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WERK VI - Guter Stil

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„Bad is better than boring“<br />

LYRA<br />

AUTHENTIZITÄT LIEGT FÜR DEN STYLISTEN TOMAS C. TOTH IN DER ÜBERTREIBUNG. SEIN STIL,<br />

KLEIDUNG ZU DEKONSTRUIEREN, WURDE BEREITS IN MAGAZINEN WIE MODERN WEEKLY,<br />

MOTHER, NOVEMBRE, NUMÉRO ODER SLEEK VERÖFFENTLICHT. WIR TREFFEN IHN AUF EINEN GIN<br />

TONIC IN KREUZBERG.<br />

Es ist ein schöner, frühsommerlicher Tag, an dem ich Tomas C.<br />

Toth in einem kleinen Cafe direkt am Paul-Lincke-Ufer treffe.<br />

Lächelnd begrüßt er mich. Der 25-Jährige ist zurückhaltend,<br />

sympathisch, er hat etwas Kindliches an sich. Er trägt eine weite<br />

schwarze Schlaghose aus PVC, dazu einen übergroßen Kapuzen-Sweater<br />

mit überlangen Ärmeln und lilafarbenem Flammenaufdruck<br />

– die Kleidung lässt ihn zierlicher erscheinen<br />

als er ist. Ganz klar, das traut sich nicht jeder, aber<br />

eine Überraschung ist es nicht. Denn Tomas C. Toth<br />

verdient sein Geld mit dem, was er liebt: Mode.<br />

Oder genauer: Styling. Wir setzten uns in eine<br />

dunkle Ecke im Café, das an diesem Nachmittag<br />

wie leergefegt ist. Tomas bestellt einen Gin Tonic<br />

und wir rauchen eine Zigarette. Das Eis ist schnell<br />

gebrochen. Bereits nach ein paar Sätzen habe ich<br />

das Gefühl, als rede ich mit einem guten Freund.<br />

Tomas wuchs in einer kleinen Stadt in Tschechien<br />

auf. Schon in jungen Jahren gefiel es ihm, mit seiner<br />

Kleidung zu rebellieren. Er zog sich auffällig an,<br />

um mit den vorgesetzten Normen seiner Heimat zu<br />

brechen. „Ich war in jeden Punker in meiner Stadt<br />

verliebt“, sagt er und lacht. Nach der Schule zog er<br />

zuerst nach Prag und fing dort an, Fotostrecken mit den Kollektionen<br />

kleinerer Designer zu produzieren. „Ich hatte schon immer<br />

einen sehr hohen Anspruch und das hat sich gelohnt: Von Anfang<br />

an wurde fast jede Strecke veröffentlicht.“<br />

Im Jahr 2012 zog Tomas C. Toth nach London, arbeitete dort<br />

als Stylist und baute sich in England ein kreatives und internationales<br />

Netzwerk auf. Ein großer Verfechter der Londoner<br />

Fashion Week ist er dennoch nie geworden. Im Laufe seiner<br />

Karriere hat er unzählige Modewochen besucht, am besten<br />

gefallen ihm aber kleinere, unabhängige Schauen fernab des<br />

kommerziellen Medienrummels. Zu seinen Favoriten zählt etwa<br />

die Fashion Week in Tiflis, Georgien. Dort werde noch unheimlich<br />

viel Engagement und Kreativität in die Schauen gesteckt,<br />

so Tomas. Hat ein Designer seine Show beendet, findet man ihn<br />

im Backstage-Bereich, um dort schon eifrig dem nächsten beim<br />

Vorbereiten seiner Schau zu helfen.<br />

Lange hat Tomas mit Berlin geliebäugelt, vor eineinhalb Jahren<br />

ist er schließlich nach Schöneberg gezogen. „Die Stadt hatte für<br />

mich immer etwas Anziehendes“, sagt er, allerdings war er sich<br />

auch ihrer Versuchungen und Verführungen bewusst – vor allem,<br />

weil er für genau diese schon „immer sehr anfällig<br />

gewesen“ sei. Die Berliner hätten einen „bad style”,<br />

sagt Tomas, „but sometimes bad style is better than<br />

boring!“ Nur bei Espandrillos und Ballerinas hört<br />

seine Toleranz auf: „Die machen doch niemanden<br />

schöner!“<br />

Der beste <strong>Stil</strong> ist für Tomas, authentisch zu sein. Er<br />

hasst nichts mehr als Menschen, die kopflos Trends<br />

hinterherjagen, ohne diese wirklich zu leben. Seinen<br />

eigenen <strong>Stil</strong> beschreibt er als Prozess, der sich<br />

durch die verschiedensten Einflüsse und Inspirationen<br />

beinahe täglich verändert. Er liebt es, mit<br />

unterschiedlichen Proportionen zu arbeiten und<br />

mit gängigen Erscheinungsbildern zu brechen. Die<br />

klassische Jeans mit T-Shirt langweilt ihn. Layerings<br />

hingegen findet er immer passend und momentan fühlt er sich<br />

in sportlicher Kleidung am wohlsten, kombiniert feminine, enge<br />

Slutty-Tops zu Trainingsanzug und Sneakern.<br />

Für Tomas hat <strong>Stil</strong> absolut nichts mit Geld zu tun. Seine größte<br />

Inspiration holt er sich ohnehin von Leuten, die keinen Wert auf ihr<br />

Äußeres legen, auf der Straße leben oder aus Nichts einen Look<br />

machen. Teure Designeroutfits werden von den Leuten, die ihn<br />

inspirieren, immer etwas verändert, sei es durch Pins, die sie anstecken,<br />

oder indem sie das Kleidungsstück verkehrt herum tragen.<br />

Auch Alter spielt keine Rolle. Tomas ist begeistert von alten Fashionistas<br />

– jenen, die man immer öfter auch in den Medien sieht –,<br />

fühlt aber dennoch ein Ungleichgewicht zwischen der Akzeptanz<br />

älterer Frauen und älterer Männer. „Der Dandy“, sagt er, „ist viel<br />

etablierter als die trendy Fashion-Oma – das ist doch schade!“<br />

LYRA<br />

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