Mitteilungsblatt Teil 2 öffnen - Heimkehr-Hannover.de
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Die heilige Weihnachtszeit<br />
Über <strong>de</strong>r Waldlandschaft liegt eine starre,<br />
blasse Winternacht. Am Himmel<br />
steht <strong>de</strong>r Mond, aber <strong>de</strong>r Schnee auf <strong>de</strong>n<br />
Fichtenbäumen flimmert nicht, <strong>de</strong>nn<br />
<strong>de</strong>r Mond und die Sterne sind durch<br />
eine matte Wolkenschicht ver<strong>de</strong>ckt. In<br />
solcher Dämmerung sind die Höhenrücken<br />
und die Täler und Schluchten nur<br />
unbestimmt zu sehen, hier ragen die<br />
schwarzen Zacken <strong>de</strong>r Bäume schärfer<br />
auf, weiterhin verschwimmen die<br />
Umrisse <strong>de</strong>r Berge und Bäume teils in<br />
Frohlust, teils im Schleier eines sachte<br />
beginnen<strong>de</strong>n Schneiens.<br />
Durch diese Nacht zittert ein Klingen.<br />
Es kommt von allen Seiten her, es ist,<br />
als ob die Schneeflocken in <strong>de</strong>r Luft<br />
klängen. Es steigt von <strong>de</strong>n Tälern herauf,<br />
wo Dörfer und Kirchen stehen,<br />
es sind die Glocken <strong>de</strong>r heiligen Weihnacht.<br />
Welch eine wun<strong>de</strong>rbare Erscheinung<br />
an diesem Tage! Wenn eines Tages am<br />
Himmel zwei Sonnen stehen, so ist das<br />
Wun<strong>de</strong>r nicht größer, als jenes, das sich<br />
am Weihnachtsfeste vollzieht. Das ist<br />
ein Tag, an welchem von all <strong>de</strong>n eigennützigen<br />
Menschen keiner an sich, je<strong>de</strong>r<br />
an an<strong>de</strong>re <strong>de</strong>nkt. Einer <strong>de</strong>n an<strong>de</strong>rn mit<br />
Freu<strong>de</strong>n zu überraschen, mit Gaben zu<br />
überhäufen, das ist das Ziel dieses Tages.<br />
Es ist kalter Winter, aber keinen<br />
friert, <strong>de</strong>nn die Kerzen sind warm. Es<br />
gibt heimliche Arbeit Tag und Nacht,<br />
keiner ermü<strong>de</strong>t, keinen hungert, die<br />
Liebe zum Mitmenschen stärkt und<br />
sättigt alle.<br />
Es ist, als ob die Naturgesetze an<strong>de</strong>re<br />
wären, und fast bangt man um das<br />
Gleichgewicht <strong>de</strong>r Welt, da so plötzlich<br />
alles in Freu<strong>de</strong> ist, da so plötzlich die<br />
Allgewalt <strong>de</strong>r Charitas herrscht. Wenn<br />
ich am Morgen <strong>de</strong>s Weihnachtsabends<br />
erwache und mein Auge auf <strong>de</strong>n Christbaum<br />
fällt, <strong>de</strong>r in Erwartung <strong>de</strong>r nahen<br />
Jubelstun<strong>de</strong> still auf <strong>de</strong>m weiß ge<strong>de</strong>ckten<br />
Tische steht, da wer<strong>de</strong>n mir die<br />
Augen feucht. O Weihnachtsfest, das<br />
du die Herzen <strong>de</strong>r Menschen erweckest<br />
und mit himmlischem Maienhauch die<br />
Er<strong>de</strong> zum Heiligtum wan<strong>de</strong>lst, sei gegrüßt!<br />
Sei gegrüßt, du göttliches, du unbegreifliches<br />
Weihnachtsfest.<br />
Peter Rosegger (1843-1918)<br />
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