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Vorstadtsalat - Klaus Bädicker

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Vorstadtkirchhöfe<br />

Gießen bezahlt<br />

50<br />

Die wenigsten Vorstadtbesucher verirren sich auf<br />

die Vorstatdfriedhöfe. Das geschieht wohl in Unwissenheit<br />

der hier noch reichhaltig vorhandenen<br />

Geschichtszitate. Wohl kaum einer bemerkt bei seiner<br />

Suche nach dem ganz Außergewöhnlichen, daß<br />

er in der Sophienstraße an dem wohl kleinsten Sozusagenfriedhof<br />

(Berlins oder gar Europas?) unbemerkt<br />

vorbeigegangen ist. Ja, ein Pfeiler am ehemaligen<br />

Warenhaus trägt diesen. Wanderer mach die<br />

Augen auf und sieh nach oben! Hier starb Eberhard<br />

Marggraff zum Ende des 19.Jahrhunderts, so steht<br />

es hier geschrieben, einstmals Besitzer der „Roten<br />

Apotheke” an der Neuen Schönhauser Straße. Irgendein<br />

besonders beflissener Maurer, mit der Spurenbeseitigung<br />

aus Kriegszeiten beauftragt, hatte<br />

den Namen im Stein zu tilgen versucht. Er war nicht<br />

sonderlich sorgfältig. Er blieb lesbar. Mich haben<br />

mehr die Einschußspuren beunruhigt; daß im Kriege<br />

selbst Gräber nicht von Gewehrsalven verschont<br />

bleiben. Aber die waren doch schon tot?<br />

Verirrt sich einer in nördlicher Richtung zur Torstraße,<br />

so kann er möglicherweise das gerade erst<br />

fertiggestellte Denkmal von Karl Biedermann auf<br />

dem Koppenplatz entdecken. Es ist der immer wieder<br />

einzufordernden Toleranz gewidmet. Genial einfach<br />

umgesetzt, einfach genial. Eigens dafür hatte<br />

man einen Bunkerberg abgetragen und nebenbei<br />

so ein Zeitzeichen des unseligen Krieges beseitigt.<br />

Bei den Grabungen fand man erwartungsgemäß<br />

Knochen, Knochen der Ärmsten des mittelalterlichen<br />

Berlins. Das am Platze stehende Denkmal für<br />

den Ratshauptmann Koppe, der diesen Begräbnisplatz<br />

einst auf seine Kosten anlegen ließ, wird inzwischen<br />

von einem nichtssagenden Neubau erdrückt.<br />

Hier hat der Architekt alles andere als Fingerspitzengefühl<br />

walten lassen. Grobschlächtige Architektur<br />

mit klassizistischem Beiwerk bildet die heutige<br />

Uneinheit. Aber das Toleranzdenkmal war nach<br />

zehn Jahren endlich gegossen und verweist nun auf<br />

die durchaus bis heute funktionierenden Vergangenheits-<br />

und Gegenwartsbeziehungen zwischen<br />

den Juden, Katholiken, Protestanten, verarmt Begrabenen,<br />

Touries und immer noch geduldigen Anwohnern<br />

des Viertels. Leider ist die Einforderung<br />

dieser Toleranz schon wieder gefragt, wie die letzten<br />

Attacken auf den jüdischen Gedenkstein beweisen.<br />

Hier am südlichen Ende der „Toleranzstraße”

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