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Das Feuilleton als Mosaikbilder der Städte 8. Münchner Bohemisten ...

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Ryoko Aoki<br />

(Technische Universität Berlin)<br />

Exposé zur Dissertationsarbeit<br />

<strong>Das</strong> <strong>Feuilleton</strong> <strong>als</strong> <strong>Mosaikbil<strong>der</strong></strong> <strong>der</strong> <strong>Städte</strong><br />

Egon Erwin Kischs <strong>Städte</strong>bil<strong>der</strong> in Prag und Berlin<br />

Einleitung<br />

Egon Erwin Kisch betrachtet man heute <strong>als</strong> einen Journalisten, <strong>der</strong> <strong>als</strong> <strong>der</strong>„rasende Reporter“<br />

überall in <strong>der</strong> Welt unterwegs war, einen Kämpfer gegen den Faschismus und<br />

das Unrecht. Diese Bezeichnung „<strong>der</strong> rasende Reporter“ stammt aus einem von ihm im<br />

Jahr 1924 herausgegebenen Buch, danach verfestigte sich dieses Image. Kisch schrieb<br />

jedoch seine Artikel in <strong>der</strong> Tat sorgfältig. „Von Egon Erwin Kisch ist bekannt, dass er<br />

tagelang nach einem Wort suchte und an seinem Text feilte, bis <strong>der</strong> ihm angemessen erscheinende<br />

sprachliche Ausdruck erreicht war.“(Karst, S.7) Unter seinen Texten gibt es<br />

viele, die sich <strong>als</strong> „<strong>Feuilleton</strong>“ bezeichnen lassen. Es gibt bisher kaum Forschungen über<br />

Kisch <strong>als</strong> <strong>Feuilleton</strong>ist, weil er hauptsächlich <strong>als</strong> „Reporter“ bekannt war. In seinen<br />

Texten finden wir Einflusse vom Wiener und Tschechischen Prager <strong>Feuilleton</strong>. Und<br />

seine „literarische Reportage“ ist das Ergebnis <strong>der</strong> Suche nach seiner eigenen journalistischen<br />

Form. In dieser Arbeit werden Kischs <strong>Feuilleton</strong>s bzw. die literarischen Reportagen<br />

im Vergleich mit den <strong>Feuilleton</strong>s an<strong>der</strong>er Autoren, z. B. Jan Neruda o<strong>der</strong> Joseph<br />

Roth untersucht. Dabei wird beson<strong>der</strong>s die Funktion des <strong>Feuilleton</strong>s bei <strong>der</strong> Beschreibung<br />

<strong>der</strong> <strong>Städte</strong> Prag und Berlin hervorgehoben.<br />

1. Zur Begriffsbestimmung des Wortes „<strong>Feuilleton</strong>“<br />

1.1. Die heutige Situation des <strong>Feuilleton</strong>s und sein Begriffswandel<br />

„<strong>Feuilleton</strong>“ war ursprünglich ein täglicher kleiner Beitrag auf <strong>der</strong> ersten Seite in <strong>der</strong><br />

Zeitung und trug mehr unterhaltenden Charakter. Den Inhalt des <strong>Feuilleton</strong>s bestimmte<br />

<strong>der</strong> Autor und es handelte sich nicht unbedingt um eine Nachricht, son<strong>der</strong>n um etwas,<br />

was die Neugier des Leserkreises befriedigen konnte.<br />

Später erschienen auch die Theater-, Film- o<strong>der</strong> Musikkritiken häufiger auf <strong>der</strong><br />

<strong>Feuilleton</strong>seite. Zum <strong>Feuilleton</strong> rechnete man auch noch den Zeitungsroman, sogenannte<br />

Romanserien, die von <strong>der</strong> zweiten Hälfte des 19 Jh. bis Anfang des 20 Jh. sehr populär<br />

waren.<br />

<strong>8.</strong> <strong>Münchner</strong> <strong>Bohemisten</strong>-Treffen, 5. März 2004 — Exposé Nr. 28


2<br />

Es ist schwierig, den Begriff des <strong>Feuilleton</strong>s genau zu bestimmen, da man die unterschiedlichen<br />

Genres nicht immer präzise definieren kann. Kai Kauffmann for<strong>der</strong>te deswegen:<br />

„das <strong>Feuilleton</strong> selbst muß <strong>als</strong> ein Ort <strong>der</strong> Vermittlung untersucht werden, an<br />

dem sich Literatur, Publizistik, Gesellschaft, Wirtschaft und Politik wechselseitig<br />

durchdringen.“ <strong>Das</strong> bedeutet <strong>als</strong>o, dass diese Unbestimmtheit des <strong>Feuilleton</strong>s <strong>als</strong> interdisziplinäre<br />

Form positiv in <strong>der</strong> Wissenschaft betrachtet werden kann. Man muß aber<br />

dabei aufmerksam darauf machen, dass dieser Begriff seine Form im Laufe <strong>der</strong> Zeit<br />

verän<strong>der</strong>t hat.<br />

Man findet selbstverständlich noch heute „<strong>Feuilleton</strong>s“ in mehreren Zeitungen. Dabei<br />

begreift man <strong>als</strong> „<strong>Feuilleton</strong>“ meistens die kulturellen Nachrichten, Analysen und Kritiken<br />

des kulturellen Lebens, Rezensionen bzw. literarische Unterhaltung, weil diese Kritiken<br />

meist vom Herausgeber in den <strong>Feuilleton</strong>-Seiten einordnet werden.<br />

1.2. Kontroverse über die <strong>Feuilleton</strong>-Forschung<br />

Kauffmann skizziert die Problematik und Perspektive <strong>der</strong> <strong>Feuilleton</strong>-Forschung in <strong>der</strong><br />

Art, dass sie zum einen noch nicht eine „Verbindung von bibliographischer Erschließung<br />

und empirischer Forschung mit Mitteln <strong>der</strong> Statistik und Inhaltsanalyse“ erreicht.<br />

Zum an<strong>der</strong>en bestehe ein Mangel an <strong>der</strong> Reproduktion <strong>der</strong> alten Zeitungen <strong>als</strong> Basis <strong>der</strong><br />

Forschung. (Kauffmann/Schütz, S 11ff.)<br />

Aus dieser Problematik ergeben sich die folgenden kontroversen Punkte: die meisten<br />

<strong>Feuilleton</strong>s bekannter Schriftsteller werden heute <strong>als</strong> ein Teil ihrer Gesammelten Werke<br />

herausgegeben, sodass die <strong>Feuilleton</strong>s alter Zeitungen heute nur in Buchform erhalten.<br />

<strong>Das</strong> bedeutet, dass einerseits nur die <strong>Feuilleton</strong>s von bekannten Schriftstellern erhalten<br />

bleiben, und die von unbekannten vergessen werden. Solche <strong>Feuilleton</strong>s gelten durchaus<br />

<strong>als</strong> interessante Zeitdokumente, aber sie verlieren so den Kontext des Zeitungsartikels.<br />

1.3. Der Unterschied zwischen <strong>Feuilleton</strong> und Reportage<br />

Es gibt noch einen verwandten Begriff, und zwar die Reportage. Der Begriff <strong>der</strong> Reportage<br />

wird z. B. so bestimmt: Sie ist Erlebnisbericht, Augenzeugenbericht, Milieustudie.<br />

Es ist oft schwer, eine genaue Grenze zwischen Reportage und <strong>Feuilleton</strong> zu ziehen.<br />

Denn die genannten Bestimmungen passen auch teilweise zum <strong>Feuilleton</strong>. Manchmal<br />

sind die Grenzen zwischen beiden Begriffen jedoch fließend. Es gibt allerdings einen<br />

klaren Unterschied und <strong>der</strong> zeigt sich in <strong>der</strong> Unterhaltsamkeit, Spontaneität und Leichtigkeit<br />

des <strong>Feuilleton</strong>s.<br />

Einer <strong>der</strong> bekanntesten Wiener <strong>Feuilleton</strong>isten, Alfred Polgar schrieb in einem kleinen<br />

Text, dass das „<strong>Feuilleton</strong>-Rutschen“ beson<strong>der</strong>s an Sonntagnachmittagen eine <strong>der</strong><br />

populärsten Volksbelustigungen sei. (Polger, S. 201) Der tschechische <strong>Feuilleton</strong>ist Jan<br />

2


Neruda schrieb auch über diesen Charakter des <strong>Feuilleton</strong>s: „<strong>der</strong> <strong>Feuilleton</strong>ist muss<br />

auch irgendwann, sogar sehr oft, lustig und witzig sein [...] wenn er für den Sonntag<br />

schreibt [...] und <strong>der</strong> <strong>Feuilleton</strong>ist muss <strong>als</strong>o den Witz haben, auch wenn er ihn nicht<br />

hat.“ (Neruda, SS 15, S. 345) Es gibt <strong>als</strong>o eine typische Vorstellung vom <strong>Feuilleton</strong> in<br />

damaligen Zeit, nämlich „die Untarhaltung am Sonntag“.<br />

Joseph Roth schil<strong>der</strong>te: „<strong>Das</strong> <strong>Feuilleton</strong> sei entstanden aus dem Wunsch nach Unterhaltung,<br />

o<strong>der</strong> noch weniger: Amüsement [...] ich habe etwas über eine Stunde dran geschrieben<br />

- „ (Roth JW 1, S. 616ff.) Kisch schrieb auch einen Zeitungsartikel, <strong>der</strong><br />

„<strong>Feuilleton</strong>“ heißt, und dort steht am Anfang folgendes: “Ich habe <strong>als</strong>o noch eine gute<br />

halbe Stunde Zeit. Was fange ich an? Zeitung zu lesen? Nein, es ist zu heiß. Nur keine<br />

geistige Anstrengung! Ich will Ihnen lieber ein <strong>Feuilleton</strong> schreiben.“ (Kisch GW 9,<br />

S.196)<br />

Dies zeigt den ähnlichen Standpunkt, wie diese Autoren das <strong>Feuilleton</strong> werten. Sie<br />

schrieben natürlich mit Ironie, aber ihr Standpunkt stellt so einen Charakter des <strong>Feuilleton</strong>s<br />

dar, dass von einen ein <strong>Feuilleton</strong> immer die Unterhaltsamkeit verlangt wird und<br />

dass es ohne beson<strong>der</strong>e Ereignisse schnell geschrieben werden kann, wenn dem Autor<br />

etwas eingefallen ist. Kisch kritisierte ein solches <strong>Feuilleton</strong> <strong>als</strong> „Plau<strong>der</strong>ei“ und suchte<br />

eine eigene journalistische Form. Kischs <strong>Feuilleton</strong>s können wir <strong>als</strong>o <strong>als</strong> die Übergangsphase<br />

zu seiner literarischen Reportage betrachten.<br />

2. <strong>Feuilleton</strong>istische Stadtbil<strong>der</strong> --- Mythos und Alltag, dargestellt an Prager Stadtbil<strong>der</strong>n<br />

2.1. <strong>Feuilleton</strong> <strong>als</strong> plastische <strong>Städte</strong>bil<strong>der</strong><br />

<strong>Das</strong> <strong>Feuilleton</strong> zeichnet plastische, vielseitige <strong>Städte</strong>bil<strong>der</strong>, indem es nicht nur sensationelle<br />

historische Ereignisse, son<strong>der</strong>n auch das alltägliche Leben behandelt. <strong>Das</strong> <strong>Feuilleton</strong><br />

ist eine Darstellungsform, die die Kleinigkeiten, Nebensächlichkeiten des Lebens,<br />

nämlich das Alltägliche interessant machen kann. (vgl. Fischer-Lexikon. S.151)<br />

Man kann über alle möglichen Themen, die in einer Stadt passieren, ein <strong>Feuilleton</strong><br />

schreiben. Man kann darum die <strong>Feuilleton</strong>s <strong>als</strong> Kollektivum verschiedener Aspekte in<br />

<strong>der</strong> Stadt wie ein Mosaikenbild betrachten. Somit erweisen sich die plastischen <strong>Städte</strong>bil<strong>der</strong><br />

<strong>als</strong> eines unter vielen Merkmalen des <strong>Feuilleton</strong>s.<br />

2.2. Prager Romane und ihre magischen Stadtbil<strong>der</strong><br />

Nicht nur in <strong>der</strong> „kleinen Form“, son<strong>der</strong>n auch in an<strong>der</strong>en literarischen Formen, beson<strong>der</strong>s<br />

in Romanen, wurden die Pragbil<strong>der</strong> bisher geprägt. Viele Romane haben ihren<br />

Handlungsmittelpunkt in <strong>der</strong> Stadt Prag.<br />

Nimmt man z. B. die Werke von Gustav Meyrink, bemerkt man, dass in seiner<br />

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4<br />

Prag-Schil<strong>der</strong>ung Beschreibungen <strong>der</strong> tschechischen Kultur und Gesellschaft weitgehend<br />

fehlen. Sein „magisch-mystisches Prag“ besteht ausschließlich aus Szenen <strong>der</strong><br />

Altstadt wie etwa dem jüdischen Getto, <strong>der</strong> Kleinseite, <strong>der</strong> Prager Burg und nimmt<br />

kaum Bezug auf jene Stadtbezirke, wo die tschechischen Prager ihr Alltagsleben führten.<br />

Sein Augenmerk richtet sich fast nur auf die deutsche und jüdische Gesellschaft, so dass<br />

das tschechische Prag nicht in den Blick rückt. Diese Lücke <strong>der</strong> von Meyrink dargestellten<br />

Stadtansichten rührt nicht zuletzt daher, dass die tschechische und die deutsche<br />

Gesellschaft in Prag dam<strong>als</strong> voneinan<strong>der</strong> getrennt waren und sich in einer Konfliktsituation<br />

befanden. Man war <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en Kultur gegenüber gleichgültig o<strong>der</strong> sogar feindlich<br />

eingestellt.<br />

Peter Demetz weist zu Recht darauf hin, dass sich im Stadtbild Meyrinkscher Art<br />

„das jüdisch-deutsche Prag“ unter <strong>der</strong> Herrschaft <strong>der</strong> Habsburgischen Monarchie symbolisch<br />

kristallisiert und dass auch eine gewissen in manchen Prager Romanen beliebte<br />

„Nostalgie“ das Bild von Prag prägt. Dabei wurden die Ursprünge dieser Nostalgie in<br />

<strong>der</strong> Geschichte <strong>der</strong> Stadt Prag ermittelt. (Demetz, S.166)<br />

Im Gegensatz zu dieser Tendenz stehen die Werke von Jan Neruda und Egon Erwin<br />

Kisch, die in ihren <strong>Feuilleton</strong>s das Prager Alltagsleben ohne Einschränkung aufzeichnen.<br />

2.3. Prager Alltagsbil<strong>der</strong> von Kisch in Vergleich mit Neruda<br />

2.3.1. Jan Neruda <strong>als</strong> Begrün<strong>der</strong> des tschechischen <strong>Feuilleton</strong>s<br />

Jan Neruda war einer <strong>der</strong> bekanntesten böhmischen Dichter, aber er schrieb in seinem<br />

Leben außerdem mehr <strong>als</strong> 2000 <strong>Feuilleton</strong>s und wird <strong>als</strong> <strong>der</strong> Begrün<strong>der</strong> des tschechischen<br />

<strong>Feuilleton</strong>s betrachtet. Er begann in einer deutschen Tageszeitung „Tagesbote aus<br />

Böhmen“ auf deutsch zu schreiben und publizierte später auf tschechisch in mehreren<br />

tschechischen Zeitungen und Zeitschriften.<br />

Er beschrieb in seinen <strong>Feuilleton</strong>s das Prager Altstadtmilieu und das Alltagsleben.<br />

Nerudas Werk, „Povídky Malostranské (Kleinseitner Geschichten)“ ist heute seine bekannteste<br />

Prosa. „Kleinseitner Geschichten“ erschienen zuerst <strong>als</strong> Feuilltons in unterschiedlichen<br />

tschechischen Zeitschriften, und seine journalitsiche Tätigkeit und Betrachtungsweise<br />

über das Leben auf <strong>der</strong> Prager Kleinseite spiegeln sich in diesem Werk<br />

wi<strong>der</strong>.<br />

Nerudas Prager <strong>Feuilleton</strong>s und seine Vorstellung vom alten Prager Milieu beeinflussten<br />

die spätere Generation, beispielsweise die tschechischen Autoren Karel Čapek,<br />

Jaroslav Hašek usw., aber auch die deutschen wie z. B. Kisch. Kisch äußerte sich über<br />

Neruda: „An Reichtum seiner Themen ist Neruda, <strong>der</strong> große <strong>Feuilleton</strong>ist <strong>der</strong> Tschechen,<br />

nur mit Mercier zu vergleichen“. (Kisch, KJ, S. 447) Kisch schrieb 1910 in <strong>der</strong> deut-<br />

4


schen Zeitung „Bohemia“ in Prag eine Artikelserie „Prager Streifzüge“, sie wurden<br />

später 1912 unter dem Titel „Aus Prager Gassen und Nächten“ in Buchform herausgegeben.<br />

<strong>Das</strong> war sein erstes journalistisches Buch. Die meisten Texte dieses Buchs haben<br />

feuilletonistischen Charakter. Häufig gibt es dort genaue Beschreibungen einige Figuren,<br />

und durch die kleinen Ereignisse um sie wird das alltägliche Leben erhellt. In diesem<br />

Punkt haben Kischs <strong>Feuilleton</strong>s Ähnlichkeit mit denen Nerudas. Dieses Merkmal können<br />

wir nicht nur in Nerudas „Kleinseitner Geschichten“ finden, son<strong>der</strong>n auch in seiner<br />

<strong>Feuilleton</strong>ssammlung „Arabesky“ o<strong>der</strong> „Různí lidé (verschiedene Leute)“. Es gibt noch<br />

die Gemeinsamkeit zwischen ihnen, dass nämlich das Prager Sprachmilieu in ihren<br />

<strong>Feuilleton</strong>s ausgedrückt wird.<br />

Neruda veröffentlichte seine <strong>Feuilleton</strong>s in tschechischen Zeitungen, wie „Čas“,<br />

„Hlas“ und „Národní Listy“, aber benutzte dort häufig die deutschen Zitate ohne Übersetzungen.<br />

Ihre Inhalte spiegelten fast immer die damaligen Beziehungen zwischen<br />

Deutschen und Tschechen in Prag wi<strong>der</strong>. Kisch beschrieb z. B. in seinen Texten „Deutsche<br />

und Tschechen“ o<strong>der</strong> „Vom Kleinseitner Deutsch und vom Prager Schmock“ die<br />

zweisprachige Situation humorvoll aber auch satirisch.<br />

3. <strong>Städte</strong>bil<strong>der</strong> in <strong>der</strong> Weimarer Zeit in Berlin und in <strong>der</strong> Zwischenkriegszeit in<br />

Prag<br />

Kisch siedelte im Jahre 1921 von Prag nach Berlin um und machte dort seine Karierre.<br />

Er schrieb Artikel nicht nur für die Berliner Zeitungen, son<strong>der</strong>n auch für die tschechischen<br />

Zeitungen, wie „Prager Tagblatt“, „Lidové Noviny“ usw. Indem Kisch in seinen<br />

Artikeln das Berliner Stadtbild und -leben aus deutsch-tschechischer Doppelperspektive<br />

beschreibt, wendet er sich sowohl an deutsche wie auch an tschechische Leser. Nicht<br />

zuletzt deshalb lassen sich in Kischs Stadtreportagen die damaligen Beziehungen zwischen<br />

Berlin und Prag beson<strong>der</strong>s im Hinblick auf die gegenseitige Kulturrezeption und<br />

auf die Infra- und Sozi<strong>als</strong>truktur <strong>der</strong> Stadt vorzüglich erhellen. Kisch und Joseph Roth<br />

behandelten viele gemeinsame Themen in den Berliner und Prager Zeitungen.<br />

Als Themen wählten Kisch und Roth z. B. Cafe, Sport wie Fußballspiel,<br />

Sechstagerennen o<strong>der</strong> Boxen, Veranstaltungsorte wie Variete, Zirkus, Theater,<br />

Panoptikum o<strong>der</strong> Rummelplatz aus. Ihre <strong>Feuilleton</strong>s nehmen die Vergnügungsindustrie<br />

<strong>der</strong> Weimarer Republik unter die Lupe. Diesen Trend findet man in den verschiedensten<br />

<strong>Feuilleton</strong>s damaliger Zeitungen.<br />

In <strong>der</strong> Zwischenkriegszeit erblüht einerseits die prachtvolle Weimarer Kultur, aber<br />

an<strong>der</strong>erseits herrscht in Deutschland die große Inflation. <strong>Das</strong> deutsche Geld hatte geringeren<br />

Wert <strong>als</strong> das tschechische. Daher schrieben dam<strong>als</strong> viele Schriftsteller für Prager<br />

Zeitungen. nicht nur Kisch und Roth, auch Robert Musil, Robert W<strong>als</strong>er u.a.<br />

5


6<br />

Wenn Kisch etwa die Inflation dieser Zeit beleuchtet, indem er die durch den Unterschied<br />

zwischen deutschem und tschechischem Geld verursachten Ereignisse darstellt,<br />

findet man dort oft einen Wechsel von Prager und Berliner Perspektiven und die Beziehungen<br />

zwischen <strong>der</strong> damaligen Tschechisch-Slowakischen Republik und Deutschland.<br />

Literatur:<br />

Kisch, Egon Erwin: Gesammelte Werke in Einzelausgaben. (= GW) Hrsg. von Bodo<br />

Uhse und Gisela Kisch. Fortgeführt von Fritz Hofmann und Josef Polacek. Band<br />

1-11. Berlin und Weimar, 1983<br />

Kisch, Egon Erwin: Klassischer Journalismus. Die Meisterwerke <strong>der</strong> Zeitung. (= KJ)<br />

Berlin, 1923 (Neuausgabe Berlin u. Weimar 1982)<br />

Neruda, Jan: Sebrané spisy. (= SS) ed. I. Hermann, L. Quis, K. Rozek. Praha,<br />

1907-1911<br />

Polgar, Arfred: Kleine Schriften I: Musterung. Hamburg, 1982<br />

Roth, Josef: <strong>Das</strong> journalistische Werk 1-3. (= JW) Hrsg. von Klaus Westermann, Köln,<br />

1989.<br />

Demetz, Peter: Böhmische Sonne, mährischer Mond. Wien, 1996<br />

Kauffmann, Kai/Schütz, Erhard (Hrsg.): Die lange Geschichte <strong>der</strong> Kleinen Form. Beiträge<br />

zur <strong>Feuilleton</strong>forschung. Berlin, 2000<br />

Schlenstedt, Dieter: Egon Erwin Kisch. Leben und Werk. Berlin, 1985<br />

Karst, Theodor (Hrsg.): Reportagen. Reclam Stuttgart, 1986<br />

Noelle-Neumann, Elisabeth/Schulz, Winfried/Wilke, Jürgen(Hrsg.): Fischer Lexikon<br />

Publizistik Massenkommunikation. F. a. M., 2002<br />

Kontaktadresse:<br />

Ryoko Aoki<br />

c/o Vilkensen<br />

Schwedterstr. 28<br />

10119 Berlin<br />

E-Mail: ikoa@tiscali.de<br />

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