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3.2 Werbung ist Kommunikation - bei DuEPublico

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<strong>3.2</strong> <strong>Werbung</strong> <strong>ist</strong> <strong>Kommunikation</strong><br />

In diesem Kapitel wird die <strong>Werbung</strong> aus dem Blickwinkel der <strong>Kommunikation</strong> betrachtet.<br />

Die Entwicklung der <strong>Kommunikation</strong>smodelle wird vorgestellt, um das Verständnis für<br />

den ausgewählten Ansatz vertiefen zu können. Die Wirkungsforschung wird nur kurz<br />

thematisch angeschnitten. Sie stellt Modelle der Marketingforschung bereit, deren Ziel es<br />

<strong>ist</strong>, mit verschiedenen Marktsegmentierungen eine möglichst hohe Effizienz der <strong>Werbung</strong><br />

zu erreichen. Im Anschluß an diese Aufar<strong>bei</strong>tung wird das der Studie zugrundeliegende<br />

Wirklichkeitsmodell vorgestellt. Er geht auf Fragen der Validität bestimmter Ergebnisse<br />

von Analysen ein. Schließlich wird die Spezifik der zur Debatte stehenden <strong>Werbung</strong>en<br />

behandelt.<br />

<strong>3.2</strong>.1 Angewandtes <strong>Kommunikation</strong>smodell<br />

Die theoretischen Grundlagen der <strong>Werbung</strong> beruhen auf denjenigen der <strong>Kommunikation</strong>.<br />

So <strong>ist</strong> die Werbetheorie Teil der <strong>Kommunikation</strong>swissenschaften. <strong>Werbung</strong> <strong>ist</strong> eine<br />

spezifische Art von <strong>Kommunikation</strong>, welche verschiedenen Regeln und Mitteln<br />

unterworfen <strong>ist</strong>. Sie <strong>ist</strong> <strong>Kommunikation</strong>sgegenstand bzw. Äußerung und vermittelt<br />

zwischen zwei oder mehreren <strong>Kommunikation</strong>spartnern. Ihr Zweck <strong>ist</strong> die<br />

Informationsvermittlung.<br />

Verschiedene, bzw. unterschiedlich weit ausgear<strong>bei</strong>tete <strong>Kommunikation</strong>smodelle liegen<br />

vor. Eine kurze Vorstellung dieser Modelle erscheint sinnvoll, bevor dasjenige ausgewählt<br />

wird, mit welchem im Rahmen unserer Analyse gear<strong>bei</strong>tet wird. Im Anschluß daran werden<br />

notwendige Einschränkungen <strong>bei</strong> der Übertragung der theoretischen Modelle auf die<br />

Analysesituation im Falle von Werbekommunikation beachtet. Bei der generellen<br />

Unterscheidung zwischen einem aktantenfreien Theorietypen, der <strong>Kommunikation</strong> als ein<br />

sich selbst ordnendes Sinngeschehen ansieht und der <strong>Kommunikation</strong> als beobachtbarer,<br />

spezieller Form von Handeln in Situationen unter der Einbeziehung von Aktanten, wählen<br />

wir den zweiten Ansatz. Da<strong>bei</strong> wird folgende Hypothese akzeptiert: Ohne kommunalisierte<br />

Aktanten kann es keine <strong>Kommunikation</strong> geben und ohne aktantenübergreifende soziale<br />

Sinn- und Diskursbestände kann es weder kommunalisierte Aktanten noch ein<br />

<strong>Kommunikation</strong>sgeschehen geben.<br />

92


<strong>3.2</strong>.1.1 Generelle Entwicklung der <strong>Kommunikation</strong>smodelle<br />

<strong>3.2</strong>.1.1.1 Stimulus-Response-Modell<br />

Zur Ermittlung von Wirkungen und Konsequenzen von <strong>Kommunikation</strong>sprozessen findet<br />

das traditionelle, medienzentrierte Denkmodell als Erklärungsbasis Verwendung. Dieses<br />

Modell wird Reiz-Reaktionsmodell oder auch Stimulus-Response-Modell oder S-R-Modell<br />

genannt. Es beruht grundsätzlich auf einer theoretisch angenommenen linearen<br />

Verbindung zwischen den drei beteiligten Elementen: Kommunikator, Stimulus und<br />

Rezipient. Dieses, aus der behavior<strong>ist</strong>ischen Reflex-Theorie abgeleitete Modell, geht von<br />

einer vollständig voraussagbaren Wirkung eines Stimulus aus, wenn dieser auf den<br />

Rezipienten trifft. 1 Letzterer handelt demnach quasi automatisch, wie der konditionierte<br />

Pavlowsche Hund. Für den Bereich der <strong>Kommunikation</strong> bedeutet dies, daß der Rezipient<br />

von einem Kommunikator einen Reiz bzw. Stimuli erhält. Dieser wird automatischreflexhaft<br />

und damit unreflektiert aufgenommen, verstanden und ggf. von einer Reaktion<br />

gefolgt. Das Ergebnis zeigt eine sogenannte One-way-<strong>Kommunikation</strong>.<br />

Abbildung 9: R-S-Modell (modifiziert nach: Merten, Inhaltsanalyse, S. 74)<br />

Charakter<strong>ist</strong>isch für dieses klassische und älteste <strong>Kommunikation</strong>smodell <strong>ist</strong>, daß es<br />

gleichzeitig als Wirkungmodell angesehen wird. Als Wirkungsmodell beruht das R-S-<br />

Modell auf folgenden Annahmen2 :<br />

(1) Stimuli besitzen gemäß der Kräftelehre der Physik eine objektivierbare Intensität,<br />

die dort Energie heißt. Da Stimuli weiterhin gerichtete Größen sind, bedeutet<br />

dies, daß gleiche Stimuli gleiche Wirkung besitzen. Das aus der Physik entlehnte<br />

Modell zeigt eine kausal strukturierte Ursache-Folgen-Relation, wo<strong>bei</strong> die Folgen<br />

1 Vgl.: Merten, Klaus, Inhaltsanalyse. Einführung in Theorie, Methode und Praxis. 2., verb. Aufl., Opladen<br />

1995, S. 74<br />

2 Nach: Merten, Klaus, Artefakte der Medienwirkungsforschung: Kritik klassischer Annahmen, in: Publiz<strong>ist</strong>ik,<br />

Vol. 36, 1/1991, S. 37f<br />

93


mathematisch berechenbar, meß- und prognostizierbar sind. Wirkung wird als<br />

Veränderung des Wissens, der Einstellung und des Verhaltens angesehen. 3<br />

(2) Die Wirkung bzw. die Veränderung wird ausschließlich durch Stimuli<br />

übertragen, welche durch die <strong>Kommunikation</strong> übermittelt werden. Die<br />

Wirkungen sind somit direkt Rahmenbedingungen wie das soziale Umfeld oder<br />

die Rezeptionssituation werden ignoriert.<br />

(3) Der Prozeß wird als kausale Transferle<strong>ist</strong>ung angesehen, die durch die<br />

Verbindung von Kommunikator zum Rezipienten gele<strong>ist</strong>et wird. Ursache und<br />

Wirkung werden so sachlich, sozial und temporal relationiert.<br />

Die Kritik am Stimulus-Response-Modell <strong>ist</strong> vielseitig. Der Hauptkritikpunkt liegt in der<br />

falschen Annahme, daß gleicher Stimulus gleiche Wirkung erzeuge. 4 Da<strong>bei</strong> kann das<br />

menschliche Verhalten nicht auf behavior<strong>ist</strong>ische Reaktionen und/oder auf physikalische<br />

Reize verkürzt werden, sondern <strong>ist</strong> vielmehr aktives Stellungnehmen, sich in ein Verhältnis<br />

bringen und sich situieren. 5 Weiterhin <strong>ist</strong> der Glaube vom gleichartig reagierenden<br />

Menschen irreleitend. Menschen reagieren individuell, da sie fähig sind zu selektieren.<br />

Folglich bedeutet die <strong>Kommunikation</strong> gleicher Stimuli nicht zwangsweise eine äquivalente<br />

Wirkung <strong>bei</strong> verschiedenen Personen. 6 Die Demontage des Modells wurde durch<br />

Lazarsfeld eingeleitet, der von selektiven Mechanismen ausgeht. 7<br />

Auch durch Morris8 fand eine Veränderung und Weiterentwicklung dieses S-R-Modells<br />

statt. Morris, wie auch weitere Wissenschaftler, stellen für die <strong>Kommunikation</strong> fest, daß <strong>bei</strong><br />

jeder Person Reize eine andere Bedeutung besitzen und folglich einen anderen Effekt auf<br />

sie ausüben bzw. eine andere Reaktion hervorrufen. 9 Ein konditionierter Stimulus <strong>ist</strong><br />

3 Schenk, Michael, Medienwirkungsforschung, Tübingen 1987, S. 39ff<br />

4 Merten, Klaus, Wirkungen von <strong>Kommunikation</strong>, in: Merten, Klaus/Schmidt,Siegfried J./Weischenberg,<br />

Siegfried (Hrsg.), Die Wirklichkeit der Medien. Eine Einführung in die <strong>Kommunikation</strong>swissenschaft,<br />

Opladen 1994, S. 294ff. Merten nimmt eine genauere Unterscheidung in drei Grundannahmen vor:<br />

Transitivität, Proportionalität und Kausalität, die er kritische beleuchtet und als falsche Annahmen entlarvt.<br />

5 Graumann, Carl, Friedrich, Intentionalität: Zwischen Rezeption und Konstruktion, in: Fischer, Hans Rudi<br />

(Hrsg.), Die Wirklichkeit des Konstruktivismus. Zur Auseinandersetzung um ein neues Paradigma,<br />

Heidelberg 1995, S. 168<br />

6 Maletzke, Gerhard, Psychologie der Massenkommunikation, 2. Auflage, Hamburg 1972, S. 147f<br />

7 Nach Merten, Artefakte der Medienwirkungsforschung, S. 38<br />

8 Vgl. dazu: Morris, Charles, Foundations of the Theory of Sign, Chicago 1938; dt.: Grundlagen der<br />

Zeichentheorie, München 1972; oder ders., Signs, Language and Behavior, New York 1946<br />

9 Unter den weiteren Autoren sei Stern hervorgehoben, die in der Tradition des französischen Philosophen<br />

Derrida über die Dekonstruktion von Texten ar<strong>bei</strong>tet. Stern, Barbara B., Deconstructive Strategy and<br />

94


inex<strong>ist</strong>ent. Das anfängliche Ersetzen des Begriffs Stimulus durch Symbol reichte zur<br />

Verdeutlichung nicht aus, denn der Bedeutungswandel von Reizen in Abhängigkeit von<br />

den involvierten Personen <strong>ist</strong> weitreichend.<br />

<strong>3.2</strong>.1.1.2 <strong>Kommunikation</strong>smodell aus der Nachrichtenübertragungsforschung<br />

Die <strong>Kommunikation</strong>stheorie ändert später ihr <strong>Kommunikation</strong>smodell durch die<br />

Übernahme des Nachrichtenübertragungsmodells von Shannon10 und dessen Überführung<br />

in ein <strong>Kommunikation</strong>smodell durch Schramm11 .<br />

Source Transmitter Receiver Destination<br />

Signal Received<br />

Signal<br />

Message Message<br />

Noise<br />

Source<br />

Abbildung 10: <strong>Kommunikation</strong>smodell aus der Nachrichtenübertragung (modifiziert nach<br />

Shannon/Weaver, S. 31)<br />

Dieses Modell beschreibt <strong>Kommunikation</strong> im Transport von jeweils fertig vorgegebenen<br />

Zeicheninhalten. Die <strong>Kommunikation</strong>sinhalte werden demnach durch einen Code in<br />

Zeichen umgeformt und kommen in unveränderter, identischer Form <strong>bei</strong>m<br />

Consumer Research: Concepts and Illustrative Exemplar, in: Journal of Consumer Rsearch, Vol. 23, 9/1996,<br />

136f<br />

10 Shannon, Claude E./Weaver, Warren, The Mathematical Theory of Communication, Urbana 1949, S. 31.<br />

Eine Genaue Beschreibung des Nachrichtenübertragungsmodell und eine kritische Auseinandersetzung mit<br />

derselben hat Köck durchgeführt. Köck, Wolfram K., Kognition - Semantik - <strong>Kommunikation</strong>, in: Schmidt,<br />

Siegfried J. (Hrsg.), Der Diskurs des Radikalen Konstruktivismus, Frankfurt a.M. 1987, S. 340-358<br />

11 Vgl. dazu: Schramm, Wilbur (Hrsg.), The Process and Effectivenes of Mass Communication, Urbana 1954<br />

95


<strong>Kommunikation</strong>spartner wieder an die Oberfläche. 12 Dieses jüngere<br />

<strong>Kommunikation</strong>smodell <strong>bei</strong>nhaltet als einzige Veränderung die Phase der semantischen<br />

De- bzw. Entkodierung von Inhalten. Die noch bestehende Simplifizierung des<br />

<strong>Kommunikation</strong>sprozesses entspricht weiterhin nicht vollständig dem realen,<br />

komplizierten <strong>Kommunikation</strong>sprozeß. Das Modell <strong>ist</strong> weiterhin linear, räumt jedoch<br />

Interpretationsmomente <strong>bei</strong> der zweifachen Kodierung ein. Dennoch wird mit diesem<br />

Modell ein theoretisches Niveau erreicht, das eine sinnvolle und gültige Inhaltsanalyse<br />

ermöglicht. Andererseits hat die Simplifizierung des Prozesses - nicht ganz zu Recht - "(...)<br />

die Vorstellung von Inhaltsanalyse als einer objektivierbaren Mechanik für Zeichenanalyse<br />

erheblich gefördert (...)." 13<br />

Abbildung 11: <strong>Kommunikation</strong>smodell nach dem Nachrichtenmodell (modifiziert nach:<br />

Merten, Inhaltsanalyse, S. 76)<br />

Problematisch bleiben weiterhin die häufig geäußerten und gerechtfertigten Einwände<br />

gegen die hier vorgestellten und ähnlichen Ein-Weg-<strong>Kommunikation</strong>smodelle. Die Kritik<br />

besagt hauptsächlich, daß die <strong>Kommunikation</strong> nicht logisch oder exakt vorhersehbar <strong>ist</strong>,<br />

d.h., daß die verwendeten Zeichen ihre Definition nicht in sich selbst, sondern in Relation<br />

zum Kommunikator und zum Kommunikanten finden. Damit sind sie nach wie vor nur<br />

12 Eine kritische Beschreibung findet sich in: Busse, Dietrich, Sprache - <strong>Kommunikation</strong> - Wirklichkeit,<br />

Anmerkungen zum "Radikalen" am Konstruktivismus und zu seinem Nutzen oder seiner Notwendigkeit für<br />

die Sprach- und <strong>Kommunikation</strong>swissenschaft, in: Fischer, Die Wirklichkeit des Konstruktivismus, S. 254f<br />

13 Merten, Inhaltsanalyse, 75. Die Inhaltsanalyse obliegt der konstruktiv<strong>ist</strong>ischen Theorie.<br />

96


ansatzweise nachvollziehbar. Luhmann14 verdeutlicht dies mit der Aussage, daß bereits auf<br />

der Ebene der Wahrnehmung ein Prozeß der Selektion stattfindet, der erzeugende und<br />

verstärkende Wirkung hat. Rezipienten sind handelnde Personen, die reflektieren,<br />

unterschiedlich motiviert sind, verschiedene Interessen und voneinander abweichendes<br />

Vorwissen besitzen. Die Konsumentenverhaltensforschung unterstützt diesen Ansatz<br />

durch die Aussage: "prior knowledge moderates comprehension" 15 . Folglich selektieren Rezipienten<br />

nach Interesse und nach selbst entwickelten Wissens- und Vorstellungsstrukturen. Die<br />

Kritik beruht auf den Aspekten der Selektivität und der Reflexivität.<br />

<strong>3.2</strong>.1.1.3 Interaktives <strong>Kommunikation</strong>smodell<br />

Merten16 ergänzte diese Kritik um das Aufzeigen der prinzipiellen A-Kausalität von<br />

<strong>Kommunikation</strong>sprozessen und der Reflexivität der Aufnahmestrukturen. Diese<br />

Reflexivität spielt sich, laut Merten17 , auf drei Ebenen ab, die er folgendermaßen<br />

beschreibt: Die Ebene der Sozialdimension besagt, daß bereits durch die Anwesenheit<br />

eines Kommunikators die Wahrnehmung und das Verhalten des Kommunikantens<br />

reflektiert wird. Die Sachdimension hält eine zweite Ebene der Aussagen für vorhanden.<br />

Reflexivität in der Sachdimension soll besagen, daß ein <strong>Kommunikation</strong>sprozeß<br />

zumindest eine Doppelstruktur von Aussagen und Meta-Aussagen aufweisen muß,<br />

derart, daß die Meta-Aussagen zur Steuerung des <strong>Kommunikation</strong>sprozesses und<br />

zur Interpretation der Aussagen eingesetzt werden. Reflexivität in der<br />

Zeitdimension soll heißen, daß alle <strong>Kommunikation</strong> stets auch auf sich selbst<br />

zurückwirft, also kumulative Effekte hat, die zur Stabilisierung des<br />

<strong>Kommunikation</strong>sprozesses, aber auch zur Ausbildung höherer kommunikativer<br />

Le<strong>ist</strong>ungen (Strukturen) wie Konsens, Sympathie, Verständigung etc. notwendig<br />

sind. 18<br />

Außerdem stellt es die Kreislaufbewegung der <strong>Kommunikation</strong> in den Vordergrund, eine<br />

<strong>Kommunikation</strong>sart, also die als Face-to-face-<strong>Kommunikation</strong> bezeichnet wird und nicht der<br />

Massenkommunikation entspricht. Die untersuchten Publikationen innerhalb der<br />

Massenkommunikation postulieren nämlich die Unkenntnis und die Nicht-<br />

Wahrnehmbarkeit der Kommunikanten und damit eine nur scheinbare soziale Interaktion.<br />

14 Luhmann, Niklas, Einfache Sozialsysteme, in: Zeitschrift für Soziologie, 1/1972, S. 51ff<br />

15 Cohen, Joel B./Chakraviti, Dipankar, Consumer Psychology, in: Anual Reviews Psychology, Vol. 41,<br />

2/1990, S. 243; siehe auch: Mick, David Glen, Schema-theoretics and semiotics: Toward more<br />

hol<strong>ist</strong>ic,programmatic research on marketing communication, in: Semiotica. Vol. 70, 1-2/1988, S. 8<br />

16 Merten, <strong>Kommunikation</strong>. Eine Begriffs- und Prozeßanalyse, Opladen 1977, S. 115ff<br />

17 Ders., a.a.O., S. 78f<br />

18 Ders., a.a.O., S. 79<br />

97


Andererseits <strong>ist</strong> nach Merten zum Thema Reflexivität festzuhalten: "1.) Reflexivität <strong>ist</strong> eine<br />

Strategie zur Selektivitätsverstärkung (vgl. Luhmann 1970) und 2.) Reflexivität als<br />

Kombination verschiedener Typen von Reflexivität - kann als Kriterium für<br />

<strong>Kommunikation</strong> gelten (...)." 19 Es handelt sich um ein Kriterium, das auch für<br />

Massenkommunikation seine Gültigkeit findet.<br />

Die Aspekte der Selektivität und der Reflexivität sind mehrdimensional. Sie wirken sowohl<br />

in der <strong>Kommunikation</strong> als auch in der Massenkommunikation. Ihre Darstellung und ihre<br />

Integration in ein <strong>Kommunikation</strong>smodell erweisen sich als äußerst schwierig. Somit<br />

verdeutlichen sie den Grad der Voll- bzw. Unvollständigkeit der Erklärungsmodelle.<br />

In seinem Erklärungsmodell versucht Merten, diese Fehlerquellen zu eliminieren.<br />

Abbildung 12: Interaktives <strong>Kommunikation</strong>smodell (modifiziert nach: Merten,<br />

Inhaltsanayse, S. 78)<br />

An diesem <strong>Kommunikation</strong>smodell <strong>ist</strong> zu erkennen, daß die Wirkung von <strong>Kommunikation</strong><br />

an drei Faktoren festgemacht werden kann: "1) am Informationsangebot (dem Stimulus), 2)<br />

19 Ebenda und Luhmann, Niklas, Reflexive Mechanismen, in: ders., Soziologische Aufklärung I, Opladen<br />

98


dem internen Kontext, der durch Erfahrungen, Wissen und Einstellungen des Rezipienten,<br />

aber auch durch seine situative Desposition bestimmt <strong>ist</strong> und 3) durch den externen<br />

Kontext, der vor allem durch situative und soziale Randbedingungen (z.B. Anwesenheit<br />

anderer <strong>bei</strong> der Rezeption, Normen, Werte, Medienverfassung)" 20 gekennzeichnet <strong>ist</strong>.<br />

Als Grundlage für die Inhaltsanalyse we<strong>ist</strong> dieses interaktive <strong>Kommunikation</strong>smodell<br />

gerade aufgrund seiner Komplexität praktische Handhabungsschwierigkeiten auf. Die<br />

Aspekte der Selektivität und der Reflexivität können in einer inhaltsanalytischen<br />

Untersuchung nicht vergegenständlicht werden. Deshalb nutzt dieses Modell m.E. lediglich<br />

dem Verständnis von <strong>Kommunikation</strong>sabläufen und kann Hinweise auf die<br />

Wirkungsmechanismen geben, sie jedoch nicht verallgemeinern. Das interaktive<br />

<strong>Kommunikation</strong>smodell <strong>ist</strong> für vorliegende Zwecke zu unübersichtlich - und wie die<br />

Zukunft wahrscheinlich zeigen wird – keineswegs jedoch vollständig. Unübersichtlichkeit<br />

<strong>ist</strong> nicht mit Vollständigkeit gleichzusetzen.<br />

<strong>3.2</strong>.1.2 In der Studie benutztes <strong>Kommunikation</strong>smodell<br />

Die unterschiedlichen <strong>Kommunikation</strong>smodelle sind nicht nur unterschiedlich weit<br />

entwickelt, auch <strong>ist</strong> ihre Anwendbarkeit unterschiedlich groß. Was die einfache<br />

Übertragung der <strong>Kommunikation</strong>smodelle auf die Massenkommunikation angeht, so liegen<br />

Bedenken vor. Z.B. sieht Haase21 diese als schwierig an, da <strong>Kommunikation</strong>smodelle<br />

jeweils nur die <strong>Kommunikation</strong> zwischen zwei Kommunikanten erklären kann. Die<br />

Verständigung zwischen einem Kommunikanten und einer Masse unterliegt jedoch<br />

anderen Bedingungen. Da jedoch keine eigene Werbetheorie entwickelt wurde, müssen<br />

bestehende Schwierigkeiten dargestellt und die <strong>Kommunikation</strong>stheorie angewendet<br />

werden.<br />

<strong>Werbung</strong> unterliegt bestimmten Bedingungen und beschreibt eine zielgerichtete<br />

<strong>Kommunikation</strong>stechnologie in den Massenmedien. Wenn auch das Stimulus-Response-<br />

Modell wegen seiner One-way-Charakterisitik als überholt gilt, so wird es dennoch wegen<br />

seiner hohen Praktikabilität gerade für die Werbeforschung häufig benutzt. Dieses<br />

senderorientierte <strong>Kommunikation</strong>smodell bleibt "de facto mit seinen Implikationen<br />

1970<br />

20 Merten, Wirkungen von <strong>Kommunikation</strong>, 311f<br />

21 Haase, Werbewirkungsforschung, S. 218<br />

99


es<strong>ist</strong>ent und darum resident" 22 . Die Senderorientierung entspricht der Zielsetzung von<br />

<strong>Werbung</strong>. Dieses soll in der direkten und vor allem gelenkten Beeinflussung des<br />

Rezipientens zum Ausdruck kommen. Der Kommunikator, also der Werbetreibende23 will<br />

mit seiner <strong>Werbung</strong> den Rezipienten direkt in die gewünschte Richtung beeinflussen. Die<br />

<strong>Werbung</strong> soll Verhaltensänderungen der Rezipienten hervorrufen. Die <strong>Kommunikation</strong> gilt<br />

fälschlich als ein linear-kausaler Vorgang, "in dem "Ursachen" bzw. "Stimuli", also medial<br />

verbreitete Aussagen, und "Wirkungen" bzw. responses, das Rezipienten- oder<br />

Publikumsverhalten, also in einem einsinnig gerichteten Zusammenhang" 24 vermuten. In<br />

diesem medienzentrierten Modell stellen die Kommunikator-Intentionen den zentralen<br />

Bezugsgesichtspunkt dar. 25 Wenn auch diese Ansicht für die Inhaltsanalyse benutzt wird,<br />

so darf dennoch nicht vergessen werden, daß dieses Modell nur eine Vereinfachung der<br />

Realität darstellt. Die konstruktiv<strong>ist</strong>ische Debatte gibt Analysepunkte für die tatsächliche<br />

(Aus-)Wirkung von <strong>Werbung</strong>. Da diese Theorie dem publikumszentrierten Modell<br />

angehört, kann es lediglich dem Verständnis dienen, aber keine direkten Schlüsse auf die<br />

Wirkung von <strong>Werbung</strong>en ermöglichen.<br />

Das Bild eines auf reine Aufnahme konditionierten Rezipienten, dient der Inhaltsanalyse<br />

als Grundschema. Es heißt:<br />

The strategy of propaganda (...) can readily be described in the language of stimulus-response (...)<br />

the propagand<strong>ist</strong> may be said to be concerned with the multiplication of those stimuli which are best<br />

calculated to evoke the desired response, and with the nullification of those stimuli which are likely<br />

to instigate the undesired responses." 26<br />

<strong>3.2</strong>.2 Konstruktivismus und Grenzen der Interpretation/der Inhaltsanalyse<br />

<strong>3.2</strong>.2.1 Konstruktivismus als zugrundeliegende Theorie<br />

Selektivität <strong>ist</strong>, wie bereits angedeutet, ein grundlegender Aspekt der <strong>Kommunikation</strong>.<br />

Dieses Konzept besteht nicht nur auf der Anwendungsebene der <strong>Kommunikation</strong>,<br />

sondern ebenfalls auf der semantischen Ebene. Das Verstehen von Texten und Aussagen<br />

wird durch einen doppelten Selektionsprozeß gesteuert. So findet auf syntaktischer Ebene<br />

22 Merten, Artefakte der Medienwirkungsforschung, S. 36<br />

23 Hiermit <strong>ist</strong> einerseits der Auftraggeber für die <strong>Werbung</strong> als auch andererseits der "Hersteller" der <strong>Werbung</strong><br />

gemeint.<br />

24 Renckstorf, Karsten/Wester, Fred, Die handlungstheoritische Perspektive empirischer (Massen)-<br />

<strong>Kommunikation</strong>, in: Communications, Vol. 17, 2/1992, S. 179<br />

25 Neuere Modelle richten ihr Hauptinteresse auf den Rezipienten und nennen sich "publikumszentriert" und<br />

fragen danach, was die Menschen mit den Medien machen. Vgl. dazu: dies., a.a.O., S. 177ff<br />

100


durch die Identifikation von Zeichen ein Selektionsprozeß statt. "Auf der semantischen<br />

Ebene wird eine Selektivität dadurch ausgeübt, daß jeder der prinzipiell unendlich vielen<br />

Signifikanten mit einigen wenigen der prinzipiellen unendlich vielen Signifikate denotativ<br />

verknüpft wird." 27 Eine konnotative Selektivität des Kontextes fließt an dieser Stelle mit<br />

ein. 28 Sie <strong>ist</strong> flexibel, entsteht in den <strong>Kommunikation</strong>sprozessen und <strong>ist</strong> somit temporär<br />

festgeschrieben, aber immer wieder veränderbar. Wenn Bedeutungen eindeutig festgelegt<br />

und starr wären, so läge die Gültigkeit von Inhaltsanalysen, und vor allen von den<br />

durchzuführenden Codierungen, <strong>bei</strong> 100 Prozent. Gleichzeitig wäre jedoch jede<br />

<strong>Kommunikation</strong> unmöglich, da diese von situationsspezifischen Selektionen lebt. 29<br />

Die konstruktiv<strong>ist</strong>ische Theorie erklärt diesen Sachverhalt näher und zeigt auf, warum<br />

dennoch eine Inhaltsanalyse zu Ergebnissen führt. Sie formuliert die zugrundeliegenden<br />

Ansichten von Inhaltsanalysen30 und von <strong>Kommunikation</strong> im allgemeinen, indem sie einen<br />

Beitrag gibt zum sozialen Prozeß der Erzeugung von Realitätskonstruktion. 31<br />

Wenn wir darauf verzichten anzunehmen, daß die Welt voller Dinge, Eigenschaften<br />

und Attribute <strong>ist</strong> und statt dessen annehmen, daß sie voller Prozesse <strong>ist</strong>, deren<br />

Anfang unbekannt <strong>ist</strong>, dann stehen wir nicht mehr vor der Selbstverständlichkeit,<br />

sondern vor dem unglaublichen Phänomen, daß Frösche Frösche sind, Liebe Liebe<br />

und Geld Geld. 32<br />

Dieses Zitat gibt einen einführenden Einblick in den Konstruktivismus. Es verdeutlicht,<br />

daß die Welt, die uns umgibt, nicht so wahrnehmbar <strong>ist</strong>, wie sie <strong>ist</strong>. Wir können sie nur<br />

beobachten, so daß sich jeder Einzelne ein Abbild davon konstruieren kann. Der<br />

Konstruktivismus geht von der Ausgangserkenntnis aus, daß Erkenntnis an einen<br />

Beobachter gebunden <strong>ist</strong>. Dieser Beobachter, der Aussagen über die Wirklichkeit macht, <strong>ist</strong><br />

durch biologische und kulturelle Bedingungen beeinflußt. Somit gilt die These von der<br />

Unmöglichkeit absoluter Wahrheitserkenntnisse.<br />

Der Begriff der Konstruktion wird folgendermaßen definiert:<br />

26 Lasswell, Harold, D., Propaganda-Technique in the World War, New York 1927, S. 33<br />

27 Merten, Inhaltsanalyse, S. 81<br />

28 Weinrich, Harald, Sprache in Texten, Stuttgart 1976, S. 4f<br />

29 Merten, Inhaltsanalyse, 81<br />

30 Zum Konstruktivismus generell, siehe z.B. Maturana, Humberto R., Erkennen. Die Organisation und<br />

Verkörperung von Wirklichkeit, Wiesbaden 1982<br />

31 Hejl, Peter, M., Konstruktion der sozialen Konstruktion: Grundlinien einer konstruktiv<strong>ist</strong>ischen<br />

Sozialtheorie, in: Schmidt, Siegfried J. (Hrsg.), Der Diskurs des Radikalen Konstruktivismus, Frankfurt am<br />

Main 1987, S. 304<br />

32 Baecker, Dirk in: taz v. 13.06.1998<br />

101


Die Auffassung, daß Wissen oder Sprache Abbildung sei, wird zugunsten des<br />

Konzeptes der Konstruktion aufgegeben; i.e. es wird keine triviale Beziehung<br />

zwischen Realität und Wirklichkeit mehr angenommen - vielmehr wird die<br />

isomorphe Relation durch eine Konstruktionsrelation, die eine eigene Aktivität des<br />

erkennenden Systems voraussetzt, eingesetzt. 33<br />

Der Konstruktivismus <strong>ist</strong> ein noch uneinheitliches Theoriegebäude34 , er versteht sich<br />

vielmehr als ein Diskurs, der von Forschern unterschiedlicher Wissenschaften gehalten<br />

wird und für den noch kein "Lehrbuch" vorliegt. 35 Die konstruktiv<strong>ist</strong>ische Theorie geht<br />

dem Verhältnis zwischen Sein und Bewußtsein nach und untersucht, ob es wahre bzw.<br />

objektive Aussagen und Erkenntnisse gibt. Sie versucht empirisch zu erklären, was<br />

kognitiv/kommunikativ geschieht, wenn Menschen wahrnehmen, erkennen, interagieren,<br />

kommunizieren. Dieser Diskurs in "Theorieform" 36 versucht zu begründen, wie Menschen<br />

beobachten. Da<strong>bei</strong> trennt sie begrifflich die <strong>bei</strong>den "Welten" Wirklichkeit und Realität.<br />

(1) Die Wirklichkeit gilt als die aus dem eigenen Wirken und Merken aufgebaute<br />

Umwelt. Sie wird als die Welt verstanden, mit der und in der wir leben und <strong>ist</strong><br />

allen Erkenntnis- und Lebensprozessen vorausgesetzt. 37<br />

(2) Die Realität wird als diejenige Umwelt verstanden, von der man annimmt, daß<br />

sie dahinter liegt und über die man nichts sagen kann. 38 Sie <strong>ist</strong> jener Bereich<br />

bzw. "Welt", die wir durch unsere Erkenntnisprozesse konstruieren.<br />

Zwischen der Realität und der Wirklichkeit besteht keine isomorphe und triviale<br />

Beziehung. Die Realität <strong>ist</strong> als Konstrukt aufzufassen. 39<br />

33 Peschl, Markus F., Wissen, Wirklichkeit und Handeln, in: Peschl, Markus F. (Hrsg.), Formen des<br />

Konstruktivismus in Diskussionen. Materialien zu den "Acht Vorlesungen über den Konstruktiven Realismus,<br />

Wien 1991, S. 5<br />

34 Glaserfeld, Ernst von, Die Wurzeln des "Radikalen" am Konstruktivismus, in: Fischer, Hans Rudi (Hrsg.),<br />

Die Wirklichkeit des Konstruktivismus. Zur Auseinandersetzung um ein neues Paradigma, Heidelberg 1995,<br />

S. 35<br />

35 Schmidt, Siegfried J., Grundlagen der Medienkommunikation, in: Merten, Klaus, Schmidt, Siegfried J./<br />

Weischenberg, Siegfried (Hrsg.), Die Wirklichkeit der Medien. Eine Einführung in die<br />

<strong>Kommunikation</strong>swissenschaft, Opladen 1994, S. 4<br />

36 Ders., a.a.O., S. 5<br />

37 Peschl, Wissen, Wirklichkeit und Handeln, S. 6<br />

38 Glaserfeld, Ernst von, Radikaler Konstruktivismus, Frankfurt a.M. 1996, S. 15<br />

39 Peschl, Wissen, Wirklichkeit und Handeln, S. 6<br />

102


<strong>3.2</strong>.2.2 Wurzeln des Konstruktivismus<br />

Die vielfachen Wurzeln des Konstruktivismus finden sich in der empirischen<br />

Kognitionstheorie nach Schmidt40 , Maturana41 , Roth42 , der Kybernetik zweiter Ordnung<br />

von von Foerster43 , auf den Radikalen Konstruktivismus von von Glaserfeld44 nach<br />

Piaget45 , die philosophisch-soziologische Linie durch Luhmann46 . Die ersten Überlegungen<br />

zum Konstruktivismus haben vor rund 50 Jahren in den Naturwissenschaften ihren Anfang<br />

gefunden. Von Foerster ar<strong>bei</strong>tete als Kybernetiker die formalen Grundlagen der<br />

Selbstbezüglichkeit von Prozessen heraus. 47 Maturana/Varela fanden dieses Prinzip (der<br />

Autopoiese48 ) in lebenden Körpern. 49 Und schließlich haben Kulturwissenschaftler wie<br />

Luhmann diese Prinzipien der Selbstorganisation und Selbstbezüglichkeit auf soziale<br />

Phänomene übertragen. 50 Entgegen der abendländischen Erkenntnislehre, bezieht der<br />

Konstruktivismus menschliches Wissen einzig auf die Erlebniswelt und erkundet, wie aus<br />

der eigenen, d.h. persönlichen Erfahrung, Dinge aufgebaut werden, die dann als Wissen<br />

40 Schmidt, Grundlagen der Medienkommunikation, S. 4. Schmidt zählt auch noch weitere Einflüsse an, die<br />

für vorliegende Untersuchung weniger von Interesse sind.<br />

41 Maturana, Erkennen<br />

42 Roth, Gerhard, Die Konstruktivität des Gehirns: Der Kenntnisstand der Hirnforschung, in: Fischer, Hans<br />

Rudi (Hrsg.), Die Wirklichkeit des Konstruktivismus. Zur Auseinandersetzung um ein neues Paradigma,<br />

Heidelberg 1995, S. 47-63<br />

43 Foerster, Heinz von et al., Einführung in den Konstruktivismus, München 1992<br />

44 Glaserfeld, Ernst von, Wissen, Sprache und Wirklichkeit: Ar<strong>bei</strong>ten zum Konstruktivismus, Braunschweis<br />

u.a. 1987 und Glaserfeld, Ernst von, Radikaler Konstruktivismus, Frankfurt a.M. 1996. In: Glaserfeld, Ernst<br />

von, Die Wurzeln des "Radikalen" am Konstruktivismus, S. 42 wird der Radikale Konstruktivismus<br />

vorgestellt als ein Konstruktivismus, der die Trennung zwischen Wirklichkeit als "Umwelt" und Realität als<br />

"Wirklichkeit, von der man annimmt, daß sie hinter der Umwelt liegt, durchführt. Rationales Wissen bezieht<br />

sich demnach immer und ausschließlich auf die von den Individuen konstruierte Wirklichkeit.<br />

45 Piaget hat laut Glaserfeld die kognitiven Funktionen im Rahmen der biologischen Anpassung als Resultat<br />

der Selbstorganisation des Individuums angesehen. Nach: Glaserfeld, Ernst von, Konstruktion der<br />

Wirklichkeit und des Begriffs der Objektivität, S. 38<br />

46 Luhmann, Niklas, Der "Radikale Konstruktivismus" als Theorie der Massenmedien? Bemerkungen zu einer<br />

irreführenden Debatte, in: Communicatio Socialis, Vol. 27, 1/1994, S. 7-12<br />

47 Foerster, Heinz von u.a., Einführung in den Konstruktivismus, München 1992<br />

48 Unter einem autopoietischen System <strong>ist</strong> nach Maturana ein System, das zirkulär die Komponenten<br />

produziert, aus denen es besteht. Es stellt sich also über die Herstellung seiner Bestandteile selbst her und<br />

erhält sich so selbst. Vgl. Roth, Gerhard, Autopoiese und Kognition: Die Theorie H.R. Matuanas und die<br />

Notwendigkeit ihrer Weiterentwicklung, in: Schmidt, Siegfried J. (Hrsg.), Der Diskurs des Radikalen<br />

Konstruktivismus, Frankfurt am Main 1987, S. 256-286, S. 258. "Autopoietische Systeme sind<br />

selbsterzeugend, autonom, strukturdeterminiert, selbstreferentiell und operational geschlossen. Sie stehen in<br />

ständigem Austausch mit ihrer Umgebung und mit anderen lebenden Systemen." Schmidt, Siegfried J., Vom<br />

Text zum Literatursystem, S. 151, nach: Maturana, Erkennen, siehe auch: Rusch, Gebhard, Autopoieseis,<br />

Literatur, Wissenschaft. Was die Kognitionstheorie für die Literaturwissenschaft besagt, in: Schmidt, Siegfried<br />

J. (Hrsg.), Der Diskurs des Radikalen Konstruktivismus, Frankfurt am Main 1987, S. 374-400, S. 376ff<br />

49 Maturana, Humberto R./Varela, Francisco J., Der Baum der Erkenntnis. Die biologischen Wurzeln des<br />

menschlichen Erkennens, Bern/München/Wien 1987<br />

50 Luhmann, Reflexive Mechanismen, S. 92-112<br />

103


etrachtet werden. 51 Auch wenn Konsens bezüglich des Prinzips besteht, so herrscht<br />

Uneinigkeit darüber, wo und wie sich Wirklichkeit konstruiert.<br />

Eine kurze Beschreibung der naturwissenschaftlichen Annäherung an das<br />

Funktionieren des Gehirns scheint sinnvoll. Sie beruht auf neurobiologischen und<br />

kybernetischen Voraussetzungen, die besagen, daß der direkte Kontakt eines Menschen mit<br />

der Umwelt nur über seine körpereigenen Sinnesrezeptoren geschieht. Letztere sind auf<br />

jeweils eine Einflußart spezialisiert, von der sie nur einen Teil abdecken. Schallwellen<br />

können z. B. nur zwischen 50 und 18000 KHz gehört werden. Ein völliges Erkennen der<br />

"Welt" <strong>ist</strong> deshalb strukturell ausgeschlossen. Weiterhin gilt das Prinzip der<br />

undifferenzierten Codierung: "Die Reaktion einer Nervenzelle enkodiert nicht die<br />

physikalischen Merkmale des Agens, das ihre Reaktion verursacht. Es wird lediglich das<br />

“soviel“ an diesem Punkt meines Körpers enkodiert, aber nicht das “was“." 52 Es findet also<br />

kein Transfer von "Bedeutung" statt.<br />

Die Forschungen zum Nervensystem haben ergeben, daß das neuronale System zirkulär<br />

ar<strong>bei</strong>tet. Die Nervenzellen interagieren ausschließlich mit anderen Nervenzellen. Das<br />

Gehirn läßt sich also mit den Begriffen der organisationellen Geschlossenheit,<br />

Selbstreferentialität und Autonomie charakterisieren. 53 Daraus läßt sich insgesamt<br />

schließen, daß die eigentliche Le<strong>ist</strong>ung <strong>bei</strong>m Prozeß des Erkennens nicht von den<br />

Sinnesorganen, sondern vom Gehirn erbracht wird.<br />

51 Glaserfeld, Ernst von, Die Wurzeln des "Radikalen" am Konstruktivismus, S. 35ff. Es besteht die logische<br />

Unmöglichkeit, eine objektive Welt zu erkennen, denn "von der Wahrheit verlangt man ja, daß sie objektiv sei<br />

und eine Welt beschreibe oder darstelle, wie sie "an sich" <strong>ist</strong>, das heißt, bevor der Beobachter sie durch den<br />

Erkenntnisapparat wahrgenommen und Begriffen hat." Die Frage der Erkenntnis <strong>ist</strong> eine der vier Wurzeln,<br />

aus denen der Konstruktivismus entstehen konnte. Der zweite Punkt verwe<strong>ist</strong> auf das<br />

<strong>Kommunikation</strong>sproblem und bedeutet, daß Sprache nicht übermittelt, sondern orientiert. Sprache <strong>ist</strong><br />

demnach kein Transportmittel, dessen Bedeutung objektiv <strong>ist</strong>, sondern daß man durch das Sprechen<br />

höchstens die begriffliche Konstruktion der Zuhörer einschränken kann und in die gewünschte Richtung<br />

leiten kann. Sprache bleibt dennoch subjektiv. Sein Gebrauch wurde durch die Sozialisation angeglichen. Der<br />

dritte Aspekt handelt von Piagets Theorie des Wissens und des Lernens. Er erklärte, daß die kognitiven<br />

Strukturen, die allgemein "Wissen" genannt werden, nicht als Kopie der Wirklichkeit verstanden werden<br />

dürften, sondern ein Ergebnis der Anpassung (Sozialisation) sind. Außerdem erfand er die häufig<br />

mißverstandenen Begriffe wie Assimilation, Akkomodation, Handlungsscheman und reflektierende<br />

Abstraktion, um zu beschreiben, daß die intelligenten Strukturen, die ein Organismus sich aufbaut, als<br />

Ergebnis der Selbstregulierung entstehen. Der vierte Hinweis bezieht sich auf die kybernetische Auffassungen<br />

von Selbstregulierung und Information. Als ein Grundprinzip gilt, daß Änderungen nicht kausal, sondern<br />

durch den Begriff der Einschränkung erklärt werden, wo<strong>bei</strong> Einschränkungen Widerstände sind.<br />

Informationen beruhen auf Unterscheidungen. Deshalb kann Bedeutung, die ein Individuum durch<br />

Unterscheidung einer Sache oder einem Gegenstand o.ä. zuschreibt, nur subjektiv sein.<br />

52 Foerster, Sicht und Einsicht, S. 29<br />

53 Maturana/Varela, Der Baum der Erkenntnis<br />

104


Es schließt sich, angesichts der Tatsache, daß es keinen Bedeutungstransfer gibt, die Frage<br />

an, wie wahrgenommen wird. Wahrnehmung <strong>ist</strong> keine quasi fotografische Abbildung der<br />

umgebenden Wirklichkeit und der Prozeß der Wahrnehmung <strong>ist</strong> nicht passiv. 54 Die<br />

Untersuchung von Wahrnehmungsprozessen muß mit dem Beobachter beginnen.<br />

Maturana gibt seine Tätigkeit im Wahrnehmungsprozeß wie folgt an: Beobachten <strong>ist</strong> eine<br />

Form von Aktivität, denn der Prozeß des Beobachtens <strong>ist</strong> die Erzeugung von Einheiten,<br />

mit denen Beobachter interagieren. Die Voraussetzung für das Erkennen eines<br />

Gegenstandes <strong>ist</strong> die Möglichkeit, diesen beschreiben zu können. Und letztlich muß ein<br />

Gegenstand, um ihn beschreiben zu können, von seinem Hintergrund unterschieden<br />

werden. 55<br />

Dies führt zu folgendem Problem: Der Beobachter kann nicht gleichzeitig <strong>bei</strong>de Seiten,<br />

sondern kann nur entweder die eine oder die andere Seite der Unterscheidung beobachten.<br />

Es entsteht ein sogenannter "blinder Fleck" 56 , also diejenige Unterscheidung, die nicht<br />

weiter durch den selben Beobachter Beachtung finden kann. Durch die Differenzierung<br />

zwischen Gegenstand und Hintergrund kann der Beobachter jeweils nur die eine oder<br />

andere Seite beobachten, die jeweils benutzte Unterscheidung kann im<br />

Unterscheidungsprozeß nicht gleichzeitig beobachtet werden. Somit werden das<br />

Beobachten und der Beobachter selbst als ein Teil des Systems angesehen, welches<br />

wiederum beobachtet werden kann. Dieser Beobachter <strong>ist</strong> Beobachter 2. Ordnung. Er<br />

kann nun Aussagen über den Beobachter 1. Ordnung machen. Die Betrachtung findet<br />

jeweils durch eine bestimmte Einheit bzw. unter einem bestimmten Blickwinkel statt. Diese<br />

Einheit gibt es nur <strong>bei</strong> dem jeweiligen Beobachter. Daraus folgt, daß durch<br />

Wahrnehmungen keine wahrheitsgetreuen Abbilder der Umwelt entstehen können. Sie<br />

sind die jeweiligen Konstruktionen des speziellen Betrachters und können demnach, <strong>bei</strong><br />

einer Anwendung anderer Unterscheidungseinheiten, anders ausfallen. Das Gehirn<br />

konstruiert erst Wirklichkeit, die eine soziale Wirklichkeit <strong>ist</strong>. Diese <strong>ist</strong> subjektabhängig<br />

ohne subjektiv, d.h. willkürlich zu sein, denn, so Schmidt:<br />

In keinem Falle aber werden sie [die Unterscheidungen] willkürlich getroffen; denn<br />

im Wahrnehmen, Erkennen und Handeln sind beobachtende Systeme<br />

"eingebunden" in ihre Artgeschichte sowie in bisher gemachte Erfahrungen, in<br />

Wissen, <strong>Kommunikation</strong>, Normen, Konsens usw. Konstruktive Unterscheidungen<br />

54 Rusch, Autopoiesis, Literatur, Wissenschaft, S. 378<br />

55 Nach: Maturana, Erkennen, S. 149<br />

56 Schmidt, Die Wirklichkeit des Beobachters, S. 6<br />

105


ewähren sich nicht im unmittelbaren Vergleich mit der Umwelt. Vielmehr<br />

kontrolliert jedes beobachtende System seine Wirklichkeitsannahmen rekursiv (d.h.<br />

durch Beobachtung seiner Beobachtungen oder durch die Beobachtung anderer<br />

Beobachter) auf ihre Kons<strong>ist</strong>enz, ihre Anschließbarkeit und ihren Erfolg hin (...). 57<br />

An anderer Stelle erklärt er sich gegen die Willkürlichkeit, indem er zeigt, daß die<br />

Vergleichbarkeit der Wirklichkeitsmodelle verschiedener Subjekte und die daraus<br />

hervorgehende Handlungsfähigkeit durch zwei Bedingungen gewährle<strong>ist</strong>et wird:<br />

Wirklichkeitskonstruktion macht Gebrauch von den Erfahrungen der biologischen<br />

Selektion; und sie wird reguliert von der sozialen Kontrolle von<br />

Problemlösungsstrategien durch Bewährung und Konsens, also von der Summe<br />

h<strong>ist</strong>orisch gewachsener gesellschaftlicher Erfahrungen. Sozialisationsprozesse und<br />

Konventionen sorgen also für die Durchsetzung gesellschaftlich normierter<br />

Weltmodelle deren Struktur deutlich gesellschaftliche Interessen und<br />

Machtansprüche widerspiegeln. 58<br />

Anzufügen bleibt, daß unter einem System eine Einheit verstanden wird, die Aktanten zu<br />

beobachten in der Lage sind. 59 Der Konstruktivismus besagt schließlich, daß es keine<br />

systemunabhängige, objektivierbare Wirklichkeit gibt, sondern daß es ebenso viele<br />

Realitäten gibt, wie Systeme vorhanden sind. 60 Wirklichkeitskonstruktion wird im<br />

folgenden verstanden als ein "empirisch hoch konditionierter sozialer Prozeß, in dem sich<br />

Modelle für (nicht von) ökologisch validen Erfahrungswirklichkeiten/Umwelten im<br />

sozialisierten Individuum als empirischem Ort der Sinnproduktion herausbilden" 61 .<br />

57 Schmidt, Die Wirklichkeit des Beobachters, S. 7. Siehe auch Schmidt, Siegfried J., Konstruktivismus in der<br />

Medienforschung: Konzepte, Kritiken, Konsequenzen, in: Merten, Klaus/Schmidt, Siegfried J./<br />

Weischenberg, Siegfried (Hrsg.), Die Wirklichkeit der Medien. Eine Einführung in die<br />

Kommunikaitonswissenschaft, Opladen 1994, S. 595<br />

58 Schmidt, Siegfried J., Vom Text zum Literatursystem. Skizze einer konstruktiv<strong>ist</strong>ischen (empirischen)<br />

Literaturwissenschaft, in: Gumin, Heinz/Meier, Heinrich (Hrsg.), Einführung in den Konstruktivismus, Serie<br />

Pieper, Band 5, 3. Auflage, München 1997, S. 152<br />

59 Auf der zugrundeliegenden systemtheoretischen Theorie kann hier nicht abschließend eingegangen werden.<br />

In dieser Untersuchung wird der Begriff eines Systems auf metasprachlicher Ebene benutzt. „Die Aussage „es<br />

gibt Systeme besagt also nur, daß es Forschungsgegenstände gibt, die Merkmale aufweisen, die es<br />

rechtfertigen, des Systembegriff anzuwenden (...)“ (Luhman, Soziale Szsteme, S. 16) Der Begriff dient dazu,<br />

Sachverhalte herauszuabstrahieren. Der systemtheoretische Ansatz <strong>ist</strong> hier heur<strong>ist</strong>isches Instrument.<br />

60 "Es <strong>ist</strong> für das Gehirn und die Sinnesorgane als Teil der Welt sowohl im Prinzip unmöglich [...] als auch<br />

unzweckmäßig, die Welt abzubilden, "so wie sie wirklich <strong>ist</strong>". Vielmehr <strong>ist</strong> es das Ziel des kognitiven Systems,<br />

Kenntnis über die Welt zu gewinnen, die für ein überlebensförderndes (oder zumindest einem aktuellen<br />

Interesse dienendes) Handeln aufreicht. Diese Unterscheidung ex<strong>ist</strong>iert natürlich nicht in der Umwelt, die ja<br />

für verschiedene Systeme ganz verschieden bedeutungshaft <strong>ist</strong>, sondern muß durch das kognitive System<br />

selbst getroffen werden."Roth/Schwegler, 1992, S. 107, nach Schmidt, Die Wirklichkeit des Beobachters, S. 9<br />

61 Schmidt, Siegfried J., Sprache, Kultur und Wirklichkeitskonstruktion(en), in: Fischer, Hans Rudi (Hrsg.),<br />

Die Wirklichkeit des Konstruktivismus. Zur Auseinandersetzung um ein neues Paradigma, Heidelberg 1995,<br />

S. 240<br />

106


“Sozial“ deutet in diesem Zusammenhang auf die überindividuellen Bedingungen des<br />

Konstruktionsprozesses hin und "Modelle für" we<strong>ist</strong> auf die Qualität der Konstruktionen<br />

hin, die lebensermöglichend sind und sich nicht auf die Repräsentation beschränken.<br />

<strong>3.2</strong>.2.3 Bedeutung des Konstruktivismus für die Bewußtseinsbildung<br />

Dies heißt in Bezug auf das Bewußtsein bzw. die Bewußtseinsbildung, daß das<br />

Bewußtsein eine Konstruktion des Gehirns <strong>ist</strong>. Das Gehirn als operational geschlossenes<br />

System erhält über die Sinnesorgane "quantitative Reize", und verwandelt diese in<br />

Bewußtseinsinhalte, sogenannte "qualitative Zustände". Dieses Bewußtsein <strong>ist</strong><br />

Voraussetzung für <strong>Kommunikation</strong>, denn ohne Bewußtsein kann keine <strong>Kommunikation</strong><br />

entstehen. Andererseits kann ohne andere Menschen, als Beobachter höheren Grades, kein<br />

Bewußtsein entstehen. Ohne Interaktion, Sozialisation und <strong>Kommunikation</strong> kann das<br />

Individuum nämlich keine Vorstellung von Objekten, von Raum und Zeit, vom eigenen<br />

Ich und vom Bewußtsein entwickeln. Das Bewußtsein eines Individuums bildet sich auf<br />

der Basis von bereits gemachten Erfahrungen, was dem Prinzip "Kognitionen erzeugen<br />

Kognitionen durch Selbstbezug" entspricht. Das Bewußtsein eines Individuums lebt jedoch<br />

nicht in derselben Zeit, in demselben Zeitfenster wie das Gehirn. Zuerst muß das Gehirn<br />

ar<strong>bei</strong>ten, erst dann tritt eine bewußte Wahrnehmung ein. Dies hat Schmidt sehr<br />

anschaulich beschrieben: "Erst rattert die neuronale Maschine, und dann geht erst das<br />

Licht im Kopf an." 62 Daraus läßt sich schließen, daß das Bewußtsein nie intentional auf<br />

neuronale Operationen zugreifen kann.<br />

<strong>3.2</strong>.2.4 Bedeutung für die <strong>Kommunikation</strong>stheorie<br />

Die Bedeutung für die <strong>Kommunikation</strong> <strong>ist</strong> folgende: <strong>Kommunikation</strong> bedeutet im<br />

konstruktiv<strong>ist</strong>ischen Sinn weder die Übertragung von Bedeutungen, noch das gemeinsame<br />

Verstehen, noch Austausch von Sinn. Vielmehr <strong>ist</strong> die <strong>Kommunikation</strong> der Ausdruck des<br />

Bewußtseins eines Individuums, also ein Prozeß der individuellen Sinnkonstruktion. Sie<br />

bietet den <strong>Kommunikation</strong>steilnehmern subjektabhängige Möglichkeiten der<br />

Bedeutungsfindung bzw. der Produktion von eigenen Informationen. Diese Möglichkeit <strong>ist</strong><br />

dennoch nicht beliebig. Eine Verständigung zwischen mehreren Individuen kann<br />

überhaupt nur möglich sein, wenn diese ein konsensfähiges Wirklichkeitsmodell als<br />

62 Schmidt, Siegfried J., Kognitive Autonomie und soziale Orientierung. Konstruktiv<strong>ist</strong>ische Bemerkungen<br />

zum Zusammenhang von Kognition, <strong>Kommunikation</strong>, Medien und Kultur, Frankfurt a.M. 1994, S. 18<br />

107


gesellschaftliche Grundlage allen Handelns, Erlebens und Kommunizierens miteinander<br />

und mit anderen teilen. Dieses Wirklichkeitsmodell schränkt die<br />

Interpretationsmöglichkeiten von Informationen ein und läßt <strong>Kommunikation</strong> erst wirklich<br />

entstehen. Ein Wirklichkeitsmodell hat den Anspruch auf Konsens, Brauchbar<strong>bei</strong>t und<br />

Nützlichkeit. 63<br />

Dies entspricht der Verschiebung der zentralen Forschungsfrage in den<br />

<strong>Kommunikation</strong>swissenschaften. Während anfänglich von der Frage "What does the media do<br />

to people?" 64 ausgegangen wurde, konnte ein Paradigmawechsel65 festgestellt werden, der den<br />

Einfluß der Menschen auf die rezipierten Inhalte darstellt. Die neuere Frage lautet: "What<br />

do people do with the media?" 66 Dem zugrunde liegt die These, daß keine Aussage in sich selbst<br />

eine bestimmte, unveränderbare Bedeutung besitzt. Eine Aussage kann folglich nicht als<br />

ein Produkt mit einer unveränderlichen, stabilen Bedeutung angesehen und benutzt<br />

werden. 67 Ganz im Gegensatz hängt die Bedeutung von den <strong>Kommunikation</strong>steilnehmern<br />

ab. 68 Dies entspricht der Dekodierung von Inhalten durch den <strong>Kommunikation</strong>sinitiator<br />

und der Entkodierung einer Information durch den Rezipienten, oder auch Kommunikant<br />

genannt. Die De- und Entkodierung findet entsprechend der Kenntnisse der <strong>bei</strong>den<br />

<strong>Kommunikation</strong>spartner statt.<br />

Andere Forscher gehen noch weiter, indem sie die determinierende Bedeutung des<br />

Übermittlungskanals hervorheben. “The medium is the message“ 69 schrieb der prominente<br />

kanadische Angl<strong>ist</strong> Marshall McLuhan bereits in den sechziger Jahren. Seiner Meinung<br />

63 Kritik an einigen Defiziten des Konstruktivismus als Theorie gehen auf die drei Aspekte der<br />

Selbstorganisation, der Kontextualität und der Rationalität ein. Siehe dazu: Bender, Chr<strong>ist</strong>iane,<br />

Selbstorganisation in Systemtheorie und Konstruktivismus, in: Fusch, Gebhard/Schmidt, Siegfried J.,<br />

Konstruktivismus und Sozialtheorie, Frankfurt a.M. 1994, S. 263-281, insbesondere S. 270f<br />

64 Schenk, Perspektiven der Werbewirkungsforschung, S. 452 und Mick, David Glen, Consumer Research<br />

and Semiotics: Exploring the Morphology of Signes, Symbols, and Significance, in: Journal of Consumer<br />

Research, Vol. 13, 9/1986, S. 205<br />

65 Ort, Claus-Michael, Literaturwissenschaft als Medienwissenschaft. Einige systemtheoritische und<br />

literaturgeschichtliche Stichpunkte, in: LiLi, Beiheft 16, Medien und Kultur, herausgegeben von Faulstich,<br />

Werner, Göttingen 1991, S. 52<br />

66 Katz, E., Mass Communications Research and the Study of Popular Culture, in: Studies in Public<br />

Communikations, Vol. 2, 1959, S. 1-6, S. 2<br />

67 Nussbaumer, Markus, Was Texte sind und wie sie sein sollen, Tübingen 1991, S. 133. Siehe auch zum<br />

Thema der Bedeutung: Schmidt, Siegfried J., Text, Subjekt und Gesellschaft. Aspekte einer<br />

konstruktiv<strong>ist</strong>ischen Semantik, in : Faust, Manfred et al. (Hrsg..), Allgemeine Sprachwissenschaft,<br />

Sprachtypologie und Textlingu<strong>ist</strong>ik. Festschrift für Peter Hartmann, Tübingen 1983, S. 63<br />

68 Siehe Schmidt, Der Diskurs des radikalen Konstruktivismus und Merten, Inhaltsanalyse<br />

69 Zitat von McLuhan wird in diesem Artikel kritisch analysiert. Kloock, Daniela/Spahr, Angela,<br />

Medientheorien: Eine Einführung,. München 1997, S. 39ff<br />

108


nach <strong>ist</strong> die Aussage durch das Medium ihrer Veröffentlichung stark determiniert. 70 Andere<br />

Wissenschaftler meinen, daß selbst dieser Schritt überholt sei. Sie meinen: "The mediality is<br />

the message.", deshalb “(...) kann mit allem für alles geworben werden, Hauptsache: die Mittel<br />

sind ästhetisch aufregend." 71<br />

<strong>3.2</strong>.2.5 Bedeutung des Konstruktivismus für die Sprachwissenschaften<br />

Überträgt man den Konstruktivismus auf die Sprachwissenschaften, so wird deutlich, daß<br />

Individuen als lebende Systeme mit anderen Systemen interagieren. Diese Interaktion<br />

geschieht vor allem durch Sprache.<br />

In diesem Zusammenhang greift Schmidt72 die <strong>bei</strong>den sprachtheoretischen Begriffe der<br />

Denotation und der Referenz auf, um die <strong>Kommunikation</strong> zu erklären. Unter Denotation<br />

versteht er eine Beobachterkategorie. Die denotative Funktion einer Botschaft liegt<br />

demnach im kognitiven Bereich des Beobachters. Sprache funktioniert für das Individuum<br />

jedoch konnotativ. Erst durch die Referenz kann eine Art Bedeutung entstehen. Referenz<br />

benennt einen sprachlich ansozialisierten und auch konventionalisierten Typen von<br />

Orientierungsverhalten, auch Konventionen genannt. Seine Aufgabe <strong>ist</strong> es, einen ähnlichen<br />

Aufbau von Informationen zwischen den Kommunikanten, die als kommunizierende<br />

Systeme funktionieren, aufzubauen. Wie bereits weiter oben angedeutet, besteht Bedeutung<br />

nicht in sich. Sie entsteht <strong>bei</strong> den Komunikationsteilnehmern durch das Zusammenspiel<br />

von <strong>Kommunikation</strong>ssituation und Zeitpunkt. Schmidt unterscheidet deshalb zwischen<br />

dem <strong>Kommunikation</strong>smittel, wie z.B.: zwischen einem Text und dem Kommunikat, also<br />

dem kognitiven Konstrukt <strong>bei</strong>m <strong>Kommunikation</strong>steilnehmer, das subjektiv besetzt <strong>ist</strong> und<br />

nach Viabilität strebt.<br />

Mit anderen Worten heißt dies, daß "[...] es keine Informationsübertragung durch Sprache<br />

gibt. Es <strong>ist</strong> dem Orientierten überlassen, wohin er durch selbständige interne Einwirkung<br />

auf seinen eigenen Zustand seinen kognitiven Bereich orientiert. Seine Wahl wird zwar<br />

durch die "Botschaft" verursacht, die so erzeugte Orientierung <strong>ist</strong> jedoch unabhängig von<br />

dem, was diese "Botschaft" für den Orientierenden repräsentiert." 73 Aus<br />

konstruktiv<strong>ist</strong>ischer Sicht hingegen <strong>ist</strong> Sprache - wenn auch eine besondere Art gegenseitig<br />

70 McLuhan, Marshall, Understanding Media: The Extensions of Man, New York 1964.Vergleiche dazu auch:<br />

Nöth, Winfried, Introduction, in: ders. (Hrsg.), Semiotics of the Media. State of the Art, Projects, and<br />

Perspectives, Berlin/New York 1997, S. 5<br />

71 Landbeck, Ästetik in der Fernsehwerbung, S. 145<br />

72 Schmidt, Vom Text zum Literatursystem, S. 154<br />

109


angepaßten Handelns - nicht einem Austausch von Information oder Wissen<br />

gleichzusetzen. 74 Die Bedeutung einer Aussage entsteht demnach erst durch den jeweiligen<br />

Rezipienten und entspringt einem bereits weiter oben angeführten Selektionsprozeß. Heute<br />

wird in der Sprachpsychologie weitgehend das Verstehen sprachlicher Texte als<br />

konstruktiver Prozeß angesehen. 75<br />

Die Bedeutung eines Zeichens oder einer Aussage <strong>ist</strong> also unstabil und variabel. Dieser<br />

wird im Bereich der Semiotik besonders gut deutlich. Jedes Zeichen – es wurde bislang<br />

von Stimuli gesprochen - hat aus Prinzip eine unendliche Menge von Bedeutungen bzw.<br />

Denotationen. Außerdem kommen durch den Kontext noch weitere Bedeutungen hinzu,<br />

die Konnotationen. 76 Die konnotative Selektivität <strong>ist</strong> flexibel und hängt vom<br />

<strong>Kommunikation</strong>sprozeß bzw. der <strong>Kommunikation</strong>ssituation ab. Diese Analysen können<br />

nicht objektiv sein; sie werden reguliert durch den Verbindlichkeitsgrad von<br />

Konventionen. 77 Da jedoch die Wahrnehmung einer Werbeseite eine Form von<br />

<strong>Kommunikation</strong> <strong>ist</strong> und sich dessen Bedingungen unterwirft, erbt sie auch deren<br />

Einschränkungen, siehe die Problematiken der Selektivität und der Bedeutungen. 78 Eine<br />

Untersuchung <strong>ist</strong> dennoch möglich, da die verschiedenen Zeichenbedeutungen kulturell,<br />

d.h. sozialisationsbedingt reduziert sind.<br />

Die Bedeutungen sind nicht ganz willkürlich. Der sprachliche Ausdruck gilt als sozial<br />

typisiert, d.h. als sozial geformte Verallgemeinerung von Wahrnehmung. Sprache orientiert<br />

sich an dem commen sense und common sense <strong>ist</strong> sprachliches Wissen. 79 Sprache dient den<br />

Gesellschaften als eine Institution der sozialen Kontrolle, die mithilft kulturell<br />

programmierte Bedeutungen durchzuführen. Bei einer <strong>Kommunikation</strong> beziehen sich die<br />

Teilnehmer auf diese erwarteten, sozialen Bedeutungen. Um den <strong>Kommunikation</strong>spartner<br />

zu verstehen, muß auf die kulturell programmierten, ansozialisierten Bedeutungen<br />

zurückgegriffen werden. Die kognitive Operation des Verstehens <strong>ist</strong> demnach die<br />

Wahrnehmung eines Ereignisses, oder auch eines Medienangebotes, das von dem<br />

73 Matura, Erkennen, S. 57<br />

74 Glaserfeld, Konstruktion des Wirklichkeit, S. 36<br />

75 Schmidt basiert diese Äußerung auf Groeben, Von Dijk und Beaugrande/Dressler. Siehe: Schmidt, Vom<br />

Text zum Literatursystem, S. 155<br />

76 Der Kontext <strong>ist</strong> vom Kotext zu unterscheiden. Während der Kontext eine extratextuelle Situation<br />

beschreibt, bezieht sich der Kotext auf eine intratextuelle Situation. Siehe: Merten, Klaus, Inhaltsanalyse, 70<br />

oder Weinrich, Sprache in Texten, S. 4-5<br />

77 Schmidt, Vom Text zum Literatursystem, S. 160<br />

78 Merten, Inhaltsanalyse, S. 81<br />

79 Schmidt, Sprache, Kultur und Wirklicheitskonstruktion(en), S. 242<br />

110


handelnden Individuum als kohärent empfunden wird. Ein Text kann nicht mißverstanden<br />

werden. Es können jedoch Probleme auftauchen <strong>bei</strong> der Bildung jener kohärenten<br />

Sinnstruktur. Aus sozialer Ebene definiert Schmidt "Verstehen" als "einen Prozeß sozialer<br />

Bewertungen und Kontrolle der Anschlußfähigkeit von <strong>Kommunikation</strong>en" 80 .<br />

<strong>3.2</strong>.2.6 Bedeutung des Konstruktivismus für die Kultur<br />

Der Konstruktivismus <strong>ist</strong> ein Diskurs, der versucht die <strong>Kommunikation</strong> zwischen sozialen<br />

Systemen, als die Menschen qualifiziert werden, aufzuar<strong>bei</strong>ten. Er geht da<strong>bei</strong> auf die<br />

Bedeutungsbildung ein, sowie auf die Sprache, die soziales Vehikel von Bedeutungen <strong>ist</strong>.<br />

Durch das Erlernen einer Sprache wird auch Kultur gelernt, welche als "System kollektiven<br />

Wissens bzw. kollektiv geteilter Sinnkonstruktionen" 81 gilt. Der Diskurs des<br />

Konstruktivismus in Bezug auf die Kultur folgt nach seinen Regeln der Unterscheidungen<br />

und Beobachtungen, spiegelt dennoch unseren Ansatz wider. Die Worte sind jedoch<br />

anders gewählt. Wo hier zwischen verschiedenen Gesellschaften unterschieden wird,<br />

handelt der Konstruktivismus von sozialen Systemen. Diese Gesellschaften bzw. sozialen<br />

Systeme besitzen ein System kollektiven Wissens, das das Handeln orientiert, indem es<br />

Erwartungserwartungen aufzeigt und Kontigenz reduziert. Dieses System kollektiven<br />

Wissens wird Wirklichkeitsmodell genannt und entsteht durch Unterscheidungen. Diese<br />

Unterscheidungen finden <strong>bei</strong> Hofstede oder Hall in verschiedenen Dimensionen statt. Hier<br />

sind es vier: (1) Welterkundungs- und Technikprogramme, (2) Menschenbildannahmen, (3)<br />

Wert- und Normfragen, (4) Emotionen. 82 Die Thematisierung dieser in Dichotomien<br />

gefaßten Dimensionen muß dauerhaft und sozialstrukturell abgesichert sein. Schmidt<br />

definiert Kultur als: "Das Programm (...) dieser Dauerthematisierung für essentiell<br />

gehaltener Dichotomien im Wirklichkeitsmodell eines sozialen Systems (...)." 83 Die<br />

Aufgabe der Kultur wird in der Reproduktion von Gesellschaft und der Kontrolle der<br />

Individuen in den Gesellschaften bzw. Gemeinschaften gesehen.<br />

<strong>3.2</strong>.3 Wirkungsaspekte und -modelle in der <strong>Werbung</strong><br />

80 Schmidt, Sprache, Kultur und Wirklichkeitskonstruktion(en), S. 243<br />

81 Ders., a.a.O., S. 244<br />

82 Schmidt, Konstruktivismus in der Medienforschung, S. 599, auch: Schmidt, Sprache, Kultur und<br />

Wirklichkeitskonstruktion(en), S. 244. Zum besseren Verständnis wird eine Ar<strong>bei</strong>tsdifinition von Emotion<br />

gegeben: „Emotionen = innere Erregungevorgänge, die angenehm oder unangenehm empfunden und mehr<br />

oder weniger bewußt erlebt werden. Sprachliche Muster. „E <strong>ist</strong> angenehm.““ Nach: Kroeber-Riel,<br />

Konsumentenverhalten, S. 50<br />

83 Schmidt, Stprache, Kultur und Wirklichkeitskonstruktion(en), S. 245<br />

111


Überträgt man den Konstruktivismus auf die <strong>Werbung</strong>, so revidiert er einige<br />

Werbetheorien. Auch die allgemeine Ansicht bezüglich des Impaktes von <strong>Werbung</strong> auf den<br />

Rezipienten muß überprüft werden. Aus diesem Grunde findet an dieser Stelle ein Exkurs<br />

statt, der dem allgemeinen Verständnis von <strong>Werbung</strong> dient. Es werden die wichtigsten<br />

Werbewirkungsmodelle vorgestellt. Diese dienen den Marketingfachleuten, um eine<br />

möglichst hohe und positive Wirkung mit den <strong>Werbung</strong>en zu erreichen.<br />

Der Begriff der Wirkung <strong>ist</strong> aus den Naturwissenschaften entlehnt. Sie bedeutet dort eine<br />

kausale Ursache-Folgen-Relation. Da<strong>bei</strong> werden die, durch eine Ursache hervorgerufenen<br />

"Folgen" als Wirkungen definiert. 84 Dies entspricht in der <strong>Kommunikation</strong>sforschung dem<br />

Stimulus-Response-Modell. Die bekannteste und traditionelle Wirkungsforschung in der<br />

Massenkommunikation - oder besser Werbemittelforschung85 - entspricht diesem Modell<br />

und <strong>ist</strong> unter der Bezeichung AIDA-Stufenmodell86 bekannt. Das englische Akronym<br />

AIDA steht für attention, interest, desire und action.<br />

Le signe AIDA résume les moments chronoligiques mettant en jeu des fonctions individuelles<br />

différentes. Le public<strong>ist</strong>e doit donc successivement "attirer l'Attention", "susciter l'Intérêt",<br />

"provoquer le Désir", pour "déclencher l'Achat" 87 .<br />

Dieses Modell baut auf der bereits vorgestellten Grundlage des elementaren Behaviorismus<br />

auf, was die dargestellten Vor- und Nachteile <strong>bei</strong>nhaltet. Die Annahme der<br />

Behaviorismustheorie unterliegt zahlreichen Voraussetzungen und kann möglicherweise<br />

irreführend sein, da behavior<strong>ist</strong>isches Agieren der Kommunikanten keineswegs<br />

nachweisbar <strong>ist</strong>, statt dessen bezweifelt wird. Ein weiterer Einwand richtet sich gegen die<br />

Proklamierung der AIDA-Theorie als Stufenmodell. Ein Stufenmodell besitzt als<br />

Charakter<strong>ist</strong>ikum seine Linearität, die schon Lavidge/Steiner beschrieben haben.<br />

Zur Verteidigung des AIDA-Modells wird angeführt: "Der Prozeßcharakter wird letztlich<br />

nur verbal postuliert. (...) Das Stufenmodell soll den internen Verar<strong>bei</strong>tungsprozeß von<br />

Werbestimuli abbilden. Nirgendwo finden sich aber Hinweise auf die stochastische<br />

Verknüpfung der Stufen." 88 Weiterhin typisch <strong>ist</strong> die Reduziertheit der Stimulus-,<br />

Konstrukt- und Reaktionsvariablen. 89<br />

84 Merten, Wirkungen von <strong>Kommunikation</strong>, S. 292<br />

85 Köller/Bednarczuk, <strong>Kommunikation</strong>s-Assessment, S. 13<br />

86 Vgl.: Hovland, Carl I./Janis, Irving. L., Personality and Persuability, New Haven 1959<br />

87 Vettraino-Soulard, Marie-Claude, Luxe et publicité, Paris 1990, S. 9<br />

88 Haase, Werbewirkungsforschung, S. 221<br />

89 Vgl.: Haase, a. a. O., S. 224<br />

112


Auch wenn das medienzentrierte AIDA-Modell nicht auf den neuesten<br />

<strong>Kommunikation</strong>smodellen beruht, so scheint es durch seine Einfachheit dennoch als Basis<br />

der Inhaltsanalyse am Besten geeignet. Die Relativität ihrer Aussagen findet sich in den<br />

obengenannten Variablen wieder.<br />

Related Behavioral<br />

Dimensions<br />

CONATIVE<br />

the realm of motives<br />

Ads stimulate or<br />

direct desire<br />

AFFECTIVE<br />

realm of emotions<br />

Ads change attitudes<br />

and feelings<br />

COGNITIVE<br />

realm of thoughts<br />

Ads privode information<br />

and facts<br />

Movement toward<br />

Purchase<br />

PURCHASE<br />

CONVICTION<br />

PREFERENCE<br />

LIKING<br />

KNOWLEDGE<br />

AWAREMESS<br />

Examples of research approaches<br />

related ot steps of greatest applicability<br />

Market or sales tests<br />

Split-run tests<br />

Intention to purchase<br />

Projective techniques<br />

Rank order of preferences for<br />

brands<br />

Rating sxales<br />

Image measurements, including check l<strong>ist</strong>s<br />

and semantic differentials<br />

Projective techniques<br />

Information questions<br />

Play-back analyses<br />

Brand awaremess surveys<br />

Aided recall<br />

Abbildung 13: Werbewirkungsmodell (modifiziert nach: Schultz, S. 141)<br />

Zu den Werbetheorien gehört das Persuasionsmodell. Dieses wurde und wird von<br />

Werbetheoretikern wie Haseloff90 und Sozialwissenschaftlern wie Kroeber-Riel91 proklamiert. Es entspricht dem Stimulus-Response-Modell und postuliert eine direkte,<br />

seitens des Rezipienten nicht beeinflußbare Wirkung von <strong>Werbung</strong>en.<br />

Eine andere geläufige Definition, die diese Ansicht kritischer verfolgt, beschreibt <strong>Werbung</strong><br />

als "geheimen Verführer" 92 . Ihr wird zum Vorwurf gemacht, das Publikum unterschwellig<br />

90 Haseloff, Otto Walter, <strong>Kommunikation</strong>, Transformation und Werbeerfolg, in: Bund deutscher<br />

Werbeberater (Hrsg.): <strong>Kommunikation</strong> und Gesellschaft, Karlsruhe 1972, S. 187<br />

91 Vgl.: Kroeber-Riel, Werner/Meyer-Hentschel, Gundolf, <strong>Werbung</strong>. Steuerung des Konsumentenverhaltens,<br />

Würzburg 1982 und: Kroeber-Riel, Werner, Strategie und Technik der <strong>Werbung</strong>, Verhaltenswissenschftliche<br />

Ansätze, 5., Aufl., Stuttgart 1992, zweites Kapitel<br />

92 Vgl.: Pachard, Die geheimen Verführer<br />

113


zu beeinflussen. 93 Dieser Ansatz stammt vor allem aus sozial- und kulturwissenschaftlichen<br />

Reihen, die bis in die siebziger Jahren hinein <strong>Werbung</strong> als Manipulation zu enttarnen<br />

versuchten.<br />

Ein Trendwandel <strong>ist</strong> seit den achtziger Jahren festzustellen. Seit dem bemüht man sich, die<br />

Entwicklung zur Konsumgesellschaft an der Entwicklung der <strong>Werbung</strong> abzulesen. 94 Ein<br />

Paradigmawechsel hat stattgefunden, indem das eher konflikttheoretische Modell zur<br />

Wirkung der <strong>Werbung</strong> von einem neueren Ansatz abgelöst wurde. Dieses neuere Modell<br />

sieht in der <strong>Werbung</strong> nicht mehr einen Störfaktor der gesellschaftlichen Entwicklung,<br />

sondern nimmt sie als Teil dieser sich stets im sozialen und kulturellen Wandel<br />

befindlichen Gesellschaft wahr. Im gleichen Zuge zeichnet sich eine allgemeine Abkehr<br />

vom diesem vereinfachten Persuasionsmodell in der Massenkommunikationsforschung ab.<br />

Als wichtiger Vorreiter der Gegenthese sind Nickel95 und Brand96 hervor zuheben. Sie<br />

weisen den Vorwurf der sog. Under-line-Beeinflussung zurück, da sie den Rezipienten als<br />

einen verantwortungsbewußten und an <strong>Werbung</strong> gewöhnten Leser betrachten, der sich<br />

reflexiv und kritisch mit <strong>Werbung</strong> auseinandersetzt. Die Bewertungsrevision kann als<br />

Effekt der Verschiebung des Rezipientenbildes bewertet werden. Denn "(...) der<br />

Konsument wird als (ziemlich rationaler) Entscheidungsträger betrachtet, welcher zunächst<br />

die Werbekommunikation wahrnimmt, aufgrund eines dadurch stimulierten Interesses sich<br />

mit der Botschaft auseinandersetzt, dann eine Einstellung bzw. Meinung zu dem<br />

beworbenen Produkt bildet und schließlich das Produkt versucht bzw. kauft." 97 Der<br />

Einschub "ziemlich rationaler" verdeutlicht die Veränderung des Rezipientenverhaltens,<br />

welche mit einer Revision seiner Stellung innerhalb des <strong>Kommunikation</strong>sprozesses einher<br />

geht.<br />

Im gleichen Zuge wurde auch die Verstärkerhypothese, die mit dem Persuasionsmodell<br />

konform geht, verworfen. Nach ihr galt die Ansicht: "Die Medien ändern Einstellungen<br />

nicht, sie verstärken sie nur." 98 Diese referiert wiederum auf ein nicht reflektierendes<br />

93 Enders, Horst, Das jenseitige Automobil (I), Untersuchungen zur Autowerbung, in: Sprache im<br />

Technischen Zeitalter, Vol. 42, 1972, S. 165<br />

94 Vgl.: Ingenkamp, <strong>Werbung</strong> und Gesellschaft, S. 285<br />

95 Nickel, Volker, <strong>Werbung</strong> am Pranger, Broschüre zum Vortrag "Convention of Advertising 1994",<br />

Dortmund/Hohensyburg, 18. März 1994, unnummeriert<br />

96 Brand, Horst W., Die Legende von den "geheimen Verführern". Kritische Analyse zur unterschwelligen<br />

Wahrnehmung und Beeinflussung, Weinheim 1993, oder in Kurzfassung: ZAW (Hrsg.): Unterschwellige<br />

<strong>Werbung</strong>. Neun Thesen, 14. Auflage 1993<br />

97 Schenk, Perspektiven der Werbewirkungsforschung, S. 448<br />

98 Vgl.: Schenk, Perspektiven der Werbewirkungsforschung, S. 448<br />

114


Publikum. Außerdem entspricht sie nicht den Werbevorstellungen seitens der Initiatoren,<br />

die auch neue Kunden durch <strong>Werbung</strong> finden wollen.<br />

Die überholte Beschreibung des Werberezipienten als nicht differenzierendes<br />

Persuasionsobjekt entspricht den frühen, stark vereinfachten und mittlerweile verworfenen<br />

Werbetheorien. Die Gegenbeweisführung erwe<strong>ist</strong> sich als schwierig, um so mehr als daß<br />

die Werbetheorie selber unter ihren Protagon<strong>ist</strong>en leidet und noch immer als wenig<br />

entwickelt gilt. 99 Ihr Image <strong>ist</strong> chronisch defizitär und retardativ. Die Tatsache, daß die<br />

Verwissenschaftlichung der <strong>Kommunikation</strong>stätigkeit dennoch einen "erstaunlich hohen<br />

Grad" 100 erreicht hat, wird verdrängt und theoretische Entwicklungen werden nicht<br />

entsprechend beachtet.<br />

Angesichts des konstruktiv<strong>ist</strong>ischen Diskurses gilt, daß geteiltes soziokulturelles Wissen, die<br />

Produktion als auch die Rezeption von Massenmedienangeboten intersubjektiv geprägt<br />

werden.<br />

Diese Prägung liefert gewissermaßen die allgemeinen Voraussetzungen für das<br />

(Wieder-) Erkennen und die Akzeptanz für und von Medienangeboten. Die<br />

Wirkung dieser Angebote aber wird bestimmt von den Nutzergewohnheiten und –<br />

erwartungen, von Motivationen und emotionalem Engagement, von<br />

Rezeptionsstrategien (z. B. Involviert / d<strong>ist</strong>anzlos vs. kritisch/analysierend) usw. 101<br />

Zu einer aktuellen und real<strong>ist</strong>ischen Einschätzung der Werbewirkung soll ebenfalls die im<br />

Rahmen dieser Untersuchung vorgenommene Umbenennung des Rezipienten in einen<br />

"Kommunikanten" 102 <strong>bei</strong>tragen. Sein Stellenwert findet in der neuen Begrifflichkeit eine<br />

realitätsnähere Beschreibung, denn der Kommunikant läßt sich nicht auf eine reine<br />

Rezeption, also Aufnahme von Informationen, beschränken.<br />

Die Wirkung von <strong>Werbung</strong> wird nach neuerer Forschung nicht ausschließlich und direkt<br />

durch die Stimuli aus der <strong>Werbung</strong> selber bestimmt, sondern unterliegt mehreren<br />

Bedingungen. Der Vollständigkeit halber sollen diese hier kurz vorgestellt werden. Sie sind<br />

nur insofern für die vorliegende Untersuchung von Bedeutung, als daß sie die<br />

verschiedenen intra- und extratextuellen Bedingungen veranschaulichen und somit zu<br />

99 Kroeber-Riel, Werner/Meyer-Hentschel, Gundolf, <strong>Werbung</strong>. Steuerung des Konsumentenverhaltens, S.<br />

69f<br />

100 Saxer, <strong>Kommunikation</strong>swissenschaftliche Thesen, S. 651<br />

101 Schmidt, Konstruktivismus in der Medienforschung, S. 616. Zum besseren Verständnis wird eine<br />

Ar<strong>bei</strong>tsdefinition von Motivation gegeben: “Motivation = Emotionen (und Triebe), die mit einer<br />

Zielorientierung Z für das Verhalten verbunden sind. Sprachliche Muster: Ich will Z erreichen.““ Nach:<br />

Kroeber-Riel, Konsumentenforschung, 50<br />

115


einem real<strong>ist</strong>ischen Bild der <strong>Werbung</strong> bzw. Werbewirkung führen. Als wesentliche<br />

Gesichtspunkte gelten folgende vier Bedingungen: (1) Involvement, (2) Unique-Selling-<br />

Position, (3) Zielgruppensegmentierung bzw. psychologische Segmentierung und (4)<br />

Mythosbildung.<br />

<strong>3.2</strong>.3.1 Wirkungsparadigma Involvement<br />

Die Wirkung einer <strong>Werbung</strong> hängt von einer Vielzahl von Einzelfaktoren und deren<br />

Zusammenspiel ab. Diese beziehen sich zuerst auf die äußere Situation, in der der<br />

Rezipient mit <strong>Werbung</strong> konfrontiert wird. Andererseits <strong>ist</strong> auch der Rezipient im<br />

allgemeinen nicht wirklich in seinen Ansprüchen und Reaktionen vorhersehbar und<br />

kontrollierbar. Verschiedene Konzepte bestehen, um die Vorhersehbarkeit zu vergrößern.<br />

Ihre Darstellung, vor allem die Darstellung des Involvement-Konzeptes, der Aspekte der<br />

Motivation und des Vorwissens, relativieren die Annahme der direkten, universellen<br />

Beeinflussung des Rezipienten durch die <strong>Werbung</strong>. Diese Aspekte, sowie die im voraus<br />

determinierenden "(...) Einstellungen zur <strong>Werbung</strong> bzw. zu beworbenen Produkten,<br />

organisieren sowohl Informationsaufnahme wie Informationsverar<strong>bei</strong>tung. Dies sind<br />

gewissermaßen erlernte Schemata für die Auswahl und Kategorisierung einkommender<br />

Wer<strong>bei</strong>nformationen (...)." 103<br />

Zu den determinierenden Wirkungsparadigmen und Rahmenbedingungen heutiger<br />

<strong>Werbung</strong> zählt neben der Sättigung der Märkte folglich die Informationsüberlastung. Diese<br />

<strong>bei</strong>den Aspekte führen laut Ruge104 - wenn nicht ein Produktkauf geplant <strong>ist</strong>, oder anders<br />

begründbares Interesse an <strong>Werbung</strong> im generellen oder einem Produkt im speziellen<br />

besteht, - zu einem "low involvement"-Verhalten der Konsumenten. Dies <strong>ist</strong> durch geringes<br />

Interesse an Produktinformationen gekennzeichnet, das eine nur flüchtige Wahrnehmung<br />

von <strong>Werbung</strong> nach sich zieht.<br />

Das Involvement stellt eine wichtige und situative Variable der Werberezeption dar, da es<br />

die Aufgeschlossenheit determiniert und so Prämisse der Anteilnahme an der<br />

<strong>Kommunikation</strong> <strong>ist</strong>. Die Werbetheorie geht generell von einem geringen persönlichen<br />

Involvementniveau aus, woraus hervorgeht, daß eine Aufmerksamkeitserregung seitens der<br />

102 Wortneuschöpfung, die die Stellung der sich in <strong>Kommunikation</strong> mit dem Kommunikator befindenden<br />

selbstständig denkenden Person verdeutlicht.<br />

103 Haase, Werbewirkungsforschung, S. 229<br />

104 Ruge, Hans-Dieter, Schlüsselbilder in der integrierten <strong>Kommunikation</strong>, in: Werbeforschung & Praxis, Vol.<br />

37, 3/1992, S. 96<br />

116


Rezipienten nur von der <strong>Werbung</strong> selber ausgehen kann. Eine andere Erklärung der<br />

Bedeutung des Involvements beurteilt den Grad der Beteiligung nach zwei<br />

unterschiedlichen Effekthierarchien: Bei hoher persönlicher Beteiligung führt die<br />

Wahrnehmung von <strong>Werbung</strong> über eine Einstellungsmodifizierung zum Kaufverhalten,<br />

während <strong>bei</strong> geringem Involvement der Weg über eine Verhaltensänderung zu einer<br />

Einstellungsänderung führt. 105<br />

Die Involvement-Theorie mit ihren Vorreitern Krugmann106 und Petty/Cacioppo107 stellt<br />

sich die Aufgabe, das unterschiedliche Verhalten der Rezipienten gegenüber <strong>Werbung</strong> " (...)<br />

durch den Grad wahrgenommener persönlicher Wichtigkeit und / oder persönlichen<br />

Interesses, der durch einen Stimulus (oder Stimuli) in einer bestimmten Situation<br />

hervorgerufen wird." 108 , darzustellen. Das Involvement "(...) ergibt sich [behavior<strong>ist</strong>isch<br />

gesprochen] aus dem Potential der Belohnungen, die die jeweiligen Produkte den<br />

Konsumenten versprechen" 109 und beschreibt die einer <strong>Werbung</strong> entgegengebrachten<br />

Motivationen und Interessen. Je höher die subjektive Wichtigkeit und Involviertheit <strong>ist</strong>, je<br />

eher <strong>ist</strong> der Rezipient bereit, entgegen der üblichen Minimierung der kognitiven und damit<br />

reflexiven Verar<strong>bei</strong>tung der <strong>Werbung</strong>, sich intensiver mit den Werbeargumenten<br />

auseinanderzusetzen.<br />

Houston und Rothschild110 differenzieren hingegen Involvement durch die<br />

Unterscheidung in drei Dimensionen von persönlicher Beteiligung:<br />

"Situationsinvolvement: Der Umstand, daß eine Situation überhaupt Bedeutung für das<br />

Individuum hat; fortgesetztes Involvement: Stärke bereits vorhandener Beziehungen eines<br />

Individuums zu der Situation; Reaktionsinvolvement: Komplexität oder Intensität der<br />

kognitiven und verhaltensrelevanten Prozesse, die den Kaufentscheidungsprozeß<br />

charakterisieren.<br />

105 Schenk, Perspektiven der Werbewirkungsforschung, S. 452. Zum besseren Verständnis wird eine<br />

Ar<strong>bei</strong>tsdefinition von Einstellung gegeben: „Einstellung = Motivation, die mit einer – kognitiven –<br />

Gegenstandsbeurteilung verknüpft <strong>ist</strong>. Sprachliche Muster: „Ich halte G für gut.““ Nach: Kroeber-Riel,<br />

Konsumentenverhalten, S. 50<br />

106 Vgl.: Krugmann, H. E., The Measurement of Advertising Involvement, in: Public Opinion Quarterly,<br />

30/1967, S. 583ff<br />

107 Petty, R. E./Cacioppo, J. T., Central and Peripheral Routes to Persuasion. Applications to Advertising, in:<br />

Percy/Woodside (Hrsg.): Advertising and Consumer Psychology, Lexington 1983, S. 3ff<br />

108 Pickert, Mike, Die Konzeption der <strong>Werbung</strong>, Determinanten, Strategien, Kommuniques, Heidelberg 1994,<br />

S. 129<br />

109 Bowen, L./Chaffee, S. H., Product Involvement and Pertinent Advertising Appeals, in: Journalism<br />

Quartery, 51/1974, S. 614<br />

110 Housten/Rothschild 1978 nach: Schenk, Perspektiven der Werbewirkungsforschung, S. 452<br />

117


Die Involvement-Voraussetzung führt zu zwei unterschiedlichen Ansätzen der <strong>Werbung</strong>.<br />

Bei high involvement wünscht der persönlich interessierte Rezipient neue Informationen zu<br />

sammeln, d.h. der sachlich-thematische Inhalt einer <strong>Werbung</strong> scheint wichtiger zu sein als<br />

seine Gestaltung. "High-involvement-<strong>Werbung</strong> <strong>ist</strong> (...) in den Druckmedien oder<br />

Fachzeitschriften besser aufgehoben." 111 , heißt es. Dies entspricht der Annahme, daß mehr<br />

Zeit zur Betrachtung der <strong>Werbung</strong> vom Rezipienten beanschlagt werden kann, als <strong>bei</strong> TVund/oder<br />

Rundfunkwerbung. Eine weitere Analyse kommt zu dem Schluß, daß<br />

Werbebotschaften mit Interpertationsspielraum effektiver sind, als geschlossene<br />

Werbebotschaften, falls die Zuhörer persönlich involviert sind. 112 Diese Aussage bezieht<br />

sich auf den Umstand, daß das Verstehen wenig redundanter <strong>Werbung</strong> zeitlich länger<br />

dauert und dadurch inhaltlich effektiver wirkt. Bei low involvement steht hingegen die<br />

Darstellungsform und damit die unthematischen Informationen zur Interessenserweckung<br />

im Vordergrund. 113 Weniger Interesse bestehe an Produktinformationen. 114 Diese <strong>Werbung</strong><br />

findet seine beste Ausgangspostion in den elektronischen Medien.<br />

Das Involvement-Konzept verdeutlicht, daß die Wirkung einer <strong>Werbung</strong> nicht allein von<br />

dieser abhängt und nicht rein logisch-unemotional nachvollziehbar <strong>ist</strong>. Das Involvement<br />

gestaltet eine wichtige Voraussetzung und dadurch für die Werbetreibenden eine<br />

Gefahrenvariable. Wie schwer sich bestimmte Produkte als high oder low involvement-<br />

Produkte generalisierend definieren lassen, zeigt das Beispiel der Automobilbranche.<br />

Das Automobil spielt eine wichtige Rolle als Fortbewegungsmittel und <strong>ist</strong> ständigen<br />

technischen und gestalterischen Veränderungen unterworfen. Daraus schließt Schenk, daß<br />

ein relativ hohes allgemeines Basisinteresse für Automobilwerbung115 besteht. Während er<br />

die Automobile den high involvement-Produkten zuordnet, 116 beschreibt Ruge als Werbeleiter<br />

der Ford-Werke AG die Situation in der Automobilindustrie weniger enthusiastisch mit:<br />

111 Schenk, a.a.O., S. 455<br />

112 Sawyer, Alan G./Howard, D. J., Effects of Omitting Conclusions in Advertisement to Involved and<br />

Uninvolved Audiences, in: Journal of Marketing Research, Vol. 28, 11/1991, S. 467<br />

113 Diese allgemein übliche Unterscheidung in high und low involvement wird <strong>bei</strong> Pickert, Die Konzeption<br />

der <strong>Werbung</strong>, S. 129 ausführlich dargestellt.<br />

114 Runge, Hans-Dieter, Schlüsselbilder in der integreirten <strong>Kommunikation</strong>, in: Werbeforschung & Praxis,<br />

3/1992, S. 96<br />

115 Schenk, Perspektiven der Werbewirkungsforschung., S. 454<br />

116 Schenk, a.a.O., S. 452; in einer anderen Studie wird das Auto nicht nur zu den high-involvement-Produkten<br />

gezählt, sondern gleichzeitig auch davon ausgegangen, daß der Rezipient kritisch, d.h. denkend und nicht<br />

fühlend an die <strong>Werbung</strong> herangeht; siehe: Weinberger, Marc G./Spotts, Harlan, British and American<br />

Television Advertising: A Contrast in Styles?, in: Holman, Rebecca (Hrsg.), Proceedings of the 1991<br />

Conference of The American Academy of Advertising, o.O., o.J. (1991), S. 64<br />

118


"Hier <strong>ist</strong> das Involvement zwar etwas höher als in vielen anderen Produktkategorien, aber<br />

nur ca. 5% der potentiellen Autokäufer befinden sich jeweils im Kaufprozeß und sind<br />

entsprechend stark involviert. Die übrigen 95% (...) stehen Automobilwerbung relativ<br />

gleichgültig gegenüber." 117<br />

Dieses Involvementkonzept <strong>bei</strong>nhaltet eine Anzahl von Unteraspekten. So den<br />

Gesichtspunkt des Vorwissens, das gedankliche Modelle zur Interpretation der<br />

Umweltreize zur Verfügung stellt. 118 Das Vorwissen we<strong>ist</strong> auf das direkte oder auch<br />

indirekte Interesse hin und macht die bereits gele<strong>ist</strong>ete Vorar<strong>bei</strong>t deutlich. Damit <strong>ist</strong> sie<br />

eine nur andeutungsweise bestimmbare Variable der Rezeption. Vorwissen schafft<br />

gedankliche Modelle, um anhand dieser die auftretenden Reize interpretieren zu können. 119<br />

Auch Motivation bestimmt die Werberezeption, da sie als Emotion bzw. Trieb definiert <strong>ist</strong>,<br />

die dem Verhalten eine Zielorientierung gibt. 120 Diese Motivation kann durch die <strong>Werbung</strong><br />

mitbestimmt werden. So wurde z.B. von Hitchon festgestellt, daß die Neugier des<br />

Rezipienten stimulierend wirke. 121 Andere Analysen untersuchen die Wirkung von<br />

Emotionen <strong>bei</strong> <strong>Werbung</strong>en von high oder low involvement Produkten. 122 Emotionale<br />

<strong>Werbung</strong>, vorallem Bildwerbung, soll nach anderen Gesetzmäßigkeiten wirken als sog.<br />

sachliche <strong>Werbung</strong>. 123 Auch der Aspekt der Eindeutigkeit/Mehrdeutigkeit von <strong>Werbung</strong>en<br />

wurde analysiert. Sawyer/Howard kommen zu dem Schluß, daß Werbebotschaften mit<br />

Interpretationsspielraum effektiver seien, als geschlossene Werbebotschaften, falls die<br />

Zuhörer persönlich involviert seien. 124<br />

117 Ruge, Schlüsselbilder<br />

118 Vgl.: Kroeber-Riel, Konsumentenverhalten, S. 223<br />

119 Ebenda<br />

120 Vgl.: Ders., a.a.O., S. 50<br />

121 Hitchon, Jacquline, Mit der Headline Neugier wecken, in: Viertel-Jahreshefte für Media und<br />

Werbewirkung, 3/1991, S. 13<br />

122 Gierl, Herbert, Die Wirkung von Werbeanzeigen für unbekannte Marken von Low-Involvement-<br />

Produkten, in: Jahrbuch der Absatz- und Verbrauchsforschung, Vol. 39, 1/1993, S. 87-104. Siehe auch:<br />

Kiraci, Chr<strong>ist</strong>ine/Gierl, Heribert, Wirkung emotionaler Werbespots, in: Planung und Analyse, 6/1992, S. 61-<br />

68<br />

123 Pöchhacker, Chr<strong>ist</strong>of, Zur rechtlichen Zulässigkeit emotionaler Bildwerbung, in: Werbeforschung &<br />

Praxis, 2/1991, S. 73. Als Begründung wird angegeben, daß emotionale Bildwerbung die rechte Gehirnhälfte<br />

anspreche und dadurch gefühlsmäßige Reaktionen hervorrufe, die häufig ohne Beteiligung kognitiver<br />

Prozesse ablaufen sollen.<br />

124 Sawyer/Howard, Effects of Omitting Conclusions in Advertisement, S. 473f<br />

119


<strong>3.2</strong>.<strong>3.2</strong> Wirkungsparadigma Unique-selling-Position<br />

<strong>Werbung</strong> besitzt die Aufgabe, auf sich aufmerksam zu machen. Wirtschaftswissenschaftlich<br />

ausgedrückt kreiert sie eine Art "valeur ajoutée consommateur" 125 und damit eine unique selling<br />

position. Diese spricht dem eigentlichen Produktwert durch das Mittel der <strong>Werbung</strong> neue,<br />

produktfremde Werte zu, welche den eigentlichen Wert des Produktes erhöhen und/oder<br />

verändern. 126 Das Produkt findet seine Einzigartigkeit weniger im eigentlichen<br />

Grundnutzen, denn dieser wird von ähnlichen Produkten ungefähr gleichwertig erfüllt,<br />

sondern in diesem Zusatzwert oder Nebennutzen. 127 Haug spricht hier<strong>bei</strong> von einer<br />

Überhöhung des Gebrauchswertversprechens durch ästhetische Zugaben. 128 Eine<br />

ästhetische Zugabe wiederum <strong>ist</strong> ein einzigartiger Objektvorzug, der demselben über seine<br />

funktionale Gleichwertigkeit hinweg einen Kaufgrund gibt. Die Erhöhung des<br />

Produktwertes verläuft häufig über emotionale Erlebnis- und/oder Geltungswerte129 , deren<br />

Inhalt "(...) funktionalen Nutzenansprüchen me<strong>ist</strong> überlegen [<strong>ist</strong>]." 130<br />

<strong>3.2</strong>.3.3 Wirkungsparadigma Zielgruppen / psychologische Segmentierung<br />

Die Zielgruppendefinition <strong>ist</strong> eine wichtige Voraussetzung für die Gestaltung von<br />

<strong>Werbung</strong> und die Produktpositionierung. Sie gehört zu den Determinanten, also zu den<br />

Bestimmungs- oder Ausgangsgrößen, die eine optimale Einfügung der <strong>Werbung</strong> in die<br />

gesellschaftlichen, geschmacklichen und moralischen Gegebenheiten zur Strategie haben,<br />

um so die direkte, effektive Ansprache der potentiellen Käufer zu gewährle<strong>ist</strong>en. Man<br />

spricht in diesem Sinne von Zielgruppenadäquatheit. 131 Die genaue Fixierung der<br />

Zielgruppe und ihrer Wünsche <strong>ist</strong> umso wichtiger, als daß:<br />

125 Dupuis, Marc, Marketing international, S. 91<br />

126 Nach Ansicht Blackstones, liegt der Nutzen der <strong>Werbung</strong> darin, ein Produkt auf einem relativ hohen<br />

Preisniveau gegen Preisangriffe der Mitbewerber zu immunisieren. Blackstone, Max, a.a.O., S. 20. Dies <strong>ist</strong> ein<br />

bedeutender Aspekt, ob es sich jedoch um ein Haupt- oder ein Nebenargument handelt, hängt von dem<br />

Produkt und seinem Lebenszyklus ab.<br />

127 Vgl. dazu: Pickert, Die Konzeption der <strong>Werbung</strong>,S. 76<br />

128 Haug, Wolfgang Fritz, Wirkungsbedingungen einer "Ästhetik von Manipulation", in: Haug, Wolfgang Fritz<br />

(Hrsg.), Warenästhetik. Beiträge zur Diskussion, Weiterentwicklung und Vermittlung ihrer Kritik,<br />

Frankfurt/Main 1992, S. 154-74. Siehe auch die Kritik zu diesem Artikel in: Kurzke, Hermann, Die Schönheit<br />

der Ware, in: Sprache im technischen Zeitalter, Vol. 50/1974, S. 203-215. Nach Kurzke <strong>ist</strong> Haugs<br />

Ästhetikbegriff unzureichend und seine Analyse sollte einerseits durch eine stärkere Akzentuierng des<br />

philosophischen Begriffs der Ästhetik, die andererseits dann eine differenziertere ökonomische,<br />

sozialpsychologische und ideologiekritische Übersetzung der ästhetischen Katogorien erfordert würde.<br />

129 Wachtel, Martin, Fahrzeugwerbung, Testberichte und Verkehrssicherheit, Berichte der Bundesanstalt für<br />

Straßenwesen, Bergisch Gladbach 1995, S. 10<br />

130 Pickert, Die Konzeption der <strong>Werbung</strong>, S. 76<br />

131 Keppler, Martin, Qualitatskriterien <strong>bei</strong> Recall-Tests, in: Planung und Analyse, 1/1993, S. 62<br />

120


One might, in fact, reasonably argue that what is <strong>bei</strong>ng consumed is not the product but rather the<br />

hope and fantasy of acquiring the traits of the prototypes in the advertising. 132<br />

Hieraus folgt zum einem, daß Produkte ihre Bedeutung nicht nur im Bereich ihres<br />

Gebrauchswertes finden, sondern ebenso im Bereich des Geltungs- und Erlebniswertes. 133<br />

Zum anderen muß der Wunsch initiiert werden, die dargestellten Werte in der Zielgruppe<br />

zu verinnerlichen.<br />

Als Zielgruppenmerkmale unterscheidet man verhaltensdisponierende von<br />

verhaltensdeskriptiven Kriterien. Zu den erstgenannten werden demographische, d.h.<br />

sozial-ökonomische, sowie geographische Daten und psychographische<br />

Verhaltensmerkmale - wie Motive und Einstellungen – als auch Involvement gezählt. Zu<br />

den verhaltensdeskriptiven Kriterien gehört das Kaufverhalten, das Konsumverhalten<br />

sowie Besitzstandsmerkmale. 134<br />

Die Klassifizierung der Zielgruppen durch ihre Merkmale <strong>ist</strong> nur dann erfolgreich, wenn<br />

die Konsumenten in ihrer ganzen Lebenswelt erfaßt werden. 135 Deswegen wird die<br />

Zielgruppentypologie, deren Motor die Gruppenzugehörigkeit <strong>ist</strong>, mehr und mehr über<br />

den momentan sehr modern gewordenen Life-style-Ansatz ausgeübt. 136 Dieser Ansatz<br />

<strong>bei</strong>nhaltet ebenfalls die beschriebenen Segmentierungskriterien auf indirekte Art oder zeigt<br />

sich von ihnen abhängig. Er definiert die Gruppen weiterhin unter soziokulturellen<br />

Aspekten und klassifiziert sie in z.B. Traditional<strong>ist</strong>s, Frustrated, Life-Expansion<strong>ist</strong>s, Mobiles,<br />

Soph<strong>ist</strong>icates, Actives, Immediate Gratifiers137 u.ä.m..<br />

Jeder Ansatz zur Beschreibung der Zielgruppe we<strong>ist</strong> spezifische Vor- und Nachteile auf.<br />

Die Notwendigkeit der Zielgruppenbeschreibung <strong>ist</strong> jedoch evident, denn je genauer die<br />

Personengruppen erkannt werden, je präziser können sie angesprochen werden und je<br />

höher <strong>ist</strong> der Wirkungsgrad der <strong>Werbung</strong>.<br />

Ohne diese Definition und die damit einhergehende Charakterdarstellung des anvisierten<br />

Publikums kann die Werbegestaltung nicht die vorliegenden, aktuellen Geschmacktrends<br />

und Leitbilder aufnehmen bzw. für sich erfolgreich umformen. Eine genaue Analyse dieser<br />

132 Lautman, Martin R., End-benefit Segmentation and Prototypical Bonding, in: Journal of Advertising<br />

Research, 4/1991, S. 9f<br />

133 Vgl.: Wachtel, Fahrzeugwerbung, S. 11<br />

134 Pickert, Die Konzeption der <strong>Werbung</strong>, S. 49<br />

135 Saxer, <strong>Kommunikation</strong>swissenschaftliche Thesen, S. 652<br />

136 Hovland/Janis/Kelley, Communication and persuasion, S. 136<br />

137 Comas, Stephen C., Life Styles and Consumption Patterns, in: Journal of Consumer Research, Vol. 8,<br />

3/1982, S. 454<br />

121


Trends sollte nicht nur unter der Differenzierung der Länder, sondern entlang der<br />

Automobilklassen geschehen. Die unterschiedlichen Zielgruppen werden in einem Land<br />

verschieden angesprochen. Ob gleiche Gruppierungen in den verschiedenen Ländern<br />

ex<strong>ist</strong>ieren, wird diese Analyse zeigen. Dennoch wird auch bezüglich der psychologischen<br />

Segmentation Kritik laut. Lesser/Hughes stellen sechs kritische Faktoren zusammen. Nach<br />

Meinung der Autoren könne psychologische Segmentierung nicht in jedem Fall richtig<br />

vorhersagen. Studien hätten einen Zusammenhang zwischen ihr und dem Kaufverhalten<br />

nicht eindeutig feststellen können. Außerdem stünde die Segmentierung noch auf der<br />

ersten Entwicklungsstufe und ignoriere das Käuferverhalten <strong>bei</strong> der hierarchisch<br />

aufgebauten Entscheidungsfindung. 138<br />

<strong>3.2</strong>.4 Begründung und Spezifik der ausgewählten <strong>Werbung</strong>en<br />

Nachdem die <strong>Kommunikation</strong> durch die <strong>Werbung</strong> kritisch vorgestellt wurde, soll an dieser<br />

Stelle die <strong>Werbung</strong> selbst untersucht werden. Zunächst wird ihre wirtschaftliche und<br />

gesellschaftliche Bedeutung aufgezeigt. Danach wird auf die <strong>Kommunikation</strong> durch<br />

Massenmedien näher eingegangen. Printwerbung wird über die Massenmedien verbreitet.<br />

Die Auswahl des zu untersuchenden Mediums bzw. dessen Charakter<strong>ist</strong>ik im Vergleich zu<br />

den anderen Möglichkeiten des Media-Mixes <strong>ist</strong> von immenser Wichtigkeit. Außerdem<br />

muß die Einschränkung auf ein bestimmtes, beworbenes Produkt erklärt werden.<br />

<strong>3.2</strong>.4.1 Wirtschaftliche und gesellschaftliche Bedeutung der <strong>Werbung</strong><br />

Die wirtschaftliche Bedeutung spielt sich auf zwei Ebenen ab, der gesamtwirtschaftlichen<br />

Ebene des Bruttoinlandsprodukts auf der einen Seite und derjenigen der<br />

Absatzunterstützung139 seitens der Werbetreibenden. Der erstgenannte Aspekt <strong>bei</strong>nhaltet<br />

die Wichtigkeit der <strong>Werbung</strong> für die Wirtschaft eines Landes. Folgende Zahlen<br />

unterstützen dies:<br />

In Deutschland lag der stabile Anteil der Wer<strong>bei</strong>nvestitionen am Brutto-Inlandsprodukt<br />

z.B. im Jahre 1993 <strong>bei</strong> 1,57%; das sind 48,8 Milliarden Mark140 . Dies bedeutet einen<br />

Zuwachs von 3,4% gegenüber dem Vorjahr. 141 Die Steigerungsrate liegt zwar wesentlich<br />

138 Lesser, Jack A./Hughes, Marie Adele, The generalizability of psychographic market segments across<br />

geographic locations, in: Journal of Marketing, Vol. 50, 1/1986, S. 18<br />

139 Merkle, <strong>Werbung</strong> und ihre Wirkungen, S. 578<br />

140 ZAW (Hrsg.), <strong>Werbung</strong> in Deutschland 1994, S. 7<br />

141 Ders., a.a.O., S. 5<br />

122


unter derjenigen der Vorjahre, aber dennoch "deutlich über dem deutschen<br />

Bruttoinlandsprodukt (+2,6 Prozent nominal) - die Werbebranche hat also wesentlich<br />

besser abgeschnitten als die me<strong>ist</strong>en anderen Branchen." 142 Allgemein läßt sich festhalten,<br />

daß sich der gesamte Werbeaufwand in den letzten <strong>bei</strong>den Jahrzehnten etwa verzehnfacht<br />

hat. 143<br />

Ähnlich sieht die Situation auf dem französischem Werbemarkt aus: "Selon les estimations<br />

de l'IREP, le marché publicitaire en France s'est élevé à 126,8 milliards de francs en 1994, contre 123,7<br />

milliards de francs en 1993 (...), soit une progression annuelle de 2,5%." 144 Die allgemeine<br />

wirtschaftliche Rezession betraf auch in Frankreich den Bereich der <strong>Werbung</strong> nicht so<br />

stark wie andere Wirtschaftsbereiche. Außerdem tritt der wirtschaftliche Aufschwung in<br />

diesem Bereich früher ein als in den anderen, denn bereits im Jahr 1994 zeichnete sich eine<br />

Rückkehr zum Wachstum im Bereich der <strong>Werbung</strong> ab: "(...) les recettes publicitaires ont<br />

progressé, en moyenne, de 5% en 1994, après un recul de 5% en 1993, et retrouvent, en volume, un niveau<br />

comparable à l'année 1992." 145<br />

Als betriebswirtschaftlicher Faktor der Verkaufsförderung geht <strong>Werbung</strong> mehr und mehr<br />

zu einer antizyklischen Tendenz über. Diese Wandlung bedeutet, daß die<br />

Wer<strong>bei</strong>nvestitionen nicht mehr grundsätzlich in Abschwungphasen gekürzt werden,<br />

sondern daß langfr<strong>ist</strong>igere Planungen verfolgt werden, um ein ausgeglichenes Selbstbild<br />

herzustellen und den Absatz zu fördern. "Natürlich: <strong>Werbung</strong> kann keine Konjunktur<br />

produzieren. Sie kann aber da<strong>bei</strong> helfen, Talfahrten der Volkswirtschaft abzufedern und<br />

wiedereinsetzende Konjunktur zu beschleunigen. <strong>Werbung</strong> <strong>ist</strong> und bleibt ein<br />

volkswirtschaftlicher Mutmacher." 146<br />

Aufgrund dieser Wichtigkeit wird - und dies hauptsächlich von Seiten der Werbebetreiber -<br />

eine höhere Effizienz von <strong>Werbung</strong> gefordert. Sie scheint angesichts der von Fontalland<br />

wieder aufgenommenen Aussage: "(...) seulement la moité des investissements publicitaires ont une<br />

efficacité sur les ventes." 147 wichtig. Mit dieser Darstellung wird eine andere Äußerung leicht<br />

abgewandelt wiederaufgenommen. Die ursprüngliche Aussage, dem häufig der Mythos<br />

142 Ebenda<br />

143 Newrkla, Johannes, Trotz mangelnder Kreativität: ungestörter Verkauf, in: Werbeforschung & Praxis,<br />

2/1991, S. 65<br />

144 Institut de Recherches & d'Etudes publicitaires (Hrsg.), Le marché publicitaire français 1994, Broschüre<br />

vom 11. April 1995, S. 1<br />

145 Institut de Recherches & d'Etudes publicitaires (Hrsg.), a.a.O.<br />

146 Nickel, Volker, <strong>Werbung</strong> '93 im Strudel des Wandels, in: Markenartikel, 6/1993, S. 269<br />

147 Fontalland, Le marketing opérationnel, S. 144<br />

123


einer Weisheit zugestanden wird, wandelt seit dem Anfang der modernen <strong>Werbung</strong> durch<br />

die kommunikationswissenschaftlichen Zeitschriften. Sie soll von dem Unternehmer Henry<br />

Ford I. in die Welt gesetzt worden sein. 148 Sein ursprüngliches Sprichwort lautet: "Die<br />

Hälfte meiner <strong>Werbung</strong> <strong>ist</strong> effektlos; ich weiß bloß nicht welche." 149 Es veranschaulicht das<br />

Dilemma der <strong>Werbung</strong> und bringt die Ratlosigkeit des Fehlens stichhaltiger Hinweise auf<br />

sinnvolle, effektive Werbemaßnahmen zum Ausdruck.<br />

Nach Horst Stipp150 bedeutet effizienteres Werben (1.) weniger zu werben und (2.)<br />

kosteneffizientere <strong>Werbung</strong>en zu finden. Um Punkt (1) ohne Absatzrückgang durchsetzen<br />

zu können, muß die Wirkung der einzelnen <strong>Werbung</strong>en präzisiert und verstärkt werden.<br />

Kosteneffiziente <strong>Werbung</strong> kann sein: eine Verbesserung des Media Mixes, stärkere<br />

Zielgruppenorientierung, leichtere Memorisation der <strong>Werbung</strong>, höhere Auffälligkeit der<br />

<strong>Werbung</strong>, etc. Andererseits können geldliche Einsparungen ebenso bedeuten, dieselbe<br />

<strong>Werbung</strong> in verschiedenen Ländern zu lancieren. Auf die Vor- und Nachteile, die<br />

Schwierigkeiten der Durchführung und die Akzeptanz dieser Methode seitens der<br />

Unternehmen und seitens der Rezipienten wird im Rahmen dieser Ausar<strong>bei</strong>tung analytisch<br />

eingegangen. Auch eine Lancierung gleicher <strong>Werbung</strong> in verschiedenen Ländern kann<br />

Kosten sparen. Ihre Effektivität setzt sich aus mehreren Aspekten zusammen.<br />

<strong>3.2</strong>.4.2 Bedeutung der Massenmedien<br />

Marketingfachleute können auf vielfältige Weise Produkte bewerben. Es stehen ihnen<br />

zahlreiche Methoden zur Verfügung. Sie lassen sich nach Jarry in zwei Bereiche<br />

aufspalten151 :<br />

(1) “le hors-média“: PR, Sponsoring, Ausstellungen, Pressear<strong>bei</strong>t, etc. Durch diese<br />

Methoden soll die Meinung der Journal<strong>ist</strong>en und möglichen Käufer beeinflußt<br />

und die Produkte thematisiert werden. 152 Es handelt sich um eine indirekte<br />

Methodik.<br />

148 Vgl.: Nickel, Volker, <strong>Werbung</strong>: Kostenfaktor oder Investition?, Broschüre zum Vortrag in Frankfurt, 2.<br />

Mai 1994, Media-Strategien 2000/Management Circle, S. 3. Siehe auch: Edwards, Larry, Auto advertising<br />

“hall of frame“ an exclusive club, in: Advertising Age, 1/1996, S. 40<br />

149 Siehe z.B.:Nickel, Volker, Automobilwerbung in Deutschland vor dem Hintergrund veränderter<br />

Rahmenbedingungen, Vortrag vom 18. Semtember 1997, S. 4<br />

150 Stipp, Horst, Wirkt die Fernsehwerbung noch? Neue Entwicklungen in der Werbewirkungsforschung in<br />

den USA, in: Media Perspektiven, 12/1992, S. 783<br />

151 Jarry, Jean-Michel, Communiquer sans frontières, Paris 1993, S. 40<br />

152 Zum Stichwort agenda setting befindet sich eine Zusammenfassung mit umfassender Literaturübersicht in:<br />

Schenk, Medienwirkungsforschung, S. 194ff<br />

124


(2) “les médias“: Die direkten, offensiven Werbemittel sind wiederum zweigeteilt: Auf<br />

der einen Seite stehen die Printmedien, worunter Zeitungen, Zeitschriften und<br />

Broschüren, leaflets zusammengefaßt werden. Auf der anderen Seite stehen die<br />

Rundfunkmedien mit Hörfunk, Fernsehen und den sog. Neuen Medien wie<br />

Satellit, BTX, CD-Rom. 153 <strong>Werbung</strong>, die über die Printmedien unmittelbar an<br />

den Rezipienten herangeführt wird, ohne daß dieser sich willentlich für die<br />

Rezeption entscheiden muß, bezeichnet man als "klassische <strong>Werbung</strong>". 154<br />

Werbekampagnen werden in vielen Fällen gleichzeitig in mehreren Medien<br />

geführt, wo<strong>bei</strong> der Media-Mix von entscheidender Bedeutung für einen Erfolg<br />

einer Kampagne sein kann. 155<br />

<strong>3.2</strong>.4.3 Funktion der Massenmedien<br />

Medien sind <strong>Kommunikation</strong>smittel der Massenkommunikation. Sie besitzen<br />

Öffentlichkeits-, Artikulations-, Sozialisations-, Kontroll- und Kritikfunktion. 156 Außerdem<br />

besitzt die Massenkommunikation Informations- und Meinungsbildungsfunktion. 157 Dies<br />

bezieht sich zuerst auf den "eigentlichen", redaktionellen Inhalt der Veröffentlichung, aber<br />

auch auf die <strong>Werbung</strong>en, welche häufig unbewußt mitgelesen werden. Die Bedeutung von<br />

Zeitschriften läßt sich u.a. an der Nutzung ablesen. Insgesamt 46,8% der deutschen<br />

Bevölkerung haben im Jahr 1997 Zeitschriften bzw. Illustrierte gelesen. 158<br />

Medien werden rezipiert. Ihre Inhalte sind "Resultate der Verwendung von<br />

<strong>Kommunikation</strong>smitteln (z.B. Texte)". 159 Die Medienangebote bestehen aus<br />

gesellschaftlich genormten semiotischen (zeichenfähigen) Materialien<br />

(<strong>Kommunikation</strong>sinstrumenten), in denen gesellschaftliche Interaktions- und<br />

153 Siehe genauere Definition <strong>bei</strong>. Meffert, Heribert, Marketing und Neure Medien, Stuttgart 1985, S. 6ff.<br />

154 Haase, Henning, Anwendungsfelder und neue Entwicklungen. Werbewirkungsforschung, in: Groebel,<br />

Jo/Winterhoff-Spurk, Peter (Hrsg.), Empirische Medienpsychologie, München 1989, S. 216<br />

155 Gleich, Uli/Groebel, Jo, ARD-Forschungsdienst. Werbeforschung: Neue Befunde zu<br />

Wirkungsvoraussetzungen, in: Media Perspektiven, 5/1993, S. 229<br />

156 Dorsch-Jungsberger, Kultur und Informationsgesellschaft, S. 57<br />

157 Chill/Meyn, Funktionen der Massenmedien in der Demokratie, S. 3<br />

158 Dies., a.a.O., S. 4<br />

159Schmidt, Konstruktivismus in der Medienforschung, S. 613. Schmidt gibt drei weitere "Medien" an: -<br />

konventionalisierte <strong>Kommunikation</strong>smittel im Sinne der zur <strong>Kommunikation</strong> verwendeten Materialien<br />

einschließlich der Konventionen ihres Gebrauchs (z.B. Schrift plus Grammatik und Lexikon), -Techniken, die<br />

zur Erstellung von Medienangeboten verwendet werden (z.B. Schreibkomputer), -Institutionen bzw.<br />

Organisationen, die zur Erstellung von Medienangeboten erforderlich sind (z.B. Verlage), einschließlich aller<br />

damit verbundenen ökonomischen, politischen, rechtlichen und sozialen Aspekte.<br />

125


<strong>Kommunikation</strong>serfahrungen verkörpert sind. Die Verwendung dieser Materialien <strong>ist</strong><br />

gesellschaftlich typisiert bzw. schematisiert.<br />

Die Massenmedien sind laut Schmidt zu Instrumenten der Wirklichkeitskonstruktion<br />

geworden. 160 Gemäß seiner konstruktiv<strong>ist</strong>ischen Sicht glaubt er, daß medienvermittelte<br />

<strong>Kommunikation</strong> in einer Gesellschaft um so bedeutsamer sei, desto größer der Einfluß von<br />

Medien und <strong>Kommunikation</strong> auf die Anwendung und Interpretation des Programms<br />

Kultur werde. 161 Bei der Rezeption von Medien wird der interaktive Zusammenhang<br />

zwischen Wahrnehmung und <strong>Kommunikation</strong> aufgehoben und durch einen<br />

Zusammenhang von Medienangeboten und ihrer Nutzung ersetzt. Durch die Nutzung der<br />

Medien werde nach Schmidt das Wissen reflexiv, d.h. der Rezipient glaube, daß andere<br />

wissen, daß man selbst weiß, daß andere wissen..., daß Medienangebote rezipiert und also<br />

als bekannt vorausgesetzt werden. 162 Die Massenmedien bilden auf diese Art in sich ein<br />

System aus, daß sich selbst am Leben erhält. Balle erklärt das Funktionieren der<br />

Massenmedien folgendermaßen: "(...) les "Mass média" transforment la culture moderne en<br />

présidant à la circultation et au renouvellement permanents des idées." 163<br />

Massenkommunikation <strong>ist</strong> laut Merten ein „flüchtiges kleines Sozialsystem (...), Keimzelle<br />

aller größeren Sozialgebilde. Es stabilisiert Gesellschaften, und es wird durch<br />

Gesellschaften selbst rückstabilisiert.“ 164<br />

Die Funktion der Massenmedien wird sozialwissenschaftlich als soziales<br />

Orientierungsmuster beschrieben. Die Massenmedien rufen das Gefühl des Da<strong>bei</strong>seins<br />

hervor. Schmidt läßt <strong>bei</strong>m TV-Beispiel kritisch anklingen: "Mit dem Fernsehen öffnet sich<br />

kein Fenster zur Welt, sondern ein Fenster zu unserer Kultur." 165 Daraus ergibt sich eine<br />

Art Wirklichkeitsverlust durch die Mediennutzung. Die Frage nach der Richtigkeit der<br />

Medienwirklichkeit im Vergleich zur tatsächlichen Wirklichkeit stellt sich so nicht mehr,<br />

insofern die Medienwirklichkeit viabel, also passend <strong>ist</strong>. Die Viabilität einer Beobachtung<br />

fragt nicht nach einer feststellbaren Übereinstimmung bestimmter Ergebnisse - auch<br />

Rezeptionsresultate - mit d e r Wahrheit. Statt dessen <strong>ist</strong> sie davon abhängig, ob sie es dem<br />

160 Schmidt, Die Wirklichkeit des Beobachters, S. 14<br />

161 Schmidt, Sprache, Kultur und Wirklichkeitskonstruktion(en), S. 245<br />

162 Ebenda<br />

163 Balle, Médias et Sociétés, S. 660<br />

164 Merten, <strong>Kommunikation</strong>, S. 165<br />

126


Beobachter erlaubt zu handeln und eine wahrgenommene Übereinstimmung mit<br />

individuell oder sozial festgelegten Kriterien für "gute" Lösungen festzustellen. Die<br />

Möglichkeit, eine Übereinstimmung festzustellen, muß gegeben sein. Die Viabilität <strong>ist</strong><br />

schließlich auch davon abhängig, ob ein bestimmtes Ergebnis kons<strong>ist</strong>ent an andere, früher<br />

gefundene Lösungen bzw. Ergebnisse anknüpft. 166 Viabilität wird auch durch die<br />

Beziehung des Passens beschrieben. 167<br />

Was für die Massenmedien im Allgemeinen gilt, <strong>ist</strong> auch für die <strong>Werbung</strong> wahr, da<br />

<strong>Werbung</strong> ein Teil der Massenkommunikation <strong>ist</strong>. 168 Als wichtige Unterschiede bleiben<br />

festzuhalten, daß (1) der Rezipient das Medium nicht wegen der <strong>Werbung</strong> liest, und daß (2)<br />

er sich dennoch über das Hauptmerkmal der <strong>Werbung</strong>, die Verkaufsabsicht, bewußt <strong>ist</strong>.<br />

The impact of advertising is not limited to the message content about its products or services; it also<br />

communicates, directly and indirectly, norms, judgements, and values which may have no<br />

relationship with the products advertised. 169<br />

<strong>3.2</strong>.4.4 Spezifik der Printwerbung<br />

Printwerbung wird in den Massenmedien der Zeitschrift und der Zeitung veröffentlicht,<br />

wo<strong>bei</strong> an dieser Stelle das Hauptaugenmerk den Zeitschriften gehört. Die Kategorie<br />

Zeitschrift unterteilt sich in unterschiedliche Zeitschriftentypen. Fachzeitschriften werden<br />

von Publikumszeitschriften unterschieden, wo<strong>bei</strong> letztere häufig als Oberbegriff für<br />

Massenzeitschriften oder General-interest-, Special-interest- und Zielgruppenzeitschriften<br />

verwendet wird. 170 Von besonderem Interesse sind hier Publikumszeitschriften. Sie<br />

charakterisieren sich durch eine Leserschaft, die unabhängig von Beruf, sozialer Herkunft,<br />

politischer oder religiöser Bindung durch gemeinsame Interessen an diese Zeitschrift<br />

gebunden <strong>ist</strong>.<br />

Vor einigen Jahren verloren die Zeitschriften vor dem Hintergrund eines expandierenden<br />

Fernsehangebotes zunächst an Wichtigkeit, gewinnen nun jedoch zunehmend an<br />

165 Schmidt, Siegfried J., Kognitive Autonomie und soziale Orientierung. Konstruktiv<strong>ist</strong>ische Bemerkungen<br />

zum Zusammenhang von Kognition, <strong>Kommunikation</strong>, Medien und Kultur, Frankfurt am Main 1994, S. 277<br />

166 Hejl, Konstruktion der sozialen Konstruktion, S. 304f<br />

167 Glaserfeld, Konstruktion der Wirklichkeit und des Begriffs der Objektivität, S. 30<br />

168 Schenk, Perspektiven der Werbewirkungsforschung, S. 447<br />

169 Wiles, Charles R./Wiles, Judith A./Tjernlund, Anders, The ideology of advertising: the United States and<br />

Sweden, in: Journal of Advertising Research, 3/1996, S. 57<br />

170 Stark, Susanne, Stilwandel von Zeitschriften und Zeitschriftenwerbung. Analyse zur Anpassung des<br />

Medienstils an geänderte <strong>Kommunikation</strong>sbedingungen, Reihe Konsum und Verhalten, Band 31, Heidelberg<br />

1992, S. 16<br />

127


Bedeutung, denn sie ermöglichen eine gezielte, differenzierte Zielgruppenansprache. Die<br />

Bedeutung der klassischen <strong>Werbung</strong> wird in ihrer Werbefunktion deutlich. Die in einem<br />

harten Konkurrenzkampf zueinander stehenden Zeitschriften sind auf große<br />

wirtschaftliche Erträge angewiesen, welche nicht allein durch den Verkauf gewonnen<br />

werden können. 171 Als Einnahmequelle <strong>ist</strong> die <strong>Werbung</strong> für die jeweiligen Medien wichtig.<br />

Dies zeigen die Netto-Werbeeinnahmen der deutschen Medien im Jahr 1996:<br />

Tageszeitungen (10,7 Mrd DM), Fernsehen (6,9 Mrd DM), <strong>Werbung</strong> per Post (5,7 Mrd.<br />

DM), Illustrierte (3,4 Mrd DM), Anzeigenblätter (3,0 Mrd DM), Fachzeitschriften (2,3 Mrd<br />

DM), Adressbücher (2,3 Mrd DM), Radio (1,2 Mrd DM) und Plakatwerbung (1,0 Mrd<br />

DM) 172 . Die erfaßbaren Netto-Werbeeinnahmen von Printmedien, also von<br />

Tageszeitungen, Publikumszeitschriften, Fachzeitschriften, Wochen- und<br />

Sonntagszeitungen bezifferten sich 1993 in Deutschland auf insgesamt 49% der<br />

Einnahmen. 173 In Frankreich lag der Wert mit 48,5% für 1993 und 48,1% für 1994174 auf<br />

dem gleichen, außerdem sehr stabilen Niveau.<br />

Da die deutsche Investitionsgüterindustrie traditionell sehr stark auf den Export<br />

ausgerichtet <strong>ist</strong>, <strong>ist</strong> die <strong>Werbung</strong> für eben diese Güter, auch im Ausland, wichtig. 175 Der<br />

Exportanteil der vier größten deutschen Exporteure - darunter befinden sich auch zwei<br />

Automobilhersteller - am Konzernumsatz lag 1984 <strong>bei</strong> folgenden Werten: Bayer 78,6%,<br />

Hoechst 75,3%, Volkswagen 67,9%, Daimler Benz 66,3%. 176<br />

Das Printmedium gestaltet einen wichtigen Aspekt im Media-Mix. Jedes Medium besitzt<br />

seine eigenen Charakter<strong>ist</strong>ika. Die unterschiedlichen Bedingungen zur Werbeerinnerung<br />

definieren diese. Für Print-Kampagnen ergibt sich folgendes:<br />

Erstens muß man sich klar sein, daß es <strong>bei</strong> Printwerbung länger dauert, bis die<br />

Botschaft ankommt (dafür hält sie länger an). Zweitens hängt die Aufmerksamkeit<br />

für Anzeigen viel stärker vom Interesse für das Produkt ab als im Fernsehen. 177<br />

Weitere Charakter<strong>ist</strong>ika der Printwerbung sind im Vergleich zum Fernsehen eine höhere<br />

Nutzungsintensität und damit einhergehend eine größere Kontaktdichte. 178 Ein<br />

171 Straßner, Erich, Zeitschrift, Grundlagen der Medienkommunikation, Band 3, Tübingen 1997, S. 31<br />

172 Chill/Meyn, Vielfalt und Aufgaben der Printmedien, S. 23<br />

173 ZAW (Hrsg.), <strong>Werbung</strong> in Deutschland 1994, S. 17<br />

174 Institut de Recherches & d'Etudes publicitaires (Hrsg.), Le marché publicitaire, S. 2<br />

175 Vgl. dazu: Reiter, Gerhard, Organisation der <strong>Werbung</strong> im Investitionsgütermarketing, Werbeforschung &<br />

Praxis, 3/1992, S. 107<br />

176 Becker, J., Markting-Konzeptionen, 3. Aufl., Berlin 1985, S. 430<br />

177 Kaplitza, Gabriele, Werbeerinnerung als Wirkungsmessung, in: Planung und Analyse, 1/1993, S. 23<br />

128


Vergleich von TV und Print veranschaulicht dies: "Das Fernsehen produziert schnell hohe<br />

Reichweiten - <strong>bei</strong> einer extrem geringen Kontaktdichte. Der Reichweitenanstieg der<br />

Programmzeitschriften <strong>ist</strong> demgegenüber begrenzt - <strong>bei</strong> einer in der Relation zur jeweiligen<br />

Netto-Reichweite sehr hohen Kontaktdichte." 179 Hieraus folgt eine unterschiedliche<br />

Konzeption. Die Analyseergebnisse treffen deswegen lediglich auf die Printwerbung zu. Sie<br />

zeigen generelle Tendenzen, sind jedoch auf andere Werbeträger und nur unter Vorbehalt<br />

anwendbar.<br />

Die Mediennutzung gibt verschiedene Eigenschaften der jeweiligen Medien an. In neueren<br />

Untersuchungen wird der Begriff der Medienmentalitäten eingeführt. Diese beschreiben<br />

die Erwartungen, die der Rezipient gegenüber den verschiedenen Medien hat und den<br />

Umgang mit ihnen. 180 Die Mentalitätsunterschiede lassen sich nur schwerlich eindeutig<br />

feststellen, wenn man sich nicht auf Eindrücke verlassen will. Die würde eine gesonderte<br />

Untersuchung verlangen, welche bislang nicht veröffentlicht wurde. Einzelne<br />

Untersuchungen wurden in Kosumentenforschungsprojekten der großen Werbeagenturen<br />

gemacht. Da diese durch ähnliche Untersuchungen versuchen, einen Vorsprung gegenüber<br />

ihren Mitkonkurrenten herauszuar<strong>bei</strong>ten, bleiben diese Untersuchungen geheim. Dennoch<br />

habe ich einige Daten aus einer europäischen Studie von der Werbeagentur Universal<br />

Media, Filiale von McCann aus der Havas-Gruppe erhalten. Die Spezifik dieser<br />

Untersuchung beruht auf der Annahme, daß neben der Identifikation des Konsumenten<br />

nicht so sehr das Augenmerk auf die Frage nach der Quantität des Medienkonsums gelegt<br />

werden soll, sondern auf die Qualität. Einige Informationen können im folgenden gegeben<br />

werden. Sie vereinigen Daten aus der Studie mit weiteren Informationen.<br />

(1) Auch wenn die gleichen TV-Sendungen oder Zeitschriften rezipiert werden, so<br />

heißt das nicht, daß diese gleich geschätzt werden. 181 Die verschiedenen Medien<br />

werden zu unterschiedlichen Zeitpunkten rezipiert. Während in Frankreich die<br />

Einschaltquoten für das TV-Programm um 21 Uhr am höchsten <strong>ist</strong>, <strong>ist</strong> sie es in<br />

Deutschland um 20 Uhr. 182<br />

178 Vgl. dazu Faehling, Dieter, TV allein reicht nicht (mehr)! Renaissance der Print-<strong>Werbung</strong>. in: Planung und<br />

Analyse, 6/1993, S. 5ff<br />

179 Faehling, a.a.O., S. 6, siehe auch Tabelle S. 5<br />

180 Hasebrink, Uwe, Trennende Gemeinsamkeiten. Europäische Öffentlichkeit scheitert an nationalen<br />

Medienmentalitäten, in: Agenda, 6/1995, S. 16<br />

181 Ebenda<br />

182 Internes Dokument der Werbeagentur Universal Media, Media in Mind, S. 15, Bild 26<br />

129


(2) Der Umgang mit den Medien <strong>ist</strong> unterschiedlich. Tageszeitungen werden in<br />

Frankreich z.B. nur in seltenen Fällen abonniert. Vor allem in der Hauptstadt<br />

werden sie häufig an Kiosken gekauft und während der Metrofahrt gelesen. In<br />

Deutschland wird die Tageszeitung zume<strong>ist</strong> abonniert. Im vierten Quartal 1997<br />

wurden in Deutschland von den insgesamt 25 Millionen verkauften<br />

Tageszeitungen 17 Millionen Exemplare im Abonnement verkauft, so daß<br />

lediglich 7 Millionen einzeln verkauft werden konnten. 183 Außerdem <strong>ist</strong> der<br />

Lesezeitpunkt nicht identisch. Während in Deutschland die Tageszeitung<br />

gelesen wird bevor das Haus verlassen wird, liest der Franzose die Tageszeitung<br />

häufig auf dem Weg zur Ar<strong>bei</strong>tsstätte bzw. während der Ar<strong>bei</strong>t.<br />

(3) Die Erwartungen an die Medien sind unterschiedlich. Z.B. dauern die TV-<br />

Nachrichten um 20 Uhr in Frankreich 45 Minuten und haben auch einen<br />

unterhaltenden Anspruch. Währenddessen dient die Tagesschau im Deutschen<br />

Fernsehen lediglich der Information und <strong>ist</strong> mit 15 Minuten wesentlich kürzer,<br />

als die entsprechende Sendung in Frankreich.<br />

(4) Die <strong>Werbung</strong> innerhalb der verschiedenen Medien werden unterschiedlich gerne<br />

gesehen. Während die Franzosen besonders die Plakatwerbung schätzen, mögen<br />

die Deutschen die Printwerbung in der Presse am liebsten, was die folgende<br />

Tabelle zeigt. 184<br />

Tabelle 1: Jedem Land seine <strong>Werbung</strong> (modifiziert nach: Media in Mind, Bild 23)<br />

Deutschland Frankreich<br />

Ich mag TV-<strong>Werbung</strong> 9 28<br />

Ich mag Plakatwerbung 12 45<br />

Ich mag <strong>Werbung</strong> in der Presse 42 33<br />

Ich mag <strong>Werbung</strong> im Radio 14 14<br />

Ich erkenne es, wenn eine TV-Sendung<br />

sponsorisiert wird<br />

47 32<br />

<strong>3.2</strong>.4.5 Wirtschaftliche Bedeutung des ausgewählten Produktes Automobil<br />

Eine intensivere Beschäftigung mit dem Automobil findet seine Berechtigung bereits durch<br />

die Wichtigkeit dieses Sektors für die Wirtschaft, der für die großen Industrieländer einen<br />

183 TZ-Zahlenspiegel, in: Media-Spektrum, 4/1998, S. 20, Tabelle 1: Die IVW-Auflagen<br />

130


secteur clé185 darstellt. In Bezug auf die Medieninvestitionen steht der Automobilmarkt an<br />

erster Stelle186 und we<strong>ist</strong> ein überproportionales Wachstum auf. 187 Weltweit gesehen <strong>ist</strong><br />

General Motors mit einem Umsatz von 845 Milliarden Dollar das größte<br />

Industrieunternehmen, gefolgt von Shell und Exxon. Ford <strong>ist</strong> der zweitgrößte<br />

Automobilhersteller mit 536 Milliarden Dollar Umsatz im Jahr, gefolgt von Toyota. 188<br />

Deutschland besitzt den größten Automobilmarkt Europas. 189<br />

Tabelle 2: Automobilstat<strong>ist</strong>ik für Deutschland und Frankreich, in Millionen Stück<br />

Deutschland Frankreich<br />

Produktionsrate von Pkws, 1993 3,8 2,8<br />

Produktionsrate von Pkws, 1997 4,7 2,3<br />

Export von Pkws, 1996 2,9 1,5<br />

Export von Pkws, 1997 3,2 1,8<br />

Import von Pkws, 1996 1,9 1,4<br />

Import von Pkws, 1997 1,9 1,2<br />

Die Automobilindustrie <strong>ist</strong> eine Schlüsselindustrie der deutschen Volkswirtschaft. 190 Die<br />

jährliche Produktionsrate von Personenkraftfahrzeugen in Deutschland <strong>ist</strong> steigend. 1993<br />

betrug sie ca. 3,8 Millionen, im Jahr 1995 ca. 4 Millionen DM191 und 1997 bereits ca. 4,7<br />

Millionen Stück. 192 Auch im ersten Halbjahr 1998 läßt sich diese Tendenz mit einem<br />

Anstieg um 7,5% zum Vergleichszeitraum im Vorjahr eindeutig feststellen. 193 Der Export<br />

von Pkw aus Deutschland betrug 1997 insgesamt ca. 3,2 Millionen Stück194 in einem Wert<br />

184 Internes Dokument der Werbeagentur Universal Media, Media in Mind, S. 8<br />

185 Garnier, Oliver, L'automobile dans les échanges internationaux, in: Cahiers français: Le commerce<br />

international, Nr. 253, Paris 1991, S. 111<br />

186 Reiter, Gerhard, Organisation der <strong>Werbung</strong> im Investitionsgütermarketing, in: Werbeforschung & Praxis,<br />

3/1993, 105<br />

187 "Big Spender haben die Bremse gezogen", in: Horizont 31/1995, 4. August 1995, S. 18<br />

188 Vgl.: Castro, Oliver, Automobile et environnement: réflexions et perspectives, in: Revue française du<br />

marketing, Nr. 147, 2/1994, S. 41<br />

189 Quelch/Buzzell/Salama, Europe, S. 339<br />

190 Verband der Automobilindustrie e.V. (VDA), Auto 1998. Jahresbericht, S. 13<br />

191 Ders., International auto stat<strong>ist</strong>ics, Frankfurt 1995, S. 117<br />

192 Ders., International auto stat<strong>ist</strong>ics, Frankfurt 1998, S. 114<br />

193 VDA Pressedienst, Broschüre vom 16. 09.1998, Stat<strong>ist</strong>ische Auswertungen. Produktion und Export von<br />

Kraftwagen des Bundesgebiets<br />

194 Dieser Wert wird unter Vorbehalt angegeben, da dieselbe Stat<strong>ist</strong>ik auch den Wert 2,8 Millionen exportierte<br />

Kfz angibt. VDA, 1998, S. 117<br />

131


von ca. 91 Milliarden. 265000 der exportierten Fahrzeuge wurden nach Frankreich, dem<br />

drittgrößten deutschen Exportland in Europa exportiert. 195 Der Import von Pkw nach<br />

Deutschland belief<br />

sich im selben Jahr auf knapp 2 Millionen Stück mit leicht steigender Tendenz. Es handelt<br />

sich hier um einen Betrag von fast 40 Milliarden DM. 196 Es gibt keine Restriktionen gegen<br />

ausländische Importeure. 197 Deutschland <strong>ist</strong> mehr als andere Länder auf den Export<br />

ausgerichtet. Diese Situation wird von den Importländern kritisch beobachtet:<br />

En raison de son importance dans les échanges internationaux et de son caractère profondément<br />

déséquilibré au profit du Japon et de l'Allemagne, le commerce automobile mondial est un objet<br />

constant de préoccupation pour la plupart des grandes puissances économiques (...). 198<br />

Der Automobilmarkt in Frankreich <strong>ist</strong> kleiner als in Deutschland, dennoch nimmt er<br />

einen wichtigen Platz in der Wirtschaft des Landes ein. 199 Auch das Verhältnis<br />

Export/Import <strong>ist</strong> in Frankreich ungünstiger. Bricmet bezeichnet die Internationalisation<br />

der französischen Automobilindustrie sogar generell als schwach. 200 Die Produktion<br />

französischer Pkw in Frankreich belief sich 1997 auf 2,3 Millionen Stück. Sie liegt niedriger<br />

als 1993 (2,8 Millionen), als die Prime Balladur, eine finanzielle Unterstützung für den<br />

Neukauf von Klein- und Mittelklasseautos, gewährt wurde. Unter dieser Prämie <strong>ist</strong> eine<br />

staatliche Subventionierung des privaten Automobilkaufs zu verstehen, welche nach der<br />

Privatisierung der französischen Automobilindustrie eingeführt wurde und eine Form des<br />

Protektionismus der französischen Automobilindustrie darstellt. Zwei Jahre später, im Mai<br />

1995, wurde sie unter der Juppé-Regierung durch die sog. reprise201 ersetzt. Dieses<br />

Rücknahmesystem zahlte 5000 FF für jedes aus dem Verkehr gezogene Personenfahrzeug.<br />

Der Anstieg auf 3 Millionen Pkw im Jahr 1995 <strong>ist</strong> auf diese finanzielle Unterstützung<br />

zurückzuführen.<br />

195 VDA, 1998, S. 116f<br />

196 VDA, 1998, S. 120<br />

197 Quelch/Buzzell/Salama, Europe, S. 339<br />

198 Garnier, L'automobile dans les échangesinternationaux, S. 111<br />

199 Gautier, Bernard, Le marché automobile: un cycle spécifique?, in: Economie et stat<strong>ist</strong>ique, Vol. 282,<br />

2/1995, S. 65. Der Autor führt an gleicher Stelle fort: "En 1993, cette branche a représenté 11,6% de la production en<br />

valeur et 8,6% des emplois de l'industrie manufacturière (...)."<br />

200 Bricmet, Automobile: une industrie convalescente, S. 333<br />

201 Die reprise bedeutet, daß <strong>bei</strong>m Kauf eines Neuwagens der alte, egal welchen Baujahrs, in Zahlung<br />

genommen wird. In Deutschland findet eine Inzahlungsnahme älterer Modelle nur bis zu einem bestimmten<br />

Baujahr statt.<br />

132


Der Export von Pkw aus Frankreich betrug 1997 ca. 1,8 Millionen Stück, was einem Wert<br />

von ca. 100 Millionen FF entspricht. 202 Nach Deutschland wurden 329000 Pkw verkauft,<br />

womit Deutschland als das viertgrößte Exportland französischer Automobile innerhalb der<br />

europäischen Grenzen gilt. Der Import von Pkw lag im selben Jahr <strong>bei</strong> 1,2 Millionen Stück<br />

und einem Wert von ca. 71 Milliarden FF. 203 Noch 1992 wurden die Importe staatlich<br />

geregelt. Die fünf japanischen Fabrikate Toyota, Nissan, Mitsubishi, Honda und Mazda<br />

teilten sich 3% des Marktes. 204 Allgemein gesehen <strong>ist</strong> im Vergleich zu den Vorjahren der<br />

Export französischer Automobile gestiegen und der Import gesunken.<br />

Die Wichtigkeit der Automobilindustrie spiegelt sich nicht nur in den Fabrikationszahlen,<br />

sondern ebenfalls in ihren Werbeausgaben. 205 Die Automobilbranche bleibt auch 1997 der<br />

Hauptwer<strong>bei</strong>nvestor in Deutschland mit brutto 2,7 Milliarden DM. 206 Im Vergleich zum<br />

Vorjahr <strong>ist</strong> dies eine Steigerung von 6,9 Prozent, die zusätzlich an Werbegeldern seitens der<br />

Autobauer für klassische Medien gezahlt wurden. Der Automarkt gibt 30,4 Prozent seiner<br />

Werbeausgaben für Publikumszeitschriften aus. 207 Er stellt 10,0 Prozent der gesamten<br />

Werbegelder dar. Dieser Anteil <strong>ist</strong> seit 1994 um 0,6 Prozent gestiegen. 208 Ein weiteres<br />

Wachstum wird erwartet. 209 Unter den zwanzig Unternehmen mit den größten<br />

Wer<strong>bei</strong>nvestitionen sind in Deutschland fünf Autohersteller zu finden: Adam Opel AG<br />

(Rang 4), Volkswagen AG (Rang 11), Ford Werke (Rang 12), Deutsche Renault (Rang 13)<br />

und Daimler-Benz AG (heute: DaimlerChrysler) (Rang 17). 210<br />

Diese Zahlen geben Anlaß zu verschiedenen Annahmen, zumal der Markt sich durch eine<br />

weitergehende Homogenisierung in Qualität, Preis und Technik auszeichnet. Grund für<br />

diese Entwicklung <strong>ist</strong> der zunehmende Kostendruck. Er führt zu Zusammenschlüssen<br />

verschiedener Automobilhersteller wie z.B. die französische PSA (Peugeot und Citroën),<br />

Sevel (Fiat und Lancia), die Volkswagengruppe (Audi, VW, Seat, Bugatti). Diese<br />

202 VDA, 1998, S. 105<br />

203 VDA, 1998, S. 107<br />

204 Quelch/Buzzell/Salama, Europe, S. 341<br />

205 Nickel kommt zu dem Schoß, daß der Autokauf <strong>bei</strong> steigenden Werbeaufwendungen als Folge des<br />

effizienten Wettbewerbs preiswerter wird. Für seine Argumentation, siehe: Nickel, Automobilwerbung, S. 9<br />

206 Jahrbuch der <strong>Werbung</strong> in Deutschland, Österreich und der Schweiz: The Advertisier’s Annual...,<br />

Düsseldorf/München, 1998, S. 67; eine Studie von der Nielsen Werbeforschung S+P zeigt ähnliche Daten,<br />

siehe Nickel, Automobilwerbung, S. 5<br />

207 Heffler, Michael, Der Werbemarkt 1997, in: Media Perspektiven 6/1998, S. 272<br />

208 Jahrbuch der <strong>Werbung</strong> in Deutschland, Österreich und der Schweiz: The Advertiser’s Annual, Düsseldorf<br />

1995, S. 54<br />

209 Nickel, Automobilwerbung, S. 6<br />

210 Jahrbuch der <strong>Werbung</strong>,, S. 68<br />

133


Zusammenschlüsse sollen eine Kostenersparnis bewirken und, vorallem in Frankreich, als<br />

Schutz gegen japanische Importe dienen, denn der Markt wurde 1999 vollständig<br />

geöffnet. 211 Die Vorteile von Zusammenschlüssen liegen einerseits in der Übernahme eines<br />

weiteren Segmentes mitsamt seiner spezifischen Technik, wie dies <strong>bei</strong> der<br />

MercedesChrysler AG der Fall <strong>ist</strong>. Andererseits wird eine Kostenverringerung durch<br />

Allianzen zur gemeinsamen Erar<strong>bei</strong>tung neuer Techniken erreicht. Als Beispiel gilt die<br />

Kooperation von PSA und Fiat. Sie haben sich zur Erschließung der vermeindlichen<br />

Marktnische, dem sog. multi purpose vehicle212 , zusammengeschlossen, um so die wachsenden<br />

Einstiegskosten <strong>bei</strong> der Erstellung neuer Automobilkonzepte zu verringern. Zwangsläufig<br />

führt dies zu einer Reduktion der technischen Diversität und zu einer Homogenisierung<br />

der Produkte, die in einzelnen Fällen bis hin zu einer Austauschbarkeit einzelner Produkte<br />

führt. 213 Die Standardisierung im Produktbereich legt die Markendifferenzierung in die<br />

Hand des Designs bzw. der <strong>Werbung</strong>. Im Werbebereich stößt sie auf mehrere<br />

Schwierigkeiten:<br />

(1) Welche Vorurteile werden für die Qualität von Produkten verschiedener Länder<br />

aufrechterhalten?<br />

(2) Welche Stellung nimmt das Automobil in den unterschiedlichen Ländern ein?<br />

(3) Welches Prestige tragen die einzelnen Marken in den verschiedenen Ländern?<br />

(4) Sind vorliegende Trends weltweit identisch, regional oder kulturell begrenzt?<br />

Gerade die Frage nach dem Prestige einzelner Marken erklärt, daß das Auto eine soziale<br />

Bedeutung besitzt.<br />

<strong>3.2</strong>.4.6 Soziale Bedeutung des Automobils<br />

Die soziale Bedeutung von Automobilen <strong>ist</strong> eine grundlegende Charakter<strong>ist</strong>ik dieses<br />

Produktes.<br />

Il faut aussi tenir compte du fait que les conducteurs eux-mêmes ont créé à travers leurs rapports à<br />

la voiture un substrat social d'une autre nature et qu'il est possible d'analyser ces effets sociaux<br />

comme de faits sociaux. 214<br />

211 Foeudevert, Des voitures et des hommes, S. 241<br />

212 Jolly, Dominique, Co-operation in a Niche Market: The Case of Fiat and PSA in Multi Purpose Vehicles,<br />

in: European Mangagement Journal, Vol. 15, 1/1997, 35ff<br />

213 Die Mini-Vans von Renault und Volkswagen sind zusammen entwickelt worden und sozusagen identisch.<br />

als Erkennungsmerkmal dienen lediglich die Scheinwerferformen.<br />

214 Pervanchon, Maryse S., L'immobilité sublime ou la mobilité sans effort: l'automobile comme objet social<br />

total, Dissertation zur Erlangung der Doktorwürde an der Universität Lille III, Lille 1992, S. 11<br />

134


Diese soziale Bedeutung des Automobils wird durch den Fahrstil des Fahrers zu einem<br />

gesellschaftlichen Bild des Besitzers komplettiert. Zusammen ergeben diese Aspekte ein<br />

komplexes Bild des Automobils in seiner gesellschaftlichen Umgebung, die von objektiven<br />

und subjektiven Anhaltspunkten geprägt <strong>ist</strong>. So <strong>ist</strong> nach Barthes das Auto nicht als<br />

einfaches Fortbewegungsmittel anzusehen, sondern auch als Imageobjekt:<br />

Je crois que l'automobile est aujourd'hui l'équivalent assez exact des grandes cathédrales gothiques:<br />

je veux dire une grande création d'époque, conçue passionnément par des art<strong>ist</strong>es inconnus,<br />

consommée dans son image, sinon dans son usage, par un peuple entier qui s'approprie en elle un<br />

objet parfaitement magique. 215<br />

Die soziale Funktion erklärt unter anderem die Wahl eines bestimmten Autos. Noch heute<br />

sind viele Marketingpraktiker der Meinung, daß die Kunden "ihrer" Marke <strong>bei</strong>m Neukauf<br />

treu bleiben. Diese Vorstellung muß relativiert werden. Gerade in westlichen Automärkten<br />

sei diese Vorstellung laut Womack/Jones/Roos nur noch ein Relikt der Vergangenheit:<br />

Die Tatsache, daß ein Käufer einmal einen Chevrolet oder Renault gekauft hat,<br />

erhöht nicht die Wahrscheinlichkeit, daß er das nächste Mal wieder einen Chevrolet<br />

oder Renault kauft. Bei Weitem nicht. Die me<strong>ist</strong>en westlichen Verbraucher sehen<br />

sich heutzutage nach einem guten Kauf oder einem Hoffahrzeug um, das ihren<br />

Vorstellungen entspricht. Sie achten relativ wenig auf bestimmte Marken. 216<br />

Als Beweis geben die Autoren das Beispiel Großbritannien an, wo die Markentreue von<br />

etwa 80% in den Sechzigern auf 50% in den neunziger Jahren gesunken sei. Für den<br />

deutschen Markt wird die Markenloyalität mit ca. 65 Prozent angegeben, wo<strong>bei</strong> seit 1980<br />

ein Rückgang von zehn Prozentpunkten zu verzeichnen sei. 217<br />

Als Hauptausgangsthese läßt sich an dieser Stelle festmachen, daß das Automobil ein<br />

Sozialobjekt geworden <strong>ist</strong>. Es gibt ein Bild der Welt ab und wird als Zeichen der sich<br />

verändernden Welt gesehen. Die Darstellung der Fahrweise <strong>bei</strong>nhaltet eine<br />

Selbstdarstellung des Fahrers. Das Autofahren wurde zu einer Art Ritus in einer Zeit, in<br />

der andere Riten bzw. Traditionen unsicher werden. Rituelle Praktiken bestehen laut<br />

215 Barthes, Roland, Mythologies, Paris 1957, S. 150<br />

216 Womack, James P./Jones, Daniel T./Roos, Daniel, Die zweite Revolution in der Autoindustrie.<br />

Konsequenzen aus der weltweiten Studie aus dem Massachusetts Institute of Technologie, Frankfurt a.M./<br />

New York 1988, S. 195<br />

217 Zeutschel, Ulrich/Hintzpeter, Reiner/Patzelt, Bernard, BMW: Jetzt wird auch der Verkauf super gemacht,<br />

in: Harvard Businessmanager, 1995, S. 66<br />

135


Karmasin218 darin, "daß man bestimmten Handlungen eine Einwirkung auf die Umwelt<br />

zuschreibt, wenn sie korrekt oder nicht korrekt ausgeführt (...) - Aktionen, die nach<br />

unserem wissenschaftlichen Verständnis in einem instrumentellen Sinn ungeeignet sind, in<br />

die Vorgänge der Umwelt einzugreifen." Der Ritus des Autofahrens befreit die "fantaisie<br />

incorporée" 219 oder führt zu Gesten einer Neurose220 .<br />

Nicht nur als Sozialobjekt spielt das Automobil eine gesellschaftliche Rolle. Zwei<br />

Zusatzhypothesen221 erlauben ein tieferes Vordringen in die heutige Bedeutung.<br />

Das Automobil wird als Symbol angesehen, welches das Leben strukturiert. Es gestaltet<br />

einen Lebensraum in dem täglich gelebt wird und zudem dient es mehr der<br />

Selbstdarstellung als das Heim als weiterer, jedoch nicht deplazierbarer Lebensraum. Die<br />

Selbstdarstellung durch das Mittel des Automobils kreiert außerdem das Verhältnis zur<br />

Gesellschaft und damit zur Kultur.<br />

Des weiteren wird dem Automobil die Funktion des Mythos zugewiesen, was mit der<br />

Definition des Fahrens als Ritus konform geht. Mythen beschreiben die soziale und<br />

natürliche Welt einer bestimmten Gesellschaft und geben grundsätzliche Denk- und<br />

Bewertungsmuster der jeweiligen Kultur wieder. Als Definition von Werten wird in dieser<br />

Ar<strong>bei</strong>t die Erklärung von Raffee/Wiedmann aufgenommen:<br />

Werte lassen sich allgemein als grundlegende explizite oder implizite Konzeptionen<br />

des Wünschenswerten charakterisieren; sie verkörpern Kriterien zur Beurteilung<br />

von Zielen, Objekten und Handlungen, übernehmen mithin die Funktion von<br />

Orientierungsstandards, Leit- bzw. Richtlinien und kanalisieren das Verhalten in<br />

bestimmte Richtungen. 222<br />

Diese Aspekte geben das Automobil in seinem gesellschaftlichen Zusammenhang wieder<br />

und machen deutlich, daß das Automobil nicht rein objektiv bewertet werden kann. Es<br />

findet sich statt dessen in einem nicht-rationalen Objekt-Kontext wieder.<br />

218 Karmasin, Helene, Produkte als Botschaften: Was macht Produkte einzigartig und unverwechselbar? Wien<br />

1993, S. 201<br />

219 Cox, Harvey, La fête des tous. Essai théologique sur les notions de fête et de fantaisie, Paris 1971, S. 90<br />

220 Vgl.: Pervanchon, L'immobilité sublime ou la mobilité sans effort, S. 15<br />

221 In Anlehnung an: ebenda<br />

222 Raffee/Wiedmann, Bedeutungen, S. 555<br />

136

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