Rundbrief der Emmausgemeinschaft - Ausgabe 04|15
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Thema<br />
5<br />
und Wirtschaftsflüchtlinge. Das Volk<br />
Israel bestand ursprünglich aus Gruppen<br />
wan<strong>der</strong>n<strong>der</strong> Viehzüchter. Bekannt<br />
ist die Geschichte vom Auszug aus<br />
Ägypten und den „vierzig Jahren in <strong>der</strong><br />
Wüste“. Nach Ägypten gekommen waren<br />
die semitischen Auswan<strong>der</strong>er einst<br />
als Wirtschaftsflüchtlinge. Als Ausreisemotiv<br />
von Josefs Brü<strong>der</strong>n wird in <strong>der</strong><br />
Bibel eine Hungersnot erwähnt.<br />
Viele Jahrhun<strong>der</strong>te später: Jesus<br />
musste als Kleinkind mit seinen Eltern<br />
vor dem Mordprogramm des Herodes<br />
fliehen - ebenfalls ins Ausland. Also hat<br />
auch hier irgendjemand eine „jüdische<br />
Migrantenfamilie“ aufgenommen und<br />
Josef die Chance gegeben, seinen Beruf<br />
als Bauhandwerker auszuüben und<br />
sein Brot damit zu verdienen.<br />
Vielleicht war das früher gar nicht so<br />
ungewöhnlich - wan<strong>der</strong>nde Gruppen<br />
o<strong>der</strong> ganze Clans, die sich eine neue<br />
Heimat suchen. Denn die Menschheit<br />
ist ja seit jeher in Bewegung, seit ca.<br />
200.000 Jahren. Die heute in Europa<br />
übliche Sesshaftigkeit ist eine recht<br />
junge Erscheinung in <strong>der</strong> Menschheitsgeschichte.<br />
Erst seit ca. 10.000 Jahren<br />
bauen wir feste Behausungen. Das<br />
war in <strong>der</strong> Mittelsteinzeit, am Beginn<br />
des Ackerbaues. Während <strong>der</strong> 190.000<br />
Jahre davor gab es nur den saisonalen<br />
Verbleib einer Menschengruppe an einem<br />
Ort.<br />
Menschheit unterwegs<br />
„Wir alle kommen aus Afrika. Die<br />
Menschheit ist ihrem Wesen nach Migrantin.<br />
Erst <strong>der</strong> mo<strong>der</strong>ne Nationalstaat<br />
hat Völker konstruiert, indem er kollektive<br />
Ängste in territoriale Staatsgehege<br />
zäunte. Eiserne Vorhänge, im Norden<br />
Ungarns vor wenigen Jahren abmontiert,<br />
sind nun im Süden des Landes<br />
mit Rasierklingen gespickt wie<strong>der</strong> aufgespannt.<br />
Wie wir selbst reisen und zu<br />
Gast sind, wie wir an<strong>der</strong>en Migranten<br />
begegnen, zeigt unsere Haltung zur<br />
Menschheit.“ (Dominik Markl, SJ)<br />
Denn jede und je<strong>der</strong> ist einmal an jenem<br />
Ort angekommen, an dem wir<br />
uns gerade befinden. Auch unsere Vorfahren<br />
kamen aus unterschiedlichen<br />
Himmelsrichtungen, das verraten oft<br />
die Familiennamen. Schon deswegen<br />
sollten wir Menschen, die in Österreich<br />
neu beginnen möchten, die Hand<br />
reichen.<br />
Es wäre möglich, gemeinsam etwas zu<br />
lernen. Natürlich nur dann, wenn niemand<br />
meint, die Idealform <strong>der</strong> menschlichen<br />
Kultur bereits zu kennen. Denn<br />
dann könnte je<strong>der</strong> von uns getrost auf<br />
weitere Kontakte verzichten - und einsam<br />
sterben. Ist das tatsächlich ein<br />
erstrebenswertes persönliches Ziel<br />
o<strong>der</strong> gar für unser „altes Europa“, das<br />
dringend etwas Auffrischung und neuen<br />
Schwung benötigt? Zum Beispiel<br />
neue Gelegenheiten, unsere lähmende<br />
„europäische“ Selbstbezogenheit zu<br />
durchbrechen. Besitz zu teilen. Das,<br />
was uns geschenkt wurde, weiterzugeben.<br />
Was bekanntlich mehr Freude<br />
macht, als shoppen zu gehen. Deshalb:<br />
Ein Willkommen allen, die kommen<br />
wollen!<br />
Walter Steindl<br />
Walter Steindl leitet das Männerwohnheim<br />
Kalvarienberg und engagiert<br />
sich in <strong>der</strong> Freiwilligenarbeit<br />
bei Emmaus