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Breslau/Wrocław – die ehrgeizige Stadt - Instytut Filologii Germańskiej

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Zeitschrift der Germanistik – Studenten


Impressum<br />

Chefredakteur: Rafał Biskup<br />

Redakti on: Natalia Domagała, Katarzyna Kurka, Rafał Biskup, Mariusz Dzieweczyński<br />

Layout: Katarzyna Kurka<br />

Cover: Katarzyna Kurka<br />

Korrekturen: Clara Liehmann, Mariusz Dzieweczyński<br />

Anschrift : <strong>Instytut</strong> <strong>Filologii</strong> Germańskiej, pl. Nankiera 15, 50-140<br />

E-Mail: elixiere.germanistyka@gmail.com<br />

Aufl age: 200<br />

Druck: Ofi cyna Wydawnicza ATUT Wrocławskie Wydawnictwo Oświatowe.<br />

ul. T. Kościuszki 51A, 50-011 Wrocław<br />

Finanzierung: Mit freundlicher Unterstützung des Insti tuts für Germanisti k<br />

der Universität Wrocław, des Dekans der Philologischen Fakultät der Universität Wrocław<br />

und der Prorektorin der Universität Wrocław.<br />

Für den Inhalt der Texte sind nur allein <strong>die</strong> Autoren verantwortlich.


VORWORT<br />

Inhalt<br />

Elixiere, <strong>die</strong> fünft e... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4<br />

AKTUELLES<br />

Unsere Kulturen sind sich ähnlich und unterschiedlich zugleich, sie bereichern sich<br />

gegenseiti g. Ein Gespräch mit Prof. Dr. Marek Hałub, dem Vizedirektor des Insti tuts<br />

für Germanisti k der Universität Wrocław und dem Leiter des Lehrstuhls für Kultur<br />

der deutschsprachigen Länder und Schlesiens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5<br />

<strong>Breslau</strong>/Wrocław – <strong>die</strong> <strong>ehrgeizige</strong> <strong>Stadt</strong> . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10<br />

www.niemcy-online.pl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11<br />

Germanisten bezwingen den Balkan! . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14<br />

Wanderweg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16<br />

Gespräch mit Pastor Dawid Mendrok über <strong>die</strong> aktuelle Situati on der deutschen<br />

evangelischen Minderheit in Niederschlesien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17<br />

Schlesische Alltagsbilder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20<br />

FACHSCHAFTEN<br />

Good news: we’ll survive. Infekti onskrankheit ‘Angliziti s’ ist nicht lebensbedrohlich . . . 22<br />

— JKNG — . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24<br />

Die Germanisti sche Fachschaft und Friederike Kempner . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25<br />

In Rübezahls Reich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26<br />

REZENSIONEN UND BERICHTE<br />

Deutsche Kinowoche „niemieckie niuanse...deutsche details…” . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28<br />

Schwaben und seine Dichter – eine Berichterstatt ung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30<br />

„Ein deutscher Dichter bin ich einst gewesen“. <strong>Breslau</strong>er und Neisser Studenten<br />

bei der Ausstellungseröff nung in Düsseldorf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32<br />

„Ein deutscher Dichter bin ich einst gewesen“. Max Herrmann Neisse auf polnisch . . . . 33<br />

Germanisten feiern am besten. Bergfest im Mafi a-Style, 3. März 2011 . . . . . . . . . . . . . . 35<br />

KUNST<br />

StreetArt in <strong>Breslau</strong> . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37


Elixiere 5. Ausgabe Wrocław 2011<br />

Liebe Leserinnen, liebe Leser,<br />

Vor Ihnen/euch <strong>die</strong> fünft e Nummer der Zeitschrift<br />

Elixiere.<br />

Wieder einmal beweisen <strong>die</strong> Autoren, dass am<br />

Insti tut für Germanisti k der Universität Wrocław<br />

vieles passiert, „was nicht auf dem Lehrplan steht“.<br />

Einerseits entwickelte <strong>die</strong> Zeitschrift seit ihrer Reakti<br />

vierung ihr eigenes Profi l, andererseits ist jede<br />

Nummer einzigarti g. So auch <strong>die</strong>se.<br />

Eröff net wird <strong>die</strong> Nummer durch ein Interview<br />

mit dem Vizedirektor der hiesigen Germanisti<br />

k und dem Leiter des Lehrstuhls für Kultur der<br />

deutschsprachiger Länder und Schlesiens, Prof.<br />

Dr. Marek Hałub. Darin wird sowohl das Profi l<br />

des Lehrstuhls skizziert, wie auch aktuelle Fragen<br />

zum Thema der deutsch-polnischen Beziehungen<br />

beantwortet. Zusammenfassen könnte man <strong>die</strong>s<br />

mit den Worten von Prof. Hałub: „Unsere Kulturen<br />

sind sich ähnlich und unterschiedlich zugleich, sie<br />

bereichern sich gegenseiti g“.<br />

Womit sich das Internetportal www.niemcyonline.pl<br />

beschäft igt, erklärt in einem Interview<br />

der Chefredakteur des Portals, Tomasz Sikora. Es<br />

soll zugleich auch <strong>die</strong> Einladung für alle Germanisti<br />

kstudenten sein, <strong>die</strong>ses Portal akti v mitzugestal-<br />

Seite 4<br />

Elixiere, <strong>die</strong> fünfte...<br />

VORWORT<br />

ten, um auch über das „Wichti gste außerhalb der<br />

Oder“ zu berichten.<br />

Die Fachschaft en berichten im weiteren über<br />

ihre Akti vitäten, im Teil „Berichte und Rezensionen“<br />

werden Stu<strong>die</strong>nreisen geschildert, <strong>die</strong> <strong>die</strong><br />

Germanisti kstudenten unternommen haben. Es<br />

fi ndet sich auch ein Bericht über <strong>die</strong> <strong>die</strong>sjährige<br />

Kinowoche, <strong>die</strong> im Mai statt gefunden hat wie auch<br />

eine Schilderung über <strong>die</strong> Feier der Studenten des<br />

dritt en Stu<strong>die</strong>njahres. „Germanisten feiern am besten“<br />

hat <strong>die</strong> Autorin ihren Bericht beti telt. Dem<br />

kann man nur schwer widersprechen.<br />

In <strong>die</strong>ser Nummer fi nden sich zwar keine Gedichte,<br />

dafür aber ein sehr interessanter Arti kel<br />

über „StreetArt in <strong>Breslau</strong>“, das <strong>die</strong> Redakti on unter<br />

<strong>die</strong> Rubrik „Kunst“ eingeordnet hat. Vielleicht<br />

macht uns der Text und <strong>die</strong> dazugehörenden Bilder<br />

noch mehr auf <strong>die</strong> kleinen Schätze unserer <strong>Stadt</strong><br />

aufmerksam? Schön wär’s...<br />

Zum Schluss möchten wir wieder einmal alle<br />

Germanisti kstudenti nnen und –Studenten dazu<br />

einladen, <strong>die</strong> Zeitschrift Elixiere akti v mitzugestalten.<br />

Wir warten auf euch.<br />

Und nun... viel Spaß beim lesen<br />

Rafał Biskup


Elixiere 5. Ausgabe Wrocław 2011 AKTUELLES<br />

Unsere Kulturen sind sich ähnlich<br />

und unterschiedlich zugleich,<br />

sie bereichern sich gegenseitig<br />

Ein Gespräch mit Prof. Dr. Marek Hałub, dem Vizedirektor<br />

des Insti tuts für Germanisti k der Universität Wrocław und dem Leiter<br />

des Lehrstuhls für Kultur der deutschsprachigen Länder und Schlesiens<br />

Elixiere: Welche berühmten, mit der <strong>Stadt</strong><br />

Wrocław (<strong>Breslau</strong>) verbundenen Persönlichkeiten<br />

haben sich Ihrer Meinung nach am stärksten<br />

für <strong>die</strong> Verbesserung der deutsch-polnischen Beziehungen<br />

ver<strong>die</strong>nt gemacht?<br />

Prof. Dr. Marek Hałub: Obwohl man in der heuti -<br />

gen Zeit, in der Zeit des sich vereinigenden Europas<br />

gegenüber Schlesien oder <strong>Breslau</strong> sehr oft <strong>die</strong> Metapher<br />

der „Brücke“ verwendet, darf man nicht vergessen,<br />

dass Schlesien im Laufe seiner Geschichte<br />

eine Grenzregion war, ein Gebiet, das sehr oft <strong>die</strong><br />

Polen und <strong>die</strong> Deutschen geteilt hat. Von daher haben<br />

wir keinen Überschuss der mit <strong>Breslau</strong> verbundenen<br />

Persönlichkeiten, <strong>die</strong> <strong>die</strong> Polen mit den Deutschen<br />

zusammen gebracht hätt en. An erster Stelle<br />

sollte man <strong>die</strong> Gestalt des <strong>Breslau</strong>er Erzbischofs und<br />

Kardinals Bolesław Kominek stellen. Er war Haupti niti<br />

ator und Autor des Briefes polnischer Bischöfe an<br />

<strong>die</strong> deutschen Bischöfe aus dem Jahr 1965 mit der<br />

legendären Botschaft „Wir vergeben und bitt en um<br />

Vergebung”. Aus unserer philologischen Perspekti ve<br />

kann man gewisse <strong>Breslau</strong>er Vertreter sowohl der<br />

polnischen, wie auch der deutschen Literatur nennen,<br />

denen ein gutes Klima zwischen <strong>die</strong>sen beiden<br />

Ländern nicht gleichgülti g gewesen ist. Erwähnen<br />

möchte ich an <strong>die</strong>ser Stelle vor allem zwei Gestalten,<br />

<strong>die</strong> mit dem preußischen <strong>Breslau</strong> in Verbindung stehen.<br />

Es war der bekannte <strong>Breslau</strong>er Dichter aus dem<br />

19. Jh. Karl von Holtei, der mit seinem Lustspiel Der<br />

alte Feldherr <strong>die</strong> Gestalt Tadeusz Kościuszkos in das<br />

Bewusstsein seiner Zeitgenossen einführte. Darüber<br />

hinaus sprach er seine Solidarität zum Novemberaufstand<br />

aus. Und Hoff mann von Fallersleben, Autor<br />

des „Deutschlandliedes”, der zwanzig Jahre in <strong>Breslau</strong><br />

gelebt hat, betonte in seiner Schlesienforschung<br />

immer wieder <strong>die</strong> slawischen Wurzeln Schlesiens. Er<br />

erforschte auch <strong>die</strong> polnische Kultur <strong>die</strong>ser Region, in<br />

einem seiner Gedichte brachte er sogar den Mut auf,<br />

Preußen wegen der Teilungen Polens anzugreifen.<br />

Trotz <strong>die</strong>ser Polenfreundlichen Akzente stand für <strong>die</strong>se<br />

beiden Gestalten jedoch <strong>die</strong> deutsche Statt raison<br />

immer an erster Stelle.<br />

In meinen Vorträgen zum Thema der deutschpolnischen<br />

Beziehungen ziti ere ich immer sehr<br />

gerne ein Brieff ragment des in Wrocław geborenen<br />

deutschen Autors Heinz Winfried Sabais an<br />

Tadeusz Różewicz mit dem Titel Brief von <strong>Breslau</strong><br />

nach Wrocław, wo er zu einer sehr interessanten<br />

Schlussfolgerung kommt: „Lieber Tadeusz<br />

Różewicz, wir beide / sind Civies Wrati slavienses.<br />

Gott will es. / Die <strong>Stadt</strong> hat uns beide in ihre Geschichte<br />

/ genommen (…) Wir müssen uns leiden.<br />

Oder wir sterben”.<br />

Wie wird Schlesien und seine Hauptstadt <strong>Breslau</strong><br />

von den Deutschen betrachtet?<br />

Es ist eine sehr allgemeine Frage, auf <strong>die</strong> man<br />

nur schwer antworten kann. Für viele Deutsche,<br />

vor allem für <strong>die</strong> junge Generation, <strong>die</strong> in ihrer<br />

starken Orientierung Richtung Westen Osteuropa<br />

den Rücken kehrt, spielen Schlesien und<br />

<strong>Breslau</strong> keine große Rolle. Vor kurzem habe ich<br />

von einem Versuch gehört, an einer deutschen<br />

Universität eine Stu<strong>die</strong>nreise für Germanistikstudenten<br />

mit dem Thema „Auf Eichendorffs<br />

Spuren“ zu veranstalten. An einer Stu<strong>die</strong>nreise<br />

Seite 5


Elixiere 5. Ausgabe Wrocław 2011 AKTUELLES<br />

nach Schlesien war niemand interessiert und so<br />

musste sie abgesagt werden.<br />

Für <strong>die</strong> aus Schlesien umgesiedelten Menschen,<br />

<strong>die</strong> hier ihre Wurzeln haben, ist <strong>die</strong>s ihre<br />

verlorene Heimat, mit deren Verlust sie sich schon<br />

abgefunden haben. Sie besuchen – sehr oft nostalgisch<br />

eingestellt – ihre Heimat, sie knüpfen Kontakte<br />

mit den Polen, nicht selten unterstützen sie<br />

verschiedene Initi ati ven, <strong>die</strong> ihrer Heimat und<br />

der deutsch-polnischen Zusammenarbeit zugutekommen.<br />

Für deutsche Schlesienforscher ist das<br />

ein Gebiet von sehr effi zienten Forschungen, <strong>die</strong><br />

sie meistens in enger Zusammenarbeit mit polnischen<br />

Wissenschaft lern und Forschungsinsti tuti onen<br />

unternehmen.<br />

In der deutschen Wahrnehmung Schlesiens<br />

und <strong>Breslau</strong>s erschien in den letzten Jahren ein<br />

vollkommen neuer Aspekt. In den deutschen Me<strong>die</strong>n<br />

vor allem wird <strong>Breslau</strong> paradigmati sch als <strong>die</strong><br />

führende Metropole des sich modernisierenden<br />

Polens dargestellt, aber auch als ein vorbildhaft er<br />

Ort des europäischen Kollekti vgedächtnisses, das<br />

<strong>die</strong> heuti gen <strong>Breslau</strong>er sehr eff ekti v – und ohne<br />

jegliche Vorbehalte – pfl egen können.<br />

Welche sind Ihre persönlichen Erfahrungen in<br />

den deutsch-polnischen Kontakten?<br />

Generell betrachtet sind <strong>die</strong>se Erfahrungen sehr<br />

produkti v, <strong>die</strong> Zusammenarbeit mit Deutschen<br />

bildet ja den Rückgrat meiner wissenschaft lichen<br />

Sozialisati on. Ich habe in Deutschland circa 80<br />

Gastvorträge gehalten, zusammen mit meinen<br />

Kolleginnen und Kollegen aus Deutschland nehme<br />

ich an vielen wissenschaft lichen Projekten teil, ich<br />

publiziere und veranstalte Tagungen und Workshops.<br />

Wir verstehen uns blendend, ich fi nde auf<br />

<strong>die</strong>sem Gebiet aus der Perspekti ve meiner dreißigjährigen<br />

Arbeit keine Schwachpunkte. Da ich <strong>die</strong>ses<br />

Interview für eine Studentenzeitschrift gebe,<br />

möchte ich <strong>die</strong> sehr gute Benotung unserer Studenten<br />

an den deutschen Hochschulen durch <strong>die</strong><br />

dorti gen Wissenschaft ler unterstreichen. Sie sind<br />

beeindruckt von den sehr guten Deutschkenntnissen<br />

unserer Studenten, von der philologischen<br />

Werkstatt , der Kreati vität wie auch ... der Schönheit<br />

unserer Studenti nnen.<br />

Seite 6<br />

Sie leiten den Lehrstuhl für Kulturwissenschaft an<br />

unserem Insti tut. Was ermuti gt – Ihrer Meinung<br />

nach – <strong>die</strong> Studenten, eben <strong>die</strong>se Spezialisierung<br />

zu wählen und welche Möglichkeiten gibt uns <strong>die</strong><br />

Wahl <strong>die</strong>ser Richtung im Hinblick auf <strong>die</strong> Entwicklung<br />

unserer berufl ichen Karrieren außerhalb des<br />

Insti tuts?<br />

Es soll nicht überheblich klingen, aber ich hoff e<br />

Sie bestäti gen <strong>die</strong> Tatsache, dass das kulturwissenschaft<br />

liche Profi l sich unter den Studenten der<br />

<strong>Breslau</strong>er Germanisti k großer Popularität erfreut,<br />

unsere Lizenziats- und Magisterseminare sind zu<br />

einhundert Prozent belegt. Wir müssen <strong>die</strong> Studenten<br />

nicht speziell ermuti gen, sie kennen doch<br />

sehr gut unsere didakti sche Werkstatt und sie nehmen<br />

mit großem Interesse an unseren Seminaren<br />

teil.<br />

Wir realisieren Ansätze der interkulturellen<br />

Germanisti k, <strong>die</strong> auf das Einfühlungsvermögen orienti<br />

ert ist, also auf <strong>die</strong> Einführung der Studenten<br />

in <strong>die</strong> „Mental Maps” deutschsprachiger Länder.<br />

Ich bin äußerst erfreut, dass wir als einzige Germanisti<br />

k in Polen unseren Studenten drei Skripte<br />

zum nati onalen Identi tätsdiskurs der Deutschen<br />

(bearbeitet von Marek Hałub), der Österreicher<br />

(bearbeitet von Lucjan Puchalski) und der Schweizer<br />

(Dariusz Komorowski) liefern können. Indem<br />

wir <strong>die</strong> Identi tät anderer Nati onen kennen lernen,<br />

entdecken wir auch <strong>die</strong> unsere. Die Balance<br />

zwischen dem „Fremden“ und dem „Eigenen” ist<br />

auch eine Achse unserer Erforschung, daher unser<br />

Interesse für <strong>die</strong> Stereotypen. Unser Themenspektrum<br />

umfasst auch <strong>die</strong> Deutung einer Europäischen<br />

Identi tät wie auch das kennen lernen der<br />

ungewöhnlichen Kulturgeschichte Schlesiens.<br />

All <strong>die</strong>se Elemente bilden eine hervorragende<br />

Ausstatt ung für einen Studenten, der sich mit den<br />

Anforderungen des gegenwärti gen Arbeitsmarktes<br />

messen wird, sei es als Kulturmanager, Journalist,<br />

Verleger, Dolmetscher, als Mitarbeiter in<br />

der Touristi kbranche, in den Strukturen der Europäischen<br />

Union oder auf dem s.g. „Freien Markt“.<br />

Mein Lehrstuhl leitet auch <strong>die</strong> Fachrichtung „Kulturmanager<br />

in Zusammenarbeit der Regionen<br />

der Europäischen Union”, <strong>die</strong> auf <strong>die</strong> Täti gkeit im<br />

breiten Kultursektor vorbereitet. Im Rahmen <strong>die</strong>ses<br />

Studiums unterrichten wir etwa <strong>die</strong> prakti sche<br />

Be<strong>die</strong>nung der EU-Programme.


Elixiere 5. Ausgabe Wrocław 2011 AKTUELLES<br />

In der polnischen Wirklichkeit von heute empfi<br />

ndet man weiterhin eine große Abneigung den<br />

Deutschen gegenüber, deren Kultur und Gesellschaft<br />

. Es verwundert vor allem <strong>die</strong> Tatsache,<br />

dass man <strong>die</strong>se Tendenzen bei der jungen Generati<br />

on beobachten kann – <strong>die</strong>se wiederum lernte<br />

es von den Eltern und Großeltern. Ist es nicht<br />

beunruhigend, vor allem auch wegen der Tatsache,<br />

dass <strong>die</strong>se Abneigung auf einer allgemeinen<br />

gesellschaft lichen Wahrnehmung basiert, weniger<br />

dagegen auf eigenen Erfahrungen oder dem<br />

Kontakt mit dem „Deutschen“?<br />

Hier erlaube ich mir Ihnen zu widersprechen. Laut<br />

der neuesten Angaben, <strong>die</strong> von deutschen und<br />

polnischen Meinungsinsti tuten durchgeführt wurden<br />

– vertraut sind mir auch <strong>die</strong> Angaben der letzten<br />

Umfragen, <strong>die</strong> 2010 durch <strong>die</strong> Konrad-Adenauer-Sti<br />

ft ung gemacht wurden – stellt sich heraus,<br />

dass <strong>die</strong> Mehrheit der Polen freundlich gegenüber<br />

dem vereinten Deutschland und den Deutschen<br />

eingestellt ist. Die Polen unterstreichen <strong>die</strong> guten<br />

Beziehungen zu ihrem westlichen Nachbarn, weil<br />

im Kontext der polnisch-russischen Beziehungen<br />

<strong>die</strong> ersteren als vorbildhaft angesehen werden.<br />

Die polnischen und deutschen Politi ker sprechen<br />

heute von einem „Versöhnungswunder“, an Aktualität<br />

verliert <strong>die</strong> stereotypische Vorstellung der<br />

„Polnischen Wirtschaft “ wie auch das Dämonisieren<br />

der Deutschen. Es ist der natürliche Lauf der<br />

Dinge, dass unsere nati onalen Interessen nicht<br />

immer im Einklang stehen werden, das auf beiden<br />

Seiten immer Kontrapunkte entstehen und es<br />

auch Versuche geben wird, <strong>die</strong> Nachbarschaft für<br />

politi sche Spielchen zu missbrauchen. Man sollte<br />

jedoch immer darüber reden und nichts tabuisieren.<br />

Den Zustand der schizophrenen Zustände in<br />

unseren Relati onen haben wir bereits hinter uns,<br />

heute sind beide Seiten bereit zu einem sachlichen<br />

Gespräch über eine gemeinsame Erinnerungskultur;<br />

nicht <strong>die</strong> deutschen Landsmannschaft en mit<br />

ihren ewigen und überholten Aff ekten, sondern<br />

ein sachlicher Fachdiskurs wird in der Gestaltung<br />

des Kollekti vgedächtnisses Priorität haben. Ich bin<br />

stolz auf den gegenwärti gen Stand der deutschpolnischen<br />

Verhältnisse, darüber, dass ich jederzeit<br />

– ohne ein Visum und ohne Pass – mich auf<br />

einen Forschungsbesuch nach Deutschland begeben<br />

kann. Auch darüber, dass ich während der<br />

Aufenthalte an meiner Lieblingsuniversität, der<br />

Freien Universität zu Berlin, pausenlos auf unsere<br />

Studenten treff e, für <strong>die</strong> der Aufenthalt an der<br />

Spree oder ein Ausfl ug mit Billigairlines nach Italien<br />

eine „selbstverständliche Selbstverständlichkeit“<br />

ist.<br />

Uns Studenten wird oft <strong>die</strong> Unkenntnis über geschichtlich<br />

wichti ge Orte <strong>Breslau</strong>s und der Umgebung<br />

vorgeworfen, obwohl viele von sich aus<br />

eigentlich ein großes Interesse daran bekunden<br />

und den Zeitmangel als Grund für <strong>die</strong>ses Unwissen<br />

nennen. Wäre es nicht möglich, im Rahmen<br />

des kulturwissenschaft lichen Unterrichts „Ausfl üge“<br />

zu organisieren, mit der Einführung unserer<br />

Dozenten in den geschichtlich-gesellschaft lichen<br />

Hintergrund als Ergänzung? Vielleicht wurden<br />

bereits Schritt e in <strong>die</strong>se Richtung unternommen?<br />

Ich weiß nicht, ob in <strong>die</strong>ser Frage nicht <strong>die</strong> Sehnsucht<br />

nach der Verschulung unseres Studiums<br />

steckt. Mein Lehrstuhl organisiert für Sie eine<br />

Vielzahl von Seminaren, u. a. zum „Haus Schlesien“<br />

in Königswinter, nach Kreisau und Freiburg,<br />

Bad Kissingen und seit <strong>die</strong>sem Jahr auch zum<br />

Schlesischen Museum nach Görlitz. Auch unsere<br />

studenti sche Fachschaft organisiert unterschiedliche<br />

Stu<strong>die</strong>nreisen, unter anderem auch in Schlesien.<br />

Während meiner Vorlesungen ermuti ge ich<br />

<strong>die</strong> Studenten dazu, Schlesien in ihrer Freizeit zu<br />

besichti gen, während der Wochenenden oder<br />

Sommerferien, als eine Art individuelle Ergänzung<br />

des Stu<strong>die</strong>nplans. Jedes Jahr verspreche ich den<br />

Studenten, <strong>die</strong> auf eigene Faust <strong>die</strong> Friedenskirchen<br />

in Schweidnitz und Jauer, das Gerhart-Hauptmann-Haus<br />

in Agnetendorf, das „Schlesische Wawel“<br />

in Brieg besuchen oder sich – auf den Spuren<br />

Eichendorff s – Lubowitz, Rati bor und Neiße ansehen,<br />

dass ich ihnen <strong>die</strong> Reisekosten aus meiner<br />

eigenen Tasche zurückerstatt en werde, wenn <strong>die</strong><br />

genannten Reiseziele sie entt äuschen. Diejenigen,<br />

<strong>die</strong> das Abenteuer angegangen sind, unsere<br />

„kleine Heimat“ kennen zu lernen, sind von ihrem<br />

Reichtum bezaubert. Mit dem größten Vergnügen<br />

ermuti ge ich zu solchen individuellen Explorati onen<br />

und werde es auch weiterhin tun. Dasselbe<br />

gilt auch für <strong>Breslau</strong>. Beim ersten Vortrag weise<br />

ich immer darauf hin, <strong>die</strong> fantasti sche Ausstellung<br />

zur 1000-jährigen Geschichte der <strong>Stadt</strong> <strong>Breslau</strong> zu<br />

Seite 7


Elixiere 5. Ausgabe Wrocław 2011 AKTUELLES<br />

besuchen. Ich weise auch auf andere einzigarti ge<br />

Plätze unserer <strong>Stadt</strong> hin und erzähle über <strong>die</strong>se<br />

ausführlich. Ich denke, dass der Besuch <strong>die</strong>ser<br />

Orte für einen in <strong>Breslau</strong> wohnenden Studenten<br />

keiner besonderen Anstrengung erfordert. Hier erwarte<br />

ich von Ihnen entscheidend mehr Initi ati ve.<br />

Obwohl <strong>die</strong> Polen und <strong>die</strong> Deutschen unmitt elbare<br />

Nachbarn sind, unterscheiden sich unsere<br />

Kulturen zum Teil stark. Kann man von einer<br />

„goldenen Mitt e“ sprechen, <strong>die</strong> unsere weitere<br />

Zusammenarbeit erleichtern könnte?<br />

Unsere Kulturen sind sich ähnlich und unterschiedlich<br />

zugleich, sie bereichern sich gegenseitig,<br />

<strong>die</strong> deutsch-polnische Zusammenarbeit im<br />

Bereich Kultur trägt ihre besonderen Früchte. Es<br />

geht hier nicht um eine „zauberhafte“ goldene<br />

Mitte, sondern um eine effektive Zusammenarbeit<br />

von Menschen und Institutionen, <strong>die</strong> täglich<br />

auf allen möglichen Stufen statt findet, angefangen<br />

mit dem Polnischen Institut in Deutschland<br />

bis hin zu kulturellen Events, z. B. im Rahmen<br />

der Partnerschaften von Gemeinden oder Kirchengemeinden.<br />

Im Falle Deutschlands haben<br />

wir – so mein Eindruck – bessere Möglichkeiten<br />

im Vergleich zu anderen Ländern. Am Rhein gibt<br />

es eine dichte Reihe von Stiftungen, deren Vielzahl<br />

kulturelle Veranstaltungen fördert, auch ein<br />

sehr effektiv arbeitendes föderatives System ist<br />

dort vorhanden. Warum erwähne ich das? Weil<br />

<strong>die</strong> Kultur am Mangel der Finanzmitteln immer<br />

gelitten hat und immer noch leidet und es gerade<br />

in Deutschland relativ am leichtesten ist,<br />

an <strong>die</strong>se Mittel zur Förderung der internationalen<br />

Zusammenarbeit heran zu kommen. Mit<br />

viel Elan investieren wir auch unsere Mittel, um<br />

<strong>die</strong> polnische Kultur in Deutschland zu fördern,<br />

dort, wo unsere Künstler und ihre Werke sich<br />

seit langem ver<strong>die</strong>ntermaßen großer Beliebtheit<br />

erfreuen. Es ist natürlich nicht leicht, sich in so<br />

einem kulturellen Zentrum wie Berlin durchzusetzen,<br />

wo – wie es <strong>die</strong> Berliner mit Stolz unterstreichen<br />

– täglich 100 Kulturevents stattfinden.<br />

Ich habe jedoch den Eindruck, dass wir auf <strong>die</strong>sem<br />

Gebiet immer bessere Ergebnisse erzielen,<br />

wozu auch <strong>die</strong> EU-Mittel beitragen, um <strong>die</strong> wir<br />

uns effektiv bemühen.<br />

Seite 8<br />

Wie sieht <strong>die</strong> Förderung der deutschen Kultur und<br />

der Geschichte <strong>Breslau</strong>s an unserem Insti tut aus?<br />

Am Germanisti schen Insti tut der Universität<br />

Wrocław betreiben wir eine intensive Schlesienforschung,<br />

<strong>die</strong> Schlesien als ein besonderes Phänomen<br />

der europäischen Kultur zeigt, als einen<br />

Bereich von vielen kulturellen Traditi onen, um<br />

hier im Zusammenhang mit dem erwähnten <strong>Breslau</strong><br />

das polnische, tschechische, habsburgische<br />

und preußische, deutsche und jüdische Erbe zu<br />

nennen. Bei der Antwort auf <strong>die</strong>se Frage lohnt<br />

sich meiner Meinung nach, Prof. Gregor Thum zu<br />

ziti eren, der in seiner Monographie Die fremde<br />

<strong>Stadt</strong>: <strong>Breslau</strong> 1945 und nachher bemerkte, dass<br />

„<strong>die</strong> <strong>Breslau</strong>er Germanisten, <strong>die</strong> immer schon ein<br />

positi veres Verhältnis zur deutschen Geschichte<br />

der Region hatt en (...) Vorreiter eines veränderten<br />

Umgangs mit der Vorkriegsvergangenheit waren“.<br />

Wir sind uns nämlich – was in der Forschung immer<br />

wieder betont wurde – des amputi erten Gedächtnisses<br />

in Zusammenhang mit der Geschichte<br />

Schlesiens bewusst, <strong>die</strong> wir Germanisten derzeit<br />

entt abuisieren möchten. Ich ermuti ge alle unsere<br />

Studenten zur Lektüre des Bandes Mein Schlesien.<br />

Meine Schlesier, den ich im Moment zusammen<br />

mit Prof. Matt hias Weber aus Oldenburg in einer<br />

deutschen und polnischen Übersetzung herausgebe.<br />

Der Band beinhaltet acht Essays von <strong>Breslau</strong>er<br />

Germanisten und acht der mit uns zusammenarbeitenden<br />

deutschen Wissenschaft lern zum<br />

Thema unseres Verhältnisses zu unserer „kleinen<br />

Heimat“. Sie bekommen den Einblick in unsere<br />

biographische und wissenschaft liche Erfahrung<br />

mit Schlesien, ins besondere mit <strong>Breslau</strong>. Wenn es<br />

um unsere Akti vitäten in <strong>Breslau</strong> geht, verlassen<br />

wir oft <strong>die</strong> Mauern unserer Universität. Die von<br />

mir mitorganisierte Internati onale Konferenz zu<br />

Karl von Holtei haben wir im <strong>Breslau</strong>er Rathaus eröff<br />

net, ein Teil der Tagung – in polnischer Sprache<br />

– fand im Haus der Kultur in Obernigk statt . Unsere<br />

Wissenschaft ler präsenti eren ihre Publikati onen<br />

immer an den <strong>Breslau</strong>er Buchmessen, <strong>die</strong> jedes<br />

Jahr im Dezember stattf inden. Unsere Dozenten<br />

halten auch Vorträge für Schüler aus Gymnasien<br />

und Lyzeen, wo sie unsere Germanisti k vorstellen<br />

und auch <strong>die</strong> Ergebnisse unserer Forschungen an<br />

der schlesischen Kultur präsenti eren. Wir geben<br />

auch unsere populärwissenschaft liche, Quar-


Elixiere 5. Ausgabe Wrocław 2011 AKTUELLES<br />

talzeitschrift „Silesia Nova“ heraus, <strong>die</strong> sich mit<br />

Schlesien beschäft igt. Ich hege <strong>die</strong> Hoff nung, dass<br />

sie eine feste Lektüre der Studenten unserer <strong>Breslau</strong>er<br />

Germanisti k ist.<br />

Jedes Jahr hat eine Gruppe unserer Studenten<br />

<strong>die</strong> Möglichkeit, das „Haus Schlesien“ in Königswinter<br />

zu besuchen. Welche Idee steht hinter <strong>die</strong>sen<br />

Reisen? Was kann man daraus erfahren und<br />

welche Gäste warten auf <strong>die</strong> Studenten?<br />

Es ist ein einwöchiger Aufenthalt, der es für eine<br />

symbolische Summe (90% der Kosten übernimmt<br />

<strong>die</strong> deutsche Seite, den Rest <strong>die</strong> Studenten) ermöglicht,<br />

nicht nur eine Bildungsstätt e wie das<br />

„Haus Schlesien“ kennen zu lernen, sondern auch<br />

ähnliche Einrichtungen im Umfeld von Köln und<br />

Bonn. Dazu kommt noch <strong>die</strong> Teilnahme an einem<br />

für unsere Studenten zusammengestellten kulturwissenschaft<br />

lichen Programm, darunter <strong>die</strong><br />

Teilnahme an Seminaren an der Universität Bonn,<br />

der Empfang im Polnischen Konsulat in Köln, ein<br />

Besuch der Museen oder auch der Besuch eines<br />

Theater- oder Opernstücks. Für viele Studenten<br />

des zweiten Stu<strong>die</strong>njahres, für <strong>die</strong> wir <strong>die</strong>se Rei-<br />

se organisieren, ist das der erste Aufenthalt in<br />

Deutschland in ihrem Leben. Wichti g für unsere<br />

Studenten ist nicht nur das auf Schlesien bezogene<br />

Spektrum, das auf natürliche Weise den Mitt elpunkt<br />

der Seminarstunden darstellt, sondern auch<br />

das breite Deutschland bezogene Spektrum, dass<br />

<strong>die</strong> Möglichkeit bietet, „Land und Leute“ kennen<br />

zu lernen. Diese Seminare werden für Studenten<br />

einer Vielzahl von akademischen Einrichtungen in<br />

Polen organisiert, in Namen unserer Universität<br />

koordiniere ich sie seit vielen Jahren und es ist immer<br />

angenehm für mich, dass das Feedback von<br />

den Organisatoren aus Königswinter gleich lautet:<br />

<strong>die</strong> Studenten der <strong>Breslau</strong>er Germanisti k sind <strong>die</strong><br />

besten, sowohl auf der wissenschaft lichen, wie<br />

auch auf der sprachlichen Ebene.<br />

Prof. Hałub, wir bedanken uns bei Ihnen für das<br />

Gespräch.<br />

Magdalena Krywalska, Katarzyna Kurka<br />

Aus dem Polnischen übersetzt von Rafał Biskup<br />

und Mariusz Dzieweczyński<br />

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<strong>Breslau</strong>/Wrocław – <strong>die</strong> <strong>ehrgeizige</strong> <strong>Stadt</strong><br />

Polen liefert wieder mal Gesprächsstoff . Diesmal<br />

nicht wegen des ewigen Streits mit Erika Steinbach<br />

oder des Unglücks von Smoleńsk. Nein, <strong>die</strong>smal<br />

fällt ein Arti kel im Spiegel auf positi ve Weise<br />

auf. Er trägt den Titel Polen. Die <strong>ehrgeizige</strong> Nati on.<br />

Zur Abwechslung weist man darauf hin, dass Polen<br />

kein Hinterwäldlerstaat ist und das der Begriff Polnische<br />

Wirtschaft völlig an Aktualität verloren hat.<br />

<strong>Breslau</strong> ist der Vorreiter in Sachen Entwicklung<br />

und wirtschaft liches Wachstum.<br />

In dem Spiegel-Arti kel wird das Wachstum der<br />

polnischen Wirtschaft und der Wandel der Mentalität<br />

der Polen beschrieben. Der Aufsti eg zur wirtschaft<br />

lichen Macht wird am Beispiel des ehemaligen<br />

<strong>Breslau</strong> und des heuti gen Wrocław gezeigt.<br />

Man braucht nur kurz durch <strong>die</strong> <strong>Stadt</strong> zu spazieren,<br />

um zu merken, dass an jeder Ecke gebaut oder<br />

renoviert wird. Nicht nur, dass viele Straßenwege<br />

renoviert werden, auch viele neue Gebäude sollen<br />

in Kürze das Tageslicht erblicken. Besti mmt ist<br />

jedem aufgefallen, dass am Hauptbahnhof intensiv<br />

gearbeitet wird, um ihn für <strong>die</strong> EM 2012 einen<br />

neuen Glanz zu verschaff en. Auch <strong>die</strong> Arbeiten am<br />

neuen Stadion gehen rasch voran. Doch nicht nur<br />

für <strong>die</strong> Europameisterschaft wird gebaut. Der Geschäft<br />

smann und Millionär Leszek Czarnecki lässt<br />

seit 2006 ein Hochhaus bei der Wielkastraße bauen<br />

– einen modernen Wohn-, Büro- und Rekreati -<br />

onskomplex mit einer Höhe von 220 Metern und<br />

dem Namen Sky Tower. Doch <strong>die</strong> Liste der Bauiniti<br />

ati ven in <strong>Breslau</strong> ist damit nicht zu Ende. Man<br />

sollte noch das Businesszentrum Descont bei der<br />

Strzegomska- und Robotniczastraße und <strong>die</strong> Angelwings<br />

bei der Traugutt astraße nennen. Ein kurzer<br />

Besuch in einem der großen Einkaufszentren<br />

verrät uns, wie gerne <strong>die</strong> <strong>Stadt</strong>bewohner einkaufen.<br />

Wenn man sich <strong>die</strong> Einkaufslust in <strong>Breslau</strong> so<br />

ansieht, glaubt man gar nicht, dass es irgendwo<br />

eine Wirtschaft skrise geben könnte. <strong>Breslau</strong> wird<br />

auch immer öft er von den Radaren ausländischer<br />

Investoren erfasst. Die Gründung einer Firma oder<br />

einer Filiale in <strong>die</strong>ser <strong>Stadt</strong> ist ein vielversprechen-<br />

des Geschäft . Schon allein <strong>die</strong> Liste deutscher Firmen,<br />

<strong>die</strong> in <strong>Breslau</strong> Fuß fassen, ist ellenlang und<br />

wächst immer weiter.<br />

Auch wenn es um <strong>die</strong> Wissenschaft geht, entwickelt<br />

sich <strong>die</strong> <strong>Stadt</strong> prächti g. Die Zahl der Studenten<br />

steigt ständig an und es werden Konferenzen<br />

und Symposien veranstaltet. Wenn man sich<br />

nur im Bereich der Germanisti k umsieht, merkt<br />

man, wie viel in letzter Zeit getan wird. Im Mai<br />

2010 fand der I Zjazd Niemcoznawców in <strong>Breslau</strong><br />

statt ; der Exkanzler Gerhard Schröder hielt einen<br />

Vortrag über <strong>die</strong> Gefahren und Vorteile der Globalisierung<br />

in der Aula Leopoldina; Prof. Fritz Stern<br />

und Dr. jur. Richard von Weizsäcker fanden sich in<br />

<strong>Breslau</strong> zusammen, um den ehemaligen Bundespräsidenten<br />

Weizsäcker <strong>die</strong> Ehrenprofessorwürde<br />

zu verleihen, auch laufen <strong>die</strong> ganze Zeit Arbeiten<br />

an einem gemeinsamen deutsch-polnischen<br />

Geschichtsbuch. Dies sind nur ein paar Beispiele<br />

von Projekten, <strong>die</strong> im Rahmen der Germanisti k<br />

realisiert werden. Und das ist natürlich nicht der<br />

einzige Wissenschaft szweig, der eine positi ve Entwicklung<br />

zu verzeichnen hat. Am 27. April <strong>die</strong>ses<br />

Jahres wurde der Vertrag zwischen der <strong>Stadt</strong> <strong>Breslau</strong><br />

und der Organisati on Academia Europaea (einem<br />

internati onalen Wissenschaft lerverband mit<br />

rund 2000 Mitgliedern, darunter 38 Nobelpreisträger)<br />

unterschrieben. Der erste Sitz befi ndet sich<br />

in London, <strong>Breslau</strong> gewann den Wett bewerb um<br />

den zweiten Sitz gegen München, Straßburg und<br />

Barcelona.<br />

Eine wichti ge Tatsache wurde auch angesprochen.<br />

Polnische Firmen produzieren vor allem für<br />

den polnischen Markt. Nur 40% der Wirtschaft ist<br />

auf den Export eingestellt. Diese Fixierung auf den<br />

Binnenmarkt hielt man lange für eine Dummheit<br />

und eine große Schwäche der polnischen Wirtschaft<br />

. Diese Einstellung änderte sich um 180<br />

Grad nach dem Ausbruch der Weltwirtschaft skrise<br />

2009. Den niedrigen Exportzahlen und dem Mangel<br />

an Investi ti onen im Ausland verdankt Polen,<br />

dass es nicht in <strong>die</strong> Rezession abgerutscht ist. Im


Elixiere 5. Ausgabe Wrocław 2011 AKTUELLES<br />

Gegenteil – Polen ist das einzige Land in der EU,<br />

das 2009 einen Wirtschaft swachstum (von 1,1%)<br />

vermelden konnte. Die Polen selbst erwiesen sich<br />

im Ausland als Spitzenarbeitskräft e. Nicht nur Saisonarbeiter<br />

für den Spargelanbau, sondern auch<br />

Fachkräft e haben sich in vielen europäischen Ländern<br />

bewiesen. Informati ker und Computerexperten<br />

sind das Aushängeschild Polens.<br />

Doch leider ist nicht alles so rosarot, wie es der<br />

Autor des Arti kels beschreibt. Es wird behauptet,<br />

dass <strong>die</strong> Arbeitslosenquote in Polen seit dem EU-<br />

Beitritt auf 8% gesunken sei. Doch laut den Angaben<br />

des GUS (Główny Urząd Statystyczny) betrug<br />

<strong>die</strong> Zahl der Arbeitslosen in Polen im März 2011,<br />

13,1%. Es wird auch gesagt, dass es den Polen<br />

noch nie so gut ging wie heute. Das mag vielleicht<br />

sti mmen, aber das heißt nicht, dass <strong>die</strong> Lebensbedingungen<br />

hier mit denen in Westeuropa vergleichbar<br />

sind. Man schätzt, dass nach dem 1. Mai<br />

ca. 500.000 Polen nach Deutschland auswandern,<br />

um dort Arbeit zu fi nden. Diese Zahlen sprechen<br />

eine ganz deutliche Sprache. Es wird auch ein ruhiger<br />

Ton mit Moskau angesprochen. Seit der Veröff<br />

entlichung des MAK-Reports wird sich mancher<br />

besti mmt wundern, ob der Ton mit Moskau wirklich<br />

als entspannt bezeichnet werden kann. Viele<br />

namenhaft e Wirtschaft sexperten und Ökonomen<br />

wie z.B. Prof. Grzegorz Kołodko schlagen Alarm.<br />

Nach ihren Prognosen hält sich der Mythos der<br />

Grünen Insel Europas nicht lange und in den Jahren<br />

2012/2013 werden wir mit einer schlimmen<br />

Gespannt ti ppe ich auf meinem Computer <strong>die</strong><br />

Adresse www.niemcy-online.pl ein. Auf das Portal<br />

haben mich Wissenschaft ler aus dem Willy-<br />

Brandt-Zentrum aufmerksam gemacht. Was mir<br />

als aller erstes auff ällt, sind <strong>die</strong> polnische und<br />

deutsche Fahne, <strong>die</strong> sich, wie zwei gleichgesinnte<br />

Nachbarn, nebeneinander befi nden. Der Inhalt<br />

des Portals ist reich an Informati onen und Aussa-<br />

www.niemcy-online.pl<br />

Rezession zu kämpfen haben. Die Steuererhöhung<br />

im August letzten Jahres ist nur der erste Schritt in<br />

<strong>die</strong>ser Entwicklung.<br />

Die polnische Literatur wird dagegen in<br />

Deutschland immer öft er gelesen. Im dtv- und<br />

Fischer-Verlag tauchen schon seit Jahren Übersetzungen<br />

von polnischen Romanen auf. In Buchhandlungen<br />

kann man <strong>die</strong> Wiedźmin-Saga von<br />

Andrzej Sapkowski, <strong>die</strong> <strong>Breslau</strong>-Bücher von Marek<br />

Krajewski oder Werke von Klassikern wie Gombrowicz,<br />

Miłosz oder Szymborska fi nden. Erwähnenswert<br />

ist auch das Buch Viva Polonia von Steff en<br />

Möller, einem Deutschen, der im polnischen Fernsehen<br />

Karriere machte und sich in Land und Leute<br />

verliebte. Das Buch erlebte insgesamt 5 Neuaufl agen<br />

und befand sich vierzig Wochen lang auf den<br />

Bestsellerlisten. In Polen ist <strong>die</strong>ses Buch schon<br />

2006 unter dem Titel Polska da się lubić erschienen,<br />

wurde aber nicht so ein Verkaufserfolg wie<br />

sein deutscher Nachfolger. Schon allein <strong>die</strong> Tatsache,<br />

dass <strong>die</strong>ses Buch so beliebt ist, beweist, dass<br />

das Interesse an Polen wächst.<br />

Es ist schön zu wissen, dass unser Land an Anerkennung<br />

gewinnt. Wir müssen uns ständig vor<br />

Augen halten, dass es unsere Arbeit im akademischen<br />

Wesen und auf dem Arbeitsmarkt ist, <strong>die</strong><br />

Polen zu dem macht, was es ist. Wenn sich jeder<br />

von uns wirklich Mühe gibt, dann können wir sicher<br />

sein, dass all <strong>die</strong> Träume von Wohlstand und<br />

Ansehen keine Träume bleiben.<br />

Adrian Golly<br />

gen, <strong>die</strong> hauptsächlich von den Benutzern selbst<br />

verfasst werden. Als eindringliche Germanisti n<br />

wollte ich jedoch mehr erfahren. Dies wurde möglich<br />

Dank eines Gespräches mit Herrn Tomasz Sikora,<br />

dem Chefredakteur des Portals, der eigens<br />

für <strong>die</strong> Leser der Zeitschrift Elixiere ein exklusives<br />

Interview gab.<br />

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Elixiere 5. Ausgabe Wrocław 2011 AKTUELLES<br />

Elixiere: Vielleicht der Reihe nach. Wie haben <strong>die</strong><br />

Anfänge des Portals ausgesehen?<br />

Tomasz Sikora: Alles fi ng damit an, dass mich Prof.<br />

Krzysztof Ruchniewicz aus dem Willy-Brandt-Zentrum<br />

angerufen hat. Er wollte, dass das Zentrum<br />

das Wissen über Deutschland verbreitet. Was<br />

wichti g war: es sollte an Nichtakademiker gerichtet<br />

sein. In Wrocław gab es wenig täti ge Journalisten<br />

und nur drei, <strong>die</strong> sich mit der Deutschlandthemati<br />

k befassten. So entstand vor 5 Jahren das Portal.<br />

Es funkti onierte jedoch nicht wie geplant, woraufhin<br />

es einfach ,,starb“. Da kam mir der Gedanke,<br />

ein Portal zu gestalten, dass auf meinen eigenen<br />

Erfahrungen basieren und Ereignisse aus der Perspekti<br />

ve eines Journalisten zeigen würde. Im September<br />

2009 kam dann <strong>die</strong> Premiere des neuen<br />

Portals, dass von zwei Personen redigiert wurde:<br />

von mir und Alicja Kuropatwa. Zusätzlich arbeiteten<br />

am Portal noch Volontäre. Wir sammelten <strong>die</strong><br />

einzelnen Arti kel, korrigierten und publizierten sie<br />

dann. Unser Hauptziel war: es soll zu einer breiten<br />

Leserschaft gelangen und von daher kommunikati<br />

v und verständlich gestaltet werden.<br />

War es denn immer rosig? Welche Probleme gab<br />

es/ gibt es, was <strong>die</strong> Gestaltung des Portals betriff<br />

t?<br />

Eigentlich gab es keine Probleme – wir hatt en erfahrene<br />

Webmaster und Informati ker, <strong>die</strong> an der<br />

Gestaltung des Portals arbeiteten. Alles, was wir<br />

uns vorgenommen haben, beinhaltet das Portal.<br />

Ah ja, am Anfang gab es vielleicht ein Problem: <strong>die</strong><br />

Hosti ng Firma hat mit einer solch großen Anfrage<br />

nicht gerechnet, von daher ist das Portal manchmal<br />

,,hängen geblieben“. Was <strong>die</strong> Probleme aus<br />

der Sicht eines freien Journalisten betriff t – man<br />

arbeitet auch in der Freizeit. Dies ist ein Vollzeitjob,<br />

man muss immer ,,dabei sein“ (lacht). Am<br />

besten sieht man das anhand der Uhrzeiten, zu<br />

denen <strong>die</strong> Texte publiziert werden: zum Beispiel<br />

fünf Uhr morgens. Der Zeitmangel ist ein großes<br />

Problem, hier gibt es keinen Urlaub, insbesondere<br />

da ich noch eine Doktorarbeit in Bereich Journalismus<br />

schreibe. Ich und Ala müssen zusammenarbeiten<br />

und uns austauschen.<br />

Seite 12<br />

Wer kann auf dem Portal seine Texte publizieren?<br />

Dies ist unterschiedlich. Auf der einen Seite gibt es<br />

Texte, <strong>die</strong> von Angestellten des Willy-Brandt-Zentrums<br />

verfasst werden. Wobei ich unterstreichen<br />

muss, dass sich auf unserem Portal Veröff entlichungen<br />

von Wissenschaft lern aus ganz Polen befi<br />

nden. Bedeutend sind auch <strong>die</strong> Texte von unseren<br />

Korrespondenten aus Tübingen, Berlin, Köln,<br />

<strong>die</strong> in Wrocław am Erasmus-Programm teilgenommen<br />

haben. Unser Hauptgedanke war es, das Portal<br />

allen zugänglich zu gestalten, <strong>die</strong> Texte sollten<br />

nicht allzu wissenschaft lich sein, von daher fi ndet<br />

man hier Arti kel auch von Nicht-Deutschkennern,<br />

von Schülern und Studenten.<br />

Werden alle Texte publiziert? Wie werden sie<br />

denn bearbeitet?<br />

Wie ich schon erwähnte, werden <strong>die</strong> Texte von uns<br />

gesammelt, korrigiert, bearbeitet und letzten Endes<br />

publiziert. Jeder Text geht ,,durch unsere Hände“.<br />

Wir wollen keine Texte, <strong>die</strong> Lügen verbreiten<br />

oder jemanden beleidigen. Manche Texte werden<br />

auch wegen der Form, wegen der sprachlichen<br />

Fehler nicht angenommen.<br />

Was sind <strong>die</strong> Informati onsquellen des Portals ?<br />

Wir haben Auslandskorrespondenten, <strong>die</strong> uns Informati<br />

onen liefern. Außerdem haben wir ständig<br />

Kontakt mit Leuten aus Polen, aus <strong>Breslau</strong>. Eine<br />

wichti ge Informati onsquelle sind Informati onen<br />

aus deutschen und polnischen Presseagenturen.<br />

Wir haben Zugang zu deutschen Me<strong>die</strong>n wie Presse,<br />

Radio und Fernsehen. Auf dem Portal gibt es<br />

überwiegend polnische Akzente und Moti ve. Alle<br />

Meinungen müssen jedoch begründet werden.<br />

Das Portal hat auch <strong>die</strong> Übermitt lung von Informati<br />

onen über Deutschland als Ziel – wir haben<br />

auch eine solche Rubrik, <strong>die</strong> Anzeichen von Objekti<br />

vität trägt. Oft mals bitt en wir einen Professor um<br />

seinen Kommentar zum jeweiligen Geschehen. Es<br />

gibt nur eine polnische Version des Portals – es hat<br />

keinen Zweck, dort deutsche Texte beizufügen,<br />

denn zum Portal haben sowieso nur <strong>die</strong>jenigen<br />

Deutschen Zugang, <strong>die</strong> polnisch verstehen.


Elixiere 5. Ausgabe Wrocław 2011 AKTUELLES<br />

Wie würdest du das Portal, von deiner Sicht aus,<br />

beschreiben?<br />

Wie ich schon sagte sind wir ein allgemeinzugängliches,<br />

weltoff enes, politi sch unabhängiges Portal.<br />

Bei uns wird der Leser zum Autor der Texte. Die<br />

Meinung der Menschen ist uns sehr wichti g. Bei<br />

uns melden sich Leute, <strong>die</strong> mit einem Thema nicht<br />

einverstanden sind, <strong>die</strong> etwas zu sagen haben. Wir<br />

empfangen <strong>die</strong> Aussagen der Leute, verifi zieren<br />

und publizieren sie dann. Die Texte sollen nicht<br />

wissenschaft lich sein, sondern leicht und verständlich<br />

im Empfang. Jeder einzelne Leser ist für<br />

uns wichti g.<br />

Was sind <strong>die</strong> Hauptziele des Portals niemcy-online.pl?<br />

Wir wollen <strong>die</strong> deutsch-polnischen Beziehungen<br />

aus der Sicht der Nicht-Deutschkenner darstellen.<br />

Das Portal ist der richti ge Ort, um eigene Erfahrungen<br />

zu schildern. Wir wollen erfahren, wie <strong>die</strong><br />

Polen <strong>die</strong> Deutschen sehen. Und umgekehrt. Ich<br />

habe schon sehr oft <strong>die</strong> Erfahrung gemacht, wie<br />

lebendig <strong>die</strong> Stereotype doch sind und wie sie in<br />

beiden Gesellschaft en funkti onieren. Es gibt eben<br />

zwei Ebenen – auf der einen Seite <strong>die</strong> Beziehungen<br />

auf der höchsten Stufe, <strong>die</strong> Relati onen zwischen<br />

,,normalen“ Menschen. Auf der anderen Seite haben<br />

wir <strong>die</strong> Politi ker, deren Meinungen oft mals auf<br />

Stereotypen basieren und später zur Gesellschaft<br />

gelangen. Hier wird ein Zwiespalt zwischen beiden<br />

,,Realitäten“ sichtbar. In unserer Gesellschaft funkti<br />

onieren <strong>die</strong>se Anti pathien jedoch weiterhin, <strong>die</strong><br />

Politi ker nutzen <strong>die</strong>s aus. Wir wollen mit unserem<br />

Portal zu einem durchschnitt lichen Leser gelangen.<br />

Als Journalist betrachte ich <strong>die</strong> Ereignisse mit<br />

polnischen Augen, ich sehe sie manchmal als Objekt,<br />

dass ich dann so gestalte, dass es den polnischen<br />

Leser interessiert. Die Leute sollen sich mit<br />

Deutschland nicht nur in den eigenen Köpfen, in<br />

den eigenen Gedanken beschäft igen, sondern <strong>die</strong><br />

eigene Meinung äußern. Für Studenten und junge,<br />

zukünft ige Deutschlandkenner soll das Portal auch<br />

eine Möglichkeit bieten, sich schrift stellerisch auf-<br />

zuwärmen und zu prüfen. Junge Menschen haben<br />

dann ihre eigenen Publikati onen und gelangen<br />

langsam in <strong>die</strong> Welt des Denkens über Deutschland.<br />

Was sind Deine Pläne was das Portal betriff t?<br />

Wir suchen junge Deutschlandkenner, von daher<br />

wollen wir uns auch auf Portalen wie facebook.<br />

com sichtbar machen. Wir wollen uns auch für<br />

eine noch jüngere Generati on, für Kinder, öff nen.<br />

In Zukunft wollen wir Arti kel über <strong>die</strong> Arbeit in<br />

Deutschland veröff entlichen, ein, nennen wir es<br />

„Deutsches ABC“ schaff en. Auch aus der Sicht der<br />

Popkultur. Wir wollen Deutschland aus verschiedenen<br />

Perspekti ven zeigen. Wir planen auch <strong>die</strong><br />

Publikati onen der Autoren in Schrift form herauszugeben.<br />

Diese Publikati onen sollen polenweit<br />

erscheinen und <strong>die</strong> sich in den letzten 10 Jahren<br />

wandelnden deutsch-polnischen Beziehungen<br />

schildern. Wir arbeiten ständig an weiteren Änderungen<br />

des Portals. Wir wollen es noch dynamischer<br />

gestalten, auch was <strong>die</strong> visuelle Seite betriff t.<br />

Jetzt bitt e ich dich um eine kurze ,,Werbung“ des<br />

Portals für unsere Leser<br />

Unser Slogan lautet: ,,Das Wichti gste außerhalb<br />

der Oder“. Wir haben drei Millionen potenzielle<br />

Leser, wir warten auf weitere! Wir wollen an einen<br />

durchschnitt lichen Leser gelangen, denn das Portal<br />

ähnelt einer Tafel, auf der Informati onen über<br />

<strong>die</strong> Ereignisse in Deutschland gesammelt werden.<br />

Was wichti g ist – jeder von euch kann etwas auf<br />

<strong>die</strong>ser Tafel schreiben. Insbesondere laden wir<br />

Studenten des ersten Stu<strong>die</strong>njahres ein, <strong>die</strong> sich<br />

durch <strong>die</strong> Zusammenarbeit mit dem Portal schrift -<br />

stellerisch entwickeln können. Das Portal ist auch<br />

ein wichti ger Ort des deutsch-polnischen Zusammentreff<br />

ens, der insbesondere dem Kontaktaufbau<br />

<strong>die</strong>nt.<br />

Tomek, ich bedanke mich sehr herzlich für das interessante<br />

und ausführliche Gespräch.<br />

Kamila Feliks<br />

Seite 13


Elixiere 5. Ausgabe Wrocław 2011 AKTUELLES<br />

Als ich zu meiner Oma gesagt habe, dass ich Sarajevo<br />

besuchen werde, hat sie mir nur eine Frage<br />

gestellt: ”Liebe, ist es schon ruhig dort?”<br />

Es sti mmt, wenn man „Serbien”, „Sarajevo”<br />

oder „Albanien” hört, hat man eigentlich nur eine<br />

strenge Assoziati on damit: Krieg. Der Krieg ist<br />

schon lange vorbei, manche sind aber noch ein bisschen<br />

voreingenommen und haben Angst, dorthin<br />

eine Reise zu machen. Die 4 Germanisti nnen waren<br />

aber tapfer und haben eine spontane Entscheidung<br />

getroff en: wir machen einen Balkan-Trip!<br />

Die Reise fi ng am Freitag an. Alle meldeten sich<br />

pünktlich um 19:00 Uhr beim Aquapark, mit vollen<br />

Koff ern, einem Lächeln im Gesicht und Spannung<br />

in den Herzen. Vor uns lag eine 12 Stunden dauernde<br />

Busfahrt zum ersten Balkanpunkt: Belgrad.<br />

Sam stags um 12:00 Uhr waren wir endlich in<br />

der <strong>Stadt</strong>mitt e. Schon ab der Grenze hatt en wir<br />

Gänsehaut: man sah viele Geschosslöcher, <strong>die</strong><br />

noch immer an den vergangenen Kampf erinnern.<br />

Nach einer schnellen und erfrischenden Dusche<br />

und nach dem wir neue Freunde gefunden hatt en<br />

(<strong>die</strong> Katzen gewannen unbestritt en unsere Liebe),<br />

machten wir uns auf den Weg – zuerst stand eine<br />

kleine <strong>Stadt</strong>f ührung auf dem Programm. Ich war<br />

sehr zufrieden, weil ich alles, was ich sehen wollte<br />

und was ich zu sehen plante, auch wirklich sah. Einen<br />

großen Eindruck machte auf mich der Tempel<br />

des Heiligen Sava, den man schon sieht, wenn man<br />

<strong>die</strong> Hauptverkehrsstraße in Belgrad durchquert.<br />

Der ist so hoch wie ein 10-stöckiger Wohnblock!<br />

Eine Neuigkeit: er befi ndet sich immer noch im<br />

Bau. Seit Jahren! Glück gehabt, dass wir drinnen<br />

keinen LKW oder Drehkräne sahen, was noch vor<br />

ein paar Jahren typisch war. Am Abend, ein bisschen<br />

erschöpft , hatt en wir noch etwas Zeit zur<br />

freien Verfügung. So kauft en wir einen serbischen<br />

Wein und Burek* (lecker!) und fanden ein angenehmes<br />

Bänkchen im Park mit einem schönem<br />

Blick auf <strong>die</strong> ganze <strong>Stadt</strong>. Um Mitt ernacht ging un-<br />

Seite 14<br />

Germanisten bezwingen den Balkan!<br />

sere Reise weiter.<br />

Am Morgen wuchs en vor unseren Augen <strong>die</strong><br />

schönsten Berge, <strong>die</strong> ich je gesehen habe. Ganz<br />

anders als <strong>die</strong> Beskiden oder das Eulengebirge. Das<br />

war ein Zeichen, dass wir uns endlich in Kolašin,<br />

schon in Montenegro befanden. Das Wett er war<br />

sehr witzig und schenkte uns Regen, was uns<br />

zwang, unsere Pläne zu ändern. Anstatt Bjelasica<br />

zu besichti gen, machten wir einen Spaziergang<br />

(im Regen!) im Nati onalpark „Biogradsko jezero“.<br />

Unser vodič*, ein nett er und gutaussehender Janko,<br />

zeigte und erklärte uns sehr viel. Wegen dem<br />

Wett er aber waren alle froh, als wir in unser kleines<br />

Holzhäuschen zurückkehrten. Die Nacht war<br />

lang, mit einem Grill und ernsten Gesprächen. Am<br />

nächsten Tag reisten wir weiter – <strong>die</strong>smal durch<br />

<strong>die</strong> Tara-Schlucht nach Budva, in Montenegro.<br />

Dort blieben wir 4 Tage lang. Das waren aber <strong>die</strong><br />

intensivsten Tage in meinem Leben. Wir machten<br />

Ausfl üge nach Kotor, hatt en Workshops, <strong>die</strong> Jugoslawien<br />

und der Touristi k im Balkan gewidmet waren.<br />

An einem Tag machten wir auch einen Ausfl ug<br />

nach Albanien. Das vergesse ich nie.<br />

Škodra – so hieß unser Ziel in Albanien. Eine<br />

<strong>Stadt</strong> in der Nähe der Grenze mit Montenegro.<br />

Dort besichti gten wir ein Schloss – und wenn <strong>die</strong><br />

Regierung ein größeres Interesse zeigen oder<br />

mehr Geld für <strong>die</strong> Renovierung der Sehenswürdigkeiten<br />

ausgeben würde, würde alles viel besser<br />

aussehen. Montenegro ist kein reiches Land. Aber<br />

als wir über <strong>die</strong> Grenze nach Albanien fuhren, war<br />

der Schock das einzige, was uns begleitete. Überall<br />

(ich übertreibe nicht) lag Müll, sogar im Flussbett .<br />

Schweine, Hunde und Esel (!) gingen <strong>die</strong> Straße<br />

entlang und naschten im Müll. Wieso? Albanien<br />

hat <strong>die</strong> Aufgabe übernommen, den Müll aus europäischen<br />

Ländern zu importi eren, weil manche<br />

Länder keinen Platz dafür haben. Albanien aber<br />

kommt gar nicht zurecht und den Müll kann man<br />

sogar im Schloss fi nden.


Elixiere 5. Ausgabe Wrocław 2011 AKTUELLES<br />

Die nächste Haltestelle war Kotor und Lovćen.<br />

Kotor – ein wunderschöner Platz, aber schon Anfang<br />

Mai voller Touristen. Vermutlich wird es bald<br />

das zweite Dubrovnik – also eine <strong>Stadt</strong>, wo man<br />

sich zeigen muss. Wir ließen uns etwas durch den<br />

Ort fahren und wir fanden viele leere Gassen mit<br />

entzückenden Cafes, wo wir gerne kafanu kafu*<br />

bestellten.<br />

Ich konnte kaum den letzten Punkt unserer<br />

Reise erwarten – Sarajevo. Ich war ein bisschen<br />

entt äuscht von Belgrad, aber von Sarajevo war<br />

ich total begeistert. In <strong>die</strong>ser <strong>Stadt</strong> sieht man <strong>die</strong><br />

Kriegsspuren noch häufi ger als in Belgrad. Das<br />

Gebäude des Nati onalmuseums von Bosnien und<br />

Herzegowina trägt viele Geschosslöcher und <strong>die</strong><br />

Bibliothek, <strong>die</strong> vor dem Krieg eine der am besten<br />

ausgestatt eten Bibliotheken im Balkan war, wurde<br />

von Baustellen verdeckt. Das Gebäude wurde<br />

zerstört und <strong>die</strong> Sammlungen verbrannt. Das ist<br />

unwiederbringlich. 80% der Bewohner von Sarajevo<br />

sind Muslime und 20% sind Christen, trotzdem<br />

sieht man auf den Straßen vor allem Mädchen und<br />

Frauen mit Kopft üchern und Jungs mit einem tespih*.<br />

Wir wollten gern den džamija* besuchen.<br />

Dort begrüßte uns eine Tafel. Sie erklärte uns, was<br />

man nicht in <strong>die</strong> Moschee mitbringen darf: keinen<br />

Bikini, keine kurzen Röcke, Hunde und... Gewehre.<br />

Das ist nichts Sonderbares – bis heute haben viele<br />

Menschen ein Gewehr zu Hause – nur für den<br />

Notf all.<br />

Kurz vor der Abfahrt nach Polen liefen wir<br />

schnell zum muslimischen Friedhof. Die typischen<br />

Grabmäler – sie waren eng, weiß und hoch – hatten<br />

etwas gemeinsam: das Datum des Todes. Es<br />

war vor allem <strong>die</strong> Jahreszahl 1996 und 1997 – <strong>die</strong><br />

schlimmste Zeit der militärischen Interventi on in<br />

* Burek- ein belegtes Blätt erteiggericht-<br />

mit Käse, Fleisch oder Grünzeug<br />

* kafana kafa (serb.)- gekochter Kaff ee<br />

(Serben kochen Kaff ee, statt aufzugießen)<br />

<strong>Stadt</strong>mauer in Budva<br />

Sarajevo. Das sind Plätze, <strong>die</strong> schmerzlich an <strong>die</strong><br />

unruhigen Zeiten der 90er Jahre erinnern. Die Leute<br />

selbst sind aber froh und bemühen sich, in Harmonie<br />

zu leben. Das ist sehr überraschend und...<br />

anziehend. Ich habe schon entschieden, dass ich<br />

nächstes Jahr für mindestens eine Woche nach Sarajevo<br />

fahre. Banja Luka muss ich auch sehen.<br />

Nächstes Jahr haben wir gemeinsam noch ein<br />

Ziel: Mazedonien. Drückt uns <strong>die</strong> Daumen!<br />

Dominika Dossmann<br />

* vodič (serb.)- Reiseführer<br />

* tespih- muslimischer Rosenkranz<br />

* džamija (serb.)- Moschee<br />

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Elixiere 5. Ausgabe Wrocław 2011 AKTUELLES<br />

In einer <strong>Stadt</strong>, wo nachts <strong>die</strong> Vögel singen, mache<br />

ich einen Spaziergang im Schlaf. Mein Wanderstock<br />

stützt mich und plötzlich merke ich, dass ich<br />

noch jung bin und kein dritt es Bein brauche. Ich<br />

gehe also weiter mit dem Stock an den schweren<br />

Gartenzäunen klingelnd, den Metallzäunen, <strong>die</strong><br />

<strong>die</strong> Villen glänzen lassen.<br />

Ich möchte schneller sein, kurz laufe ich, dann<br />

beschleunige ich, indem ich in eine Raupe einsteige;<br />

sie ist lang und laut, frisst keine Blätt er,<br />

nur Staub und Kies. Ich sitze in der Raupe, versuche<br />

etwas zu lesen. Eine versti mmte Gitarre stört<br />

mich dabei. Sie steht auf zwei Füßen und macht<br />

unglaublich viel Krach. Die Seiten aus Stahl vibrieren<br />

in der dicken, sti ckigen Luft des Raupen-<br />

Innenraums. Zu der Gitarre schließt sich noch Gesang<br />

an, alles ist klebrig und macht keinen Sinn.<br />

Ich möchte raus, doch riesige Räder verschließen<br />

mir den Weg. Endlich fi nde ich einen anderen Ausgang.<br />

Ich stehe auf dem Ast und <strong>die</strong> Raupe entfernt<br />

sich von mir, winkend mit dem Staub, den sie<br />

hinter sich lässt.<br />

Von dem Ast gleite ich zurück auf <strong>die</strong> Erde. Dort<br />

stehe ich auf festen Beinen und warte. Der Boden<br />

wärmt <strong>die</strong> Füße. Der Boden unter Mondstrom.<br />

Ist nicht dick, einige Meter vielleicht. Hält mich<br />

trotzdem an der Oberfl äche. Jetzt stehe ich nicht<br />

mehr alleine. Er stellt sich neben mich, spricht vor<br />

sich hin, wie ein Verrückter, Hände in den Hosentaschen.<br />

Er genießt <strong>die</strong> Bodenwärme kurz, dann<br />

wackelt er hin und her, Fersen-Finger-Fersen-<br />

Stop. Er lacht vor sich hin wie ein Verrückter. Ich<br />

bemerke ein schwarzes Kabel, es wächst aus seinen<br />

Ohren heraus und endet in der Hosentasche.<br />

Er wackelt wieder, wir sind zu zweit. Dann kommt<br />

sie. Sie und ihr Metallpferd, ihr Tier an der Leine<br />

und ihr elektronischer Gesprächspartner im Kästchen.<br />

Sie hat drei Hände. Eine leiht sie sich vom<br />

Metallpferd, dort hängt <strong>die</strong> Leine mit dem Tier am<br />

anderen Ende. Wir sind zu viert. Der Boden hält.<br />

Dann fühle ich ein Kribbeln in den Füßen, es<br />

wird auf eine geheimnisvolle Weise wärmer, sie,<br />

er und das Tier an der Leine verschwinden, nur<br />

Seite 16<br />

Wanderweg<br />

das Metallpferd bleibt. Pferd ohne Hufe, in quietschenden<br />

Gummisti efeln. Ich sehe: Eine Schrott kiste<br />

vom Mauerpark für 20,95. Und hängt an einem<br />

Schloss für 30. Menschen lieben ihren Schrott .<br />

Menschen lieben ihren Schrott mehr als ihr Geld.<br />

Ka-ching! Menschen lieben <strong>die</strong>sen Sound bei ihrem<br />

Schrott . Nur Liebe- <strong>die</strong> kann er ihnen nicht<br />

erwidern. Noch ein Kribbeln überkommt meine<br />

Füße. Jetzt muss auch ich gehen.<br />

Der Abgrund tut sich vor mir auf. Es ist gar<br />

nicht dunkel dort. Das Licht ist Sepia. In Sepia sieht<br />

<strong>die</strong> <strong>Stadt</strong> ganz anders aus. Noch mehr Retro. Jede<br />

Schrott kiste wirkt hier Retro, deshalb reiten ihre<br />

Besitzer sie so gerne hier aus. Diesen Style zerstören<br />

nur doppelte Kisten mit Nachrichten von der<br />

Oberfl äche. Im Abgrund ist es windig und doch<br />

schwül. Manchmal ist es eng, manchmal breit.<br />

Manchmal gibt es labyrintharti ge Wege, manchmal<br />

gibt es keine. Es kommt vor, dass man der einzige<br />

dort ist. Es kommt vor, dass man sich drängeln<br />

muss. Und sehr selten sieht man eine Taube. Noch<br />

seltener einen Spatz. Der Abgrund ist gar kein Abgrund.<br />

Man kann ganz einfach hinaus.<br />

Ich bewege mich also aufwärts. Nach einigen<br />

Schritt en sehe ich einen Menschen, einen älteren<br />

Mann, der bäuchlings auf dem Boden liegt, so<br />

Hippie-Style alt und der unabhängige Sätze ausruft<br />

, <strong>die</strong> aber alle mit dem Wort „Mutt er“ anfangen<br />

oder enden. „Was für ein Verrückter“. Und das<br />

sage gerade ich, und nur deshalb, weil ich mich nie<br />

mitt en in der <strong>Stadt</strong>, auf kalten Pfl asterstein oder<br />

auch sonst wo in der Öff entlichkeit bäuchlings<br />

hinlegen würde, nur um sinnloses Zeug vor mich<br />

hin zu labern. Dabei hören doch alle <strong>die</strong>sen Vogelgesang<br />

und tragen ihren Wanderstab, sehen und<br />

vernehmen alles Mögliche, was von Außen auf sie<br />

zukommt. Nur der Moment macht alles so ewig.<br />

Einmal gesehen bleibt es so in Erinnerung. Ich stehe<br />

auf Beinen. Sie wirken nicht mehr fest. Sie fragen<br />

manchmal zu viel und wirken unentschlossen.<br />

Sie halten meinen Spaziergang an. Es ist gar nicht<br />

Nacht. Es ist hell und frisch. Und ich schlafe nicht.<br />

Bin ich etwa immer wach?<br />

Julianna Redlich


Elixiere 5. Ausgabe Wrocław 2011 AKTUELLES<br />

Gespräch mit Pastor Dawid Mendrok über<br />

<strong>die</strong> aktuelle Situation der deutschen<br />

evangelischen Minderheit in Niederschlesien<br />

Die St. Christophorikirche, in unmitt elbarer Umgebung<br />

des Dominikanerplatzes gelegen, ist <strong>die</strong><br />

einzige Gemeinde in <strong>Breslau</strong>, in der Gott es<strong>die</strong>nste<br />

in deutscher Sprache gehalten werden. Die Kirche<br />

war schon seit Jahrhunderten eine Kirche der<br />

nati onalen Minderheiten, zunächst für Polen im<br />

Deutschen Reich, mitt lerweile für Deutsche in Polen.<br />

Pastor Dawid Mendrok betreut <strong>die</strong>se Kirchengemeinde<br />

seit ein paar Jahren. Mit ihm möchte<br />

ich über sein Leben und seine Aufgaben als Pastor<br />

sprechen.<br />

Elixiere: Wie kamen Sie zu Ihrem Amt als Pastor<br />

einer deutschsprachigen evangelischen Gemeinde<br />

in Niederschlesien?<br />

Dawid Mendrok: Ich habe zuerst Theologie in<br />

Warschau stu<strong>die</strong>rt, an der Christlich-Theologischen<br />

Akademie und danach bin ich Vikar in Masuren,<br />

in Nikolajken, gewesen. Mein Wunsch aber<br />

war Germanisti k zu stu<strong>die</strong>ren und Deutschlehrer<br />

zu werden, es hat sich aber anders ergeben.<br />

Warum wollten Sie gerade Germanisti k stu<strong>die</strong>ren?<br />

Ich hatt e immer Interesse für <strong>die</strong> deutsche Sprache.<br />

Meine Großeltern kommen aus Oberschlesien<br />

und sprechen bis heute zu Hause Deutsch, so hab<br />

ich <strong>die</strong> Sprache gelernt und ich dachte mir, Lehrer<br />

zu sein ist gut, denn man hat jedes Wochenende,<br />

jeden Feiertag, Ferien und Sommerferien frei. Bei<br />

meinem heuti gen Amt ist es völlig anders, ich habe<br />

kein Wochenende frei, <strong>die</strong> Feiertage sind besetzt,<br />

während der Woche sind sowieso Täti gkeiten zu<br />

erledigen, wie Religionsunterricht, Bibelstunden,<br />

Amtshandlungen, Hausbesuche etc. Wie kam ich<br />

aber aus einer polnischsprachigen Gemeinde in<br />

Masuren zu einer deutschsprachigen in <strong>Breslau</strong>?<br />

Mein Kollege, der hier in <strong>Breslau</strong> war, hat sich<br />

nicht so ganz wohl bei der deutschsprachigen Gemeinde<br />

gefühlt und hat gefragt, wer gerne hierher<br />

kommen würde, so habe ich gleich zugesti mmt<br />

und das war vor sieben Jahren.<br />

Muss man Deutscher und evangelisch sein, um<br />

an Ihrem Gott es<strong>die</strong>nst teilnehmen zu können?<br />

Man muss besti mmt Deutsch verstehen, um vom<br />

<strong>die</strong>sen Gott es<strong>die</strong>nst etwas für sich zu haben, <strong>die</strong><br />

Türen der Kirche sind beim Gott es<strong>die</strong>nst für jeden<br />

off en.<br />

Als ich Ihren Gott es<strong>die</strong>nst besucht habe, ist mir<br />

aufgefallen, dass <strong>die</strong> Kirchenmitglieder sehr oft<br />

zum Stehen aufgefordert werden, versuchen Sie<br />

so ihre Mitglieder auf Trab zu halten oder ist das<br />

ein gewisser Ritus, der in der evangelischen Kirche<br />

üblich ist?<br />

Es ist schon eine Übung, damit <strong>die</strong> Menschen<br />

nicht einschlafen, aber <strong>die</strong>se Übungen haben wir<br />

von den Generati onen übernommen, <strong>die</strong> vor uns<br />

waren. Es ist in der evangelischen und katholischen<br />

Kirche üblich, dass man beim Gebet, Glaubensbekenntnis<br />

oder Evangelium steht. Durch<br />

knien oder stehen zeigen wir unsere Demut Gott<br />

gegenüber.<br />

Aus der Internetseite Ihrer Gemeinde htt p://<br />

www.stchristophori.eu/, habe ich entnommen,<br />

dass Sie bis dato Vater von drei Kindern sind.<br />

Treff en Sie hierbei manchmal auf Verwunderung<br />

seitens der polnischen Bevölkerung, für <strong>die</strong> ein<br />

„Pfarrer“ doch im Rahmen des Zölibats keine<br />

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Elixiere 5. Ausgabe Wrocław 2011 AKTUELLES<br />

leiblichen Nachkommen in <strong>die</strong> Welt setzen darf ?<br />

Ich wollte mich mit <strong>die</strong>ser Frage erkundigen, wie<br />

es Ihrer Meinung nach um das Wissen über protestanti<br />

sche Kirchen in Polen bestellt ist?<br />

Ich selbst bin ein Kind eines Pastors und ich habe<br />

auch einen älteren Bruder, der auch Pastor ist. Verwunderlich<br />

wäre, wenn mein Vater ein katholischer<br />

Priester wäre, aber wenn <strong>die</strong> Menschen erfahren,<br />

dass es um einen Pastor geht, wissen sie gleich,<br />

dass wir kein Zölibat haben und eine Ehe und Kinder<br />

haben können. Am Rande gesagt, für das Gemeindeleben<br />

hat es Vor- und Nachteile. Ein katholischer<br />

Priester braucht sich nicht um <strong>die</strong> Kinder<br />

zu kümmern, in der Nacht aufzustehen, <strong>die</strong> Kinder<br />

zum Kindergarten hin und zurückzufahren, so hat<br />

er mehr Zeit für <strong>die</strong> Gemeinde. Andersrum wissen<br />

wir, welche Probleme <strong>die</strong> Gemeindemitglieder haben,<br />

wenn sie sagen, sie sind müde und erschöpft<br />

und <strong>die</strong> Kinder nehmen ihnen <strong>die</strong> ganze Kraft weg.<br />

Bei den meisten Begegnungen bei einem Gespräch<br />

war es für mich positi v, dass ich als Pastor eine Familie<br />

habe, was ich auch für gut halte.<br />

Mit dem Leben eines Pastors verbindet das Gros<br />

der Bevölkerung Pfl ichten und Enthaltsamkeit,<br />

können Sie mir das Gegenteil beweisen? Welche<br />

Aspekte Ihrer Arbeit bereiten Ihnen besondere<br />

Freude?<br />

Freude bereiten mir dankbare Menschen, <strong>die</strong><br />

nach einem Gespräch, nach einem Gott es<strong>die</strong>nst<br />

in ihrem Leben wieder einmal glücklich und fröhlich<br />

sind. Freude bereitet mir eine Kirche, in der<br />

<strong>die</strong> Kinder statt leise zu sein, laut brüllen und herumlaufen<br />

können, „Denn das ist das Reich Gott es“.<br />

Freude bereiten mir auch <strong>die</strong> Bibelstunden, denn<br />

das sind off ene Gespräche, bei denen Meinungen<br />

zu Bibeltexten geäußert werden, <strong>die</strong> aus der eigenen<br />

Erfahrung meiner Gemeindemitglieder stammen,<br />

das hilft mir bei meinen Vorbereitungen zur<br />

Predigt, denn so kann ich durch sie <strong>die</strong> Menschen<br />

auf ihre Probleme ansprechen, im Gebet auf sie<br />

zugehen und für <strong>die</strong> schwierigen Fragen eine Antwort<br />

vorbereiten.<br />

Die St. Christophorikirche <strong>die</strong>nte bis 1888 als Kirche<br />

der evangelischen, polnischen Minderheit in<br />

Seite 18<br />

<strong>Breslau</strong>. Heute steht sie im Dienste der deutschevangelischen<br />

Minderheit in <strong>Breslau</strong>. Ist das Zufall<br />

oder ist Ihnen bekannt, warum <strong>die</strong> <strong>Breslau</strong>er<br />

<strong>Stadt</strong>verwaltung 1958 gerade <strong>die</strong>se Kirche der<br />

deutschen Minderheit überlies?<br />

Die Gründe sind uns unbekannt, das Paradoxon ist<br />

aber groß, zu deutscher Zeit wurde auf Polnisch<br />

gepredigt, zu polnischer Zeit auf Deutsch, aber es<br />

wird auch in Koreanisch und Englisch gepredigt.<br />

Zu kommunisti scher Zeit durft e auch <strong>die</strong> Gemeinde<br />

nicht als eine deutsche Gemeinde bezeichnet<br />

werden, so hat man sie als „nicht-polnische Gemeinde“<br />

bezeichnet. Erst nach der Wende bekam<br />

unsere Gemeinde den Namen einer evangelischen<br />

Gemeinde deutscher Sprache. Und wo wir seit ein<br />

paar Jahren Koreaner als unsere Gäste und Gottes<strong>die</strong>nste<br />

auf Englisch haben, würde das sehr<br />

wohl zu unserer Kirche gut passen, eine „nichtpolnische<br />

Gemeinde“. Ich denke, dass <strong>die</strong> Wahl<br />

der Kirche für polnische Gott es<strong>die</strong>nste in <strong>Breslau</strong><br />

und deutsche Gott es<strong>die</strong>nste in Wrocław <strong>die</strong> Größe<br />

der Kirche war, von außen groß, von innen klein<br />

und wenn auch wenige Leute da sind, denkt man<br />

es sind viele. Nach dem Krieg war <strong>die</strong> Kirche total<br />

zerstört und als der Staat <strong>die</strong> Kirche zurückgegeben<br />

hat, war es nur eine Ruine, <strong>die</strong> erst einmal aufgebaut<br />

werden musste, was auch im Jahre 1958<br />

gelungen war und bis heute <strong>die</strong>nt.<br />

Wie ich gesehen habe, stammen Ihre deutschsprachigen<br />

Gesangsbücher von Alt-<strong>Breslau</strong>ern,<br />

<strong>die</strong> sie Ihrer Gemeinde übergeben haben. Wie<br />

sind Sie zu <strong>die</strong>sen Büchern gekommen und, über<br />

<strong>die</strong>se Spende hinaus betrachtet, in welcherlei<br />

Hinsicht stehen Sie noch in Kontakt mit deutschen<br />

<strong>Breslau</strong>ern, <strong>die</strong> nun weit verstreut im<br />

deutschsprachigen Raum leben?<br />

Wie gesagt <strong>die</strong>nt <strong>die</strong> Kirche seit 1958 der deutschen<br />

Minderheit und <strong>die</strong> Gemeindemitglieder<br />

haben ihre vertrauten Gesangsbücher mitgebracht<br />

und so ist es bis heute. Es sind zwar sehr<br />

viele Gemeindemitglieder verstorben oder ausgewandert,<br />

<strong>die</strong> Gesangsbücher sind aber geblieben.<br />

Wir haben schon Kontakt zu alten <strong>Breslau</strong>ern, <strong>die</strong><br />

je nach gesundheitlichen Bedingungen uns besuchen,<br />

jedes Jahr aber auch weniger.


Elixiere 5. Ausgabe Wrocław 2011 AKTUELLES<br />

Die Kirchen Europas müssen seit einigen Jahrzehnten<br />

einen starken Rückgang an Mitgliederzahlen<br />

verzeichnen. Wie beurteilen Sie <strong>die</strong>se Situati<br />

on auf Ihre Gemeinde bezogen?<br />

Unsere Gemeinde ist eher einer Familie ähnlich<br />

als einer großen Gemeinde. Wir kennen uns alle,<br />

manche kommen als Gastarbeiter aus Deutschland<br />

nach Polen für besti mmte Zeit und fahren<br />

wieder zurück, sie geben aber immer <strong>die</strong> Nachricht<br />

weiter, dass es in <strong>Breslau</strong> eine deutschsprachige<br />

Gemeinde gibt und so bleibt <strong>die</strong> Mitgliederzahl<br />

konstant.<br />

Sehen Sie irgendwelche Lösungsansätze, <strong>die</strong> Ihnen<br />

verhelfen könnten neue Gemeindemitglieder<br />

zu gewinnen?<br />

Wie sie an der Kirche gesehen haben, haben wir<br />

einen Banner herausgehängt, denn wir wissen,<br />

dass es viele deutschsprachige Menschen in <strong>Breslau</strong><br />

gibt, <strong>die</strong> von uns vielleicht noch nicht gehört<br />

haben. Wir versuchen durch unsere Kontakte neue<br />

Gemeindemitglieder zu gewinnen, und das sind<br />

vor allem junge Familien mit Kindern. Zwei Mal im<br />

Monat wird für <strong>die</strong> Kinder ein Kindergott es<strong>die</strong>nst<br />

organisiert, an <strong>die</strong>sen Sonntagen sind mehr Kinder<br />

als Erwachsene in der Kirche zu sehen.<br />

Stehen Sie in Kontakt mit evangelischen Pfarrgemeinden<br />

in Deutschland?<br />

Wir haben ein paar Partnergemeinden und einen<br />

engen Kontakt habe ich heute zu einem Pastor<br />

aus der Nähe von Dresden, wir organisieren zusammen<br />

Begegnungen für Jung und Alt, jeweils in<br />

Deutschland oder in Polen.<br />

Was sagen <strong>die</strong> dorti gen Pastoren zu ihrer Täti gkeit<br />

in Niederschlesien? Sehen sie Sie mehr auf verlorenem<br />

Posten und raten Ihnen nach Deutschland<br />

zu kommen oder unterstützen sie Sie gar in Ihrer<br />

Arbeit?<br />

Vor allem sind sie erstaunt über unsere Täti gkeit.<br />

Das sowas wie deutsche Gott es<strong>die</strong>nste möglich<br />

sind und von so vielen jungen Familien in <strong>Breslau</strong><br />

besucht werden, manche Gemeinden in Deutschland,<br />

deren Gemeindemitgliederzahl viel größer<br />

sind, haben weniger Gott es<strong>die</strong>nstt eilnehmer, als<br />

wir. Sie unterstützen uns nicht nur mit Gebeten,<br />

aber auch mit Spenden, wie zum Beispiel Bücher<br />

für Kindergott es<strong>die</strong>nste oder Religionsunterricht.<br />

Sie suchen nach dem Gott es<strong>die</strong>nst den Kontakt<br />

mit Ihren Mitgliedern, so etwas sieht man nicht<br />

oft in der katholischen Kirche. Warum?<br />

Ein persönlicher Kontakt, eine Handreichung, ein<br />

nett es Wort schenkt manchmal den Leuten viel<br />

mehr, als der schönste und erregungsvollste Gottes<strong>die</strong>nst,<br />

ich erfahre dann oft , wer krank ist, wer<br />

auf einen Besuch wartet, worüber jemand glücklich<br />

ist, was er vorhat oder geschaff t hat. Dank so<br />

einem Kontakt ist <strong>die</strong> Gemeinde lebendig und der<br />

Pastor ein Mitglied der Gemeinde.<br />

Wie sieht es mit der Nachwuchstäti gkeit in Ihrer<br />

Gemeinde aus? Ich habe zunächst mit Verblüffung,<br />

später mit Freude mitverfolgt, wie junge<br />

Mädchen während der Messe ein Glockenspiel<br />

auff ührten oder Klavier spielten. Sind das Akti vitäten,<br />

<strong>die</strong> Sie in Ihrer Gemeinde fördern?<br />

Nicht immer stellen sich unsere Kinder beim Gottes<strong>die</strong>nst<br />

durch ein Glockenspiel vor, ich würde<br />

mich aber freuen, wenn das öft ers vorkäme. Ich<br />

bin immer dafür.<br />

Gehen Sie in Ihren Predigten manchmal auf das<br />

Thema „deutsch-polnische Versöhnung“ ein?<br />

Es ist schon mal vorgekommen, ich denke aber<br />

<strong>die</strong> Versöhnung ist längst geschehen und sie soll<br />

nur ein Beispiel dafür sein, das eine Versöhnung<br />

möglich ist. Ansonsten sind <strong>die</strong> evangelischen Predigten<br />

sehr Bibel nah verankert und man versucht<br />

Politi k mit dem Wort Gott es nicht zu vermischen.<br />

Die Verkündigung soll aber unser Herz glücklich<br />

machen und den Weg zum Reich Gott es zeigen.<br />

Vielen Dank für das Gespräch.<br />

Michał Borek<br />

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Elixiere 5. Ausgabe Wrocław 2011 AKTUELLES<br />

Eine Schlesierin gewährt Einblick in <strong>die</strong> schlesische<br />

Wirklichkeit an lebensnahen Beispielen und<br />

deutet auf <strong>die</strong> Unterschiede zur polnischen Alltagskultur.<br />

Lange hat Oberschlesien nicht mehr so eine große,<br />

nati onale Aufmerksamkeit der Öff entlichkeit<br />

erregt wie in <strong>die</strong>sem Jahr. Nach der höchst kontroversen<br />

Aussage Jarosławs Kaczyńskis über <strong>die</strong><br />

Schlesier als getarnte deutsche Opti on, erschienen<br />

unzählige Presseberichte über Oberschlesien,<br />

insbesondere über <strong>die</strong> fragliche schlesische<br />

Nati onalität und <strong>die</strong> Bewegung für <strong>die</strong> Autonomie<br />

Schlesiens. Man nahm unterschiedliche Haltungen<br />

an: von der Solidarität mit den Schlesiern, über<br />

Verständnis oder Unverständnis, bis zur nati onalisti<br />

schen Phobie. Man äußerte sich über Identi tät,<br />

Kultur, Geschichte, aber von dem, was den Alltag<br />

des Oberschlesiers auszeichnet, wurde abgesehen.<br />

Das, was zu erst in Schlesien auff ällt, ist natürlich<br />

<strong>die</strong> Sprache. Sie ist eine bunte Mischung aus polnischen,<br />

tschechischen, deutschen und eigenen<br />

schlesischen Wörtern. Dabei kommt es sehr oft<br />

vor, dass <strong>die</strong> Begriff e fremde Endungen bekommen.<br />

Zum Beispiel ein deutsches Wort eine polnische<br />

Endung, wie in den Wörtern einfachowy,<br />

familia, rajtować. Man muss auch aufpassen, weil<br />

manche Wörter, <strong>die</strong> polnisch klingen, eine andere<br />

Bedeutung im Schlesischen haben, wie z.B. przodek<br />

(poln. ein Ahne, schl. <strong>die</strong> Vorderseite) oder<br />

kucanie (poln. hocken, schl. husten). Wenn man<br />

einen Schlesier fragt – Czy Twój tata pracuje w hucie?<br />

– kann er sagen, dass sein Vater ohne Kopfbedeckung<br />

arbeitet. Weil <strong>die</strong>ses w hucie sowohl<br />

Eisenhütt e als auch Hut bedeuten kann. Die schlesische<br />

Sprache ist nur eine gesprochene Sprache<br />

und ist nicht einmal für <strong>die</strong> ganze Region typisch,<br />

sondern unterscheidet sich noch lokal. Von Ort zu<br />

Ort wird ein wenig anders gesprochen. Als ich das<br />

Lyzeum in Oppeln besuchte, waren wir 30 Schüler<br />

aus 23 Ortschaft en. Nehmen wir als Beispiel das<br />

Wort viel: in meiner Klasse sagten es manche wie<br />

Seite 20<br />

Schlesische Alltagsbilder<br />

im Polnischen dużo, andere sagten kans, noch andere<br />

westlich der Oder gebrauchten siyła und bei<br />

mir im Süden sagt man moc, was eine tschechische<br />

Bezeichnung für das Wort viel ist.<br />

Die regionale Küche bietet auch einige Leckereien.<br />

Die bekanntesten Spezialitäten sind wohl <strong>die</strong><br />

schlesische Wurst und <strong>die</strong> schlesischen Klöse. An<br />

Wochentagen isst man eine einfache Brotsuppe<br />

– <strong>die</strong> Wodzionka. Am Sonntag zu Mitt ag wird traditi<br />

onell eine Nudelsuppe zubereitet und als zweiten<br />

Gang Rouladen, Klöse und Blaukraut. Bei allen<br />

beliebt ist auch der Streuselkuchen in den drei<br />

Sorten mit Käse, Mohn oder Apfelmus.<br />

Die meisten kirchlichen Feste in Schlesien werden<br />

identi sch wie in ganz Polen gefeiert, aber auch hier<br />

gibt es einige Besonderheiten. Vor allem wird in<br />

vielen Pfarrkirchen eine der Sonntagsmessen in<br />

deutscher Sprache gehalten. Was interessant ist<br />

– vor dem 2. Weltkrieg wurde immer eine Messe<br />

am Sonntag in polnischer Sprache gehalten. Der<br />

wohl bedeutendste Wallfahrtsort Schlesiens ist<br />

der St. Annaberg, wo vor dem Krieg alle großen<br />

Wallfahrten drei mal gefeiert wurden – einmal für<br />

<strong>die</strong> deutschsprachigen Pilger, in einer Woche für<br />

<strong>die</strong> polnischsprachigen und dann noch einmal in<br />

tschechischer Sprache. Diese Tatsache ist ein gutes<br />

Beispiel für <strong>die</strong> Multi kulturalität Schlesiens.<br />

Die schlesischen Diözesen Oppeln und Gleiwitz waren<br />

auch <strong>die</strong> ersten in Polen, <strong>die</strong> offi ziell Mädchen<br />

als Ministranten zuließen und auch <strong>die</strong> Kommunion<br />

auf <strong>die</strong> Hand einführten. Heute ist beides zu<br />

Alltag geworden. Die Einführung <strong>die</strong>ser Änderungen<br />

war in Schlesien ganz natürlich, weil viele es<br />

aus Deutschland kannten. In anderen polnischen<br />

Diözesen galten <strong>die</strong> Reformen als kontrovers.<br />

Was immer wieder meine Bekannten wundert: <strong>die</strong><br />

Hochzeitsmesse fi ndet in Schlesien üblicherweise<br />

vormitt ags statt , meistens um 11 Uhr. Oft wird das<br />

Brautpaar von den sog. Brautjungfern und deren<br />

Partnern begleitet. Typisch für Schlesien ist auch,<br />

dass man einige Wochen vor der Hochzeit <strong>die</strong> Gäste<br />

sowie Nachbarn, Bekannte und den breiteren


Elixiere 5. Ausgabe Wrocław 2011 AKTUELLES<br />

Familienkreis mit Streuselkuchen beschenkt – jeder<br />

bekommt ein großes, schön geschmücktes<br />

Paket. Es ist eine Form der Mitt eilung, dass man<br />

heiratet.<br />

Während in Polen vor der Hochzeit der Jungfernabend<br />

für <strong>die</strong> Braut und der Junggesellenabend für<br />

den Bräuti gam organisiert wird, gibt es in Schlesien<br />

den so genannten Polterabend, der koedukati<br />

v gefeiert wird. Am Abend versammeln sich <strong>die</strong><br />

Gäste an einem Ort, alle sind bunt verkleidet. Sie<br />

gehen durch den Ort, werden meistens von Musik<br />

begleitet und machen Lärm. Der Weg führt sie<br />

zum Haus der zukünft igen Braut, wo sie Glas zerschlagen,<br />

was dem Brautpaar Glück bringen soll.<br />

Wenn es um Weihnachten geht, werden am Weihnachtsabend<br />

regionale Speisen wie Makówki oder<br />

Moczka serviert. Während in Polen <strong>die</strong> Geschenke<br />

meistens der Nikolaus, seltener andere Gestalten,<br />

wie Gwiazdka oder Dziadek Mróz bringt,<br />

werden <strong>die</strong> Schlesier vom Christkind (Dzieciątko)<br />

beschenkt. Es ist ein Einfl uss der deutschen Kultur.<br />

Ein anderes Überbleibsel des Deutschtums ist,<br />

dass am Samstag alle den Bürgersteig und <strong>die</strong><br />

Straße fegen. Am Samstag Nachmitt ag gehen alle<br />

mit Besen vor <strong>die</strong> Tür und zwar schon seit dem 19.<br />

Jahrhundert, als der Preußische Staat rechtlich so<br />

eine Pfl icht seinen Bürgern auferlegte.<br />

Das Thema der Identi tät ist höchst kompliziert. Einige<br />

Bemerkungen dazu möchte ich jedoch wagen.<br />

Wie es der Dichter Stanisław Bieniasz sagte: „Wir<br />

Schlesier sitzen immer zwischen zwei Stühlen.“<br />

Das Schlesiertum schöpft aus den slawischen<br />

Kulturen, darunter aus der polnischen und tschechischen<br />

sowie aus dem deutschen Erbe. Es ist<br />

ein Mosaik, in dem es auch an eigenen Elementen<br />

nicht fehlt. Die starke eigene Identi tät ist der<br />

Grund dafür, dass <strong>die</strong> Schlesier in allen Staaten, in<br />

<strong>die</strong> sie gekommen sind um zu leben, als verdächti g<br />

wahrgenommen wurden. Man versuchte sie stets<br />

für <strong>die</strong> Kultur des jeweiligen Landes zu gewinnen,<br />

sei es durch Germanisierungs- oder später durch<br />

Polonisierungsversuche, z.B. als man nach 1933<br />

<strong>die</strong> slawischklingenden Namen und Orte umnannte<br />

(wie meinen Ort Raschowa in Mitt enbrück) und<br />

dann als man nach 1945 alle deutschklingenden<br />

Namen polonisierte oder deutsche Inschrift en an<br />

Denkmälern vernichtete. Es war schon immer so,<br />

dass <strong>die</strong> Schlesier mit Misstrauen und Missverständnis<br />

behandelt wurden, und es ist auch heute<br />

nicht anders, was man an der neuesten Debatt e<br />

rund um Schlesien sehen kann.<br />

Wenn jemanden das Thema der schlesischen<br />

Identi tät interessiert, ist der Film „Oberschlesien.<br />

Kołocz na droga“ empfehlenswert (auch in deutscher<br />

Version „Oberschlesien. Streuselkuchen von<br />

zu Hause“ zugänglich). Dieser zeigt verschiedene<br />

schlesische Schicksale. Darunter auch das eines<br />

Mannes, dessen Großvater ein schlesischer Aufständischer<br />

war, sein Vater ein Soldat der Wehrmacht,<br />

er selbst war im polnischen Militär und seine<br />

Söhne in der Bundeswehr. Nach Bischof Alfons<br />

Nossol möchte ich wiederholen: „No comment.<br />

Das ist Schlesien.“<br />

Monika Klich<br />

Seite 21


Elixiere 5. Ausgabe Wrocław 2011<br />

Seite 22<br />

Good news: we’ll survive<br />

Infekti onskrankheit ‘Angliziti s’ ist nicht lebensbedrohlich<br />

Hinter den Fenstern ersti ckt in der Ferne der<br />

Lärm, <strong>die</strong> drückende Luft bleibt auf einmal in der<br />

Luft hängen, alles wird sti ll… <strong>die</strong> stechende Sonne<br />

erhitzt <strong>die</strong> Raumtemperatur, verschwitzte Hände<br />

ballen sich krampfarti g zu Fäusten unter den<br />

Tischen zusammen und vom Korridor hört man<br />

Schritt e näherkommen – vielleicht ist es schon das<br />

Fieber? Den Raum betritt ein hoher, dunkelhaariger<br />

Mann mit Schnurrbart und freundlich-ernstem<br />

Gesichtsausdruck gefolgt von einem vertrauten<br />

Antlitz: Prof. Cirko. “ Darf ich Ihnen vorstellen…?”<br />

An jenem Tag (10.03.2011) besuchte uns in<br />

<strong>Breslau</strong> eine wohlbekannte Persönlichkeit: Prof.<br />

Heinz Vater, einst an der Universität zu Köln täti g,<br />

nun an der Humboldt-Universität in Berlin. Angemessen<br />

dem heiklen Thema wäre es angebracht<br />

nochmals Doktor hinzuzufügen. Er ist u.a. der<br />

Autor der “Einführung in <strong>die</strong> Textlinguisti k”, <strong>die</strong><br />

nicht wenige Studenten, <strong>die</strong> sich zur mündlichen<br />

Klasur im Fach Linguisti k vorbereitet haben, fi ebrig<br />

gemacht hat. Vielmals war er Gast an unserer<br />

Uni. Diesmal erschien er, um uns über den sich auf<br />

<strong>die</strong> deutsche Sprache verbreitenden ‘Magmabrei’<br />

aufzuklären. Das Thema des Referats lautete: “Anglizismen<br />

im Deutschen”. Es schien vorerst ganz<br />

harmlos zu sein, <strong>die</strong> ersten Fremdkörper zeigten<br />

sich im modernen pseudo-englischen Marketi ng.<br />

TV, Ware, Werbung, Slogan. Langsam wurden sie<br />

cool und schließlich auch total ‘in’ und in kürzester<br />

Zeit gelangen sie in das Vokabular der Jugend und<br />

seltener, aber auch der Älteren. Die Zellenwanderung<br />

schlich unbemerkt in den Alltag. Und jetzt?<br />

Groβe Bange um <strong>die</strong> Kultur der eigenen Sprache.<br />

Die meisten Entlehnungen sind Substanti ve. Die<br />

Problemati k kommt bereits bei der Genusbesti mmung<br />

auf. Der Eindringling hat nämlich kein Genus,<br />

da im Englischen kein Arti kel vorkommt! Indem ein<br />

Anglizismus ein deutsches Wort nachahmt, borgt<br />

er sich von <strong>die</strong>sem den Arti kel. Es ist beispielsweise<br />

<strong>die</strong> ‘Mail’, <strong>die</strong> als ‘Post’ fungiert und deren femini-<br />

FACHSCHAFTEN<br />

nen Arti kel übernommen hat. Das gleiche gilt für<br />

<strong>die</strong> Band(=Musikgruppe) oder <strong>die</strong> Show(=Schau).<br />

Auch Suffi xe haben das Recht, ein Genus aufzuzwingen.<br />

Bei der Endung ‘nis’ setzt sich meistens<br />

das Femininum durch. Mit <strong>die</strong>ser Regel identi fi ziert<br />

sich trotz eines kleinen Unterschiedes z.B <strong>die</strong> ‘Fitness’<br />

und ‘Fairness’. Wörter <strong>die</strong> auf ‘-ing’ enden,<br />

sind weitgehend Neutrum, es entspricht dem<br />

deutschen ‘-en’, wie etwa in ‘das Training’(=das<br />

Trainieren). Maskulinum sind letztlich einsilbige<br />

Bezeichnungen oder solche, <strong>die</strong> auf einen Konsonanten<br />

enden wie ‘Deal’. Adjekti ve sind solange<br />

unproblemati sch bis sie nicht dekliniert werden.<br />

Dementsprechend passen sie sich den Grammati -<br />

kregeln an, was manchmal trotzdem irreführend<br />

klingt: sollte es etwa ein beiges oder lieber beigefarbenes<br />

Kleid sein? Falls es einem Zungenbrecher<br />

wie ‘tough’ nicht gelingt, sich einzubett en, folgt<br />

eine autoimmune Germanisierung: das muti erte<br />

Wort heiβt nun ‘taff ’, was schlicht und einfach soviel<br />

wie zäh, derb oder hart bedeutet.<br />

Wissenschaft ler haben sich ernsthaft e Sorgen<br />

um das Erhalten der Anglizismen auf einem<br />

relati v opti malen Niveau gemacht. Eine Rüstung<br />

oder Quarantäne sind jedoch nicht nöti g, beruhigt<br />

Prof. Heinz Vater. Es gibt auch Entlehnungen aus<br />

anderen Sprachen, u.a. der Yoghurt aus dem Türkischen,<br />

dazu passen sie sich meistens der deutschen<br />

Grammati k an.<br />

Das Event mit unserem Gast nahm mit einer<br />

lindernden Diskussion mit den Pati enten ein gutes<br />

Ende. Erleichtert und getröstet verbrachte man anschließend<br />

noch gemeinsam einige schöne Augenblicke<br />

in einem der <strong>Breslau</strong>er Lokale. Darüber hinaus<br />

gelang es, Prof. Dr. Heinz Vater wiederzusehen.<br />

Sie sprechen und verstehen vorzüglich Polnisch.<br />

Was hat sie dazu gebracht, unsere Sprache zu lernen?


Elixiere 5. Ausgabe Wrocław 2011<br />

Zunächst muss ich das etwas einschränken, ich<br />

glaube nicht, dass ich so vorzüglich Polnisch spreche.<br />

Vielleicht gehöre ich zu den wenigen Deutschen,<br />

<strong>die</strong> sich für das Polnische interessieren und<br />

angefangen haben, Polnisch zu lernen. Aber ich<br />

bin nicht zufrieden, mein Wortschatz ist noch klein<br />

und ich drücke mich oft nicht idiomati sch aus. Der<br />

Grund dafür war eher politi sch. Ich lebte in der damaligen<br />

DDR, arbeitete als Assistent an der Akademie<br />

der Wissenschaft en in Ostberlin und ich war<br />

unzufrieden mit der Berichterstatt ung in unseren<br />

Zeitungen, im “Neuen Deutschland” usw. Vor allem<br />

im Bezug auf <strong>die</strong> Lage in Polen, wo sich einiges<br />

ereignet hat. Da gab es schon <strong>die</strong> ersten Protestakti<br />

onen in Danzig. Noch vor Lech Wałęsa und der<br />

Gründung der Solidarność, und zwar Ende der 50er<br />

Jahre. Ich wollte mehr wissen und nahm deswegen<br />

an einem Kurs im Ośrodek Kultury Polskiej in<br />

Ostberlin teil. Dort habe ich angefangen, Polnisch<br />

zu lernen. 1961 bin ich gefl üchtet, habe mich dann<br />

mehrere Jahre in Westdeutschland gar nicht mit<br />

dem Polnischen beschäft igt. 1969 bin ich in <strong>die</strong><br />

USA gefahren, habe dort wieder angefangen, Polnisch<br />

zu betreiben, was nicht so leicht war, weil<br />

dann immer vom Englischen ins Polnische und umgekehrt<br />

übersetzt werden musste. Nach 1972, als<br />

ich <strong>die</strong> Professur in Köln kriegte, habe ich wieder<br />

regelmäßig an Kursen an der Uni Köln teilgenommen.<br />

Mein Polnisch hat sich deutlich verbessert<br />

als ich in den 80-er Jahren eine Einladung für ein<br />

Semester an <strong>die</strong> KUL bekam. Nach meiner Rückkehr<br />

hatt e ich nicht viel Gelegenheit zu sprechen<br />

und musste wiederum andere Sprachen lernen,<br />

wie z. B. Französisch (Gastprofessur) oder Dänisch,<br />

da ich auch mit einer Dänin verheiratet war.<br />

Wie hat Ihre Zusammenarbeit mit den polnischen<br />

Hochschulen begonnen?<br />

Ich bekam eine Einladung an <strong>die</strong> KUL von Professor<br />

Grucza, einem prominenten germanisti schen<br />

Linguist aus Warschau, vermitt elt. Dort machte ich<br />

neue Bekanntschaft en und bekam weitere Einladungen<br />

zu Vorträgen in Poznań und Rzeszów wie<br />

auch zu Gastprofessuren in Szczecin, Wrocław,<br />

Warschau und noch mal in Lublin.<br />

Sie haben <strong>die</strong> Erfahrung gemacht, ein Semester<br />

lang mit Studenten aus Wrocław zu arbeiten,<br />

waren auch oft Gast an Universitäten in Amerika<br />

FACHSCHAFTEN<br />

und asiati schen Ländern. Wie vernehmen Sie <strong>die</strong><br />

Unterschiede?<br />

Ich kann ohne Übertreibung sagen, dass <strong>die</strong> polnischen<br />

Germanisti kstudenten zu den besten nicht<br />

deutschsprachigen Germanisti kstudenten zählen,<br />

<strong>die</strong> ich kenne. In Polen und Ungarn spricht man<br />

das beste Deutsch. Wobei in Ungarn <strong>die</strong> Sprachverhältnisse<br />

nachgelassen haben, da man bei den<br />

Aufnahmeprüfungen nicht mehr entsprechende<br />

Sprachkenntnisse fordert. InBrasilien dagegen waren<br />

<strong>die</strong> Deutschkenntnisse sehr mangelhaft , sie<br />

haben <strong>die</strong> einfachsten Sätze nicht verstanden.<br />

Bis vor kurzer Zeit erfreute sich an unserer Universität<br />

<strong>die</strong> literaturwissenschaft liche Fakultät<br />

einer größeren Beliebtheit als <strong>die</strong> sprachwissenschaft<br />

liche. Gilt <strong>die</strong>se Tendenz auch an den deutschen<br />

Uni’s?<br />

Ja. Man kann wirklich verallgemeinern und sagen,<br />

dass weitaus <strong>die</strong> meisten Studenten <strong>die</strong> Germanisti<br />

k wegen der Literatur stu<strong>die</strong>ren und viele wissen<br />

gar nicht, dass Sprachwissenschaft auch dazu<br />

gehört. In Köln habe ich aber eine gute Erfahrung<br />

gemacht. Wenn man zu zeigen versteht, womit<br />

sich <strong>die</strong> Linguisti k beschäft igt, das interessant<br />

macht, auf Probleme hinweist, dann gibt es eine<br />

Reihe von Studenten (in Köln waren es sicher 20-<br />

25%) <strong>die</strong> sich im Laufe der ersten Semester immer<br />

mehr für Linguisti k interessierten und zum groβen<br />

Teil danach auch im Hauptstudium dabeiblieben.<br />

Ich war mit der Entwicklung zufrieden.<br />

Woran könnte das liegen?<br />

Das liegt an Verschiedenem. Zum Teil an der Unzufriedenheit<br />

der Studenten wie gelehrt wird. Viele<br />

Studenten sagten mir, dass in der Literaturwissenschaft<br />

viel Phantasie ist und vieles, was man nicht<br />

nachvollziehen kann. Linguisti k ist da viel handfester.<br />

Das ist sicher auch übertrieben. Wir bemühen uns<br />

um eine klare Darstellung der Struktur, Regularitäten<br />

herauszuarbeiten, Zusammenhänge zu schildern.<br />

Darum bemüht man sich auch in der Literatur,<br />

dort hat man jedoch off enbar nicht so festen Boden.<br />

Sie waren oft mals in Polen. Gibt es etwas, was sie<br />

besonders schätzen, was ihnen nach der Abreise<br />

fehlen wird?<br />

Seite 23


Elixiere 5. Ausgabe Wrocław 2011<br />

Ich schätze <strong>die</strong> großβe Spontaneität der Studenten<br />

und wahrscheinlich überhaupt der jungen<br />

Leute hier. Ich glaube, dass polnische Studenten<br />

viel Lebensfreude haben, <strong>die</strong> sie mehr verbreiten<br />

als <strong>die</strong> Leute bei uns. Die kulturelle Traditi on spielt<br />

hier eine gewisse Rolle. Das ist in Deutschland leider<br />

sehr zurückgegangen, zum großen Teil ist es<br />

Schuld der Nazi’s, weil sie <strong>die</strong> deutsche Kultur,<br />

sprich deutsche Volkslieder, Volksbräuche sehr<br />

mit nati onalisti schem Inhalt verknüpft haben, so<br />

Die Sprachwissenschaft liche Studentenfachschaft<br />

(pol. „Językoznawcze Koło Naukowe Germanistów”,<br />

kurz JKNG) ist neben der literaturwissenschaft<br />

lichen Studentenfachschaft und der Theatergruppe<br />

Durcheinander <strong>die</strong> dritt e Studentengemeinschaft<br />

am Insti tut für deutsche Philologie an<br />

der Universität Wrocław.<br />

Zu unserem Kreis gehören <strong>die</strong> Studenten/innen<br />

bzw. Doktoranden/innen, <strong>die</strong> sich im Bereich deutsche<br />

Sprachwissenschaft entwickeln möchten. Der<br />

JKNG funkti oniert seit Dezember 2009, registriert<br />

wurde er aber erst im Jahre 2011.<br />

Unser Team bilden: Herr Professor Lesław Cirko<br />

– Fachbetreuung, Zuzanna Czerwonka – Vorsitzende,<br />

Dominika Pańczyszyn – stellvertretende<br />

Vorsitzende, Magdalena Plinta – Kassenwärti n, Karolina<br />

Opas- Protokollanti n und 12 Mitglieder aus<br />

Seite 24<br />

— JKNG —<br />

FACHSCHAFTEN<br />

dass man nach 1945 all’ das beiseite geworfen<br />

hat. Man hat ‘das Kind aus dem Bade geschütt et’.<br />

Plötzlich kannte niemand mehr <strong>die</strong> alten deutschen<br />

Volkslieder, obwohl sie doch sehr schön und<br />

eingängig sind. Junge Deutsche kennen amerikanische<br />

Volkslieder besser als deutsche. Das ist eine<br />

bedauerliche Entwicklung. Ich glaube, so ist das in<br />

Polen nicht.<br />

Vielen Dank für das Gespräch!<br />

Sandra Łabędź<br />

dem Studentenkreis. Ihre Gastvorträge haben bis<br />

jetzt sieben Linguisten aus Deutschland und Polen<br />

gehalten (u.a. Ulrich Engel, Heinz Vater, Karen<br />

Schramm).<br />

In der Zukunft planen wir ein neues wissenschaft<br />

liches Projekt „Wrocław sprachwissenschaft -<br />

lich” (pol. „Wrocław językoznawczy”), in dem <strong>die</strong><br />

aktuellsten linguisti schen Forschungen auf einer<br />

interakti ven Karte <strong>Breslau</strong> gezeigt werden.<br />

Alle Studenten/innen, <strong>die</strong> sich akti v an unserem<br />

Insti tut beteiligen möchten, sind bei uns immer<br />

willkommen.<br />

Wir empfehlen Ihnen unsere offi zielle Website<br />

[www.jkng.ifg.uni.wroc.pl], wo Informati onen<br />

zu unseren Begegnungen, aber auch interessante<br />

Materialien zu fi nden sind. Wir freuen uns auf Ihre<br />

Mitgliedschaft im JKNG!<br />

Łukasz Pakuła


Elixiere 5. Ausgabe Wrocław 2011<br />

Die Germanistische Fachschaft<br />

und Friederike Kempner<br />

Auf dem Alten Jüdischen Friedhof in der Lohestraße<br />

(ul. Ślężna) in <strong>Breslau</strong> befi ndet sich ein Grab mit<br />

folgender Aufschrift : Ihr Leben war geisti ger Arbeit<br />

und Werken der Nächstenliebe geweiht. Die Rede<br />

ist von Friederike Kempner, einer Frau, <strong>die</strong> heute<br />

fast vergessen ist, aber es durchaus ver<strong>die</strong>nt, nicht<br />

in Vergessenheit zu geraten. Die Schlesische Nachti<br />

gal, wie sie einst genannt wurde, war eine kontroverse<br />

und interessante Persönlichkeit, <strong>die</strong> jetzt<br />

durch <strong>die</strong> Fachschaft der Germanisti kstudenten<br />

wieder aufl ebt.<br />

Friederike Kempner ist am 25. Juni 1828 in<br />

Opatow (Opatów) geboren worden. Ihre Erziehung<br />

in Sachen: Französisch, Literatur und jüdischem<br />

Glaube erhielt sie von der Mutt er. Den Tod beider<br />

Eltern verarbeitete Friederike in vielen Gedichten.<br />

Sie blieb ihr Leben lang unverheiratet und lebte<br />

auf ihrem eigenen Gut – Friederikehof – von 1844<br />

bis zu ihrem Tod am 23. Februar 1904.<br />

Neben ihrer schrift stellerischen Täti gkeit widmete<br />

sich Kempner der Krankenpfl ege und setzte<br />

sich gegen <strong>die</strong> Einzelhaft ein. Doch ihr bekanntester<br />

und wichti gster Ver<strong>die</strong>nst ist <strong>die</strong> Errichtung von<br />

Leichenschauhäusern im Deutschen Reich. Dies<br />

setzte sie mit ihrer Streitschrift Denkschrift über<br />

<strong>die</strong> Nothwendigkeit einer gesetzlichen Einführung<br />

von Leichenhäusern, <strong>die</strong> zwischen 1850 und 1867<br />

sechs Aufl agen erlebt hat. Durch <strong>die</strong>se Veröff entlichung<br />

wird deutlich, wie groß <strong>die</strong> Angst der damaligen<br />

Menschen war, lebendig begraben zu werden.<br />

Kempners Angst ging so weit, dass sie angeblich<br />

veranlassen wollte, dass in ihrem Grab ein Mechanismus<br />

eingebaut wird, mit dem sie den Friedhofswärter<br />

benachrichti gen kann, dass sie noch lebt<br />

und dass man sie schnell herausholen soll.<br />

Kempner war eine produkti ve Schrift stellerin.<br />

Sie verfasste mehrere Novellen und Dramen. Obwohl<br />

ihre Bücher sich durchaus verkaufen konnten,<br />

blieb sie von den Kriti kern unentdeckt. Anders<br />

sah es mit ihrem lyrischen Werk aus. Ihre Gedichte<br />

FACHSCHAFTEN<br />

erlebten zu Lebzeiten Kempners acht Aufl agen.<br />

Die Literaturkriti ker gaben ihr den Spitznamen <strong>die</strong><br />

Schlesische Nachti gal und ernannten sie zur Meisterin<br />

der ungewollten Komik. Ihre Dichtkunst, <strong>die</strong><br />

meistens erschauern und zu Refl ekti on sti mulieren<br />

sollte, brachte den Leser nur dazu, den Kopf zu<br />

schütt eln oder zu lachen. Herman Moster (1901-<br />

1973), ein Schrift steller und Kabaretti st, behauptete<br />

sogar, dass <strong>die</strong> Bücher von Friederike Kempner<br />

allesamt von ihrer Familie aufgekauft wurden, um<br />

den Spott so gut es nur ging zu verhindern. Sti chhalti<br />

ge Beweise konnte Moster jedoch nicht vorlegen.<br />

Sicher ist allerdings, dass der einfl ussreiche<br />

Kriti ker Alfred Kempner seinen Nachnamen in Kerr<br />

ändern ließ, um nicht mit der Schlesischen Nachti -<br />

gal in einen Topf geworfen zu werden.<br />

Die Mitglieder der Fachschaft der Germanisti kstudenten<br />

der Universität Wrocław kennen Friederike<br />

Kempner nur zu gut. Man könnte sogar behaupten,<br />

dass sie eine inoffi zielle Schutzpatronin<br />

der Fachschaft ist, weil ihre Gedichte von Zeit zu<br />

Zeit aufgesagt werden und so ein Lachen auf <strong>die</strong><br />

Gesichter der Zuhörer zaubern. Sei es bei einem<br />

regulären Treff en der Fachschaft , bei einer Stu<strong>die</strong>nreise<br />

oder einem Spaziergang durch <strong>die</strong> <strong>Stadt</strong><br />

<strong>Breslau</strong> und den Alten Jüdischen Friedhof. Im<br />

Sommersemester 2011 startete ein besonderes<br />

Projekt. Die Fachschaft mitglieder fi ngen an, <strong>die</strong><br />

Gedichte Kempners ins Polnische zu übersetzen.<br />

Die Auswahl ist groß, denn <strong>die</strong> Schrift stellerin hat<br />

einen ganzen Stapel Lyrik zurückgelassen. Nachdem<br />

<strong>die</strong> Übersetzungen gesammelt und korrigiert<br />

werden, werden sie in einer Publikati on veröff entlicht.<br />

Jeder, der sich als Übersetzer versuchen will,<br />

ist herzlich eingeladen, bei dem Projekt mitzumachen.<br />

Dies lohnt sich auf jeden Fall und es braucht<br />

auch nicht viel, um was Bedeutendes zu machen.<br />

Sei es auch <strong>die</strong> Erhaltung der Erinnerung an <strong>die</strong><br />

Meisterin der ungewollten Komik.<br />

Adrian Golly<br />

Seite 25


Elixiere 5. Ausgabe Wrocław 2011<br />

Vom 26. bis zum 19. Mai hatt e unsere Germanisti<br />

sche Fachschaft wieder mal eine Stu<strong>die</strong>nreise<br />

unternommen. Diesmal ging es in das Reich von<br />

Rübezahl, ins sagenumwobene Riesengebirge.<br />

Über vier Tage wanderten wir auf den Spuren von<br />

Literaten, <strong>die</strong> <strong>die</strong>ses Gebirge besuchten und umschrieben.<br />

Dabei lernten wir auch <strong>die</strong> Geschichte<br />

vom Riesengebirge und vom Tourismus in den Bergen<br />

kennen.<br />

Mit dem Bus fuhren wir nach Karpacz (Krummhübel).<br />

Am ersten Tag haben uns <strong>die</strong> Berge mit<br />

wunderschönem, sonnigem Wett er begrüßt. Zuerst<br />

besichti gten wir <strong>die</strong> norwegische Stabkirche<br />

Wang in Karpacz. Die mitt elalterliche Stabholzkirche<br />

aus dem norwegischen Vang wurde 1841 vom<br />

preußischen König Friedrich Willhelm IV erworben<br />

und 1842 auf Initi ati ve der Gräfi n Friederike von<br />

Reden in Krummhübel (Karpacz) aufgestellt. Die<br />

Kirche wurde ohne einen einzigen Nagel aufgebaut.<br />

Vor der Kirche wurde ein Referat über <strong>die</strong><br />

Gräfi n Friederike von Reden abgehalten. Nach einer<br />

Stärkung im nahe gelegenen Lokal ging es endlich<br />

auf <strong>die</strong> Wanderung. Zum großen Teil auf dem<br />

sog. Jubiläumsweg, der zum 25. Bestehungsjubiläum<br />

vom Riesengebirgsverein errichtet wurde,<br />

ging es an dem Schronisko Samotnia (Teichbaude)<br />

und dem Schronisko Strzecha Akademicka (Hampelbaude)<br />

zum Schronisko Dom Śląski (Schlesierhaus).<br />

In der Herberge am Fuße der Schneekoppe<br />

aßen wir unser Abendessen und hörten ein Referat<br />

zur Schneekoppe und zu ihren ersten Besteigungen.<br />

Außerdem hörten wir über Theodors Fontanne<br />

Aufenthalte im Riesengebirge und <strong>die</strong> wahre<br />

Geschichte vom Förster und Wild<strong>die</strong>b, <strong>die</strong> Fontane<br />

in seinem Roman „Quitt “ bearbeitet hatt e. Danach<br />

gingen wir brav schlafen, da wir, wie der Touristenbrauch<br />

will, am nächsten Tag ganz früh <strong>die</strong> Schneekoppe<br />

besteigen wollten, um von Oben den Sonnenaufgang<br />

zu genießen.<br />

Leider mussten wir den Herren der Berge irgendwie<br />

verärgert haben, denn als wir um 3 Uhr<br />

Seite 26<br />

In Rübezahls Reich<br />

FACHSCHAFTEN<br />

morgens aufstanden, begrüßte uns ein gewalti ges<br />

Gewitt er, das uns den Aufsti eg unmöglich machte.<br />

Auch als wir nach dem Frühstück um 10 Uhr den<br />

Berg besti egen, war er noch in dichte Wolken umhüllt.<br />

In Kälte, leichtem Regen und starkem Wind<br />

haben wir <strong>die</strong> in Wolken stehende Schneekoppe<br />

besti egen. Leider blieb uns der schöne Ausblick<br />

verwehrt, lange Zeit sahen wir nur das Weiß der<br />

Wolken um uns. Erst auf dem Weg wieder nach<br />

Unten haben sich <strong>die</strong> Wolken langsam gelichtet<br />

und wir durft en doch noch <strong>die</strong> Aussichten genießen.<br />

Wir erfuhren von unserem Betreuer Dr. Pacholski<br />

den genauen Weg, den <strong>die</strong> Helden von<br />

Paul Kellers Roman „Waldwinter“ zurücklegten.<br />

Einen Teil <strong>die</strong>ses Weges sind wir an <strong>die</strong>sem Tag in<br />

entgegen gesetzter Richtung gegangen. Der Himmel<br />

war am Tag stark bewölkt, aber zum Glück regnete<br />

es nicht mehr. Nachdem wir ziemlich schnell<br />

an unserem nächsten Rastplatz – Schronisko<br />

Odrodzenie (ehem. Jugendkammhaus „Rübezahl“)<br />

angelangt waren, aßen wir zu Mitt ag und gingen<br />

anschließend auf <strong>die</strong> tschechische Seite spazieren<br />

(einige waren nach dem kurzen – 3 stündigem –<br />

Spaziergang erschöpft ). Vom Spaziergang zurück,<br />

aßen wir unser Abendessen, es gab Bigos, der jedoch<br />

den meisten von uns nicht geschmeckt hatt e.<br />

Danach wurde ein Referat zum RGV, d.h. zum Riesengebirgsverein,<br />

gehalten. Und so endete unser<br />

zweiter Tag im Riesengebirge.<br />

Den dritt en Tag haben wir wie gewöhnlich mit<br />

einem kräft igen Frühstück angefangen. Dieses Mal<br />

ging es zu den Śnieżne Kotły (Schneegruben), dann<br />

runter nach Tschechien zur Labská bouda (Elbfallbaude)<br />

und zu der Elbquelle, danach zur Szrenica<br />

(Reift räger) und schließlich zum Schronisko Hala<br />

Szrenicka (Neue Schlesische Baude). Das Wett er<br />

spielte größtenteils mit, nur als wir an den Śnieżne<br />

Kotły waren, gingen wir wieder in Wolken, so dass<br />

wir nichts von ihnen gesehen haben. Bevor wir<br />

<strong>die</strong> Elbquelle erreichten, machten wir eine kurze<br />

Pause in der Labská bouda um uns zu stärken.


Elixiere 5. Ausgabe Wrocław 2011<br />

Die Gruppe vor der PTTK-Baude „Na Hali Szrenickiej“<br />

An der symbolischen Elbquelle gab es eine Figur<br />

der Elbe und <strong>die</strong> Wappen der wichti gsten Städte,<br />

durch <strong>die</strong> sie fl ießt. Danach ging es zur langersehnten<br />

Szrenica. Schon seit dem Anfang der Reise<br />

schwärmte eine der Teilnehmerinnen von den<br />

besten Pfannkuchen mit Blaubeeren, <strong>die</strong> es gibt<br />

und <strong>die</strong> man eben auf der Szrenica bekommt. Wir<br />

wurden nicht entt äuscht. Danach ging es zu unserer<br />

letzten Übernachtungsstätt e, dem Schronisko<br />

Hala Szrenicka. Dort hatt en wir viel zu lachen, <strong>die</strong><br />

Bedingungen, <strong>die</strong> wir dort vorfanden, hatt en sich<br />

wahrscheinlich seit den 50-er Jahren nicht sonderlich<br />

verändert (außer einem Plasmafernseher, der<br />

ausgeschaltet war). Auch <strong>die</strong>se Nacht haben wir<br />

irgendwie überstanden.<br />

Am letzten Tag gingen wir von der Hala Szrenicka<br />

runter zur Szklarka Poręba (Schreiberhau).<br />

Auf dem Weg dorthin waren wir noch am Wasserfall<br />

Kamionka. In Szklarska Poręba besuchten wir<br />

das Haus der Gebrüder Hauptmann, in dem sich<br />

ein Museum befi ndet. Außer Ausstellungstücken<br />

zu den Hauptmanns, gibt es dort auch noch eine<br />

Ausstellung über moderne Kunst und ein Rübe-<br />

FACHSCHAFTEN<br />

zahlzimmer. Dort kann man <strong>die</strong> vielen verschiedenen<br />

Darstellungen von Rübezahl sehen. Im<br />

Museumsgarten wurden <strong>die</strong> letzten zwei Referate<br />

abgehalten, über Rübezahl bei Johannes Praetorius<br />

und bei Musäus und das zweite Referat war<br />

über Carl Hauptmann und sein „Rübezahlbuch“.<br />

Danach befolgten wir den Rat der nett en Frau<br />

vom Museum und gingen <strong>die</strong> Straße ein Stück<br />

aufwärts zu einem Hotel und fragten dort nach einem<br />

Mitt agessen. Nach dem köstlichen Mitt agessen<br />

begaben wir uns zum Bahnhof und machten<br />

uns auf <strong>die</strong> Rückreise, <strong>die</strong> über 4 Stunden dauerte.<br />

Rübezahl hatt e uns mit gutem Wett er begrüßt<br />

und wieder verabschiedet.<br />

Die Reise war ein voller Erfolg, das Wett er<br />

spielte größtenteils mit, <strong>die</strong> Teilnehmer waren gut<br />

in Form und in guter Laune. Ich persönlich kann<br />

unsere Stu<strong>die</strong>nreise nur weiter empfehlen, <strong>die</strong><br />

nächste große Reise wird im November stattf inden.<br />

Kommt das nächste Mal mit uns und erlebt<br />

selbst solche Abenteuer.<br />

Jan Kunce<br />

Seite 27


Elixiere 5. Ausgabe Wrocław 2011<br />

In <strong>die</strong>sem Jahr feierte <strong>die</strong> Deutsche Kinowoche<br />

„niemieckie niuanse... deutsche details…” in elf<br />

polnischen Städten ihren 10. Geburtstag. Diese<br />

wurde vom Insti tut für Auslandsbeziehungen e.<br />

V. gemeinsam mit verschiedenen Organisati onen<br />

der deutschen Minderheit in Polen veranstaltet.<br />

In <strong>Breslau</strong> wurde <strong>die</strong> Deutsche Kinowoche von der<br />

Deutschen Sozial-Kulturellen Gesellschaft in <strong>Breslau</strong><br />

und Odrafi lm organisiert.<br />

Die Filme standen unter dem Mott o „Nachbarwelten“,<br />

damit wollten <strong>die</strong> Organisatoren an <strong>die</strong><br />

Unterzeichnung des Vertrags zwischen der Bundesrepublik<br />

Deutschland und der Republik Polen<br />

über gute Nachbarschaft und freundschaft liche<br />

Zusammenarbeit vor 20 Jahren erinnern.<br />

In <strong>Breslau</strong> wurden <strong>die</strong> Filme zwischen dem 13.<br />

und dem 18. Mai jeweils um 20 Uhr (16.05.11,<br />

17:00 Uhr) im Kino Warszawa gezeigt.<br />

Mit der Filmvorführung von „Friendship!“ von<br />

Markus Goller begann am Freitag <strong>die</strong> Deutsche Kinowoche.<br />

1989: Während ganz Deutschland <strong>die</strong><br />

Wiedervereinigung feiert, machen sich zwei 22-jährige<br />

Ossis mit 100 DM Begrüßungsgeld in der Tasche<br />

auf, Veits (Protagonist) gefl üchteten Vater in Amerika<br />

zu suchen. 1990 – <strong>die</strong> Mauer ist schon gefallen,<br />

aber <strong>die</strong> DDR steht noch – beschließen <strong>die</strong> beiden<br />

nach San Francisco zu fahren. Der narrati ve Bogen<br />

ist damit gespannt für ein klassisches Roadmovie,<br />

eine Reise gen Westen. Anfangs hat man aber das<br />

Gefühl in einer der ironisch-nostalgischen DDR-Komö<strong>die</strong>n<br />

gelandet zu sein (<strong>die</strong> milden humorvollen<br />

Rückblicke, <strong>die</strong> man schon aus Filmen wie „Sonnenallee“<br />

oder „Good Bye, Lenin!“ kennt). Doch dann<br />

unterstreicht der Regisseur <strong>die</strong> Authenti zität der<br />

vorkommenden ostdeutschen Töne, was den Figuren<br />

und ihrer Geschichte in <strong>die</strong>sem Culture Clash<br />

notwendige Echtheit verleiht. „Friendship!“ be<strong>die</strong>nt<br />

sich leider eins zu eins der Klischees (eine Gruppe<br />

Marshmallows grillender Easy Rider, zwei „chicks“ in<br />

einer Bar und ihr Vater mit der Schrotf linte) und das<br />

bildet <strong>die</strong> größte Schwäche <strong>die</strong>ses Films. Doch der<br />

Seite 28<br />

REZENSIONEN UND BERICHTE<br />

Deutsche Kinowoche<br />

„niemieckie niuanse...deutsche details…”<br />

Schwerpunkt des Werkes ist natürlich <strong>die</strong> auf mehreren<br />

Ebenen abzulesende Freundschaft , <strong>die</strong> wird<br />

aber schwer geprüft , als eine schöne Frau auft aucht<br />

(hier ein polnischer Akzent: Alicja Bachleda Curuś).<br />

Das Thema der Freundschaft wird im zweiten<br />

Film des Festi vals weiterentwickelt, nämlich<br />

in „Renn, wenn du kannst“ von Dietrich Brüggemann.<br />

Ein Problemfi lm, der sich als sog. Behindertenfi<br />

lm (<strong>die</strong> Behinderungs-Themati k war auch<br />

ein wichti ger Punkt der Refl exionen während der<br />

Kinowoche) qualifi zieren lässt. Das Werk stellt <strong>die</strong><br />

Geschichte eines Rollstuhlfahrers (Ben), dessen<br />

Zivis und einer Frau dar, <strong>die</strong> sich ineinander verlieben<br />

– trotzdem kommt kein Kitsch dabei heraus.<br />

Die anfangs vom Regisseur angelegte klassische<br />

Dreiecksbeziehung kreist ab der zweiten Hälft e des<br />

Films immer mehr um Ben und seine Traumwelt,<br />

aber auch um <strong>die</strong> Dämonen seiner Vergangenheit.<br />

Brüggemann gelang es ein Drehbuch zu schreiben,<br />

das heuti ge Gutmenschenatti tüden, unnöti ge Larmoyanz,<br />

Betroff enheitsklischees und senti mentalen<br />

Pathos vermeidet. Partnerschaft , Liebe, Sex –<br />

das alles gehört zum Leben der Menschen mit Behinderung<br />

– was für den einen selbstverständlich,<br />

ist für den anderen leider eine Utopie oder ein Tabuthema<br />

ist. Was noch ins Auge, oder vielmehr ins<br />

Ohr, fällt, ist ein gemeiner Wortwitz, der schon im<br />

durchaus zynischen Titel ausgedrückt wird.<br />

Nach dem Drama kam <strong>die</strong> Zeit für eine Komö<strong>die</strong>.<br />

In „Schröders wunderbare Welt“ lässt sich<br />

Michael Schorr auf ein recht erfrischendes Spiel<br />

mit den Klischees ein. Der Film erzählt <strong>die</strong> Geschichte<br />

von Frank Schröder, einem Mann, der<br />

ein giganti sches künstliches Tropenpara<strong>die</strong>s in<br />

seinem Heimatort Tauchritz, mitt en im Niemandsland<br />

des deutsch-polnisch-tschechischen Grenzgebietes<br />

realisieren will. Die opti misti sche Vision<br />

des Protagonisten kann leider nicht aufgehen,<br />

weil <strong>die</strong>jenigen, für <strong>die</strong> es gedacht ist, sich längst<br />

in ihre jeweils privaten Para<strong>die</strong>se eingeschlossen<br />

haben. Der Regisseur basiert hier auf einer Idee,


Elixiere 5. Ausgabe Wrocław 2011<br />

<strong>die</strong> skurrile Begegnung zwischen verschiedenen<br />

Kulturen zu inszenieren. Der Humor ist aber eher<br />

als lakonisch zu beschreiben und im Laufe der Zeit<br />

entwickelt der Film seinen melancholischen Charme.<br />

Eine interessante Auseinandersetzung mit der<br />

Provinz einer ostdeutschen Grenzlandschaft .<br />

Am vierten Tag der Deutschen Kinowoche wurden<br />

zwei Dokus präsenti ert: „Eine blonde Provinz“<br />

und „W imię ich matek – historia Ireny Sendlerowej“.<br />

Der erste Film schildert <strong>die</strong> Geschichte der<br />

Deportati on polnischer Bürger ins Deutsche Reich<br />

im Herbst 1939. Die Nazis hatt en vor, im besetzten<br />

Polen, in einem Distrikt namens Warthegau, ein Experimenti<br />

erfeld des Rassenwahns zu installieren.<br />

Eine „blonde Provinz“ sollte als ein Laboratorium<br />

zur Züchtung einer „germanischen Herrenrasse“<br />

entstehen. Die Filmemacher stellen drei Männer<br />

vor, <strong>die</strong> beim deutschen Überfall auf Polen noch<br />

Kinder waren (Helmut Steinitz, Dieter Bielenstein<br />

und Henryk Jaszcz). Die Produkti on von Jacek Kubiak<br />

und Klaus Salge wurde außerdem mit dem<br />

Deutsch-Polnischen Journalistenpreis 2010 in der<br />

Kategorie „Fernsehen“ ausgezeichnet.<br />

Die nächste Dokumentati on von Marc Skinner<br />

erzählt über das Leben von Irena Sendler, einer<br />

muti gen Polin, <strong>die</strong> den Zuschauern wahrscheinlich<br />

schon aus dem Film „The Courageous Heart of<br />

Irena Sendler“ und dem Buch „Irena Sendler. Die<br />

Mutt er der Holocaust-Kinder“ von Anna Mieszkowska<br />

bekannt ist. Die Titelheldin rett ete während<br />

des Zweiten Weltkriegs 2500 Kinder aus dem<br />

Warschauer Ghett o. Der Film enthält das letzte<br />

lange Interview, das sie vor ihrem Tod im Alter von<br />

98 Jahren gab.<br />

Das vorletzte Werk des Festi vals zieht den Zuschauer<br />

im gewissen Sinne schon wieder in <strong>die</strong><br />

REZENSIONEN UND BERICHTE<br />

Welt der Behinderung ein. „Ganz nah bei dir“ von<br />

Almut Gett o ist eine besondere Liebesgeschichte<br />

von einem Pedanten und einer Blinden. Der Regisseur<br />

verleiht seinem Film einen besonderen poeti -<br />

schen Blick auf <strong>die</strong> Wirklichkeit, <strong>die</strong> durch <strong>die</strong> Kamera<br />

von Michael Wiesweg vor allem aus Gitt ern,<br />

Treppen und Straßenfl uchten konstruiert wird. In<br />

<strong>die</strong>sem klaustrophobischen, surrealen Universum<br />

spielt <strong>die</strong> Liebesmelo<strong>die</strong> des pedanti schen jungen<br />

Mannes und der blinden, aber lebenslusti gen Cellisti<br />

n. Die Einsamkeit der Großstadt, <strong>die</strong> Angst vor<br />

Veränderung, <strong>die</strong> Hoff nung auf einen Neubeginn –<br />

das sind nur einige der Moti ve, <strong>die</strong> in <strong>die</strong>sem wirklich<br />

empfehlenswerten Film berücksichti gt wurden.<br />

Die Deutsche Kinowoche endete mit der „Wintertochter“<br />

(einer deutsch-polnischen Koprodukti<br />

on) unter der Regie von Johannes Schmid. Das<br />

Werk über Vertreibung und Identi tät, über familiäre<br />

Probleme und das Überschreiten von Grenzen<br />

bildete eine gute Zusammenfassung des Themas<br />

„Nachbarwelten“. Es ist <strong>die</strong> polnische Vorpremiere,<br />

denn in Deutschland wird es erst ab dem 20.<br />

Oktober 2011 in den Kinos erscheinen. Der Film<br />

erzählt von der 11-jährigen Katt aka, <strong>die</strong> am Weihnachtsabend<br />

durch Zufall erfährt, dass ihr leiblicher<br />

Vater in Wirklichkeit ein russischer Matrose ist. Das<br />

Mädchen entscheidet sich für <strong>die</strong> Suche nach ihm.<br />

Es beginnt eine abenteuerliche Reise durch Schnee<br />

und Eis.<br />

Die <strong>die</strong>sjährige Deutsche Kinowoche wurde<br />

nochmal zum Ort der Begegnung mit den neuesten,<br />

interessanten, deutschen Produkti onen, an<br />

dem viel Aufmerksamkeit nicht nur der Diskussion<br />

über gute, alte Völkerfreundschaft , sondern auch<br />

solchen Themen wie z. B. der Behindertenproblemati<br />

k zukam.<br />

Julita Burszta<br />

Seite 29


Elixiere 5. Ausgabe Wrocław 2011<br />

Seite 30<br />

Schwaben und seine Dichter –<br />

eine Berichterstattung<br />

Am 15. Mai 2011 unternahm eine Gruppe von 16<br />

<strong>Breslau</strong>er Germanisten eine Reise ins deutsche<br />

Schwaben. Man könnte sagen eine Highlight Reise.<br />

Warum? Jede Stati on bot den mehr oder weniger<br />

Literatur interessierten Fans eine neue, aufregende<br />

Entdeckung. Aber: fangen wir von vorne an.<br />

Die Ausreise aus <strong>Breslau</strong> und <strong>die</strong> c.a. 15 – stündige<br />

Fahrt mit dem Bus verging ohne Probleme und gegen<br />

13 Uhr sind wir an dem Ort gelandet, der unsere<br />

Schlafb asis während des ganzes Aufenthaltes<br />

werden sollte. Marbach. Eine kleine, man könnte<br />

fast sagen, idyllische <strong>Stadt</strong> am Neckar. Laien würden<br />

sagen, es gäbe dort nichts zu sehen außer der<br />

ziemlich anmuti gen Umgebung. Aber nein. In Marbach<br />

befi ndet sich das zweitgrößte, nach Weimar,<br />

literarische Archiv in Deutschland. Das moderne<br />

Literaturzentrum zieht jährlich viele Wissenschaft -<br />

ler aus der ganzen Welt in das kleine Städtchen an.<br />

Der erste Tag unseres Aufenthaltes verlief also unter<br />

dem Zeichen des Beschnupperns des Archivs:<br />

<strong>die</strong> Führung unterrichtete uns ausführlich über <strong>die</strong><br />

Entstehung, Initi ati ve und das Funkti onieren der<br />

Insti tuti on. Unsere Studenten wurden auch in <strong>die</strong><br />

Geheimnisse des Bestell-Programms eingeweiht,<br />

so dass sie <strong>die</strong> Möglichkeit erhielten selbst Materialien,<br />

<strong>die</strong> sie interessierten, zu recherchieren.<br />

Referate über <strong>die</strong> Schwäbischen Dichterpersönlichkeiten<br />

Eduard Mörike, Abraham a Santa Clara<br />

und Ludwig Uhland sowie der Lebenslauf eines<br />

der wichti gsten deutschen Verleger Friedrich Cotta<br />

waren der krönende Abschluss <strong>die</strong>ses Tages. Im<br />

Laufe der intensiven Woche hat <strong>die</strong> Gruppe mehrere<br />

Orte des literarischen Lebens in Schwaben<br />

erforscht. Dabei gab es auch Zeitreisen wie zum<br />

Beispiel am Dienstag, als <strong>die</strong> Gruppe im Limo Museum<br />

materielle Zeugnisse der Literaturgeschichte<br />

beobachten konnte: zu sehen waren solche Sachen<br />

wie der Brief Adolf Hitlers an Ernst Jünger mit<br />

der Danksagung des Führers an den Schrift steller<br />

REZENSIONEN UND BERICHTE<br />

(für <strong>die</strong> Widmung seines Buches Feuer und Blut<br />

an ihn), <strong>die</strong> Originalhandschrift des Prozesses von<br />

Kafk a sowie <strong>die</strong> originale Nobelpreis-Urkunde angeferti<br />

gt für Hermann Hesse. Im Schiller Museum,<br />

durch das eine Führung unmitt elbar danach folgte,<br />

sahen wir Fragmente des mehrfach bearbeiteten<br />

Wallensteins sowie Schillers Kleidung und sogar<br />

Haare. Ein Seminar zur Aktualität Mörikes und<br />

eine ausführliche gemeinsame Interpretati on seines<br />

Gedichtes „Auf eine Lampe“ – <strong>die</strong> durch das<br />

äußerst interessante Referat vom Streit Heideggers<br />

und Staigers über das Gedicht ergänzt wurde<br />

– war ein ausgezeichneter Einsti eg in das gemeinsam<br />

vorbereitete Abendessen, das bis ti ef in <strong>die</strong><br />

Nacht dauerte. Dritt er Tag: und noch eine Zeitreise.<br />

In Ludwigsburg gibt es das Residenzschloss,<br />

das zwischen 1704 und 1733 unter der Herrschaft<br />

von Herzog Eberhard Ludwig von Württ emberg im<br />

Barocksti l errichtet wurde – <strong>die</strong> zweistündige Führung<br />

war wie ein Moment, dabei hatt e <strong>die</strong> Gruppe<br />

über 60 Räume besichti gt. Mit Highlights wie <strong>die</strong><br />

Schlafzimmer der Herzogin und des Herzogs (natürlich<br />

waren sie getrennt) sowie dem Saal in dem<br />

er hochrangige Gäste aufgenommen hatt e. Eine<br />

ungewöhnliche Sache: eine Theaterbühne mitten<br />

im Schloss, wo Stücke und Opern aufgeführt<br />

worden sind. Der ganze Schlosskomplex umfasste<br />

auch ein kleineres Sommerschloss mit aufwendig<br />

geschmückten Wänden. Das Wett er war hervorragend,<br />

so dass <strong>die</strong> Gruppe <strong>die</strong> Möglichkeit hatt e,<br />

sich draußen das Referat über <strong>die</strong> Jugend Schillers<br />

anzuhören. Der Tag wurde mit einem ausführlichen<br />

Referat beendet, dessen Thema <strong>die</strong> Textanalyse<br />

von Kabale und Liebe von Schiller gewesen ist<br />

– dabei haben wir uns Fragmente einer modernen<br />

Inszenierung des Stückes im Theater angeguckt.<br />

Der nächste Tag war der <strong>Stadt</strong> Stutt gart gewidmet.<br />

Im Verlag Klett Cott a, wo wir zu Gast waren, bekamen<br />

wir eine geschichtliche Einführung von dem


Elixiere 5. Ausgabe Wrocław 2011<br />

Die Studentengruppe in Stutt gart<br />

Lektor für Phantasti sche Literatur Stephan Ascani<br />

sowie einen Vortrag von Herrn Roland Knappe,<br />

der für <strong>die</strong> Vergabe der Lizenzen an <strong>die</strong> Autoren<br />

zuständig ist. Anschließend beantwortete er Fragen<br />

von Studenten und führte uns durch den Verlag.<br />

Das Kunstmuseum in Stutt gart war <strong>die</strong> nächste<br />

Stati on, wo wir Bilder von Picasso, den deutschen<br />

Expressionisten sowie diverse sakralische Kunst<br />

gesehen haben. Der nächste Tag war unter anderem<br />

dem Schrift steller Hermann Hesse gewidmet,<br />

der in seiner Jugend <strong>die</strong> Maulbronner Klosterschule<br />

besucht hatt e: bevor wir uns also Referate zu<br />

den Geheimnissen seines Erfolges sowie seiner<br />

Erzählung Im Presselchen Gartenhaus angehört<br />

haben, besichti gten wir <strong>die</strong> ganze beeindruckende<br />

Klosteranlage, wo wir eine äußerst interessante<br />

Führung bekommen haben, <strong>die</strong> uns das Leben im<br />

Kloster vor Jahrhunderten näher gebracht hat. Wir<br />

hörten auch wie das Leben hier heute aussieht,<br />

und wie <strong>die</strong> Schule, <strong>die</strong> sich dort jetzt befi ndet,<br />

funkti oniert. Am 21. Mai dann schließlich Tübin-<br />

REZENSIONEN UND BERICHTE<br />

gen. Das Seminar zu Hölderlins Oden, das in dem<br />

legendären Turm stattf and und von dem bedeutenden<br />

Kenner Prof. Gaier geleitet wurde, startete<br />

den Tag. Eine kurze Führung durch den Turm, wo<br />

sich ein kleines Museum, das Hölderlin gewidmet<br />

ist, befi ndet, und dann fanden wir uns schon im<br />

Herzen der jungen, dynamischen Studentenstadt.<br />

Die zum Teil mitt elalterlichen Gassen, reich geschmückten<br />

Gebäude und reizende Orte hat und<br />

freundlicherweise Prof. Todorov gezeigt, <strong>die</strong> uns<br />

dabei zusätzlich über <strong>die</strong> Geschichte der <strong>Stadt</strong><br />

und ihre Situati on heute erzählt hat. Das Tübinger<br />

Sti ft war der Gruppe den ganzen Aufenthalt über<br />

ein Begriff . Mörike, Waiblinger, Uhland – alle haben<br />

dort stu<strong>die</strong>rt. Es war also eine der wichti gsten<br />

Stati onen während der Besichti gung der <strong>Stadt</strong>, wo<br />

wir uns Referate über das Sti ft selbst und über den<br />

schwäbischen Pieti smus angehört haben.<br />

Eine Abschlussdiskussion am nächsten Tag erfolgte<br />

in einer Atmosphäre von Zufriedenheit und<br />

fröhlicher Müdigkeit.<br />

Agata Czarkowska<br />

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Elixiere 5. Ausgabe Wrocław 2011<br />

Seite 32<br />

„Ein deutscher Dichter bin<br />

ich einst gewesen“<br />

<strong>Breslau</strong>er und Neisser Studenten bei der<br />

Ausstellungseröff nung in Düsseldorf<br />

„Wieder musst du durch <strong>die</strong> Welten fahren, / überall<br />

verfemt und abgelehnt, / auch in deinen letzten<br />

Lebensjahren / ohne das, wonach dein Sinn sich<br />

sehnt, / dort noch, wo sie dir ein Obdach geben,<br />

/ fl üchti g nur geduldet, unbekannt, / immer scheu<br />

und wie auf Abbruch leben, / bis es aus dem Leben<br />

dich verbannt.“ Dieses Fragment stammt aus<br />

dem Gedicht von Max Hermann-Neiße, das den Titel<br />

„Auf Abbruch“ trägt. Der Schrift steller beklagt<br />

seine Lebenslage im Exil, <strong>die</strong> durch Sehnsucht,<br />

Melancholie, Ablehnung und Anonymität geprägt<br />

gewesen ist. Es sei, als ob er genau wüsste, dass<br />

sein Schaff en, nach seinem Tode, jahrzehntelang<br />

in Vergessenheit geriet. Damit lag er ganz richti g,<br />

denn, obwohl er zu den ersten und feurigsten Gegnern<br />

des Nati onalsozialismus gehörte, verschwand<br />

sein Werk aus dem menschlichen Gedächtnis. Erst<br />

seit einiger Zeit begann man sich, in der Forschung,<br />

für den Neisser Dichter zu interessieren. Davon<br />

zeugt unter anderem <strong>die</strong> erste ausführliche Monographie<br />

über Max Hermann-Neiße, im Jahre 2010<br />

veröff entlicht. Es war <strong>die</strong> Dissertati on von Beata<br />

Giblak aus Neisse mit dem Titel: Wygnaniec i jego<br />

ojczyzny. Max Hermann-Neiße (1886 – 1941). Ein<br />

Jahr nach der Veröff entlichung des Buches fand in<br />

der Geburtsstadt des Dichters eine weit bedeutende<br />

Veranstaltung statt : eine Tagung Max Hermann<br />

gewidmet. Wissenschaft ler aus Polen und Deutschland<br />

haben sich mit den verschiedensten Aspekten<br />

des Schaff ens und auch des Lebens des Schrift stellers<br />

beschäft igt, wie auch mit vielen interdisziplinären<br />

und intertextuellen Elementen seiner Werke.<br />

Die Tagung erfreute sich auch des Interesses bei<br />

den Stu<strong>die</strong>renden. Es verwunderte daher nur wenig,<br />

dass <strong>die</strong> Einladung von Prof. Dr. Sybille Schönborn,<br />

an einer Ausstellung und anschließend an<br />

REZENSIONEN UND BERICHTE<br />

einem Studentenseminar in Düsseldorf teilzunehmen,<br />

mit Freude angenommen wurde.<br />

„Ein deutscher Dichter bin ich einst gewesen“<br />

schrieb der Neisser Dichter und <strong>die</strong>ser, wahrscheinlich<br />

bekannteste Satz von ihm gab der Ausstellung<br />

in Düsseldorf ihren Titel. Sie wurde anlässlich seines<br />

70. Todestages, im Rahmen eines von Prof. Dr. Sybille<br />

Schönborn geleiteten Seminars, veranstaltet. Es<br />

wäre an <strong>die</strong>ser Stelle vielleicht angebracht das Max<br />

Hermann-Neiße Insti tut an der Heinrich-Heine-<br />

Universität in Düsseldorf kurz darzustellen. Es versteht<br />

sich als eine Einrichtung zur Erforschung der<br />

deutschsprachigen Literatur und Kultur im östlichen<br />

Europa. Ein Schwerpunkt der Forschungen liegt aber<br />

in der Region Schlesien. Prof. Schönborn als Leiterin<br />

des Insti tuts legt großen Wert auf <strong>die</strong> Zusammenarbeit<br />

mit anderen ausländischen Insti tuten, <strong>die</strong> gemeinsam<br />

ein Archiv des kulturelles Gedächtnisses<br />

bereitzustellen versuchen. Die Hauptvoraussetzungen<br />

sind, <strong>die</strong> deutschsprachige Literatur aus Osteuropa<br />

als ein gemeinsames Erbe der europäischen<br />

Traditi on zu bewahren. In <strong>die</strong>sem Sinne spielte <strong>die</strong><br />

Ausstellung, dem fast vergessenen Dichter gewidmet,<br />

eine gravierende Rolle. Die Eröff nung fand<br />

am 14. April in dem Gerhart-Hauptmann-Haus in<br />

Düsseldorf statt . Das Besondere war allerdings <strong>die</strong><br />

Tatsache, dass <strong>die</strong> Ausstellung ganz und gar von den<br />

Studenten der Heinrich-Heine-Universität vorbereitet<br />

wurde. Im Rahmen eines Seminars hatt en sie<br />

<strong>die</strong> Aufgabe <strong>die</strong> Ausstellungstücke zu organisieren<br />

und entsprechend auszustellen. Der Aufwand, den<br />

sie auf sich nahmen, machte auf <strong>die</strong> Studenten aus<br />

Neisse und <strong>Breslau</strong> wirklich einen großen Eindruck.<br />

Bevor man <strong>die</strong> Exponate bewundern konnte, richtete<br />

der Prorektor für Lehre und Stu<strong>die</strong>nqualität Prof.<br />

Dr. Ulrich von Alemann ein Grußwort an <strong>die</strong> Gäste


Elixiere 5. Ausgabe Wrocław 2011<br />

und Veranstalter. Ihm folgten Begrüßungen des Dekans<br />

der Philosophischen Fakultät der Heinrich-Heine-Universität<br />

Prof. Dr. Bruno Bleckmann und des<br />

Direktors der Sti ft ung Gerhart Hauptmann Haus Dr.<br />

Winfrid Halder. Schließlich wurde ein Vortrag gehalten<br />

über das Leben, Werk und Wirkung von Max<br />

Hermann-Neiße von Prof. Dr. Schönborn und <strong>die</strong><br />

Studenten aus Düsseldorf. Um in das Flair der Welt<br />

des Dichters ti efer einzutauchen, wurde <strong>die</strong> Vorlesung<br />

mit einer musikalischen Einleitung des Max<br />

Hermann-Neiße melancholischen Kabarett s begleitet.<br />

Nach dem offi ziellen Teil schauten sich <strong>die</strong> Gäste<br />

<strong>die</strong> Ausstellungsstücke an und konnten sich dann<br />

auch mit einem Schluck Wein stärken. Manche ausgestellten<br />

Dokumente und Arbeiten wurden bisher<br />

nirgends veröff entlicht. Neben den Zeichnungen,<br />

Fotografi en und amtlichen Dokumenten wurde <strong>die</strong><br />

Geschichte der einzelnen Werke vom handschrift -<br />

lichen Entwurf bis zur Werkausgabe dokumenti ert.<br />

Neben dem schrift lichen Nachlass fanden sich dort<br />

Filmfragmente und Bilder des Dichters.<br />

In den nächsten Tagen fand das Seminar für<br />

polnische und deutsche Stu<strong>die</strong>rende statt . Da<br />

<strong>die</strong> Menge der Teilnehmer groß war, wurden <strong>die</strong><br />

Studenten in zwei Sekti onen geteilt, wo sie ihre<br />

Referate hielten. Die Vorträge behandelten unterschiedliche<br />

Elemente des Schaff ens und auch des<br />

Lebens des Dichters. Am 16. April wurde eine <strong>Stadt</strong>führung<br />

für <strong>die</strong> polnischen Studenten veranstaltet.<br />

Die Führung machte einer der deutschen Studen-<br />

REZENSIONEN UND BERICHTE<br />

ten Henning Konetzke. Der dreistündige Spaziergang<br />

durch <strong>die</strong> <strong>Stadt</strong> brachte den Gästen <strong>die</strong> lokale<br />

Kultur und Geschichte ein bisschen näher. Darin<br />

zu bewundern war besonders <strong>die</strong> verwundernde<br />

Vielfalt, <strong>die</strong> Düsseldorf auszeichnet und <strong>die</strong> Menge<br />

von Kontrasten, <strong>die</strong> der Düsseldorfer Student den<br />

polnischen Stu<strong>die</strong>renden vor Augen führte. Um <strong>die</strong><br />

verschiedenen Facett en von Düsseldorf noch ti efer<br />

zu erkunden, begaben sich <strong>die</strong> polnischen samt<br />

den deutschen Studenten noch am selben Abend<br />

auf eine nächtliche <strong>Stadt</strong>t our. Dies ermöglichte das<br />

Nachtleben der schönen Metropole zu erforschen.<br />

Am nächsten Tag wurde „Die Laube der Seligen“<br />

von den Neisser Stu<strong>die</strong>renden aufgeführt und fand<br />

großen Beifall bei den deutschen Kommilitonen.<br />

Damit wurde das Seminar abgeschlossen. Es war<br />

wirklich zu loben, dass den polnischen Studenten<br />

viel Zeit während des Aufenthaltes gegönnt war,<br />

um <strong>die</strong> wundervolle <strong>Stadt</strong> auf eigene Faust zu besichti<br />

gen. Diese besondere Angelegenheit wurde<br />

jeden Tag genutzt, um eigene subjekti ve Eindrücke<br />

zu sammeln. Das Max Hermann-Neiße Seminar<br />

trug besti mmt sehr viel zur Verbreitung des Interesses<br />

für das Schaff en des Dichters bei den jungen<br />

Forschern bei. Es verhalf auch <strong>die</strong> Grundsätze des<br />

Max Hermann-Neiße Insti tuts zu fördern, indem<br />

es zu einem interkulturellen Austausch und einer<br />

Mitarbeit zwischen den deutschen und polnischen<br />

Studenten führte.<br />

Katarzyna Skubisz<br />

„Ein deutscher Dichter bin<br />

ich einst gewese“<br />

„Max Herrmann-Neiße in polnischer Sprache. Ein<br />

Vortrag und ein Workshop mit jungen Übersetzern.“<br />

– so stand es auf dem Programm. Ich wusste<br />

sofort, dass ich daran teilnehmen werde. Nicht<br />

nur, weil ich mich für Übersetzungen interessiere,<br />

Max Herrmann-Neiße auf polnisch<br />

sondern auch, weil ich vorhatt e, <strong>die</strong>sen Bericht zu<br />

schreiben. Und es hat sich gelohnt.<br />

Ich kam an <strong>die</strong> Uni zehn Minuten vor Beginn.<br />

Viele Interessierte waren schon anwesend. Nach<br />

einer kurzen Weile erschien auch unser Seminar-<br />

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Elixiere 5. Ausgabe Wrocław 2011<br />

leiter, Prof. Wojciech Kunicki. „Ich freue mich, dass<br />

Sie gekommen sind.“ – sagte er zu uns und lud uns<br />

in den Saal ein.<br />

Wir hatt en vor, uns mit dem Gedicht „Ein deutscher<br />

Dichter bin ich einst gewesen“ zu beschäfti<br />

gen. Prof. Kunicki eröff nete den Workshop mit<br />

einer kurzen Einleitung zu Max Herrmann-Neiße.<br />

Auch über <strong>die</strong> Umstände der Entstehung <strong>die</strong>ses<br />

Gedichts sagte er ein paar Worte. Das Gedicht<br />

ist nämlich eines der Spätwerke <strong>die</strong>ses Künstlers,<br />

das nach seiner Übersiedlung nach London 1933<br />

entstanden ist. Der Text ist relati v einfach, im<br />

Vergleich zu seinen früheren Dichtungen, deren<br />

Sprache, wie unser Seminarleiter es bezeichnete,<br />

ein fast mysti sches Klima bilden. Aber wir trafen<br />

uns nicht um über das Gedicht und den Autor zu<br />

sprechen, sondern um eines seiner Gedichte zu<br />

übersetzen. Wir hatt en nur eine Stunde Zeit und in<br />

<strong>die</strong>ser mussten wir unbedingt mit <strong>die</strong>sem Gedicht<br />

ferti g werden. Wir hatt en nämlich vor, den Eff ekt<br />

unserer Arbeit um 17:00 Uhr in der Aula Leopoldina<br />

vorzutragen.<br />

„Was müssen wir bei der Übersetzung berücksichti<br />

gen?“ – fragte uns Professor Kunicki. Man<br />

hörte unterschiedliche Vorschläge: <strong>die</strong> Reime, den<br />

Rhythmus, <strong>die</strong> Bedeutung der einzelner Wörter<br />

und des ganzen Textes...<br />

Nach Meinung des Professors haben wir aber<br />

das wichti gste nicht genannt, nämlich <strong>die</strong> literarischen<br />

Entsprechung in unserer Mutt ersprache.<br />

Wir sollten einen polnischen Dichter fi nden, der<br />

ähnlich wie unser deutsches Vorbild schrieb und<br />

seine Gedichte analysieren, bevor wir zu übersetzen<br />

anfangen. Aber welcher polnischer Dichter<br />

schrieb so wie Max Herrmann? Oder umgekehrt:<br />

wie welcher polnischer Dichter schrieb Max Herrmann.<br />

Die Antwort: Julian Tuwim. In <strong>die</strong>sem Fall<br />

ging es um <strong>die</strong> starke Rhythmik, <strong>die</strong> bei beiden<br />

vorhanden ist.<br />

Nach <strong>die</strong>ser Einleitung konnten wir anfangen<br />

zu übersetzen. Am Anfang der Titel. Man könnte<br />

vermuten, dass das Übersetzen des Titels in<br />

<strong>die</strong>sem Fall nichts Schwieriges sein wird. Das<br />

ist aber nur <strong>die</strong> halbe Wahrheit. In <strong>die</strong>sem Gedicht<br />

ist der Titel zugleich auch der erste Vers<br />

der ersten Strophe; er wurde auch in der dritten<br />

Strophe wiederholt, wir mussten ihn also so<br />

übersetzen, dass er eine entsprechende rhythmische<br />

Struktur hat und zugleich zum Rest des<br />

Seite 34<br />

REZENSIONEN UND BERICHTE<br />

Gedichts passt. Viele Vorschläge fi elen und wir<br />

haben über alle heft ig diskuti ert, konnten uns<br />

aber für keinen entscheiden. Der Vorschlag: man<br />

entschied, dass <strong>die</strong>jenigen, <strong>die</strong> schon ihre Übersetzung<br />

vorbereitet haben, sie auch vorlesen,<br />

vergleichen und, wenn nöti g, korrigieren oder<br />

verändern. Dann sollte <strong>die</strong> Version ausgewählt<br />

werden, <strong>die</strong> allen am besten gefällt.<br />

Als erste las ihre Übersetzung Monika Klich. Die<br />

Übersetzung hat uns ganz gut gefallen, besonders<br />

der letzte Vers. Dann war ich an der Reihe. Mein<br />

Vorschlag war nicht schlecht, aber der Professor<br />

hatt e einige Vorbehalte; der erste Vers gefi el ihm<br />

überhaupt nicht (ehrlich gesagt, mir auch nicht,<br />

nur wollte ich mich der Reimstruktur unterordnen).<br />

Prof. Kunicki las uns auch <strong>die</strong> Übersetzung<br />

von Piotr Stronciwilk vor, <strong>die</strong> auch sehr interessant<br />

war. Es entstand dann <strong>die</strong> Frage: für welche Übersetzung<br />

entscheiden wir uns? Man musste <strong>die</strong>se<br />

Entscheidung sehr schnell treff en, weil uns <strong>die</strong> Zeit<br />

schon drängte. Endlich kam der Professor auf <strong>die</strong><br />

Idee, zwei Übersetzungen zu verbinden. Die drei<br />

ersten Verse stammten von Monika Klich und <strong>die</strong><br />

letzten von Piotr Stronciwilk. Die Reime passten<br />

glücklicherweise, so gab es auch keine Probleme<br />

bei der Verbindung.<br />

Mit der zweiten und dritt en Strophe machten<br />

wir das gleiche, d.h. lesen, vergleichen, verbessern<br />

und dann wählen. Diese Runde ging an mich, aber<br />

<strong>die</strong> Versionen meiner Kommilitonen waren auch<br />

sehr gut und es war schwierig, eine Entscheidung<br />

zu treff en.<br />

Bei der vierten Strophe mussten wir etwas länger<br />

überlegen. Ich und Monika Klich haben unsere<br />

Übersetzungen vorgelesen, aber niemand wollte<br />

sagen, welche wir eigentlich wählen sollten, weil<br />

beide allen gefallen haben. Der Professor wollte<br />

noch einmal eine Verbindung machen, <strong>die</strong>smal<br />

aber sollten <strong>die</strong> zwei ersten Zeilen von mir und <strong>die</strong><br />

zwei letzten von Monika Klich sein. Leider hatt en<br />

wir ein Problem damit, weil wir andere Reime verwendet<br />

haben. Wir müssten kombinieren, damit<br />

alles zusammenpasst. Wir schrieben beide Teile<br />

des Gedichts an <strong>die</strong> Tafel und kombinierten, am<br />

Anfang ergebnislos. Dann aber habe ich meine<br />

Zeilen so geändert, dass alles miteinander übereinsti<br />

mmte.<br />

Der Professor freute sich sehr, dass es klappte,<br />

nur... „Es gibt hier keinen Spuk.“ – sagte jemand


Elixiere 5. Ausgabe Wrocław 2011<br />

aus dem Saal. Und es sti mmte. In der letzten Strophe<br />

<strong>die</strong>ses Gedichts hatt en wir es mit dem Wort<br />

„Spuk“ zu tun. In meiner Übersetzung versuchte<br />

ich es wiederzugeben, Monika Klich ebenfalls. In<br />

<strong>die</strong>sem Moment erinnerte sich der Professor daran,<br />

dass wir auch eine dritt e Version haben und las<br />

uns <strong>die</strong> letzte Strophe vor. Sie gefi el uns allen und<br />

enthielt das Wort „Spuk“. Deswegen entschieden<br />

wir <strong>die</strong> Verbindungsversuche aufzugeben und das<br />

Germanisten feiern am besten<br />

Januar war wie immer super anstrengend. Mir<br />

geht es um <strong>die</strong> Prüfungszeit, natürlich. Aber <strong>die</strong><br />

Germanisten aus dem III. Stu<strong>die</strong>njahr beschäft igte<br />

noch etwas... Das Lizenziat selbstverständlich. Na<br />

ja, aber dafür hatt en wir noch viel Zeit. Die wichti<br />

gste Sache war eine ganz andere – ein außergewöhnliches<br />

und tolles Bergfest zu organisieren.<br />

REZENSIONEN UND BERICHTE<br />

Gedicht mit der Strophe von Piotr Stronciwilk zu<br />

beenden.<br />

Nach einer Stunde schwerer Arbeit und heft iger<br />

Debatt en haben wir unser Ziel erreicht. Wir hatt en<br />

eine tolle Übersetzung des Gedichts, das wir in der<br />

Aula Leopoldina vortragen konnten und das ein<br />

Ergebnis unserer Zusammenarbeit war. Es war ein<br />

sehr erfolgreiches Seminar und ich habe viel über<br />

Übersetzungen gelernt. Es lohnte sich zu kommen.<br />

Natalia Domagała<br />

Germanisten feiern am besten<br />

Bergfest im Mafi a-Style, 3. März 2011<br />

Das erste Problem hieß: einen Saal zu fi nden,<br />

der gut ausgestatt et sein wird, einen Küchenchef<br />

ausfi ndig zu machen, der was leckeres anbietet<br />

und einen guten Preis zu vereinbaren, der günsti g<br />

für Studenten ist. Er sollte nicht so hoch sein, weil<br />

Studenten alle Ersparnisse für Kopien, Lehrmaterialien<br />

und Wörterbücher ausgeben. Dann, nach<br />

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Elixiere 5. Ausgabe Wrocław 2011<br />

langer Zeit und vielen Mühen, fanden wir was<br />

Schönes für uns – das Lokal „Casanuova“ in der<br />

Ruskastraße. Die Lage war super, der Preis – prima<br />

und <strong>die</strong> Ausstatt ung war ganz im Mafi a-Style! Sizilianische<br />

Mafi a – das war unser Leitmoti v, wenn<br />

es um Kleidung ging. Wenn wir über <strong>die</strong> Musik<br />

sprechen – alle konnten etwas Passendes für sich<br />

fi nden.<br />

Pünktlich um 20:00 Uhr in der Ruskastraße 37<br />

sah man Frauen in roten und schwarzen Kleidern<br />

mit Füchsen um den Hals, <strong>die</strong> mit Männern mit<br />

Hüten, Hosenträgern und Zigarren im Mund <strong>die</strong><br />

Straße entlang spazierten. Alle trafen sich im „Casanuova“.<br />

Die Sti mmung war wunderbar. Das gedämpft e<br />

Licht verbesserte noch das Gefühl, dass wir an einem<br />

Abendessen mit einer mächti gen Mafi afamilie<br />

saßen – <strong>die</strong> Frauen reden über neue Edelsteine<br />

und <strong>die</strong> Männer denken über <strong>die</strong> Art und Weise,<br />

wie sie ihre Feinde liqui<strong>die</strong>ren, nach.<br />

Nach einem kleinen Stösschen mit dem ersten<br />

Klang der Musik, gab es keinen Platz auf der Tanzfl<br />

äche. Wer tanzen wollte, musste sofort den Platz<br />

besetzen. Mit solchen Hits wie Mallorca, Chery<br />

Chery Lady von der weltberühmten deutschen<br />

Popgruppe Modern Talking (sie bleiben für immer<br />

An der Duboistraße<br />

Seite 36<br />

REZENSIONEN UND BERICHTE<br />

in meinem Herzen) war es unmöglich, untäti g herumzusitzen<br />

und nur zu beobachten. Die Tanzfl äche<br />

brannte!<br />

Ungefähr um 20.00 Uhr gab es eine kurze Pause<br />

fürs Essen und für <strong>die</strong> Regenerati on. Die Studenten<br />

waren aber nicht in der Lage, lange tatenlos zu<br />

sitzen und das Essen zu genießen – sie waren doch<br />

da, um das Bergfest zu feiern! Und so war nach 20<br />

Minuten das Parkett schon wieder voll. Danach ein<br />

kurzes Päuschen für ein Glas Wasser und wieder<br />

tanzen, hüpfen.<br />

Ich kann natürlich nicht den Karaokewett bewerb<br />

überspringen. Alle forderten es! Wir teilten<br />

uns in 5 Gruppen – eine Gruppe an einem Tisch –<br />

und wir traten miteinander in einen Wett streit. Den<br />

Text brauchte der DJ eigentlich nicht zeigen – jeder<br />

kannte <strong>die</strong> Liedtexte. Wir sangen „Agnieszka już<br />

dawno tutaj nie mieszka” – ein unzweifelhaft er Hit<br />

aus dem Jahr 2001, Lieder von Bajm und Perfect.<br />

Obwohl <strong>die</strong> Jury einen Sieger bekannt gab, war<br />

es wirklich so, dass alle unglaublich gut waren und<br />

den Masterti tel in Karaoke ver<strong>die</strong>nt gehabt hätt en.<br />

Mit einem Lied auf den Lippen kamen wir an<br />

<strong>die</strong> Uni zurück. Das Lizenziat wartete auf uns.<br />

Dominika Dossmann


Elixiere 5. Ausgabe Wrocław 2011 KUNST<br />

Nicht erst seit Banksy’s „Exit through the gift shop“<br />

ist Straßenkunst in aller Munde. Der Doku-Film,<br />

der unter anderem vom Londoner Street-Arti st<br />

Banksy handelt, gewährt einen kleinen Einblick<br />

in das Leben der Straßenkünstler in Europa und<br />

Amerika. In Berlin können (Straßen-)Kunsti nteressierte<br />

an einer <strong>Stadt</strong>t our der anderen Art teilne-<br />

An der Długastraße<br />

hmen, wo man durch Hinterhöfe und andere verwinkelten<br />

Ecken geführt wird. Manche Wände sind<br />

weniger mit klassischem Graffi ti , als mit Schablonenbildern,<br />

Aufk lebern und Plakaten regelrecht<br />

zugepfl astert und ergeben eine kunterbunte Collage.<br />

Eine wichti ge Adresse in Berlin ist das Kino<br />

Inti mes in der Niederbarimstraße im Viertel Friedrichshain.<br />

Wie das Repertoire des Kinos wechseln<br />

sich <strong>die</strong> an der Außenwand aufgeklebten Bilder.<br />

Aber das nur so am Rande…<br />

Street-Art bietet ein weites Spektrum an Möglichkeiten,<br />

<strong>die</strong> Idee und <strong>die</strong> Handschrift des Künstlers,<br />

der Wiedererkennungswert ist dabei am wichti<br />

gsten. Banksy wurde durch seine, nicht selten politi<br />

sch moti vierten Schablonen berühmt. In Ber-<br />

StreetArt in <strong>Breslau</strong><br />

lin dagegen treibt Litt le Lucy von El Bocho ihr Unwesen-<br />

ein kleines Mädchen, welches auf <strong>die</strong> unterschiedlichsten<br />

Arten Katzen foltert. Wenn man<br />

irgendwo eine gelbe Spraybanane von Thomas<br />

Baumggärtel sieht, kann man sich sicher sein, dass<br />

sich ganz in der Nähe der Eingang zu einer Kunstgalerie<br />

befi ndet. Sie tauchte erstmals 1986 auf und ist<br />

längst „weltweit zum Qualitätssiegel und inoffi ziellen<br />

Logo der Kunstszene geworden.“ 1 Und in <strong>Breslau</strong>?<br />

Für mich ist nicht der Bronzezwerg das Wahrzeichen<br />

von <strong>Breslau</strong>, sondern <strong>die</strong> Eule, der man an<br />

den unterschiedlichsten Stellen begegnen kann .<br />

Dieser Vogel, von einem gewissen Theodore erschaff<br />

en, schaut mal starr hypnoti sierend, mal wild,<br />

mal überrascht, mal skepti sch, aber immer mit einer<br />

guten Prise Verrücktheit auf das mehr oder<br />

minder bunte Treiben auf <strong>Breslau</strong>s Straßen.<br />

<strong>Breslau</strong> hat also, was Street-Art und Graffi ti angeht,<br />

so Einiges zu bieten und braucht sich hinter<br />

den Street-Art Metropolen wie London, Ber-<br />

1 www.bananensprayer.de<br />

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Elixiere 5. Ausgabe Wrocław 2011 KUNST<br />

lin oder Barcelona nicht zu<br />

verstecken. Seit 2006 tauchen<br />

in <strong>Breslau</strong> immer mehr<br />

Wandmalereien oder Wandbilder<br />

auf, wobei sowohl <strong>die</strong><br />

polnische als auch englische<br />

Bezeichnung MURAL mir<br />

hier viel passender scheint.<br />

Es ist keineswegs eine neuzeitliche<br />

Erscheinung. Schon<br />

in der Zeit der Volksrepublik<br />

Polen hat man gerne ganze<br />

Hausfassaden zu Propaganda-<br />

oder Werbezwecken bemalt.<br />

Davon gibt es in <strong>Breslau</strong><br />

übrigens eine ganze Menge<br />

und <strong>die</strong> <strong>Stadt</strong> überlegt, ob<br />

man sie nicht in altem Glanz<br />

erstrahlen lassen sollte, aber<br />

das ist eine andere Geschichte.<br />

Im Jahr 2006 jedenfalls<br />

entstand das Projekt „Muralia“.<br />

Gut 190 Entwürfe gingen<br />

ein und der Gewinner wurde<br />

auf der seitlichen Hausfassade<br />

bei der Straße Wyszyńskiego<br />

verewigt. Das Projekt ist<br />

auf ein so positi ves Feedback<br />

gestoßen, dass weitere Akti -<br />

onen gestartet wurden. Das<br />

Ergebnis kann sich durchaus<br />

1.<br />

4.<br />

Auf den Bildern folgende Straßen: 1. Powstańców Śląskich, 2. Pomorska,<br />

3. Vorderbleiche – Wyspa Słodowa; 4. Kotlarska<br />

Seite 38<br />

2.<br />

3.<br />

sehen lassen. 2010 entstand<br />

sogar eine separate <strong>Stadt</strong>karte,<br />

<strong>die</strong> Orte aufzeigt, wo<br />

sich solche, nicht selten in<br />

Hinterhöfen versteckten<br />

Murals befi nden. Die Karte<br />

ist einzigarti g in Polen.<br />

Sie beinhaltet allerdings nur<br />

<strong>die</strong> Arbeiten, 27 an der Zahl,<br />

<strong>die</strong> im Rahmen des Projekts<br />

BREAKIN´ THE WALLS entstanden,<br />

das vom BWA (Galeria<br />

Sztuki Współczesnej)<br />

organisiert wurde. Namhafte<br />

internati onale Street-Art<br />

Künstler haben sich hier verewigt.<br />

Zu nennen ist unbedingt<br />

Blu oder Erica Il Cane,<br />

beide aus Bologna. Ersterer<br />

sollte uns Studenten sehr<br />

gut bekannt sein, denn eines<br />

seiner Bilder ist auf der<br />

Wyspa Słodowa zu bestaunen<br />

(leider wurde es unlängst<br />

beschmiert, aber <strong>die</strong><br />

Silesia Schrift züge kann man<br />

sich ja wegdenken…). <strong>Breslau</strong>er<br />

Künstler wie M-City<br />

sind natürlich auch mit von<br />

der Parti e.<br />

Was soll ich hier noch<br />

groß rumquatschen. Den<br />

meisten Spaß macht es<br />

doch, wenn man selbst neue<br />

Street-Art-Werke entdeckt,<br />

<strong>die</strong> legalen oder weniger legalen,<br />

<strong>die</strong> von namhaft en<br />

oder anonymen Künstlern.<br />

Also ruhig mal den Blick ab<br />

und zu nach oben oder zur<br />

Seite richten, denn man<br />

weiß nie, was so alles beim<br />

Durchstreifen der Straßen<br />

darauf wartet gesehen zu<br />

werden... Na dann: Augen<br />

auf und in Bewegung bleiben!<br />

Und natürlich viel Spaß<br />

beim Entdecken!<br />

Karolina Piechota


Elixiere 5. Ausgabe Wrocław 2011 KUNST<br />

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