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Referat als pdf - Stube

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Veronika Freytag<br />

Der Garten <strong>als</strong> Handlungsraum<br />

Garten - das ist ein Ort des Schutzes, früher vor wilden Tieren (Bild: Nachbildung<br />

einer eisenzeitlichen Anlage 4. Jh. vor Chr.); heute vor Alltagsstress oder vor dem<br />

Blick der Eltern. Garten bedeutete immer schon die Abgrenzung von der Umgebung -<br />

die indogermanische Wortwurzel ghorto-s heißt Flechtwerk, Zaun (Krauss 21). So<br />

schützend und lebensspendend musste das Paradies beschaffen sein, schon vor<br />

Judentum, Christentum und Islam stellte man es sich <strong>als</strong> Garten vor (Hobhouse 20).<br />

Interessant - Garten und Paradies bedeuten praktisch dasselbe: Das altpersische<br />

pairidaeza, von dem sich unser “Paradies” herleitet, heißt umfriedeter Obstgarten<br />

(Krauss 21).<br />

In den Klöstern des Mittelalters stand der ummauerte Garten für den Garten Eden, die<br />

Kirche und die Erlösung im himmlischen Paradies (Hobhouse 104). Dieses<br />

Paradiesgärtlein hieß “hortus conclusus”, verschlossener Garten.<br />

“Der geheime Garten” von Frances Hodgson Burnett ist auch ummauert und genauso<br />

verschlossen. Ist er ein Paradiesgärtlein, verspricht er Erlösung? Zunächst wissen wir,<br />

niemand darf den Garten betreten, niemand darf über ihn sprechen, aber warum?<br />

Mary, die 10jährige Heldin, die seit kurzem auf dem Gut ihres Onkels lebt, entdeckt<br />

das Geheimnis und macht sich daran es zu lösen. Einer ihrer ersten Helfer ist ein<br />

Rotkehlchen. Das Rotkehlchen bewohnt den Garten, es führt Mary zum Schlüssel und<br />

zum versteckten Tor. Das Rotkehlchen ist in England ein winterliches und<br />

weihnachtliches Symbol für Fröhlichkeit, Hoffnung und Erlösung (wikipedia, Fauna<br />

Britannica 244). Als Mary das Geheimnis des Gartens entdeckt, ist Winter. Als sie ihn<br />

zum ersten Mal betritt, zeigen sich schon die ersten Spitzen der Frühlingsblumen. Mit<br />

dem Rotkehlchen und der jahreszeitlichen Entwicklung beginnt eine Symbolik der<br />

Erlösung, die sich in vielfältiger Weise fortsetzt. Mary befürchtet, der Garten könne<br />

nach so langer Abgeschlossenheit tot sein, sie setzt alles daran, ihn “aufzuwecken”.<br />

Dabei hilft ihr ein Junge namens Dickon. Dickon zieht wie der Waldgeist Pan alle<br />

Tiere magisch an, er verkörpert das Leben schlechthin. Während Mary und Dickon<br />

den Garten hegen und “aufwecken”, bewirkt dies seinerseits eine tiefgreifende<br />

Veränderung in Mary. Früher galt sie <strong>als</strong> unausstehlich, griesgrämig, herrisch, jetzt<br />

entwickelt sie sich zu einem fröhlichen Kind. Der Garten hat <strong>als</strong>o sein Erlösungswerk<br />

getan, kein Wunder, ist er doch voller Rosen. Rosen sind die Blumen Marias und<br />

Maria sitzt im mittelalterlichen himmlischen Paradiesgärtlein. Mary ist nun bereit,<br />

selbst eine helfende Rolle einzunehmen. Gundel Mattenklott weist darauf hin, dass<br />

das Kind sich mit einem Geheimnis gegen die Erwachsenenwelt abgrenzt und


Autonomie gewinnt. Die Geheimhaltung und die Fürsorge für das Geheimgehaltene<br />

dienen dem persönlichen Entwicklungsprozess (Zauberkreide 48, Kleine Welten 31).<br />

Am Beginn des 20. Jahrhunderts (1911) darf diese Autonomie noch nicht Selbstzweck<br />

sein, andere müssen erzogen und in die Gesellschaft integriert werden (Zauberkreide<br />

120f). Mary erlöst mit Hilfe des Gartens den seit seiner Geburt im Haus verstecken<br />

Colin und seinen am Leben verzweifelten Vater. Der Garten erweist sich nun <strong>als</strong><br />

Symbol für Leben und Tod: Im Garten ist Colins Mutter von einem Ast gestürzt,<br />

dadurch wurde Colins Geburt ausgelöst und die Mutter ist gestorben. Colin wurde von<br />

seinem Vater weggesperrt. Zeit seines Lebens hat er im Glauben an seinen baldigen<br />

Tod wie lebendig begraben dahinvegetiert, abgeschlossen wie der Garten. Als er im<br />

Garten gehen lernt und zum ersten Mal ans Leben glaubt, ruft er: “Ich werde gesund!<br />

Und ich werde für immer und ewig leben!” Er drückt eine paradiesische<br />

Glücksverheißung und Heilserwartung aus. Burnetts geheimer Garten ist <strong>als</strong>o<br />

tatsächlich ein mittelalterliches Paradiesgärtlein, verbunden mit der Vorstellung von<br />

der Wandlung und Erlösung des Menschen. Gleichzeitig verarbeitet Burnett<br />

Vorstellungen eines idyllischen Arkadien und der Romantik (Lexikon Klassiker<br />

156f). Die Romantik betrachtet Gärten <strong>als</strong> Orte des Zaubers (Schmidt-Dengler 39)<br />

und die Kindheit <strong>als</strong> eine der Natur nahe Lebensphase (Lexe 91).<br />

Die Romantik leitet uns weiter zu einem stark märchenhaft geprägten Garten in<br />

Margaret Mahys “Die andere Seite des Schweigens”. Ab nun stammen die Bilder<br />

nicht aus den besprochenen Büchern, die sind unillustriert. Dieses hier ist aus einem<br />

alten Märchenbuch, stellt euch statt des jungen Mannes die 12jährige Heldin Hero<br />

vor. Sie steigt über eine Mauer in einen fremden, verbotenen Garten voller Bäume<br />

und turnt dort ausschließlich von Ast zu Ast. Einem Vogel gleich verwandelt sie sich<br />

in ihrer Vorstellung in das “wahre Kind der wilden Wälder”. Vorbild für ihre innere<br />

Verwandlung in ein Zauberwesen sind ihre Lieblingsbücher “Der geheime Garten“,<br />

“Alte Märchen” und “Das Dschungelbuch“. Diese Bücher dürften auch bei der<br />

Gestaltung des Romans Pate gestanden haben. Hero grenzt ihr wahres Leben vom<br />

wirklichen Leben des Alltags ab. Um ihre Rolle <strong>als</strong> Zauberwesen zu bestärken, hat sie<br />

auch im wirklichen Leben zu sprechen aufgehört. Eines Tages fällt sie der Besitzerin<br />

des Gartens, Miss Credence, vor die Füße, ihr Geheimnis ist entdeckt.<br />

Interessanterweise scheint auch Miss Credence in einer Zauberwelt zu leben, denn sie<br />

stellt sich Hero <strong>als</strong> Jorinde, <strong>als</strong> Vogelmädchen, vor. Früher war Heros Zauberwelt<br />

heil, paradiesisch, jetzt arbeitet sie für Miss Credence im Garten. Ihre heile kindliche<br />

Spielwelt ist zerbrochen. Ähnlich dem “Geheimen Garten” scheint auch Miss<br />

Credence selbst und ihr Haus ein Geheimnis zu verbergen. Je näher Hero dem Haus<br />

und dem Geheimnis kommt, desto mehr Bedrohung spürt sie, desto weniger kann sie<br />

ihre alte Identität <strong>als</strong> “wahres Kind” aufrechterhalten. Bekanntlich hält im Märchen<br />

“Jorinde und Joringel” die Zauberin Mädchen <strong>als</strong> Vögel gefangen. Als sich Hero wie


im Märchen Zutritt zum Haus und zur geheimsten, innersten Kammer verschafft, hat<br />

dies nichts Märchenhaftes oder Spielerisches mehr an sich: Das Haus ist völlig<br />

verwahrlost und in der Kammer lebt Miss Credence schwachsinnige Tochter<br />

angekettet. Angesichts dieser Gewalt und Gefahr, denn nun wird Hero selbst<br />

eingesperrt, streift sie die letzten Reste ihrer phantasierten Identität ab. Sie beginnt zu<br />

sprechen und kann ihre Rettung einleiten.<br />

Dieser Entwicklungsprozess Heros ist durchaus mit sogenannten Übergangsriten<br />

vergleichbar. In traditionellen Gesellschaften wurde im Initiationsritus der Übergang<br />

vom Kind zum Erwachsenen vollzogen. Märchen haben Strukturen von<br />

Übergangsriten bewahrt (Propp), auch moderne Texte zeichnen diesen Vorgang<br />

narrativ nach (Neumann/Langer 32). Der Übergang beginnt mit der Ablösung von der<br />

Herkunftsfamilie. Das sind bei Hero das Schweigen (symbolisches Zeichen des<br />

Todes, Propp 87) und das Aufsuchen des fremden Gartens. Im Ritus wird der Initiand<br />

an einen fremden, oft gefährlichen Ort gebracht. Hier umgibt der Garten, der ja fast<br />

einem Wald gleichkommt, das schreckliche Geheimnis des Hauses. Der Garten hat<br />

nichts Schützendes mehr an sich. In dieser fremden, zunehmend bedrohlichen<br />

Umgebung nähert sich Hero dem Geheimnis an. Vergleichbar mit Märchenhelden löst<br />

sie Aufgaben, überwindet Hindernisse und bewährt sich im Kampf mit dem<br />

Ungeheuer (hier in Gestalt von Miss Credence, die unzweifelhaft Züge einer Hexe<br />

trägt) und sie verwandelt sich dabei. Im Ritus vollzieht sich der Wechsel auf die neue<br />

Entwicklungsstufe im Durchgang durch den Tod oder zumindest die Todesnähe und<br />

führt zu einer symbolischen Wiedergeburt (Langer 33, Propp 64). Tod und Todesnähe<br />

erlebt Hero bei Rinda, die ja so etwas wie lebendig begraben und psychisch völlig<br />

abgestorben ist (denken wir nochm<strong>als</strong> an Colin). Miss Credence erschießt sich am<br />

Ende selbst. Hero wird wie neu geboren, <strong>als</strong> sie sich entschließt, ihre Stummheit<br />

aufzugeben. Das ist auch der Anfang von ihrem Abschied aus der Kindheit. Endgültig<br />

schließt sie diesen Entwicklungsprozess am Ende des Romans ab. Hero hat ihre<br />

Geschichte aufgeschrieben, aber sie löscht die Datei, bevor ihre berühmte Mutter sie<br />

veröffentlichen kann. Damit bestimmt sie endgültig allein über ihr Leben.<br />

Der Garten war Heros geheimer Ort kindlicher Autonomie. Im “Geheimen Garten”<br />

Burnetts bleibt er <strong>als</strong> Glücksort erhalten, hier ist er nur eine Durchgangsstation zu<br />

einer gereiften, der Kindheit entwachsenen Persönlichkeit (vgl. Lexe 159f).<br />

.<br />

Ist der Garten <strong>als</strong>o ein Transitraum, ein Raum des Übergangs, an dem sich die<br />

Initiation wie an den abgelegenen Orten der Märchen vollzieht? Das muss nicht so<br />

sein, ist aber doch ein wiederkehrender Zug des Motivs Garten wie im nächsten Text:<br />

Marjaleena Lembcke: Die Fremde im Garten.<br />

Dieser Garten entspricht dem Schema eines einstm<strong>als</strong> geordneten Blumen- und<br />

Obstgartens, ist aber ebenso verwildert wie die anderen beiden Gärten. Er umgibt ein


verlassenes Haus und ist durch lose Planken im Zaun nicht ganz so hermetisch<br />

abgeschlossen. Die 12-jährige Heldin Hillevi nutzt ihn seit Jahren <strong>als</strong> ihr geheimes<br />

Sommerrefugium und zum Träumen. Eines Tages taucht die Fremde auf und besetzt<br />

Hillevis Sommerparadies, obwohl es doch eher umgekehrt ist, denn die Fremde ist die<br />

Besitzerin. Hillevi fühlt sich in ihren Ferien ohne Garten heimat- und ruhelos. Ich<br />

habe vorher von der Hexe gesprochen. Der Übergangsritus kennt Übergangsfiguren,<br />

die die Initianden einweisen, begleiten und prüfen, im Märchen ist das häufig die<br />

Hexe, eine alte Frau, die versteckt im Wald wohnt (Propp, 83f, 93). Während Miss<br />

Credence eher die böse Hexe repräsentiert, ist Viola eine positive Helferin. Hillevi hat<br />

zwar ihren geheimen Rückzugsort verloren, aber bald gewinnt sie den Garten durch<br />

die Bekanntschaft mit Viola wieder zurück und sie profitiert noch mehr. Hillevi erlebt<br />

gerade eine sehr schwierige Übergangsphase. Voller Panik wartet sie auf ihre<br />

Menstruation und traut sich ohne rote Hose nicht mehr dem Haus, dann bekommt sie<br />

sie und alles ekelt sie an. Nur der Garten behält seine Reinheit, er wird “ein Tor in<br />

eine andere Welt, ohne Fleisch und Blut” (S. 85). Durch Violas Anregung beginnt<br />

Hillevi, im Garten zu malen. Der Garten, das Malen und Violas kritische Freundschaft<br />

helfen in der Zeit der Frauwerdung. Hillevi ist in zwei Jungen verliebt. Als sie<br />

schließlich weiß, für welchen sie sich entscheidet, ist ihre Übergangsphase vollzogen.<br />

Violas eigene Geschichte ihrer Jugend spielt dabei keine geringe Rolle.<br />

Diese Geschichte evoziert auch die Todesnähe durch die Motive der Kälte, Nacktheit<br />

und “Verrücktheit”. Als junge Frau war Viola splitternackt durch den Schnee zu<br />

ihrem Geliebten gegangen, um ihm zu zeigen, dass sie es sogar auf sich nähme, mit<br />

ihrem Elternhaus zu brechen, alle Reichtümer zurückzulassen, doch dieser hatte sie<br />

abgewiesen. Sie ist dann ins Irrenhaus gekommen. Der junge Mann war Hillevis<br />

Onkel. Als Viola nach diesem Sommer Haus und Garten verkauft, hat offenbar auch<br />

sie eine Phase abgeschlossen. Das macht diesen Roman so sympathisch und modern,<br />

weil er zeigt, wie unabgeschlossen das Leben in jeglicher Lebensphase ist. Hillevi<br />

kann nun ohne Trauer vom Garten und von der Kindheit Abschied nehmen. Durch<br />

Viola und den Garten hat sie das Malen <strong>als</strong> Ausdrucksmittel für ihre Gefühle über<br />

diese Zeit hinaus gefunden.<br />

In den letzten beiden Büchern stehen die Heldinnen altersmäßig am Ende der<br />

Kindheit. Ich möchte einen kurzen Ausblick auf jene Bücher werfen, in denen die<br />

Kinder 8/9 Jahre alt sind, daher noch nicht das Verlassen der Kindheit nachgezeichnet<br />

wird. Der Garten ist aber auch hier ein Raum kindlicher Autonomie fern von<br />

elterlicher Aufsicht, ein Ort des Spiels mit der Phantasie, an dem<br />

Entwicklungsschritte vollzogen werden, eine innere Verwandlung stattfindet.<br />

Mira Lobes “Die Omama im Apfelbaum” steht noch in der Tradition der älteren KL.<br />

Die in der Phantasie ausgelebte Autonomie wird einer realen Selbständigkeit


gegenüber gestellt, die anderen zugute kommt. Die neue Oma braucht Andi viel mehr<br />

<strong>als</strong> die Omama im Apfelbaum (102).<br />

Ganz unter sich machen die Kinder ihre Geschwisterrivalität in Kathryn Caves<br />

“William und die Wölfe” aus. Der ältere Bruder lässt im Garten Wölfe hausen, um<br />

seiner kleinen Schwester und v.a. ihrem Spielpolster namens “Lamm” Angst<br />

einzujagen. Er nutzt bei der Inszenierung seinen größeren Aktionsradius im Garten,<br />

muss aber erfahren, wie die Geschichte zunehmend außer Kontrolle gerät und seine<br />

Schwester auf ihre Art am Schicksal der Wölfe Anteil nimmt. William durchläuft<br />

einen für uns sehr witzigen Lernprozess, an dessen Ende er seine Rolle des Älteren<br />

neu definiert.<br />

In Kate DiCamillos “Winn-Dixie” tragen eine “Hexe” (eine Übergangsfigur), ein<br />

Garten und ein Baum dazu bei, dass die Heldin ein neues Verhältnis zu ihrer Mutter<br />

findet, unter deren Trennung sie sehr leidet. Ähnlich wie Mary ist die Heldin<br />

ihrerseits eine Erlöserin. Mit diesen stark symbolhaften Zügen steht das Buch in der<br />

Tradition des “Geheimen Gartens”. Der Garten trägt zwar äußerlich keine<br />

paradiesischen Züge, in seinem Wesen ist er aber ein Ort des Heils.<br />

Seltsam, dass dort, wo es tatsächlich einen echten Paradiesgarten gibt - in Jutta<br />

Richters “Der Hund mit dem gelben Herzen“-, nicht das Heil beschworen wird.<br />

G. (Punkt) Ott ist in seinem Garten so einsam, wie man nur sein kann. Das Glück ist<br />

in einem Schuppen zu finden, dort, wo Hund bei zwei Kindern ein neues Zuhause<br />

findet. Schuppen erinnert ein wenig an Stall und Stall an Erlösung und damit schließt<br />

sich der Kreis zum Anfang. Ich hoffe, ihr habt gehört, ich habe manchmal “innere<br />

Verwandlung” erwähnt, das leitet zu den etwas drastischeren Verwandlungen der<br />

folgenden <strong>Referat</strong>e über.

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