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Die Mode als Spiegel des Wertewandels der Gesellschaft - am ...

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einen <strong>der</strong> Vorläufer <strong>des</strong> Chemisenklei<strong>des</strong> verstehen, das wie<strong>der</strong>um zum Empirekleid<br />

führt. <strong>Die</strong>se „Chemise à la reine“ ist eine <strong>als</strong> Oberbekleidung gedachte Neuinterpretatition<br />

<strong>der</strong> Chemise, <strong>des</strong> Unterkleids <strong>des</strong> Rokoko. <strong>Die</strong>ses Kleid, das Marie Antoinette<br />

noch <strong>als</strong> „Schauspielerin” auf <strong>der</strong> Bühne ihres eigenen Lebens, mit <strong>der</strong>selben Verspieltheit<br />

und Unernsthaftigkeit wie zuvor ihre großen Galaroben trägt, verkörpert durch<br />

die Farb- und Stoffwahl und in seiner Einfachheit schon die Ideale, die später auch<br />

die Französische Revolution begleiten. Gerade dieses Gedankengut, das von Marie<br />

Antoinette und ihrem Umfeld noch ganz in <strong>der</strong> Form <strong>des</strong> Rokoko ausgelebt wird,<br />

führt schließlich zu ihrem Untergang, zur französischen Revolution und zu einer neuen<br />

mo<strong>der</strong>nen <strong>Gesellschaft</strong>sform.<br />

<strong>Die</strong> „Chemise à la reine“ bestand im Vergleich zu seinem Nachfolger noch aus<br />

wesentlich mehr Stoff, und auch seine Taille lag an <strong>der</strong> natürlichen Stelle. Im Vergleich<br />

zu seinem Vorgänger, <strong>der</strong> „Robe à la française“, zeigt sich jedoch schon<br />

eine richtungweisende Tendenz auf, nämlich die Verringerung <strong>der</strong> Stoffmenge<br />

und das Höherrutschen <strong>der</strong> Taille, die im Barock eher tiefer gesetzt war. Der<br />

Ausschnitt war für d<strong>am</strong>alige wie für folgende Zeiten nicht sehr tief, was natürliche<br />

Unschuld darstellen sollte. Auch in <strong>der</strong> Bekleidung zeigt sich was Stefan<br />

Zweig <strong>als</strong> den letzten Reiz <strong>des</strong> Rokoko bezeichnet, „das Spiel mit <strong>der</strong> Naivität,<br />

die Perversion <strong>der</strong> Unschuld [und] das Maskenkleid <strong>der</strong> Natürlichkeit“ 6 .<br />

<strong>Die</strong> Lage spitzt sich zu<br />

Durch das politische Desinteresse <strong>der</strong> mächtigsten Personen Frankreichs, <strong>des</strong> Königs<br />

und <strong>der</strong> Königin, wobei <strong>der</strong> König aus Gedankenschwere und Phlegmatismus und die<br />

Königin aus Vergnügungssucht und kindlicher Unernsthaftigkeit allen politischen Fragen<br />

und Entscheidungen aus dem Weg geht, verliert <strong>der</strong> Hof nach und nach das Vertrauen<br />

<strong>des</strong> Volkes. Marie Antoinette verhilft zudem zu Beginn ihrer Herrschaft vielen<br />

ihrer listigen Günstlingen zu machtreichen Positionen, die diese aber nur zu eigenen<br />

Zwecken und zur Vermehrung ihres Reichtums einsetzen, ohne die ges<strong>am</strong>tpolitische<br />

Wirkung ihres Tuns zu bedenken. Ihr unverantwortliches Handeln entspricht dennoch<br />

ganz dem Zeitgeist <strong>des</strong> Rokoko. Carpe diem und Vergnügungssucht prägen die <strong>Gesellschaft</strong>,<br />

kein Gedanke wird an Morgen verschwendet, bloß keine Zukunftsängste.<br />

1777 besucht Joseph II. seine Schwester Marie Antoinette. Während seiner Reise<br />

durch Frankreich, die er inkognito <strong>als</strong> Graf Falkenstein antritt, lernt er Land und<br />

Leute kennen. Er rüffelt in einem Gespräch Marie Antoinettes unvernünftiges,<br />

gedankenloses Benehmen: „In was mengst du dich ein. Du lässt Minister absetzten<br />

(...), Du schaffst neue kostspielige Ämter bei Hof! (...) mit welchem Rechte [mengst]<br />

du dich in die Angelegenheiten <strong>des</strong> Hofes und <strong>der</strong> französischen Monarchie? Was für<br />

Kenntnisse hast Du Dir erworben, um (...) Dir einzubilden, Deine Meinung könnte<br />

6 Zweig, Stefan: Marie Antoinette. Frankfurt <strong>am</strong> Main, 27. Aufl. 2007 (1932), S. 138<br />

in irgendeiner Hinsicht wichtig sein und beson<strong>der</strong>s in jener <strong>des</strong> Staates, die doch ganz<br />

beson<strong>der</strong>e vertiefte Kenntnisse erfor<strong>der</strong>t?“ 7 In seinem Abschiedsbrief, in dem er ihr<br />

all ihre Fehler anhand eines Fragenkataloges aufzeigt, schreibt er: „Ich zitter jetzt für<br />

Dich, denn so kann es nicht weitergehen; la révolution sera cruelle si vous ne la préparez.“<br />

Obwohl er selbst nicht, auch nur annähernd, die ganze Tragweite <strong>der</strong> Probleme<br />

vorhersehen kann, die über Marie Antoinette hereinbrechen werden, ist er <strong>der</strong> erste <strong>der</strong><br />

das Wort Revolution benutzt und Marie Antoinette <strong>der</strong>art vorwarnt. Erst ein ganzes<br />

Jahrzehnt später wird sie den Sinn dieses Wortes begreifen, ja das Wort selbst erst<br />

seine ges<strong>am</strong>mte, heutige Bedeutung erhalten.<br />

Ein weiteres Problem ist die schwierige Beziehung Marie Antoinettes zu Ludwig dem<br />

XVI. <strong>Die</strong> Enttäuschung <strong>der</strong> nicht vollzogenen Ehe und die charakterlichen Unterschiede<br />

gefährden das Gleichgewicht <strong>des</strong> Hofes. Anstatt den entscheidungsschwachen<br />

König in seinen Aufgaben zu unterstützen, untergräbt Marie Antoinette die nicht<br />

beson<strong>der</strong>s hoch geachtete Autorität <strong>des</strong> Königs bei Hofe indem sie ihn aus dem Kreis<br />

ihrer engsten Vertrauten ausschließt. So stellt sie beispielsweise einmal heimlich eine<br />

Uhr um eine Stunde vor, d<strong>am</strong>it <strong>der</strong> König eine Stunde früher zu Bett geht und sie mit<br />

ihren Vertrauten früher auf einen Maskenball ausfahren kann. <strong>Die</strong> ganze <strong>Gesellschaft</strong><br />

verspottet den übertölpelten Herrscher.<br />

Zusätzlich zu den politischen und höfischen Ränkespielen und Machtverschiebungen<br />

k<strong>am</strong> natürlich noch, dass die immensen Ausgaben <strong>des</strong> Hofstaates und die Hungersnot<br />

das Volk allmählich aushöhlten. Schon das Imperium <strong>des</strong> Sonnenkönigs Ludwig XIV.<br />

hatte an den Kräften <strong>des</strong> Volkes gezehrt und unvorstellbare Summen verschlungen,<br />

aber dieses Imperium stand in Zus<strong>am</strong>menhang mit einem zielstrebigen Charakter,<br />

einem Autokraten, <strong>der</strong> die unvorstellbare Macht, für die Versailles das Symbol darstellte,<br />

zu behaupten und darzustellen, ja sogar zu erschaffen wusste. Unter seinen Erben<br />

ist keiner, <strong>der</strong> den schöpferischen Willen Ludwig <strong>des</strong> XIV. geerbt hat und so verliert<br />

Versailles nach und nach seine Macht und das Kräftegleichgewicht, das hun<strong>der</strong>te Jahre<br />

lang in eine Richtung gebogen war, beginnt zurückzupendeln und endet schließlich<br />

in <strong>der</strong> totalen Machtübernahme <strong>des</strong> Volkes während <strong>der</strong> französischen Revolution.<br />

<strong>Die</strong> Französische Revolution - Politische Hintergründe<br />

<strong>Die</strong> H<strong>als</strong>bandaffäre, die 1790 durch die Gräfin de la Motte ausgelöst wird, zieht die<br />

Aufmerks<strong>am</strong>keit <strong>des</strong> unzufriedenen Volkes auf die schon lange <strong>als</strong> hinterhältig und<br />

tyrannisch verschriene Königin. Das unterdrückte und ausgebrannte Volk hat nun<br />

endlich einen Sündenbock gefunden. <strong>Die</strong>, durch die Werke von Rousseau und Voltaire,<br />

nun gebildetere Bürgerschaft beginnt selbstständig zu denken und diese Gedanken<br />

durch Zeitungen und Karikaturblätter zu verbreiten. <strong>Die</strong> Enthüllungen <strong>des</strong> Finanzministers<br />

Calonnes über das Staatsdefizit und das bisher unbekannte Ausmaß <strong>der</strong><br />

7 Zweig, Stefan: Marie Antoinette. Frankfurt <strong>am</strong> Main, 27. Aufl. 2007 (1932), S. 163<br />

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