KUNSTINVESTOR AUSGABE SEPTEMBER 2017
KUNSTINVESTOR Kunst als Kapitalanlage AUSGABE SEPTEMBER2017 Chefredakteur: Michael Minassian
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Kunst als Kapitalanlage
AUSGABE SEPTEMBER2017
Chefredakteur: Michael Minassian
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KUNST.INVESTOR Kommentar – Otto Hans Ressler<br />
Sammler besitzen ein ausgeprägtes Sensorium für<br />
Werte; sie kennen das ebenso sinnliche wie<br />
intellektuelle Vergnügen, den Dingen auf den Grund zu<br />
gehen. Sie entwickeln eine immer stärker werdende<br />
Begeisterung für das, was sie tun. Sammler sind<br />
Genussmenschen; sie genießen die intellektuellen<br />
Herausforderungen von Kunst und sie genießen das<br />
Erlebnis der Schönheit von Kunst. Josef Popper, ein<br />
von Albert Einstein besonders geschätzter<br />
Sozialreformer aus Wien, formulierte 1901 in einer<br />
Schrift seinen Kulturbegriff als die Summe aller<br />
Äußerungen und Betätigungen von Menschen, die eine<br />
Erhöhung des Glücks zur Folge haben. Was er über<br />
den technischen Fortschritt schrieb, stellte er nicht<br />
zufällig der Kunst und ihrer Bedeutung gegenüber:<br />
„Man sagt, die Fortschritte in der Wissenschaft ….<br />
seien eine Forderung der Vernunft, jene der Technik<br />
eine Forderung unseres Nutzens und unserer<br />
Bequemlichkeit; aber …. ich behaupte: Beide, sowohl<br />
die wissenschaftliche wie auch die technische Tätigkeit,<br />
dienen auch zur Befriedigung unserer Empfindungen,<br />
und zwar unserer ästhetischen Empfindungen, wie das<br />
seit jeher die Kunst zu bewirken imstande war.“ Diese<br />
ästhetischen, sinnlichen, das Gemüt bewegenden<br />
Aspekte sind allein schon deshalb so wichtig, weil sich<br />
daraus moralische und ethische Konsequenzen<br />
ableiten. Die Gemeinsamkeiten zwischen Kunst und<br />
Wissenschaft mögen überraschen; aber neben den<br />
offensichtlichen Unterschieden – vor allem jenen der<br />
praktischen Anwendung – gibt es eben auch<br />
wesentliche Parallelen. Natürlich ist jedem von uns klar,<br />
dass man mit einem Gedicht niemanden töten kann,<br />
was sich von vielen technischen Errungenschaften<br />
nicht behaupten lässt. Aber es hat sich mehr als einmal<br />
in der Geschichte erwiesen, dass eine spitze Feder<br />
tödlicher als das schärfste Messer sein kann, und ein<br />
Wort oder ein Bild mächtiger als eine Waffe. Und<br />
deshalb gibt es so etwas wie eine (moralische)<br />
Verantwortung nicht nur auf Seiten der Wissenschaft,<br />
sondern ebenso auf Seiten der Kunst; auch und gerade<br />
weil die Kunst „alles darf und nichts muss“. Denn „jede<br />
neue ästhetische Realität präzisiert die ethische. Denn<br />
die Ästhetik ist die Mutter der Ethik. Die Begriffe schön<br />
und hässlich sind ästhetische Begriffe, die den<br />
Kategorien gut und böse vorausgehen. In der Ethik ist<br />
gerade deshalb nicht alles erlaubt, weil in der Ästhetik<br />
nicht alles erlaubt ist.“ Josef Brodsky, der 1996<br />
verstorbene russisch-amerikanische Dichter, spricht<br />
hier etwas von sehr weit reichender Bedeutung aus:<br />
Am Anfang unseres wahrnehmenden und sinnlichen<br />
Lebens stehe eine ästhetische Wahl, und bei dieser<br />
Wahl orientierten wir uns an der Schönheit, die wir<br />
erfassen. Und erst diese Art der Wahrnehmung werde<br />
zur Quelle unserer Moral. Was läge daher näher, als<br />
uns auf diese Fähigkeit zur sinnlichen Erkenntnis der<br />
Wirklichkeit zu besinnen: „Je reicher die ästhetische<br />
Erfahrung eines Individuums, desto unbeirrbarer sein<br />
Geschmack, desto präziser sein moralisches Urteil,<br />
desto größer seine Unabhängigkeit.“ (Brodsky) Der<br />
Zusammenhang zwischen Geschmacksbildung<br />
aufgrund ästhetischer Erfahrungen und der Fähigkeit,<br />
souveräne moralische Entscheidungen zu treffen, mag<br />
im ersten Augenblick überraschen, ja sogar<br />
erschrecken. Aber wenn er stimmt, bedeutete es, dass<br />
alle Erziehung viel stärker darauf abzielen sollte,<br />
unsere ästhetische Wahrnehmungsfähigkeit zu<br />
vertiefen. Und das geschieht auf keine Weise<br />
eindringlicher, nachhaltiger und besser als in der<br />
Auseinandersetzung mit Kunst. Kunsterziehung sollte<br />
unter diesem Gesichtspunkt einen ganz neuen<br />
Stellenwert erhalten. Denn anthropologisch gesehen,<br />
erklärte Josef Brodsky, sei der Mensch zunächst ein<br />
ästhetisches und erst dann ein ethisches Wesen.<br />
Deshalb sei die Kunst auch nicht ein Nebenprodukt der<br />
Entwicklung der Art, sondern es sei genau umgekehrt:<br />
Wenn das, was uns von den übrigen Spezies<br />
unterscheide, die Schriftsprache sei, die Kunst sei, so<br />
müssen Literatur und Kunst die höchsten Formen<br />
unseres Ausdrucks sein. Oder, vereinfacht gesagt: Die<br />
Bestimmung unserer Art.