ein Allensteiner Kind - Stadtgemeinschaft Tilsit eV - Ostpreußen.de
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sagte Anna. „Wir machten uns für die<br />
Kirche fertig“, sagte Otto. „Und wir<br />
warteten auf die Bescherung“, sagte<br />
H<strong>ein</strong>z. „Ich las immer, damit die Zeit<br />
schneller verginge.“ „Und jetzt warten<br />
wir hier!“ rief Gisela. „Wozu nur?<br />
Drinnen war es wärmer.“ Frau Wirkus<br />
hat <strong>ein</strong>e Kerze“, sagte Anna leise,<br />
„Ich freue mich auf das Licht.“<br />
Frau Prien hatte in<strong>de</strong>ssen die Stube<br />
mit Tannenzweigen geschmückt. Das<br />
Grün ver<strong>de</strong>ckte die Risse und<br />
Schwammstellen. Djikus brachte <strong>ein</strong>e<br />
kl<strong>ein</strong>e Tanne. Er hatte sie schon vor<br />
Tagen heimlich in <strong>de</strong>n Schuppen gebracht.<br />
Nun stellte er sie auf <strong>de</strong>m<br />
Tisch auf und befestigte mit Kunz die<br />
kl<strong>ein</strong>en Strohsternchen an <strong>de</strong>n Zweigen,<br />
die sie gebastelt hatten. Sogar<br />
Lametta war da. Es war aus Silberpapier,<br />
das sie irgendwo aufgestöbert<br />
hatten, geschnitten. Der alte Kunz<br />
hatte für Fritzchen <strong>ein</strong> Holzpferd geschnitzt,<br />
Frau Wirkus für die Mädchen<br />
<strong>ein</strong>en Ball aus Lumpen genäht. Diese<br />
Dinge und zwei Äpfel, die Maruhn seit<br />
Wochen gehütet hatte, legten sie nun<br />
unter das Bäumchen. Frau Prien sah<br />
ihnen mit heißen Augen zu.<br />
Danach wur<strong>de</strong>n alle her<strong>ein</strong>gerufen.<br />
Frau Wirkus und die an<strong>de</strong>re alte Frau,<br />
<strong>de</strong>ren Namen man nicht wusste,<br />
<strong>de</strong>nn sie war stumm o<strong>de</strong>r so verstört,<br />
dass sie nicht mehr sprach, kamen<br />
zuletzt. Die <strong>Kind</strong>er hatten sich auf<br />
das Bett gesetzt. Frau Wirkus trat an<br />
das Bäumchen und befestigte die<br />
Kerze. „Wir wer<strong>de</strong>n sie anzün<strong>de</strong>n,<br />
wenn Maruhn liest“, sagte sie. Dann<br />
setzte sie sich auf <strong>de</strong>n Hocker neben<br />
<strong>de</strong>n Ofen und sprach, zu <strong>de</strong>n <strong>Kind</strong>ern<br />
gewandt, weiter: „Jetzt erzähle<br />
ich euch, was in dieser Nacht geschieht.<br />
Wir können nicht fort von<br />
hier, aber draußen wan<strong>de</strong>rt das<br />
Christkind. Es nimmt die Gedanken<br />
<strong>de</strong>r Menschen mit sich, die in dieser<br />
Nacht an<strong>ein</strong>an<strong>de</strong>r <strong>de</strong>nken, und so<br />
kommen die Gedanken <strong>de</strong>r verlorenen<br />
<strong>Kind</strong>er zu <strong>de</strong>n Müttern und Vätern<br />
und <strong>de</strong>ren Gedanken zu ihren<br />
<strong>Kind</strong>ern, und die Gedanken <strong>de</strong>r<br />
Frauen verbin<strong>de</strong>n sich mit <strong>de</strong>nen ihrer<br />
<strong>ein</strong>samen Männer.<br />
Heute brennen bei <strong>de</strong>n Christenmenschen<br />
in aller Welt Kerzen. Heute<br />
singen sie und beten in Stuben und<br />
Gotteshäusern. Sie beschenken <strong>ein</strong>an<strong>de</strong>r<br />
und tun es im Ange<strong>de</strong>nken<br />
an die Geburt <strong>de</strong>s Heilands. Auch wir<br />
haben früher zu <strong>de</strong>n Glücklichen gehört,<br />
die im Frie<strong>de</strong>n mit<strong>ein</strong>an<strong>de</strong>r und<br />
<strong>de</strong>r Welt leben durften. Ehre sei Gott<br />
in <strong>de</strong>r Höhe und Frie<strong>de</strong>n auf Er<strong>de</strong>n,<br />
sangen wir mit <strong>de</strong>n Engeln. Als ich<br />
<strong>Kind</strong> war, glaubte ich, dass die Engel<br />
in dieser Nacht umgingen und mit ihnen<br />
Jesus Christus in <strong>de</strong>r Gestalt <strong>ein</strong>es<br />
<strong>Kind</strong>es, und ich glaube auch<br />
heute wie<strong>de</strong>r, dass dies so ist.<br />
Draußen läuft das <strong>Kind</strong> jetzt durch<br />
<strong>de</strong>n Schnee. Die Tiere geleiten es<br />
durch die großen Wäl<strong>de</strong>r. Es eilt über<br />
die Seen hin, und <strong>de</strong>r Wassermann<br />
unter <strong>de</strong>m Eis und die Schwärme <strong>de</strong>r<br />
Fische folgen s<strong>ein</strong>en Füßen, die das<br />
Eis durchleuchten. Und dann kommt<br />
es dahin, wo die Menschen wohnen.<br />
Es steht vor <strong>de</strong>n nie<strong>de</strong>rgebrannten<br />
Häusern, wo es in <strong>de</strong>n vergangenen<br />
Jahren hinter hellen Fenstern noch<br />
fröhliche Menschen gesehen hat und<br />
geht traurig weiter. Es sieht die Gräber<br />
unter <strong>de</strong>m Schnee, in <strong>de</strong>nen die<br />
Gefallenen und die Gemor<strong>de</strong>ten<br />
schlafen. Es w<strong>ein</strong>t, und wo s<strong>ein</strong>e<br />
Tränen zu Bo<strong>de</strong>n fallen, blühen<br />
Christrosen auf aus <strong>de</strong>m Schnee. Es<br />
wan<strong>de</strong>rt durch die Ruinen und leeren<br />
Straßen <strong>de</strong>r Städte, durch die verlas-<br />
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