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ein Allensteiner Kind - Stadtgemeinschaft Tilsit eV - Ostpreußen.de

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Das unerwartete Christbrot<br />

Eine Weihnachtserzählung aus Ostpreußen von Hansgeorg Buchholtz<br />

Der Winter hatte früh und hart begonnen.<br />

Das Land war erstarrt. Auch<br />

war es durch <strong>de</strong>n Krieg ausgeleert,<br />

die Mehrzahl s<strong>ein</strong>er Einwohner vertrieben<br />

o<strong>de</strong>r erschlagen. Die wenigen,<br />

die geblieben waren, hockten<br />

gleich verängstigten Tieren, von <strong>de</strong>n<br />

<strong>ein</strong>gedrungenen Frem<strong>de</strong>n zusammengescheucht,<br />

an <strong>de</strong>n elen<strong>de</strong>sten<br />

Plätzen bei<strong>ein</strong>an<strong>de</strong>r. Man holte sie<br />

zur Arbeit, wie man Vieh an <strong>de</strong>n Pflug<br />

treibt, aber während man diesem<br />

Futter dafür vorwirft, fragte man die<br />

Menschen nicht, wovon sie leben<br />

wür<strong>de</strong>n, man nährte sie nicht, man<br />

entlohnte sie nicht. Wenn sie starben,<br />

war man zufrie<strong>de</strong>n. Sie sollten ausgetilgt<br />

wer<strong>de</strong>n, <strong>de</strong>nn dann brauchte es<br />

k<strong>ein</strong>er Rechenschaft darüber, dass<br />

man ihnen das Land und alles genommen<br />

hatte.<br />

Die Ruinen <strong>de</strong>r bei<strong>de</strong>n Briskornschen<br />

Höfe und <strong>de</strong>s Guts, die im Weeskegrund<br />

lagen, waren vom Schnee zuge<strong>de</strong>ckt.<br />

In die drei leeren Häuser, in<br />

<strong>de</strong>nen <strong>ein</strong>st Jendreiecks, Gusovius<br />

und Schimkats gewohnt hatten, trieb<br />

<strong>de</strong>r Flockenwirbel durch die glas-<br />

und rahmenlosen Fenster und die<br />

türenlosen Eingänge. Nur <strong>ein</strong> schwaches<br />

Licht schimmerte abends im<br />

Dunst auf. Das brannte beim Polen<br />

Radczinski im ehemals Hellschen<br />

Anwesen.<br />

Im alten Insthaus, wo die letzten<br />

Deutschen hausten, war es immer<br />

dunkel. Der Feldweg dorthin war tief<br />

verschneit. Hohe Wehen türmten sich<br />

und <strong>de</strong>ckten die Kopfwei<strong>de</strong>n fast zu.<br />

Seit Tagen war dort k<strong>ein</strong> Mensch gegangen.<br />

Wozu auch? Arbeit gab es<br />

jetzt nicht, und <strong>ein</strong>kaufen, selbst<br />

wenn es etwas zu kaufen gegeben<br />

hätte, konnte man nicht, <strong>de</strong>nn man<br />

besaß we<strong>de</strong>r Geld noch Tauschware,<br />

und überhaupt tat man besser daran,<br />

sich nicht sehen zu lassen. Der<br />

Schnee lag vor <strong>de</strong>r Kate bis zur halben<br />

Höhe <strong>de</strong>r Fenster, auch <strong>de</strong>r<br />

Ziehbrunnen war verweht und <strong>de</strong>r<br />

Schuppen ragte kaum noch hervor.<br />

Das Haus bestand aus Stube, Kammer,<br />

Küche und <strong>ein</strong>em kl<strong>ein</strong>en Flur.<br />

In <strong>de</strong>r Kammer hausten zwei alte<br />

Frauen, in <strong>de</strong>r Stube wohnte Frau<br />

Prien mit fünf <strong>Kind</strong>ern, von <strong>de</strong>nen<br />

drei ihr gehörten, während die bei<strong>de</strong>n<br />

an<strong>de</strong>ren sich auf <strong>de</strong>r Flucht dazu gefun<strong>de</strong>n<br />

hatten. In <strong>de</strong>m kl<strong>ein</strong>en dunklen<br />

Küchenraum aber, <strong>de</strong>r am En<strong>de</strong><br />

<strong>de</strong>s schmalen Flures lag, lebten<br />

Maruhn, Djikus und Kunz, drei alte<br />

Männer.<br />

„Heute ist Heiligabend.“ Frau Wirkus,<br />

die greise Mutter <strong>de</strong>s früheren Gutsherrn,<br />

verkün<strong>de</strong>te es, als sie Anna<br />

Prien und ihre Schwester Gisela im<br />

Flur antraf. „Habt ihr <strong>de</strong>nn noch etwas<br />

zu essen?“ forschte sie danach.<br />

„Mutter kocht heute Kartoffeln“, antworteten<br />

die <strong>Kind</strong>er. Sie waren<br />

bleich, und die ausgefahlten Trainingsanzüge<br />

hingen ihnen viel zu lose<br />

um die mageren Glie<strong>de</strong>r. Sie froren,<br />

aber in <strong>de</strong>r Stube war es auch nicht<br />

viel wärmer. Scheitholz zum Heizen<br />

gab es nicht, und in <strong>de</strong>n Wald zu gehen,<br />

um Holz zu sammeln, wagte<br />

man nicht. „Sagt eurer Mutter, dass<br />

wir heute Abend zu euch kommen.<br />

Ich habe noch <strong>ein</strong>e Kerze.“ In Frau<br />

Wirkus’ grauen Augen leuchtete es<br />

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