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FernUni Perpektive | Herbst 2017

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Forschung<br />

Seite 6<br />

<strong>FernUni</strong> Perspektive<br />

Protestkultur wirkt bis heute<br />

„Yippie Yippie Yeah Yippie Yeah“<br />

„Yippie Yippie Yeah Yippie Yeah!“<br />

Aber muss das nicht heißen: „Hippie<br />

Hippie…“? Nein, die Yippie-Bewegung<br />

entstand in den späten 1960-<br />

er Jahren in den USA unter anderem<br />

aus der Hippie- und Avantgarde-Kultur,<br />

war aber nicht identisch mit damit.<br />

Heute ist sie viel weniger bekannt<br />

als diese – und dennoch hat<br />

sie Spuren in der Protestkultur hinterlassen.<br />

Sogar bis zu den Protesten<br />

gegen den G20-Gipfel in Hamburg.<br />

Diesen Spuren geht Dr. Franka Schäfer<br />

von der <strong>FernUni</strong>versität in Hagen<br />

wissenschaftlich nach: „Die Art, wie<br />

heute mit Aktionen und Witz protestiert<br />

wird, ist von den Yippies mitgeprägt“,<br />

betont die Soziologin im<br />

Lehrgebiet Soziologie I / Allgemeine<br />

Soziologie und Soziologische Theorie<br />

(Prof. Dr. Frank Hillebrandt).<br />

Entstanden ist die Yippie-Bewegung<br />

1967 in den USA, ihre Quellen waren<br />

das Free Speech Movement –<br />

ein Teil der Bürgerrechtsbewegung<br />

– und die Anti-Vietnamkriegsbewegung.<br />

Von diesen beiden als prüde<br />

und wenig spaßorientiert geltenden<br />

Bewegungen grenzten die<br />

Yippies sich als Hippie-ähnliche, jugendlich<br />

orientierte und anarchistische<br />

Alternative ab. Franka Schäfer:<br />

„Im Zuge ausschweifender Festivitäten<br />

wurde die Youth International<br />

Party als Pendant zu etablierten politischen<br />

Parteien gegründet.“ Hierarchie<br />

und formale Mitgliedschaft<br />

dieser Gegenbewegung zum Establishment<br />

entsprachen ihrem anarchistischen<br />

Selbstverständnis: Beides<br />

gab es nicht.<br />

Aus den Anfangsbuchstaben der<br />

Partei und aus dem Motto „We are<br />

young, we are international and our<br />

revolution is a party!“ wurde „Yippie“<br />

als Bezeichnung ihrer Mitglieder<br />

abgeleitet. Im Englischen steht<br />

„Party“ sowohl für „Partei“ wie für<br />

„Feier“, Politik und Spaßhaben waren<br />

für die Yippies also keine Gegensätze.<br />

Wie die Hippies konsumierten<br />

sie „bewusstseinserweiternde Substanzen“,<br />

sie lebten in Kommunen<br />

und kleideten sich phantasievoll.<br />

Eine klassische Protestbewegung<br />

waren sie nicht. „Die eigentlichen<br />

Ziele der Yippies waren ‚kein Ziel‘<br />

und ‚keine Reform‘“, erläutert Schäfer,<br />

„ihnen ging es um eine Fundamentalkritik<br />

am damaligen ‚American<br />

Way of Life‘. Dafür entwickelten<br />

sie ganz neue Protestformen<br />

wie Performances mit viel Humor<br />

und Ironie.“ Der Alltag jenseits herrschender<br />

Konventionen als solcher<br />

sollte eine Form des Protestes sein.<br />

Die ersten Proteste fanden in New<br />

York statt, zum Teil mit Drogen, mit<br />

Live Musik und mit Performance-<br />

Theater. Dies wurde zur Hauptprotestform<br />

und gipfelte 1968 im „Chicago<br />

Festival of Life“, als Pendant<br />

Diese Anti-Kriegsdemonstration fand während des Nominierungsparteitags der US-Demokraten 1968 in Chicago statt.<br />

(Foto: David Wilson, https://www.flickr.com/photos/davidwilson)<br />

zur Nominierungsveranstaltung der<br />

Demokratischen Partei für die Präsidentschaftswahl.<br />

Wegen des zentralen<br />

Parteitagsthemas „Weiterführung<br />

des Vietnamkriegs“ bezeichneten<br />

die Yippies diesen als „Festival<br />

of Death“.<br />

Amerikanischen Lebensstil<br />

neu gestalten<br />

Ihnen ging es bei ihrem Festival of<br />

Life darum, den amerikanischen Lebensstil<br />

neu zu gestalten. Sie wussten:<br />

Wenn wir Krawall und Remmi<br />

Demmi machen, kommt die Presse.<br />

Kurzerhand kündigten sie an,<br />

beim Festival LSD ins Trinkwasser<br />

zu kippen und Geld zu verbrennen.<br />

Mit Erfolg: Polizei und Medien<br />

liefen auf. So konnten die Yippies<br />

Medien gezielt in ihre Aktionen<br />

einbeziehen. Ohne Gewalt und LSD<br />

im Wasser.<br />

Dr. Franka Schäfer<br />

(Foto: Dinko Skopljak)<br />

Auf diese Weise wurde die Nominierung<br />

eines Yippie-eigenen Präsidentschaftskandidaten<br />

öffentlich<br />

gemacht: „Pigasus for President!“<br />

Für das Hausschwein Pigasus wurde<br />

sogar Wahlkampf gemacht. Damit<br />

sollte der soziale Status quo<br />

verhöhnt werden. Zuletzt wurde<br />

das arme Schwein auch noch „verhaftet“.<br />

Protestpraktiken „in Serie<br />

gegangen“<br />

„Auch wenn ich nicht sagen kann,<br />

was die Yippies gesellschaftlich in<br />

der Gesamtbewegung erreicht haben,<br />

so ist die Nachhaltigkeit ihrer<br />

Aktionen in der Protestbewegung<br />

eindeutig. Protestpraktiken der Zeit<br />

sind geradezu ‚in Serie gegangen‘“,<br />

betont Schäfer. „Proteste sind heute<br />

oft physisch und nicht nur virtuell.<br />

Demonstriert wird wieder auf der<br />

Straße.“ Ein Beispiel ist die linke antiautoritäte<br />

Clandestine Insurgent<br />

Rebel Clown Army (CIRCA – Heimliche<br />

Aufständische Rebellen-Clownarmee),<br />

die gegen politische, wirtschaftliche,<br />

soziale Missstände protestiert.<br />

Ihre „Waffen“ sind Staubwedel<br />

und Wasserpistolen.<br />

Für die Soziologin liegt die Vermutung<br />

nahe, dass über Ironie und Humor<br />

hinaus auch die Medien sowie<br />

Eliten und Opposition gewaltfrei für<br />

die Proteste instrumentalisiert wurden.<br />

Hier sieht sie noch erheblichen<br />

Forschungsbedarf, weil Polizeiaktionen<br />

immer noch vor allem als<br />

Kontext von Protest beforscht werden,<br />

nicht als dessen Teil: „Untersucht<br />

werden immer noch vorwiegend<br />

Demonstrationen und oppositionelle<br />

Organisation.“<br />

Kennzeichen vieler heutiger Proteste<br />

sind – wie bei den Yippies – Ironie<br />

und Street Performances. Und<br />

das Einbeziehen von Unbeteiligten:<br />

„Mitmachen ist oft spaßiger als Zuschauen.“<br />

Zudem ist die Interaktion<br />

zwischen Protestierenden und der<br />

Polizei zentraler Teil des Protests. In<br />

praxistheoretischer Perspektive, die<br />

die Hierarchien zwischen den analytischen<br />

Einheiten flach hält, sind<br />

staatliche Einsatzkräfte gleichermaßen<br />

Elemente der Protestpraxis wie<br />

Straßenschilder, Mülltonnen oder<br />

Schaufensterscheiben.<br />

Im Aufwind von G20 erhielten aktuell<br />

Forschungsperspektiven wie<br />

die von Franka Schäfer, auch in<br />

Form von Public Sociology, mehr<br />

Gewicht. In den „Leitmedien“<br />

bläst beispielsweise der Soziologe<br />

Simon Teune ins gleiche Horn und<br />

setzt den berüchtigten „Schwarzen<br />

Block“ nicht als gewalttätige Gruppe<br />

von intentional handelnden Individuen,<br />

sondern als taktische Protestpraxis<br />

in Relation zu den ebenfalls<br />

am Protestgeschehen beteiligten<br />

Polizistinnen und Polizisten und<br />

Diskursen der Staatsgewalt.<br />

Kritische Blicke auf<br />

Vorgeschichte<br />

Eine Praxissoziologie des Protests<br />

blickt somit immer auch kritisch auf<br />

die Vorgeschichte und aktive Rolle<br />

der Polizei in den Ausschreitungen.<br />

Schäfer: „Ähnlich wie in Chicago<br />

’68 führten auch beim G20-Gipfel<br />

in Hamburg die Verbote der Übernachtung<br />

in den Protestcamps, von<br />

Demonstrationen in einer bestimmten<br />

Zone und die gewaltsame Verhinderung<br />

des genehmigten Protestzugs<br />

aus nichtigen Gründen erst<br />

dazu, dass sich Polizei und Oppositionelle<br />

in direkter Konfrontation begegneten.“<br />

Theorie und Praxis einer<br />

kulturellen Revolution<br />

Ähnlich wie die aktuellen popkulturellen<br />

Protestformen „Lieber tanz<br />

ich als G20“, „1.000 Gestalten“<br />

oder der „Yoga-Gipfel“ war auch<br />

die ursprünglich amerikanische Jugendkultur-Revolution<br />

in den 1960-<br />

er Jahren, aus der die Yippies hervorgingen,<br />

ohne Pop-Musik kaum<br />

denkbar. Da sich das <strong>FernUni</strong>-Lehrgebiet<br />

Soziologie I intensiv mit dem<br />

Einfluss der Rock- und Pop-Musik<br />

auf Gesellschaft befasst, fragte sich<br />

Franka Schäfer: War die Musik allein<br />

bereits Protest, der die Umwälzungen<br />

auslöste? Oder musste noch<br />

etwas dazukommen? Der Antwort<br />

spürt sie in einem Theorieprojekt<br />

nach, das Diskurs- und Praxistheorie<br />

am Beispiel der Protestkultur zusammenbringt.<br />

Hierzu hielt sie den<br />

Vortrag „Yippie Yippie Yeah Yippie<br />

Yeah, Krawall und Remmi Demmi!<br />

Zum Verhältnis von affektiven Diskursen<br />

und Praktiken bewegter Protestformen<br />

am Beispiel des „Yippie<br />

Festival of Life“ beim 38. Kongress<br />

der Deutschen Gesellschaft für Soziologie.<br />

Den Begriff „Remmi Demmi“ hat<br />

Dr. Franka Schäfer der Single „Remmi<br />

Demmi (Yippie Yippie Yeah)” der<br />

Hamburger Band „Deichkind“ entnommen.<br />

Da

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