Breslau/Wrocław – die ehrgeizige Stadt - Instytut Filologii Germańskiej
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Zeitschrift der Germanistik – Studenten
Impressum<br />
Chefredakteur: Rafał Biskup<br />
Redakti on: Natalia Domagała, Katarzyna Kurka, Rafał Biskup, Mariusz Dzieweczyński<br />
Layout: Katarzyna Kurka<br />
Cover: Katarzyna Kurka<br />
Korrekturen: Clara Liehmann, Mariusz Dzieweczyński<br />
Anschrift : <strong>Instytut</strong> <strong>Filologii</strong> Germańskiej, pl. Nankiera 15, 50-140<br />
E-Mail: elixiere.germanistyka@gmail.com<br />
Aufl age: 200<br />
Druck: Ofi cyna Wydawnicza ATUT Wrocławskie Wydawnictwo Oświatowe.<br />
ul. T. Kościuszki 51A, 50-011 Wrocław<br />
Finanzierung: Mit freundlicher Unterstützung des Insti tuts für Germanisti k<br />
der Universität Wrocław, des Dekans der Philologischen Fakultät der Universität Wrocław<br />
und der Prorektorin der Universität Wrocław.<br />
Für den Inhalt der Texte sind nur allein <strong>die</strong> Autoren verantwortlich.
VORWORT<br />
Inhalt<br />
Elixiere, <strong>die</strong> fünft e... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4<br />
AKTUELLES<br />
Unsere Kulturen sind sich ähnlich und unterschiedlich zugleich, sie bereichern sich<br />
gegenseiti g. Ein Gespräch mit Prof. Dr. Marek Hałub, dem Vizedirektor des Insti tuts<br />
für Germanisti k der Universität Wrocław und dem Leiter des Lehrstuhls für Kultur<br />
der deutschsprachigen Länder und Schlesiens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5<br />
<strong>Breslau</strong>/Wrocław – <strong>die</strong> <strong>ehrgeizige</strong> <strong>Stadt</strong> . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10<br />
www.niemcy-online.pl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11<br />
Germanisten bezwingen den Balkan! . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14<br />
Wanderweg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16<br />
Gespräch mit Pastor Dawid Mendrok über <strong>die</strong> aktuelle Situati on der deutschen<br />
evangelischen Minderheit in Niederschlesien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17<br />
Schlesische Alltagsbilder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20<br />
FACHSCHAFTEN<br />
Good news: we’ll survive. Infekti onskrankheit ‘Angliziti s’ ist nicht lebensbedrohlich . . . 22<br />
— JKNG — . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24<br />
Die Germanisti sche Fachschaft und Friederike Kempner . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25<br />
In Rübezahls Reich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26<br />
REZENSIONEN UND BERICHTE<br />
Deutsche Kinowoche „niemieckie niuanse...deutsche details…” . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28<br />
Schwaben und seine Dichter – eine Berichterstatt ung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30<br />
„Ein deutscher Dichter bin ich einst gewesen“. <strong>Breslau</strong>er und Neisser Studenten<br />
bei der Ausstellungseröff nung in Düsseldorf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32<br />
„Ein deutscher Dichter bin ich einst gewesen“. Max Herrmann Neisse auf polnisch . . . . 33<br />
Germanisten feiern am besten. Bergfest im Mafi a-Style, 3. März 2011 . . . . . . . . . . . . . . 35<br />
KUNST<br />
StreetArt in <strong>Breslau</strong> . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37
Elixiere 5. Ausgabe Wrocław 2011<br />
Liebe Leserinnen, liebe Leser,<br />
Vor Ihnen/euch <strong>die</strong> fünft e Nummer der Zeitschrift<br />
Elixiere.<br />
Wieder einmal beweisen <strong>die</strong> Autoren, dass am<br />
Insti tut für Germanisti k der Universität Wrocław<br />
vieles passiert, „was nicht auf dem Lehrplan steht“.<br />
Einerseits entwickelte <strong>die</strong> Zeitschrift seit ihrer Reakti<br />
vierung ihr eigenes Profi l, andererseits ist jede<br />
Nummer einzigarti g. So auch <strong>die</strong>se.<br />
Eröff net wird <strong>die</strong> Nummer durch ein Interview<br />
mit dem Vizedirektor der hiesigen Germanisti<br />
k und dem Leiter des Lehrstuhls für Kultur der<br />
deutschsprachiger Länder und Schlesiens, Prof.<br />
Dr. Marek Hałub. Darin wird sowohl das Profi l<br />
des Lehrstuhls skizziert, wie auch aktuelle Fragen<br />
zum Thema der deutsch-polnischen Beziehungen<br />
beantwortet. Zusammenfassen könnte man <strong>die</strong>s<br />
mit den Worten von Prof. Hałub: „Unsere Kulturen<br />
sind sich ähnlich und unterschiedlich zugleich, sie<br />
bereichern sich gegenseiti g“.<br />
Womit sich das Internetportal www.niemcyonline.pl<br />
beschäft igt, erklärt in einem Interview<br />
der Chefredakteur des Portals, Tomasz Sikora. Es<br />
soll zugleich auch <strong>die</strong> Einladung für alle Germanisti<br />
kstudenten sein, <strong>die</strong>ses Portal akti v mitzugestal-<br />
Seite 4<br />
Elixiere, <strong>die</strong> fünfte...<br />
VORWORT<br />
ten, um auch über das „Wichti gste außerhalb der<br />
Oder“ zu berichten.<br />
Die Fachschaft en berichten im weiteren über<br />
ihre Akti vitäten, im Teil „Berichte und Rezensionen“<br />
werden Stu<strong>die</strong>nreisen geschildert, <strong>die</strong> <strong>die</strong><br />
Germanisti kstudenten unternommen haben. Es<br />
fi ndet sich auch ein Bericht über <strong>die</strong> <strong>die</strong>sjährige<br />
Kinowoche, <strong>die</strong> im Mai statt gefunden hat wie auch<br />
eine Schilderung über <strong>die</strong> Feier der Studenten des<br />
dritt en Stu<strong>die</strong>njahres. „Germanisten feiern am besten“<br />
hat <strong>die</strong> Autorin ihren Bericht beti telt. Dem<br />
kann man nur schwer widersprechen.<br />
In <strong>die</strong>ser Nummer fi nden sich zwar keine Gedichte,<br />
dafür aber ein sehr interessanter Arti kel<br />
über „StreetArt in <strong>Breslau</strong>“, das <strong>die</strong> Redakti on unter<br />
<strong>die</strong> Rubrik „Kunst“ eingeordnet hat. Vielleicht<br />
macht uns der Text und <strong>die</strong> dazugehörenden Bilder<br />
noch mehr auf <strong>die</strong> kleinen Schätze unserer <strong>Stadt</strong><br />
aufmerksam? Schön wär’s...<br />
Zum Schluss möchten wir wieder einmal alle<br />
Germanisti kstudenti nnen und –Studenten dazu<br />
einladen, <strong>die</strong> Zeitschrift Elixiere akti v mitzugestalten.<br />
Wir warten auf euch.<br />
Und nun... viel Spaß beim lesen<br />
Rafał Biskup
Elixiere 5. Ausgabe Wrocław 2011 AKTUELLES<br />
Unsere Kulturen sind sich ähnlich<br />
und unterschiedlich zugleich,<br />
sie bereichern sich gegenseitig<br />
Ein Gespräch mit Prof. Dr. Marek Hałub, dem Vizedirektor<br />
des Insti tuts für Germanisti k der Universität Wrocław und dem Leiter<br />
des Lehrstuhls für Kultur der deutschsprachigen Länder und Schlesiens<br />
Elixiere: Welche berühmten, mit der <strong>Stadt</strong><br />
Wrocław (<strong>Breslau</strong>) verbundenen Persönlichkeiten<br />
haben sich Ihrer Meinung nach am stärksten<br />
für <strong>die</strong> Verbesserung der deutsch-polnischen Beziehungen<br />
ver<strong>die</strong>nt gemacht?<br />
Prof. Dr. Marek Hałub: Obwohl man in der heuti -<br />
gen Zeit, in der Zeit des sich vereinigenden Europas<br />
gegenüber Schlesien oder <strong>Breslau</strong> sehr oft <strong>die</strong> Metapher<br />
der „Brücke“ verwendet, darf man nicht vergessen,<br />
dass Schlesien im Laufe seiner Geschichte<br />
eine Grenzregion war, ein Gebiet, das sehr oft <strong>die</strong><br />
Polen und <strong>die</strong> Deutschen geteilt hat. Von daher haben<br />
wir keinen Überschuss der mit <strong>Breslau</strong> verbundenen<br />
Persönlichkeiten, <strong>die</strong> <strong>die</strong> Polen mit den Deutschen<br />
zusammen gebracht hätt en. An erster Stelle<br />
sollte man <strong>die</strong> Gestalt des <strong>Breslau</strong>er Erzbischofs und<br />
Kardinals Bolesław Kominek stellen. Er war Haupti niti<br />
ator und Autor des Briefes polnischer Bischöfe an<br />
<strong>die</strong> deutschen Bischöfe aus dem Jahr 1965 mit der<br />
legendären Botschaft „Wir vergeben und bitt en um<br />
Vergebung”. Aus unserer philologischen Perspekti ve<br />
kann man gewisse <strong>Breslau</strong>er Vertreter sowohl der<br />
polnischen, wie auch der deutschen Literatur nennen,<br />
denen ein gutes Klima zwischen <strong>die</strong>sen beiden<br />
Ländern nicht gleichgülti g gewesen ist. Erwähnen<br />
möchte ich an <strong>die</strong>ser Stelle vor allem zwei Gestalten,<br />
<strong>die</strong> mit dem preußischen <strong>Breslau</strong> in Verbindung stehen.<br />
Es war der bekannte <strong>Breslau</strong>er Dichter aus dem<br />
19. Jh. Karl von Holtei, der mit seinem Lustspiel Der<br />
alte Feldherr <strong>die</strong> Gestalt Tadeusz Kościuszkos in das<br />
Bewusstsein seiner Zeitgenossen einführte. Darüber<br />
hinaus sprach er seine Solidarität zum Novemberaufstand<br />
aus. Und Hoff mann von Fallersleben, Autor<br />
des „Deutschlandliedes”, der zwanzig Jahre in <strong>Breslau</strong><br />
gelebt hat, betonte in seiner Schlesienforschung<br />
immer wieder <strong>die</strong> slawischen Wurzeln Schlesiens. Er<br />
erforschte auch <strong>die</strong> polnische Kultur <strong>die</strong>ser Region, in<br />
einem seiner Gedichte brachte er sogar den Mut auf,<br />
Preußen wegen der Teilungen Polens anzugreifen.<br />
Trotz <strong>die</strong>ser Polenfreundlichen Akzente stand für <strong>die</strong>se<br />
beiden Gestalten jedoch <strong>die</strong> deutsche Statt raison<br />
immer an erster Stelle.<br />
In meinen Vorträgen zum Thema der deutschpolnischen<br />
Beziehungen ziti ere ich immer sehr<br />
gerne ein Brieff ragment des in Wrocław geborenen<br />
deutschen Autors Heinz Winfried Sabais an<br />
Tadeusz Różewicz mit dem Titel Brief von <strong>Breslau</strong><br />
nach Wrocław, wo er zu einer sehr interessanten<br />
Schlussfolgerung kommt: „Lieber Tadeusz<br />
Różewicz, wir beide / sind Civies Wrati slavienses.<br />
Gott will es. / Die <strong>Stadt</strong> hat uns beide in ihre Geschichte<br />
/ genommen (…) Wir müssen uns leiden.<br />
Oder wir sterben”.<br />
Wie wird Schlesien und seine Hauptstadt <strong>Breslau</strong><br />
von den Deutschen betrachtet?<br />
Es ist eine sehr allgemeine Frage, auf <strong>die</strong> man<br />
nur schwer antworten kann. Für viele Deutsche,<br />
vor allem für <strong>die</strong> junge Generation, <strong>die</strong> in ihrer<br />
starken Orientierung Richtung Westen Osteuropa<br />
den Rücken kehrt, spielen Schlesien und<br />
<strong>Breslau</strong> keine große Rolle. Vor kurzem habe ich<br />
von einem Versuch gehört, an einer deutschen<br />
Universität eine Stu<strong>die</strong>nreise für Germanistikstudenten<br />
mit dem Thema „Auf Eichendorffs<br />
Spuren“ zu veranstalten. An einer Stu<strong>die</strong>nreise<br />
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Elixiere 5. Ausgabe Wrocław 2011 AKTUELLES<br />
nach Schlesien war niemand interessiert und so<br />
musste sie abgesagt werden.<br />
Für <strong>die</strong> aus Schlesien umgesiedelten Menschen,<br />
<strong>die</strong> hier ihre Wurzeln haben, ist <strong>die</strong>s ihre<br />
verlorene Heimat, mit deren Verlust sie sich schon<br />
abgefunden haben. Sie besuchen – sehr oft nostalgisch<br />
eingestellt – ihre Heimat, sie knüpfen Kontakte<br />
mit den Polen, nicht selten unterstützen sie<br />
verschiedene Initi ati ven, <strong>die</strong> ihrer Heimat und<br />
der deutsch-polnischen Zusammenarbeit zugutekommen.<br />
Für deutsche Schlesienforscher ist das<br />
ein Gebiet von sehr effi zienten Forschungen, <strong>die</strong><br />
sie meistens in enger Zusammenarbeit mit polnischen<br />
Wissenschaft lern und Forschungsinsti tuti onen<br />
unternehmen.<br />
In der deutschen Wahrnehmung Schlesiens<br />
und <strong>Breslau</strong>s erschien in den letzten Jahren ein<br />
vollkommen neuer Aspekt. In den deutschen Me<strong>die</strong>n<br />
vor allem wird <strong>Breslau</strong> paradigmati sch als <strong>die</strong><br />
führende Metropole des sich modernisierenden<br />
Polens dargestellt, aber auch als ein vorbildhaft er<br />
Ort des europäischen Kollekti vgedächtnisses, das<br />
<strong>die</strong> heuti gen <strong>Breslau</strong>er sehr eff ekti v – und ohne<br />
jegliche Vorbehalte – pfl egen können.<br />
Welche sind Ihre persönlichen Erfahrungen in<br />
den deutsch-polnischen Kontakten?<br />
Generell betrachtet sind <strong>die</strong>se Erfahrungen sehr<br />
produkti v, <strong>die</strong> Zusammenarbeit mit Deutschen<br />
bildet ja den Rückgrat meiner wissenschaft lichen<br />
Sozialisati on. Ich habe in Deutschland circa 80<br />
Gastvorträge gehalten, zusammen mit meinen<br />
Kolleginnen und Kollegen aus Deutschland nehme<br />
ich an vielen wissenschaft lichen Projekten teil, ich<br />
publiziere und veranstalte Tagungen und Workshops.<br />
Wir verstehen uns blendend, ich fi nde auf<br />
<strong>die</strong>sem Gebiet aus der Perspekti ve meiner dreißigjährigen<br />
Arbeit keine Schwachpunkte. Da ich <strong>die</strong>ses<br />
Interview für eine Studentenzeitschrift gebe,<br />
möchte ich <strong>die</strong> sehr gute Benotung unserer Studenten<br />
an den deutschen Hochschulen durch <strong>die</strong><br />
dorti gen Wissenschaft ler unterstreichen. Sie sind<br />
beeindruckt von den sehr guten Deutschkenntnissen<br />
unserer Studenten, von der philologischen<br />
Werkstatt , der Kreati vität wie auch ... der Schönheit<br />
unserer Studenti nnen.<br />
Seite 6<br />
Sie leiten den Lehrstuhl für Kulturwissenschaft an<br />
unserem Insti tut. Was ermuti gt – Ihrer Meinung<br />
nach – <strong>die</strong> Studenten, eben <strong>die</strong>se Spezialisierung<br />
zu wählen und welche Möglichkeiten gibt uns <strong>die</strong><br />
Wahl <strong>die</strong>ser Richtung im Hinblick auf <strong>die</strong> Entwicklung<br />
unserer berufl ichen Karrieren außerhalb des<br />
Insti tuts?<br />
Es soll nicht überheblich klingen, aber ich hoff e<br />
Sie bestäti gen <strong>die</strong> Tatsache, dass das kulturwissenschaft<br />
liche Profi l sich unter den Studenten der<br />
<strong>Breslau</strong>er Germanisti k großer Popularität erfreut,<br />
unsere Lizenziats- und Magisterseminare sind zu<br />
einhundert Prozent belegt. Wir müssen <strong>die</strong> Studenten<br />
nicht speziell ermuti gen, sie kennen doch<br />
sehr gut unsere didakti sche Werkstatt und sie nehmen<br />
mit großem Interesse an unseren Seminaren<br />
teil.<br />
Wir realisieren Ansätze der interkulturellen<br />
Germanisti k, <strong>die</strong> auf das Einfühlungsvermögen orienti<br />
ert ist, also auf <strong>die</strong> Einführung der Studenten<br />
in <strong>die</strong> „Mental Maps” deutschsprachiger Länder.<br />
Ich bin äußerst erfreut, dass wir als einzige Germanisti<br />
k in Polen unseren Studenten drei Skripte<br />
zum nati onalen Identi tätsdiskurs der Deutschen<br />
(bearbeitet von Marek Hałub), der Österreicher<br />
(bearbeitet von Lucjan Puchalski) und der Schweizer<br />
(Dariusz Komorowski) liefern können. Indem<br />
wir <strong>die</strong> Identi tät anderer Nati onen kennen lernen,<br />
entdecken wir auch <strong>die</strong> unsere. Die Balance<br />
zwischen dem „Fremden“ und dem „Eigenen” ist<br />
auch eine Achse unserer Erforschung, daher unser<br />
Interesse für <strong>die</strong> Stereotypen. Unser Themenspektrum<br />
umfasst auch <strong>die</strong> Deutung einer Europäischen<br />
Identi tät wie auch das kennen lernen der<br />
ungewöhnlichen Kulturgeschichte Schlesiens.<br />
All <strong>die</strong>se Elemente bilden eine hervorragende<br />
Ausstatt ung für einen Studenten, der sich mit den<br />
Anforderungen des gegenwärti gen Arbeitsmarktes<br />
messen wird, sei es als Kulturmanager, Journalist,<br />
Verleger, Dolmetscher, als Mitarbeiter in<br />
der Touristi kbranche, in den Strukturen der Europäischen<br />
Union oder auf dem s.g. „Freien Markt“.<br />
Mein Lehrstuhl leitet auch <strong>die</strong> Fachrichtung „Kulturmanager<br />
in Zusammenarbeit der Regionen<br />
der Europäischen Union”, <strong>die</strong> auf <strong>die</strong> Täti gkeit im<br />
breiten Kultursektor vorbereitet. Im Rahmen <strong>die</strong>ses<br />
Studiums unterrichten wir etwa <strong>die</strong> prakti sche<br />
Be<strong>die</strong>nung der EU-Programme.
Elixiere 5. Ausgabe Wrocław 2011 AKTUELLES<br />
In der polnischen Wirklichkeit von heute empfi<br />
ndet man weiterhin eine große Abneigung den<br />
Deutschen gegenüber, deren Kultur und Gesellschaft<br />
. Es verwundert vor allem <strong>die</strong> Tatsache,<br />
dass man <strong>die</strong>se Tendenzen bei der jungen Generati<br />
on beobachten kann – <strong>die</strong>se wiederum lernte<br />
es von den Eltern und Großeltern. Ist es nicht<br />
beunruhigend, vor allem auch wegen der Tatsache,<br />
dass <strong>die</strong>se Abneigung auf einer allgemeinen<br />
gesellschaft lichen Wahrnehmung basiert, weniger<br />
dagegen auf eigenen Erfahrungen oder dem<br />
Kontakt mit dem „Deutschen“?<br />
Hier erlaube ich mir Ihnen zu widersprechen. Laut<br />
der neuesten Angaben, <strong>die</strong> von deutschen und<br />
polnischen Meinungsinsti tuten durchgeführt wurden<br />
– vertraut sind mir auch <strong>die</strong> Angaben der letzten<br />
Umfragen, <strong>die</strong> 2010 durch <strong>die</strong> Konrad-Adenauer-Sti<br />
ft ung gemacht wurden – stellt sich heraus,<br />
dass <strong>die</strong> Mehrheit der Polen freundlich gegenüber<br />
dem vereinten Deutschland und den Deutschen<br />
eingestellt ist. Die Polen unterstreichen <strong>die</strong> guten<br />
Beziehungen zu ihrem westlichen Nachbarn, weil<br />
im Kontext der polnisch-russischen Beziehungen<br />
<strong>die</strong> ersteren als vorbildhaft angesehen werden.<br />
Die polnischen und deutschen Politi ker sprechen<br />
heute von einem „Versöhnungswunder“, an Aktualität<br />
verliert <strong>die</strong> stereotypische Vorstellung der<br />
„Polnischen Wirtschaft “ wie auch das Dämonisieren<br />
der Deutschen. Es ist der natürliche Lauf der<br />
Dinge, dass unsere nati onalen Interessen nicht<br />
immer im Einklang stehen werden, das auf beiden<br />
Seiten immer Kontrapunkte entstehen und es<br />
auch Versuche geben wird, <strong>die</strong> Nachbarschaft für<br />
politi sche Spielchen zu missbrauchen. Man sollte<br />
jedoch immer darüber reden und nichts tabuisieren.<br />
Den Zustand der schizophrenen Zustände in<br />
unseren Relati onen haben wir bereits hinter uns,<br />
heute sind beide Seiten bereit zu einem sachlichen<br />
Gespräch über eine gemeinsame Erinnerungskultur;<br />
nicht <strong>die</strong> deutschen Landsmannschaft en mit<br />
ihren ewigen und überholten Aff ekten, sondern<br />
ein sachlicher Fachdiskurs wird in der Gestaltung<br />
des Kollekti vgedächtnisses Priorität haben. Ich bin<br />
stolz auf den gegenwärti gen Stand der deutschpolnischen<br />
Verhältnisse, darüber, dass ich jederzeit<br />
– ohne ein Visum und ohne Pass – mich auf<br />
einen Forschungsbesuch nach Deutschland begeben<br />
kann. Auch darüber, dass ich während der<br />
Aufenthalte an meiner Lieblingsuniversität, der<br />
Freien Universität zu Berlin, pausenlos auf unsere<br />
Studenten treff e, für <strong>die</strong> der Aufenthalt an der<br />
Spree oder ein Ausfl ug mit Billigairlines nach Italien<br />
eine „selbstverständliche Selbstverständlichkeit“<br />
ist.<br />
Uns Studenten wird oft <strong>die</strong> Unkenntnis über geschichtlich<br />
wichti ge Orte <strong>Breslau</strong>s und der Umgebung<br />
vorgeworfen, obwohl viele von sich aus<br />
eigentlich ein großes Interesse daran bekunden<br />
und den Zeitmangel als Grund für <strong>die</strong>ses Unwissen<br />
nennen. Wäre es nicht möglich, im Rahmen<br />
des kulturwissenschaft lichen Unterrichts „Ausfl üge“<br />
zu organisieren, mit der Einführung unserer<br />
Dozenten in den geschichtlich-gesellschaft lichen<br />
Hintergrund als Ergänzung? Vielleicht wurden<br />
bereits Schritt e in <strong>die</strong>se Richtung unternommen?<br />
Ich weiß nicht, ob in <strong>die</strong>ser Frage nicht <strong>die</strong> Sehnsucht<br />
nach der Verschulung unseres Studiums<br />
steckt. Mein Lehrstuhl organisiert für Sie eine<br />
Vielzahl von Seminaren, u. a. zum „Haus Schlesien“<br />
in Königswinter, nach Kreisau und Freiburg,<br />
Bad Kissingen und seit <strong>die</strong>sem Jahr auch zum<br />
Schlesischen Museum nach Görlitz. Auch unsere<br />
studenti sche Fachschaft organisiert unterschiedliche<br />
Stu<strong>die</strong>nreisen, unter anderem auch in Schlesien.<br />
Während meiner Vorlesungen ermuti ge ich<br />
<strong>die</strong> Studenten dazu, Schlesien in ihrer Freizeit zu<br />
besichti gen, während der Wochenenden oder<br />
Sommerferien, als eine Art individuelle Ergänzung<br />
des Stu<strong>die</strong>nplans. Jedes Jahr verspreche ich den<br />
Studenten, <strong>die</strong> auf eigene Faust <strong>die</strong> Friedenskirchen<br />
in Schweidnitz und Jauer, das Gerhart-Hauptmann-Haus<br />
in Agnetendorf, das „Schlesische Wawel“<br />
in Brieg besuchen oder sich – auf den Spuren<br />
Eichendorff s – Lubowitz, Rati bor und Neiße ansehen,<br />
dass ich ihnen <strong>die</strong> Reisekosten aus meiner<br />
eigenen Tasche zurückerstatt en werde, wenn <strong>die</strong><br />
genannten Reiseziele sie entt äuschen. Diejenigen,<br />
<strong>die</strong> das Abenteuer angegangen sind, unsere<br />
„kleine Heimat“ kennen zu lernen, sind von ihrem<br />
Reichtum bezaubert. Mit dem größten Vergnügen<br />
ermuti ge ich zu solchen individuellen Explorati onen<br />
und werde es auch weiterhin tun. Dasselbe<br />
gilt auch für <strong>Breslau</strong>. Beim ersten Vortrag weise<br />
ich immer darauf hin, <strong>die</strong> fantasti sche Ausstellung<br />
zur 1000-jährigen Geschichte der <strong>Stadt</strong> <strong>Breslau</strong> zu<br />
Seite 7
Elixiere 5. Ausgabe Wrocław 2011 AKTUELLES<br />
besuchen. Ich weise auch auf andere einzigarti ge<br />
Plätze unserer <strong>Stadt</strong> hin und erzähle über <strong>die</strong>se<br />
ausführlich. Ich denke, dass der Besuch <strong>die</strong>ser<br />
Orte für einen in <strong>Breslau</strong> wohnenden Studenten<br />
keiner besonderen Anstrengung erfordert. Hier erwarte<br />
ich von Ihnen entscheidend mehr Initi ati ve.<br />
Obwohl <strong>die</strong> Polen und <strong>die</strong> Deutschen unmitt elbare<br />
Nachbarn sind, unterscheiden sich unsere<br />
Kulturen zum Teil stark. Kann man von einer<br />
„goldenen Mitt e“ sprechen, <strong>die</strong> unsere weitere<br />
Zusammenarbeit erleichtern könnte?<br />
Unsere Kulturen sind sich ähnlich und unterschiedlich<br />
zugleich, sie bereichern sich gegenseitig,<br />
<strong>die</strong> deutsch-polnische Zusammenarbeit im<br />
Bereich Kultur trägt ihre besonderen Früchte. Es<br />
geht hier nicht um eine „zauberhafte“ goldene<br />
Mitte, sondern um eine effektive Zusammenarbeit<br />
von Menschen und Institutionen, <strong>die</strong> täglich<br />
auf allen möglichen Stufen statt findet, angefangen<br />
mit dem Polnischen Institut in Deutschland<br />
bis hin zu kulturellen Events, z. B. im Rahmen<br />
der Partnerschaften von Gemeinden oder Kirchengemeinden.<br />
Im Falle Deutschlands haben<br />
wir – so mein Eindruck – bessere Möglichkeiten<br />
im Vergleich zu anderen Ländern. Am Rhein gibt<br />
es eine dichte Reihe von Stiftungen, deren Vielzahl<br />
kulturelle Veranstaltungen fördert, auch ein<br />
sehr effektiv arbeitendes föderatives System ist<br />
dort vorhanden. Warum erwähne ich das? Weil<br />
<strong>die</strong> Kultur am Mangel der Finanzmitteln immer<br />
gelitten hat und immer noch leidet und es gerade<br />
in Deutschland relativ am leichtesten ist,<br />
an <strong>die</strong>se Mittel zur Förderung der internationalen<br />
Zusammenarbeit heran zu kommen. Mit<br />
viel Elan investieren wir auch unsere Mittel, um<br />
<strong>die</strong> polnische Kultur in Deutschland zu fördern,<br />
dort, wo unsere Künstler und ihre Werke sich<br />
seit langem ver<strong>die</strong>ntermaßen großer Beliebtheit<br />
erfreuen. Es ist natürlich nicht leicht, sich in so<br />
einem kulturellen Zentrum wie Berlin durchzusetzen,<br />
wo – wie es <strong>die</strong> Berliner mit Stolz unterstreichen<br />
– täglich 100 Kulturevents stattfinden.<br />
Ich habe jedoch den Eindruck, dass wir auf <strong>die</strong>sem<br />
Gebiet immer bessere Ergebnisse erzielen,<br />
wozu auch <strong>die</strong> EU-Mittel beitragen, um <strong>die</strong> wir<br />
uns effektiv bemühen.<br />
Seite 8<br />
Wie sieht <strong>die</strong> Förderung der deutschen Kultur und<br />
der Geschichte <strong>Breslau</strong>s an unserem Insti tut aus?<br />
Am Germanisti schen Insti tut der Universität<br />
Wrocław betreiben wir eine intensive Schlesienforschung,<br />
<strong>die</strong> Schlesien als ein besonderes Phänomen<br />
der europäischen Kultur zeigt, als einen<br />
Bereich von vielen kulturellen Traditi onen, um<br />
hier im Zusammenhang mit dem erwähnten <strong>Breslau</strong><br />
das polnische, tschechische, habsburgische<br />
und preußische, deutsche und jüdische Erbe zu<br />
nennen. Bei der Antwort auf <strong>die</strong>se Frage lohnt<br />
sich meiner Meinung nach, Prof. Gregor Thum zu<br />
ziti eren, der in seiner Monographie Die fremde<br />
<strong>Stadt</strong>: <strong>Breslau</strong> 1945 und nachher bemerkte, dass<br />
„<strong>die</strong> <strong>Breslau</strong>er Germanisten, <strong>die</strong> immer schon ein<br />
positi veres Verhältnis zur deutschen Geschichte<br />
der Region hatt en (...) Vorreiter eines veränderten<br />
Umgangs mit der Vorkriegsvergangenheit waren“.<br />
Wir sind uns nämlich – was in der Forschung immer<br />
wieder betont wurde – des amputi erten Gedächtnisses<br />
in Zusammenhang mit der Geschichte<br />
Schlesiens bewusst, <strong>die</strong> wir Germanisten derzeit<br />
entt abuisieren möchten. Ich ermuti ge alle unsere<br />
Studenten zur Lektüre des Bandes Mein Schlesien.<br />
Meine Schlesier, den ich im Moment zusammen<br />
mit Prof. Matt hias Weber aus Oldenburg in einer<br />
deutschen und polnischen Übersetzung herausgebe.<br />
Der Band beinhaltet acht Essays von <strong>Breslau</strong>er<br />
Germanisten und acht der mit uns zusammenarbeitenden<br />
deutschen Wissenschaft lern zum<br />
Thema unseres Verhältnisses zu unserer „kleinen<br />
Heimat“. Sie bekommen den Einblick in unsere<br />
biographische und wissenschaft liche Erfahrung<br />
mit Schlesien, ins besondere mit <strong>Breslau</strong>. Wenn es<br />
um unsere Akti vitäten in <strong>Breslau</strong> geht, verlassen<br />
wir oft <strong>die</strong> Mauern unserer Universität. Die von<br />
mir mitorganisierte Internati onale Konferenz zu<br />
Karl von Holtei haben wir im <strong>Breslau</strong>er Rathaus eröff<br />
net, ein Teil der Tagung – in polnischer Sprache<br />
– fand im Haus der Kultur in Obernigk statt . Unsere<br />
Wissenschaft ler präsenti eren ihre Publikati onen<br />
immer an den <strong>Breslau</strong>er Buchmessen, <strong>die</strong> jedes<br />
Jahr im Dezember stattf inden. Unsere Dozenten<br />
halten auch Vorträge für Schüler aus Gymnasien<br />
und Lyzeen, wo sie unsere Germanisti k vorstellen<br />
und auch <strong>die</strong> Ergebnisse unserer Forschungen an<br />
der schlesischen Kultur präsenti eren. Wir geben<br />
auch unsere populärwissenschaft liche, Quar-
Elixiere 5. Ausgabe Wrocław 2011 AKTUELLES<br />
talzeitschrift „Silesia Nova“ heraus, <strong>die</strong> sich mit<br />
Schlesien beschäft igt. Ich hege <strong>die</strong> Hoff nung, dass<br />
sie eine feste Lektüre der Studenten unserer <strong>Breslau</strong>er<br />
Germanisti k ist.<br />
Jedes Jahr hat eine Gruppe unserer Studenten<br />
<strong>die</strong> Möglichkeit, das „Haus Schlesien“ in Königswinter<br />
zu besuchen. Welche Idee steht hinter <strong>die</strong>sen<br />
Reisen? Was kann man daraus erfahren und<br />
welche Gäste warten auf <strong>die</strong> Studenten?<br />
Es ist ein einwöchiger Aufenthalt, der es für eine<br />
symbolische Summe (90% der Kosten übernimmt<br />
<strong>die</strong> deutsche Seite, den Rest <strong>die</strong> Studenten) ermöglicht,<br />
nicht nur eine Bildungsstätt e wie das<br />
„Haus Schlesien“ kennen zu lernen, sondern auch<br />
ähnliche Einrichtungen im Umfeld von Köln und<br />
Bonn. Dazu kommt noch <strong>die</strong> Teilnahme an einem<br />
für unsere Studenten zusammengestellten kulturwissenschaft<br />
lichen Programm, darunter <strong>die</strong><br />
Teilnahme an Seminaren an der Universität Bonn,<br />
der Empfang im Polnischen Konsulat in Köln, ein<br />
Besuch der Museen oder auch der Besuch eines<br />
Theater- oder Opernstücks. Für viele Studenten<br />
des zweiten Stu<strong>die</strong>njahres, für <strong>die</strong> wir <strong>die</strong>se Rei-<br />
se organisieren, ist das der erste Aufenthalt in<br />
Deutschland in ihrem Leben. Wichti g für unsere<br />
Studenten ist nicht nur das auf Schlesien bezogene<br />
Spektrum, das auf natürliche Weise den Mitt elpunkt<br />
der Seminarstunden darstellt, sondern auch<br />
das breite Deutschland bezogene Spektrum, dass<br />
<strong>die</strong> Möglichkeit bietet, „Land und Leute“ kennen<br />
zu lernen. Diese Seminare werden für Studenten<br />
einer Vielzahl von akademischen Einrichtungen in<br />
Polen organisiert, in Namen unserer Universität<br />
koordiniere ich sie seit vielen Jahren und es ist immer<br />
angenehm für mich, dass das Feedback von<br />
den Organisatoren aus Königswinter gleich lautet:<br />
<strong>die</strong> Studenten der <strong>Breslau</strong>er Germanisti k sind <strong>die</strong><br />
besten, sowohl auf der wissenschaft lichen, wie<br />
auch auf der sprachlichen Ebene.<br />
Prof. Hałub, wir bedanken uns bei Ihnen für das<br />
Gespräch.<br />
Magdalena Krywalska, Katarzyna Kurka<br />
Aus dem Polnischen übersetzt von Rafał Biskup<br />
und Mariusz Dzieweczyński<br />
Seite 9
Elixiere 5. Ausgabe Wrocław 2011 AKTUELLES<br />
Seite 10<br />
<strong>Breslau</strong>/Wrocław – <strong>die</strong> <strong>ehrgeizige</strong> <strong>Stadt</strong><br />
Polen liefert wieder mal Gesprächsstoff . Diesmal<br />
nicht wegen des ewigen Streits mit Erika Steinbach<br />
oder des Unglücks von Smoleńsk. Nein, <strong>die</strong>smal<br />
fällt ein Arti kel im Spiegel auf positi ve Weise<br />
auf. Er trägt den Titel Polen. Die <strong>ehrgeizige</strong> Nati on.<br />
Zur Abwechslung weist man darauf hin, dass Polen<br />
kein Hinterwäldlerstaat ist und das der Begriff Polnische<br />
Wirtschaft völlig an Aktualität verloren hat.<br />
<strong>Breslau</strong> ist der Vorreiter in Sachen Entwicklung<br />
und wirtschaft liches Wachstum.<br />
In dem Spiegel-Arti kel wird das Wachstum der<br />
polnischen Wirtschaft und der Wandel der Mentalität<br />
der Polen beschrieben. Der Aufsti eg zur wirtschaft<br />
lichen Macht wird am Beispiel des ehemaligen<br />
<strong>Breslau</strong> und des heuti gen Wrocław gezeigt.<br />
Man braucht nur kurz durch <strong>die</strong> <strong>Stadt</strong> zu spazieren,<br />
um zu merken, dass an jeder Ecke gebaut oder<br />
renoviert wird. Nicht nur, dass viele Straßenwege<br />
renoviert werden, auch viele neue Gebäude sollen<br />
in Kürze das Tageslicht erblicken. Besti mmt ist<br />
jedem aufgefallen, dass am Hauptbahnhof intensiv<br />
gearbeitet wird, um ihn für <strong>die</strong> EM 2012 einen<br />
neuen Glanz zu verschaff en. Auch <strong>die</strong> Arbeiten am<br />
neuen Stadion gehen rasch voran. Doch nicht nur<br />
für <strong>die</strong> Europameisterschaft wird gebaut. Der Geschäft<br />
smann und Millionär Leszek Czarnecki lässt<br />
seit 2006 ein Hochhaus bei der Wielkastraße bauen<br />
– einen modernen Wohn-, Büro- und Rekreati -<br />
onskomplex mit einer Höhe von 220 Metern und<br />
dem Namen Sky Tower. Doch <strong>die</strong> Liste der Bauiniti<br />
ati ven in <strong>Breslau</strong> ist damit nicht zu Ende. Man<br />
sollte noch das Businesszentrum Descont bei der<br />
Strzegomska- und Robotniczastraße und <strong>die</strong> Angelwings<br />
bei der Traugutt astraße nennen. Ein kurzer<br />
Besuch in einem der großen Einkaufszentren<br />
verrät uns, wie gerne <strong>die</strong> <strong>Stadt</strong>bewohner einkaufen.<br />
Wenn man sich <strong>die</strong> Einkaufslust in <strong>Breslau</strong> so<br />
ansieht, glaubt man gar nicht, dass es irgendwo<br />
eine Wirtschaft skrise geben könnte. <strong>Breslau</strong> wird<br />
auch immer öft er von den Radaren ausländischer<br />
Investoren erfasst. Die Gründung einer Firma oder<br />
einer Filiale in <strong>die</strong>ser <strong>Stadt</strong> ist ein vielversprechen-<br />
des Geschäft . Schon allein <strong>die</strong> Liste deutscher Firmen,<br />
<strong>die</strong> in <strong>Breslau</strong> Fuß fassen, ist ellenlang und<br />
wächst immer weiter.<br />
Auch wenn es um <strong>die</strong> Wissenschaft geht, entwickelt<br />
sich <strong>die</strong> <strong>Stadt</strong> prächti g. Die Zahl der Studenten<br />
steigt ständig an und es werden Konferenzen<br />
und Symposien veranstaltet. Wenn man sich<br />
nur im Bereich der Germanisti k umsieht, merkt<br />
man, wie viel in letzter Zeit getan wird. Im Mai<br />
2010 fand der I Zjazd Niemcoznawców in <strong>Breslau</strong><br />
statt ; der Exkanzler Gerhard Schröder hielt einen<br />
Vortrag über <strong>die</strong> Gefahren und Vorteile der Globalisierung<br />
in der Aula Leopoldina; Prof. Fritz Stern<br />
und Dr. jur. Richard von Weizsäcker fanden sich in<br />
<strong>Breslau</strong> zusammen, um den ehemaligen Bundespräsidenten<br />
Weizsäcker <strong>die</strong> Ehrenprofessorwürde<br />
zu verleihen, auch laufen <strong>die</strong> ganze Zeit Arbeiten<br />
an einem gemeinsamen deutsch-polnischen<br />
Geschichtsbuch. Dies sind nur ein paar Beispiele<br />
von Projekten, <strong>die</strong> im Rahmen der Germanisti k<br />
realisiert werden. Und das ist natürlich nicht der<br />
einzige Wissenschaft szweig, der eine positi ve Entwicklung<br />
zu verzeichnen hat. Am 27. April <strong>die</strong>ses<br />
Jahres wurde der Vertrag zwischen der <strong>Stadt</strong> <strong>Breslau</strong><br />
und der Organisati on Academia Europaea (einem<br />
internati onalen Wissenschaft lerverband mit<br />
rund 2000 Mitgliedern, darunter 38 Nobelpreisträger)<br />
unterschrieben. Der erste Sitz befi ndet sich<br />
in London, <strong>Breslau</strong> gewann den Wett bewerb um<br />
den zweiten Sitz gegen München, Straßburg und<br />
Barcelona.<br />
Eine wichti ge Tatsache wurde auch angesprochen.<br />
Polnische Firmen produzieren vor allem für<br />
den polnischen Markt. Nur 40% der Wirtschaft ist<br />
auf den Export eingestellt. Diese Fixierung auf den<br />
Binnenmarkt hielt man lange für eine Dummheit<br />
und eine große Schwäche der polnischen Wirtschaft<br />
. Diese Einstellung änderte sich um 180<br />
Grad nach dem Ausbruch der Weltwirtschaft skrise<br />
2009. Den niedrigen Exportzahlen und dem Mangel<br />
an Investi ti onen im Ausland verdankt Polen,<br />
dass es nicht in <strong>die</strong> Rezession abgerutscht ist. Im
Elixiere 5. Ausgabe Wrocław 2011 AKTUELLES<br />
Gegenteil – Polen ist das einzige Land in der EU,<br />
das 2009 einen Wirtschaft swachstum (von 1,1%)<br />
vermelden konnte. Die Polen selbst erwiesen sich<br />
im Ausland als Spitzenarbeitskräft e. Nicht nur Saisonarbeiter<br />
für den Spargelanbau, sondern auch<br />
Fachkräft e haben sich in vielen europäischen Ländern<br />
bewiesen. Informati ker und Computerexperten<br />
sind das Aushängeschild Polens.<br />
Doch leider ist nicht alles so rosarot, wie es der<br />
Autor des Arti kels beschreibt. Es wird behauptet,<br />
dass <strong>die</strong> Arbeitslosenquote in Polen seit dem EU-<br />
Beitritt auf 8% gesunken sei. Doch laut den Angaben<br />
des GUS (Główny Urząd Statystyczny) betrug<br />
<strong>die</strong> Zahl der Arbeitslosen in Polen im März 2011,<br />
13,1%. Es wird auch gesagt, dass es den Polen<br />
noch nie so gut ging wie heute. Das mag vielleicht<br />
sti mmen, aber das heißt nicht, dass <strong>die</strong> Lebensbedingungen<br />
hier mit denen in Westeuropa vergleichbar<br />
sind. Man schätzt, dass nach dem 1. Mai<br />
ca. 500.000 Polen nach Deutschland auswandern,<br />
um dort Arbeit zu fi nden. Diese Zahlen sprechen<br />
eine ganz deutliche Sprache. Es wird auch ein ruhiger<br />
Ton mit Moskau angesprochen. Seit der Veröff<br />
entlichung des MAK-Reports wird sich mancher<br />
besti mmt wundern, ob der Ton mit Moskau wirklich<br />
als entspannt bezeichnet werden kann. Viele<br />
namenhaft e Wirtschaft sexperten und Ökonomen<br />
wie z.B. Prof. Grzegorz Kołodko schlagen Alarm.<br />
Nach ihren Prognosen hält sich der Mythos der<br />
Grünen Insel Europas nicht lange und in den Jahren<br />
2012/2013 werden wir mit einer schlimmen<br />
Gespannt ti ppe ich auf meinem Computer <strong>die</strong><br />
Adresse www.niemcy-online.pl ein. Auf das Portal<br />
haben mich Wissenschaft ler aus dem Willy-<br />
Brandt-Zentrum aufmerksam gemacht. Was mir<br />
als aller erstes auff ällt, sind <strong>die</strong> polnische und<br />
deutsche Fahne, <strong>die</strong> sich, wie zwei gleichgesinnte<br />
Nachbarn, nebeneinander befi nden. Der Inhalt<br />
des Portals ist reich an Informati onen und Aussa-<br />
www.niemcy-online.pl<br />
Rezession zu kämpfen haben. Die Steuererhöhung<br />
im August letzten Jahres ist nur der erste Schritt in<br />
<strong>die</strong>ser Entwicklung.<br />
Die polnische Literatur wird dagegen in<br />
Deutschland immer öft er gelesen. Im dtv- und<br />
Fischer-Verlag tauchen schon seit Jahren Übersetzungen<br />
von polnischen Romanen auf. In Buchhandlungen<br />
kann man <strong>die</strong> Wiedźmin-Saga von<br />
Andrzej Sapkowski, <strong>die</strong> <strong>Breslau</strong>-Bücher von Marek<br />
Krajewski oder Werke von Klassikern wie Gombrowicz,<br />
Miłosz oder Szymborska fi nden. Erwähnenswert<br />
ist auch das Buch Viva Polonia von Steff en<br />
Möller, einem Deutschen, der im polnischen Fernsehen<br />
Karriere machte und sich in Land und Leute<br />
verliebte. Das Buch erlebte insgesamt 5 Neuaufl agen<br />
und befand sich vierzig Wochen lang auf den<br />
Bestsellerlisten. In Polen ist <strong>die</strong>ses Buch schon<br />
2006 unter dem Titel Polska da się lubić erschienen,<br />
wurde aber nicht so ein Verkaufserfolg wie<br />
sein deutscher Nachfolger. Schon allein <strong>die</strong> Tatsache,<br />
dass <strong>die</strong>ses Buch so beliebt ist, beweist, dass<br />
das Interesse an Polen wächst.<br />
Es ist schön zu wissen, dass unser Land an Anerkennung<br />
gewinnt. Wir müssen uns ständig vor<br />
Augen halten, dass es unsere Arbeit im akademischen<br />
Wesen und auf dem Arbeitsmarkt ist, <strong>die</strong><br />
Polen zu dem macht, was es ist. Wenn sich jeder<br />
von uns wirklich Mühe gibt, dann können wir sicher<br />
sein, dass all <strong>die</strong> Träume von Wohlstand und<br />
Ansehen keine Träume bleiben.<br />
Adrian Golly<br />
gen, <strong>die</strong> hauptsächlich von den Benutzern selbst<br />
verfasst werden. Als eindringliche Germanisti n<br />
wollte ich jedoch mehr erfahren. Dies wurde möglich<br />
Dank eines Gespräches mit Herrn Tomasz Sikora,<br />
dem Chefredakteur des Portals, der eigens<br />
für <strong>die</strong> Leser der Zeitschrift Elixiere ein exklusives<br />
Interview gab.<br />
Seite 11
Elixiere 5. Ausgabe Wrocław 2011 AKTUELLES<br />
Elixiere: Vielleicht der Reihe nach. Wie haben <strong>die</strong><br />
Anfänge des Portals ausgesehen?<br />
Tomasz Sikora: Alles fi ng damit an, dass mich Prof.<br />
Krzysztof Ruchniewicz aus dem Willy-Brandt-Zentrum<br />
angerufen hat. Er wollte, dass das Zentrum<br />
das Wissen über Deutschland verbreitet. Was<br />
wichti g war: es sollte an Nichtakademiker gerichtet<br />
sein. In Wrocław gab es wenig täti ge Journalisten<br />
und nur drei, <strong>die</strong> sich mit der Deutschlandthemati<br />
k befassten. So entstand vor 5 Jahren das Portal.<br />
Es funkti onierte jedoch nicht wie geplant, woraufhin<br />
es einfach ,,starb“. Da kam mir der Gedanke,<br />
ein Portal zu gestalten, dass auf meinen eigenen<br />
Erfahrungen basieren und Ereignisse aus der Perspekti<br />
ve eines Journalisten zeigen würde. Im September<br />
2009 kam dann <strong>die</strong> Premiere des neuen<br />
Portals, dass von zwei Personen redigiert wurde:<br />
von mir und Alicja Kuropatwa. Zusätzlich arbeiteten<br />
am Portal noch Volontäre. Wir sammelten <strong>die</strong><br />
einzelnen Arti kel, korrigierten und publizierten sie<br />
dann. Unser Hauptziel war: es soll zu einer breiten<br />
Leserschaft gelangen und von daher kommunikati<br />
v und verständlich gestaltet werden.<br />
War es denn immer rosig? Welche Probleme gab<br />
es/ gibt es, was <strong>die</strong> Gestaltung des Portals betriff<br />
t?<br />
Eigentlich gab es keine Probleme – wir hatt en erfahrene<br />
Webmaster und Informati ker, <strong>die</strong> an der<br />
Gestaltung des Portals arbeiteten. Alles, was wir<br />
uns vorgenommen haben, beinhaltet das Portal.<br />
Ah ja, am Anfang gab es vielleicht ein Problem: <strong>die</strong><br />
Hosti ng Firma hat mit einer solch großen Anfrage<br />
nicht gerechnet, von daher ist das Portal manchmal<br />
,,hängen geblieben“. Was <strong>die</strong> Probleme aus<br />
der Sicht eines freien Journalisten betriff t – man<br />
arbeitet auch in der Freizeit. Dies ist ein Vollzeitjob,<br />
man muss immer ,,dabei sein“ (lacht). Am<br />
besten sieht man das anhand der Uhrzeiten, zu<br />
denen <strong>die</strong> Texte publiziert werden: zum Beispiel<br />
fünf Uhr morgens. Der Zeitmangel ist ein großes<br />
Problem, hier gibt es keinen Urlaub, insbesondere<br />
da ich noch eine Doktorarbeit in Bereich Journalismus<br />
schreibe. Ich und Ala müssen zusammenarbeiten<br />
und uns austauschen.<br />
Seite 12<br />
Wer kann auf dem Portal seine Texte publizieren?<br />
Dies ist unterschiedlich. Auf der einen Seite gibt es<br />
Texte, <strong>die</strong> von Angestellten des Willy-Brandt-Zentrums<br />
verfasst werden. Wobei ich unterstreichen<br />
muss, dass sich auf unserem Portal Veröff entlichungen<br />
von Wissenschaft lern aus ganz Polen befi<br />
nden. Bedeutend sind auch <strong>die</strong> Texte von unseren<br />
Korrespondenten aus Tübingen, Berlin, Köln,<br />
<strong>die</strong> in Wrocław am Erasmus-Programm teilgenommen<br />
haben. Unser Hauptgedanke war es, das Portal<br />
allen zugänglich zu gestalten, <strong>die</strong> Texte sollten<br />
nicht allzu wissenschaft lich sein, von daher fi ndet<br />
man hier Arti kel auch von Nicht-Deutschkennern,<br />
von Schülern und Studenten.<br />
Werden alle Texte publiziert? Wie werden sie<br />
denn bearbeitet?<br />
Wie ich schon erwähnte, werden <strong>die</strong> Texte von uns<br />
gesammelt, korrigiert, bearbeitet und letzten Endes<br />
publiziert. Jeder Text geht ,,durch unsere Hände“.<br />
Wir wollen keine Texte, <strong>die</strong> Lügen verbreiten<br />
oder jemanden beleidigen. Manche Texte werden<br />
auch wegen der Form, wegen der sprachlichen<br />
Fehler nicht angenommen.<br />
Was sind <strong>die</strong> Informati onsquellen des Portals ?<br />
Wir haben Auslandskorrespondenten, <strong>die</strong> uns Informati<br />
onen liefern. Außerdem haben wir ständig<br />
Kontakt mit Leuten aus Polen, aus <strong>Breslau</strong>. Eine<br />
wichti ge Informati onsquelle sind Informati onen<br />
aus deutschen und polnischen Presseagenturen.<br />
Wir haben Zugang zu deutschen Me<strong>die</strong>n wie Presse,<br />
Radio und Fernsehen. Auf dem Portal gibt es<br />
überwiegend polnische Akzente und Moti ve. Alle<br />
Meinungen müssen jedoch begründet werden.<br />
Das Portal hat auch <strong>die</strong> Übermitt lung von Informati<br />
onen über Deutschland als Ziel – wir haben<br />
auch eine solche Rubrik, <strong>die</strong> Anzeichen von Objekti<br />
vität trägt. Oft mals bitt en wir einen Professor um<br />
seinen Kommentar zum jeweiligen Geschehen. Es<br />
gibt nur eine polnische Version des Portals – es hat<br />
keinen Zweck, dort deutsche Texte beizufügen,<br />
denn zum Portal haben sowieso nur <strong>die</strong>jenigen<br />
Deutschen Zugang, <strong>die</strong> polnisch verstehen.
Elixiere 5. Ausgabe Wrocław 2011 AKTUELLES<br />
Wie würdest du das Portal, von deiner Sicht aus,<br />
beschreiben?<br />
Wie ich schon sagte sind wir ein allgemeinzugängliches,<br />
weltoff enes, politi sch unabhängiges Portal.<br />
Bei uns wird der Leser zum Autor der Texte. Die<br />
Meinung der Menschen ist uns sehr wichti g. Bei<br />
uns melden sich Leute, <strong>die</strong> mit einem Thema nicht<br />
einverstanden sind, <strong>die</strong> etwas zu sagen haben. Wir<br />
empfangen <strong>die</strong> Aussagen der Leute, verifi zieren<br />
und publizieren sie dann. Die Texte sollen nicht<br />
wissenschaft lich sein, sondern leicht und verständlich<br />
im Empfang. Jeder einzelne Leser ist für<br />
uns wichti g.<br />
Was sind <strong>die</strong> Hauptziele des Portals niemcy-online.pl?<br />
Wir wollen <strong>die</strong> deutsch-polnischen Beziehungen<br />
aus der Sicht der Nicht-Deutschkenner darstellen.<br />
Das Portal ist der richti ge Ort, um eigene Erfahrungen<br />
zu schildern. Wir wollen erfahren, wie <strong>die</strong><br />
Polen <strong>die</strong> Deutschen sehen. Und umgekehrt. Ich<br />
habe schon sehr oft <strong>die</strong> Erfahrung gemacht, wie<br />
lebendig <strong>die</strong> Stereotype doch sind und wie sie in<br />
beiden Gesellschaft en funkti onieren. Es gibt eben<br />
zwei Ebenen – auf der einen Seite <strong>die</strong> Beziehungen<br />
auf der höchsten Stufe, <strong>die</strong> Relati onen zwischen<br />
,,normalen“ Menschen. Auf der anderen Seite haben<br />
wir <strong>die</strong> Politi ker, deren Meinungen oft mals auf<br />
Stereotypen basieren und später zur Gesellschaft<br />
gelangen. Hier wird ein Zwiespalt zwischen beiden<br />
,,Realitäten“ sichtbar. In unserer Gesellschaft funkti<br />
onieren <strong>die</strong>se Anti pathien jedoch weiterhin, <strong>die</strong><br />
Politi ker nutzen <strong>die</strong>s aus. Wir wollen mit unserem<br />
Portal zu einem durchschnitt lichen Leser gelangen.<br />
Als Journalist betrachte ich <strong>die</strong> Ereignisse mit<br />
polnischen Augen, ich sehe sie manchmal als Objekt,<br />
dass ich dann so gestalte, dass es den polnischen<br />
Leser interessiert. Die Leute sollen sich mit<br />
Deutschland nicht nur in den eigenen Köpfen, in<br />
den eigenen Gedanken beschäft igen, sondern <strong>die</strong><br />
eigene Meinung äußern. Für Studenten und junge,<br />
zukünft ige Deutschlandkenner soll das Portal auch<br />
eine Möglichkeit bieten, sich schrift stellerisch auf-<br />
zuwärmen und zu prüfen. Junge Menschen haben<br />
dann ihre eigenen Publikati onen und gelangen<br />
langsam in <strong>die</strong> Welt des Denkens über Deutschland.<br />
Was sind Deine Pläne was das Portal betriff t?<br />
Wir suchen junge Deutschlandkenner, von daher<br />
wollen wir uns auch auf Portalen wie facebook.<br />
com sichtbar machen. Wir wollen uns auch für<br />
eine noch jüngere Generati on, für Kinder, öff nen.<br />
In Zukunft wollen wir Arti kel über <strong>die</strong> Arbeit in<br />
Deutschland veröff entlichen, ein, nennen wir es<br />
„Deutsches ABC“ schaff en. Auch aus der Sicht der<br />
Popkultur. Wir wollen Deutschland aus verschiedenen<br />
Perspekti ven zeigen. Wir planen auch <strong>die</strong><br />
Publikati onen der Autoren in Schrift form herauszugeben.<br />
Diese Publikati onen sollen polenweit<br />
erscheinen und <strong>die</strong> sich in den letzten 10 Jahren<br />
wandelnden deutsch-polnischen Beziehungen<br />
schildern. Wir arbeiten ständig an weiteren Änderungen<br />
des Portals. Wir wollen es noch dynamischer<br />
gestalten, auch was <strong>die</strong> visuelle Seite betriff t.<br />
Jetzt bitt e ich dich um eine kurze ,,Werbung“ des<br />
Portals für unsere Leser<br />
Unser Slogan lautet: ,,Das Wichti gste außerhalb<br />
der Oder“. Wir haben drei Millionen potenzielle<br />
Leser, wir warten auf weitere! Wir wollen an einen<br />
durchschnitt lichen Leser gelangen, denn das Portal<br />
ähnelt einer Tafel, auf der Informati onen über<br />
<strong>die</strong> Ereignisse in Deutschland gesammelt werden.<br />
Was wichti g ist – jeder von euch kann etwas auf<br />
<strong>die</strong>ser Tafel schreiben. Insbesondere laden wir<br />
Studenten des ersten Stu<strong>die</strong>njahres ein, <strong>die</strong> sich<br />
durch <strong>die</strong> Zusammenarbeit mit dem Portal schrift -<br />
stellerisch entwickeln können. Das Portal ist auch<br />
ein wichti ger Ort des deutsch-polnischen Zusammentreff<br />
ens, der insbesondere dem Kontaktaufbau<br />
<strong>die</strong>nt.<br />
Tomek, ich bedanke mich sehr herzlich für das interessante<br />
und ausführliche Gespräch.<br />
Kamila Feliks<br />
Seite 13
Elixiere 5. Ausgabe Wrocław 2011 AKTUELLES<br />
Als ich zu meiner Oma gesagt habe, dass ich Sarajevo<br />
besuchen werde, hat sie mir nur eine Frage<br />
gestellt: ”Liebe, ist es schon ruhig dort?”<br />
Es sti mmt, wenn man „Serbien”, „Sarajevo”<br />
oder „Albanien” hört, hat man eigentlich nur eine<br />
strenge Assoziati on damit: Krieg. Der Krieg ist<br />
schon lange vorbei, manche sind aber noch ein bisschen<br />
voreingenommen und haben Angst, dorthin<br />
eine Reise zu machen. Die 4 Germanisti nnen waren<br />
aber tapfer und haben eine spontane Entscheidung<br />
getroff en: wir machen einen Balkan-Trip!<br />
Die Reise fi ng am Freitag an. Alle meldeten sich<br />
pünktlich um 19:00 Uhr beim Aquapark, mit vollen<br />
Koff ern, einem Lächeln im Gesicht und Spannung<br />
in den Herzen. Vor uns lag eine 12 Stunden dauernde<br />
Busfahrt zum ersten Balkanpunkt: Belgrad.<br />
Sam stags um 12:00 Uhr waren wir endlich in<br />
der <strong>Stadt</strong>mitt e. Schon ab der Grenze hatt en wir<br />
Gänsehaut: man sah viele Geschosslöcher, <strong>die</strong><br />
noch immer an den vergangenen Kampf erinnern.<br />
Nach einer schnellen und erfrischenden Dusche<br />
und nach dem wir neue Freunde gefunden hatt en<br />
(<strong>die</strong> Katzen gewannen unbestritt en unsere Liebe),<br />
machten wir uns auf den Weg – zuerst stand eine<br />
kleine <strong>Stadt</strong>f ührung auf dem Programm. Ich war<br />
sehr zufrieden, weil ich alles, was ich sehen wollte<br />
und was ich zu sehen plante, auch wirklich sah. Einen<br />
großen Eindruck machte auf mich der Tempel<br />
des Heiligen Sava, den man schon sieht, wenn man<br />
<strong>die</strong> Hauptverkehrsstraße in Belgrad durchquert.<br />
Der ist so hoch wie ein 10-stöckiger Wohnblock!<br />
Eine Neuigkeit: er befi ndet sich immer noch im<br />
Bau. Seit Jahren! Glück gehabt, dass wir drinnen<br />
keinen LKW oder Drehkräne sahen, was noch vor<br />
ein paar Jahren typisch war. Am Abend, ein bisschen<br />
erschöpft , hatt en wir noch etwas Zeit zur<br />
freien Verfügung. So kauft en wir einen serbischen<br />
Wein und Burek* (lecker!) und fanden ein angenehmes<br />
Bänkchen im Park mit einem schönem<br />
Blick auf <strong>die</strong> ganze <strong>Stadt</strong>. Um Mitt ernacht ging un-<br />
Seite 14<br />
Germanisten bezwingen den Balkan!<br />
sere Reise weiter.<br />
Am Morgen wuchs en vor unseren Augen <strong>die</strong><br />
schönsten Berge, <strong>die</strong> ich je gesehen habe. Ganz<br />
anders als <strong>die</strong> Beskiden oder das Eulengebirge. Das<br />
war ein Zeichen, dass wir uns endlich in Kolašin,<br />
schon in Montenegro befanden. Das Wett er war<br />
sehr witzig und schenkte uns Regen, was uns<br />
zwang, unsere Pläne zu ändern. Anstatt Bjelasica<br />
zu besichti gen, machten wir einen Spaziergang<br />
(im Regen!) im Nati onalpark „Biogradsko jezero“.<br />
Unser vodič*, ein nett er und gutaussehender Janko,<br />
zeigte und erklärte uns sehr viel. Wegen dem<br />
Wett er aber waren alle froh, als wir in unser kleines<br />
Holzhäuschen zurückkehrten. Die Nacht war<br />
lang, mit einem Grill und ernsten Gesprächen. Am<br />
nächsten Tag reisten wir weiter – <strong>die</strong>smal durch<br />
<strong>die</strong> Tara-Schlucht nach Budva, in Montenegro.<br />
Dort blieben wir 4 Tage lang. Das waren aber <strong>die</strong><br />
intensivsten Tage in meinem Leben. Wir machten<br />
Ausfl üge nach Kotor, hatt en Workshops, <strong>die</strong> Jugoslawien<br />
und der Touristi k im Balkan gewidmet waren.<br />
An einem Tag machten wir auch einen Ausfl ug<br />
nach Albanien. Das vergesse ich nie.<br />
Škodra – so hieß unser Ziel in Albanien. Eine<br />
<strong>Stadt</strong> in der Nähe der Grenze mit Montenegro.<br />
Dort besichti gten wir ein Schloss – und wenn <strong>die</strong><br />
Regierung ein größeres Interesse zeigen oder<br />
mehr Geld für <strong>die</strong> Renovierung der Sehenswürdigkeiten<br />
ausgeben würde, würde alles viel besser<br />
aussehen. Montenegro ist kein reiches Land. Aber<br />
als wir über <strong>die</strong> Grenze nach Albanien fuhren, war<br />
der Schock das einzige, was uns begleitete. Überall<br />
(ich übertreibe nicht) lag Müll, sogar im Flussbett .<br />
Schweine, Hunde und Esel (!) gingen <strong>die</strong> Straße<br />
entlang und naschten im Müll. Wieso? Albanien<br />
hat <strong>die</strong> Aufgabe übernommen, den Müll aus europäischen<br />
Ländern zu importi eren, weil manche<br />
Länder keinen Platz dafür haben. Albanien aber<br />
kommt gar nicht zurecht und den Müll kann man<br />
sogar im Schloss fi nden.
Elixiere 5. Ausgabe Wrocław 2011 AKTUELLES<br />
Die nächste Haltestelle war Kotor und Lovćen.<br />
Kotor – ein wunderschöner Platz, aber schon Anfang<br />
Mai voller Touristen. Vermutlich wird es bald<br />
das zweite Dubrovnik – also eine <strong>Stadt</strong>, wo man<br />
sich zeigen muss. Wir ließen uns etwas durch den<br />
Ort fahren und wir fanden viele leere Gassen mit<br />
entzückenden Cafes, wo wir gerne kafanu kafu*<br />
bestellten.<br />
Ich konnte kaum den letzten Punkt unserer<br />
Reise erwarten – Sarajevo. Ich war ein bisschen<br />
entt äuscht von Belgrad, aber von Sarajevo war<br />
ich total begeistert. In <strong>die</strong>ser <strong>Stadt</strong> sieht man <strong>die</strong><br />
Kriegsspuren noch häufi ger als in Belgrad. Das<br />
Gebäude des Nati onalmuseums von Bosnien und<br />
Herzegowina trägt viele Geschosslöcher und <strong>die</strong><br />
Bibliothek, <strong>die</strong> vor dem Krieg eine der am besten<br />
ausgestatt eten Bibliotheken im Balkan war, wurde<br />
von Baustellen verdeckt. Das Gebäude wurde<br />
zerstört und <strong>die</strong> Sammlungen verbrannt. Das ist<br />
unwiederbringlich. 80% der Bewohner von Sarajevo<br />
sind Muslime und 20% sind Christen, trotzdem<br />
sieht man auf den Straßen vor allem Mädchen und<br />
Frauen mit Kopft üchern und Jungs mit einem tespih*.<br />
Wir wollten gern den džamija* besuchen.<br />
Dort begrüßte uns eine Tafel. Sie erklärte uns, was<br />
man nicht in <strong>die</strong> Moschee mitbringen darf: keinen<br />
Bikini, keine kurzen Röcke, Hunde und... Gewehre.<br />
Das ist nichts Sonderbares – bis heute haben viele<br />
Menschen ein Gewehr zu Hause – nur für den<br />
Notf all.<br />
Kurz vor der Abfahrt nach Polen liefen wir<br />
schnell zum muslimischen Friedhof. Die typischen<br />
Grabmäler – sie waren eng, weiß und hoch – hatten<br />
etwas gemeinsam: das Datum des Todes. Es<br />
war vor allem <strong>die</strong> Jahreszahl 1996 und 1997 – <strong>die</strong><br />
schlimmste Zeit der militärischen Interventi on in<br />
* Burek- ein belegtes Blätt erteiggericht-<br />
mit Käse, Fleisch oder Grünzeug<br />
* kafana kafa (serb.)- gekochter Kaff ee<br />
(Serben kochen Kaff ee, statt aufzugießen)<br />
<strong>Stadt</strong>mauer in Budva<br />
Sarajevo. Das sind Plätze, <strong>die</strong> schmerzlich an <strong>die</strong><br />
unruhigen Zeiten der 90er Jahre erinnern. Die Leute<br />
selbst sind aber froh und bemühen sich, in Harmonie<br />
zu leben. Das ist sehr überraschend und...<br />
anziehend. Ich habe schon entschieden, dass ich<br />
nächstes Jahr für mindestens eine Woche nach Sarajevo<br />
fahre. Banja Luka muss ich auch sehen.<br />
Nächstes Jahr haben wir gemeinsam noch ein<br />
Ziel: Mazedonien. Drückt uns <strong>die</strong> Daumen!<br />
Dominika Dossmann<br />
* vodič (serb.)- Reiseführer<br />
* tespih- muslimischer Rosenkranz<br />
* džamija (serb.)- Moschee<br />
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Elixiere 5. Ausgabe Wrocław 2011 AKTUELLES<br />
In einer <strong>Stadt</strong>, wo nachts <strong>die</strong> Vögel singen, mache<br />
ich einen Spaziergang im Schlaf. Mein Wanderstock<br />
stützt mich und plötzlich merke ich, dass ich<br />
noch jung bin und kein dritt es Bein brauche. Ich<br />
gehe also weiter mit dem Stock an den schweren<br />
Gartenzäunen klingelnd, den Metallzäunen, <strong>die</strong><br />
<strong>die</strong> Villen glänzen lassen.<br />
Ich möchte schneller sein, kurz laufe ich, dann<br />
beschleunige ich, indem ich in eine Raupe einsteige;<br />
sie ist lang und laut, frisst keine Blätt er,<br />
nur Staub und Kies. Ich sitze in der Raupe, versuche<br />
etwas zu lesen. Eine versti mmte Gitarre stört<br />
mich dabei. Sie steht auf zwei Füßen und macht<br />
unglaublich viel Krach. Die Seiten aus Stahl vibrieren<br />
in der dicken, sti ckigen Luft des Raupen-<br />
Innenraums. Zu der Gitarre schließt sich noch Gesang<br />
an, alles ist klebrig und macht keinen Sinn.<br />
Ich möchte raus, doch riesige Räder verschließen<br />
mir den Weg. Endlich fi nde ich einen anderen Ausgang.<br />
Ich stehe auf dem Ast und <strong>die</strong> Raupe entfernt<br />
sich von mir, winkend mit dem Staub, den sie<br />
hinter sich lässt.<br />
Von dem Ast gleite ich zurück auf <strong>die</strong> Erde. Dort<br />
stehe ich auf festen Beinen und warte. Der Boden<br />
wärmt <strong>die</strong> Füße. Der Boden unter Mondstrom.<br />
Ist nicht dick, einige Meter vielleicht. Hält mich<br />
trotzdem an der Oberfl äche. Jetzt stehe ich nicht<br />
mehr alleine. Er stellt sich neben mich, spricht vor<br />
sich hin, wie ein Verrückter, Hände in den Hosentaschen.<br />
Er genießt <strong>die</strong> Bodenwärme kurz, dann<br />
wackelt er hin und her, Fersen-Finger-Fersen-<br />
Stop. Er lacht vor sich hin wie ein Verrückter. Ich<br />
bemerke ein schwarzes Kabel, es wächst aus seinen<br />
Ohren heraus und endet in der Hosentasche.<br />
Er wackelt wieder, wir sind zu zweit. Dann kommt<br />
sie. Sie und ihr Metallpferd, ihr Tier an der Leine<br />
und ihr elektronischer Gesprächspartner im Kästchen.<br />
Sie hat drei Hände. Eine leiht sie sich vom<br />
Metallpferd, dort hängt <strong>die</strong> Leine mit dem Tier am<br />
anderen Ende. Wir sind zu viert. Der Boden hält.<br />
Dann fühle ich ein Kribbeln in den Füßen, es<br />
wird auf eine geheimnisvolle Weise wärmer, sie,<br />
er und das Tier an der Leine verschwinden, nur<br />
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Wanderweg<br />
das Metallpferd bleibt. Pferd ohne Hufe, in quietschenden<br />
Gummisti efeln. Ich sehe: Eine Schrott kiste<br />
vom Mauerpark für 20,95. Und hängt an einem<br />
Schloss für 30. Menschen lieben ihren Schrott .<br />
Menschen lieben ihren Schrott mehr als ihr Geld.<br />
Ka-ching! Menschen lieben <strong>die</strong>sen Sound bei ihrem<br />
Schrott . Nur Liebe- <strong>die</strong> kann er ihnen nicht<br />
erwidern. Noch ein Kribbeln überkommt meine<br />
Füße. Jetzt muss auch ich gehen.<br />
Der Abgrund tut sich vor mir auf. Es ist gar<br />
nicht dunkel dort. Das Licht ist Sepia. In Sepia sieht<br />
<strong>die</strong> <strong>Stadt</strong> ganz anders aus. Noch mehr Retro. Jede<br />
Schrott kiste wirkt hier Retro, deshalb reiten ihre<br />
Besitzer sie so gerne hier aus. Diesen Style zerstören<br />
nur doppelte Kisten mit Nachrichten von der<br />
Oberfl äche. Im Abgrund ist es windig und doch<br />
schwül. Manchmal ist es eng, manchmal breit.<br />
Manchmal gibt es labyrintharti ge Wege, manchmal<br />
gibt es keine. Es kommt vor, dass man der einzige<br />
dort ist. Es kommt vor, dass man sich drängeln<br />
muss. Und sehr selten sieht man eine Taube. Noch<br />
seltener einen Spatz. Der Abgrund ist gar kein Abgrund.<br />
Man kann ganz einfach hinaus.<br />
Ich bewege mich also aufwärts. Nach einigen<br />
Schritt en sehe ich einen Menschen, einen älteren<br />
Mann, der bäuchlings auf dem Boden liegt, so<br />
Hippie-Style alt und der unabhängige Sätze ausruft<br />
, <strong>die</strong> aber alle mit dem Wort „Mutt er“ anfangen<br />
oder enden. „Was für ein Verrückter“. Und das<br />
sage gerade ich, und nur deshalb, weil ich mich nie<br />
mitt en in der <strong>Stadt</strong>, auf kalten Pfl asterstein oder<br />
auch sonst wo in der Öff entlichkeit bäuchlings<br />
hinlegen würde, nur um sinnloses Zeug vor mich<br />
hin zu labern. Dabei hören doch alle <strong>die</strong>sen Vogelgesang<br />
und tragen ihren Wanderstab, sehen und<br />
vernehmen alles Mögliche, was von Außen auf sie<br />
zukommt. Nur der Moment macht alles so ewig.<br />
Einmal gesehen bleibt es so in Erinnerung. Ich stehe<br />
auf Beinen. Sie wirken nicht mehr fest. Sie fragen<br />
manchmal zu viel und wirken unentschlossen.<br />
Sie halten meinen Spaziergang an. Es ist gar nicht<br />
Nacht. Es ist hell und frisch. Und ich schlafe nicht.<br />
Bin ich etwa immer wach?<br />
Julianna Redlich
Elixiere 5. Ausgabe Wrocław 2011 AKTUELLES<br />
Gespräch mit Pastor Dawid Mendrok über<br />
<strong>die</strong> aktuelle Situation der deutschen<br />
evangelischen Minderheit in Niederschlesien<br />
Die St. Christophorikirche, in unmitt elbarer Umgebung<br />
des Dominikanerplatzes gelegen, ist <strong>die</strong><br />
einzige Gemeinde in <strong>Breslau</strong>, in der Gott es<strong>die</strong>nste<br />
in deutscher Sprache gehalten werden. Die Kirche<br />
war schon seit Jahrhunderten eine Kirche der<br />
nati onalen Minderheiten, zunächst für Polen im<br />
Deutschen Reich, mitt lerweile für Deutsche in Polen.<br />
Pastor Dawid Mendrok betreut <strong>die</strong>se Kirchengemeinde<br />
seit ein paar Jahren. Mit ihm möchte<br />
ich über sein Leben und seine Aufgaben als Pastor<br />
sprechen.<br />
Elixiere: Wie kamen Sie zu Ihrem Amt als Pastor<br />
einer deutschsprachigen evangelischen Gemeinde<br />
in Niederschlesien?<br />
Dawid Mendrok: Ich habe zuerst Theologie in<br />
Warschau stu<strong>die</strong>rt, an der Christlich-Theologischen<br />
Akademie und danach bin ich Vikar in Masuren,<br />
in Nikolajken, gewesen. Mein Wunsch aber<br />
war Germanisti k zu stu<strong>die</strong>ren und Deutschlehrer<br />
zu werden, es hat sich aber anders ergeben.<br />
Warum wollten Sie gerade Germanisti k stu<strong>die</strong>ren?<br />
Ich hatt e immer Interesse für <strong>die</strong> deutsche Sprache.<br />
Meine Großeltern kommen aus Oberschlesien<br />
und sprechen bis heute zu Hause Deutsch, so hab<br />
ich <strong>die</strong> Sprache gelernt und ich dachte mir, Lehrer<br />
zu sein ist gut, denn man hat jedes Wochenende,<br />
jeden Feiertag, Ferien und Sommerferien frei. Bei<br />
meinem heuti gen Amt ist es völlig anders, ich habe<br />
kein Wochenende frei, <strong>die</strong> Feiertage sind besetzt,<br />
während der Woche sind sowieso Täti gkeiten zu<br />
erledigen, wie Religionsunterricht, Bibelstunden,<br />
Amtshandlungen, Hausbesuche etc. Wie kam ich<br />
aber aus einer polnischsprachigen Gemeinde in<br />
Masuren zu einer deutschsprachigen in <strong>Breslau</strong>?<br />
Mein Kollege, der hier in <strong>Breslau</strong> war, hat sich<br />
nicht so ganz wohl bei der deutschsprachigen Gemeinde<br />
gefühlt und hat gefragt, wer gerne hierher<br />
kommen würde, so habe ich gleich zugesti mmt<br />
und das war vor sieben Jahren.<br />
Muss man Deutscher und evangelisch sein, um<br />
an Ihrem Gott es<strong>die</strong>nst teilnehmen zu können?<br />
Man muss besti mmt Deutsch verstehen, um vom<br />
<strong>die</strong>sen Gott es<strong>die</strong>nst etwas für sich zu haben, <strong>die</strong><br />
Türen der Kirche sind beim Gott es<strong>die</strong>nst für jeden<br />
off en.<br />
Als ich Ihren Gott es<strong>die</strong>nst besucht habe, ist mir<br />
aufgefallen, dass <strong>die</strong> Kirchenmitglieder sehr oft<br />
zum Stehen aufgefordert werden, versuchen Sie<br />
so ihre Mitglieder auf Trab zu halten oder ist das<br />
ein gewisser Ritus, der in der evangelischen Kirche<br />
üblich ist?<br />
Es ist schon eine Übung, damit <strong>die</strong> Menschen<br />
nicht einschlafen, aber <strong>die</strong>se Übungen haben wir<br />
von den Generati onen übernommen, <strong>die</strong> vor uns<br />
waren. Es ist in der evangelischen und katholischen<br />
Kirche üblich, dass man beim Gebet, Glaubensbekenntnis<br />
oder Evangelium steht. Durch<br />
knien oder stehen zeigen wir unsere Demut Gott<br />
gegenüber.<br />
Aus der Internetseite Ihrer Gemeinde htt p://<br />
www.stchristophori.eu/, habe ich entnommen,<br />
dass Sie bis dato Vater von drei Kindern sind.<br />
Treff en Sie hierbei manchmal auf Verwunderung<br />
seitens der polnischen Bevölkerung, für <strong>die</strong> ein<br />
„Pfarrer“ doch im Rahmen des Zölibats keine<br />
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Elixiere 5. Ausgabe Wrocław 2011 AKTUELLES<br />
leiblichen Nachkommen in <strong>die</strong> Welt setzen darf ?<br />
Ich wollte mich mit <strong>die</strong>ser Frage erkundigen, wie<br />
es Ihrer Meinung nach um das Wissen über protestanti<br />
sche Kirchen in Polen bestellt ist?<br />
Ich selbst bin ein Kind eines Pastors und ich habe<br />
auch einen älteren Bruder, der auch Pastor ist. Verwunderlich<br />
wäre, wenn mein Vater ein katholischer<br />
Priester wäre, aber wenn <strong>die</strong> Menschen erfahren,<br />
dass es um einen Pastor geht, wissen sie gleich,<br />
dass wir kein Zölibat haben und eine Ehe und Kinder<br />
haben können. Am Rande gesagt, für das Gemeindeleben<br />
hat es Vor- und Nachteile. Ein katholischer<br />
Priester braucht sich nicht um <strong>die</strong> Kinder<br />
zu kümmern, in der Nacht aufzustehen, <strong>die</strong> Kinder<br />
zum Kindergarten hin und zurückzufahren, so hat<br />
er mehr Zeit für <strong>die</strong> Gemeinde. Andersrum wissen<br />
wir, welche Probleme <strong>die</strong> Gemeindemitglieder haben,<br />
wenn sie sagen, sie sind müde und erschöpft<br />
und <strong>die</strong> Kinder nehmen ihnen <strong>die</strong> ganze Kraft weg.<br />
Bei den meisten Begegnungen bei einem Gespräch<br />
war es für mich positi v, dass ich als Pastor eine Familie<br />
habe, was ich auch für gut halte.<br />
Mit dem Leben eines Pastors verbindet das Gros<br />
der Bevölkerung Pfl ichten und Enthaltsamkeit,<br />
können Sie mir das Gegenteil beweisen? Welche<br />
Aspekte Ihrer Arbeit bereiten Ihnen besondere<br />
Freude?<br />
Freude bereiten mir dankbare Menschen, <strong>die</strong><br />
nach einem Gespräch, nach einem Gott es<strong>die</strong>nst<br />
in ihrem Leben wieder einmal glücklich und fröhlich<br />
sind. Freude bereitet mir eine Kirche, in der<br />
<strong>die</strong> Kinder statt leise zu sein, laut brüllen und herumlaufen<br />
können, „Denn das ist das Reich Gott es“.<br />
Freude bereiten mir auch <strong>die</strong> Bibelstunden, denn<br />
das sind off ene Gespräche, bei denen Meinungen<br />
zu Bibeltexten geäußert werden, <strong>die</strong> aus der eigenen<br />
Erfahrung meiner Gemeindemitglieder stammen,<br />
das hilft mir bei meinen Vorbereitungen zur<br />
Predigt, denn so kann ich durch sie <strong>die</strong> Menschen<br />
auf ihre Probleme ansprechen, im Gebet auf sie<br />
zugehen und für <strong>die</strong> schwierigen Fragen eine Antwort<br />
vorbereiten.<br />
Die St. Christophorikirche <strong>die</strong>nte bis 1888 als Kirche<br />
der evangelischen, polnischen Minderheit in<br />
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<strong>Breslau</strong>. Heute steht sie im Dienste der deutschevangelischen<br />
Minderheit in <strong>Breslau</strong>. Ist das Zufall<br />
oder ist Ihnen bekannt, warum <strong>die</strong> <strong>Breslau</strong>er<br />
<strong>Stadt</strong>verwaltung 1958 gerade <strong>die</strong>se Kirche der<br />
deutschen Minderheit überlies?<br />
Die Gründe sind uns unbekannt, das Paradoxon ist<br />
aber groß, zu deutscher Zeit wurde auf Polnisch<br />
gepredigt, zu polnischer Zeit auf Deutsch, aber es<br />
wird auch in Koreanisch und Englisch gepredigt.<br />
Zu kommunisti scher Zeit durft e auch <strong>die</strong> Gemeinde<br />
nicht als eine deutsche Gemeinde bezeichnet<br />
werden, so hat man sie als „nicht-polnische Gemeinde“<br />
bezeichnet. Erst nach der Wende bekam<br />
unsere Gemeinde den Namen einer evangelischen<br />
Gemeinde deutscher Sprache. Und wo wir seit ein<br />
paar Jahren Koreaner als unsere Gäste und Gottes<strong>die</strong>nste<br />
auf Englisch haben, würde das sehr<br />
wohl zu unserer Kirche gut passen, eine „nichtpolnische<br />
Gemeinde“. Ich denke, dass <strong>die</strong> Wahl<br />
der Kirche für polnische Gott es<strong>die</strong>nste in <strong>Breslau</strong><br />
und deutsche Gott es<strong>die</strong>nste in Wrocław <strong>die</strong> Größe<br />
der Kirche war, von außen groß, von innen klein<br />
und wenn auch wenige Leute da sind, denkt man<br />
es sind viele. Nach dem Krieg war <strong>die</strong> Kirche total<br />
zerstört und als der Staat <strong>die</strong> Kirche zurückgegeben<br />
hat, war es nur eine Ruine, <strong>die</strong> erst einmal aufgebaut<br />
werden musste, was auch im Jahre 1958<br />
gelungen war und bis heute <strong>die</strong>nt.<br />
Wie ich gesehen habe, stammen Ihre deutschsprachigen<br />
Gesangsbücher von Alt-<strong>Breslau</strong>ern,<br />
<strong>die</strong> sie Ihrer Gemeinde übergeben haben. Wie<br />
sind Sie zu <strong>die</strong>sen Büchern gekommen und, über<br />
<strong>die</strong>se Spende hinaus betrachtet, in welcherlei<br />
Hinsicht stehen Sie noch in Kontakt mit deutschen<br />
<strong>Breslau</strong>ern, <strong>die</strong> nun weit verstreut im<br />
deutschsprachigen Raum leben?<br />
Wie gesagt <strong>die</strong>nt <strong>die</strong> Kirche seit 1958 der deutschen<br />
Minderheit und <strong>die</strong> Gemeindemitglieder<br />
haben ihre vertrauten Gesangsbücher mitgebracht<br />
und so ist es bis heute. Es sind zwar sehr<br />
viele Gemeindemitglieder verstorben oder ausgewandert,<br />
<strong>die</strong> Gesangsbücher sind aber geblieben.<br />
Wir haben schon Kontakt zu alten <strong>Breslau</strong>ern, <strong>die</strong><br />
je nach gesundheitlichen Bedingungen uns besuchen,<br />
jedes Jahr aber auch weniger.
Elixiere 5. Ausgabe Wrocław 2011 AKTUELLES<br />
Die Kirchen Europas müssen seit einigen Jahrzehnten<br />
einen starken Rückgang an Mitgliederzahlen<br />
verzeichnen. Wie beurteilen Sie <strong>die</strong>se Situati<br />
on auf Ihre Gemeinde bezogen?<br />
Unsere Gemeinde ist eher einer Familie ähnlich<br />
als einer großen Gemeinde. Wir kennen uns alle,<br />
manche kommen als Gastarbeiter aus Deutschland<br />
nach Polen für besti mmte Zeit und fahren<br />
wieder zurück, sie geben aber immer <strong>die</strong> Nachricht<br />
weiter, dass es in <strong>Breslau</strong> eine deutschsprachige<br />
Gemeinde gibt und so bleibt <strong>die</strong> Mitgliederzahl<br />
konstant.<br />
Sehen Sie irgendwelche Lösungsansätze, <strong>die</strong> Ihnen<br />
verhelfen könnten neue Gemeindemitglieder<br />
zu gewinnen?<br />
Wie sie an der Kirche gesehen haben, haben wir<br />
einen Banner herausgehängt, denn wir wissen,<br />
dass es viele deutschsprachige Menschen in <strong>Breslau</strong><br />
gibt, <strong>die</strong> von uns vielleicht noch nicht gehört<br />
haben. Wir versuchen durch unsere Kontakte neue<br />
Gemeindemitglieder zu gewinnen, und das sind<br />
vor allem junge Familien mit Kindern. Zwei Mal im<br />
Monat wird für <strong>die</strong> Kinder ein Kindergott es<strong>die</strong>nst<br />
organisiert, an <strong>die</strong>sen Sonntagen sind mehr Kinder<br />
als Erwachsene in der Kirche zu sehen.<br />
Stehen Sie in Kontakt mit evangelischen Pfarrgemeinden<br />
in Deutschland?<br />
Wir haben ein paar Partnergemeinden und einen<br />
engen Kontakt habe ich heute zu einem Pastor<br />
aus der Nähe von Dresden, wir organisieren zusammen<br />
Begegnungen für Jung und Alt, jeweils in<br />
Deutschland oder in Polen.<br />
Was sagen <strong>die</strong> dorti gen Pastoren zu ihrer Täti gkeit<br />
in Niederschlesien? Sehen sie Sie mehr auf verlorenem<br />
Posten und raten Ihnen nach Deutschland<br />
zu kommen oder unterstützen sie Sie gar in Ihrer<br />
Arbeit?<br />
Vor allem sind sie erstaunt über unsere Täti gkeit.<br />
Das sowas wie deutsche Gott es<strong>die</strong>nste möglich<br />
sind und von so vielen jungen Familien in <strong>Breslau</strong><br />
besucht werden, manche Gemeinden in Deutschland,<br />
deren Gemeindemitgliederzahl viel größer<br />
sind, haben weniger Gott es<strong>die</strong>nstt eilnehmer, als<br />
wir. Sie unterstützen uns nicht nur mit Gebeten,<br />
aber auch mit Spenden, wie zum Beispiel Bücher<br />
für Kindergott es<strong>die</strong>nste oder Religionsunterricht.<br />
Sie suchen nach dem Gott es<strong>die</strong>nst den Kontakt<br />
mit Ihren Mitgliedern, so etwas sieht man nicht<br />
oft in der katholischen Kirche. Warum?<br />
Ein persönlicher Kontakt, eine Handreichung, ein<br />
nett es Wort schenkt manchmal den Leuten viel<br />
mehr, als der schönste und erregungsvollste Gottes<strong>die</strong>nst,<br />
ich erfahre dann oft , wer krank ist, wer<br />
auf einen Besuch wartet, worüber jemand glücklich<br />
ist, was er vorhat oder geschaff t hat. Dank so<br />
einem Kontakt ist <strong>die</strong> Gemeinde lebendig und der<br />
Pastor ein Mitglied der Gemeinde.<br />
Wie sieht es mit der Nachwuchstäti gkeit in Ihrer<br />
Gemeinde aus? Ich habe zunächst mit Verblüffung,<br />
später mit Freude mitverfolgt, wie junge<br />
Mädchen während der Messe ein Glockenspiel<br />
auff ührten oder Klavier spielten. Sind das Akti vitäten,<br />
<strong>die</strong> Sie in Ihrer Gemeinde fördern?<br />
Nicht immer stellen sich unsere Kinder beim Gottes<strong>die</strong>nst<br />
durch ein Glockenspiel vor, ich würde<br />
mich aber freuen, wenn das öft ers vorkäme. Ich<br />
bin immer dafür.<br />
Gehen Sie in Ihren Predigten manchmal auf das<br />
Thema „deutsch-polnische Versöhnung“ ein?<br />
Es ist schon mal vorgekommen, ich denke aber<br />
<strong>die</strong> Versöhnung ist längst geschehen und sie soll<br />
nur ein Beispiel dafür sein, das eine Versöhnung<br />
möglich ist. Ansonsten sind <strong>die</strong> evangelischen Predigten<br />
sehr Bibel nah verankert und man versucht<br />
Politi k mit dem Wort Gott es nicht zu vermischen.<br />
Die Verkündigung soll aber unser Herz glücklich<br />
machen und den Weg zum Reich Gott es zeigen.<br />
Vielen Dank für das Gespräch.<br />
Michał Borek<br />
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Elixiere 5. Ausgabe Wrocław 2011 AKTUELLES<br />
Eine Schlesierin gewährt Einblick in <strong>die</strong> schlesische<br />
Wirklichkeit an lebensnahen Beispielen und<br />
deutet auf <strong>die</strong> Unterschiede zur polnischen Alltagskultur.<br />
Lange hat Oberschlesien nicht mehr so eine große,<br />
nati onale Aufmerksamkeit der Öff entlichkeit<br />
erregt wie in <strong>die</strong>sem Jahr. Nach der höchst kontroversen<br />
Aussage Jarosławs Kaczyńskis über <strong>die</strong><br />
Schlesier als getarnte deutsche Opti on, erschienen<br />
unzählige Presseberichte über Oberschlesien,<br />
insbesondere über <strong>die</strong> fragliche schlesische<br />
Nati onalität und <strong>die</strong> Bewegung für <strong>die</strong> Autonomie<br />
Schlesiens. Man nahm unterschiedliche Haltungen<br />
an: von der Solidarität mit den Schlesiern, über<br />
Verständnis oder Unverständnis, bis zur nati onalisti<br />
schen Phobie. Man äußerte sich über Identi tät,<br />
Kultur, Geschichte, aber von dem, was den Alltag<br />
des Oberschlesiers auszeichnet, wurde abgesehen.<br />
Das, was zu erst in Schlesien auff ällt, ist natürlich<br />
<strong>die</strong> Sprache. Sie ist eine bunte Mischung aus polnischen,<br />
tschechischen, deutschen und eigenen<br />
schlesischen Wörtern. Dabei kommt es sehr oft<br />
vor, dass <strong>die</strong> Begriff e fremde Endungen bekommen.<br />
Zum Beispiel ein deutsches Wort eine polnische<br />
Endung, wie in den Wörtern einfachowy,<br />
familia, rajtować. Man muss auch aufpassen, weil<br />
manche Wörter, <strong>die</strong> polnisch klingen, eine andere<br />
Bedeutung im Schlesischen haben, wie z.B. przodek<br />
(poln. ein Ahne, schl. <strong>die</strong> Vorderseite) oder<br />
kucanie (poln. hocken, schl. husten). Wenn man<br />
einen Schlesier fragt – Czy Twój tata pracuje w hucie?<br />
– kann er sagen, dass sein Vater ohne Kopfbedeckung<br />
arbeitet. Weil <strong>die</strong>ses w hucie sowohl<br />
Eisenhütt e als auch Hut bedeuten kann. Die schlesische<br />
Sprache ist nur eine gesprochene Sprache<br />
und ist nicht einmal für <strong>die</strong> ganze Region typisch,<br />
sondern unterscheidet sich noch lokal. Von Ort zu<br />
Ort wird ein wenig anders gesprochen. Als ich das<br />
Lyzeum in Oppeln besuchte, waren wir 30 Schüler<br />
aus 23 Ortschaft en. Nehmen wir als Beispiel das<br />
Wort viel: in meiner Klasse sagten es manche wie<br />
Seite 20<br />
Schlesische Alltagsbilder<br />
im Polnischen dużo, andere sagten kans, noch andere<br />
westlich der Oder gebrauchten siyła und bei<br />
mir im Süden sagt man moc, was eine tschechische<br />
Bezeichnung für das Wort viel ist.<br />
Die regionale Küche bietet auch einige Leckereien.<br />
Die bekanntesten Spezialitäten sind wohl <strong>die</strong><br />
schlesische Wurst und <strong>die</strong> schlesischen Klöse. An<br />
Wochentagen isst man eine einfache Brotsuppe<br />
– <strong>die</strong> Wodzionka. Am Sonntag zu Mitt ag wird traditi<br />
onell eine Nudelsuppe zubereitet und als zweiten<br />
Gang Rouladen, Klöse und Blaukraut. Bei allen<br />
beliebt ist auch der Streuselkuchen in den drei<br />
Sorten mit Käse, Mohn oder Apfelmus.<br />
Die meisten kirchlichen Feste in Schlesien werden<br />
identi sch wie in ganz Polen gefeiert, aber auch hier<br />
gibt es einige Besonderheiten. Vor allem wird in<br />
vielen Pfarrkirchen eine der Sonntagsmessen in<br />
deutscher Sprache gehalten. Was interessant ist<br />
– vor dem 2. Weltkrieg wurde immer eine Messe<br />
am Sonntag in polnischer Sprache gehalten. Der<br />
wohl bedeutendste Wallfahrtsort Schlesiens ist<br />
der St. Annaberg, wo vor dem Krieg alle großen<br />
Wallfahrten drei mal gefeiert wurden – einmal für<br />
<strong>die</strong> deutschsprachigen Pilger, in einer Woche für<br />
<strong>die</strong> polnischsprachigen und dann noch einmal in<br />
tschechischer Sprache. Diese Tatsache ist ein gutes<br />
Beispiel für <strong>die</strong> Multi kulturalität Schlesiens.<br />
Die schlesischen Diözesen Oppeln und Gleiwitz waren<br />
auch <strong>die</strong> ersten in Polen, <strong>die</strong> offi ziell Mädchen<br />
als Ministranten zuließen und auch <strong>die</strong> Kommunion<br />
auf <strong>die</strong> Hand einführten. Heute ist beides zu<br />
Alltag geworden. Die Einführung <strong>die</strong>ser Änderungen<br />
war in Schlesien ganz natürlich, weil viele es<br />
aus Deutschland kannten. In anderen polnischen<br />
Diözesen galten <strong>die</strong> Reformen als kontrovers.<br />
Was immer wieder meine Bekannten wundert: <strong>die</strong><br />
Hochzeitsmesse fi ndet in Schlesien üblicherweise<br />
vormitt ags statt , meistens um 11 Uhr. Oft wird das<br />
Brautpaar von den sog. Brautjungfern und deren<br />
Partnern begleitet. Typisch für Schlesien ist auch,<br />
dass man einige Wochen vor der Hochzeit <strong>die</strong> Gäste<br />
sowie Nachbarn, Bekannte und den breiteren
Elixiere 5. Ausgabe Wrocław 2011 AKTUELLES<br />
Familienkreis mit Streuselkuchen beschenkt – jeder<br />
bekommt ein großes, schön geschmücktes<br />
Paket. Es ist eine Form der Mitt eilung, dass man<br />
heiratet.<br />
Während in Polen vor der Hochzeit der Jungfernabend<br />
für <strong>die</strong> Braut und der Junggesellenabend für<br />
den Bräuti gam organisiert wird, gibt es in Schlesien<br />
den so genannten Polterabend, der koedukati<br />
v gefeiert wird. Am Abend versammeln sich <strong>die</strong><br />
Gäste an einem Ort, alle sind bunt verkleidet. Sie<br />
gehen durch den Ort, werden meistens von Musik<br />
begleitet und machen Lärm. Der Weg führt sie<br />
zum Haus der zukünft igen Braut, wo sie Glas zerschlagen,<br />
was dem Brautpaar Glück bringen soll.<br />
Wenn es um Weihnachten geht, werden am Weihnachtsabend<br />
regionale Speisen wie Makówki oder<br />
Moczka serviert. Während in Polen <strong>die</strong> Geschenke<br />
meistens der Nikolaus, seltener andere Gestalten,<br />
wie Gwiazdka oder Dziadek Mróz bringt,<br />
werden <strong>die</strong> Schlesier vom Christkind (Dzieciątko)<br />
beschenkt. Es ist ein Einfl uss der deutschen Kultur.<br />
Ein anderes Überbleibsel des Deutschtums ist,<br />
dass am Samstag alle den Bürgersteig und <strong>die</strong><br />
Straße fegen. Am Samstag Nachmitt ag gehen alle<br />
mit Besen vor <strong>die</strong> Tür und zwar schon seit dem 19.<br />
Jahrhundert, als der Preußische Staat rechtlich so<br />
eine Pfl icht seinen Bürgern auferlegte.<br />
Das Thema der Identi tät ist höchst kompliziert. Einige<br />
Bemerkungen dazu möchte ich jedoch wagen.<br />
Wie es der Dichter Stanisław Bieniasz sagte: „Wir<br />
Schlesier sitzen immer zwischen zwei Stühlen.“<br />
Das Schlesiertum schöpft aus den slawischen<br />
Kulturen, darunter aus der polnischen und tschechischen<br />
sowie aus dem deutschen Erbe. Es ist<br />
ein Mosaik, in dem es auch an eigenen Elementen<br />
nicht fehlt. Die starke eigene Identi tät ist der<br />
Grund dafür, dass <strong>die</strong> Schlesier in allen Staaten, in<br />
<strong>die</strong> sie gekommen sind um zu leben, als verdächti g<br />
wahrgenommen wurden. Man versuchte sie stets<br />
für <strong>die</strong> Kultur des jeweiligen Landes zu gewinnen,<br />
sei es durch Germanisierungs- oder später durch<br />
Polonisierungsversuche, z.B. als man nach 1933<br />
<strong>die</strong> slawischklingenden Namen und Orte umnannte<br />
(wie meinen Ort Raschowa in Mitt enbrück) und<br />
dann als man nach 1945 alle deutschklingenden<br />
Namen polonisierte oder deutsche Inschrift en an<br />
Denkmälern vernichtete. Es war schon immer so,<br />
dass <strong>die</strong> Schlesier mit Misstrauen und Missverständnis<br />
behandelt wurden, und es ist auch heute<br />
nicht anders, was man an der neuesten Debatt e<br />
rund um Schlesien sehen kann.<br />
Wenn jemanden das Thema der schlesischen<br />
Identi tät interessiert, ist der Film „Oberschlesien.<br />
Kołocz na droga“ empfehlenswert (auch in deutscher<br />
Version „Oberschlesien. Streuselkuchen von<br />
zu Hause“ zugänglich). Dieser zeigt verschiedene<br />
schlesische Schicksale. Darunter auch das eines<br />
Mannes, dessen Großvater ein schlesischer Aufständischer<br />
war, sein Vater ein Soldat der Wehrmacht,<br />
er selbst war im polnischen Militär und seine<br />
Söhne in der Bundeswehr. Nach Bischof Alfons<br />
Nossol möchte ich wiederholen: „No comment.<br />
Das ist Schlesien.“<br />
Monika Klich<br />
Seite 21
Elixiere 5. Ausgabe Wrocław 2011<br />
Seite 22<br />
Good news: we’ll survive<br />
Infekti onskrankheit ‘Angliziti s’ ist nicht lebensbedrohlich<br />
Hinter den Fenstern ersti ckt in der Ferne der<br />
Lärm, <strong>die</strong> drückende Luft bleibt auf einmal in der<br />
Luft hängen, alles wird sti ll… <strong>die</strong> stechende Sonne<br />
erhitzt <strong>die</strong> Raumtemperatur, verschwitzte Hände<br />
ballen sich krampfarti g zu Fäusten unter den<br />
Tischen zusammen und vom Korridor hört man<br />
Schritt e näherkommen – vielleicht ist es schon das<br />
Fieber? Den Raum betritt ein hoher, dunkelhaariger<br />
Mann mit Schnurrbart und freundlich-ernstem<br />
Gesichtsausdruck gefolgt von einem vertrauten<br />
Antlitz: Prof. Cirko. “ Darf ich Ihnen vorstellen…?”<br />
An jenem Tag (10.03.2011) besuchte uns in<br />
<strong>Breslau</strong> eine wohlbekannte Persönlichkeit: Prof.<br />
Heinz Vater, einst an der Universität zu Köln täti g,<br />
nun an der Humboldt-Universität in Berlin. Angemessen<br />
dem heiklen Thema wäre es angebracht<br />
nochmals Doktor hinzuzufügen. Er ist u.a. der<br />
Autor der “Einführung in <strong>die</strong> Textlinguisti k”, <strong>die</strong><br />
nicht wenige Studenten, <strong>die</strong> sich zur mündlichen<br />
Klasur im Fach Linguisti k vorbereitet haben, fi ebrig<br />
gemacht hat. Vielmals war er Gast an unserer<br />
Uni. Diesmal erschien er, um uns über den sich auf<br />
<strong>die</strong> deutsche Sprache verbreitenden ‘Magmabrei’<br />
aufzuklären. Das Thema des Referats lautete: “Anglizismen<br />
im Deutschen”. Es schien vorerst ganz<br />
harmlos zu sein, <strong>die</strong> ersten Fremdkörper zeigten<br />
sich im modernen pseudo-englischen Marketi ng.<br />
TV, Ware, Werbung, Slogan. Langsam wurden sie<br />
cool und schließlich auch total ‘in’ und in kürzester<br />
Zeit gelangen sie in das Vokabular der Jugend und<br />
seltener, aber auch der Älteren. Die Zellenwanderung<br />
schlich unbemerkt in den Alltag. Und jetzt?<br />
Groβe Bange um <strong>die</strong> Kultur der eigenen Sprache.<br />
Die meisten Entlehnungen sind Substanti ve. Die<br />
Problemati k kommt bereits bei der Genusbesti mmung<br />
auf. Der Eindringling hat nämlich kein Genus,<br />
da im Englischen kein Arti kel vorkommt! Indem ein<br />
Anglizismus ein deutsches Wort nachahmt, borgt<br />
er sich von <strong>die</strong>sem den Arti kel. Es ist beispielsweise<br />
<strong>die</strong> ‘Mail’, <strong>die</strong> als ‘Post’ fungiert und deren femini-<br />
FACHSCHAFTEN<br />
nen Arti kel übernommen hat. Das gleiche gilt für<br />
<strong>die</strong> Band(=Musikgruppe) oder <strong>die</strong> Show(=Schau).<br />
Auch Suffi xe haben das Recht, ein Genus aufzuzwingen.<br />
Bei der Endung ‘nis’ setzt sich meistens<br />
das Femininum durch. Mit <strong>die</strong>ser Regel identi fi ziert<br />
sich trotz eines kleinen Unterschiedes z.B <strong>die</strong> ‘Fitness’<br />
und ‘Fairness’. Wörter <strong>die</strong> auf ‘-ing’ enden,<br />
sind weitgehend Neutrum, es entspricht dem<br />
deutschen ‘-en’, wie etwa in ‘das Training’(=das<br />
Trainieren). Maskulinum sind letztlich einsilbige<br />
Bezeichnungen oder solche, <strong>die</strong> auf einen Konsonanten<br />
enden wie ‘Deal’. Adjekti ve sind solange<br />
unproblemati sch bis sie nicht dekliniert werden.<br />
Dementsprechend passen sie sich den Grammati -<br />
kregeln an, was manchmal trotzdem irreführend<br />
klingt: sollte es etwa ein beiges oder lieber beigefarbenes<br />
Kleid sein? Falls es einem Zungenbrecher<br />
wie ‘tough’ nicht gelingt, sich einzubett en, folgt<br />
eine autoimmune Germanisierung: das muti erte<br />
Wort heiβt nun ‘taff ’, was schlicht und einfach soviel<br />
wie zäh, derb oder hart bedeutet.<br />
Wissenschaft ler haben sich ernsthaft e Sorgen<br />
um das Erhalten der Anglizismen auf einem<br />
relati v opti malen Niveau gemacht. Eine Rüstung<br />
oder Quarantäne sind jedoch nicht nöti g, beruhigt<br />
Prof. Heinz Vater. Es gibt auch Entlehnungen aus<br />
anderen Sprachen, u.a. der Yoghurt aus dem Türkischen,<br />
dazu passen sie sich meistens der deutschen<br />
Grammati k an.<br />
Das Event mit unserem Gast nahm mit einer<br />
lindernden Diskussion mit den Pati enten ein gutes<br />
Ende. Erleichtert und getröstet verbrachte man anschließend<br />
noch gemeinsam einige schöne Augenblicke<br />
in einem der <strong>Breslau</strong>er Lokale. Darüber hinaus<br />
gelang es, Prof. Dr. Heinz Vater wiederzusehen.<br />
Sie sprechen und verstehen vorzüglich Polnisch.<br />
Was hat sie dazu gebracht, unsere Sprache zu lernen?
Elixiere 5. Ausgabe Wrocław 2011<br />
Zunächst muss ich das etwas einschränken, ich<br />
glaube nicht, dass ich so vorzüglich Polnisch spreche.<br />
Vielleicht gehöre ich zu den wenigen Deutschen,<br />
<strong>die</strong> sich für das Polnische interessieren und<br />
angefangen haben, Polnisch zu lernen. Aber ich<br />
bin nicht zufrieden, mein Wortschatz ist noch klein<br />
und ich drücke mich oft nicht idiomati sch aus. Der<br />
Grund dafür war eher politi sch. Ich lebte in der damaligen<br />
DDR, arbeitete als Assistent an der Akademie<br />
der Wissenschaft en in Ostberlin und ich war<br />
unzufrieden mit der Berichterstatt ung in unseren<br />
Zeitungen, im “Neuen Deutschland” usw. Vor allem<br />
im Bezug auf <strong>die</strong> Lage in Polen, wo sich einiges<br />
ereignet hat. Da gab es schon <strong>die</strong> ersten Protestakti<br />
onen in Danzig. Noch vor Lech Wałęsa und der<br />
Gründung der Solidarność, und zwar Ende der 50er<br />
Jahre. Ich wollte mehr wissen und nahm deswegen<br />
an einem Kurs im Ośrodek Kultury Polskiej in<br />
Ostberlin teil. Dort habe ich angefangen, Polnisch<br />
zu lernen. 1961 bin ich gefl üchtet, habe mich dann<br />
mehrere Jahre in Westdeutschland gar nicht mit<br />
dem Polnischen beschäft igt. 1969 bin ich in <strong>die</strong><br />
USA gefahren, habe dort wieder angefangen, Polnisch<br />
zu betreiben, was nicht so leicht war, weil<br />
dann immer vom Englischen ins Polnische und umgekehrt<br />
übersetzt werden musste. Nach 1972, als<br />
ich <strong>die</strong> Professur in Köln kriegte, habe ich wieder<br />
regelmäßig an Kursen an der Uni Köln teilgenommen.<br />
Mein Polnisch hat sich deutlich verbessert<br />
als ich in den 80-er Jahren eine Einladung für ein<br />
Semester an <strong>die</strong> KUL bekam. Nach meiner Rückkehr<br />
hatt e ich nicht viel Gelegenheit zu sprechen<br />
und musste wiederum andere Sprachen lernen,<br />
wie z. B. Französisch (Gastprofessur) oder Dänisch,<br />
da ich auch mit einer Dänin verheiratet war.<br />
Wie hat Ihre Zusammenarbeit mit den polnischen<br />
Hochschulen begonnen?<br />
Ich bekam eine Einladung an <strong>die</strong> KUL von Professor<br />
Grucza, einem prominenten germanisti schen<br />
Linguist aus Warschau, vermitt elt. Dort machte ich<br />
neue Bekanntschaft en und bekam weitere Einladungen<br />
zu Vorträgen in Poznań und Rzeszów wie<br />
auch zu Gastprofessuren in Szczecin, Wrocław,<br />
Warschau und noch mal in Lublin.<br />
Sie haben <strong>die</strong> Erfahrung gemacht, ein Semester<br />
lang mit Studenten aus Wrocław zu arbeiten,<br />
waren auch oft Gast an Universitäten in Amerika<br />
FACHSCHAFTEN<br />
und asiati schen Ländern. Wie vernehmen Sie <strong>die</strong><br />
Unterschiede?<br />
Ich kann ohne Übertreibung sagen, dass <strong>die</strong> polnischen<br />
Germanisti kstudenten zu den besten nicht<br />
deutschsprachigen Germanisti kstudenten zählen,<br />
<strong>die</strong> ich kenne. In Polen und Ungarn spricht man<br />
das beste Deutsch. Wobei in Ungarn <strong>die</strong> Sprachverhältnisse<br />
nachgelassen haben, da man bei den<br />
Aufnahmeprüfungen nicht mehr entsprechende<br />
Sprachkenntnisse fordert. InBrasilien dagegen waren<br />
<strong>die</strong> Deutschkenntnisse sehr mangelhaft , sie<br />
haben <strong>die</strong> einfachsten Sätze nicht verstanden.<br />
Bis vor kurzer Zeit erfreute sich an unserer Universität<br />
<strong>die</strong> literaturwissenschaft liche Fakultät<br />
einer größeren Beliebtheit als <strong>die</strong> sprachwissenschaft<br />
liche. Gilt <strong>die</strong>se Tendenz auch an den deutschen<br />
Uni’s?<br />
Ja. Man kann wirklich verallgemeinern und sagen,<br />
dass weitaus <strong>die</strong> meisten Studenten <strong>die</strong> Germanisti<br />
k wegen der Literatur stu<strong>die</strong>ren und viele wissen<br />
gar nicht, dass Sprachwissenschaft auch dazu<br />
gehört. In Köln habe ich aber eine gute Erfahrung<br />
gemacht. Wenn man zu zeigen versteht, womit<br />
sich <strong>die</strong> Linguisti k beschäft igt, das interessant<br />
macht, auf Probleme hinweist, dann gibt es eine<br />
Reihe von Studenten (in Köln waren es sicher 20-<br />
25%) <strong>die</strong> sich im Laufe der ersten Semester immer<br />
mehr für Linguisti k interessierten und zum groβen<br />
Teil danach auch im Hauptstudium dabeiblieben.<br />
Ich war mit der Entwicklung zufrieden.<br />
Woran könnte das liegen?<br />
Das liegt an Verschiedenem. Zum Teil an der Unzufriedenheit<br />
der Studenten wie gelehrt wird. Viele<br />
Studenten sagten mir, dass in der Literaturwissenschaft<br />
viel Phantasie ist und vieles, was man nicht<br />
nachvollziehen kann. Linguisti k ist da viel handfester.<br />
Das ist sicher auch übertrieben. Wir bemühen uns<br />
um eine klare Darstellung der Struktur, Regularitäten<br />
herauszuarbeiten, Zusammenhänge zu schildern.<br />
Darum bemüht man sich auch in der Literatur,<br />
dort hat man jedoch off enbar nicht so festen Boden.<br />
Sie waren oft mals in Polen. Gibt es etwas, was sie<br />
besonders schätzen, was ihnen nach der Abreise<br />
fehlen wird?<br />
Seite 23
Elixiere 5. Ausgabe Wrocław 2011<br />
Ich schätze <strong>die</strong> großβe Spontaneität der Studenten<br />
und wahrscheinlich überhaupt der jungen<br />
Leute hier. Ich glaube, dass polnische Studenten<br />
viel Lebensfreude haben, <strong>die</strong> sie mehr verbreiten<br />
als <strong>die</strong> Leute bei uns. Die kulturelle Traditi on spielt<br />
hier eine gewisse Rolle. Das ist in Deutschland leider<br />
sehr zurückgegangen, zum großen Teil ist es<br />
Schuld der Nazi’s, weil sie <strong>die</strong> deutsche Kultur,<br />
sprich deutsche Volkslieder, Volksbräuche sehr<br />
mit nati onalisti schem Inhalt verknüpft haben, so<br />
Die Sprachwissenschaft liche Studentenfachschaft<br />
(pol. „Językoznawcze Koło Naukowe Germanistów”,<br />
kurz JKNG) ist neben der literaturwissenschaft<br />
lichen Studentenfachschaft und der Theatergruppe<br />
Durcheinander <strong>die</strong> dritt e Studentengemeinschaft<br />
am Insti tut für deutsche Philologie an<br />
der Universität Wrocław.<br />
Zu unserem Kreis gehören <strong>die</strong> Studenten/innen<br />
bzw. Doktoranden/innen, <strong>die</strong> sich im Bereich deutsche<br />
Sprachwissenschaft entwickeln möchten. Der<br />
JKNG funkti oniert seit Dezember 2009, registriert<br />
wurde er aber erst im Jahre 2011.<br />
Unser Team bilden: Herr Professor Lesław Cirko<br />
– Fachbetreuung, Zuzanna Czerwonka – Vorsitzende,<br />
Dominika Pańczyszyn – stellvertretende<br />
Vorsitzende, Magdalena Plinta – Kassenwärti n, Karolina<br />
Opas- Protokollanti n und 12 Mitglieder aus<br />
Seite 24<br />
— JKNG —<br />
FACHSCHAFTEN<br />
dass man nach 1945 all’ das beiseite geworfen<br />
hat. Man hat ‘das Kind aus dem Bade geschütt et’.<br />
Plötzlich kannte niemand mehr <strong>die</strong> alten deutschen<br />
Volkslieder, obwohl sie doch sehr schön und<br />
eingängig sind. Junge Deutsche kennen amerikanische<br />
Volkslieder besser als deutsche. Das ist eine<br />
bedauerliche Entwicklung. Ich glaube, so ist das in<br />
Polen nicht.<br />
Vielen Dank für das Gespräch!<br />
Sandra Łabędź<br />
dem Studentenkreis. Ihre Gastvorträge haben bis<br />
jetzt sieben Linguisten aus Deutschland und Polen<br />
gehalten (u.a. Ulrich Engel, Heinz Vater, Karen<br />
Schramm).<br />
In der Zukunft planen wir ein neues wissenschaft<br />
liches Projekt „Wrocław sprachwissenschaft -<br />
lich” (pol. „Wrocław językoznawczy”), in dem <strong>die</strong><br />
aktuellsten linguisti schen Forschungen auf einer<br />
interakti ven Karte <strong>Breslau</strong> gezeigt werden.<br />
Alle Studenten/innen, <strong>die</strong> sich akti v an unserem<br />
Insti tut beteiligen möchten, sind bei uns immer<br />
willkommen.<br />
Wir empfehlen Ihnen unsere offi zielle Website<br />
[www.jkng.ifg.uni.wroc.pl], wo Informati onen<br />
zu unseren Begegnungen, aber auch interessante<br />
Materialien zu fi nden sind. Wir freuen uns auf Ihre<br />
Mitgliedschaft im JKNG!<br />
Łukasz Pakuła
Elixiere 5. Ausgabe Wrocław 2011<br />
Die Germanistische Fachschaft<br />
und Friederike Kempner<br />
Auf dem Alten Jüdischen Friedhof in der Lohestraße<br />
(ul. Ślężna) in <strong>Breslau</strong> befi ndet sich ein Grab mit<br />
folgender Aufschrift : Ihr Leben war geisti ger Arbeit<br />
und Werken der Nächstenliebe geweiht. Die Rede<br />
ist von Friederike Kempner, einer Frau, <strong>die</strong> heute<br />
fast vergessen ist, aber es durchaus ver<strong>die</strong>nt, nicht<br />
in Vergessenheit zu geraten. Die Schlesische Nachti<br />
gal, wie sie einst genannt wurde, war eine kontroverse<br />
und interessante Persönlichkeit, <strong>die</strong> jetzt<br />
durch <strong>die</strong> Fachschaft der Germanisti kstudenten<br />
wieder aufl ebt.<br />
Friederike Kempner ist am 25. Juni 1828 in<br />
Opatow (Opatów) geboren worden. Ihre Erziehung<br />
in Sachen: Französisch, Literatur und jüdischem<br />
Glaube erhielt sie von der Mutt er. Den Tod beider<br />
Eltern verarbeitete Friederike in vielen Gedichten.<br />
Sie blieb ihr Leben lang unverheiratet und lebte<br />
auf ihrem eigenen Gut – Friederikehof – von 1844<br />
bis zu ihrem Tod am 23. Februar 1904.<br />
Neben ihrer schrift stellerischen Täti gkeit widmete<br />
sich Kempner der Krankenpfl ege und setzte<br />
sich gegen <strong>die</strong> Einzelhaft ein. Doch ihr bekanntester<br />
und wichti gster Ver<strong>die</strong>nst ist <strong>die</strong> Errichtung von<br />
Leichenschauhäusern im Deutschen Reich. Dies<br />
setzte sie mit ihrer Streitschrift Denkschrift über<br />
<strong>die</strong> Nothwendigkeit einer gesetzlichen Einführung<br />
von Leichenhäusern, <strong>die</strong> zwischen 1850 und 1867<br />
sechs Aufl agen erlebt hat. Durch <strong>die</strong>se Veröff entlichung<br />
wird deutlich, wie groß <strong>die</strong> Angst der damaligen<br />
Menschen war, lebendig begraben zu werden.<br />
Kempners Angst ging so weit, dass sie angeblich<br />
veranlassen wollte, dass in ihrem Grab ein Mechanismus<br />
eingebaut wird, mit dem sie den Friedhofswärter<br />
benachrichti gen kann, dass sie noch lebt<br />
und dass man sie schnell herausholen soll.<br />
Kempner war eine produkti ve Schrift stellerin.<br />
Sie verfasste mehrere Novellen und Dramen. Obwohl<br />
ihre Bücher sich durchaus verkaufen konnten,<br />
blieb sie von den Kriti kern unentdeckt. Anders<br />
sah es mit ihrem lyrischen Werk aus. Ihre Gedichte<br />
FACHSCHAFTEN<br />
erlebten zu Lebzeiten Kempners acht Aufl agen.<br />
Die Literaturkriti ker gaben ihr den Spitznamen <strong>die</strong><br />
Schlesische Nachti gal und ernannten sie zur Meisterin<br />
der ungewollten Komik. Ihre Dichtkunst, <strong>die</strong><br />
meistens erschauern und zu Refl ekti on sti mulieren<br />
sollte, brachte den Leser nur dazu, den Kopf zu<br />
schütt eln oder zu lachen. Herman Moster (1901-<br />
1973), ein Schrift steller und Kabaretti st, behauptete<br />
sogar, dass <strong>die</strong> Bücher von Friederike Kempner<br />
allesamt von ihrer Familie aufgekauft wurden, um<br />
den Spott so gut es nur ging zu verhindern. Sti chhalti<br />
ge Beweise konnte Moster jedoch nicht vorlegen.<br />
Sicher ist allerdings, dass der einfl ussreiche<br />
Kriti ker Alfred Kempner seinen Nachnamen in Kerr<br />
ändern ließ, um nicht mit der Schlesischen Nachti -<br />
gal in einen Topf geworfen zu werden.<br />
Die Mitglieder der Fachschaft der Germanisti kstudenten<br />
der Universität Wrocław kennen Friederike<br />
Kempner nur zu gut. Man könnte sogar behaupten,<br />
dass sie eine inoffi zielle Schutzpatronin<br />
der Fachschaft ist, weil ihre Gedichte von Zeit zu<br />
Zeit aufgesagt werden und so ein Lachen auf <strong>die</strong><br />
Gesichter der Zuhörer zaubern. Sei es bei einem<br />
regulären Treff en der Fachschaft , bei einer Stu<strong>die</strong>nreise<br />
oder einem Spaziergang durch <strong>die</strong> <strong>Stadt</strong><br />
<strong>Breslau</strong> und den Alten Jüdischen Friedhof. Im<br />
Sommersemester 2011 startete ein besonderes<br />
Projekt. Die Fachschaft mitglieder fi ngen an, <strong>die</strong><br />
Gedichte Kempners ins Polnische zu übersetzen.<br />
Die Auswahl ist groß, denn <strong>die</strong> Schrift stellerin hat<br />
einen ganzen Stapel Lyrik zurückgelassen. Nachdem<br />
<strong>die</strong> Übersetzungen gesammelt und korrigiert<br />
werden, werden sie in einer Publikati on veröff entlicht.<br />
Jeder, der sich als Übersetzer versuchen will,<br />
ist herzlich eingeladen, bei dem Projekt mitzumachen.<br />
Dies lohnt sich auf jeden Fall und es braucht<br />
auch nicht viel, um was Bedeutendes zu machen.<br />
Sei es auch <strong>die</strong> Erhaltung der Erinnerung an <strong>die</strong><br />
Meisterin der ungewollten Komik.<br />
Adrian Golly<br />
Seite 25
Elixiere 5. Ausgabe Wrocław 2011<br />
Vom 26. bis zum 19. Mai hatt e unsere Germanisti<br />
sche Fachschaft wieder mal eine Stu<strong>die</strong>nreise<br />
unternommen. Diesmal ging es in das Reich von<br />
Rübezahl, ins sagenumwobene Riesengebirge.<br />
Über vier Tage wanderten wir auf den Spuren von<br />
Literaten, <strong>die</strong> <strong>die</strong>ses Gebirge besuchten und umschrieben.<br />
Dabei lernten wir auch <strong>die</strong> Geschichte<br />
vom Riesengebirge und vom Tourismus in den Bergen<br />
kennen.<br />
Mit dem Bus fuhren wir nach Karpacz (Krummhübel).<br />
Am ersten Tag haben uns <strong>die</strong> Berge mit<br />
wunderschönem, sonnigem Wett er begrüßt. Zuerst<br />
besichti gten wir <strong>die</strong> norwegische Stabkirche<br />
Wang in Karpacz. Die mitt elalterliche Stabholzkirche<br />
aus dem norwegischen Vang wurde 1841 vom<br />
preußischen König Friedrich Willhelm IV erworben<br />
und 1842 auf Initi ati ve der Gräfi n Friederike von<br />
Reden in Krummhübel (Karpacz) aufgestellt. Die<br />
Kirche wurde ohne einen einzigen Nagel aufgebaut.<br />
Vor der Kirche wurde ein Referat über <strong>die</strong><br />
Gräfi n Friederike von Reden abgehalten. Nach einer<br />
Stärkung im nahe gelegenen Lokal ging es endlich<br />
auf <strong>die</strong> Wanderung. Zum großen Teil auf dem<br />
sog. Jubiläumsweg, der zum 25. Bestehungsjubiläum<br />
vom Riesengebirgsverein errichtet wurde,<br />
ging es an dem Schronisko Samotnia (Teichbaude)<br />
und dem Schronisko Strzecha Akademicka (Hampelbaude)<br />
zum Schronisko Dom Śląski (Schlesierhaus).<br />
In der Herberge am Fuße der Schneekoppe<br />
aßen wir unser Abendessen und hörten ein Referat<br />
zur Schneekoppe und zu ihren ersten Besteigungen.<br />
Außerdem hörten wir über Theodors Fontanne<br />
Aufenthalte im Riesengebirge und <strong>die</strong> wahre<br />
Geschichte vom Förster und Wild<strong>die</strong>b, <strong>die</strong> Fontane<br />
in seinem Roman „Quitt “ bearbeitet hatt e. Danach<br />
gingen wir brav schlafen, da wir, wie der Touristenbrauch<br />
will, am nächsten Tag ganz früh <strong>die</strong> Schneekoppe<br />
besteigen wollten, um von Oben den Sonnenaufgang<br />
zu genießen.<br />
Leider mussten wir den Herren der Berge irgendwie<br />
verärgert haben, denn als wir um 3 Uhr<br />
Seite 26<br />
In Rübezahls Reich<br />
FACHSCHAFTEN<br />
morgens aufstanden, begrüßte uns ein gewalti ges<br />
Gewitt er, das uns den Aufsti eg unmöglich machte.<br />
Auch als wir nach dem Frühstück um 10 Uhr den<br />
Berg besti egen, war er noch in dichte Wolken umhüllt.<br />
In Kälte, leichtem Regen und starkem Wind<br />
haben wir <strong>die</strong> in Wolken stehende Schneekoppe<br />
besti egen. Leider blieb uns der schöne Ausblick<br />
verwehrt, lange Zeit sahen wir nur das Weiß der<br />
Wolken um uns. Erst auf dem Weg wieder nach<br />
Unten haben sich <strong>die</strong> Wolken langsam gelichtet<br />
und wir durft en doch noch <strong>die</strong> Aussichten genießen.<br />
Wir erfuhren von unserem Betreuer Dr. Pacholski<br />
den genauen Weg, den <strong>die</strong> Helden von<br />
Paul Kellers Roman „Waldwinter“ zurücklegten.<br />
Einen Teil <strong>die</strong>ses Weges sind wir an <strong>die</strong>sem Tag in<br />
entgegen gesetzter Richtung gegangen. Der Himmel<br />
war am Tag stark bewölkt, aber zum Glück regnete<br />
es nicht mehr. Nachdem wir ziemlich schnell<br />
an unserem nächsten Rastplatz – Schronisko<br />
Odrodzenie (ehem. Jugendkammhaus „Rübezahl“)<br />
angelangt waren, aßen wir zu Mitt ag und gingen<br />
anschließend auf <strong>die</strong> tschechische Seite spazieren<br />
(einige waren nach dem kurzen – 3 stündigem –<br />
Spaziergang erschöpft ). Vom Spaziergang zurück,<br />
aßen wir unser Abendessen, es gab Bigos, der jedoch<br />
den meisten von uns nicht geschmeckt hatt e.<br />
Danach wurde ein Referat zum RGV, d.h. zum Riesengebirgsverein,<br />
gehalten. Und so endete unser<br />
zweiter Tag im Riesengebirge.<br />
Den dritt en Tag haben wir wie gewöhnlich mit<br />
einem kräft igen Frühstück angefangen. Dieses Mal<br />
ging es zu den Śnieżne Kotły (Schneegruben), dann<br />
runter nach Tschechien zur Labská bouda (Elbfallbaude)<br />
und zu der Elbquelle, danach zur Szrenica<br />
(Reift räger) und schließlich zum Schronisko Hala<br />
Szrenicka (Neue Schlesische Baude). Das Wett er<br />
spielte größtenteils mit, nur als wir an den Śnieżne<br />
Kotły waren, gingen wir wieder in Wolken, so dass<br />
wir nichts von ihnen gesehen haben. Bevor wir<br />
<strong>die</strong> Elbquelle erreichten, machten wir eine kurze<br />
Pause in der Labská bouda um uns zu stärken.
Elixiere 5. Ausgabe Wrocław 2011<br />
Die Gruppe vor der PTTK-Baude „Na Hali Szrenickiej“<br />
An der symbolischen Elbquelle gab es eine Figur<br />
der Elbe und <strong>die</strong> Wappen der wichti gsten Städte,<br />
durch <strong>die</strong> sie fl ießt. Danach ging es zur langersehnten<br />
Szrenica. Schon seit dem Anfang der Reise<br />
schwärmte eine der Teilnehmerinnen von den<br />
besten Pfannkuchen mit Blaubeeren, <strong>die</strong> es gibt<br />
und <strong>die</strong> man eben auf der Szrenica bekommt. Wir<br />
wurden nicht entt äuscht. Danach ging es zu unserer<br />
letzten Übernachtungsstätt e, dem Schronisko<br />
Hala Szrenicka. Dort hatt en wir viel zu lachen, <strong>die</strong><br />
Bedingungen, <strong>die</strong> wir dort vorfanden, hatt en sich<br />
wahrscheinlich seit den 50-er Jahren nicht sonderlich<br />
verändert (außer einem Plasmafernseher, der<br />
ausgeschaltet war). Auch <strong>die</strong>se Nacht haben wir<br />
irgendwie überstanden.<br />
Am letzten Tag gingen wir von der Hala Szrenicka<br />
runter zur Szklarka Poręba (Schreiberhau).<br />
Auf dem Weg dorthin waren wir noch am Wasserfall<br />
Kamionka. In Szklarska Poręba besuchten wir<br />
das Haus der Gebrüder Hauptmann, in dem sich<br />
ein Museum befi ndet. Außer Ausstellungstücken<br />
zu den Hauptmanns, gibt es dort auch noch eine<br />
Ausstellung über moderne Kunst und ein Rübe-<br />
FACHSCHAFTEN<br />
zahlzimmer. Dort kann man <strong>die</strong> vielen verschiedenen<br />
Darstellungen von Rübezahl sehen. Im<br />
Museumsgarten wurden <strong>die</strong> letzten zwei Referate<br />
abgehalten, über Rübezahl bei Johannes Praetorius<br />
und bei Musäus und das zweite Referat war<br />
über Carl Hauptmann und sein „Rübezahlbuch“.<br />
Danach befolgten wir den Rat der nett en Frau<br />
vom Museum und gingen <strong>die</strong> Straße ein Stück<br />
aufwärts zu einem Hotel und fragten dort nach einem<br />
Mitt agessen. Nach dem köstlichen Mitt agessen<br />
begaben wir uns zum Bahnhof und machten<br />
uns auf <strong>die</strong> Rückreise, <strong>die</strong> über 4 Stunden dauerte.<br />
Rübezahl hatt e uns mit gutem Wett er begrüßt<br />
und wieder verabschiedet.<br />
Die Reise war ein voller Erfolg, das Wett er<br />
spielte größtenteils mit, <strong>die</strong> Teilnehmer waren gut<br />
in Form und in guter Laune. Ich persönlich kann<br />
unsere Stu<strong>die</strong>nreise nur weiter empfehlen, <strong>die</strong><br />
nächste große Reise wird im November stattf inden.<br />
Kommt das nächste Mal mit uns und erlebt<br />
selbst solche Abenteuer.<br />
Jan Kunce<br />
Seite 27
Elixiere 5. Ausgabe Wrocław 2011<br />
In <strong>die</strong>sem Jahr feierte <strong>die</strong> Deutsche Kinowoche<br />
„niemieckie niuanse... deutsche details…” in elf<br />
polnischen Städten ihren 10. Geburtstag. Diese<br />
wurde vom Insti tut für Auslandsbeziehungen e.<br />
V. gemeinsam mit verschiedenen Organisati onen<br />
der deutschen Minderheit in Polen veranstaltet.<br />
In <strong>Breslau</strong> wurde <strong>die</strong> Deutsche Kinowoche von der<br />
Deutschen Sozial-Kulturellen Gesellschaft in <strong>Breslau</strong><br />
und Odrafi lm organisiert.<br />
Die Filme standen unter dem Mott o „Nachbarwelten“,<br />
damit wollten <strong>die</strong> Organisatoren an <strong>die</strong><br />
Unterzeichnung des Vertrags zwischen der Bundesrepublik<br />
Deutschland und der Republik Polen<br />
über gute Nachbarschaft und freundschaft liche<br />
Zusammenarbeit vor 20 Jahren erinnern.<br />
In <strong>Breslau</strong> wurden <strong>die</strong> Filme zwischen dem 13.<br />
und dem 18. Mai jeweils um 20 Uhr (16.05.11,<br />
17:00 Uhr) im Kino Warszawa gezeigt.<br />
Mit der Filmvorführung von „Friendship!“ von<br />
Markus Goller begann am Freitag <strong>die</strong> Deutsche Kinowoche.<br />
1989: Während ganz Deutschland <strong>die</strong><br />
Wiedervereinigung feiert, machen sich zwei 22-jährige<br />
Ossis mit 100 DM Begrüßungsgeld in der Tasche<br />
auf, Veits (Protagonist) gefl üchteten Vater in Amerika<br />
zu suchen. 1990 – <strong>die</strong> Mauer ist schon gefallen,<br />
aber <strong>die</strong> DDR steht noch – beschließen <strong>die</strong> beiden<br />
nach San Francisco zu fahren. Der narrati ve Bogen<br />
ist damit gespannt für ein klassisches Roadmovie,<br />
eine Reise gen Westen. Anfangs hat man aber das<br />
Gefühl in einer der ironisch-nostalgischen DDR-Komö<strong>die</strong>n<br />
gelandet zu sein (<strong>die</strong> milden humorvollen<br />
Rückblicke, <strong>die</strong> man schon aus Filmen wie „Sonnenallee“<br />
oder „Good Bye, Lenin!“ kennt). Doch dann<br />
unterstreicht der Regisseur <strong>die</strong> Authenti zität der<br />
vorkommenden ostdeutschen Töne, was den Figuren<br />
und ihrer Geschichte in <strong>die</strong>sem Culture Clash<br />
notwendige Echtheit verleiht. „Friendship!“ be<strong>die</strong>nt<br />
sich leider eins zu eins der Klischees (eine Gruppe<br />
Marshmallows grillender Easy Rider, zwei „chicks“ in<br />
einer Bar und ihr Vater mit der Schrotf linte) und das<br />
bildet <strong>die</strong> größte Schwäche <strong>die</strong>ses Films. Doch der<br />
Seite 28<br />
REZENSIONEN UND BERICHTE<br />
Deutsche Kinowoche<br />
„niemieckie niuanse...deutsche details…”<br />
Schwerpunkt des Werkes ist natürlich <strong>die</strong> auf mehreren<br />
Ebenen abzulesende Freundschaft , <strong>die</strong> wird<br />
aber schwer geprüft , als eine schöne Frau auft aucht<br />
(hier ein polnischer Akzent: Alicja Bachleda Curuś).<br />
Das Thema der Freundschaft wird im zweiten<br />
Film des Festi vals weiterentwickelt, nämlich<br />
in „Renn, wenn du kannst“ von Dietrich Brüggemann.<br />
Ein Problemfi lm, der sich als sog. Behindertenfi<br />
lm (<strong>die</strong> Behinderungs-Themati k war auch<br />
ein wichti ger Punkt der Refl exionen während der<br />
Kinowoche) qualifi zieren lässt. Das Werk stellt <strong>die</strong><br />
Geschichte eines Rollstuhlfahrers (Ben), dessen<br />
Zivis und einer Frau dar, <strong>die</strong> sich ineinander verlieben<br />
– trotzdem kommt kein Kitsch dabei heraus.<br />
Die anfangs vom Regisseur angelegte klassische<br />
Dreiecksbeziehung kreist ab der zweiten Hälft e des<br />
Films immer mehr um Ben und seine Traumwelt,<br />
aber auch um <strong>die</strong> Dämonen seiner Vergangenheit.<br />
Brüggemann gelang es ein Drehbuch zu schreiben,<br />
das heuti ge Gutmenschenatti tüden, unnöti ge Larmoyanz,<br />
Betroff enheitsklischees und senti mentalen<br />
Pathos vermeidet. Partnerschaft , Liebe, Sex –<br />
das alles gehört zum Leben der Menschen mit Behinderung<br />
– was für den einen selbstverständlich,<br />
ist für den anderen leider eine Utopie oder ein Tabuthema<br />
ist. Was noch ins Auge, oder vielmehr ins<br />
Ohr, fällt, ist ein gemeiner Wortwitz, der schon im<br />
durchaus zynischen Titel ausgedrückt wird.<br />
Nach dem Drama kam <strong>die</strong> Zeit für eine Komö<strong>die</strong>.<br />
In „Schröders wunderbare Welt“ lässt sich<br />
Michael Schorr auf ein recht erfrischendes Spiel<br />
mit den Klischees ein. Der Film erzählt <strong>die</strong> Geschichte<br />
von Frank Schröder, einem Mann, der<br />
ein giganti sches künstliches Tropenpara<strong>die</strong>s in<br />
seinem Heimatort Tauchritz, mitt en im Niemandsland<br />
des deutsch-polnisch-tschechischen Grenzgebietes<br />
realisieren will. Die opti misti sche Vision<br />
des Protagonisten kann leider nicht aufgehen,<br />
weil <strong>die</strong>jenigen, für <strong>die</strong> es gedacht ist, sich längst<br />
in ihre jeweils privaten Para<strong>die</strong>se eingeschlossen<br />
haben. Der Regisseur basiert hier auf einer Idee,
Elixiere 5. Ausgabe Wrocław 2011<br />
<strong>die</strong> skurrile Begegnung zwischen verschiedenen<br />
Kulturen zu inszenieren. Der Humor ist aber eher<br />
als lakonisch zu beschreiben und im Laufe der Zeit<br />
entwickelt der Film seinen melancholischen Charme.<br />
Eine interessante Auseinandersetzung mit der<br />
Provinz einer ostdeutschen Grenzlandschaft .<br />
Am vierten Tag der Deutschen Kinowoche wurden<br />
zwei Dokus präsenti ert: „Eine blonde Provinz“<br />
und „W imię ich matek – historia Ireny Sendlerowej“.<br />
Der erste Film schildert <strong>die</strong> Geschichte der<br />
Deportati on polnischer Bürger ins Deutsche Reich<br />
im Herbst 1939. Die Nazis hatt en vor, im besetzten<br />
Polen, in einem Distrikt namens Warthegau, ein Experimenti<br />
erfeld des Rassenwahns zu installieren.<br />
Eine „blonde Provinz“ sollte als ein Laboratorium<br />
zur Züchtung einer „germanischen Herrenrasse“<br />
entstehen. Die Filmemacher stellen drei Männer<br />
vor, <strong>die</strong> beim deutschen Überfall auf Polen noch<br />
Kinder waren (Helmut Steinitz, Dieter Bielenstein<br />
und Henryk Jaszcz). Die Produkti on von Jacek Kubiak<br />
und Klaus Salge wurde außerdem mit dem<br />
Deutsch-Polnischen Journalistenpreis 2010 in der<br />
Kategorie „Fernsehen“ ausgezeichnet.<br />
Die nächste Dokumentati on von Marc Skinner<br />
erzählt über das Leben von Irena Sendler, einer<br />
muti gen Polin, <strong>die</strong> den Zuschauern wahrscheinlich<br />
schon aus dem Film „The Courageous Heart of<br />
Irena Sendler“ und dem Buch „Irena Sendler. Die<br />
Mutt er der Holocaust-Kinder“ von Anna Mieszkowska<br />
bekannt ist. Die Titelheldin rett ete während<br />
des Zweiten Weltkriegs 2500 Kinder aus dem<br />
Warschauer Ghett o. Der Film enthält das letzte<br />
lange Interview, das sie vor ihrem Tod im Alter von<br />
98 Jahren gab.<br />
Das vorletzte Werk des Festi vals zieht den Zuschauer<br />
im gewissen Sinne schon wieder in <strong>die</strong><br />
REZENSIONEN UND BERICHTE<br />
Welt der Behinderung ein. „Ganz nah bei dir“ von<br />
Almut Gett o ist eine besondere Liebesgeschichte<br />
von einem Pedanten und einer Blinden. Der Regisseur<br />
verleiht seinem Film einen besonderen poeti -<br />
schen Blick auf <strong>die</strong> Wirklichkeit, <strong>die</strong> durch <strong>die</strong> Kamera<br />
von Michael Wiesweg vor allem aus Gitt ern,<br />
Treppen und Straßenfl uchten konstruiert wird. In<br />
<strong>die</strong>sem klaustrophobischen, surrealen Universum<br />
spielt <strong>die</strong> Liebesmelo<strong>die</strong> des pedanti schen jungen<br />
Mannes und der blinden, aber lebenslusti gen Cellisti<br />
n. Die Einsamkeit der Großstadt, <strong>die</strong> Angst vor<br />
Veränderung, <strong>die</strong> Hoff nung auf einen Neubeginn –<br />
das sind nur einige der Moti ve, <strong>die</strong> in <strong>die</strong>sem wirklich<br />
empfehlenswerten Film berücksichti gt wurden.<br />
Die Deutsche Kinowoche endete mit der „Wintertochter“<br />
(einer deutsch-polnischen Koprodukti<br />
on) unter der Regie von Johannes Schmid. Das<br />
Werk über Vertreibung und Identi tät, über familiäre<br />
Probleme und das Überschreiten von Grenzen<br />
bildete eine gute Zusammenfassung des Themas<br />
„Nachbarwelten“. Es ist <strong>die</strong> polnische Vorpremiere,<br />
denn in Deutschland wird es erst ab dem 20.<br />
Oktober 2011 in den Kinos erscheinen. Der Film<br />
erzählt von der 11-jährigen Katt aka, <strong>die</strong> am Weihnachtsabend<br />
durch Zufall erfährt, dass ihr leiblicher<br />
Vater in Wirklichkeit ein russischer Matrose ist. Das<br />
Mädchen entscheidet sich für <strong>die</strong> Suche nach ihm.<br />
Es beginnt eine abenteuerliche Reise durch Schnee<br />
und Eis.<br />
Die <strong>die</strong>sjährige Deutsche Kinowoche wurde<br />
nochmal zum Ort der Begegnung mit den neuesten,<br />
interessanten, deutschen Produkti onen, an<br />
dem viel Aufmerksamkeit nicht nur der Diskussion<br />
über gute, alte Völkerfreundschaft , sondern auch<br />
solchen Themen wie z. B. der Behindertenproblemati<br />
k zukam.<br />
Julita Burszta<br />
Seite 29
Elixiere 5. Ausgabe Wrocław 2011<br />
Seite 30<br />
Schwaben und seine Dichter –<br />
eine Berichterstattung<br />
Am 15. Mai 2011 unternahm eine Gruppe von 16<br />
<strong>Breslau</strong>er Germanisten eine Reise ins deutsche<br />
Schwaben. Man könnte sagen eine Highlight Reise.<br />
Warum? Jede Stati on bot den mehr oder weniger<br />
Literatur interessierten Fans eine neue, aufregende<br />
Entdeckung. Aber: fangen wir von vorne an.<br />
Die Ausreise aus <strong>Breslau</strong> und <strong>die</strong> c.a. 15 – stündige<br />
Fahrt mit dem Bus verging ohne Probleme und gegen<br />
13 Uhr sind wir an dem Ort gelandet, der unsere<br />
Schlafb asis während des ganzes Aufenthaltes<br />
werden sollte. Marbach. Eine kleine, man könnte<br />
fast sagen, idyllische <strong>Stadt</strong> am Neckar. Laien würden<br />
sagen, es gäbe dort nichts zu sehen außer der<br />
ziemlich anmuti gen Umgebung. Aber nein. In Marbach<br />
befi ndet sich das zweitgrößte, nach Weimar,<br />
literarische Archiv in Deutschland. Das moderne<br />
Literaturzentrum zieht jährlich viele Wissenschaft -<br />
ler aus der ganzen Welt in das kleine Städtchen an.<br />
Der erste Tag unseres Aufenthaltes verlief also unter<br />
dem Zeichen des Beschnupperns des Archivs:<br />
<strong>die</strong> Führung unterrichtete uns ausführlich über <strong>die</strong><br />
Entstehung, Initi ati ve und das Funkti onieren der<br />
Insti tuti on. Unsere Studenten wurden auch in <strong>die</strong><br />
Geheimnisse des Bestell-Programms eingeweiht,<br />
so dass sie <strong>die</strong> Möglichkeit erhielten selbst Materialien,<br />
<strong>die</strong> sie interessierten, zu recherchieren.<br />
Referate über <strong>die</strong> Schwäbischen Dichterpersönlichkeiten<br />
Eduard Mörike, Abraham a Santa Clara<br />
und Ludwig Uhland sowie der Lebenslauf eines<br />
der wichti gsten deutschen Verleger Friedrich Cotta<br />
waren der krönende Abschluss <strong>die</strong>ses Tages. Im<br />
Laufe der intensiven Woche hat <strong>die</strong> Gruppe mehrere<br />
Orte des literarischen Lebens in Schwaben<br />
erforscht. Dabei gab es auch Zeitreisen wie zum<br />
Beispiel am Dienstag, als <strong>die</strong> Gruppe im Limo Museum<br />
materielle Zeugnisse der Literaturgeschichte<br />
beobachten konnte: zu sehen waren solche Sachen<br />
wie der Brief Adolf Hitlers an Ernst Jünger mit<br />
der Danksagung des Führers an den Schrift steller<br />
REZENSIONEN UND BERICHTE<br />
(für <strong>die</strong> Widmung seines Buches Feuer und Blut<br />
an ihn), <strong>die</strong> Originalhandschrift des Prozesses von<br />
Kafk a sowie <strong>die</strong> originale Nobelpreis-Urkunde angeferti<br />
gt für Hermann Hesse. Im Schiller Museum,<br />
durch das eine Führung unmitt elbar danach folgte,<br />
sahen wir Fragmente des mehrfach bearbeiteten<br />
Wallensteins sowie Schillers Kleidung und sogar<br />
Haare. Ein Seminar zur Aktualität Mörikes und<br />
eine ausführliche gemeinsame Interpretati on seines<br />
Gedichtes „Auf eine Lampe“ – <strong>die</strong> durch das<br />
äußerst interessante Referat vom Streit Heideggers<br />
und Staigers über das Gedicht ergänzt wurde<br />
– war ein ausgezeichneter Einsti eg in das gemeinsam<br />
vorbereitete Abendessen, das bis ti ef in <strong>die</strong><br />
Nacht dauerte. Dritt er Tag: und noch eine Zeitreise.<br />
In Ludwigsburg gibt es das Residenzschloss,<br />
das zwischen 1704 und 1733 unter der Herrschaft<br />
von Herzog Eberhard Ludwig von Württ emberg im<br />
Barocksti l errichtet wurde – <strong>die</strong> zweistündige Führung<br />
war wie ein Moment, dabei hatt e <strong>die</strong> Gruppe<br />
über 60 Räume besichti gt. Mit Highlights wie <strong>die</strong><br />
Schlafzimmer der Herzogin und des Herzogs (natürlich<br />
waren sie getrennt) sowie dem Saal in dem<br />
er hochrangige Gäste aufgenommen hatt e. Eine<br />
ungewöhnliche Sache: eine Theaterbühne mitten<br />
im Schloss, wo Stücke und Opern aufgeführt<br />
worden sind. Der ganze Schlosskomplex umfasste<br />
auch ein kleineres Sommerschloss mit aufwendig<br />
geschmückten Wänden. Das Wett er war hervorragend,<br />
so dass <strong>die</strong> Gruppe <strong>die</strong> Möglichkeit hatt e,<br />
sich draußen das Referat über <strong>die</strong> Jugend Schillers<br />
anzuhören. Der Tag wurde mit einem ausführlichen<br />
Referat beendet, dessen Thema <strong>die</strong> Textanalyse<br />
von Kabale und Liebe von Schiller gewesen ist<br />
– dabei haben wir uns Fragmente einer modernen<br />
Inszenierung des Stückes im Theater angeguckt.<br />
Der nächste Tag war der <strong>Stadt</strong> Stutt gart gewidmet.<br />
Im Verlag Klett Cott a, wo wir zu Gast waren, bekamen<br />
wir eine geschichtliche Einführung von dem
Elixiere 5. Ausgabe Wrocław 2011<br />
Die Studentengruppe in Stutt gart<br />
Lektor für Phantasti sche Literatur Stephan Ascani<br />
sowie einen Vortrag von Herrn Roland Knappe,<br />
der für <strong>die</strong> Vergabe der Lizenzen an <strong>die</strong> Autoren<br />
zuständig ist. Anschließend beantwortete er Fragen<br />
von Studenten und führte uns durch den Verlag.<br />
Das Kunstmuseum in Stutt gart war <strong>die</strong> nächste<br />
Stati on, wo wir Bilder von Picasso, den deutschen<br />
Expressionisten sowie diverse sakralische Kunst<br />
gesehen haben. Der nächste Tag war unter anderem<br />
dem Schrift steller Hermann Hesse gewidmet,<br />
der in seiner Jugend <strong>die</strong> Maulbronner Klosterschule<br />
besucht hatt e: bevor wir uns also Referate zu<br />
den Geheimnissen seines Erfolges sowie seiner<br />
Erzählung Im Presselchen Gartenhaus angehört<br />
haben, besichti gten wir <strong>die</strong> ganze beeindruckende<br />
Klosteranlage, wo wir eine äußerst interessante<br />
Führung bekommen haben, <strong>die</strong> uns das Leben im<br />
Kloster vor Jahrhunderten näher gebracht hat. Wir<br />
hörten auch wie das Leben hier heute aussieht,<br />
und wie <strong>die</strong> Schule, <strong>die</strong> sich dort jetzt befi ndet,<br />
funkti oniert. Am 21. Mai dann schließlich Tübin-<br />
REZENSIONEN UND BERICHTE<br />
gen. Das Seminar zu Hölderlins Oden, das in dem<br />
legendären Turm stattf and und von dem bedeutenden<br />
Kenner Prof. Gaier geleitet wurde, startete<br />
den Tag. Eine kurze Führung durch den Turm, wo<br />
sich ein kleines Museum, das Hölderlin gewidmet<br />
ist, befi ndet, und dann fanden wir uns schon im<br />
Herzen der jungen, dynamischen Studentenstadt.<br />
Die zum Teil mitt elalterlichen Gassen, reich geschmückten<br />
Gebäude und reizende Orte hat und<br />
freundlicherweise Prof. Todorov gezeigt, <strong>die</strong> uns<br />
dabei zusätzlich über <strong>die</strong> Geschichte der <strong>Stadt</strong><br />
und ihre Situati on heute erzählt hat. Das Tübinger<br />
Sti ft war der Gruppe den ganzen Aufenthalt über<br />
ein Begriff . Mörike, Waiblinger, Uhland – alle haben<br />
dort stu<strong>die</strong>rt. Es war also eine der wichti gsten<br />
Stati onen während der Besichti gung der <strong>Stadt</strong>, wo<br />
wir uns Referate über das Sti ft selbst und über den<br />
schwäbischen Pieti smus angehört haben.<br />
Eine Abschlussdiskussion am nächsten Tag erfolgte<br />
in einer Atmosphäre von Zufriedenheit und<br />
fröhlicher Müdigkeit.<br />
Agata Czarkowska<br />
Seite 31
Elixiere 5. Ausgabe Wrocław 2011<br />
Seite 32<br />
„Ein deutscher Dichter bin<br />
ich einst gewesen“<br />
<strong>Breslau</strong>er und Neisser Studenten bei der<br />
Ausstellungseröff nung in Düsseldorf<br />
„Wieder musst du durch <strong>die</strong> Welten fahren, / überall<br />
verfemt und abgelehnt, / auch in deinen letzten<br />
Lebensjahren / ohne das, wonach dein Sinn sich<br />
sehnt, / dort noch, wo sie dir ein Obdach geben,<br />
/ fl üchti g nur geduldet, unbekannt, / immer scheu<br />
und wie auf Abbruch leben, / bis es aus dem Leben<br />
dich verbannt.“ Dieses Fragment stammt aus<br />
dem Gedicht von Max Hermann-Neiße, das den Titel<br />
„Auf Abbruch“ trägt. Der Schrift steller beklagt<br />
seine Lebenslage im Exil, <strong>die</strong> durch Sehnsucht,<br />
Melancholie, Ablehnung und Anonymität geprägt<br />
gewesen ist. Es sei, als ob er genau wüsste, dass<br />
sein Schaff en, nach seinem Tode, jahrzehntelang<br />
in Vergessenheit geriet. Damit lag er ganz richti g,<br />
denn, obwohl er zu den ersten und feurigsten Gegnern<br />
des Nati onalsozialismus gehörte, verschwand<br />
sein Werk aus dem menschlichen Gedächtnis. Erst<br />
seit einiger Zeit begann man sich, in der Forschung,<br />
für den Neisser Dichter zu interessieren. Davon<br />
zeugt unter anderem <strong>die</strong> erste ausführliche Monographie<br />
über Max Hermann-Neiße, im Jahre 2010<br />
veröff entlicht. Es war <strong>die</strong> Dissertati on von Beata<br />
Giblak aus Neisse mit dem Titel: Wygnaniec i jego<br />
ojczyzny. Max Hermann-Neiße (1886 – 1941). Ein<br />
Jahr nach der Veröff entlichung des Buches fand in<br />
der Geburtsstadt des Dichters eine weit bedeutende<br />
Veranstaltung statt : eine Tagung Max Hermann<br />
gewidmet. Wissenschaft ler aus Polen und Deutschland<br />
haben sich mit den verschiedensten Aspekten<br />
des Schaff ens und auch des Lebens des Schrift stellers<br />
beschäft igt, wie auch mit vielen interdisziplinären<br />
und intertextuellen Elementen seiner Werke.<br />
Die Tagung erfreute sich auch des Interesses bei<br />
den Stu<strong>die</strong>renden. Es verwunderte daher nur wenig,<br />
dass <strong>die</strong> Einladung von Prof. Dr. Sybille Schönborn,<br />
an einer Ausstellung und anschließend an<br />
REZENSIONEN UND BERICHTE<br />
einem Studentenseminar in Düsseldorf teilzunehmen,<br />
mit Freude angenommen wurde.<br />
„Ein deutscher Dichter bin ich einst gewesen“<br />
schrieb der Neisser Dichter und <strong>die</strong>ser, wahrscheinlich<br />
bekannteste Satz von ihm gab der Ausstellung<br />
in Düsseldorf ihren Titel. Sie wurde anlässlich seines<br />
70. Todestages, im Rahmen eines von Prof. Dr. Sybille<br />
Schönborn geleiteten Seminars, veranstaltet. Es<br />
wäre an <strong>die</strong>ser Stelle vielleicht angebracht das Max<br />
Hermann-Neiße Insti tut an der Heinrich-Heine-<br />
Universität in Düsseldorf kurz darzustellen. Es versteht<br />
sich als eine Einrichtung zur Erforschung der<br />
deutschsprachigen Literatur und Kultur im östlichen<br />
Europa. Ein Schwerpunkt der Forschungen liegt aber<br />
in der Region Schlesien. Prof. Schönborn als Leiterin<br />
des Insti tuts legt großen Wert auf <strong>die</strong> Zusammenarbeit<br />
mit anderen ausländischen Insti tuten, <strong>die</strong> gemeinsam<br />
ein Archiv des kulturelles Gedächtnisses<br />
bereitzustellen versuchen. Die Hauptvoraussetzungen<br />
sind, <strong>die</strong> deutschsprachige Literatur aus Osteuropa<br />
als ein gemeinsames Erbe der europäischen<br />
Traditi on zu bewahren. In <strong>die</strong>sem Sinne spielte <strong>die</strong><br />
Ausstellung, dem fast vergessenen Dichter gewidmet,<br />
eine gravierende Rolle. Die Eröff nung fand<br />
am 14. April in dem Gerhart-Hauptmann-Haus in<br />
Düsseldorf statt . Das Besondere war allerdings <strong>die</strong><br />
Tatsache, dass <strong>die</strong> Ausstellung ganz und gar von den<br />
Studenten der Heinrich-Heine-Universität vorbereitet<br />
wurde. Im Rahmen eines Seminars hatt en sie<br />
<strong>die</strong> Aufgabe <strong>die</strong> Ausstellungstücke zu organisieren<br />
und entsprechend auszustellen. Der Aufwand, den<br />
sie auf sich nahmen, machte auf <strong>die</strong> Studenten aus<br />
Neisse und <strong>Breslau</strong> wirklich einen großen Eindruck.<br />
Bevor man <strong>die</strong> Exponate bewundern konnte, richtete<br />
der Prorektor für Lehre und Stu<strong>die</strong>nqualität Prof.<br />
Dr. Ulrich von Alemann ein Grußwort an <strong>die</strong> Gäste
Elixiere 5. Ausgabe Wrocław 2011<br />
und Veranstalter. Ihm folgten Begrüßungen des Dekans<br />
der Philosophischen Fakultät der Heinrich-Heine-Universität<br />
Prof. Dr. Bruno Bleckmann und des<br />
Direktors der Sti ft ung Gerhart Hauptmann Haus Dr.<br />
Winfrid Halder. Schließlich wurde ein Vortrag gehalten<br />
über das Leben, Werk und Wirkung von Max<br />
Hermann-Neiße von Prof. Dr. Schönborn und <strong>die</strong><br />
Studenten aus Düsseldorf. Um in das Flair der Welt<br />
des Dichters ti efer einzutauchen, wurde <strong>die</strong> Vorlesung<br />
mit einer musikalischen Einleitung des Max<br />
Hermann-Neiße melancholischen Kabarett s begleitet.<br />
Nach dem offi ziellen Teil schauten sich <strong>die</strong> Gäste<br />
<strong>die</strong> Ausstellungsstücke an und konnten sich dann<br />
auch mit einem Schluck Wein stärken. Manche ausgestellten<br />
Dokumente und Arbeiten wurden bisher<br />
nirgends veröff entlicht. Neben den Zeichnungen,<br />
Fotografi en und amtlichen Dokumenten wurde <strong>die</strong><br />
Geschichte der einzelnen Werke vom handschrift -<br />
lichen Entwurf bis zur Werkausgabe dokumenti ert.<br />
Neben dem schrift lichen Nachlass fanden sich dort<br />
Filmfragmente und Bilder des Dichters.<br />
In den nächsten Tagen fand das Seminar für<br />
polnische und deutsche Stu<strong>die</strong>rende statt . Da<br />
<strong>die</strong> Menge der Teilnehmer groß war, wurden <strong>die</strong><br />
Studenten in zwei Sekti onen geteilt, wo sie ihre<br />
Referate hielten. Die Vorträge behandelten unterschiedliche<br />
Elemente des Schaff ens und auch des<br />
Lebens des Dichters. Am 16. April wurde eine <strong>Stadt</strong>führung<br />
für <strong>die</strong> polnischen Studenten veranstaltet.<br />
Die Führung machte einer der deutschen Studen-<br />
REZENSIONEN UND BERICHTE<br />
ten Henning Konetzke. Der dreistündige Spaziergang<br />
durch <strong>die</strong> <strong>Stadt</strong> brachte den Gästen <strong>die</strong> lokale<br />
Kultur und Geschichte ein bisschen näher. Darin<br />
zu bewundern war besonders <strong>die</strong> verwundernde<br />
Vielfalt, <strong>die</strong> Düsseldorf auszeichnet und <strong>die</strong> Menge<br />
von Kontrasten, <strong>die</strong> der Düsseldorfer Student den<br />
polnischen Stu<strong>die</strong>renden vor Augen führte. Um <strong>die</strong><br />
verschiedenen Facett en von Düsseldorf noch ti efer<br />
zu erkunden, begaben sich <strong>die</strong> polnischen samt<br />
den deutschen Studenten noch am selben Abend<br />
auf eine nächtliche <strong>Stadt</strong>t our. Dies ermöglichte das<br />
Nachtleben der schönen Metropole zu erforschen.<br />
Am nächsten Tag wurde „Die Laube der Seligen“<br />
von den Neisser Stu<strong>die</strong>renden aufgeführt und fand<br />
großen Beifall bei den deutschen Kommilitonen.<br />
Damit wurde das Seminar abgeschlossen. Es war<br />
wirklich zu loben, dass den polnischen Studenten<br />
viel Zeit während des Aufenthaltes gegönnt war,<br />
um <strong>die</strong> wundervolle <strong>Stadt</strong> auf eigene Faust zu besichti<br />
gen. Diese besondere Angelegenheit wurde<br />
jeden Tag genutzt, um eigene subjekti ve Eindrücke<br />
zu sammeln. Das Max Hermann-Neiße Seminar<br />
trug besti mmt sehr viel zur Verbreitung des Interesses<br />
für das Schaff en des Dichters bei den jungen<br />
Forschern bei. Es verhalf auch <strong>die</strong> Grundsätze des<br />
Max Hermann-Neiße Insti tuts zu fördern, indem<br />
es zu einem interkulturellen Austausch und einer<br />
Mitarbeit zwischen den deutschen und polnischen<br />
Studenten führte.<br />
Katarzyna Skubisz<br />
„Ein deutscher Dichter bin<br />
ich einst gewese“<br />
„Max Herrmann-Neiße in polnischer Sprache. Ein<br />
Vortrag und ein Workshop mit jungen Übersetzern.“<br />
– so stand es auf dem Programm. Ich wusste<br />
sofort, dass ich daran teilnehmen werde. Nicht<br />
nur, weil ich mich für Übersetzungen interessiere,<br />
Max Herrmann-Neiße auf polnisch<br />
sondern auch, weil ich vorhatt e, <strong>die</strong>sen Bericht zu<br />
schreiben. Und es hat sich gelohnt.<br />
Ich kam an <strong>die</strong> Uni zehn Minuten vor Beginn.<br />
Viele Interessierte waren schon anwesend. Nach<br />
einer kurzen Weile erschien auch unser Seminar-<br />
Seite 33
Elixiere 5. Ausgabe Wrocław 2011<br />
leiter, Prof. Wojciech Kunicki. „Ich freue mich, dass<br />
Sie gekommen sind.“ – sagte er zu uns und lud uns<br />
in den Saal ein.<br />
Wir hatt en vor, uns mit dem Gedicht „Ein deutscher<br />
Dichter bin ich einst gewesen“ zu beschäfti<br />
gen. Prof. Kunicki eröff nete den Workshop mit<br />
einer kurzen Einleitung zu Max Herrmann-Neiße.<br />
Auch über <strong>die</strong> Umstände der Entstehung <strong>die</strong>ses<br />
Gedichts sagte er ein paar Worte. Das Gedicht<br />
ist nämlich eines der Spätwerke <strong>die</strong>ses Künstlers,<br />
das nach seiner Übersiedlung nach London 1933<br />
entstanden ist. Der Text ist relati v einfach, im<br />
Vergleich zu seinen früheren Dichtungen, deren<br />
Sprache, wie unser Seminarleiter es bezeichnete,<br />
ein fast mysti sches Klima bilden. Aber wir trafen<br />
uns nicht um über das Gedicht und den Autor zu<br />
sprechen, sondern um eines seiner Gedichte zu<br />
übersetzen. Wir hatt en nur eine Stunde Zeit und in<br />
<strong>die</strong>ser mussten wir unbedingt mit <strong>die</strong>sem Gedicht<br />
ferti g werden. Wir hatt en nämlich vor, den Eff ekt<br />
unserer Arbeit um 17:00 Uhr in der Aula Leopoldina<br />
vorzutragen.<br />
„Was müssen wir bei der Übersetzung berücksichti<br />
gen?“ – fragte uns Professor Kunicki. Man<br />
hörte unterschiedliche Vorschläge: <strong>die</strong> Reime, den<br />
Rhythmus, <strong>die</strong> Bedeutung der einzelner Wörter<br />
und des ganzen Textes...<br />
Nach Meinung des Professors haben wir aber<br />
das wichti gste nicht genannt, nämlich <strong>die</strong> literarischen<br />
Entsprechung in unserer Mutt ersprache.<br />
Wir sollten einen polnischen Dichter fi nden, der<br />
ähnlich wie unser deutsches Vorbild schrieb und<br />
seine Gedichte analysieren, bevor wir zu übersetzen<br />
anfangen. Aber welcher polnischer Dichter<br />
schrieb so wie Max Herrmann? Oder umgekehrt:<br />
wie welcher polnischer Dichter schrieb Max Herrmann.<br />
Die Antwort: Julian Tuwim. In <strong>die</strong>sem Fall<br />
ging es um <strong>die</strong> starke Rhythmik, <strong>die</strong> bei beiden<br />
vorhanden ist.<br />
Nach <strong>die</strong>ser Einleitung konnten wir anfangen<br />
zu übersetzen. Am Anfang der Titel. Man könnte<br />
vermuten, dass das Übersetzen des Titels in<br />
<strong>die</strong>sem Fall nichts Schwieriges sein wird. Das<br />
ist aber nur <strong>die</strong> halbe Wahrheit. In <strong>die</strong>sem Gedicht<br />
ist der Titel zugleich auch der erste Vers<br />
der ersten Strophe; er wurde auch in der dritten<br />
Strophe wiederholt, wir mussten ihn also so<br />
übersetzen, dass er eine entsprechende rhythmische<br />
Struktur hat und zugleich zum Rest des<br />
Seite 34<br />
REZENSIONEN UND BERICHTE<br />
Gedichts passt. Viele Vorschläge fi elen und wir<br />
haben über alle heft ig diskuti ert, konnten uns<br />
aber für keinen entscheiden. Der Vorschlag: man<br />
entschied, dass <strong>die</strong>jenigen, <strong>die</strong> schon ihre Übersetzung<br />
vorbereitet haben, sie auch vorlesen,<br />
vergleichen und, wenn nöti g, korrigieren oder<br />
verändern. Dann sollte <strong>die</strong> Version ausgewählt<br />
werden, <strong>die</strong> allen am besten gefällt.<br />
Als erste las ihre Übersetzung Monika Klich. Die<br />
Übersetzung hat uns ganz gut gefallen, besonders<br />
der letzte Vers. Dann war ich an der Reihe. Mein<br />
Vorschlag war nicht schlecht, aber der Professor<br />
hatt e einige Vorbehalte; der erste Vers gefi el ihm<br />
überhaupt nicht (ehrlich gesagt, mir auch nicht,<br />
nur wollte ich mich der Reimstruktur unterordnen).<br />
Prof. Kunicki las uns auch <strong>die</strong> Übersetzung<br />
von Piotr Stronciwilk vor, <strong>die</strong> auch sehr interessant<br />
war. Es entstand dann <strong>die</strong> Frage: für welche Übersetzung<br />
entscheiden wir uns? Man musste <strong>die</strong>se<br />
Entscheidung sehr schnell treff en, weil uns <strong>die</strong> Zeit<br />
schon drängte. Endlich kam der Professor auf <strong>die</strong><br />
Idee, zwei Übersetzungen zu verbinden. Die drei<br />
ersten Verse stammten von Monika Klich und <strong>die</strong><br />
letzten von Piotr Stronciwilk. Die Reime passten<br />
glücklicherweise, so gab es auch keine Probleme<br />
bei der Verbindung.<br />
Mit der zweiten und dritt en Strophe machten<br />
wir das gleiche, d.h. lesen, vergleichen, verbessern<br />
und dann wählen. Diese Runde ging an mich, aber<br />
<strong>die</strong> Versionen meiner Kommilitonen waren auch<br />
sehr gut und es war schwierig, eine Entscheidung<br />
zu treff en.<br />
Bei der vierten Strophe mussten wir etwas länger<br />
überlegen. Ich und Monika Klich haben unsere<br />
Übersetzungen vorgelesen, aber niemand wollte<br />
sagen, welche wir eigentlich wählen sollten, weil<br />
beide allen gefallen haben. Der Professor wollte<br />
noch einmal eine Verbindung machen, <strong>die</strong>smal<br />
aber sollten <strong>die</strong> zwei ersten Zeilen von mir und <strong>die</strong><br />
zwei letzten von Monika Klich sein. Leider hatt en<br />
wir ein Problem damit, weil wir andere Reime verwendet<br />
haben. Wir müssten kombinieren, damit<br />
alles zusammenpasst. Wir schrieben beide Teile<br />
des Gedichts an <strong>die</strong> Tafel und kombinierten, am<br />
Anfang ergebnislos. Dann aber habe ich meine<br />
Zeilen so geändert, dass alles miteinander übereinsti<br />
mmte.<br />
Der Professor freute sich sehr, dass es klappte,<br />
nur... „Es gibt hier keinen Spuk.“ – sagte jemand
Elixiere 5. Ausgabe Wrocław 2011<br />
aus dem Saal. Und es sti mmte. In der letzten Strophe<br />
<strong>die</strong>ses Gedichts hatt en wir es mit dem Wort<br />
„Spuk“ zu tun. In meiner Übersetzung versuchte<br />
ich es wiederzugeben, Monika Klich ebenfalls. In<br />
<strong>die</strong>sem Moment erinnerte sich der Professor daran,<br />
dass wir auch eine dritt e Version haben und las<br />
uns <strong>die</strong> letzte Strophe vor. Sie gefi el uns allen und<br />
enthielt das Wort „Spuk“. Deswegen entschieden<br />
wir <strong>die</strong> Verbindungsversuche aufzugeben und das<br />
Germanisten feiern am besten<br />
Januar war wie immer super anstrengend. Mir<br />
geht es um <strong>die</strong> Prüfungszeit, natürlich. Aber <strong>die</strong><br />
Germanisten aus dem III. Stu<strong>die</strong>njahr beschäft igte<br />
noch etwas... Das Lizenziat selbstverständlich. Na<br />
ja, aber dafür hatt en wir noch viel Zeit. Die wichti<br />
gste Sache war eine ganz andere – ein außergewöhnliches<br />
und tolles Bergfest zu organisieren.<br />
REZENSIONEN UND BERICHTE<br />
Gedicht mit der Strophe von Piotr Stronciwilk zu<br />
beenden.<br />
Nach einer Stunde schwerer Arbeit und heft iger<br />
Debatt en haben wir unser Ziel erreicht. Wir hatt en<br />
eine tolle Übersetzung des Gedichts, das wir in der<br />
Aula Leopoldina vortragen konnten und das ein<br />
Ergebnis unserer Zusammenarbeit war. Es war ein<br />
sehr erfolgreiches Seminar und ich habe viel über<br />
Übersetzungen gelernt. Es lohnte sich zu kommen.<br />
Natalia Domagała<br />
Germanisten feiern am besten<br />
Bergfest im Mafi a-Style, 3. März 2011<br />
Das erste Problem hieß: einen Saal zu fi nden,<br />
der gut ausgestatt et sein wird, einen Küchenchef<br />
ausfi ndig zu machen, der was leckeres anbietet<br />
und einen guten Preis zu vereinbaren, der günsti g<br />
für Studenten ist. Er sollte nicht so hoch sein, weil<br />
Studenten alle Ersparnisse für Kopien, Lehrmaterialien<br />
und Wörterbücher ausgeben. Dann, nach<br />
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Elixiere 5. Ausgabe Wrocław 2011<br />
langer Zeit und vielen Mühen, fanden wir was<br />
Schönes für uns – das Lokal „Casanuova“ in der<br />
Ruskastraße. Die Lage war super, der Preis – prima<br />
und <strong>die</strong> Ausstatt ung war ganz im Mafi a-Style! Sizilianische<br />
Mafi a – das war unser Leitmoti v, wenn<br />
es um Kleidung ging. Wenn wir über <strong>die</strong> Musik<br />
sprechen – alle konnten etwas Passendes für sich<br />
fi nden.<br />
Pünktlich um 20:00 Uhr in der Ruskastraße 37<br />
sah man Frauen in roten und schwarzen Kleidern<br />
mit Füchsen um den Hals, <strong>die</strong> mit Männern mit<br />
Hüten, Hosenträgern und Zigarren im Mund <strong>die</strong><br />
Straße entlang spazierten. Alle trafen sich im „Casanuova“.<br />
Die Sti mmung war wunderbar. Das gedämpft e<br />
Licht verbesserte noch das Gefühl, dass wir an einem<br />
Abendessen mit einer mächti gen Mafi afamilie<br />
saßen – <strong>die</strong> Frauen reden über neue Edelsteine<br />
und <strong>die</strong> Männer denken über <strong>die</strong> Art und Weise,<br />
wie sie ihre Feinde liqui<strong>die</strong>ren, nach.<br />
Nach einem kleinen Stösschen mit dem ersten<br />
Klang der Musik, gab es keinen Platz auf der Tanzfl<br />
äche. Wer tanzen wollte, musste sofort den Platz<br />
besetzen. Mit solchen Hits wie Mallorca, Chery<br />
Chery Lady von der weltberühmten deutschen<br />
Popgruppe Modern Talking (sie bleiben für immer<br />
An der Duboistraße<br />
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REZENSIONEN UND BERICHTE<br />
in meinem Herzen) war es unmöglich, untäti g herumzusitzen<br />
und nur zu beobachten. Die Tanzfl äche<br />
brannte!<br />
Ungefähr um 20.00 Uhr gab es eine kurze Pause<br />
fürs Essen und für <strong>die</strong> Regenerati on. Die Studenten<br />
waren aber nicht in der Lage, lange tatenlos zu<br />
sitzen und das Essen zu genießen – sie waren doch<br />
da, um das Bergfest zu feiern! Und so war nach 20<br />
Minuten das Parkett schon wieder voll. Danach ein<br />
kurzes Päuschen für ein Glas Wasser und wieder<br />
tanzen, hüpfen.<br />
Ich kann natürlich nicht den Karaokewett bewerb<br />
überspringen. Alle forderten es! Wir teilten<br />
uns in 5 Gruppen – eine Gruppe an einem Tisch –<br />
und wir traten miteinander in einen Wett streit. Den<br />
Text brauchte der DJ eigentlich nicht zeigen – jeder<br />
kannte <strong>die</strong> Liedtexte. Wir sangen „Agnieszka już<br />
dawno tutaj nie mieszka” – ein unzweifelhaft er Hit<br />
aus dem Jahr 2001, Lieder von Bajm und Perfect.<br />
Obwohl <strong>die</strong> Jury einen Sieger bekannt gab, war<br />
es wirklich so, dass alle unglaublich gut waren und<br />
den Masterti tel in Karaoke ver<strong>die</strong>nt gehabt hätt en.<br />
Mit einem Lied auf den Lippen kamen wir an<br />
<strong>die</strong> Uni zurück. Das Lizenziat wartete auf uns.<br />
Dominika Dossmann
Elixiere 5. Ausgabe Wrocław 2011 KUNST<br />
Nicht erst seit Banksy’s „Exit through the gift shop“<br />
ist Straßenkunst in aller Munde. Der Doku-Film,<br />
der unter anderem vom Londoner Street-Arti st<br />
Banksy handelt, gewährt einen kleinen Einblick<br />
in das Leben der Straßenkünstler in Europa und<br />
Amerika. In Berlin können (Straßen-)Kunsti nteressierte<br />
an einer <strong>Stadt</strong>t our der anderen Art teilne-<br />
An der Długastraße<br />
hmen, wo man durch Hinterhöfe und andere verwinkelten<br />
Ecken geführt wird. Manche Wände sind<br />
weniger mit klassischem Graffi ti , als mit Schablonenbildern,<br />
Aufk lebern und Plakaten regelrecht<br />
zugepfl astert und ergeben eine kunterbunte Collage.<br />
Eine wichti ge Adresse in Berlin ist das Kino<br />
Inti mes in der Niederbarimstraße im Viertel Friedrichshain.<br />
Wie das Repertoire des Kinos wechseln<br />
sich <strong>die</strong> an der Außenwand aufgeklebten Bilder.<br />
Aber das nur so am Rande…<br />
Street-Art bietet ein weites Spektrum an Möglichkeiten,<br />
<strong>die</strong> Idee und <strong>die</strong> Handschrift des Künstlers,<br />
der Wiedererkennungswert ist dabei am wichti<br />
gsten. Banksy wurde durch seine, nicht selten politi<br />
sch moti vierten Schablonen berühmt. In Ber-<br />
StreetArt in <strong>Breslau</strong><br />
lin dagegen treibt Litt le Lucy von El Bocho ihr Unwesen-<br />
ein kleines Mädchen, welches auf <strong>die</strong> unterschiedlichsten<br />
Arten Katzen foltert. Wenn man<br />
irgendwo eine gelbe Spraybanane von Thomas<br />
Baumggärtel sieht, kann man sich sicher sein, dass<br />
sich ganz in der Nähe der Eingang zu einer Kunstgalerie<br />
befi ndet. Sie tauchte erstmals 1986 auf und ist<br />
längst „weltweit zum Qualitätssiegel und inoffi ziellen<br />
Logo der Kunstszene geworden.“ 1 Und in <strong>Breslau</strong>?<br />
Für mich ist nicht der Bronzezwerg das Wahrzeichen<br />
von <strong>Breslau</strong>, sondern <strong>die</strong> Eule, der man an<br />
den unterschiedlichsten Stellen begegnen kann .<br />
Dieser Vogel, von einem gewissen Theodore erschaff<br />
en, schaut mal starr hypnoti sierend, mal wild,<br />
mal überrascht, mal skepti sch, aber immer mit einer<br />
guten Prise Verrücktheit auf das mehr oder<br />
minder bunte Treiben auf <strong>Breslau</strong>s Straßen.<br />
<strong>Breslau</strong> hat also, was Street-Art und Graffi ti angeht,<br />
so Einiges zu bieten und braucht sich hinter<br />
den Street-Art Metropolen wie London, Ber-<br />
1 www.bananensprayer.de<br />
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Elixiere 5. Ausgabe Wrocław 2011 KUNST<br />
lin oder Barcelona nicht zu<br />
verstecken. Seit 2006 tauchen<br />
in <strong>Breslau</strong> immer mehr<br />
Wandmalereien oder Wandbilder<br />
auf, wobei sowohl <strong>die</strong><br />
polnische als auch englische<br />
Bezeichnung MURAL mir<br />
hier viel passender scheint.<br />
Es ist keineswegs eine neuzeitliche<br />
Erscheinung. Schon<br />
in der Zeit der Volksrepublik<br />
Polen hat man gerne ganze<br />
Hausfassaden zu Propaganda-<br />
oder Werbezwecken bemalt.<br />
Davon gibt es in <strong>Breslau</strong><br />
übrigens eine ganze Menge<br />
und <strong>die</strong> <strong>Stadt</strong> überlegt, ob<br />
man sie nicht in altem Glanz<br />
erstrahlen lassen sollte, aber<br />
das ist eine andere Geschichte.<br />
Im Jahr 2006 jedenfalls<br />
entstand das Projekt „Muralia“.<br />
Gut 190 Entwürfe gingen<br />
ein und der Gewinner wurde<br />
auf der seitlichen Hausfassade<br />
bei der Straße Wyszyńskiego<br />
verewigt. Das Projekt ist<br />
auf ein so positi ves Feedback<br />
gestoßen, dass weitere Akti -<br />
onen gestartet wurden. Das<br />
Ergebnis kann sich durchaus<br />
1.<br />
4.<br />
Auf den Bildern folgende Straßen: 1. Powstańców Śląskich, 2. Pomorska,<br />
3. Vorderbleiche – Wyspa Słodowa; 4. Kotlarska<br />
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2.<br />
3.<br />
sehen lassen. 2010 entstand<br />
sogar eine separate <strong>Stadt</strong>karte,<br />
<strong>die</strong> Orte aufzeigt, wo<br />
sich solche, nicht selten in<br />
Hinterhöfen versteckten<br />
Murals befi nden. Die Karte<br />
ist einzigarti g in Polen.<br />
Sie beinhaltet allerdings nur<br />
<strong>die</strong> Arbeiten, 27 an der Zahl,<br />
<strong>die</strong> im Rahmen des Projekts<br />
BREAKIN´ THE WALLS entstanden,<br />
das vom BWA (Galeria<br />
Sztuki Współczesnej)<br />
organisiert wurde. Namhafte<br />
internati onale Street-Art<br />
Künstler haben sich hier verewigt.<br />
Zu nennen ist unbedingt<br />
Blu oder Erica Il Cane,<br />
beide aus Bologna. Ersterer<br />
sollte uns Studenten sehr<br />
gut bekannt sein, denn eines<br />
seiner Bilder ist auf der<br />
Wyspa Słodowa zu bestaunen<br />
(leider wurde es unlängst<br />
beschmiert, aber <strong>die</strong><br />
Silesia Schrift züge kann man<br />
sich ja wegdenken…). <strong>Breslau</strong>er<br />
Künstler wie M-City<br />
sind natürlich auch mit von<br />
der Parti e.<br />
Was soll ich hier noch<br />
groß rumquatschen. Den<br />
meisten Spaß macht es<br />
doch, wenn man selbst neue<br />
Street-Art-Werke entdeckt,<br />
<strong>die</strong> legalen oder weniger legalen,<br />
<strong>die</strong> von namhaft en<br />
oder anonymen Künstlern.<br />
Also ruhig mal den Blick ab<br />
und zu nach oben oder zur<br />
Seite richten, denn man<br />
weiß nie, was so alles beim<br />
Durchstreifen der Straßen<br />
darauf wartet gesehen zu<br />
werden... Na dann: Augen<br />
auf und in Bewegung bleiben!<br />
Und natürlich viel Spaß<br />
beim Entdecken!<br />
Karolina Piechota
Elixiere 5. Ausgabe Wrocław 2011 KUNST<br />
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