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Hildegard_von_Bingen

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soll, helfe der wilde Lavendel laut <strong>Hildegard</strong> zum Beispiel bei Altersbeschwerden: "Der wilde Lavendel ist<br />

warm und trocken, und seine Wärme ist gesund. Und wer wilden Lavendel mit Wein kocht oder, wenn er<br />

keinen Wein hat, mit Honig und Wasser kocht und so lau oft trinkt, der mildert den Schmerz in der Leber und in<br />

der Lunge und die Dämpfigkeit in seiner Brust, und er bereitet reines Wissen und einen reinen Verstand."<br />

(<strong>Hildegard</strong> <strong>von</strong> <strong>Bingen</strong>). Anhänger der <strong>Hildegard</strong>­Medizin trinken noch heute Lavendelwein, nach sogenannten<br />

Originalrezepten. Er soll die Gedächtnisleistung besonders bei älteren Menschen verbessern. Sie entwickelte<br />

vor allem aber eigene Ansichten über die Entstehung <strong>von</strong> Krankheiten, Körperlichkeit und Sexualität, weiterhin<br />

verurteilt sie jegliche sexuellen Handlungen, die nach dem theologischen Verständnis gegen die göttliche<br />

Schöpfungsordnung verstoßen. Eigene medizinische Verfahren entwickelte sie nicht, sondern trug lediglich<br />

bereits bekannte Behandlungsmethoden aus verschiedenen Quellen zusammen. <strong>Hildegard</strong>s Krankheitstheorie<br />

ist der antiken Viersäftelehre sehr ähnlich, nur mit abweichenden Bezeichnungen. [18] Die Kräuterkunde aus<br />

Causae et Curae beinhaltet viele sehr direkte Anweisungen, die jeweils nach Symptomen geordnet sind. Sie<br />

sind daher auch für medizinische Laien gut zu gebrauchen. So heißt es beispielsweise: "Vom Tränen der Augen:<br />

Wer nässende Augen hat, wie wenn sie tränten, soll ein Feigenblatt pflücken, das in der Nacht vom Tau<br />

gründlich benetzt worden ist, wenn die Sonne es an seinem Zweige bereits erwärmt hat, und so warm auf seine<br />

Augen legen, um deren Feuchtigkeit einzuschränken..." oder "Wenn das Gehör eines Menschen <strong>von</strong><br />

irgendeinem Phlegmastoff oder einer anderen Art des Krankseins zugrunde gerichtet wird, nimmt man weißen<br />

Weihrauch, und lass aus ihm über lebendigem Feuer Rauch aufsteigen und lass diesen Rauch in das sich<br />

obdurierende Ohr aufsteigen…". Während man heute gewiss noch ein warmes Feigenblatt findet, wird man bei<br />

der zweiten Vorschrift auf mehr Schwierigkeiten stoßen, sie entsprechend umzusetzen. Manche Anweisungen<br />

<strong>Hildegard</strong>s passen dann doch nicht mehr in die heutige Zeit.<br />

Der Gedanke der Einheit und Ganzheit ist auch ein Schlüssel zu <strong>Hildegard</strong>s natur­ und heilkundlichen<br />

Schriften. Diese sind ganz da<strong>von</strong> geprägt, dass Heil und Heilung des kranken Menschen allein <strong>von</strong> der<br />

Hinwendung zum Glauben, der allein gute Werke und eine maßvolle Lebens­Ordnung hervorbringe, ausgehen<br />

könne. In diesen Punkten unterscheidet sich <strong>Hildegard</strong> stark <strong>von</strong> den eher rationalen Werken der übrigen<br />

Klostermedizin. So heißt es bei <strong>Hildegard</strong> : "Drei Pfade hat der Mensch in sich, in denen sich sein Leben tätigt:<br />

die Seele, den Leib und die Sinne". Nur wenn diese drei Aspekte der Lebensführung ausgewogen beachtet<br />

werden, bleibt der Mensch gesund.<br />

Bedeutung in der Musik<br />

Die unter dem Namen Symphonia armonie celestium revelationum<br />

(„Symphonie der Harmonie der himmlischen Erscheinungen“)<br />

überlieferte Sammlung geistlicher Lieder der <strong>Hildegard</strong> <strong>von</strong> <strong>Bingen</strong><br />

enthält 77 liturgische Gesänge mit Melodien in diasthematischer<br />

Hörbeispiel: «O frondens virga»<br />

(Antiphon) aus dem Ordo virtutum<br />

Neumennotation [19] sowie das in Text und musikalischer Notation<br />

erhaltene liturgische Drama (Geistliches Spiel) Ordo virtutum, das in<br />

zwei Fassungen – unneumiert in der Visionsschrift Scivias sowie neumiert im späteren sog. Rupertsberger<br />

Riesencodex (Wiesbaden) – vorliegt und das am reinsten die visionäre Gedanken­ und Bilderwelt <strong>Hildegard</strong>s<br />

zum Ausdruck bringt. Das Spektrum der Gesänge umfasst Antiphonen, Responsorien, Hymnen, Sequenzen, ein<br />

Kyrie, ein Alleluja sowie zwei Symphoniae.<br />

<strong>Hildegard</strong>s Selbststilisierung als indocta oder illiterata wird heute häufig missverstanden. Gemeint ist eine<br />

Abgrenzung gegenüber einem neuen Konzept <strong>von</strong> Bildung. Ihre Haltung zur Schrift bezog sich dagegen auf das<br />

ältere monastische Handwerk der Gedächtniskunst, wobei sie vor allem an ein Genre aus dem 5. Jahrhundert<br />

anknüpfte: [20] Prudentius' Psychomachia – ein allegorischer Kampf zwischen den Tugenden und den Lastern,<br />

denen sie im Ordo virtutum („Spiel der Kräfte“ wie die Seele, die Tugenden, die Engel usw.) durch Gesänge<br />

eine musikalische Gestalt und eine Stimme gab – oft in einem ausgreifenden Ambitus, der die plagale und<br />

authentische Tonart umspannt. Solche Inszenierungen der Tugenden (virtutes) haben möglicherweise im<br />

Rahmen eines liturgischen Dramas die Kirche ihrer Abtei belebt. [21] <strong>Hildegard</strong>s Musik nimmt eine<br />

Sonderstellung in der Gregorianik ein; sie zeichnet sich durch weiträumige Tonumfänge und große Intervalle<br />

wie Quart­ und Quintsprünge aus.<br />

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