afrika süd 2017-3
Die Fachzeitschrift zum Südlichen Afrika. Afrika Süd liefert kritische Hintergrundanalysen, stellt konkrete Projekte vor und lässt Akteure zu Wort kommen. // THEMEN DER AUSGABE: Editorial: Eine Region in autorkratischer Schieflage, Kommentar von Lothar Berger, Angola: Vertrieben in Cunene - Landnahme durch ein Agro-Business-Projekt im Süden Angolas, Malawi: Steuerschlupflöcher aufdecken - Die Panama Papers und der Cashgate-Skandal, Südliches Afrika: Befreiung und nationale Identität - Gespräch mit Reinhart Kößler. Weitere Themen in der Ausgabe: Südafrika: Dammbruch nach Kathradas Tod, Südafrika: Historische Perspektivwechsel auf zwei Kontinenten, Simbabwe: Kaum noch erträglich - Menschenrechtssituation und Druck auf Medien, Botswana: Wie unter Ian Khama die Freiheit schrumpft, DR Kongo: Kasai – lokale und nationale Gewaltspiralen, Tansania: Megaprojekte der Öl- und Gasindustrie // www.afrika-sued.org
Die Fachzeitschrift zum Südlichen Afrika. Afrika Süd liefert kritische Hintergrundanalysen, stellt konkrete Projekte vor und lässt Akteure zu Wort kommen. // THEMEN DER AUSGABE:
Editorial: Eine Region in autorkratischer Schieflage, Kommentar von Lothar Berger, Angola: Vertrieben in Cunene - Landnahme durch ein Agro-Business-Projekt im Süden Angolas, Malawi: Steuerschlupflöcher aufdecken - Die Panama Papers und der Cashgate-Skandal, Südliches Afrika: Befreiung und nationale Identität - Gespräch mit Reinhart Kößler. Weitere Themen in der Ausgabe: Südafrika: Dammbruch nach Kathradas Tod, Südafrika: Historische Perspektivwechsel auf zwei Kontinenten, Simbabwe: Kaum noch erträglich - Menschenrechtssituation und Druck auf Medien, Botswana: Wie unter Ian Khama die Freiheit schrumpft, DR Kongo: Kasai – lokale und nationale Gewaltspiralen, Tansania: Megaprojekte der Öl- und Gasindustrie // www.afrika-sued.org
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EDITORIAL<br />
<strong>afrika</strong> <strong>süd</strong> berichtet<br />
über die Länder der<br />
Entwicklungsgemeinschaft SADC:<br />
Angola • Botswana • DR Kongo •<br />
Lesotho • Madagaskar • Malawi •<br />
Mauritius • Mosambik • Namibia<br />
• Sambia • Seychellen • Simbabwe •<br />
Süd<strong>afrika</strong> • Swasiland • Tansania<br />
Eine Region in autokratischer Schieflage<br />
Was läuft nur falsch im <strong>süd</strong>lichen Afrika? Da vollführt ein völlig<br />
abgedrehter Jacob Zuma einen politischen Eiertanz, um sich mit<br />
Personalentscheidungen bar jeglicher Vernunft trotz immer lauter<br />
werdender Rücktrittsforderungen an der Macht zu halten – in einem<br />
Süd<strong>afrika</strong>, das nach der Abschaffung der Apartheid der demokratische<br />
Motor der Region hätte sein können. Doch die ANC-Regierung<br />
hat nie wirklich geliefert, die versprochene Umverteilung blieb aus.<br />
Stattdessen hat die Herrscherklasse ein Patronagesystem errichtet.<br />
Eine unbehagliche Erkenntnis drängt sich auf: Passt diese Aussage<br />
nicht fast ausnahmslos auf die gesamte SADC-Region?<br />
Die Osterzeit ließ sich nutzen, noch einmal Pier Paolo Pasolinis<br />
Verfilmung des 1. Matthäus-Evangeliums, die Leidensgeschichte<br />
Jesu, aus dem Jahr 1964 anzuschauen. Der Meisterregisseur lässt zu<br />
Beginn und in Szenen, in denen Wunder geschehen – wie in der Auferstehungsszene<br />
–, das feurige Gloria der Missa Luba erklingen. Eine<br />
kraftvolle und Hoffnung verheißende lateinische Messe aus Rhythmen<br />
und polyphonen Gesängen der Baluba, aufgezeichnet in den<br />
1950er Jahren von einem belgischen Missionar im Kongo.<br />
Ausgerechnet die Baluba – meine Gedanken kehrten zurück in<br />
die traurige Realität des heutigen Kongo. Die Tshiluba sprechenden<br />
Bevölkerungsgruppen wohnen in einer der von heftigen Konflikten<br />
betroffenen Regionen des Landes. Über Jahrhunderte hatten die Baluba<br />
ihr eigenes Reich, bis sie sich der brutalen Kolonialherrschaft<br />
König Leopolds II von Belgien geschlagen geben mussten. Es folgten<br />
die Katanga-Sezession nach der Unabhängigkeit des Kongo 1960<br />
und ab 1996 die Leiden in den verschiedenen Kongo-Kriegen. Seit einigen<br />
Monaten erleben die Kasai-Provinzen blutige Gewaltausbrüche<br />
mit Hunderten von Toten. Der Konflikt ist vielschichtig, hat aber<br />
auch mit der Weigerung von Kongos Machthaber Joseph Kabila zu<br />
tun, der Verfassung des Landes Folge zu leisten und abzutreten. Lieber<br />
schickt er seine Armee in die Unruheprovinzen. Mittlerweile 40<br />
Massengräber haben UN-Mitarbeiter in Kasai-Zentral entdeckt. Das<br />
Drama in der DR Kongo geht weiter. Kein Land hat seit dem Zweiten<br />
Weltkrieg mehr Tote zu beklagen.<br />
Die ekstatischen Gesänge der Baluba, mit denen Pasolini den<br />
Gläubigen wie den Ungläubigen einst einen Ausweg aus dem Leiden<br />
der Menschheit suggerierte, scheinen längst verstummt, die Wunder<br />
bleiben aus. Auch in anderen SADC-Staaten breiten sich zunehmend<br />
autokratischen Tendenzen aus. Da ist das abgehalfterte Mugabe-Regime<br />
in Simbabwe, dessen Sicherheitskräfte den Alltag für<br />
Menschenrechtsaktivisten und Journalisten nahezu unerträglich<br />
machen. Von der abgehobenen und korrupten Machtelite in Luanda<br />
ganz zu schweigen, die im äußersten Süden Angolas aus eigenen Geschäftsinteressen<br />
riesige Anbauflächen niederwalzen lässt und sich<br />
darüber empört, dass die vertriebenen Kleinbauern sich erdreisten,<br />
gegen die Landnahme vorzugehen. Da ist der Cashgate-Skandal der<br />
letzten Regierungen in Malawi und Sambias Präsident Edgar Lungu<br />
entpuppt sich als Mitstreiter im Wettkampf um die härteste der eisernen<br />
Fäuste in der Region. Er lässt den Oppositionsführer verhaften<br />
und wegen Hochverrats anklagen. Darauf droht in Sambia die<br />
Todesstrafe. Und selbst in Botswana eifert Präsident Ian Khama seinen<br />
Amtskollegen aus den Nachbarstaaten nach: Die Todesfälle von<br />
Oppositionellen häufen sich im „Musterland der Demokratie“.<br />
Die Reihe ließe sich fortsetzen: das Machtgezetere in Lesotho, die<br />
andauernde Diktatur von König Mswati III. in Swasiland, und nun<br />
verspielt auch Tansanias Präsident John Magufuli mit repressivem<br />
Vorgehen gegen Journalisten, Blogger und Rapper seinen Kredit aus<br />
den ersten Monaten seiner Amtszeit.<br />
Macht korrumpiert – mit dieser einfachen Formel ist die heutige<br />
Entwicklung nicht zu greifen. Das Problem einer anhaltenden<br />
strukturellen Gewalt in postkolonialen Gesellschaften ist komplexer,<br />
nicht nur in Afrika. Der in Kamerun geborene Philosoph und<br />
Historiker Achille Mbembe sieht das Aufbrechen gewaltvoller Konflikte,<br />
von asymmetrischen Kriegen, dichten Grenzen und innerlich<br />
zerrissenen Staaten in Zusammenhang mit dem Ende der liberalen<br />
Demokratie. Das Modell, das sich in den entwickelten Regionen der<br />
Welt seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs bewährt habe, sei an<br />
seine Grenzen gestoßen. „Heute dominiert die Rationalität des Finanzkapitalismus,<br />
und die ist immer weniger verträglich mit den<br />
Prinzipien einer demokratischen Ordnung“, sagte er in einem Spiegel-Interview<br />
(11/<strong>2017</strong>).<br />
Wo sich turbokapitalistische Kräfte entfalten, kann vernünftige<br />
Politik kaum noch gestalten. Das gilt für Afrika ebenso wie für Europa<br />
und anderswo. Vielleicht hatte Erfried Adam, damaliger Afrika-<br />
Referent der Friedrich-Ebert-Stiftung, bei einem Mosambik-Vortrag<br />
in den 1990er Jahren recht, als er meinte, womöglich liege die Demokratie<br />
in Mosambik jenseits von Parteien. Man ist heute geneigt zusagen:<br />
überall. Die Chaos-Phase der „langen Nacht“ des Umbruchs, in<br />
der etablierte Parteien zusammenbrechen und sich zivilgesellschaftliche<br />
Bewegungen in den Vordergrund drängen, scheint unvermeindlich.<br />
Für Mbembe ist Afrika „ein Labor, ein Experimentierfeld<br />
der Zukunft“. Eines Tages könnte das Wunder doch geschehen und<br />
gerade von dort der Impuls für eine neue demokratische Ordnung<br />
ausgehen.<br />
Lothar Berger<br />
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