Vorstadtsalat - Klaus Bädicker
Vorstadtsalat - Klaus Bädicker
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Der Eisenkunstguß hat in Berlin bis hinab in die alltäglichen<br />
Niederungen eine hohe Tradition.<br />
Wer die hohe Kunst sehen will, der muß sich möglichst<br />
bald auf den Garnisonkirchhof an der Kleinen<br />
Rosenthaler Straße begeben, denn da steht sie. Allerdings<br />
haben Wind, Wetter, falsche, sprich geringe<br />
Pflege, neben herkömmlichem Vandalismus ihn<br />
kräftig ausgemergelt. Der üblere Fall von Zerstörung<br />
ist allerdings die menschlich bedingte<br />
Korrosion. Gegenwärtig wird hier wieder viel restauriert,<br />
hoffentlich im entscheidend größeren<br />
Verhältnis zur Demolierung. Dieser Friedhof ist einfach<br />
schön und vor allem jederzeit betretbar.<br />
Die etwas bescheidenere Form des Gusses findet<br />
sich in typisierten, industriell gefertigten Bauteilen<br />
wieder. Daraus entsteht gegebenenfalls eine Treppe.<br />
Schön im Geviert, um ein Lichtauge aufwärtsstrebend,<br />
ist so eine Treppe in der Neuen Schönhauser<br />
Straße 12 zu beäugen. So mancher Kneipeneingang<br />
der Vorgründerzeit nennt ein kleines Antrittstreppchen<br />
als Stolperfalle sein eigen. Und<br />
letztlich hat der Guß seine hunderttausendfache<br />
Wiederholung in einem profanen Küchenausguß<br />
gefunden. Dessen Merkmale: schlundtief, Rostablaufspuren<br />
und abgeplatzte Emaille. Der Wasserhahn<br />
darüber tröpfelte stets und ständig. Die meisten<br />
Omas hatten so eines. Manche Becken hatten<br />
ein langes Leben und dann immer noch nicht ausgedient.<br />
Dieses in der Steinstraße genoß anfang der<br />
neunziger Jahre sein Altersdasein leicht zweckentfremdet<br />
an der frischen Luft. Praktischerweise genutzt<br />
als private Grünflächenerweiterung in der<br />
baum- und straucharmen Stadt; die Statistik verzeichnet<br />
es dankbar. Die Fassaden, denen noch nicht<br />
ganz das Fell über die Ohren gezogen worden war<br />
und sie sich so durch eine schäbige Resteleganz<br />
auszeichnen, genau jene waren die gesuchtesten<br />
für dererlei Charmevermehrung. Heute werden architektengerecht<br />
ganze Fassaden zugewuchert. Ob<br />
das als Ausgleich für mißlungene und zu verbergende<br />
Unstimmigkeiten im Entwurf hilft, das bleibt<br />
zu hinterfragen. Dieses kleine Becken vereinte nicht<br />
mehr und nicht weniger als die Freude dieser Straße<br />
über jeden Sonnenaufgang. Derweil hat Martin<br />
nebenan sein „Odessa” wiedereröffnet, um dort<br />
über die aus dem Antlitz seiner Hausfassade geschwundende<br />
Eisenoxidröte sinnieren zu können.<br />
Steinstraße 15<br />
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