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AUSBILDUNG<br />
Schrittreiten vor der Arbeit ist<br />
wichtig. Das weiß jeder Reiter.<br />
Doch was viele nicht wissen: In<br />
diesen Minuten kann man<br />
nicht nur den neuesten Klatsch<br />
und Tratsch von den Stallkollegen erfahren.<br />
Mit wenigen einfachen Übungen<br />
kann der Reiter genau diese Zeit<br />
nutzen, um sein Pferd optimal auf das<br />
anstehende Training vorzubereiten.<br />
Körperlich und geistig. Mit gut durchdachter<br />
Schrittarbeit. Der Effekt: Das<br />
Pferd ist schon beim Antraben locker<br />
und gelöst. Und die ersten Trabtritte<br />
fühlen sich gleich viel besser an –<br />
wetten?<br />
„Ich kann es nicht sehen, wenn Reiter<br />
ihre Pferde am durchhängenden<br />
Zügel daherlatschen lassen“, sagt<br />
Dressurausbilder Johann Hinnemann.<br />
Exklusiv für Reiter Revue International<br />
zeigt er, wie Reiter die Zeit vor dem<br />
ersten Antraben wirklich sinnvoll nutzen.<br />
Denn Schrittarbeit soll nicht nur<br />
die Muskeln aufwärmen und die Gelenkschmiere<br />
verteilen. Sie soll die<br />
Pferde vielmehr in den Arbeitsmodus<br />
bringen, die Konzentration fördern,<br />
lockern und lösen. Für Johann Hinnemann<br />
zählt am Ende des Tages die<br />
Durchlässigkeit eines Pferdes. „Ein losgelassenes<br />
Pferd ist nicht unbedingt<br />
durchlässig, aber ein durchlässiges<br />
Pferd ist immer zu einhundert Prozent<br />
losgelassen“, macht er den feinen Unterschied<br />
deutlich. Und mit konsequenter<br />
Schrittarbeit lassen sich auf<br />
dem Turnier in der Dressuraufgabe<br />
viele Punkte gewinnen, sagt er: „Halten<br />
und Grüßen, Schrittpirouetten<br />
oder Kurzkehrt werden nicht umsonst<br />
doppelt bewertet. Diese Lektionen haben<br />
nichts mit dem Bewegungstalent<br />
eines Pferdes zu tun.“<br />
Schrittarbeit wird erst effektiv, wenn<br />
das Pferd bereit ist, seinen Hals fallen<br />
zu lassen. Für Johann Hinnemann ist<br />
der größte Fehler des Reiters nach dem<br />
Aufsitzen der, die Zügel einfach durchhängen<br />
zu lassen, obwohl das Pferd<br />
sehr an der Umgebung interessiert ist.<br />
Der Reitmeister verrät, wie es besser<br />
geht: „Die ersten Runden im Schritt<br />
reitet man lieber am langen Zügel, bis<br />
das Pferd bereit ist, den Hals fallen zu<br />
lassen.“ Den langen Zügel definiert er<br />
als längstmögliche Verbindung zwischen<br />
Reiterhand und Pferdemaul.<br />
Gerade bei jungen Pferden ist diese<br />
Verbindung zu Beginn besonders<br />
wichtig. „Sie sind unter dem Sattel<br />
noch aufgeregt und haben ihren Kopf<br />
häufig in den Wolken“, sagt der Dressurausbilder.<br />
Auch der Sicherheitsaspekt<br />
spielt für Johann Hinnemann<br />
dabei eine große Rolle. „Am langen<br />
Zügel hat der Reiter das Pferd besser<br />
unter Kontrolle, wenn es sich doch<br />
einmal erschrickt und zur Seite<br />
springt.“ Und auch wenn das Pferd<br />
bereit ist, den Hals fallen zu lassen und<br />
der Reiter den langen Zügel zu einem<br />
hingegebenen Zügel verlängert, muss<br />
die Kontrolle über das Pferd trotzdem<br />
gewährleistet sein. Johann Hinnemann<br />
empfiehlt deshalb den einhändigen<br />
Sicherheitsgriff, mit dem sich<br />
die Zügel innerhalb kürzester Zeit<br />
nachfassen lassen (s. Kasten).<br />
Vorsicht beim Aufnehmen<br />
Idealerweise befindet sich die Maulspalte<br />
des Pferdes im entspannten<br />
Schritt auf Höhe des Buggelenks. Verkürzt<br />
der Reiter die Zügel, um Übungen<br />
zu reiten, bleibt die Nase immer leicht<br />
vor der Senkrechten. Damit es im<br />
Schritt nicht zu Taktstörungen kommt,<br />
muss der Reiter die Nickbewegung des<br />
Pferdes auch bei Verbindung zum Maul<br />
unbedingt zulassen. Dazu führt er seine<br />
Hand im Takt in der Bewegung entsprechend<br />
vor und zurück. „Manche Pferde<br />
tendieren im Schritt eher zu Taktstörungen“,<br />
mahnt Hinnemann. Die häufigste<br />
ist der Passgang. Dabei fußen die<br />
Vorder- und Hinterbeine auf einer Seite<br />
nicht nacheinander ab, sondern nahezu<br />
gleichzeitig. Die Phase, in der das<br />
gewinkelte Vorder- und das vortretende<br />
Hinterbein ein V bilden, ist nicht mehr<br />
erkennbar. Ebenso wenig der Viertakt<br />
dieser Gangart. Doch auch daran kann<br />
der Reiter schon vor dem ersten Antraben<br />
effektiv arbeiten. Ebenso an Entspannung,<br />
Motivation, Gehorsam und<br />
Geduld. Auf den folgenden Seiten gibt<br />
es für jeden die passende Übung. Und<br />
den neuesten Klatsch und Tratsch erfährt<br />
man doch viel besser nach getaner<br />
Arbeit bei einem kühlen Getränk,<br />
oder?<br />
><br />
Eine Hand führt<br />
den hingegebenen<br />
Zügel. So kann man<br />
schnell mit der anderen<br />
nachfassen.<br />
Einhändiger<br />
Sicherheitsgriff<br />
Hält der Reiter den hingegebenen<br />
Zügel mit beiden Händen<br />
rechts und links neben der<br />
Schnalle, kann er ihn im Zweifel<br />
nicht schnell genug nachfassen.<br />
Deshalb hält nur eine Hand die<br />
Schnalle des Zügels fest. Erschrickt<br />
das Pferd, kann der Reiter<br />
mit der freien Hand beide<br />
Zügel in der Faust fassen und<br />
mit der anderen Hand durchziehen.<br />
So bekommen die Zügel im<br />
Bruchteil einer Sekunde wieder<br />
ein Maß, mit dem der Reiter<br />
sein Pferd schnell unter Kontrolle<br />
bringen kann.<br />
FOTO: T. RUBEL<br />
UNSER EXPERTE<br />
Johann<br />
Hinnemann<br />
Der Reitmeister<br />
betreibt seit über<br />
40 Jahren den<br />
Krüsterhof in<br />
Voerde und bildet dort Reiter<br />
und Pferde bis zur Grand<br />
Prix-Reife aus. Gemeinsam<br />
mit Chefbereiterin Stefanie<br />
Wolf demonstriert er, wie<br />
wichtig Schrittarbeit ist.<br />
www.johannhinnemann.com<br />
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REITER REVUE INTERNATIONAL 7/<strong>2017</strong> 21