Ausgabe 02-2008 als PDF vonhundert_2008-02_komplett.pdf
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Raummeißelung<br />
⁄ Space Chase in der Galerie Magnus Müller<br />
„Space chase“ nennt Petra Reichensperger die von ihr kuratierte<br />
Ausstellung in der galerie magnusmüller. Space chase?<br />
Das müssen wir uns genauer anschauen. Gut, space ist begrifflich<br />
ein Alleskönner. „Space“ bedeutet einfach mehr <strong>als</strong><br />
der deutsche „Raum“. Wenn der „Raum“, im Kunstkontext<br />
für den Ausstellungs- oder Publikationstitel verwendet wird,<br />
klingt das schnell piefig, akademisch, mitunter belehrend.<br />
Bei „Raum“ denkt man an Raumbelegungspläne, Raumpflege,<br />
Klassenraum. Da ist man dann in „our globalized<br />
art world“ verständlicherweise schnell mit dem englischen<br />
space bei der Hand. Bei „chase“ musste ich dann doch sehr<br />
viel länger überlegen: to chase = hinterherjagen, nachjagen,<br />
verfolgen. Aus den amerikanischen Filmen kenne ich „a car<br />
chase“, die (Auto-)Verfolgungsjagd. „Space chase“ bedeutet<br />
<strong>als</strong>o „Raum hinterherjagen“ oder „Hinter dem Raum herjagen“<br />
oder auch „Raumverfolgung“; oder verkürzt „Raumjagd“.<br />
Aber nein! denke ich, im Bereich der Künste heißt „to<br />
chase“ ja meißeln oder ziselieren. „Raummeißelung“ <strong>als</strong>o!<br />
Ein bildhauerischer Begriff. Das ist es.<br />
F<strong>als</strong>ch? Kein Problem. Der Pressetext gibt Aufschluss:<br />
„Nichts scheint <strong>als</strong>o näher zu liegen, <strong>als</strong> die Raum-Jagd und<br />
den ihr zugrunde liegenden Gestaltungswillen aus der Perspektive<br />
der gegenseitigen Dynamisierung von unterschiedlichen<br />
Ausdrucksformen ins Zentrum einer Ausstellung zu<br />
rücken: Wie verhält sich der Architekturraum zum Bewegungsraum,<br />
wie der Illusionsraum zum Sprach- und Denkraum,<br />
wie die Raumfolge einer Galerie zum Idealraum? Welche<br />
Raumsituation löst welche emotionale Wirkung aus?“<br />
Das klingt im ersten Moment zwar etwas kompliziert und<br />
man bewegt sich deshalb bei der Lektüre nah am intellektuellen<br />
Schleudertrauma, aber ein thematisch interessanter<br />
Untersuchungsansatz ist das allemal. Vielleicht lässt die<br />
Ernsthaftigkeit des hier in zwei Sätzen zusammengefassten<br />
Themas aber auch keine andere Formulierung zu. Künstlerische<br />
Raumforschung ist eine ernste Angelegenheit. Und<br />
die gegenseitige Dynamisierung von unterschiedlichen Ausdrucksformen<br />
ist es aus kuratorischer Sicht auch. Die Kunstgeschichte<br />
bestimmt die Gangart, die „pace“. Die Zeitgenossen<br />
hecheln hinterher. „Trying to catch the dimensions“.<br />
Man muss sich anlehnen, um nicht umzufallen.<br />
Das Raum-Thema ist unendlich und unfassbar, deshalb<br />
hochinteressant und immer brandaktuell. Junge Künstler<br />
forschen massenhaft über die Neudefinition räumlicher<br />
Systeme, über Raumrezeption, Raumtheorie bzw. Raumpraxis;<br />
mühen sich tagtäglich ab am Raum. Blood, sweat<br />
and space. Wir jagen den Raum! Eine Ausstellung zu diesem<br />
Thema muss deshalb unweigerlich ein ziemlich großes Fass<br />
anschlagen. Und hier wird es in meinen Augen schwierig.<br />
Denn wenn das kuratorische Konzept von der schieren Größe<br />
des Denkansatzes mit der dahinter lauernden Ambition<br />
mindestens das Zeug hat, ein stattliches Museum mittlerer<br />
Größe und Potenz zu füllen, dann kann es passieren, dass<br />
sich die in dieses Korsett eines einigermaßen schwer bespielbaren<br />
Galerieraums in Berlin-Mitte hineingezwängten<br />
und so zwangsläufig etwas benutzten künstlerischen Arbeiten<br />
unwohl fühlen. Emotionaler gesprochen: Beim Besuch<br />
und der Betrachtung der Ausstellung findet man zu wenig<br />
unmittelbar fühlbaren Raum, dafür sehr viel gedachten<br />
Raum. Es knirscht in der Raummechanik und so entsteht,<br />
gemessen am eigenen Anspruch, ein leichter inhaltlicher<br />
Durchzug. Es beschleicht einen das Gefühl, dass die einzelnen<br />
Arbeiten Funktionen übernehmen sollen, die weit<br />
über das hinausgehen, was ein autonomes Kunstwerk leisten<br />
sollte. Gegenseitige Dynamisierung ist hier das Zauberwort,<br />
was bedeutet, dass die singuläre Arbeit zum Mittel für den<br />
Zweck verkommt. Der Künstler ist in diesem System nicht<br />
Berufener der eigenen Unbedingtheit, sondern Kulturproduzent<br />
für einen intellektuell gesetzten Überbau.<br />
Dazu nochmal der Pressetext: „Heute jagen Kulturproduzenten<br />
der Raumerschließung, der Raumerweiterung und<br />
manchmal auch der Raumverengung hinterher. Sie sind<br />
Jäger und Gejagte – getrieben von der Suche nach Selbstbestimmung<br />
und Transformation.“<br />
Das sprengt den Raum. Peter K. Koch<br />
Space Chase, kuratiert von Petra Reichensperger,<br />
Galerie magnusmüller, Weydingerstraße 10/12,<br />
19.11.2007–09.<strong>02</strong>.<strong>2008</strong>