uns momentan stattfindet,<br />

wie sich die Wirtschaft bei uns entwickelt, wie der politische Bereich vorankommt, wie<br />

sich alles entwickelt, was die Volksvertretung anbelangt. Der Unterschied ist ja kolossal.<br />

Oder wollen Sie, dass wir in zwei Jahrzehnten den Weg gegangen sind, den andere<br />

Staaten in 200, 300 oder 400 Jahren gegangen sind? Natürlich muss alles schrittweise<br />

stattfinden, Schritt für Schritt. Aber wir verstehen, wohin wir uns bewegen werden und<br />

wir werden von diesem Weg nicht abkommen.<br />

Dann erlaube ich mir zum Schluss noch eine persönliche Frage. Sie waren<br />

acht Jahre Präsident, sind dann ins Amt des Ministerpräsidenten gegangen.<br />

Jetzt läuft wieder eine sechsjährige Amtszeit. Gibt es einen persönlichen<br />

Plan? Wollen Sie so lange Präsident bleiben, wie es geht, wie Sie gewählt<br />

werden? Oder denken Sie manchmal über ein Leben danach nach?<br />

Ich glaube, wie ein jeder normaler Mensch, so bin ich auch. Ich gucke über einen<br />

bestimmten Horizont hinaus und ich bin kein langlebiger Politiker. Auch kein langlebiger<br />

europäischer Politiker. Es gibt in Europa Politiker, die viel länger als ich erste Plätze in<br />

der Politik inne hatten und viel länger gearbeitet haben, als ich momentan arbeite. In<br />

Europa, in Nordamerika, in Kanada. Aber ich hoffe sehr, dass nach dem Abschluss meiner<br />

politischen Tätigkeit, meiner staatlichen Tätigkeit, ich Möglichkeiten haben werde,<br />

auch anderen Fragen nachzukommen. Ich mag Literatur, ich mag Rechtswissenschaften.<br />

Und ich hoffe sehr, dass ich es schaffen werde, jetzt ein mal ohne konkrete Verbindung<br />

mit der politischen Arbeit, auch anderen gesellschaftlichen oder sportlichen Aktivitäten<br />

nachkommen zu können.<br />

Herr Präsident, vielen Dank für das Gespräch Ich bedanke mich.<br />

Ich bedanke mich auch.<br />

Quelle: nach tagesschau.de/ausland/putininterview104.pdf<br />

70


«Die Identitäten<br />

der Völker erhalten»<br />

_ Rede auf dem Valdai-Forum am 19. September 2013<br />

Das Valdai-Forum ist ein seit 2004 jährlich stattfindendes, internationales Diskussionsforum,<br />

bei dem sich bekannte Experten mit Russlands Außen- und Innenpolitik<br />

beschäftigen.<br />

Guten Tag, Freunde, meine Damen und Herren,<br />

ich hoffe, sie empfinden den Ort und den Zeitpunkt für Ihre Gespräche und für unser<br />

aller Treffen gut gewählt. Wir befinden uns hier im Zentrum Russlands, nicht im<br />

geografischen Zentrum, aber im spirituellen. Die Nowgorod-Region ist die Wiege der<br />

russischen Unabhängigkeit. Unsere hervorragenden Historiker haben das so analysiert<br />

und glauben, dass die einzelnen Elemente der russischen Eigenstaatlichkeit hier zusammen<br />

gekommen sind, in Anbetracht der Tatsache, dass zwei große Flüsse, Wolchow und<br />

Newa, zu der Zeit als Hauptorte der Kommunikation fungierten, beziehungsweise sie<br />

eine gemeinsame Nahrungsmittelquelle und auch Arbeitsstelle darstellten. Und es war<br />

genau hier, wo sich die russische Souveränität nach und nach zu entwickeln begann.<br />

Russlands neues Finanzzentrum Moskwa City. Foto: Dmitry A. Mottl; CCL 3.0<br />

71


«Die Identitäten der Völker erhalten»<br />

Wie erwähnt, haben wir in diesem Jahr des Valdai-Clubs eine noch nie dagewesene<br />

Teilnehmerliste zusammen gebracht. Wir sehen hier nun mehr als 200 russische<br />

und ausländische Politiker, öffentliche und geistige Führungspersönlichkeiten, philosophische<br />

und kulturelle Menschen, Menschen mit sehr unterschiedlichen und sogar mit<br />

gegensätzlichen Ansichten.<br />

Sie verweilen hier nun schon ein paar Tage und ich möchte Sie auf keinen Fall langweilen.<br />

Dennoch möchte ich mir erlauben, noch einmal meine Ansichten über Themen,<br />

die während der einen oder anderen Diskussion schon aufkamen, zu verdeutlichen. Und<br />

damit spreche ich nicht von meinen Ansichten über die historische, kulturelle Geschichte<br />

Russlands oder über meine persönlichen Erfahrungen in der Staatsführung, sondern<br />

in erster Linie möchte ich mit Ihnen die generelle Diskussion über Strategien und Werte<br />

führen: Über die Zukunft an sich, wie wir uns die Welt im 21. Jahrhundert wünschen,<br />

wie wir die Entwicklung unserer Länder stärken könnten, wie diese globalen Prozesse<br />

wiederum dann nationale Identitäten beeinflussen könnten und wie wir, also Russland,<br />

dazu beitragen können diese Ziele gemeinsam mit unseren Partnern zu erreichen.<br />

Heute brauchen wir neue Strategien, um unsere Identität in einer sich schnell verändernden<br />

Welt, in einer Welt, die sich mehr öffnet, voneinander abhängiger und transparenter<br />

wird, zu bewahren. Diese Tatsache stellt praktisch alle Länder und Völker in<br />

der einen oder anderen Form – Russland, Europa, China und Amerika, praktisch die<br />

Gesellschaften aller Länder – vor Herausforderungen. Und natürlich verbinden wir das<br />

hier auch auf dem Treffen in Valdai, und wir wollen uns bemühen, besser zu verstehen,<br />

wie unsere Partner versuchen diesen Herausforderungen zu begegnen, denn wir treffen<br />

hier mit Experten zusammen. Und wir gehen davon aus, dass unsere Gäste ihre Ansichten<br />

über die Interaktionen und Beziehungen zwischen Russland und den Ländern, die Sie<br />

vertreten, auch offen äußern.<br />

72<br />

Debatte um Identität<br />

Bei uns – damit meine ich Russland und sein Volk – werden Fragen, wer wir sind und<br />

wer wir sein wollen, immer populärer. Wir haben die sowjetische Ideologie hinter uns<br />

gelassen, und es wird keine Rückkehr zu ihr geben. Die Befürwortung des fundamentalen<br />

Konservatismus, der vor 1917 in Russland idealisiert wurde, scheint ähnlich weit von<br />

der Realität zu sein, genauso fern, wie die Anhängerschaft eines extremen Liberalismus<br />

nach westlichem Vorbild.<br />

Offensichtlich ist es unmöglich, sich ohne geistige, kulturelle und nationale Selbstbestimmung<br />

vorwärts zu bewegen. Ohne diese werden wir weder in der Lage sein,<br />

internen und externen Herausforderungen Stand zu halten, noch in der globalen Konkurrenz<br />

erfolgreich zu sein. Heute geht diese Konkurrenz in eine neue Runde. Heute liegen


Rede auf dem Valdai-Forum am 19. September 2013<br />

die Schwerpunkte der Herausforderungen in der Wirtschaft, in der Technologie und in<br />

den ideologischen Informationen. Militärische und politische Probleme nehmen zu, und<br />

die Rahmenbedingungen verschlechtern sich. Die Welt wird immer rücksichtsloser, und<br />

manchmal wird nicht nur das Völkerrecht missachtet, sondern auch immer öfter die elementarste<br />

Gepflogenheit des Anstandes.<br />

Jedes Land braucht militärische, technologische und wirtschaftliche Stärke, aber ob<br />

diese erfolgreich sein wird, wird einzig und alleine von der Qualität des Volkes, der<br />

Gesellschaft und ihrer intellektuellen, geistigen und moralischen Stärke bestimmt.<br />

Schließlich hängt am Ende das Wirtschaftswachstum der Wohlstand und der geopolitische<br />

Einfluss von der gesellschaftlichen Vitalität ab. Sie hängen davon ab, ob die Bürger<br />

eines Landes sich als eine Nation betrachten, in welchem Umfang sie sich mit ihr und<br />

mit ihrer eigenen Geschichte identifizieren, mit ihren Werten und Traditionen, und ob<br />

sie sich durch gemeinsame Ziele und Aufgaben verbunden fühlen. Deshalb ist diese<br />

Frage, wie wir die Stärkung unserer nationalen Identität erreichen, so fundamental und<br />

grundlegend für Russland.<br />

Das Fehlen einer nationalen Idee<br />

Unterdessen steht die nationale Identität Russlands unter Druck, nicht nur wegen<br />

der Globalisierung, sondern auch angesichts der nationalen Katastrophen des zwanzigsten<br />

Jahrhunderts, in denen wir den Zusammenbruch unseres Staates zweimal erleben<br />

mussten. Das Ergebnis war ein verheerender Schlag für die kulturellen und spirituellen<br />

Normen unserer Nation. Wir wurden mit der Zerstörung der Traditionen und der Harmonie<br />

der Geschichte, mit der Demoralisierung der Gesellschaft, mit einem Defizit von<br />

Vertrauen und Verantwortung konfrontiert. Das sind die Ursachen der vielen drängenden<br />

Probleme, denen wir uns heute gegenübersehen. Denn die Frage nach der Verantwortung<br />

für uns selbst, gegenüber der Gesellschaft und vor dem Gesetz, ist etwas Grundlegendes,<br />

für die Funktionsweise von Recht und Gesetz wie für den privaten Alltag.<br />

Nach 1991 gab es die Illusion, dass eine neue nationale Ideologie, beziehungsweise<br />

die Entwicklung zur Ideologie, einfach von selbst entstehen würde. Dem Staat, den<br />

Behörden und den Experten der intellektuellen und politischen Bereiche wurde die Beteiligung<br />

an dieser Arbeit sogar praktisch verweigert, gerade auch weil die frühere, teils<br />

offizielle Ideologie so schwer zu schlucken war. Und in der Tat waren auch sehr viele<br />

einfach zu ängstlich, das Thema anzusprechen. Darüber hinaus nutzte das Fehlen einer<br />

nationalen Idee, die sich aus einer nationalen Identität speist, der Elite und ihren quasikolonialen<br />

Elementen – genau jenen, die Kapital stehlen und wegschaffen wollten und<br />

die ihre Zukunft nicht mit der ihres Landes verknüpften, sondern dieses nur als einen Ort<br />

zum Geldverdienen ansahen.<br />

73


«Die Identitäten der Völker erhalten»<br />

Die Praxis hat gezeigt, dass eine neue nationale Idee nicht einfach von selbst entsteht<br />

und sich nicht einfach nach den Gesetzen des Marktes entwickelt. Der Staat und seine<br />

Gesellschaft funktionieren nicht, wenn sie spontan aufgebaut werden, und es bringt auch<br />

nichts, einfach die Mechanismen und die Erfahrungen anderer Länder zu kopieren. Solche<br />

primitiven Vorschläge und Versuche, Russland aus dem Ausland zu «zivilisieren», werden<br />

von Russland und auch von der absoluten Mehrheit unserer Menschen nicht akzeptiert.<br />

Der Wunsch nach Unabhängigkeit und Souveränität in geistigen, ideologischen und außenpolitischen<br />

Bereichen ist nämlich schon immer ein fester Bestandteil unseres nationalen<br />

Charakters. Übrigens ist eine solche Herangehensweise auch schon in vielen anderen<br />

Ländern und Kulturen gescheitert. Die Zeit, in der Lifestyle-Modelle von ausländischen<br />

Staaten wie Computer-Programme fix und fertig installiert werden konnten, ist vorbei.<br />

Wir wissen, dass unsere nationale Identität nicht einfach von oben und auch nicht<br />

auf der Basis eines ideologischen Monopols verordnet werden kann. Eine solche Konstruktion<br />

ist sehr instabil und anfällig. Das wissen wir aus eigener Erfahrung. Sie hat<br />

keine Zukunft in der modernen Welt. Wir brauchen historische Kreativität, eine Synthese<br />

der besten nationalen Praktiken und Ideen, ein Verständnis der kulturellen, geistigen<br />

und politischen Traditionen aus verschiedenen Blickwinkeln, und wir müssen verstehen,<br />

dass die nationale Identität kein steifes Ding, das ewig Bestand hat, sondern vielmehr<br />

ein lebender Organismus ist. Nur, wenn wir das verstehen, wird unsere Identität auf<br />

einer soliden Grundlage ruhen, die auf die Zukunft gerichtet ist und nicht auf die Vergangenheit.<br />

Das Wichtigste ist, dass zur Entwicklung einer neuen Ideologie Menschen<br />

mit verschiedenen Blickwinkeln und Meinungen, über das was zu tun ist, zusammen<br />

kommen, um Probleme objektiv auszudiskutieren und zu lösen.<br />

Nationaldichter Puschkin Foto: Vasiliy Mate; CCL 3.0<br />

Dostojewski Foto: Wikimedia Commons; Public Domain<br />

74


Rede auf dem Valdai-Forum am 19. September 2013<br />

Patriotismus als Synthese<br />

Alle, ob nun die sogenannten Neoslawisten oder die westlich Orientierten, die Etatisten<br />

und die sogenannten Liberalen – die ganze Gesellschaft muss zusammenarbeiten,<br />

um gemeinsame Entwicklungsziele zu definieren. Wir müssen mit der Angewohnheit<br />

brechen, nur den Menschen zuzuhören, die das sagen, was wir hören möchten, und<br />

aufhören, Andersdenkenden mit Wut, Ablehnung oder sogar mit Hass zu begegnen. Und<br />

das von Anfang an. Die Zukunft eines jeden Landes kann man weder per Fingerschnipp<br />

verändern, noch kann man sie mit Füßen treten wie einen Fußball – so stürzt man in<br />

hemmungslosen Nihilismus, in Konsumismus, in Negativismus gegenüber allem und<br />

jedem, in düsteren Pessimismus.<br />

Dass bedeutet, dass die Liberalen lernen müssen, mit den Vertretern der Linken zu<br />

sprechen und umgekehrt, dass Nationalisten bedenken müssen, dass Russland im Besonderen<br />

sich von Anfang an als ein multiethnisches und multikonfessionelles Land gebildet<br />

hat. Nationalisten müssen verstehen, dass sie durch die Infragestellung unseres<br />

multiethnischen Charakters und die Instrumentalisierung des russischen, tatarischen,<br />

kaukasischen, sibirischen oder eines anderen Nationalismus oder Separatismus beginnen,<br />

unseren genetischen Code zu zerstören. In der Tat würden wir beginnen, uns selbst<br />

zu zerstören.<br />

Die Souveränität, die Unabhängigkeit und territoriale Integrität Russlands sind bedingungslos.<br />

Das sind rote Linien, die niemand überschreiten darf. Und bei allen unseren<br />

verschiedenen Ansichten ist doch klar, dass wir Debatten über unsere nationale Identität<br />

und Russlands Zukunft nur führen können, wenn die daran Teilnehmenden allesamt<br />

Patrioten sind. Natürlich meine ich den Patriotismus im wahrsten Sinne des Wortes.<br />

Zu oft in der Geschichte unserer Nation hatten wir es nicht mit einer Opposition<br />

zur jeweiligen Regierung zu tun, sondern mit antirussischen Oppositionellen. Das habe<br />

ich bereits erwähnt, und auch [der Nationaldichter Alexander] Puschkin sprach schon<br />

darüber. Und wir wissen, wie es endete, nämlich mit dem Abriss des Staates als solchen.<br />

Es gibt praktisch keine russische Familie, die von den Wirrungen des vergangenen<br />

Jahrhunderts völlig unberührt blieb. Fragen, wie wir bestimmte historische Ereignisse<br />

beurteilen, teilen unser Land und unsere Gesellschaft immer noch.<br />

Wir müssen diese Wunden endlich heilen und die Matrix unseres historischen Stoffes<br />

reparieren. Wir können nicht weiter in Selbsttäuschung leben und die unansehnlichen<br />

oder ideologisch unbequemen Seiten unserer Geschichte einfach ausblenden,<br />

die Verbindungen zwischen den Generationen zerstören, in Extreme flüchten und Idole<br />

entweder aufs Podest heben oder stürzen. Es ist auch höchste Zeit, damit aufzuhören,<br />

unsere Geschichte nur auf das Schlechte zu reduzieren. Wir beschimpfen uns teilweise<br />

sogar schlimmer als unsere Gegner es je tun würden. Selbstkritik ist notwendig, aber<br />

75


«Die Identitäten der Völker erhalten»<br />

ohne ein Gefühl von Selbstwert oder der Liebe zu unserem Vaterland wirkt so eine Kritik<br />

nur demütigend und kontraproduktiv. Wir müssen stolz auf unsere Geschichte sein, und<br />

wir haben Gründe, um stolz zu sein. Unsere gesamte, unzensierte Geschichte muss ein<br />

Teil der russischen Identität sein. Ohne diese Anerkennung ist es unmöglich, gegenseitiges<br />

Vertrauen aufzubauen und die Gesellschaft nach vorne zu entwickeln.<br />

Exzesse der politischen Korrektheit<br />

Eine weitere Herausforderung für die russische Identität hängt mit den Prozessen<br />

zusammen, die wir in der Welt beobachten. Dazu zählen außenpolitische und moralische<br />

Aspekte. Wir sehen, dass viele euro-atlantisch Staaten den Weg eingeschlagen<br />

haben, ihre eigenen Wurzeln zu verneinen beziehungsweise abzulehnen, einschließlich<br />

der christlichen Wurzeln, die die Grundlage der westlichen Zivilisation bilden. In diesen<br />

Staaten werden moralische Grundlagen und jede traditionelle Identität negiert. Nationale,<br />

religiöse, kulturelle oder sogar geschlechtliche Identitäten werden verneint. Dort<br />

wird eine Politik durchgesetzt, die eine kinderreiche Familie mit einer homosexuellen<br />

Partnerschaft gleichsetzt, den Glauben an Gott mit dem Glauben an Satan.<br />

Die Exzesse der politischen Korrektheit in diesen Ländern führen dazu, dass sogar ganz<br />

ernsthaft die Zulassung von Parteien diskutiert wird, die sich für Pädophilie einsetzen. Die<br />

Menschen in vielen europäischen Staaten schämen sich und haben regelrecht Angst, offen<br />

über ihre religiöse Zugehörigkeit zu sprechen. Christliche Feiertage und Feste werden<br />

abgeschafft oder sogar umbenannt. Damit versteckt oder verheimlicht man den tieferen<br />

moralischen Wert dieser Feste. Und dieses Modell versuchen diese Leute aggressiv welt-<br />

Rachmaninoff Foto: Wikimedia Commons; CCL 3.0<br />

Tschaikowski Foto: Public Domain<br />

76


Rede auf dem Valdai-Forum am 19. September 2013<br />

weit zu exportieren. Ich bin überzeugt, dass das der direkte Weg zur Degradierung und<br />

Primitivisierung der Kultur ist. Das führt zu tiefen demografischen und moralischen Krisen.<br />

Was kann denn ein besserer Beleg für die moralische Krise einer menschlichen Gesellschaft<br />

sein als der Verlust ihrer Reproduktionsfähigkeit? Heute können sich beinahe<br />

alle entwickelten westlichen Staaten reproduktiv nicht erhalten, nicht einmal mit Hilfe<br />

der Migranten. Ohne moralische Werte, die im Christentum und anderen Weltreligionen<br />

begründet liegen, ohne Normen und moralische Werte, die sich Jahrtausende lang formiert<br />

und entwickelt haben, werden die Menschen unvermeidlich ihre Menschenwürde<br />

verlieren. Und wir halten es für richtig und natürlich, diese moralischen Werte zu verteidigen.<br />

Man muss das Recht einer jeden Minderheit auf Andersartigkeit respektieren,<br />

aber die Rechte der Mehrheit dürfen nicht angezweifelt werden.<br />

Gleichzeitig sehen wir, wie versucht wird, auf der Welt das Modell einer monopolaren<br />

Welt zu installieren und die Institutionen des Völkerrechts und der nationalen Souveränität<br />

zu verwischen. In einer solchen unipolaren, standardisierten Welt gibt es keinen Bedarf<br />

für souveräne Staaten, sondern nur für Vasallen. Im historischen Verständnis bedeutet<br />

das die Ablehnung jeder eigenen Identität und somit der von Gott geschaffenen Vielfalt.<br />

Künstlicher und echter Multikulturalismus<br />

Russland stimmt denen zu, die glauben, dass die wichtigsten Entscheidungen nur<br />

auf kollektiver Basis diskutiert und entschieden werden können, anstatt nach dem Dafürhalten<br />

nur eines Staates oder einer gewissen Staatengruppe. Russland ist der Überzeugung,<br />

dass das Völkerrecht zählt und nicht das Recht des Stärkeren. Und wir halten<br />

jedes Land und jede Nation für einzigartig, aber nicht für außerordentlich, und finden,<br />

dass jedes Land und jede Nation gleiche Rechte, einschließlich des Rechts auf die unabhängige<br />

Wahl seines Entwicklungsweges, haben sollte.<br />

Dies ist unsere Perspektive, die aus unserem historischen Schicksal und aus Russlands<br />

Rolle in der Weltpolitik resultiert. Unsere heutige Haltung hat tiefe historische Wurzeln.<br />

Russland entwickelte sich auf der Grundlage von Vielfalt, Harmonie und Gleichgewicht,<br />

und es brachte ein solches Gleichgewicht auch auf die Bühne der internationalen Politik.<br />

Ich möchte daran erinnern, dass der Wiener Kongress von 1815 und die Vereinbarungen<br />

von Jalta 1945, bei denen Russland eine sehr aktive Rolle spielte, einen langen Frieden<br />

gesichert haben. Die Kraft Russlands, die Kraft des Siegers bei diesen Zeitwenden,<br />

äußerte sich in Großherzigkeit und Gerechtigkeit. Denken wir dagegen an den Versailler<br />

Vertrag, der ohne Russlands Teilnahme unterzeichnet wurde... Ich bin mit vielen Experten<br />

einer Meinung, dass gerade der Versailler Vertrag die Grundlage für den Zweiten<br />

Weltkrieg legte, weil er das deutsche Volk unfair behandelte. Er legte ihm Bedingungen<br />

auf, die unerfüllbar waren. Das wurde im Verlauf des nächsten Jahrhunderts klar.<br />

77


«Die Identitäten der Völker erhalten»<br />

Es gibt noch einen wesentlichen Aspekt, auf den ich Ihre Aufmerksamkeit lenken<br />

möchte. In Europa und in einigen anderen Ländern wird der sogenannte Multikulturalismus<br />

transplantiert, ein in vielerlei Hinsicht künstliches Modell, das nun aus verständlichen<br />

Gründen in Frage gestellt wird. Das ist die Rechnung für die koloniale Vergangenheit.<br />

Und es ist kein Zufall, dass heute europäische Politiker und Persönlichkeiten des<br />

öffentlichen Lebens vermehrt über das Versagen des Multikulturalismus diskutieren,<br />

und dass sie nicht in der Lage seien, Fremdsprachen oder fremde Kulturen in ihre Gesellschaft<br />

zu integrieren.<br />

Im Verlauf der letzten Jahrhunderte ist in Russland, obwohl es von einigen als «Völkergefängnis»<br />

betitelt wurde, noch nicht einmal die kleinste ethnische Gruppe verschwunden.<br />

Sie haben nicht nur ihre innere Autonomie und kulturelle Identität behalten,<br />

sondern auch ihren historischen Siedlungsraum. Wie Sie wissen, war ich selber sehr<br />

daran interessiert, darüber etwas zu erfahren, weil ich selber keine Ahnung darüber<br />

hatte, dass die Behörden in der Sowjetzeit darauf so großen Wert legten, dass praktisch<br />

jeder noch so kleinen ethnischen Gruppe ihre Printmedien finanziert wurden, um den<br />

Erhalt ihrer Sprache und ihrer Nationalliteratur zu sichern. Vieles von dem, was in dieser<br />

Hinsicht getan wurde, sollten wir übernehmen und wieder einführen.<br />

Dank der verschiedenen Kulturen Russlands haben wir einen einzigartigen Erfahrungsschatz<br />

der gegenseitigen Beeinflussung, des gegenseitigen Respekts und der gegenseitigen<br />

Bereicherung. Diese Multikulturalität und Multiethnizität lebt in unserem<br />

historischen Bewusstsein, in unserem Geist und in unserer historischen Verfassung.<br />

Unser Staat hat sich im Laufe eines Jahrtausends auf der Grundlage dieses organischen<br />

Modells entwickelt.<br />

Russland hat sich, wie es der Philosoph Konstantin Leontjew lebhaft beschrieb,<br />

schon immer aus «der blühenden Komplexität» einer Staats-Zivilisation entwickelt,<br />

die vom russischen Volk, der russischen Sprache, der russischen Kultur, der russischorthodoxen<br />

Kirche und anderen traditionellen Religionen des Landes geprägt wurde. Es<br />

ist gerade dieses Modell einer Staats-Zivilisation, die unsere Staatspolitik geformt hat.<br />

Russland hat immer die unterschiedlichen ethnischen und religiösen Besonderheiten<br />

der einzelnen Gebiete geschmeidig anerkannt und respektiert, woraus die Vielfalt in der<br />

Einheit resultierte.<br />

Das Christentum, der Islam, der Buddhismus, das Judentum und andere Religionen<br />

bilden einen integralen Bestandteil der Identität Russlands, des historischen Erbes und<br />

auch des heutigen Lebens unserer Bürger. Die Hauptaufgabe des Staates, die in der Verfassung<br />

verankert ist, besteht darin, gleiche Rechte für die Anhänger der traditionellen<br />

Religionen, wie für Atheisten sowie Gewissensfreiheit für alle Bürger zu gewährleisten.<br />

78


Rede auf dem Valdai-Forum am 19. September 2013<br />

Auf dem Weg zur Eurasischen Union<br />

Es ist also offensichtlich unmöglich, sich in einer so großen Nation mit multiethnischer<br />

Bevölkerung nur über eine Ethnie oder Religion zu identifizieren. Um die Einheit<br />

der Nation zu erhalten, müssen die Menschen eine bürgerliche Identität auf der<br />

Grundlage gemeinsamer Werte, eines patriotischen Bewusstseins, staatsbürgerlicher<br />

Verantwortung und Solidarität, sowie auf dem Respekt vor dem Gesetz und auf einem<br />

Gefühl der Verantwortung für das Schicksal ihrer Heimat entwickeln, ohne dass sie<br />

dabei den Kontakt mit ihren ethnischen oder religiösen Wurzeln verlieren.<br />

Es gibt eine breite Diskussion darüber, wie die Ideologie der nationalen Entwicklung<br />

politisch und konzeptionell strukturiert werden müsste – auch mit Ihrer Teilnahme,<br />

werte Kollegen. Aber ich glaube fest daran, dass die persönliche, moralische,<br />

intellektuelle und körperliche Entwicklung des Einzelnen im Mittelpunkt unserer Philosophie<br />

stehen muss. Zu Beginn der 1990er Jahre sagte [der Schriftsteller Alexander]<br />

Solschenizyn, dass die nationale Hauptaufgabe darin bestehen sollte, die Bevölkerung<br />

nach einem sehr schwierigen 20. Jahrhundert zu erhalten. In der Tat müssen wir heute<br />

zugeben, dass wir die negative demografische Entwicklung noch nicht vollständig gestoppt<br />

haben, obwohl wir den gefährlichen Rückgang des nationalen Potenzials hinter<br />

uns haben.<br />

Leider wurde im Laufe der Geschichte unserer Nation dem einzelnen Menschenleben<br />

wenig Wert beigemessen. Zu oft wurden die Menschen nur als Mittel, nicht als<br />

Ziel und Aufgabe der Entwicklung gesehen. Dazu haben wir heute kein Recht mehr, und<br />

wir können nicht Millionen von Menschenleben für das Interesse der Entwicklung ins<br />

Feuer werfen. Wir müssen jeden Einzelnen schätzen. Die Hauptstärke Russlands wird<br />

in den zukünftigen Jahrhunderten mehr in seinen gebildeten, kreativen, körperlich und<br />

geistig gesunden Menschen, als in den natürlichen Ressourcen liegen.<br />

Die Bildung spielt in der Erziehung zum individuellen Patriotismus eine erhebliche<br />

Rolle und deswegen müssen wir die Lehren der großen russischen Kultur und Literatur<br />

wieder aufleben lassen. Sie müssen als Grundlage für die persönliche Identität<br />

der Menschen, die Quelle ihrer Einzigartigkeit und ihrer Basis für das Verständnis der<br />

nationalen Idee dienen. Hier hängt viel von der Lehrerschaft ab, die schon immer ein<br />

sehr wichtiger Behüter der gesamtnationalen Werte, Ideen und Philosophien war und<br />

sein wird. Und obwohl sich diese Lehrerschaft über ein enormes Gebiet verteilt, von<br />

Kaliningrad bis Wladiwostok, sprechen sie alle die gleiche Sprache, die Sprache der<br />

Wissenschaft, der Bildung und des Wissens. Auf diese Weise hält die Lehrerschaft,<br />

beziehungsweise im weiteren Sinne die Bildungsgemeinschaft, die Nation zusammen.<br />

Die Unterstützung dieser Gemeinschaft ist einer der wichtigsten Schritte auf dem Weg<br />

zu einem starken, blühenden Russland.<br />

79


«Die Identitäten der Völker erhalten»<br />

Ich möchte noch einmal betonen: Wenn wir keinen Schwerpunkt auf unsere Anstrengungen<br />

für die Bildung und Gesundheit der Menschen, auf die Schaffung gemeinsamer<br />

Verantwortung zwischen jedem Einzelnen und den Behörden setzen und auf die Stärkung<br />

des Vertrauens in der Gesellschaft, werden wir den Wettlauf um die Geschichte<br />

verlieren. Russlands Bürger müssen spüren, dass sie die verantwortlichen Eigentümer<br />

ihres Landes, ihrer Region, ihrer Heimatstadt, ihres Eigentums, ihrer Habe und ihres<br />

Lebens sind. Ein Bürger ist jemand, der in der Lage ist, seine oder ihre Angelegenheiten<br />

unabhängig zu regeln und dabei mit Gleichgestellten frei zusammenzuarbeiten.<br />

Lokale Regierungen und Bürgerorganisationen in Eigenverantwortung dienen als<br />

beste Schule für bürgerschaftliches Bewusstsein. Natürlich beziehe ich mich auf nichtkommerzielle<br />

Zusammenschlüsse. Zufällig wurde eine der besten russischen politischen<br />

Traditionen, der Länderrat, auch auf den Grundsätzen der lokalen Regierung gebaut.<br />

Eine wahre politische Elite, die wirklich fürs Nationale denkt, eine echte Zivilgesellschaft<br />

und eine Opposition mit ihrer eigenen Ideologie für Werte und Standards, für<br />

Gut und Böse – mit ihrer eigenen, nicht einer von den Medien oder aus dem Ausland<br />

diktierten Ideologie – kann nur durch eine effektive Kommunalpolitik beziehungsweise<br />

durch effektive Selbstverwaltungsmechanismen wachsen. Die Regierung ist bereit, den<br />

Bürgerbewegungen in Eigenverantwortung und Selbstverwaltungsverbänden zu vertrauen.<br />

Aber wir müssen wissen, wem wir vertrauen. Das ist eine ganz normale Praxis<br />

überall auf der Welt und genau deshalb haben wir neue Gesetze ins Leben gerufen, um<br />

die Transparenz der Tätigkeiten der Nichtregierungsorganisationen zu erhöhen.<br />

Bei jeder Art von Reformen ist es wichtig zu bedenken, dass es mehr um unsere<br />

ganze Nation, als nur um Moskau und Sankt Petersburg geht. Bei der Entwicklung des<br />

russischen Föderalismus müssen wir uns auf unsere eigenen historischen Erfahrungen<br />

verlassen und flexible sowie vielfältige Modelle anwenden. Das russische Föderalismus-Modell<br />

hat ein großes Potenzial. Es ist zwingend notwendig, dass wir lernen, es<br />

kompetent zu benutzen und dabei nicht seine wichtigsten Aspekte vergessen, nämlich<br />

dass die Entwicklung der Regionen und ihre Unabhängigkeit Chancengleichheit für alle<br />

Bürgerinnen und Bürger unseres Landes schaffen sollte, unabhängig davon, wo sie leben,<br />

um Ungleichheiten in der wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung auf dem russischen<br />

Territorium zu beseitigen und dadurch die Einheit der Nation zu stärken. Dies ist<br />

letztlich eine große Herausforderung, weil die Entwicklung dieser Gebiete im Laufe der<br />

Jahrzehnte und sogar Jahrhunderte sehr unausgewogen war.<br />

80<br />

Ich möchte noch ein anderes Thema anschneiden. Das 21. Jahrhundert verspricht das<br />

Jahrhundert der großen Veränderungen zu werden, der Bildung großer geopolitischer<br />

Zonen, sowie finanzieller und wirtschaftlicher, kultureller, zivilisatorischer, militärischer<br />

und politischer Bereiche. Deshalb hat die Integration mit unseren Nachbarn absolute<br />

Priorität. Die künftige Eurasische Wirtschaftsunion, die wir erklärt und ausführlich bis


Rede auf dem Valdai-Forum am 19. September 2013<br />

zum Schluss besprochen haben, ist nicht nur eine Sammlung von gegenseitig vorteilhaften<br />

Vereinbarungen. Die Eurasische Union ist ein Projekt für die Erhaltung der Identitäten<br />

der Völker, in dem historischen eurasischen Raum, in diesem neuen Jahrhundert und<br />

in dieser neuen Welt. Die eurasische Integration gibt uns die Chance für den gesamten<br />

postsowjetischen Raum, ein unabhängiges Zentrum für globale Entwicklung zu werden,<br />

statt am Rande von Europa und Asien zu verbleiben.<br />

Ich möchte betonen, dass die eurasische Integration ebenso auf dem Prinzip der Vielfalt<br />

gebaut werden wird. Dies ist eine Vereinigung, in der jeder seine Identität, seinen<br />

unverwechselbaren Charakter und seine politische Unabhängigkeit behält. Gemeinsam<br />

mit unseren Partnern werden wir dieses Projekt nach und nach in die Tat umsetzen,<br />

Schritt für Schritt. Wir erwarten, dass es unser gemeinsamer Beitrag zur Erhaltung der<br />

Vielfalt und zur stabilen globalen Entwicklung sein wird.<br />

Kolleginnen und Kollegen, die Jahre nach 1991 werden oft als die der postsowjetischen<br />

Ära bezeichnet. Wir haben diese turbulente und dramatische Zeit erlebt und<br />

überwunden. Russland hat durch diese Irrungen und Wirrungen zu sich selbst zurück<br />

gefunden, zu seiner eigenen Geschichte, so wie es dies auch schon an anderen Punkten<br />

seiner Geschichte getan hat. Nach der Festigung unserer nationalen Identität und der<br />

Stärkung unserer Wurzeln bewahren wir uns die Offenheit und Empfänglichkeit für die<br />

besten Ideen und Praktiken des Ostens und des Westens; auf diese Weise müssen und<br />

werden wir uns vorwärts bewegen.<br />

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.<br />

Das Bolschoi-Theater in Moskau besteht seit 1776. Foto: Wikimedia Commons; CCL 3.0<br />

81


«Die Identitäten der Völker erhalten»<br />

82<br />

Diskussionsbeitrag von Volker Rühe<br />

[Rühe war von 1990 bis 1998 Verteidigungsminister der Bundesrepublik Deutschland]<br />

Rühe: Ich wollte über die junge Generation in Russland sprechen. Als erstes würde<br />

ich gerne mit Folgendem beginnen, weil ich hier von Anfang an dabei war, und ein<br />

großes Kompliment an meine russischen Freunde für dieses Format des Valdai-Forums<br />

aussprechen. Ebenso an die Gestalter dieses Forums, denn sie nur Organisatoren zu<br />

nennen, wäre zu wenig. Was wir hier gesehen haben, nenne ich die Kultur der Integration<br />

und der Liebe zum Pluralismus. Und ich kann Ihnen sagen, Herr Präsident, dass wir<br />

von den pluralistischen Stimmen aus Russland, unter denen ja auch starke Aussagen<br />

von Menschen sind, die in Opposition zu Ihrer Politik stehen, ganz fasziniert sind, und ich<br />

denke, dass diese Form der Organisation die Stärke des Landes zeigt.<br />

Ich habe nie auf Russland mit dem eingeschränkten Blick eines Verteidigungsministers<br />

geschaut, das wissen Sie. Ich war das erste Mal 1971 hier und Sergej Karaganow<br />

ist ein Freund von mir seit den späten 1970er Jahren. Wir sehen vielleicht nicht so aus,<br />

aber es ist eine Tatsache des Lebens. Wir haben die SS-20 und Pershing [neue Mittelstreckenraketen<br />

der USA und UdSSR in den 1980er Jahren] durchlebt.<br />

Und was ich erwähnen möchte ist, dass, als ich 1995 als Verteidigungsminister<br />

hierher kam und nach St. Petersburg ging, keine Panzer, Artillerie oder Generäle sehen<br />

wollte, sondern den Bürgermeister, Sobtschak [Als Anatoli Sobtschak 1991 Bürgermeister<br />

von Petersburg wurde, holte er Putin als Stellvertreter ins Amt]. Ich wollte und<br />

lernte auch Sie kennen, als Teil des Teams. Warum wollte ich das? Nun, er war wie ein<br />

Leuchtturm für mich, einen jungen Abgeordneten in Westdeutschland, im noch geteilten<br />

Deutschland. Und ich denke, dass das, was er tat, viel wichtiger war als Panzer und<br />

Artillerie, und es hat sich als richtige Entscheidung herausgestellt. Es ist ein lebenslanges<br />

Interesse am Nachbarn. Und ich glaube, dass wir alle auf diesem Kontinent ein<br />

Interesse an einem erfolgreichen und modernen Russland haben.<br />

Nun zur jungen Generation. Was ich gesehen habe... Und natürlich war es für mich<br />

sehr interessant, seine Tochter vor zwei Tagen zu hören, welche eine starke Stimme für<br />

die junge Generation in Russland ist. Was ich hier gesehen habe, was ich in Russland<br />

gesehen habe, ist, dass Sie in den jungen Leuten eine wirkliche Bereicherung für das<br />

Land haben. Sie sind sehr intelligent, wollen eine gute Bildung und größere internationale<br />

Vernetzung. Sie wollen auch mehr Mitsprache in der Politik des Landes haben. Sie<br />

klopfen förmlich an die Türen des Kremls.<br />

Die jungen Leute aus meinem Land wollen auch ihr Privatleben aufbauen und sie<br />

sind international sehr vernetzt. Die Türen unseres Kremls, die des Parlaments und der<br />

Regierung, sind weit geöffnet, aber sie klopfen nicht an. Sie überlassen es einfach den<br />

Politikern, weil sie denken, dass sie die Dinge immer sehr gut arrangiert haben. Und wir


Rede auf dem Valdai-Forum am 19. September 2013<br />

sind sehr traurig, dass einige von ihnen nur an einem erfolgreichen Privatleben interessiert<br />

sind, aber sich nicht im öffentlichen Leben engagieren.<br />

Und deshalb ist meine eigentliche Botschaft, dass Russland wirklich stolz auf seine<br />

junge Generation sein kann, gerade weil es politische Kontrahenten hat, die sich<br />

im öffentlichen Leben engagieren wollen, was in vielen westlichen Ländern nicht der<br />

Fall ist. Und ich habe auch früher schon in Russland gesagt, dass wir im Westen die<br />

Visa-Regelung aufgeben sollten, weil [die Visa-Freiheit] Hunderttausenden von jungen<br />

Russen einen Einblick in unser Leben und politisches System geben könnte. Aber ich<br />

muss auch sagen, dass es auch Russland verändert hätte, denn wenn sie erst einmal in<br />

Rom, London oder Washington studiert haben, wären sie auch Kräfte der Veränderung<br />

geworden, der notwendigen Veränderung in diesem Land. Aber ich denke, es würde das<br />

Land auch wettbewerbsfähiger machen.<br />

Nun, was hat das mit Sicherheitspolitik zu tun? Ich denke, genau das ist der beste<br />

Weg, um Sicherheit zu gewährleisten und gemeinsame Standpunkte zu entwickeln. Ich<br />

bin sehr froh über die Kultur des Valdai-Forums, ich denke es gibt nichts Vergleichbares,<br />

und ich bin auf vielen Konferenzen gewesen, auch in München [auf der alljährlichen<br />

Münchner Sicherheitskonferenz], wo es sehr engstirnig um Sicherheit geht. Es gibt auf<br />

der Welt keine vergleichbare Konferenz.<br />

Und wenn wir nun vier Stunden lang Ihren Menschen zuhören, über Ideen und Politik...<br />

Wir reden manchmal über unsere Politik von Montag bis Donnerstag. Es war sehr faszinierend<br />

zu sehen, dass die russischen Redner ein viel größeres Interesse an grundsätzlichen<br />

Fragen der Gesellschaft haben, als wir bei uns, wo so etwas oft nur oberflächlich besprochen<br />

wird. Ich denke, das ist etwas, womit man anfangen kann, aber ich denke, die eigentliche<br />

Nachricht ist, dass es ein sehr gutes Projekt für Ihre dritte Amtszeit wäre, diese junge<br />

Generation zu integrieren, wenn sie an die Türen des Kremls klopft. Denn vergessen Sie<br />

nicht, wir hätten gerne mehr junge Leute im Westen, die an unseren Türen der politischen<br />

Macht klopfen, und Sie können sehr stolz auf diese Menschen sein. Das ist meine Botschaft.<br />

[Erneute Wortmeldung von Volker Rühe]<br />

Präsident Putin, ich stimme Ihrer Meinung bezüglich des Irakkrieges zu und wir waren<br />

diesbezüglich genauso kritisch, wie auch die Franzosen. Es [der Angriff auf Irak 2003]<br />

war keine NATO-Entscheidung, sondern eine US-amerikanische Entscheidung.<br />

Aber in Libyen [2011] war es anders. Ich möchte Sie daran erinnern, dass im ersten<br />

Jahrzehnt dieses Jahrtausends die Vereinten Nationen neue Entwicklungen im internationalen<br />

Recht schufen, die sogenannte Schutzverantwortung. Was bedeutet das?<br />

Jeder Staat hat eine Verantwortung, die eigene Bevölkerung zu schützen. Und wenn er<br />

das nicht tut, dann gibt es ein Recht der Internationalen Gemeinschaft, zu intervenieren,<br />

sobald es einen Beschluss des Sicherheitsrates gibt.<br />

83


Das Ballett steht international für russische Hochkultur. Foto: Wikimedia Commons; CCL 3.0<br />

Russland enthielt sich [im Sicherheitsrat] der Stimme und machte so diesen Angriff<br />

[auf Libyen] möglich. Und ich möchte nur betonen, dass ich sehr dankbar bin, dass die<br />

französischen Streitkräfte das Leben von Tausenden von Menschen in Bengasi gerettet<br />

haben. Das geschah nicht, um dort die Demokratie zu schaffen, das wird auch noch lange<br />

dauern und wird immer anders sein als bei uns. Aber wie viele Menschen kann man<br />

in seinem Land umbringen und gleichzeitig behaupten: «Das betrifft das Ausland nicht?»<br />

Das Völkerrecht sagt, dass es so etwas nicht mehr gibt, es ist nicht mehr möglich.<br />

Und kommen wir nun zu Syrien. Das ist ein anderer Fall, denn es gibt keine internationale<br />

Grundlage für die Intervention. Wenn Sie sich daran erinnern, wie es [2011]<br />

begann, wir hatten letzte Nacht eine sehr interessante Debatte darüber. Es war in Daraa<br />

im Süden des Landes, wo die jungen Menschen in den Straßen demonstrierten, wie sie<br />

es auch bei uns und auch in Russland tun. Und sie wurden erschossen. Und später sahen<br />

wir die Bilder, wie der Präsident [Baschar al Assad] seine Luftwaffe zum Töten auf eine<br />

Schlange von Menschen losschickte, die für Brot anstanden. Ich kann Ihnen eines sagen:<br />

Ein Präsident, der auf Menschen schießt, die für Brot anstehen, hat keine Zukunft. Er<br />

hat keine Zukunft!<br />

84<br />

Und da können wir nicht zuschauen! Wir müssen zu einer Einigung darüber kommen,<br />

was zu tun ist, und ich bin sehr dankbar für das, was zwischen Ihnen und den Vereinigten<br />

Staaten vereinbart wurde. [Wenige Tage zuvor, Mitte September 2014, war es zu einer<br />

Verständigung zwischen Obama und Putin in Bezug auf die Abrüstung der Chemiewaffen<br />

in Syrien gekommen.] Es ist sehr kostbar. Und ich hoffe, es wird zu Ergebnissen führen,<br />

und es wird Ihnen beiden helfen. Es ist eine Win-Win-Situation für uns alle.


Rede auf dem Valdai-Forum am 19. September 2013<br />

Aber wir müssen auch verstehen, dass man in der Welt von heute nicht einfach Staaten,<br />

die andere Staaten angreifen, angehen kann. Das war im 20. Jahrhundert der Fall.<br />

Aber was macht man mit Staaten, die nicht die eigene Bevölkerung schützen? Sie haben<br />

nicht einfach das Recht zu intervenieren, aber auf der Grundlage eines Beschlusses<br />

der Vereinten Nationen hat das Sinn. Denn jeder, jeder Präsident eines jeden Landes,<br />

hat auch eine Verantwortung, seine eigenen Leute zu schützen. Das ist meine Meinung<br />

dazu.<br />

Putin entgegnet Rühe<br />

Putin: Ich bin vollkommen einverstanden damit, dass die Anwendung von Gewalt<br />

nur durch einen Beschluss des UN-Sicherheitsrates möglich ist. Auch sonst stimme ich<br />

natürlich völlig mit Ihnen überein. (...)<br />

Unser deutscher Kollege sprach leider darüber, dass die jungen Menschen in<br />

Deutschland nicht wirklich an der Politik interessiert seien. Allerdings bin ich da nicht<br />

ganz seiner Meinung, denn seinerzeit wurde die Grüne Partei hauptsächlich von jungen<br />

Menschen gegründet, und erst kürzlich wurde wieder eine von jungen Menschen gegründet.<br />

(...) Dann erschien die Piratenpartei. Jetzt ist sie zwar nicht ganz so erfolgreich,<br />

im Hinblick auf die Wahlen, aber sie ist immer noch da und sie besteht auch aus jungen<br />

Menschen. Im Prinzip sind die jungen Menschen überall aktiv. Ich würde mir wünschen,<br />

dass diese Aktivitäten einen positiven Charakter annehmen. Natürlich muss es auch<br />

politischen Kampf und Wettbewerb geben. Ich hoffe sehr, dass dies geschehen wird,<br />

dass herausragende Führer entstehen, denn das Land braucht sie.<br />

Keine Diskriminierung Homosexueller<br />

Gerhard Mangott: Herr Präsident mein Name ist Gerhard Mangott aus Österreich und<br />

ich bin Professor für internationale Beziehungen an der Universität in Innsbruck. (...) Ich<br />

bewundere wirklich die Vielfalt ihres Landes. Es ist ein tolles Land. Aber diese Vielfalt<br />

ist auch der Nährboden für viele Widersprüche in Bezug auf die Werte. Sie erfordert<br />

gegenseitigen Respekt zwischen den Menschen. Den Respekt der Mehrheit gegenüber<br />

den Minderheiten, aber auch den Respekt der Minderheiten gegenüber der Mehrheit.<br />

Und ich persönlich befürworte die Liebe, die Liebe egal in welcher Form, egal welchen<br />

Ausdrucks, welche über das ganze Land verteilt sein sollte, ohne Schikane und ohne<br />

Angst, dafür schikaniert oder getötet zu werden.<br />

Putin: Gut lassen Sie uns mit ihrem zweiten Punkt beginnen. Es gibt keine Schikane<br />

auf sexueller Basis. Russland hat keine Gesetze zum Schikanieren sexueller Minderheiten<br />

wegen ihrer... ihrer was?<br />

85


«Die Identitäten der Völker erhalten»<br />

Zuruf: Wegen ihrer Orientierung.<br />

Genau, wegen ihrer sexuellen Orientierung! Solche Gesetze, die diese bestrafen,<br />

haben wir nicht! Daher brauchen Sie sich diesbezüglich keine Sorgen zu machen. Wir<br />

haben vor einiger Zeit ein Gesetz verabschiedet, das die Propaganda der Homosexualität<br />

gegenüber Minderjährigen untersagt. Ich möchte Ihnen den Sinn dieses Gesetzes<br />

erklären. In Ihrem Land [Österreich], in allen europäischen Ländern und in Russland<br />

gibt es ein großes Problem mit der Demografie. Das heißt, die Geburtenraten sind sehr<br />

niedrig. Die Europäer sterben aus! Verstehen Sie das denn nicht? Aus homosexuellen<br />

Ehen und Partnerschaften kommen keine Kinder! Verstehen Sie? Oder wollen Sie etwa<br />

dadurch überleben, indem Sie viele Einwanderer in Ihre Länder holen? Aber eine solch<br />

große Zahl an Einwanderern, die zur Reproduktion nötig wäre, kann die europäische<br />

Gesellschaft nicht adaptieren beziehungsweise assimilieren. Gut, Sie haben Ihre Wahl<br />

in Ihren Ländern getroffen. Homosexuellen-Ehe und das damit verbundene Recht, Kinder<br />

zu adoptieren und so weiter. Sie haben diese Entscheidungen in Ihren Ländern getroffen!<br />

Ihr Recht, bitte schön! Aber lassen Sie uns unser Recht, unsere Wahl selbstständig<br />

so zu treffen, wie wir sie für das Wohl unseres Landes als am besten betrachten!<br />

Und bezüglich der Rechte von Homosexuellen in Russland wiederhole ich: Vertreter<br />

der homosexuellen Minderheiten sind in Russland in keiner Weise in ihren Rechten<br />

beschränkt oder diskriminiert! Wir haben überhaupt keine Regelungen oder Gesetze,<br />

die die sexuellen Minderheiten irgendwie benachteiligen würden! Wir haben solche<br />

Gesetze nicht! Weder am Arbeitsplatz, noch sonstwo im alltäglichen Leben werden sexuelle<br />

Minderheiten bei uns benachteiligt. So etwas haben wir nicht! Ich habe bereits<br />

vorher diesen Sachverhalt mehrmals erklärt. Ich selber arbeite in meinem alltäglichen<br />

Leben mit solchen Menschen, die homosexuell sind, zusammen. Ich selber habe solchen<br />

Menschen mehrfach Staatsauszeichnungen für ihre beruflichen Verdienste verliehen.<br />

Also, Sie brauchen hier keine antirussischen Ängste zu schüren beziehungsweise ein<br />

Angstklima zu erzeugen! Diese Besorgnis ist sehr weit hergeholt.<br />

Übrigens, sehen Sie: In einigen Ländern wird Homosexualität noch heute gesetzlich<br />

bestraft. Zum Beispiel sind in einigen Bundesstaaten der USA Gefängnisstrafen für Homosexualität<br />

vorgesehen. Diese Gesetze sind heute noch in Kraft! Das Bundesgericht<br />

der USA ist gegen diese Gesetze in jenen Bundesstaaten der USA, weil sie nach dessen<br />

Meinung gegen die US-Verfassung verstoßen. Aber das US-Bundesgericht schafft es<br />

trotzdem nicht, diese Gesetze außer Kraft zu setzen, warum auch immer. Also warum<br />

beschuldigen alle diesbezüglich ausgerechnet Russland? Warum werden gegen Russland<br />

Ängste geschürt? Homosexuelle haben in Russland keine Probleme. Bitte lassen<br />

Sie diese Angstmacherei!<br />

Quelle: eng.kremlin.ru/news/6007 (Auszüge). Übersetzung: Yasmin Pazio<br />

86


«Das wäre eine<br />

humanitäre Mission»<br />

_ Über ein mögliches militärisches Eingreifen in der Ukraine nach dem Umsturz in Kiew:<br />

Auszüge aus der Rede vor Pressevertretern am 4. März 2014<br />

Am 22. Februar 2014 wurde der ukrainische Präsident Viktor Janukowitsch von<br />

Aufständischen gestürzt und eine neue Regierung, gebildet aus bisherigen Oppositionskräften,<br />

übernahm die Macht. Dabei wurden wesentliche Verfassungsgrundsätze<br />

gebrochen.<br />

Zuerst gebe ich Ihnen meine Einschätzung von dem, was in Kiew und in der ganzen<br />

Ukraine passiert ist. Da kann es nur eine Einschätzung geben: Das war eine gegen die<br />

Verfassung gerichtete Übernahme, eine bewaffnete Machtergreifung. Stellt das irgend<br />

jemand in Frage? Niemand stellt es in Frage.<br />

Hier gibt es aber eine Frage, die weder ich noch meine Kollegen, mit denen ich, wie<br />

Sie wissen, die Situation in der Ukraine in diesen vergangenen Tagen immer wieder<br />

diskutiert habe, beantworten kann – keiner von uns kann sie beantworten. Die Frage<br />

lautet: Warum wurde das gemacht?<br />

Der Putsch vom 22. Februar 2014<br />

Ich möchte Ihre Aufmerksamkeit auf die Tatsache richten, dass Präsident Janukowitsch<br />

durch die Vermittlung der Außenminister dreier europäischer Länder – Polens,<br />

Deutschlands und Frankreichs – und in Gegenwart meines Vertreters [das war der Russische<br />

Kommissar für Menschenrechte Wladimir Lukin] am 21. Februar eine Vereinbarung<br />

mit der Opposition unterzeichnet hat. Ich möchte betonen, dass gemäß dieser Vereinbarung<br />

– ich sage nicht, dass sie gut oder schlecht ist, nur um die Tatsache festzuhalten<br />

– Herr Janukowitsch eigentlich die Macht übergeben hat. Er hat allen Forderungen der<br />

Opposition zugestimmt: Er stimmte vorgezogenen Parlamentswahlen zu und der Rückkehr<br />

zur Verfassung von 2004, wie es von der Opposition verlangt wurde. Er gab eine positive<br />

Antwort auf unsere Anfrage, die Anfrage der westlichen Länder und zuvorderst die<br />

der Opposition, keine Gewalt anzuwenden. Er gab keinen einzigen illegalen Befehl aus,<br />

auf die armen Demonstranten zu schießen. Darüber hinaus gab er den Befehl aus, alle<br />

Polizeikräfte aus der Hauptstadt abzuziehen, und sie stimmten zu. Er ging nach Charkow,<br />

um an einem Empfang teilzunehmen, und als er die Stadt verließ, besetzten sie plötz-<br />

87


Angehöriger der ukrainischen Spezialeinheit Berkut während der Maidan-Proteste im Februar 2014.<br />

Foto: Mstyslav Chernov; CCL 3.0<br />

lich die Residenz des Präsidenten und das Regierungsgebäude, anstatt die besetzten<br />

Verwaltungsgebäude freizugeben – all das, statt gemäß der Vereinbarung zu handeln.<br />

Ich frage mich, was war die Absicht von all dem? Ich möchte verstehen, warum das<br />

gemacht wurde. Er [Janukowitsch] hatte tatsächlich seine Macht bereits abgegeben<br />

und hätte – ich glaube, ich habe ihm das gesagt – keine Chance gehabt, wiedergewählt<br />

zu werden. Jeder stimmt dem zu, jeder, mit dem ich in den wenigen vergangenen Tagen<br />

am Telefon gesprochen habe. Was war die Absicht all dieser illegalen, verfassungswidrigen<br />

Handlungen, warum mussten sie so ein Chaos in dem Land anrichten?<br />

Bewaffnete und maskierte Militante streunen noch immer durch die Straßen von<br />

Kiew. Dies ist eine Frage, auf die es keine Antwort gibt. Wollten sie jemanden erniedrigen<br />

und ihre Macht demonstrieren? Ich denke, diese Handlungen sind absolut töricht.<br />

Das Ergebnis ist genau das Gegenteil von dem, was sie erwarteten, weil ihre Handlungen<br />

den Osten und den Südosten der Ukraine beträchtlich destabilisiert haben.<br />

88<br />

Die Vorgeschichte des Putsches<br />

Wie kam es zu dieser Situation? Meiner Ansicht nach gärt diese revolutionäre Situation<br />

schon lange, seit den ersten Tagen der Unabhängigkeit der Ukraine. Der normale<br />

ukrainische Bürger, der normale Mensch, litt während der Herrschaft von [Zar] Nikolaus<br />

II., während der Herrschaft von [Leonid] Kutschma [1992/1994 bis 2005], und während<br />

der von [Viktor] Juschtschenko [2005 bis 2010] und der von Janukowitsch. Nichts oder<br />

fast nichts hat sich zum Besseren gewendet. Die Korruption hat Dimensionen erreicht,<br />

die man sich hier in Russland nicht vorstellen kann. Akkumulation von Wohlstand und<br />

soziale Unterschiede – Probleme, die auch in diesem Land [Russland] akut sind – sind in<br />

der Ukraine um vieles schlimmer, grundlegend schlimmer. Da sind sie jenseits von allem,<br />

was wir uns vorstellen können. Die Menschen wollten Veränderung, aber man sollte<br />

keine illegalen Veränderungen unterstützen.<br />

Im postsowjetischen Raum, in dem die politischen Strukturen noch sehr fragil sind<br />

und die Wirtschaft noch schwach ist, sollten nur verfassungsmäßige Mittel benutzt wer-


Auszüge aus der Rede vor Pressevertretern am 4. März 2014<br />

den. Über das verfassungsmäßige Feld hinauszugehen, wäre in solch einer Situation<br />

immer ein Kardinalfehler.<br />

Übrigens verstehe ich die Menschen auf dem Maidan [zentraler Protestplatz der Opposition<br />

in Kiew], obwohl ich diese Art der Übernahme nicht unterstütze. Ich verstehe diese<br />

Menschen auf dem Maidan, die nach einer radikalen Veränderung rufen, anstatt einer<br />

kosmetischen Umgestaltung der Macht. Warum verlangen sie das? Weil sie damit aufgewachsen<br />

und gewohnt sind, dass eine Reihe von Dieben durch eine weitere ersetzt wurde.<br />

Darüber hinaus werden die Menschen in den Regionen nicht einmal daran beteiligt,<br />

ihre eigenen Regionalregierungen zu bilden. Es gab einen Zeitabschnitt in diesem Land<br />

[Russland], als der Präsident regionale Führungskräfte bestimmte, diese aber dann von<br />

den örtlichen Gesetzgebern anerkannt werden mussten, während sie in der Ukraine direkt<br />

ernannt werden. Wir [in Russland] haben uns jetzt zu Wahlen hinbewegt, während<br />

sie nicht einmal nahe daran sind.<br />

Und sie [die neuen Machthaber in Kiew] haben alle möglichen Oligarchen und Milliardäre<br />

ernannt, um die östlichen Gebiete des Landes zu regieren. Kein Wunder, dass<br />

die Menschen das nicht akzeptieren, kein Wunder, dass sie denken – genauso viele<br />

Menschen denken das auch hier –, dass jene Personen auf Grund von unehrlicher Privatisierung<br />

reich geworden und jetzt auch an die Macht gekommen sind.<br />

Zum Beispiel wurde Herr Kolomoisky zum Gouverneur von Dnepropetrovsk ernannt.<br />

Das ist ein erstrangiger Gauner. Es ist ihm vor zwei oder drei Jahren sogar gelungen,<br />

unseren Oligarchen Roman Abramowitsch zu betrügen. Ihn über den Tisch zu ziehen, wie<br />

es unsere Intellektuellen gerne sagen. Sie haben irgendeinen Deal abgemacht, Abramowitsch<br />

hat mehrere Milliarden Dollar überwiesen, während dieser Typ nie geliefert und<br />

das Geld in die eigene Tasche gesteckt hat. Als ich ihn [Abramowitsch] fragte: «Warum<br />

hast du es gemacht?», sagte er: «Ich hätte das nie für möglich gehalten.» Ich weiß übrigens<br />

nicht, ob er je sein Geld zurückbekommen hat und ob der Handel abgeschlossen<br />

wurde. Aber das hat sich wirklich vor ein paar Jahren abgespielt. Und jetzt ist dieser Gauner<br />

zum Gouverneur von Dnepropetrovsk ernannt worden. Kein Wunder, dass die Menschen<br />

unzufrieden sind. Sie waren unzufrieden und werden es bleiben, wenn jene, die<br />

sich jetzt selbst als die legitime Autorität bezeichnen, auf die gleiche Art weiter machen.<br />

Die neue Macht ist illegal<br />

Das Wichtigste ist: Die Menschen sollten das Recht haben, ihre eigene Zukunft zu<br />

bestimmen, die ihrer Familien und ihrer Region, und dort gleichberechtigt mitwirken<br />

können. Ich möchte das betonen: Wo immer eine Person lebt, in welchem Landesteil<br />

auch immer, er oder sie sollte das Recht haben, gleichberechtigt die Zukunft des Landes<br />

mitbestimmen zu können.<br />

89


«Das wäre eine humanitäre Mission»<br />

Sind die jetzigen Autoritäten rechtmäßig? Das Parlament ist es zum Teil, aber alle<br />

anderen sind es nicht. Der jetzt amtierende Präsident [Olexandr Turtschynow] ist sicher<br />

nicht rechtmäßig. Es gibt aus rechtlicher Sicht nur einen rechtmäßigen Präsidenten. Natürlich,<br />

er hat keine Macht. Wie ich jedoch schon sagte, und ich werde es wiederholen:<br />

Janukowitsch ist der einzige zweifelsfrei rechtmäßige Präsident.<br />

Es gibt drei Arten, wie man nach ukrainischem Gesetz einen Präsidenten absetzen<br />

kann: Die eine ist durch Tod, eine weitere ist, wenn er persönlich zurücktritt, und die<br />

dritte ist durch ein Absetzungsverfahren. Das letztere ist eine gut entwickelte verfassungsmäßige<br />

Norm. Es muss den Verfassungsgerichtshof, den obersten Gerichtshof und<br />

die Rada [das Parlament] mit einbeziehen. Das ist ein kompliziertes und langwieriges<br />

Verfahren. Es wurde noch nicht angewendet. Daher ist dies [die Präsidentschaft Janukowitschs]<br />

aus rechtlicher Sicht eine unbestrittene Tatsache.<br />

Außerdem denke ich: Vielleicht ist das der Grund, warum sie [die neuen Machthaber]<br />

das Verfassungsgericht aufgelöst haben, was allen rechtlichen Normen zuwiderläuft,<br />

sowohl denen der Ukraine als auch denen von Europa. Sie haben nicht nur das Verfassungsgericht<br />

auf eine unrechtmäßige Art aufgelöst, sondern, stellen Sie sich vor, sie<br />

haben auch die Generalstaatsanwaltschaft angewiesen, gegen Mitglieder des Verfassungsgerichts<br />

strafrechtlich vorzugehen.<br />

Worum geht es eigentlich? Ist es das, was sie freie Justiz nennen? Wie kann man irgend<br />

jemanden anweisen, strafrechtlich vorzugehen? Wenn eine Straftat, eine strafbare<br />

Handlung begangen worden ist, sehen das die Exekutivorgane und reagieren. Aber sie<br />

anzuweisen, Strafanzeigen zu erstatten, ist Unsinn, das sind krumme Touren.<br />

90<br />

Russischer Militäreinsatz als Notwehr<br />

Nun zur Finanzhilfe an die Krim. Wie Sie vielleicht wissen, haben wir entschieden,<br />

in den russischen Regionen Unterstützung zu organisieren, um der Krim zu helfen, die<br />

sich wegen humanitärer Hilfe an uns wandte. Wir werden sie natürlich zur Verfügung<br />

stellen. Ich kann nicht sagen, wie viel, wann oder wie – die Regierung arbeitet daran,<br />

indem sie die Regionen, die an die Krim grenzen, an einen Tisch bringt und indem sie<br />

unseren Regionen zusätzliche Unterstützung bietet, damit sie dem Volk der Krim helfen<br />

können. Das werden wir selbstverständlich tun.<br />

Was die Entsendung von Truppen, den Einsatz bewaffneter Kräfte, betrifft: Bisher<br />

besteht dazu keine Notwendigkeit, aber die Möglichkeit bleibt bestehen. Ich möchte<br />

hier sagen, dass die Militärmanöver, die wir kürzlich durchführten, nichts mit den Ereignissen<br />

in der Ukraine zu tun hatten. Sie waren vorher geplant, aber wir haben diese<br />

Pläne natürlich nicht offengelegt, denn es handelte sich um eine Spontaninspektion der<br />

Kampfbereitschaft der Truppen. Wir planten das schon vor langem, der Verteidigungs-


Auszüge aus der Rede vor Pressevertretern am 4. März 2014<br />

minister berichtete mir, und ich hatte den Befehl bereit, um die Übung zu beginnen. Wie<br />

Sie vielleicht wissen, sind die Manöver vorbei; ich gab den Truppen gestern den Befehl,<br />

in ihre regulären Standorte zurückzukehren.<br />

Was kann als Grund für den Einsatz bewaffneter Kräfte dienen? Eine solche Maßnahme<br />

wäre bestimmt das letzte Mittel.<br />

Erstens, zur Frage der Rechtmäßigkeit. Wie Sie wahrscheinlich wissen, erhielten wir<br />

ein direktes Gesuch des Amtsinhabers und, wie ich schon sagte, rechtmäßigen Präsidenten<br />

der Ukraine, Herrn Janukowitsch, der uns darum bat, die Streitkräfte einzusetzen,<br />

um das Leben, die Freiheit und die Gesundheit der Bürger der Ukraine zu schützen.<br />

Was ist unsere größte Sorge? Wir sehen, dass das Wüten der reaktionären Kräfte,<br />

der nationalistischen und antisemitischen Kräfte in gewissen Teilen [der Ukraine], auch<br />

in Kiew, weitergeht. Ich bin sicher, dass Sie, Vertreter der Medien, sahen, wie [vor dem<br />

Umsturz] einer der Gouverneure gefesselt und mit Handschellen an etwas gekettet wurde<br />

und wie sie, in der winterlichen Kälte, Wasser über ihn gossen. Danach wurde er<br />

übrigens in einen Keller gesperrt und gefoltert.<br />

Worum geht es hier eigentlich? Ist das Demokratie? Ist dies eine Erscheinungsform<br />

von Demokratie? Er [der gefolterte Gouverneur] ist in Wirklichkeit erst vor kurzem, ich<br />

glaube im Dezember, in diese Position berufen worden. Selbst wenn wir annehmen,<br />

dass sie dort alle korrupt sind, hatte er kaum Zeit, etwas zu entwenden.<br />

Und wissen Sie, was geschah, als sie [die Putschisten] das Gebäude der Partei der<br />

Regionen [der Janukowitsch-Partei] besetzten? Zu der Zeit waren überhaupt keine Parteimitglieder<br />

dort. Zwei oder drei Angestellte kamen heraus, einer war ein Ingenieur,<br />

und er sagte zu den Angreifern: «Könnten Sie uns gehen lassen? Und lassen Sie die<br />

Frauen raus, bitte. Ich bin Ingenieur, ich habe nichts mit Politik zu tun.» Er wurde genau<br />

dort vor der Menge erschossen. Ein anderer Angestellter wurde in einen Keller geführt,<br />

und dann warfen sie Molotowcocktails auf ihn und verbrannten ihn lebendig. Ist auch<br />

das eine Manifestation von Demokratie?<br />

Wenn wir das sehen, verstehen wir die Sorgen der Bürger der Ukraine, der russischen<br />

wie der ukrainischen, und der russischsprachigen Bevölkerung in den östlichen<br />

und südlichen Regionen der Ukraine. Es ist dieses unkontrollierte Verbrechen, das sie<br />

beunruhigt.<br />

Wenn wir sehen, wie sich solche unkontrollierte Kriminalität in die östlichen Gebiete<br />

des Landes ausbreitet und die Menschen uns um Hilfe bitten, und da wir schon das<br />

offizielle Ersuchen des rechtmäßigen Präsidenten haben, behalten wir uns das Recht<br />

vor, alle verfügbaren Mittel einzusetzen, um diese Menschen zu schützen. Wir sind überzeugt,<br />

dass das absolut legitim wäre. Das wäre unser letztes Mittel.<br />

91


«Das wäre eine humanitäre Mission»<br />

Was ich außerdem dazu sagen möchte, ist Folgendes: Wir haben die Ukraine immer<br />

nicht bloß als Nachbarn, sondern als benachbarte Schwesterrepublik betrachtet, und<br />

werden das auch weiterhin tun. Unsere Streitkräfte sind Waffenbrüder, Freunde, viele<br />

von ihnen kennen sich persönlich. Ich bin sicher, und ich betone das, ich bin sicher, dass<br />

die ukrainische Armee und die russische Armee sich nicht gegenüberstehen werden, sie<br />

werden in einem Kampf auf derselben Seite stehen.<br />

Übrigens vollzieht sich das, worüber ich spreche – diese Einigkeit –, auf der Krim. Sie<br />

sollten zur Kenntnis nehmen, dass dort Gott sei Dank nicht ein einziger Schuss gefallen<br />

ist. Es gibt keine Opfer, mit Ausnahme derer beim Massenauflauf auf dem Platz [in der<br />

Krimhauptstadt Simferopol] vor rund einer Woche. Was geschah dort? Leute kamen, umringten<br />

Einheiten der bewaffneten Kräfte und sprachen mit ihnen und überzeugten sie davon,<br />

die Forderungen und den Willen der Menschen, die in dem Gebiet leben, zu befolgen.<br />

Es gab nicht einen einzigen bewaffneten Konflikt, nicht einen einzigen Gewehrschuss.<br />

Daher ebbte die Spannung auf der Krim, mit der die Möglichkeit eines Einsatzes<br />

unserer Streitkräfte zusammenhing, ab, und es gab keine Notwendigkeit für einen Einsatz.<br />

Das einzige, was wir zu tun hatten, und das taten wir, war die bessere Sicherung<br />

unserer Militäreinrichtungen, weil sie ständig Drohungen erhielten und wir Kenntnis<br />

vom Eindringen der bewaffneten nationalistischen Bewegung hatten. Wir taten das, wir<br />

taten das Richtige, und es war genau zur rechten Zeit. Deshalb gehe ich von der Vorstellung<br />

aus, dass wir nichts Derartiges in der Ostukraine werden tun müssen.<br />

Dennoch möchte ich etwas betonen. Das, was ich sagen werde, gehört offensichtlich<br />

nicht in meine Zuständigkeit, und wir beabsichtigen nicht, einzugreifen. Aber wir sind<br />

fest davon überzeugt, dass allen Bürgern der Ukraine, ich wiederhole, wo immer sie leben,<br />

das gleiche Recht gewährt werden sollte, sich am Leben ihres Landes zu beteiligen<br />

und seine Zukunft zu bestimmen.<br />

Wenn ich in den Schuhen derjenigen stehen würde, die sich selbst als rechtmäßige<br />

Behörden betrachten, würde ich keine Zeit vergeuden und alle notwendigen Schritte<br />

in die Wege leiten; denn sie [diese Behörden] haben kein nationales Mandat, um die<br />

Innen-, Außen- und Wirtschaftspolitik der Ukraine zu führen, und vor allem, ihre Zukunft<br />

zu bestimmen.<br />

92<br />

Nun zum Aktienmarkt. Wie Sie vielleicht wissen, war die Börse schon nervös, bevor<br />

sich die Situation in der Ukraine verschlechterte. Das hängt in erster Linie mit der Politik<br />

der Federal Reserve zusammen, deren jüngste Entscheidungen die Attraktivität einer<br />

Investition in die US-Wirtschaft erhöhten. Und die Investoren begannen, ihre Fonds von<br />

den sich entwickelnden Märkten in den amerikanischen Markt zu verschieben. Das ist<br />

ein allgemeiner Trend und hat nichts mit der Ukraine zu tun. Ich glaube, es war Indien,<br />

das am meisten in Mitleidenschaft gezogen wurde, wie auch die übrigen BRICS-Staa-


Proteste in Kiew zu Jahresbeginn 2014. Foto: Turchynow; CCL 3.0<br />

ten. Russland war davon auch betroffen, nicht so hart wie Indien, aber es war es. Das<br />

ist der wesentliche Grund. Was die Ereignisse in der Ukraine betrifft, so beeinflusst die<br />

Politik den Aktienmarkt immer in der einen oder anderen Weise. Geld liebt Ruhe, Stabilität<br />

und Gelassenheit. Dennoch denke ich, dass dies eine taktische, vorübergehende<br />

Entwicklung und ein vorübergehender Einfluss ist. (…)<br />

Die geopolitische Erpressung<br />

Unsere Partner, vor allem in den Vereinigten Staaten, formulieren ihre eigenen geopolitischen<br />

und Staatsinteressen immer klar und verfolgen sie mit Beharrlichkeit. Dem<br />

Prinzip folgend, «Ihr seid entweder mit uns oder gegen uns», ziehen sie sodann die<br />

ganze Welt mit hinein. Und jene, die nicht mitmachen, werden solange «geprügelt», bis<br />

sie es tun.<br />

Unser Ansatz ist anders. Wir gehen von der Überzeugung aus, dass wir alles tun,<br />

um rechtmäßig zu handeln. Ich persönlich war immer ein Befürworter des Vorgehens<br />

in Übereinstimmung mit dem Völkerrecht. Ich möchte zum wiederholten Male betonen,<br />

dass wir, wenn wir die Entscheidung treffen, wenn ich die Entscheidung treffe, die<br />

Streitkräfte [in der Ukraine] einzusetzen, dann wird das eine rechtmäßige Entscheidung<br />

sein in voller Übereinstimmung, sowohl mit den allgemeinen Normen des Völkerrechtes<br />

– da wir das rechtmäßige Gesuch des rechtmäßigen Präsidenten [Janukowitsch]<br />

haben, – als auch mit unseren Verpflichtungen; in diesem Fall mit unseren Interessen<br />

zum Schutz des Volkes, mit dem wir enge historische, kulturelle und wirtschaftliche<br />

Verbindungen haben. Diese Menschen zu schützen, liegt in unserem nationalen Interesse.<br />

Das ist eine humanitäre Mission. Wir haben nicht die Absicht, irgend jemanden<br />

zu unterwerfen oder jemandem zu diktieren. Wir können aber nicht indifferent bleiben,<br />

wenn wir sehen, dass sie verfolgt, vernichtet und erniedrigt werden. Dennoch hoffe ich<br />

aufrichtig, dass es nie soweit kommen wird. (...)<br />

Quelle: eng.kremlin.ru/transcripts/6763). Übersetzung: zeit-fragen.ch.<br />

93


«Das Volk ist die Quelle<br />

einer jeden Macht»<br />

_ Rede zum Beitritt der Krim zur Russischen Föderation im Kreml am 18. März 2014<br />

Bei einem Referendum auf der Halbinsel Krim am 16. März 2014 sprachen sich nach<br />

Angaben der russischen Nachrichtenagentur RIA Novosti 96,77 Prozent der Abstimmenden<br />

für einen Anschluss an Russland aus; die Wahlbeteiligung hat demnach 83,1<br />

Prozent betragen.<br />

Guten Tag, sehr verehrte Mitglieder des Föderationsrats, sehr verehrte Abgeordnete<br />

der Staatsduma. Sehr geehrte Vertreter der Republik Krim und der Stadt Sewastopol –<br />

ja, sie sind hier, unter uns, als Bürger Russlands, Einwohner der Krim und Sewastopols.<br />

Verehrte Freunde, heute haben wir uns zur Besprechung einer Frage hier versammelt,<br />

die lebenswichtig und von historischem Ausmaß für uns alle ist. Am 16. März hat auf der<br />

Krim ein Referendum stattgefunden. Dieses Referendum verlief in voller Übereinstimmung<br />

mit demokratischen Normen und internationalen Vorschriften.<br />

An der Abstimmung haben mehr als 82 Prozent der Wähler teilgenommen, über 96<br />

Prozent sprachen sich für einen Anschluss an Russland aus. Diese Zahlen sind durchaus<br />

überzeugend.<br />

Um zu verstehen, warum es zu genau dieser Wahl gekommen ist, genügt es, die<br />

Geschichte Russlands zu kennen und zu verstehen, was die Krim für Russland und was<br />

Russland für die Krim bedeutet.<br />

94<br />

Zur Geschichte der Krim<br />

Alles auf der Krim ist von unserer gemeinsamen Geschichte, unserem gemeinsamen<br />

Stolz durchdrungen. Hier liegt das antike Chersones, wo der heilige Fürst Wladimir getauft<br />

wurde. Seine geistliche Aufopferung – die Annahme des orthodoxen Glaubens –<br />

bestimmte die allgemeine kulturelle Basis, das Wertesystem und die Zivilisation voraus,<br />

welche die Völker Russlands, der Ukraine und Weißrusslands vereint. Auf der Krim gibt<br />

es Gräber der russischen Soldaten, durch deren Heldenmut die Krim im Jahre 1783 unter<br />

russische Herrschaft kam. Die Krim – das ist Sewastopol, eine Legende von einer Stadt,<br />

eine Stadt mit einem großartigen Schicksal, eine Festungsstadt und die Heimatstadt der


Rede zum Beitritt der Krim zur Russischen Föderation im Kreml am 18. März 2014<br />

Schwarzmeerflotte. Die Krim – das ist Balaklawa und Kertsch, Malachow und Sapungora.<br />

Jeder dieser Orte ist ein Heiligtum für uns, all das sind Symbole für militärischen<br />

Ruhm und Heroismus.<br />

Die Krim ist eine einmalige Mischung aus den Kulturen und den Traditionen verschiedener<br />

Völker, und auch dadurch ähnelt sie dem großen Russland, wo im Verlauf der<br />

Jahrhunderte keine einzige der zahlreichen Völkerschaften verschwunden ist oder sich<br />

aufgelöst hat. Russen und Ukrainer, Krimtataren und Vertreter anderer Völkerschaften<br />

lebten und wirkten gemeinsam auf dem Boden der Krim, sie bewahrten sich ihre Eigenständigkeit,<br />

ihre Sprache und ihren Glauben.<br />

Übrigens sind von den 2.200.000 Einwohnern der Krim heute fast anderthalb Millionen<br />

Russen, 350.000 Ukrainer, die überwiegend die russische Sprache als ihre Muttersprache<br />

betrachten, sowie ungefähr 290.000 bis 300.000 Krimtataren, von denen ein<br />

bedeutender Teil, wie das Referendum gezeigt hat, sich ebenfalls in Richtung Russland<br />

orientiert.<br />

Ja, es gab eine Zeit, als man den Krimtataren, wie auch anderen Völkerschaften der<br />

UdSSR gegenüber mit Härte und Ungerechtigkeit aufgetreten ist. Ich will eines sagen:<br />

Millionen von Menschen verschiedener Nationalitäten wurden Opfer der damaligen Repressionen,<br />

vor allem natürlich auch Russen. Die Krimtataren sind inzwischen in ihre<br />

Heimat zurückgekehrt. Ich bin der Ansicht, dass es notwendig ist, alle politischen und<br />

rechtlichen Schritte zu unternehmen, die Rehabilitation der Krimtataren zu vollenden<br />

und ihren guten Namen in vollem Umfang wiederherzustellen.<br />

Russland und die Krim unterzeichnen den Beitrittsvertrag am 18. März 2014. Foto: Kremlin.ru; Public Domain<br />

95


«Das Volk ist die Quelle einer jeden Macht»<br />

Wir achten Vertreter aller Nationalitäten, die auf der Krim leben. Das ist ihr gemeinsames<br />

Haus, ihre kleine Heimat, und es wäre sicher richtig – denn ich weiß, dass die<br />

Einwohner der Krim das unterstützen –, gäbe es dort nebeneinander drei gleichberechtigte<br />

Landessprachen: Russisch, Ukrainisch und Krimtatarisch.<br />

Verehrte Kollegen! Im Herzen und im Bewusstsein der Menschen war und bleibt die<br />

Krim ein unabdingbarer Bestandteil Russlands. Diese auf der Wahrheit und Gerechtigkeit<br />

beruhende Überzeugung war unerschütterlich und wurde von einer Generation<br />

an die nächste übergeben, vor ihr waren Zeit, Umstände und all die dramatischen Umbrüche<br />

machtlos, die wir und unser Land im Verlauf des 20. Jahrhunderts durchlitten<br />

haben.<br />

Nach der Revolution haben die Bolschewiken aus verschiedenen Beweggründen,<br />

Gott möge ihnen ein Richter sein, bedeutende Gebiete des historischen Südrussland<br />

an die Ukrainische Unionsrepublik abgetreten. Das passierte ohne Berücksichtigung der<br />

nationalen Zusammensetzung der Bewohner, und das ist der heutige Südosten der Ukraine.<br />

1954 folgte dann die Entscheidung, den Oblast Krim an die Ukraine zu übergeben,<br />

dazu kam noch die Stadt Sewastopol, obwohl diese damals direkt der Union unterstand.<br />

Der Initiator dahinter war der Chef der Kommunistischen Partei der Sowjetunion, [Nikita]<br />

Chruschtschow, persönlich. Was seine Beweggründe waren, ob das Streben nach<br />

Unterstützung bei der ukrainischen Nomenklatur oder das Bemühen, seine Mitschuld<br />

an den massiven Repressionen in der Ukraine in den 1930er Jahren auszubügeln, sei<br />

dahingestellt; das mögen Historiker untersuchen.<br />

96<br />

Demokratie für die Krim<br />

Für uns ist etwas anderes wichtig: Diese Entscheidung war eine Verletzung aller<br />

schon damals gültigen verfassungsmäßigen Normen. Diese Entscheidung wurde im Geheimen,<br />

in Hinterzimmern getroffen. Natürlich wurde unter den Bedingungen des totalitären<br />

Staates nicht die Meinung der Bewohner der Krim und Sewastopols eingeholt.<br />

Natürlich gab es Fragen, warum denn die Krim plötzlich zur Ukraine gehört. Aber im<br />

Großen und Ganzen, das muss man direkt so sagen, wir verstehen das ja, wurde diese<br />

Entscheidung als reine Formsache empfunden, denn es war ja nichts als eine Umverteilung<br />

von Territorium innerhalb eines großen Landes. Damals war es nicht vorstellbar,<br />

dass die Ukraine und Russland einmal nicht mehr zusammen sind, dass sie zu verschiedenen<br />

Staaten werden. Aber so ist es gekommen.<br />

Das, was unwahrscheinlich schien, wurde leider zu Realität. Die Sowjetunion zerfiel.<br />

Die Ereignisse entwickelten sich so schnell, dass kaum jemand unter den damaligen<br />

Menschen die ganze Dramatik der Ereignisse und ihrer Folgen einzuschätzen wusste.<br />

Viele Menschen sowohl in Russland, als auch in der Ukraine und auch in anderen ehe-


Rede zum Beitritt der Krim zur Russischen Föderation im Kreml am 18. März 2014<br />

maligen Sowjetrepubliken hofften, dass die damals neu entstandene Gemeinschaft Unabhängiger<br />

Staaten zu einer neuen Form einer gemeinsamen Staatlichkeit erwächst. Es<br />

wurden ja eine gemeinsame Währung, ein einheitlicher Wirtschaftsraum und gemeinsame<br />

Streitkräfte versprochen, doch all das blieben nur Versprechungen, dabei hat aber<br />

ein großes Land aufgehört zu existieren. Als die Krim sich nun auf dem Gebiet eines<br />

anderen Staates befand, hat Russland das so empfunden, als sei es nicht nur beraubt,<br />

sondern nach allen Regeln der Kunst bestohlen worden.<br />

Gleichzeitig muss man einräumen, dass Russland selbst durch die Initiierung der Unabhängigkeitserklärungen<br />

dem Zerfall der UdSSR Vorschub geleistet hat, bei dessen Gestaltung<br />

sowohl die Krim, als auch die Hauptbasis der Schwarzmeerflotte Sewastopol<br />

vergessen wurden. Millionen von Russen gingen in einem Land schlafen, und wachten<br />

hinter einer Grenze auf; sie wurden in einem Augenblick zu einer nationalen Minderheit<br />

in den ehemaligen Sowjetrepubliken, und das russische Volk wurde damals zum größten<br />

geteilten Volk der Welt.<br />

Heute, viele Jahre später, hörte ich, wie die Einwohner der Krim sagten, dass sie<br />

damals, 1991, wie ein Sack Kartoffeln einfach aus den einen Händen in andere übergeben<br />

wurden. Es ist schwer, dem zu widersprechen. Der russische Staat tat – was?<br />

Er senkte sein Haupt und fand sich damit ab, schluckte diese Beleidigung. Unser Land<br />

befand sich damals in einer kritischen Lage, es konnte einfach nicht für seine Interessen<br />

einstehen. Doch die Menschen konnten sich mit dieser himmelschreienden historischen<br />

Ungerechtigkeit nicht abfinden. All diese Jahre haben sowohl die Bürger, als auch viele<br />

Persönlichkeiten der Gesellschaft dieses Thema oft angesprochen, indem sie sagten,<br />

dass die Krim seit jeher russische Erde sei, und Sewastopol eine russische Stadt. Ja,<br />

wir haben all das gut verstanden und im Herzen und in der Seele nachfühlen können,<br />

aber man musste von den Gegebenheiten ausgehen und nun auf einer neuen Grundlage<br />

gutnachbarliche Beziehungen mit der unabhängigen Ukraine aufbauen. Die Beziehungen<br />

zur Ukraine, mit dem ukrainischen Brudervolk waren und bleiben für uns höchst wichtig<br />

– ganz ohne Übertreibung.<br />

Heute kann man bereits offen darüber sprechen, deswegen möchte ich Ihnen einige<br />

Details aus den Verhandlungen vom Beginn der 2000er Jahre anführen. Damals hat<br />

der ukrainische Präsident [Leonid] Kutschma mich gebeten, den Prozess der Grenzziehung<br />

der russisch-ukrainischen Grenze zu beschleunigen. Bis dahin war dieser Prozess<br />

faktisch nicht vorangekommen. Irgendwie hatte Russland die Krim als Teil der Ukraine<br />

anerkannt, doch Gespräche über eine Grenzziehung gab es nicht. Ich war mir der ganzen<br />

Schwierigkeiten dieser Sache bewusst, gab aber gleich Anweisung, mit dieser Arbeit zu<br />

beginnen, nämlich die Grenzen festzuschreiben, damit alle verstehen: Durch ein Einverständnis<br />

mit einer Grenzziehung erkennen wir die Krim de facto und de jure als ukrainisches<br />

Territorium an, womit wir diese Frage ein für alle Mal klären.<br />

97


«Das Volk ist die Quelle einer jeden Macht»<br />

Wir sind der Ukraine nicht nur in der Frage der Krim entgegengekommen, sondern<br />

auch in solch schwierigen Fragen wie der Grenzziehung im Aquatorium des Asowschen<br />

Meeres und der Straße von Kertsch. Wovon sind wir damals ausgegangen? Wir gingen<br />

davon aus, dass ein gutnachbarliches Verhältnis zur Ukraine für uns das Wichtigste<br />

ist, und dass es nicht Geisel unauflösbarer Territorialstreitigkeiten sein dürfe. Aber bei<br />

alledem rechneten wir natürlich auch damit, dass die Ukraine uns ein guter Nachbar<br />

sein wird, dass die Russen und die russischsprachigen Bürger in der Ukraine, besonders<br />

in ihrem Südosten, in Verhältnissen eines freundschaftlichen, demokratischen und<br />

zivilisierten Staates leben werden, wo ihre Rechte in Entsprechung mit internationalen<br />

Normen gewährleistet werden.<br />

Allerdings begann die Lage sich anders zu entwickeln. Mal für Mal kam es zu Versuchen,<br />

die Russen ihrer historischen Erinnerungen zu berauben, mitunter auch ihrer<br />

Muttersprache, womit sie zwangsweise assimiliert werden sollten. Natürlich litten die<br />

Russen wie auch andere Bürger der Ukraine unter der permanenten politischen und<br />

staatlichen Krise, welche die Ukraine bereits seit mehr als 20 Jahren erschüttert.<br />

Staatsstreich in der Ukraine<br />

Ich kann gut verstehen, warum die Menschen in der Ukraine Veränderung wollten.<br />

In den Jahren der Unabhängigkeit sind sie dieser Staatsmacht überdrüssig geworden.<br />

Es wechselten die Präsidenten, die Premiers, die Abgeordneten der Rada, aber das Verhältnis<br />

zu ihrem Land, zum Volk, blieb immer das Gleiche. Sie saugten die Ukraine aus,<br />

«Marsch für den Frieden» in Moskau am 15. März 2014. Foto: Dharmikatva; CC BY-SA 3.0<br />

98


Rede zum Beitritt der Krim zur Russischen Föderation im Kreml am 18. März 2014<br />

stritten untereinander um Vollmachten, Aktiva und Finanzströme. Dabei interessierte<br />

es die Mächtigen kaum, wie es den einfachen Menschen geht, warum beispielsweise<br />

Millionen von Ukrainern keine Perspektive im eigenen Land sehen und deshalb gezwungen<br />

waren, zu Tagelöhnerarbeiten ins Ausland zu gehen. Das will ich unterstreichen,<br />

es ging nicht um die «Silicon Valleys», sondern genau um Tagelöhnerarbeiten. Allein in<br />

Russland gingen im vergangenen Jahr um die drei Millionen Ukrainer einer Arbeit nach.<br />

Nach einigen Angaben beträgt die Summe ihrer Einkünfte für das Jahr 2013 in Russland<br />

insgesamt über 20 Milliarden US-Dollar, das sind etwa zwölf Prozent des Bruttoinlandsprodukts<br />

der Ukraine.<br />

Ich wiederhole: Ich kann diejenigen gut verstehen, die unter friedlichen Losungen<br />

auf den Maidan gingen, um gegen Korruption, ineffiziente Staatsführung und Armut zu<br />

protestieren. Das Recht auf friedliche Proteste, auf demokratische Prozesse und Wahlen<br />

existiert ja gerade dazu, um eine Regierung abzuwählen, die den Menschen missfällt.<br />

Doch die, welche hinter den letzten Ereignissen standen, verfolgten ganz andere Ziele,<br />

sie bereiteten einem Staatsstreich den Weg. Dazu wurden Terror, Mord und Pogrome<br />

veranstaltet. Die treibenden Kräfte des Staatsstreichs waren Nationalisten, Neonazis,<br />

Russophobe und Antisemiten. Genau sie sind es auch, die bis heute in vielerlei Hinsicht<br />

das Leben in der Ukraine bestimmen.<br />

Gleich zu Beginn wird von der sogenannten «Regierung» über eine skandalöse Gesetzesvorlage<br />

einer Änderung der Sprachenpolitik im Lande beraten, wodurch die Rechte<br />

nationaler Minderheiten direkt verletzt würden. Freilich haben die ausländischen Sponsoren<br />

dieser heutigen «Politiker», die Berater der heutigen «Regierung» die Initiatoren<br />

dieser Idee sogleich zurückgepfiffen. Sie sind ja durchaus kluge Leute, das muss man<br />

ihnen schon zugestehen, und sie wissen, wozu Versuche führen werden, eine ethnisch<br />

reine Ukraine zu schaffen. Die Gesetzesvorlage wurde zurückgestellt, aber ganz offenbar<br />

auf Zeit. Von der Existenz dieser Gesetzesvorlage wird jetzt geschwiegen, offenbar<br />

kalkuliert man mit dem kurzen Gedächtnis der Menschen. Aber es ist allen vollkommen<br />

klar geworden, was genau die heutigen ideellen Erben [Stepan] Banderas, Hitlers Mittäter<br />

in der Zeit des Zweiten Weltkriegs, in nächster Zeit unternehmen werden.<br />

Klar ist ebenso, dass es bis heute keine legitime exekutive Macht in der Ukraine gibt,<br />

es gibt niemanden, mit dem man verhandeln könnte. Viele staatliche Organe sind von<br />

Titelbetrügern usurpiert worden, dabei haben sie keine Kontrolle über irgendetwas im<br />

Lande, im Gegenteil, das will ich betonen, oftmals befinden sie sich unter der Kontrolle<br />

von Radikalen. Um zu einem Empfang bei manchem Minister der heutigen Regierung<br />

vorgelassen zu werden, benötigt man die Genehmigung bewaffneter Schläger vom Maidan.<br />

Das ist kein Scherz, sondern heutige Realität.<br />

Denen, die dem Putsch Widerstand leisteten, wurden Repressionen und Strafexpeditionen<br />

angedroht. Und natürlich war die russischsprachige Krim die erste in dieser<br />

99


«Das Volk ist die Quelle einer jeden Macht»<br />

Reihe. Im Zusammenhang damit haben sich die Bewohner der Krim und Sewastopols<br />

an Russland gewandt, mit dem Aufruf, ihre Rechte und ihr Leben zu schützen und das,<br />

was im Lande ablief, nicht zuzulassen, was aber bis heute noch in Kiew, in Donezk, in<br />

Charkow und anderen Städten in der Ukraine passiert.<br />

Natürlich konnten wir diese Bitte nicht ausschlagen, wir konnten die Krim und ihre<br />

Bewohner nicht der Not überlassen, denn das wäre Verrat gewesen.<br />

100<br />

Krim-Beitritt und Völkerrecht<br />

Vor allem ging es darum, Bedingungen für eine friedliche, freie Meinungsäußerung<br />

zu schaffen, damit die Bewohner der Krim ihr Schicksal erstmals in der Geschichte<br />

selbst bestimmen konnten. Allerdings was hören wir heute von unseren Kollegen in<br />

Westeuropa, in Nordamerika? Uns wird gesagt, wir würden die geltenden Normen des<br />

Völkerrechts verletzen. Erstens, es ist sehr gut, dass sie sich wenigstens daran erinnern,<br />

dass es ein Völkerrecht gibt. Vielen Dank schon allein dafür; besser spät, als nie.<br />

Und zweitens, das Wichtigste: Was ist es denn, was wir angeblich verletzen? Ja, der<br />

Präsident der Russischen Föderation bekam vom Oberhaus des Parlaments das Recht,<br />

die Streitkräfte in der Ukraine einzusetzen. Doch von diesem Recht wurde streng genommen<br />

noch nicht einmal Gebrauch gemacht. Die Streitkräfte Russlands sind nicht auf das<br />

Territorium der Krim vorgedrungen, sondern sie waren auf der Grundlage eines internationalen<br />

Vertrages bereits dort. Ja, wir haben unsere Gruppierung vor Ort verstärkt, haben<br />

dabei aber, ich möchte das unterstreichen, damit es alle wissen und hören, die maximal<br />

zulässige Mannstärke unserer Truppenpräsenz auf der Krim nicht überschritten; diese<br />

sieht 25.000 Mann vor, aber es bestand kein Bedarf an einer solchen Zahl.<br />

Und weiter. Bei der Unabhängigkeitserklärung und der Ausrufung eines Referendums<br />

hat sich der Oberste Rat der Krim auf die UN-Charta berufen, in der davon die Rede ist,<br />

dass eine Nation über das Selbstbestimmungsrecht verfügt. Übrigens hat die Ukraine<br />

selbst sich textlich fast identisch darauf berufen, als sie aus der UdSSR ausschied, das<br />

sei angemerkt. Die Ukraine nahm dieses Recht für sich in Anspruch, und den Bewohnern<br />

der Krim wird es verwehrt. Aus welchem Grund?<br />

Außerdem stützte sich die Regierung der Krim auf den bekannten Präzedenzfall mit<br />

Kosovo, ein Präzedenzfall, den unsere westlichen Partner selbst geschaffen haben,<br />

quasi mit eigenen Händen, und zwar in einer Lage, die der in der Krim ganz analog<br />

ist; man erklärte die Trennung des Kosovo von Serbien für legitim und versuchte die<br />

Beweisführung, dass es keines Einverständnisses der Zentralmacht für solche unilateralen<br />

Unabhängigkeitserklärungen bedürfe. Der Internationale Gerichtshof der UN hat<br />

auf Grundlage von Paragraph 1 Punkt 2 der UN-Charta sein Einverständnis damit erklärt<br />

und in seiner Entscheidung am 22. Juli 2010 Folgendes erklärt. Ich zitiere wörtlich: «Es


Russischer Panzersoldat auf der Krim im Frühjahr 2014. Foto: OSZE<br />

besteht kein allgemeines Verbot einseitiger Unabhängigkeitserklärungen, das aus der<br />

Praxis des Sicherheitsrates resultieren würde.» Und weiter: «Das allgemeine Völkerrecht<br />

beinhaltet keinerlei anwendbares Verbot von Unabhängigkeitserklärungen». Wie<br />

man so schön sagt, alles glasklar.<br />

Ich mag es nicht besonders, Zitate anzubringen, aber kann doch nicht davon absehen,<br />

noch einen Auszug aus einem offiziellen Dokument zu bringen, diesmal ist das ein<br />

schriftliches Memorandum der USA vom 17. April 2009, das diesem Internationalen<br />

Gerichtshof im Zusammenhang mit der Anhörung zu Kosovo vorgelegt wurde. Wieder<br />

Zitat: «Unabhängigkeitserklärungen können, wie das auch häufig passiert, das innere<br />

Recht verletzen. Aber das bedeutet nicht, dass dadurch das Völkerrecht verletzt wird.»<br />

Zitat Ende. Sie haben es selbst geschrieben, der ganzen Welt verkündet, alles zurechtgebogen,<br />

und nun regen sie sich auf. Worüber denn? Das, was die Bewohner der Krim<br />

tun, passt exakt in diese Instruktion, eine solche ist es ja faktisch. Das, was die Albaner<br />

in Kosovo – denen wir mit Achtung begegnen – dürfen, wird den Russen, Ukrainern und<br />

Krimtataren auf der Krim verwehrt. Wieder die Frage: Warum?<br />

Von genau den gleichen, von den Vereinigten Staaten und von Europa, hören wir,<br />

dass Kosovo angeblich ein Sonderfall gewesen sei. Worin besteht denn das Besondere<br />

nach Meinung unserer Kollegen? Es stellt sich heraus, dass es darin besteht, dass<br />

es im Verlauf des Kosovokonflikts viele menschliche Opfer gegeben hat. Was ist das<br />

denn? Ein juristisches Argument? In der Entscheidung des Internationalen Gerichtshofs<br />

ist davon überhaupt keine Rede. Wissen Sie, das sind schon nicht einmal mehr doppelte<br />

Standards. Das ist ein frappierend primitiver und unverhohlener Zynismus. Es kann doch<br />

101


«Das Volk ist die Quelle einer jeden Macht»<br />

nicht sein, dass man alles so grob für seine Interessen zurechtbiegt, ein und dieselbe<br />

Sache heute «schwarz» und morgen «weiß» nennt. Denn soll daraus etwa folgen, dass<br />

man einen jeden Konflikt vorantreiben muss, bis es zu Toten kommt?<br />

Ich will es direkt sagen: Wenn die örtlichen Einheiten der Selbstverteidigung die<br />

Lage [auf der Krim] nicht rechtzeitig unter ihre Kontrolle gebracht hätten, hätte es dort<br />

auch Opfer geben können. Und Gott sei Dank ist das nicht passiert! In der Krim ist es<br />

zu keinem einzigen bewaffneten Zusammenstoß gekommen, es gab keine menschlichen<br />

Opfer. Was denken Sie, weshalb? Die Antwort ist einfach: weil es schwierig oder<br />

praktisch unmöglich ist, gegen ein Volk und dessen Willen Krieg zu führen. In diesem<br />

Zusammenhang möchte ich den ukrainischen Armeeangehörigen danken, und das sind<br />

nicht wenige, insgesamt 22.000 Mann mit voller Bewaffnung. Ich will denjenigen ukrainischen<br />

Armeeangehörigen danken, die sich nicht zu einem Blutvergießen haben hinreißen<br />

lassen und sich nicht mit Blut befleckt haben.<br />

Die USA und das Recht des Stärkeren<br />

Verehrte Kollegen. Im Zusammenhang mit der Lage in der Ukraine spiegelt sich all<br />

das, was derzeit, aber auch bereits in den vergangenen Jahrzehnten in der Welt passiert.<br />

Nach dem Verschwinden der bipolaren Welt ist diese Welt nicht etwa stabiler geworden.<br />

Wichtige und internationale Institutionen erstarken nicht, im Gegenteil, häufig<br />

ist es so, dass sie an Bedeutung verlieren. Unsere westlichen Partner, allen voran die<br />

Vereinigten Staaten, ziehen es vor, in ihrer praktischen Politik nicht vom Völkerrecht,<br />

sondern vom Recht des Stärkeren Gebrauch zu machen. Sie glauben an ihre Auserwähltheit<br />

und Exklusivität, daran, dass sie die Geschicke der Welt lenken dürfen und daran,<br />

dass immer nur sie allein Recht haben können. Sie handeln so, wie es ihnen einfällt: Mal<br />

hier, mal da wenden sie Gewalt gegen souveräne Staaten an, bilden Koalitionen nach<br />

dem Prinzip «Wer nicht mit uns ist, ist gegen uns». Um ihren Aggressionen das Mäntelchen<br />

der Rechtmäßigkeit zu verleihen, erwirken sie entsprechende Resolutionen bei<br />

internationalen Organisationen, und wenn das aus irgendeinem Grunde nicht gelingt,<br />

dann ignorieren sie sowohl den UN-Sicherheitsrat, als auch die UNO als Ganzes.<br />

So war es in Jugoslawien, daran können wir uns gut erinnern – im Jahr 1999. Es<br />

war kaum zu glauben, ich traute meinen Augen nicht, doch am Ende des 20. Jahrhunderts<br />

wurde eine der europäischen Hauptstädte, Belgrad, wochenlang von Raketen- und<br />

Bombenangriffen erschüttert, wonach eine wirkliche Intervention folgte. Was, gab es<br />

denn damals zu dieser Frage eine Resolution des UN-Sicherheitsrats, die ein solches<br />

Vorgehen gestatten würde? Nichts dergleichen. Danach folgten Afghanistan, Irak, und<br />

unverhohlene Verletzungen der UN-Sicherheitsrat-Resolution zu Libyen, als man anstelle<br />

der Errichtung einer sogenannten Flugverbotszone mit Bombardements begann.<br />

102


Rede zum Beitritt der Krim zur Russischen Föderation im Kreml am 18. März 2014<br />

Es gab auch eine ganze Serie an gesteuerten «farbigen» Revolutionen. Es ist klar,<br />

dass die Menschen in den Ländern, in denen sie passierten, müde waren von der Tyrannei,<br />

von der Armut, von der Perspektivlosigkeit, doch diese Gefühle wurden zynisch ausgenutzt.<br />

Diesen Ländern wurden Standards aufgezwungen, die in keinerlei Weise den<br />

Lebensweisen, den Traditionen oder der Kultur dieser Völker entsprachen. Im Endeffekt<br />

herrscht, anstelle von Demokratie und Freiheit, das Chaos, Gewalt und eine Abfolge an<br />

Staatsstreichen. Der «Arabische Frühling» wurde zum «Arabischen Winter».<br />

Ein ähnliches Szenario kam in der Ukraine zur Anwendung. Im Jahr 2004 erfand man<br />

eine von der Verfassung nicht vorgesehene dritte Runde bei den Präsidentschaftswahlen,<br />

um dem genehmen Kandidaten damit zum Sieg zu verhelfen. Das ist ein Absurdum<br />

und ein Hohn gegenüber der Verfassung. Jetzt wurde eine vorab ausgebildete, gut ausgerüstete<br />

Armee aus bewaffneten Radikalen mobil gemacht.<br />

Wir verstehen sehr gut, was hier abläuft, wir wissen, dass diese Aktionen sowohl<br />

gegen die Ukraine, als auch gegen Russland gerichtet waren, ebenso auch gegen eine<br />

Integration im eurasischen Raum. Und das während einer Zeit, in der Russland aufrichtig<br />

um Dialog mit unseren Kollegen im Westen bemüht war. Wir schlagen ständig<br />

Kooperation in Schlüsselfragen vor, wir wollen das gegenseitige Vertrauen fördern, wir<br />

wünschen, dass unsere Beziehungen auf Augenhöhe stattfinden, dass sie offen und<br />

ehrlich seien. Aber wir sehen keinerlei Entgegenkommen.<br />

Im Gegenteil, wir wurden Mal um Mal betrogen, es wurden Entscheidungen hinter<br />

unserem Rücken getroffen, man stellte uns vor vollendete Tatsachen. So war es mit<br />

der NATO-Osterweiterung, mit der Installation von militärischer Infrastruktur an unseren<br />

Grenzen. Uns wurde immer ein und dasselbe erzählt: «Na, das hat nichts mit euch zu<br />

tun.» Es ist leicht gesagt, es habe nichts mit uns zu tun.<br />

US-Präsident Barack Obama und sein nationaler Sicherheitsrat beraten die Krimkrise im März 2014.<br />

Foto: White House Photo, Pete Souza<br />

103


«Das Volk ist die Quelle einer jeden Macht»<br />

So war es auch mit dem Aufbau der Raketenabwehrsysteme. Ungeachtet all unserer<br />

Befürchtungen bewegt sich die Maschinerie vorwärts. So war es auch mit dem endlosen<br />

In-die-Länge-Ziehen der Verhandlungen zu Fragen der Visafreiheit, mit den Versprechen<br />

eines ehrlichen Wettbewerbs und eines freien Zugangs zu den globalen Märkten.<br />

Heute droht man uns mit Sanktionen, aber wir leben ohnehin schon unter einer Reihe<br />

an Einschränkungen, die für uns, unsere Wirtschaft und unser Land insgesamt sehr<br />

bedeutend sind. Beispielsweise haben die USA, danach auch andere Länder, es noch im<br />

Kalten Krieg verboten, bestimmte Technologien und Ausrüstung an die UdSSR zu verkaufen,<br />

es gab dazu die sogenannten CoCom-Listen. Diese sind heute formal annulliert,<br />

aber nur formal, denn faktisch gelten viele Verbote auch weiterhin.<br />

104<br />

Rote Linie überschritten<br />

Kurz, wir haben allen Grund zu der Annahme, dass die sprichwörtliche Eindämmungspolitik<br />

gegen Russland, die sowohl im 18., im 19. und im 20. Jahrhundert betrieben<br />

wurde, auch heute noch fortgeführt wird. Man versucht ständig, uns in irgendeine Ecke<br />

zu drängen, und zwar dafür, dass wir eine unabhängige Position vertreten, dafür, dass<br />

wir diese verteidigen, und dafür, dass wir die Dinge beim Namen nennen und nicht heucheln.<br />

Im Falle der Ukraine haben unsere westlichen Partner eine Grenze überschritten,<br />

sie handelten grob, verantwortungslos und unprofessionell.<br />

Sie waren doch ausgezeichnet im Bilde darüber, dass sowohl in der Ukraine, als auch<br />

auf der Krim Millionen russischer Menschen leben. Wie sehr muss man denn politisches<br />

Feingefühl und Augenmaß eingebüßt haben, um die Folgen seiner Handlungen nicht<br />

vorauszusehen? Russland ist an eine Grenze gelangt, hinter die es nicht mehr zurück<br />

konnte. Wenn man eine Feder bis zum Anschlag zusammendrückt, wird sie sich irgendwann<br />

einmal mit Gewalt ausspannen. Dessen sollte man immer gewahr sein.<br />

Heute ist es notwendig, die Hysterie abzustellen, die Rhetorik aus Zeiten des Kalten<br />

Kriegs zu beenden und eine offensichtliche Sache anzuerkennen: Russland ist ein selbständiger,<br />

aktiver Faktor der Internationalen Gemeinschaft, es hat, wie andere Länder<br />

auch, nationale Interessen, die man berücksichtigen und achten muss.<br />

Dabei sind wir all denen dankbar, die unseren Schritten zur Lage auf der Krim mit<br />

Verständnis begegnet sind; wir sind dem chinesischen Volk dankbar, dessen Führung die<br />

Lage um die Ukraine und die Krim in der Fülle der historischen und politischen Komplexität<br />

betrachtete und auch weiterhin betrachtet; wir schätzen die Zurückhaltung und die<br />

Objektivität Indiens hoch.<br />

Heute möchte ich mich ebenso auch an das Volk der Vereinigten Staaten von Amerika<br />

wenden, an die Menschen, die seit den Zeiten der Gründung dieses Staates, der


Rede zum Beitritt der Krim zur Russischen Föderation im Kreml am 18. März 2014<br />

Annahme der Unabhängigkeitserklärung stolz darauf sind, dass die Freiheit ihr höchstes<br />

Gut ist. Ist denn das Streben der Menschen auf der Krim nach freier Wahl ihres Schicksals<br />

nicht ein ebensolches Gut? Verstehen Sie uns?<br />

Ich denke, auch die Europäer werden Verständnis haben, vor allem die Deutschen.<br />

Ich möchte daran erinnern, dass im Verlauf der politischen Konsultationen zur Vereinigung<br />

der BRD und der DDR auf Expertenebene gelinde gesagt bei weitem nicht alle<br />

Vertreter der Länder, die Verbündete Deutschlands waren und sind, die Idee der Wiedervereinigung<br />

befürwortet haben. Unser Land hat, ganz im Gegenteil, das aufrichtige und<br />

unaufhaltsame Streben der Deutschen nach nationaler Einheit eindeutig unterstützt. Ich<br />

bin mir sicher, dass Sie das nicht vergessen haben, und rechne damit, dass die Menschen<br />

in Deutschland ebenso auch das Bestreben der russischen Welt, des historischen<br />

Russland nach Wiedererrichtung der Einheit unterstützen.<br />

Ich wende mich ebenso an das Volk der Ukraine. Ich wünsche aufrichtig, dass ihr uns<br />

versteht: wir wollen euch auf keine Weise schaden oder eure nationalen Gefühle verletzen.<br />

Wir haben die territoriale Integrität des ukrainischen Staates immer geachtet, im<br />

Gegensatz übrigens zu denen, die die Einheit der Ukraine ihren politischen Ambitionen<br />

opfern. Sie protzen mit Losungen von einer Großukraine, doch genau die selben sind es,<br />

die alles dafür tun, das Land zu spalten. Der heutige gesellschaftliche Konflikt lastet<br />

vollständig auf deren Gewissen. Ich möchte, dass ihr mich anhört, liebe Freunde. Glaubt<br />

denen nicht, die euch mit Russland schrecken wollen, die davon schreien, dass der Krim<br />

weitere Regionen folgen werden. Wir wünschen keine Spaltung der Ukraine, das ist<br />

nicht das, was wir brauchen. Was die Krim anbetrifft, so ist und bleibt sie russisch,<br />

ukrainisch und krimtatarisch.<br />

Ich wiederhole es – sie wird, wie es seit Jahrhunderten gewesen ist, eine Heimat für<br />

Vertreter aller dort lebenden Völker bleiben. Aber sie wird nie eine Heimat für Bandera-<br />

Anhänger sein!<br />

Die Krim ist unser gemeinsames Erbe und ein höchst wichtiger Stabilitätsfaktor in<br />

der Region. Dieses strategisch bedeutsame Territorium muss sich unter einer starken,<br />

stabilen Souveränität befinden, die zum heutigen Tag de facto nur Russland bieten kann.<br />

Sonst, liebe Freunde – und damit wende ich mich sowohl an die Ukraine, als auch an<br />

Russland – können wir die Krim insgesamt verlieren, und zwar in durchaus nicht langer<br />

Zeit. Bitte bedenken Sie diese Worte.<br />

Ich möchte ebenso daran erinnern, dass es in Kiew bereits schon Erklärungen über<br />

einen Beitritt der Ukraine zur NATO gegeben hat. Was würde diese Perspektive für die<br />

Krim und Sewastopol bedeuten? Es würde bedeuten, das in einer Stadt der russischen<br />

militärischen Ehre die NATO-Flagge weht, dass es eine Bedrohung für den gesamten<br />

Süden Russlands gäbe – keine vorübergehende, sondern eine ganz konkrete. Alles, was<br />

105


«Das Volk ist die Quelle einer jeden Macht»<br />

hätte passieren können, ist eben das, was hätte passieren können, gäbe es die Wahl der<br />

Bewohner der Krim nicht. Dafür sei ihnen großer Dank.<br />

Übrigens sind wir nicht gegen eine Zusammenarbeit mit der NATO, ganz und gar<br />

nicht. Wir sind dagegen, dass eine Militärallianz, und die NATO ist und bleibt bei allen<br />

internen Prozessen immer noch eine Militärallianz, vor unserem Zaun, an unserem Haus<br />

und auf unseren historischen Territorien das Sagen hätte. Wisst ihr, ich kann es mir<br />

einfach nicht vorstellen, dass wir nach Sewastopol zu Besuch bei NATO-Seeleuten fahren.<br />

Sie sind übrigens überwiegend ganz wunderbare Jungs, aber sollen sie lieber nach<br />

Sewastopol zu uns zu Besuch kommen, als wir zu ihnen.<br />

Ich will es direkt sagen: Es tut uns in der Seele weh, was gerade in der Ukraine<br />

passiert, dass Menschen leiden, dass sie nicht wissen, wie sie heute leben sollen und<br />

was morgen wird. Unsere Besorgnis ist verständlich, wir sind ja nicht einfach nur gute<br />

Bekannte, sondern wir sind faktisch, und das habe ich schon mehrfach betont, ein Volk.<br />

Kiew ist die Mutter der russischen Städte. Die alte Rus ist unser gemeinsamer Ursprung,<br />

und wir können nicht ohne einander, egal, was passiert.<br />

Noch eines will ich sagen. In der Ukraine leben und werden weiterhin Millionen<br />

russischer Menschen, russischsprachiger Bürger leben, und Russland wird ihre Interessen<br />

auch weiterhin politisch, diplomatisch und juristisch schützen. Allerdings muss die<br />

Ukraine in erster Linie selbst daran interessiert sein, die Interessen dieser Menschen<br />

Bürgerwehr mit Schutzschilden in den Farben der Autonomen Republik Krim am 2. März 2014 in Simferopol.<br />

Foto: Elizabeth Arrott; VOA; CCL<br />

106


Rede zum Beitritt der Krim zur Russischen Föderation im Kreml am 18. März 2014<br />

zu garantieren. Darin besteht ein Unterpfand für die Stabilität des ukrainischen Staates<br />

und der territorialen Integrität des Landes.<br />

Wir wollen Freundschaft mit der Ukraine, wir wollen, dass sie ein starker, souveräner<br />

und sich selbst genügender Staat ist. Für uns ist die Ukraine ja einer der wichtigsten<br />

Partner, es gibt unzählige gemeinsame Projekte, und ungeachtet aller Dinge glaube ich<br />

an ihren Erfolg. Und das wichtigste: Wir wollen, dass Frieden und Einvernehmen auf<br />

ukrainischem Boden einkehren, und gemeinsam mit anderen Ländern wollen wir darin<br />

umfassende Unterstützung leisten. Doch ich wiederhole es: Nur die Bürger der Ukraine<br />

selbst sind dazu in der Lage, im eigenen Haus für Ordnung zu sorgen.<br />

Die Entschiedenheit der außenpolitischen Position Russlands beruhte auf dem Willen<br />

von Millionen von Menschen, auf einem gesamt nationalen Konsens, auf der Unterstützung<br />

der führenden politischen und gesellschaftlichen Kräfte. Ich möchte allen<br />

für diese patriotische Einstellung Dank sagen. Allen ohne Ausnahme. Doch für uns ist<br />

es jetzt wichtig, diese Konsolidierung auch weiterhin zu bewahren, um die Aufgaben<br />

anzugehen, die vor Russland stehen.<br />

Wir werden es mit Sicherheit auch mit Gegenmanövern von außen zu tun bekommen,<br />

doch wir müssen für uns selbst entscheiden, ob wir dazu bereit sind, unsere nationalen<br />

Interessen konsequent zu verteidigen, oder ob wir sie mehr und mehr aufgeben und<br />

uns wer weiß wohin zurückziehen. Manche westlichen Politiker schrecken uns bereits<br />

nicht nur mit Sanktionen, sondern auch mit der Perspektive einer Verschärfung der inneren<br />

Probleme. Es wäre interessant zu erfahren, was sie damit meinen: Aktivitäten<br />

einer gewissen Fünften Kolonne, also verschiedener Vaterlandsverräter, oder rechnen<br />

sie damit, dass sie die soziale und wirtschaftliche Lage Russlands verschlechtern können<br />

und damit eine Unzufriedenheit der Menschen hervorrufen? Wir betrachten solche<br />

Verlautbarungen als unverantwortlich und offen aggressiv, und werden entsprechend<br />

darauf reagieren. Dabei werden wir selbst niemals nach einer Konfrontation mit unseren<br />

Partnern, weder in Ost, noch in West, streben; ganz im Gegenteil, wir werden alles<br />

Notwendige unternehmen, um zivilisierte, gutnachbarliche Beziehungen aufzubauen,<br />

so, wie es sich in der heutigen Welt gehört.<br />

Wiedervereinigung im Interesse der Völker<br />

Verehrte Kollegen. Ich verstehe die Bewohner der Krim, die die Frage beim Referendum<br />

maximal direkt und klar formuliert haben, ob die Krim mit der Ukraine, oder mit<br />

Russland sein soll. Man kann mit Sicherheit sagen, dass die Führung der Krim und der<br />

Stadt Sewastopol und die Abgeordneten der gesetzgebenden Organe bei der Formulierung<br />

der Frage des Referendums jegliche Gruppen- und Parteieninteressen beiseite<br />

legten und sich einzig von den wirklichen Interessen der Menschen haben leiten lassen.<br />

107


«Das Volk ist die Quelle einer jeden Macht»<br />

Eine jede beliebige andere Variante einer Volksabstimmung, wie verlockend sie auch<br />

auf den ersten Blick erschiene, wäre aufgrund historischer, demografischer, politischer<br />

und wirtschaftlicher Besonderheiten dieses Gebiets von nur zeitweiligem und instabilem<br />

Charakter; das würde zu einer weiteren Verschärfung der Lage um die Krim führen<br />

und sich auf denkbar schlechte Weise im Leben der Menschen niederschlagen. Die Bewohner<br />

der Krim formulierten die Frage hart, kompromisslos und ohne jegliche Nuancen.<br />

Das Referendum verlief offen und ehrlich, und die Menschen auf der Krim haben<br />

klar und überzeugend ihren Willen bekundet: sie wollen mit Russland sein.<br />

Auch Russland steht es bevor, eine schwierige Entscheidung zu treffen, unter Berücksichtigung<br />

der Gesamtheit an inneren und äußeren Faktoren. Wie ist jetzt die Meinung<br />

der Menschen in Russland? Hier gibt es, wie in jeder demokratischen Gesellschaft, verschiedene<br />

Standpunkte, doch die Position der absoluten, und das möchte ich unterstreichen,<br />

der absoluten Mehrheit der Bürger ist ebenso offensichtlich.<br />

Sie kennen die jüngsten soziologischen Umfragen, die man in Russland dieser Tage<br />

durchgeführt hat: Ungefähr 95 Prozent der Bürger sind der Meinung, dass Russland die<br />

Interessen von Russen und anderen Nationalitäten auf der Krim verteidigen sollte. 95<br />

Prozent. Und mehr als 83 Prozent gehen davon aus, dass Russland das tun muss, selbst<br />

wenn eine solche Position unsere Beziehungen zu manchen Staaten verschlechtert. 86<br />

Prozent der Bürger unseres Landes sind der Meinung, dass die Krim nach wie vor russisches<br />

Territorium, russische Erde sei. Und hier eine sehr wichtige Zahl, sie korreliert<br />

absolut mit dem Ergebnis des Krim-Referendums, fast 92 Prozent sind für eine Wiedervereinigung<br />

der Krim mit Russland.<br />

Auf diese Weise ist sowohl die überwiegende Mehrheit der Bewohner der Krim, als<br />

auch die absolute Mehrheit der Bürger der Russischen Föderation für eine Wiedervereinigung<br />

der Republik Krim und der Stadt Sewastopol mit der Russischen Föderation.<br />

Jetzt ist es an einer politischen Entscheidung in Russland selbst. Und diese kann sich<br />

einzig auf dem Willen des Volkes gründen, denn das Volk ist die Quelle einer jeden Macht.<br />

Sehr geehrte Mitglieder des Föderationsrats! Verehrte Abgeordnete der Staatsduma!<br />

Bürger Russlands, Einwohner der Krim und Sewastopols! Auf Grundlage der Ergebnisse<br />

des Referendums, das auf der Krim stattgefunden hat, auf Grundlage der Willensbekundung<br />

des Volkes, bringe ich ein Verfassungsgesetz über die Aufnahme zweier<br />

neuer Subjekte – der Republik Krim und der Stadt Sewastopol – in den Bestand der Russischen<br />

Föderation im Föderationsrat ein; ich bitte ebenso darum, den zur Unterschrift<br />

vorbereiteten Vertrag über den Beitritt der Republik Krim und der Stadt Sewastopol zur<br />

Russischen Föderation zu ratifizieren. Ich zweifle nicht an Ihrer Unterstützung!<br />

108<br />

Quelle: kremlin.ru/news/20603. Übersetzung: zeit-fragen.ch.


«Den Menschen helfen,<br />

ihre Rechte zu verteidigen»<br />

_ Über die Situation in der Ostukraine äußerte sich der Präsident in einer<br />

Fernsehdiskussion am 17. April 2014<br />

Ab Ende März 2014 wurden in der Ostukraine immer mehr Stadt- und Regionalverwaltungen<br />

von sogenannten Selbstverteidigungskräften besetzt, die in Opposition zu<br />

den neuen Machthabern in Kiew standen. Ab Mitte April begann die ukrainische Armee<br />

mit Militäroperationen zur Zerschlagung des Aufstandes. In dieser Situation stellte sich<br />

Wladimir Putin etwa vier Stunden lang in einer Live-Schaltung den direkten Fragen der<br />

Zuschauer. Ein eigens eingerichtetes Callcenter war für eine Woche in Betrieb und erhielt<br />

in dieser Zeit 2,2 Millionen Anrufe, über 400.000 Textnachrichten, etwa 200.000<br />

Meldungen auf der Webseite und über 7.500 Videoanfragen.<br />

Es gibt im Osten der Ukraine keine russischen Einheiten, keine Sonderservices oder<br />

taktischen Berater. Alles was dort passiert, wird von den lokalen Bürgern organisiert und<br />

durchgeführt, und der Beweis dafür ist die Tatsache, dass diese Menschen ihre Masken<br />

buchstäblich abgenommen haben. Also sagte ich zu meinen westlichen Partnern, dass<br />

die Menschen dort nirgendwo hingehen müssen und sie werden nirgendwo anders hingehen.<br />

Das ist ihr Land und sie müssten mit ihnen verhandeln! (…)<br />

Zu der Frage, was zuerst kommen sollte, ein Verfassungsreferendum, gefolgt von<br />

Wahlen, oder erst Wahlen und dann ein Referendum: Die wesentliche Frage ist doch,<br />

wie man die legitimen Rechte und Interessen der ethnischen Russen und russisch sprechenden<br />

Menschen im Südosten der Ukraine sichert.<br />

Ich möchte daran erinnern, dass das, was man zur Zeit der Zaren Neurussland nannte<br />

– Charkow, Lugansk, Donezk, Cherson, Nikolajew und Odessa –, damals kein Teil der<br />

Ukraine war. (...) Russland verlor diese Territorien aus verschiedenen Gründen, aber die<br />

Menschen blieben.<br />

Heute leben sie in der Ukraine, und sie sollten vollwertige Bürger ihres Landes sein.<br />

Darum geht es hier. Die Frage ist nicht, ob auf das Referendum über die Dezentralisierung<br />

oder Föderalisierung Wahlen folgen, oder ob die Wahlen stattfinden, bevor die<br />

Architektur des Staates geändert wird. Das Entscheidende ist, diesen Menschen Garantien<br />

zu geben. Unsere Rolle ist es, eine Lösung in der Ukraine zu erleichtern, und sicherzustellen,<br />

dass es Garantien gibt. Die Menschen im Südosten der Ukraine werden uns<br />

109


Prorussische Demonstration in Donezk im April 2014. Foto: Andrew Butko; CCL 3.0<br />

fragen und sie werden die gegenwärtige Führung in Kiew fragen: «Schön, die Wahlen<br />

werden am 25. Mai [2014] stattfinden, aber wollt ihr, dass wir das Ergebnis anerkennen?<br />

Ihr werdet eure Versprechen gleich am nächsten Tag vergessen und neue Oligarchen<br />

nach Donezk, Charkow und Lugansk schicken. Was ist mit Garantien? Wir brauchen<br />

Antworten!» Ich hoffe, dass eine Antwort gefunden werden wird... (...)<br />

Trotz der Ereignisse auf der Krim sollten wir nicht den Kopf verlieren, sondern von den<br />

Realitäten ausgehen. Als Erstes muss man zugeben, dass die ethnische Zusammensetzung<br />

der Krim anders ist als die der Südostukraine. Die ethnische Zusammensetzung der<br />

dortigen Bevölkerung ist ungefähr 50 zu 50. Ich habe schon erwähnt, dass die letztendliche<br />

Entscheidung über die Rückkehr der Krim zur Russischen Föderation allein auf dem<br />

Ergebnis des Referendums beruhte. Als ich diese Resultate sah, und selbst sah, dass fast<br />

alle Bewohner für den Anschluss an Russland gestimmt hatten – ich wiederhole mich,<br />

hatten wir keine andere Wahl und es konnte auch keine andere Entscheidung geben.<br />

Was nun in der Südostukraine geschieht, das wissen wir nicht mit Sicherheit. Aber<br />

wir glauben, dass wir alles tun sollten, was wir können, um diesen Menschen zu helfen,<br />

ihre Rechte zu verteidigen, und wir sie selbst über ihr Schicksal entscheiden lassen<br />

sollten. Das ist es, wofür wir kämpfen werden. Lassen Sie mich Sie daran erinnern, dass<br />

der legitime Präsident der Ukraine dem Föderationsrat von Russland das Recht gegeben<br />

hat, die Streitkräfte in der Ukraine einzusetzen. Ich hoffe sehr, dass wir dieses Recht<br />

nicht wahrnehmen müssen und dass wir durch politische und diplomatische Mittel in<br />

der Lage sein werden, alle diese dringenden, um nicht zu sagen brennenden, Fragen in<br />

der Ukraine zu lösen. (…)<br />

110<br />

Zur Lage in Moldawien<br />

Das ist eines der komplexesten Probleme, die wir nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion<br />

geerbt haben. Zunächst einmal besteht die Bevölkerung der Republik [Transnistrien,<br />

Abspaltung von Moldawien] aus mehr als 500.000 Menschen, wenn ich mich


Über die Situation in der Ostukraine äußerte sich der Präsident in einer Fernsehdiskussion am 17. April 2014<br />

nicht irre. Die Menschen dort drücken ihre prorussischen Gefühle aus, und auch eine<br />

große Anzahl der russischen Bürger lebt in Transnistrien. Sie haben ihre eigenen Ansichten<br />

darüber, wie sie ihre Zukunft und ihr Schicksal aufbauen wollen. Und es wäre nicht<br />

mehr als ein klarer Beweis für die Demokratie, wenn wir ihnen erlauben würden, nach<br />

ihren Wünschen zu leben. Natürlich müssen wir den Dialog, sowohl mit der Republik<br />

Moldawien, als auch mit der Ukraine, aufrecht erhalten, um die Problemlösungsgespräche<br />

in Form des 5-plus-2-Formates voranzubringen, welches die Republik Moldawien,<br />

Transnistrien und fünf weitere Staaten einschließt. Ich denke, dass die Blockade [Transnistriens<br />

durch die Nachbargebiete in Moldawien und der Ukraine] unverzüglich aufgehoben<br />

werden muss; die Bewohner der Republik fühlen ihre negativen Folgen, sowohl<br />

auf Seiten der Republik Moldawien, als auch auf Seiten der Ukraine. Nationalistische<br />

bewaffnete Gruppen haben sich bereits an der Grenze zwischen Transnistrien und der<br />

Ukraine versammelt. Derartige Maßnahmen müssen unverzüglich gestoppt werden. Auf<br />

lange Sicht sollten die Menschen die Möglichkeit haben, über ihr eigenes Schicksal<br />

zu entscheiden. Das ist das, woran wir und unsere Partner arbeiten wollen, und das<br />

natürlich unter der Berücksichtigung der Interessen der Einwohner Transnistriens. (...)<br />

Die Absicht, Russland und die Ukraine aufzuteilen, etwas zu trennen, was im Wesentlichen<br />

und in vielerlei Hinsicht eine einzige Nation ist, ist seit Jahrhunderten ein<br />

Problem der internationalen Politik. Wenn Sie sich an die Aussagen der Führer der<br />

Weißen [die antikommunistischen Gruppierungen im Bürgerkrieg 1918 bis 1920] erinnern,<br />

werden Sie sehen, dass sie unabhängig von ihren politischen Meinungsverschiedenheiten<br />

mit den Bolschewiki nie auch nur im Geringsten an eine mögliche Trennung<br />

zwischen der Ukraine und Russland gedacht hatten; das wurde immer als Teil eines<br />

gemeinsamen, vereinigten Raumes und als eine einzige Nation wahrgenommen. Und<br />

sie lagen absolut richtig.<br />

Aber heute leben wir in getrennten Ländern. Und leider wird diese Politik der Teilung,<br />

des Auseinanderreißens, was beide Teile einer einzigen Nation schwächt, fortgeführt.<br />

Es gibt genügend Kräfte in der Welt, die Angst vor unserer Stärke haben, vor «unserer<br />

gewaltigen Größe», wie es einer unserer Herrscher sagte. Also versuchen sie uns zu teilen,<br />

das ist eine bekannte Tatsache. Schauen Sie, was sie mit Jugoslawien getan haben:<br />

Sie haben es in kleine Stücke geschnitten und sind nun dabei, alles zu manipulieren,<br />

was dort manipuliert werden kann – und das ist fast alles. (…)<br />

Aber ich kann denen nicht zustimmen, die sagen, die Ukraine sei ein verdammtes<br />

Land. Bitte hören Sie auf, solche Ausdrücke in Bezug auf die Ukraine zu benutzen! Es<br />

ist ein Land, das sehr lange litt, und eine sehr komplizierte Gemeinschaft, und wenn<br />

ich es so sage, meine ich es genau im Sinne des Wortes, dass es sehr lange großes<br />

Leid ertragen musste. Nationalismus und sogar Neonazimus blühen in der Westukraine<br />

wieder auf. Und Sie kennen die Geschichte der Menschen dieses Raumes. Einige dieser<br />

111


«Den Menschen helfen, ihre Rechte zu verteidigen»<br />

Gebiete [der heutigen Ukraine] waren Teil der Tschechoslowakei, einige Ungarns, einige<br />

von Österreich-Ungarn und einige Polens, wo sie [die Ukrainer] nie vollwertige Bürger<br />

sein durften. Sie wissen, dass schon immer «etwas» in ihren Herzen heranwuchs.<br />

Einige Leute scheinen zu glauben, dass es dazu [zur EU-Annäherung besonders in der<br />

Westukraine] kam, weil diese Gebiete früher zu einigen heutigen EU-Ländern gehörten<br />

und sie so mit einigen speziellen europäischen Substanzen getränkt wurden. Dass sie<br />

Bürger zweiter Klasse in den Staaten waren, scheint vergessen worden zu sein, aber<br />

es lauert immer noch in ihrem historischen Gedächtnis, unter der Kruste, tief in ihren<br />

Herzen, sehen Sie es? Das ist es, denke ich, wo ihr Nationalismus herkommt.<br />

Die Zentral-, Ost- und Südostukraine sind eine andere Sache. Ich habe gerade erwähnt,<br />

dass dieses Gebiet «Neurussland» seine Wurzeln mit den Wurzeln des russischen<br />

Staates stark verflochten hat. Die Einheimischen haben zwar eine etwas andere<br />

Mentalität und sie empfinden sich selbst als Teil der heutigen Ukraine, die in der Sowjetzeit<br />

zusammengesetzt worden war... Natürlich ist es schwierig für sie, richtige Beziehungen<br />

zu etablieren und sich gegenseitig zu verstehen. Aber wir sollten ihnen dabei<br />

helfen, so gut wir können. (…)<br />

112<br />

Die Wahlen vom 25. Mai 2014<br />

Wir halten die aktuelle Regierung [in der Ukraine] für illegitim. Sie [die neuen Machthaber<br />

in Kiew] können nicht legitim sein, da sie kein nationales Mandat für die Führung<br />

des Landes haben, was für sich selbst spricht. Zur gleichen Zeit haben wir uns dennoch<br />

nicht geweigert, mit ihnen zu verkehren. Wir bleiben auf Ministerebene in Kontakt. Unsere<br />

Minister unterhalten weiterhin Beziehungen zu ihren ukrainischen Kollegen. [Ministerpräsident<br />

Dmitri] Medwedew sprach mit [seinem Amtskollegen Arsenij] Jazenjuk. Herr [Parlamentspräsident<br />

Sergei] Naryschkin sprach mit [seinem Amtskollegen] Herrn [Olexandr]<br />

Turtschinow. Sie bleiben in Kontakt. Apropos, zu den Präsidentschaftskandidaten [für die<br />

Wahl in der Ukraine am 25. Mai 2014], wissen Sie, was da los ist im Präsidentschafts-<br />

Rennen? Was da geschieht, ist absolut inakzeptabel. Wenn es so weitergeht, werden wir<br />

nicht in der Lage sein, alles, was nach dem 25. Mai passiert, als legitim anzuerkennen.<br />

Wie kann diese Wahl legitim sein, wenn Kandidaten aus dem Osten überfallen werden<br />

oder mit Tinte bespritzt und von Treffen mit Wählern abgehalten werden? Welche<br />

Art von Wahlkampf ist das? Und ganz zu schweigen von der ukrainischen Verfassung.<br />

Irina Chakamada hatte eine Frage über die Legitimität der Wahl nach der ukrainischen<br />

Verfassung. Ohne Änderungen an der Verfassung kann die neue Wahl nicht abgehalten<br />

werden, weil so Herr [Viktor] Janukowitsch der amtierende Präsident bleibt. Nach<br />

dieser Verfassung kann ein neuer Präsident nicht gewählt werden, wenn es noch einen<br />

lebenden, amtierenden und legitimen Präsidenten gibt. Also, wenn wir wollen, dass die


Über die Situation in der Ostukraine äußerte sich der Präsident in einer Fernsehdiskussion am 17. April 2014<br />

Wahlen legitim sind, muss die Verfassung geändert werden. Nur dann können wir über<br />

die Föderalisierung und Dezentralisierung sprechen. Das ist, was mir mein gesunder<br />

Menschenverstand sagt.<br />

Wir könnten natürlich auch weiterhin ohne gesunden Menschenverstand handeln,<br />

auch wenn ich nicht weiß, wo das uns hinführen soll. Aber wir bleiben in Kontakt mit<br />

allen. Herr [Petro] Poroschenko ist derzeit einer der führenden Kandidaten. Ein wesentlicher<br />

Teil seines Geschäfts befindet sich in Russland. Seine Firma produziert Süßigkeiten,<br />

die viele von Ihnen, wahrscheinlich ohne zu wissen, dass Poroschenko die Fabrik<br />

besitzt und dass er für das Präsidentenamt kandidiert, gegessen haben.<br />

Ich kenne Frau [Julia] Timoschenko sehr gut. Als sie [in einem abgehörten Telefonat<br />

nach dem Krim-Referendum im März 2014] forderte, die Russen «mit Kernwaffen<br />

zu zerstören», glaube ich, sagte sie das, während sie im Zustand eines psychischen<br />

Zusammenbruchs war. Aber ich kenne sie ganz gut. Immerhin unterzeichnete sie den<br />

Gasliefervertrag, den ihre Parteikollegen und andere Vertragsparteien nicht akzeptieren<br />

wollten. [im Jahr 2009; Timoschenkos Unterschrift führte unter Janukowitsch zu ihrer<br />

Gefängnisstrafe]. Doch irgendwann hatten wir gute Geschäftsbeziehungen mit ihr. (…)<br />

Der Treuebruch der NATO<br />

Es wurde uns einmal versprochen, ich erwähnte es bereits auf der Münchner Sicherheitskonferenz<br />

[vgl. Seite 22], dass nach der Vereinigung Deutschlands die NATO<br />

nicht nach Osten erweitert werden würde. Der damalige NATO-Generalsekretär [Manfred<br />

Wörner] sagte uns, dass sich die Allianz nicht über seine [die deutschen] östlichen<br />

Grenzen ausweiten würde. Allerdings begannen sie sich dennoch dorthin auszuweiten,<br />

durch die Aufnahme der ehemaligen Warschauer Pakt-Mitgliedstaaten und später durch<br />

die Aufnahme baltischer Staaten, ehemaliger Sowjetrepubliken.<br />

Früher fragte ich dann: «Warum tun Sie das? Möchten Sie etwa die Sicherheit dieser<br />

Länder gewährleisten? Glauben Sie, dass jemand sie angreifen würde? Also ist es ausreichend,<br />

einen bilateralen Vertrag über Freundschaft und gegenseitige Unterstützung,<br />

einschließlich militärischer Hilfe, zu unterzeichnen, und ihre Sicherheit wird gewährleistet<br />

sein.» Ich hörte dann als Antwort: «Das geht Sie nichts an. Nationen und Länder haben<br />

ihr Recht, eigene Möglichkeiten für die Gewährleistung ihrer Sicherheit zu wählen.»<br />

Gut, das ist wahr. Aber es ist auch wahr, dass wir dann, wenn die Infrastruktur eines<br />

Militärblockes sich unserer Grenze nähert, Gründe für bestimmte Befürchtungen und<br />

Fragen haben. Wir müssen bestimmte Gegenmaßnahmen unternehmen, und es ist auch<br />

wahr, dass niemand uns dieses Recht verweigern kann. Und das zwingt uns, Gegenmaßnahmen<br />

zu treffen.<br />

113


«Den Menschen helfen, ihre Rechte zu verteidigen»<br />

Ich werde diese Gelegenheit nutzen, um ein paar Worte über unsere Gespräche über<br />

die Raketenabwehr zu sagen. Dieses Problem ist nicht von geringerer, sondern von sogar<br />

größerer Bedeutung als die NATO-Osterweiterung. Übrigens wurde unsere Entscheidung<br />

bezüglich der Krim teilweise durch genau dieses Problem provoziert.<br />

Und ich muss dabei nicht erwähnen, dass wir in erster Linie die Bewohner der Krim<br />

unterstützen wollten, aber wir folgten auch einer gewissen Logik. Wenn wir nichts getan<br />

hätten, würde die Ukraine irgendwann in der Zukunft in die NATO gezogen werden.<br />

Uns würde dann gesagt werden: «Das geht euch nichts an», und die NATO Schiffe würden<br />

in Sewastopol, der Stadt des Ruhmes der russischen Flotte, andocken.<br />

Aber das ist noch nicht einmal die emotionale Seite des Problems. Der Punkt ist, dass<br />

die Krim in das Schwarze Meer ragt, ins Zentrum sozusagen. Zwar hat sie in militärischer<br />

Hinsicht nicht die Bedeutung, die sie im 18. und 19. Jahrhundert hatte – ich beziehe<br />

mich auf moderne Angriffswaffen, einschließlich derjenigen an den Küsten. Aber<br />

wenn die NATO-Truppen einmarschieren, werden sie sofort diese Angriffswaffen dort<br />

aufstellen. Ein solcher Schritt wäre für uns geopolitisch sensibel, weil in diesem Fall<br />

Russland praktisch aus dem Schwarzen Meer verdrängt werden würde. Uns bliebe nur<br />

eine kleine Küstenlinie von 450 oder 600 Kilometern, und das wäre es!<br />

Auf diese Weise kann Russland wirklich aus dieser Region verdrängt werden, die für<br />

uns sehr wichtig ist. Es ist eine Region, für die so viele Russen ihr Leben gaben in all den<br />

Jahrhunderten. Das ist eine ernste Sache. Folglich sollten wir vor nichts Angst haben,<br />

aber wir müssen diese Umstände berücksichtigen und entsprechend reagieren.<br />

Wie ich gerade beschrieben habe, ist das Gleiche bei unseren Gesprächen über die<br />

Stationierung von US-Raketenabwehrelementen geschehen. Das ist kein Verteidigungssystem,<br />

sondern ein Teil des Offensivpotenzials, das weit weg von zu Hause stationiert<br />

wird. Und wieder wird uns gesagt: «Das ist nicht gegen Sie gerichtet.»<br />

Auf Expertenebene jedoch versteht wohl jeder sehr gut, dass, wenn diese Systeme<br />

näher an unseren Grenzen stationiert werden, unsere bodengestützten strategischen<br />

Raketen innerhalb ihres Zielradius liegen. Jeder ist sich dessen bewusst, aber uns wird<br />

wieder nur gesagt: «Bitte glauben Sie uns, das ist nicht gegen Sie gerichtet.»<br />

Unsere amerikanischen Partner haben sich sogar unserem Vorschlag verweigert, einige<br />

rechtlich unbedeutende Papiere, die besagen würden, dass diese Systeme nicht<br />

gegen uns gerichtet sind, zu unterzeichnen. Das war gleichermaßen eine Überraschung<br />

wie eine Tatsache. Natürlich haben wir dann gefragt: «Und warum haben Sie sich geweigert,<br />

diese zu unterschreiben, wenn sie doch nicht gegen uns gerichtet sind?»<br />

114<br />

Ein Stück Papier, das heute unterzeichnet und morgen weggeworfen werden könnte!<br />

Es wäre eine Kleinigkeit gewesen [zu unterschreiben], aber sie sind nicht willens, auch


Die Front verläuft mitten durch die Ukraine. Foto: Andrew Butko; CCL 3.0<br />

nur das zu tun. Wenn sie diese Waffenelemente in Europa stationieren, dann müssen<br />

wir darauf antworten, wie wir es schon so oft gesagt haben. Aber das bedeutet eine<br />

Eskalation des Wettrüstens! Warum das alles? (…)<br />

Keine Angst vor Sanktionen<br />

Ich bin mir nicht sicher, ob ich die Zahlen richtig zusammenbekomme, aber wenn<br />

meine Erinnerungen mich nicht täuschen, kommt der Großteil der [staatlichen] Öl- und<br />

Gaseinnahmen nicht über das Gas, sondern über das Öl. Umgerechnet in Dollar entsprechen<br />

unsere Öl-Einnahmen im vergangenen Jahr 191 bis 194 Milliarden Dollar, und die<br />

Gaseinnahmen entsprechen etwa 28 Milliarden Dollar. Sehen Sie den Unterschied? 191<br />

Milliarden für Öl gegenüber Gas mit 28 Milliarden.<br />

Öl wird auf dem Weltmarkt verkauft. Gibt es eine Möglichkeit, uns zu schaden? Man<br />

kann es versuchen. Aber was wären die Folgen für diejenigen, die versuchen würden,<br />

das zu tun? Vor allem, wie würde das geschehen? Von allen Ländern in der Welt hat nur<br />

Saudi-Arabien das tatsächliche Potenzial, die Produktion zu erhöhen und damit die Weltmarktpreise<br />

zu senken. Saudi-Arabiens Haushalt geht von einem Preis von 85 bis 90 Dollar<br />

pro tausend Kubikmeter [Öl] aus. (...) Unser Haushalt geht, glaube ich, von 90 Dollar<br />

aus. Also, wenn man unter 85 Dollar geht, wird Saudi-Arabien auf der Verliererseite sein<br />

und Probleme haben. Für uns ist ein Verlust von 90 auf 85 Dollar nicht kritisch. Erstens.<br />

Zweitens haben wir ein sehr gutes Verhältnis zu Saudi-Arabien. Unsere Ansichten in<br />

Bezug auf Syrien zum Beispiel können sich zwar unterscheiden, aber wir haben praktisch<br />

identische Positionen zu der Entwicklung der Lage in Ägypten. Es gibt viele andere Dinge,<br />

wo wir gleiche Ansichten haben. (…)<br />

Darüber hinaus sind sie [die Saudis] Mitglied der OPEC, wo wir viele Unterstützer<br />

haben. Es ist nicht so, dass sie Sympathie für uns haben, aber sie haben ihre eigenen<br />

wirtschaftlichen Interessen, und eine starke Reduzierung der Produktion, die nur in einer<br />

Art und Weise getan werden kann, nämlich innerhalb der OPEC mit einer Vereinbarung<br />

– und das ist eine ziemlich komplizierte Angelegenheit – [liegt nicht in ihrem Interesse].<br />

115


«Den Menschen helfen, ihre Rechte zu verteidigen»<br />

Schließlich, zu den Vereinigten Staaten, wo die Entwicklungen der Schiefergas- und<br />

Schieferölproduktion mit sehr hohen Produktionskosten verbunden sind: Das sind sehr teure<br />

Projekte. Wenn die Weltmarktpreise fallen, können sich diese Projekte als unrentabel<br />

und verlustreich entpuppen und die entstehende Industrie könnte einfach zugrunde gehen.<br />

Können die [russischen] Lieferungen ganz gestoppt werden? Ich denke, das ist völlig<br />

unrealistisch. Aber man [ein einzelnes Land] könnte es einzeln auf eigene Kosten tun,<br />

um sich selbst zu verletzen. Allerdings kann ich mir eine solche Situation nicht vorstellen.<br />

Deswegen ist natürlich jeder scharf auf die Diversifizierung seiner Bezugsquellen.<br />

Europa spricht über eine größere Unabhängigkeit von Russland als Lieferant, und wir<br />

beginnen ähnlich zu sprechen und zu handeln, um weniger abhängig von unseren Konsumenten<br />

zu werden. (…)<br />

Diskussion mit Edward Snowden<br />

Edward Snowden: Hallo. Ich möchte Ihnen eine Frage über die Massenüberwachung<br />

der Online-Kommunikation und der privaten Daten durch Geheimdienste und Strafverfolgungsbehörden<br />

stellen. Vor Kurzem haben die Vereinigten Staaten im Rahmen von<br />

zwei unabhängigen Untersuchungen, des Weißen Hauses sowie eines Bundesgerichts,<br />

festgestellt, dass alle diese Programme wirkungslos sind, um den Terrorismus zu stoppen.<br />

Sie fanden auch heraus, dass sie unverhältnismäßig in die Privatsphäre der Bürger<br />

eindringen – von Personen, die noch nie irgendeines Fehlverhaltens oder krimineller Aktivitäten<br />

verdächtigt wurden –, und dass diese Art von Programmen nicht die sensibelsten<br />

Instrumente sind, die solchen Behörden für Ermittlungszwecke zur Verfügung stehen.<br />

Zur selben Zeit habe ich kaum eine öffentliche Diskussion über Russlands eigene<br />

Politik der Massenüberwachung wahrgenommen. Deshalb würde ich Sie gerne fragen:<br />

Findet in Russland ein Abfangen, Speichern oder irgendeine Form der Auswertung der<br />

Posten prorussischer Rebellen. An das Gebäude im Hintergrund haben sie «Russland» geschrieben.<br />

Foto: Andrew Butko; CCL<br />

116


Über die Situation in der Ostukraine äußerte sich der Präsident in einer Fernsehdiskussion am 17. April 2014<br />

Kommunikation von Millionen Menschen statt, und glauben Sie, dass man das – also<br />

dass man ganze Gesellschaften und nicht einzelne Personen mit Überwachung überzieht<br />

– mit der Begründung der Erhöhung der Wirksamkeit der Geheimdienst-, Ermittlungsoder<br />

der Strafverfolgungsbehörden rechtfertigen kann? Danke.<br />

Putin: (…) Herr Snowden, Sie sind ein ehemaliger Geheimdienstoffizier und ich habe<br />

auch für einen Geheimdienst gearbeitet. Lassen Sie uns also wie zwei Profis sprechen. Um<br />

damit zu beginnen: Russland hat Gesetze, die die Verwendung von speziellen Geräten von<br />

Sicherheitsdiensten, auch für das Anzapfen von Privatgesprächen und für die Überwachung<br />

von Online-Kommunikation, streng regeln. Sie brauchen eine richterliche Anordnung, in<br />

jedem Einzelfall, um eine solche Technik anwenden zu können. Eine wahllose Massenüberwachung<br />

kann es daher nicht geben und gibt es nicht, nicht nach russischem Recht.<br />

Seit Kriminelle, einschließlich Terroristen, diese modernen Kommunikationssysteme<br />

für ihre kriminellen Aktivitäten verwenden, sollten die Sicherheitsdienste in der Lage<br />

sein, mit modernen Geräten zur Bekämpfung von Straftaten, einschließlich des Terrorismus,<br />

entsprechend zu reagieren. Ja, wir tun dies, aber nicht in einem so großen Maßstab<br />

und nicht willkürlich. Hoffentlich, ich hoffe das sehr, werden wir nie in dieser Art<br />

und Weise vorgehen. Außerdem haben wir nicht solche technischen Fähigkeiten und<br />

Mittel wie die Vereinigten Staaten. Aber die Hauptsache ist, dass unsere Sicherheitsdienstleistungen<br />

glücklicherweise durch den Staat und die Gesellschaft streng kontrolliert<br />

werden und die Vorgehensweise, wie gesagt, gesetzlich streng geregelt ist. (…)<br />

Das Volk und seine Essenz<br />

Einige Experten glauben nun, dass die Menschen als Gemeinschaft nicht über spezielle<br />

Fähigkeiten verfügen, sondern dass nur einzelne Personen sie haben. Es fällt mir<br />

schwer, diese Position zu teilen, denn wenn die Menschen mit der gleichen Sprache<br />

leben, in einem gemeinsamen Staat, auf einem gemeinsamen Territorium, in einem<br />

bestimmten Klima, wenn sie gemeinsame kulturelle Werte und eine gemeinsame Geschichte<br />

haben, führt das dazu, dass sie einige gemeinsame Merkmale haben.<br />

Was unser Volk angeht: Unser Land hat wie ein Magnet Vertreter der verschiedensten<br />

ethnischen Gruppen, Nationen und Nationalitäten angezogen. Übrigens ist das das<br />

Rückgrat nicht nur unseres gemeinsamen kulturellen Codes, sondern unseres sehr leistungsfähigen<br />

genetischen Codes geworden, denn in all diesen Jahrhunderten und sogar<br />

Jahrtausenden sind infolge von Mischehen Gene ausgetauscht worden.<br />

Und dieser unser genetischer Code ist wahrscheinlich, und das ist in der Tat fast sicher,<br />

einer unserer wichtigsten Wettbewerbsvorteile in der heutigen Welt. Dieser Code<br />

ist sehr flexibel und ausdauernd. Wir fühlen ihn vielleicht gar nicht, aber wir wissen,<br />

dass er vorhanden ist.<br />

117


«Den Menschen helfen, ihre Rechte zu verteidigen»<br />

Also, was sind unsere besonderen Merkmale? Wir haben sie natürlich, und ich denke,<br />

dass sie auf Werten beruhen. Es scheint mir, dass der russische Mensch – oder<br />

allgemeiner gesagt: ein Mensch der russischen Welt – in erster Linie über seine oder<br />

ihre höchste moralische Bestimmung beziehungsweise über einige der höchsten moralischen<br />

Wahrheiten nachdenkt. Die russischen Personen oder eine Person der russischen<br />

Welt konzentriert sich also nicht auf seine oder ihre eigene wertvolle Persönlichkeit.<br />

Natürlich denken wir alle im täglichen Leben darüber nach, wie man ein wohlhabenderes<br />

und besseres Leben leben kann, wie man gesünder leben kann und wie wir<br />

unseren Familie helfen können, aber das sind noch nicht unsere wichtigsten Werte.<br />

Unsere Leute öffnen sich nach außen. Westliche Werte sind anders und werden auf das<br />

Innere eines Selbst fokussiert. Der persönliche Erfolg ist der Maßstab für den Erfolg im<br />

Leben, und dies wird von der Gesellschaft anerkannt. Je erfolgreicher ein Mensch ist,<br />

desto besser ist er.<br />

Das ist nicht genug für uns, in diesem Land. Selbst sehr reiche Leute sagen: «Okay,<br />

ich habe Millionen und Milliarden gemacht, also was nun?» Jedenfalls ist alles nach<br />

außen gerichtet und auf die Gesellschaft orientiert. Ich denke, dass nur unsere Leute<br />

mit dem berühmten Ausspruch kommen: «Die Angst vor dem Tod geht, wenn man genug<br />

Leute um sich hat.» Wie kommt das? Der Tod ist doch schrecklich, nicht wahr? Aber<br />

nein, anscheinend kann er schön sein, wenn er den Menschen dient: Tod für den Freund,<br />

für das Volk oder für die Heimat, um ein modernes Wort zu verwenden.<br />

Dies sind die tiefen Wurzeln unseres Patriotismus. So erklärt sich die Bereitschaft zu<br />

massenhaftem Heroismus in bewaffneten Konflikten und Kriegen und zur Aufopferung<br />

auch in Friedenszeiten. Daher kommen das Gefühl der Gemeinschaft und die Werte<br />

der Familie. Natürlich sind wir weniger pragmatisch, weniger berechnend als Vertreter<br />

anderer Völker, und wir haben größere Herzen. Vielleicht ist dies ein Spiegelbild<br />

der Größe unseres Landes und seiner grenzenlosen Weiten. Unsere Leute haben einen<br />

großzügigeren Geist.<br />

Ich will niemanden beleidigen, wenn ich das sage. Viele Völker haben ihre eigenen<br />

Vorteile, aber dieser Vorteil ist sicherlich der unsere. Ein intensiver Austausch von Genen,<br />

Informationen und Kulturen findet in der modernen Welt statt. Es besteht auch kein<br />

Zweifel, dass andere Völker über wertvolle und nützliche Dinge verfügen, die wir uns<br />

ausleihen können, aber wir haben uns seit Jahrhunderten auf unsere eigenen Werte<br />

verlassen, die uns nie im Stich gelassen haben und uns gute Dienste in der Zukunft<br />

leisten werden.<br />

118<br />

(Eine vollständige englische Übersetzung der Mitschrift dieser Sendung finden Sie auf der<br />

Internetseite des Kreml unter eng.news.kremlin.ru/news/7034. Deutsche Übersetzung:<br />

Yasmine Pazio).


«300.000 Jobs wurden in<br />

Deutschland durch die Zusammenarbeit<br />

mit uns geschaffen»<br />

_ Zur Zukunft der russischen Gaslieferungen: Antwort auf eine Frage im Rahmen<br />

einer internationalen Pressekonferenz am 24. Mai 2014<br />

Ulf Mauder, dpa: (...) Im Westen, in Deutschland, ist man besorgt wegen der politischen<br />

Entwicklung Russlands, der Verlässlichkeit der Partnerschaft und des Vertrauens.<br />

Wir haben diese Fragen im Forum diskutiert. Erdgas ist jetzt der wichtigste Punkt<br />

zwischen Russland und Deutschland – ob noch genug Gas für den Westen übrig ist,<br />

nachdem Sie einen großen Vertrag mit China abgeschlossen haben. Sie sollten auch<br />

dazu Stellung nehmen, was das für Ihre anderen Vorhaben bedeutet – die South Stream<br />

Pipeline [russische Gasversorgung für die EU über die Balkanroute, geplant] und die<br />

Nord Stream Verbindungen [russische Gasversorgung für die EU über die Ostsee, bereits<br />

fertig]. Müssen Sie... Oder sprechen Sie darüber nicht mehr?<br />

Beginnen wir mit den Wirtschaftsfragen. Was die Beziehungen mit unseren chinesischen<br />

Partnern und Freunden und unsere Beziehungen mit den europäischen Partnern,<br />

Deutschland eingeschlossen, angeht: Wenn wir den Vertrag mit China umsetzen, wird<br />

dieses Land zu einem gleichrangigen Abnehmer wie Deutschland werden. Russland<br />

wird beiden Abnehmern ähnliche Mengen zur Verfügung stellen: Deutschland nimmt<br />

jährlich ungefähr 40 Billionen Kubikmeter Gas ab, und China wird auch ungefähr 40<br />

Billionen kaufen.<br />

Die Verträge mit China<br />

Ja, und wenn wir das sogenannte zweite Projekt mit China umsetzen, in dessen Rahmen<br />

russisches Gas auf der Westroute per Schiff nach China gelangt, wird China unser<br />

größter Gaspartner werden. Der erste Vertrag, dem zufolge die Ostroute verwendet wird<br />

– ich habe das schon erwähnt, aber ich wiederhole das, um sicherzustellen, dass es<br />

jeder versteht – wird die Versorgung Europas in keiner Weise berühren. Da geht es um<br />

Gas aus neuen Feldern in Südjakutien und in der Region Irkutsk, die noch nicht einmal<br />

erschlossen sind. (...) Ich hab das schon gesagt, das wäre das größte Bauprojekt mit russischem<br />

Kapital, insgesamt 55 Milliarden US-Dollar, wobei unsere chinesischen Partner<br />

weitere 20 Milliarden US-Dollar dazugeben, um die Anlagen an ihrem Streckenende zu<br />

119


Pipeline im russischen Norden. Foto: Gazprom<br />

bauen. Das hat mit Europa überhaupt nichts zu tun. Die zweite Route wird erst diskutiert<br />

mit unseren chinesischen Kollegen. Sie ist im Verhandlungsstadium und bisher sind keine<br />

Verträge auf dem Tisch. Aber ich denke, sie wird vermutlich implementiert werden.<br />

Dieses Projekt wird die Vorkommen in Westsibirien nutzen, woher bisher das ganze Gas<br />

für die Versorgung Europas, einschließlich Deutschlands, kommt. Aber auch deswegen<br />

sollten Sie nicht besorgt sein, weil Gazprom – Entschuldigung, meine Zahlen könnten<br />

nicht ganz präzise sein – derzeit 440 bis 450 Billionen Kubikmeter pro Jahr fördert, und<br />

sie können die Produktion sogar noch auf 650 Billionen Kubikmeter erhöhen. (...)<br />

Was die geplante Versorgung von China über die Westroute angeht: Über diese<br />

wurde noch keine Übereinkunft erzielt, aber der Umfang wird sicherlich weniger als<br />

200 Billionen Kubikmeter betragen. Die zusätzlichen 200 Billionen Kubikmeter Gas, die<br />

wir fördern können, werden sicherlich ausreichen, um China zu versorgen und die Versorgung<br />

unserer europäischen Abnehmer zu steigern, und sogar für den wachsenden<br />

Bedarf der russischen Wirtschaft. (...)<br />

120<br />

Gasstreit mit der Ukraine<br />

Verlässlichkeit ist der Schlüssel. Selbst in den kritischsten Phasen des Kalten Krieges<br />

hat die Sowjetunion niemals – das will ich betonen –, niemals die Versorgung Europas,<br />

einschließlich Deutschlands, gekappt. So wird sich auch die Russische Föderation verhalten.<br />

Es gab einen Vorfall im Jahre 2009, als unberechtigte und unfaire Forderungen –<br />

das will ich betonen – der Ukraine, die Forderung nach einem unglaublichen Preisnach-


Antwort auf eine Frage im Rahmen einer internationalen Pressekonferenz am 24. Mai 2014<br />

lass für die Lieferungen in die Ukraine, dazu führten, dass sich die Ukraine weigerte,<br />

russisches Gas nach Europa durchzuleiten.<br />

Wissen Sie, Sie können über diese Tatsachen entweder schreiben oder sie zurückhalten,<br />

wie das oft passiert. Aber wir alle verstehen: Russland ist interessiert an Lieferungen<br />

an zuverlässige Kunden, die den vereinbarten Preis bezahlen. Glauben Sie, wir<br />

würden die Gaslieferungen nach Europa stoppen, obwohl uns das nur selbst schaden<br />

würde? Unsinn, das wäre Selbstmord. Aber als die ukrainischen Partner sich weigerten,<br />

unser Gas durchzuleiten und es stattdessen aus der Transit-Pipeline stahlen, was konnten<br />

wir dagegen machen? (...)<br />

Nun hören wir, dass sie [die Ukrainer] unsere Pipeline beschädigen oder die Bezahlung<br />

einstellen könnten. Was soll das heißen, die Zahlungen einstellen? Sie haben uns<br />

seit Juli [2013] nichts bezahlt! (...) Wir haben die Ukraine bereits mit zehn Billionen – ich<br />

glaube, 9,8 Billionen – Kubikmetern Gas umsonst versorgt. Das war eine kostenlose<br />

Lieferung im Umfang dessen, was wir jährlich an Polen liefern. Das ist beispiellos. (...)<br />

Für alles gibt es eine Grenze. Wir werden sehen, was passiert, nachdem die neue ukrainische<br />

Regierung gebildet ist, nach den Wahlen [vom 25. Mai 2014]. Aber um sicherzustellen,<br />

dass uns niemand wegen Plünderung anklagt, hat Gazprom schon gewarnt,<br />

und ich auch, dass Gazprom vertragsgemäß zum Vorauszahlungsmodus übergehen wird.<br />

(...)<br />

Die Kanzlerin als Partner<br />

Nun möchte ich ein paar Worte über unsere Beziehungen mit der Bundesrepublik sagen.<br />

Wir haben gut entwickelte Beziehungen, und ich denke, diese sind wichtig, sowohl<br />

für Russland wie für die Bundesrepublik Deutschland. Nach vorsichtigen Schätzungen<br />

– ich habe diese Zahl bereits angeführt – wurden ungefähr 300.000 Arbeitsplätze in<br />

Deutschland als Ergebnis unserer bilateralen Wirtschaftskooperation geschaffen, unsere<br />

Energiekontakte nicht eingerechnet. Deswegen bin ich der festen Überzeugung,<br />

dass wir bei der Behandlung unserer Beziehungen sehr vorsichtig sein und sie immun<br />

gegenüber den gegenwärtigen politischen Umständen halten sollten. Keiner weiß, wer<br />

in diesen politischen Streitfragen Recht hat. Natürlich glaube ich, dass wir es sind.<br />

Für unsere Verhandlungspositionen nutzen wir unsere Kontakte mit der Kanzlerin. Ich<br />

habe sehr warmherzige Beziehungen mit Frau Merkel, jedenfalls bis zum heutigen Tag,<br />

sowohl persönlich wie geschäftlich. Wir haben es immer geschafft, Berührungspunkte<br />

zu finden und in Streitfragen einen Kompromiss zu erzielen. Das wollen wir auch in<br />

Zukunft so halten. Dankeschön.<br />

Quelle: eng.kremlin.ru/transcripts/7237. Übersetzung: Jürgen Elsässer.<br />

121


Die Herausgeber<br />

_ Jürgen Elsässer<br />

Jürgen Elsässer hat knapp 30 Bücher<br />

über geo- und wirtschaftspolitische Themen<br />

verfasst, die zum Teil auch in französischer,<br />

italienischer, serbischer, polnischer,<br />

türkischer und japanischer Ausgabe<br />

vorliegen. – Seit Dezember 2010 ist Elsässer<br />

Chefredakteur des Monatsmagazins<br />

<strong>COMPACT</strong>.<br />

_ Yasmine Pazio<br />

Yasmine Pazio engagierte sich seit ihrer<br />

frühen Jugend in der Friedensbewegung<br />

und später bei Occupy. Sie wirkt als Publizistin,<br />

freie Autorin und Übersetzerin, außerdem<br />

führt sie die deutsche Facebook-<br />

Seite «Vladimir Putin».<br />

Herausgeber & Verlag<br />

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Chefredakteur Jürgen Elsässer<br />

(V.i.S.d.P.)<br />

Chef vom Dienst Martin Müller-Mertens<br />

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Texten stammen von der Redaktion.<br />

122


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Kontakte ins Innenministerium<br />

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Der türkische CIA-Agent u.v.m.<br />

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1990 bis heute<br />

Aus dem Inhalt:<br />

Irak 1991: Die Neue Weltordnung<br />

Bosnien – das Grab Jugoslawiens<br />

9/11 – Die Mutter aller Lügen<br />

2001: Vorstoß zum Hindukusch u.v.m.<br />

<strong>COMPACT</strong> Spezial Nr. 3 _Feindbild Familie<br />

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Geburtenabsturz, Sexuelle Umerziehung,<br />

Gender Mainstream, Schulfach Schwul,<br />

Frühsexualisierung, Raubtierfeminismus<br />

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