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fernglas – Das Wissenschaftsmagazin der FernUniversität

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2020<br />

2021<br />

<strong>Das</strong> <strong>Wissenschaftsmagazin</strong> <strong>der</strong> <strong>FernUniversität</strong><br />

New Learning<br />

Zwischen Digitalisierung und Corona-Krise:<br />

Wir müssen das Lernen neu denken


Editorial 3<br />

„AHA!“<br />

Liebe Leserinnen und Leser,<br />

noch am Anfang des Jahres 2020 war für uns alle „AHA“ nichts an<strong>der</strong>es als ein<br />

Ausdruck des Erstaunens. Mit Fragezeichen dahinter bedeutete „Aha?“ so viel<br />

wie „Wirklich? Ist das so?“, mit Ausrufezeichen waren wir uns ganz sicher <strong>–</strong><br />

„Aha! So ist das also.“ Wissenschaftlich gesprochen stand das Drei-Buchstaben-<br />

Wort also für Erkenntnisinteresse und Wissensvermehrung. Seit Corona bedeutet<br />

AHA aber noch etwas An<strong>der</strong>es: „Abstand <strong>–</strong> Hygiene <strong>–</strong> Alltagsmasken“.<br />

Die Pandemie hat nicht nur die Sprache, son<strong>der</strong>n unser ganzes Leben gehörig<br />

durcheinan<strong>der</strong>gewirbelt. Sie hat aber auch die forscherische Neugier vieler<br />

Wissen schaftlerinnen und Wissenschaftler <strong>der</strong> FernUni geweckt, die mit den<br />

Mitteln ihrer Fachdisziplin Corona und die Folgen untersuchen. Welche Erkenntnisse<br />

sie dabei gewonnen haben, darüber berichten wir in <strong>der</strong> Rubrik „Spektrum“.<br />

<strong>Das</strong> Leitthema <strong>der</strong> diesjährigen Fernglas-Ausgabe ist „New Learning“. <strong>Das</strong>s sich<br />

beim Lernen und im Bildungssystem etwas fundamental än<strong>der</strong>n muss <strong>–</strong> auch das<br />

hat die Pandemie uns gezeigt. Gelingendes Homeschooling setzt genau wie<br />

gelingendes Fernstudium weit mehr voraus als stabiles WLAN und das passende<br />

digitale Endgerät <strong>–</strong> das haben bundesweit Lehrkräfte, Schülerinnen und Schüler,<br />

Eltern und Studierende leidvoll zu spüren bekommen. Wie wir Lernen zwischen<br />

Digitalisierung und Corona-Krise neu denken müssen, haben auf Initiative <strong>der</strong><br />

<strong>FernUniversität</strong> führende Bildungsexpertinnen und -experten im Hagener Manifest<br />

formuliert. Auch darauf werfen wir in unserer neuen Fernglas-Ausgabe einen Blick.<br />

Ich wünsche Ihnen eine erkenntnisreiche Lektüre mit „Aha“-Erlebnis.<br />

Ihr<br />

Stephan Düppe<br />

Pressesprecher <strong>der</strong> <strong>FernUniversität</strong> in Hagen<br />

<strong>Das</strong> Fernglas<br />

als Download:<br />

www.fernuni.de/<strong>fernglas</strong>


4<br />

12<br />

Inhalt<br />

03 EDITORIAL<br />

06 LEITTHEMA<br />

New Learning<br />

08 Lernen neu denken <strong>–</strong><br />

das Hagener Manifest zu New Learning<br />

12 New Learning entdecken<br />

16 Gerechte Bildungsteilhabe in <strong>der</strong><br />

Corona-Krise stark gefährdet<br />

19 Zeit für gutes Lernen<br />

08<br />

16


Inhaltsverzeichnis 5<br />

20 KALEIDOSKOP<br />

· 27.500 US-Dollar<br />

· Regierungs-Rat<br />

· Forschung zu Anti-Sklaverei-Bewegungen<br />

· Wer war mit wem in Kontakt?<br />

· Wissenschaft ausgedruckt<br />

· Führung auf Distanz<br />

· Leibniz WissenschaftsCampus<br />

24 FORSCHUNGSSCHWERPUNKTE<br />

· Digitalisierung, Diversität und<br />

Lebenslanges Lernen. Konsequenzen für die<br />

Hochschulbildung (D 2 L 2 )<br />

· Energie, Umwelt & Nachhaltigkeit (EUN)<br />

· digitale_kultur (d_k)<br />

28 NAH UND FERN<br />

40<br />

32 NEU AN DER FERNUNI<br />

· Prof. Dr. Dorett Funcke<br />

· Jun.-Prof. Dr. Julius Weitzdörfer<br />

· Prof. Dr. Karsten Kieckhäfer<br />

· Prof. Dr. Roman Liepelt<br />

· Prof. Dr. Görge Deerberg<br />

· Prof. Dr. Robinson Kruse-Becher<br />

· Prof. Dr. Sandra Hofhues<br />

35 SCREEN<br />

37 SPEKTRUM<br />

37 Wie Corona unser Miteinan<strong>der</strong> verän<strong>der</strong>t<br />

38 Was lehrt uns die Pandemie für die Zukunft?<br />

Was kann die Wissenschaft zur Analyse von<br />

Pandemien beitragen?<br />

40 Schutzmaßnahmen gegen Covid-19:<br />

schnell, angemessen und gerichtsfest<br />

42 Gen<strong>der</strong>forschung deckt Leerstellen auf<br />

44 Spagat zwischen Beruf und Familie<br />

im 19. Jahrhun<strong>der</strong>t<br />

46 Zurück zur familiären Bürgerlichkeit?<br />

48 Zukunftssicher mit neuen Technologien <strong>–</strong><br />

auch in <strong>der</strong> Krise<br />

50 Warum wir gerne verzichten<br />

52 Seuchen verstärkten langfristige Entwicklungen<br />

54 Die richtige Diagnose stellen<br />

56 PERISKOP<br />

Zu Boden gleiten, Treibstoff sparen<br />

57 IMPRESSUM<br />

48


Leitthema<br />

New Learning<br />

Zwischen Digitalisierung und Corona-Krise:<br />

Wir müssen das Lernen neu denken


Schon als die <strong>FernUniversität</strong> in Hagen im Jahr 1974<br />

gegründet wurde, war das ihr Auftrag: das Lernen neu<br />

denken. Ein Studium ohne Hörsaalbesuch, das dahin<br />

kommt, wo die Studierenden sind <strong>–</strong> das ging nur mit<br />

neuartigen didaktischen Konzepten, in denen Medien<br />

von Anfang an eine Schlüsselrolle einnahmen. <strong>Das</strong> gilt<br />

auch jetzt noch, aber selbstverständlich haben sich<br />

sowohl Didaktik, Bildungstechnologie als auch die Studierenden<br />

in den vergangenen vier Jahrzehnten enorm<br />

gewandelt.<br />

Die folgenden Beiträge eröffnen Perspektiven darauf, was<br />

New Learning heute ausmacht und warum es so wichtig<br />

ist, gerade jetzt das Lernen (wie<strong>der</strong>) neu zu denken. Die<br />

Corona-Pandemie hat <strong>–</strong> wie in an<strong>der</strong>en gesellschaftlichen<br />

Bereichen <strong>–</strong> auch im Bildungssystem fundamentale Defizite<br />

aufgezeigt, aber auch den Blick darauf gelenkt, welche<br />

Chancen sich ergeben, wenn man daraus die richtigen<br />

Schlüsse zieht. <strong>Das</strong> Hagener Manifest, das die <strong>FernUniversität</strong><br />

initiiert hat, zielt darauf, diese Verän<strong>der</strong>ungen in<br />

Gang zu setzen und die Möglichkeiten des Lernens für<br />

das digitale Zeitalter neu zu entdecken.


8<br />

Lernen neu denken <strong>–</strong><br />

das Hagener Manifest<br />

zu New Learning


New Learning 9<br />

37 Persönlichkeiten, zwölf Thesen, ein Anliegen: Mit ihrem<br />

Manifest zum New Learning hat die <strong>FernUniversität</strong> in Hagen<br />

gemeinsam mit führenden Bildungsfachleuten die Diskussion<br />

um das Lernen <strong>der</strong> Zukunft ganz neu eröffnet. Schon seit<br />

Jahren for<strong>der</strong>n Expertinnen und Experten einen Wandel<br />

des Lernbegriffs. <strong>Das</strong> Hagener Manifest hat diese Stimmen<br />

gesammelt und zu zwölf Thesen verdichtet. Sie for<strong>der</strong>n die<br />

Bildungspolitik zum Handeln auf und sollen den neuen Begriff<br />

von Lernen nachhaltig in die Gesellschaft tragen. Am 1. Oktober<br />

hat die <strong>FernUniversität</strong> das Hagener Manifest veröffentlicht<br />

und lädt dazu ein, es online zu unterzeichnen.<br />

Digitaler Wandel erfor<strong>der</strong>t und<br />

ermöglicht neue Lernkompetenzen<br />

Die Idee zum Hagener Manifest entstand Anfang 2020. Schon vor <strong>der</strong> Corona-Pandemie<br />

und den dadurch erzwungenen neuen Formen des Arbeitens zeigte sich ganz deutlich:<br />

New Work hat die Vorstellung von <strong>der</strong> Arbeitswelt auf den Kopf gestellt. Entwicklungen<br />

wie flachere Hierarchien, agile Arbeitsformen, selbstbestimmte Arbeitszeiten und Arbeitsorte<br />

führen nicht nur zu neuen Freiheiten. Die Arbeitswelt in einer digitalen Gesellschaft<br />

stellt auch ganz an<strong>der</strong>e Herausfor<strong>der</strong>ungen an die Menschen als noch vor 50 Jahren.<br />

Dr. Jörg Dräger, Mitglied des Vorstandes <strong>der</strong> Bertelsmann Stiftung und Geschäftsführer<br />

des Centrums für Hochschulentwicklung (CHE), hat seine Expertise ins Hagener Manifest<br />

eingebracht und bringt es in seinem Statement auf den Punkt: „‚New Work‘ erfor<strong>der</strong>t<br />

‚New Learning‘. Wir müssen heute so lernen, wie wir morgen arbeiten werden.“<br />

<strong>Das</strong> Hagener Manifest<br />

Mit dem Hagener Manifest wollen die Initiatorinnen und Initiatoren die bildungspolitische<br />

Debatte um New Learning aktiv vorantreiben, den Wissenstransfer<br />

zwischen Bildungsinstitutionen, Wirtschaft, Politik und Zivilgesellschaft unterstützen<br />

und neue bildungspolitische Vernetzungsinitiativen anstoßen. Sie machen<br />

New Learning als einen visionären Begriff stark: <strong>Das</strong> (neue) Lernen gestaltet gesamtgesellschaftliche<br />

Transformationsprozesse maßgeblich mit. Mit dem Manifest<br />

sprechen sie auch Handlungsempfehlungen für die Politik aus. Auf <strong>der</strong> Webseite<br />

können Interessierte das Manifest lesen und online unterzeichnen. Dort finden<br />

sich auch Statements <strong>der</strong> Erstunterzeichnenden, weitere Hintergrundinformationen<br />

und Veranstaltungshinweise.<br />

Unter den Hashtags #HagenerManifest und #NewLearning wird das Hagener<br />

Manifest in den sozialen Netzwerken verbreitet und kommentiert.


10<br />

Der digitale Wandel beschränkt sich jedoch bei Weitem<br />

nicht auf die Arbeitswelt. Er beeinflusst alle Bereiche des<br />

gesellschaftlichen Miteinan<strong>der</strong>s. Neue, datenbasierte Technologien<br />

verän<strong>der</strong>n zum Beispiel Kommunikationswege,<br />

Meinungsbildungsprozesse, Zugänge zu Wissen und Mobilität.<br />

Sie erfor<strong>der</strong>n es sogar, gemeinsame Werte neu auszuhandeln.<br />

New Learning ist die entscheidende Fähigkeit,<br />

diesen Wandel zu verstehen und ihn aktiv mitzugestalten.<br />

Es stellt die Lernenden in den Mittelpunkt und befähigt<br />

sie, in ihrer digitalen Lebensrealität lebenslang zu lernen.<br />

<strong>Das</strong> wirft Fragen auf: Welche Kompetenzen brauchen<br />

Lernende und Lehrende? Wie müssen sich Lernprozesse<br />

verän<strong>der</strong>n? Welche Lernsettings unterstützen dabei,<br />

Lernen zu individualisieren? Und welche For<strong>der</strong>ungen<br />

ergeben sich daraus an Politik und Wirtschaft?<br />

Ein Experiment in New Learning<br />

<strong>Das</strong> Hagener Manifest ist als gemeinsame Vision für New<br />

Learning entstanden und reagiert auf einen offensichtlichen<br />

Mangel: In einem Bildungssystem, das in seinen Grundsätzen<br />

noch immer weit mehr als 50 Jahre zurückweist, fehlt ein<br />

angemessenes Verständnis dafür, wie die Kultur <strong>der</strong> Digitalität<br />

das Lernen von Grund auf verän<strong>der</strong>t <strong>–</strong> und weiter<br />

verän<strong>der</strong>n wird. Es bedarf zukünftig einer ganz an<strong>der</strong>en<br />

Aufmerksamkeit und Entschlossenheit für die gesellschaftliche<br />

Organisation von Lernprozessen, als dies bisher zu erkennen<br />

ist. <strong>Das</strong> gilt sowohl für die Bereitschaft, finanzielle<br />

und zeitliche Ressourcen zur Verfügung zu stellen, als<br />

auch <strong>–</strong> und nicht zuletzt <strong>–</strong> für entschiedenes Führungsund<br />

Regierungshandeln.<br />

Ada Pellert, Rektorin <strong>der</strong> <strong>FernUniversität</strong> in Hagen und Initiatorin<br />

des Hagener Manifests, formuliert es so: „Unserem<br />

Bildungssystem fehlen noch immer innovative Konzepte,<br />

um in angemessener Geschwindigkeit auf digitale Transformationsprozesse<br />

reagieren zu können. Gesellschaftlich<br />

wie politisch müssen wir uns dringend von alten Denkstrukturen<br />

lösen und ein neues Verständnis von zeitgemäßem<br />

Lernen entwickeln.“ Die COVID-19-Pandemie hat dies noch<br />

einmal sehr deutlich gemacht. Zwar sind Homeoffice, digitale<br />

Weiterbildung und digitaler Unterricht plötzlich in aller<br />

Munde. Gleichzeitig mangelt es Schulen, Hochschulen und<br />

Bildungseinrichtungen weiterhin nicht nur an <strong>der</strong> erfor<strong>der</strong>lichen<br />

Technik, son<strong>der</strong>n auch an Know-how, wie man digital<br />

gut lernt, lehrt und arbeitet. Allerdings öffnen sich auch<br />

unverhofft Türen: „Plötzlich sind Lern- und Lehrwege möglich,<br />

die es zuvor so nicht gegeben hat“, sagt Pellert. „Im<br />

Grunde erleben wir ein Experiment in New Learning unter<br />

den Bedingungen <strong>der</strong> Realität.“<br />

Gemeinsam weiterdenken<br />

Mitten in diesem Experiment ergriff die <strong>FernUniversität</strong> in<br />

Hagen die Initiative: <strong>Das</strong> Hagener Manifest zu New Learning<br />

entstand in enger Zusammenarbeit mit Bildungsexpertinnen<br />

und -experten aus ganz Deutschland. <strong>Das</strong> Rektorat <strong>der</strong><br />

<strong>FernUniversität</strong> in Hagen, das Institut für Bildungswissenschaft<br />

und Medienforschung (IfBM), das Zentrum für pädagogische<br />

Berufsgruppen- und Organisationsforschung<br />

(ZeBO) und <strong>der</strong> Forschungsschwerpunkt Digitalisierung,<br />

Diversität und Lebenslanges Lernen (D²L²) haben gemeinsam<br />

mit namhaften Persönlichkeiten aus Wissenschaft,<br />

Bildung und Wirtschaft den Text verfasst. Insgesamt 37<br />

Expertinnen und Experten beteiligten sich an dem kollaborativen<br />

Prozess, darunter auch die Publizistin Prof. Dr. Miriam<br />

Meckel. Sie ist überzeugt: „New Learning ist die Neuerfindung<br />

des Wissens, unserer wichtigsten Ressource. Die Vermittlung<br />

von Fakten und Sachwissen ist nur Mittel zum<br />

eigentlichen Zweck: Verständnis für den permanenten Gesellschaftswandel<br />

zu entwickeln und Toleranz für die damit<br />

verbundene Unsicherheit auszubilden.“


New Learning 11<br />

<strong>Das</strong> kollaborative Vorgehen ist nur folgerichtig, um die<br />

zwölf Thesen zu New Learning und seinen Voraussetzungen<br />

und Rahmenbedingungen im digitalen Wandel <strong>der</strong> Gesellschaft<br />

auf ein tragfähiges Fundament zu stellen. So beleuchten<br />

die Autorinnen und Autoren im Manifest Fragen<br />

von lebenslanger Bildung und Chancengerechtigkeit, von<br />

digitalen Kompetenzen und Lernsettings, von Technologie<br />

und Datenschutz und thematisieren bildungspolitische<br />

Rahmenbedingungen des Lernens. Die gebündelte Expertise<br />

garantiert zudem auch die Relevanz und die wissenschaftliche<br />

Basis <strong>der</strong> For<strong>der</strong>ungen.<br />

Diese Expertise bringt die <strong>FernUniversität</strong> in Hagen in beson<strong>der</strong>er<br />

Weise ein. Schon durch ihr Fernlehresystem und<br />

Blended-Learning-Konzept übernimmt sie eine führende<br />

Rolle als Medienuniversität und im Digitalisierungsprozess<br />

<strong>der</strong> Hochschulen. Dazu kommt: Der Bereich <strong>der</strong> Bildungsforschung<br />

spielt an <strong>der</strong> Hochschule eine wesentliche Rolle.<br />

„Mit New Learning wird eine Herausfor<strong>der</strong>ung formuliert,<br />

die substantieller Bestandteil einer Forschungsinitiative an<br />

<strong>der</strong> Fernuniversität Hagen im Verbund mit Forschenden <strong>der</strong><br />

Humboldt Universität Berlin, dem Deutschen Forschungszentrum<br />

für Künstliche Intelligenz und dem Humboldt<br />

Institut für Internet und Gesellschaft ist“, so Professor<br />

Friedrich Hesse, wissenschaftlicher Leiter des Forschungsschwerpunktes<br />

Digitalisierung, Diversität und Lebenslanges<br />

Lernen. Konsequenzen für die Hochschulbildung (D²L²) <strong>der</strong><br />

<strong>FernUniversität</strong> in Hagen. <strong>Das</strong> interdisziplinäre Team des<br />

Forschungsschwerpunktes sucht nach Antworten auf die<br />

Frage, wie Hochschulen angemessen auf die Verän<strong>der</strong>ungen<br />

durch den digitalen Wandel reagieren können. Beste Voraussetzungen<br />

also, den mit dem Hagener Manifest zu New<br />

Learning eingeschlagenen Weg weiterzugehen. SG<br />

<strong>Das</strong> Hagener Manifest<br />

zu New Learning:<br />

www.fernuni.de/hm-text<br />

Webseite mit weiteren Infos:<br />

www.fernuni.de/<br />

hagener-manifest<br />

Digitalisierung mit Augenzwinkern:<br />

Virtuelle Unterzeichnung des Hagener Manifests


12<br />

New Learning entdecken<br />

Die digitale Bildungsrevolution ist eine<br />

pädagogische, keine technische Revolution.<br />

Die Pandemie bewirkt vor allem<br />

eins: Sie beschleunigt.<br />

Dr. Barbara Getto beobachtet das aus einer professionellen<br />

Sicht: Sie forscht zu Verän<strong>der</strong>ungsprozessen an Hochschulen<br />

im Kontext <strong>der</strong> Digitalisierung. Im Sommersemester 2020<br />

vertrat sie das Lehrgebiet Mediendidaktik an <strong>der</strong> <strong>FernUniversität</strong>.<br />

„Die Pandemie hat insbeson<strong>der</strong>e für ein Mehr an<br />

digitalen Lehrangeboten gesorgt. Aufgrund <strong>der</strong> Kontaktbeschränkungen<br />

wird die Durchführung von Lehrveranstaltungen<br />

mittels digitaler Medien vielfach Mittel zum<br />

Zweck“, stellt sie fest. „Es geht in <strong>der</strong> Corona-Krise weniger<br />

darum, strategisch Lehre mit digitalen Medien in die Breite<br />

zu bekommen. Vielmehr soll es schnelle Lösungen für alle<br />

geben, um das bedingte Problem <strong>der</strong> räumlichen Distanz<br />

zu überbrücken.“<br />

Darauf folgt das große Aber: Damit geht noch keine Verän<strong>der</strong>ung<br />

<strong>der</strong> Lehre einher. „Um die Potenziale nutzen zu<br />

können, müssen didaktische Fragen im Vor<strong>der</strong>grund stehen“,<br />

rät Getto. Der Versuch, traditionelle Settings digital<br />

abzubilden, funktioniert nur bedingt. „Man kann nicht 90<br />

Minuten Vorlesung einfach als Videokonferenz ohne Interaktion<br />

abhalten. So ein Szenario führt häufig zu Frust bei<br />

Lehrenden und Studierenden.“


New Learning 13<br />

Zukunftsfähige Lehre<br />

Die Chance bestehe eher darin, so die Bildungswissenschaftlerin,<br />

die Potenziale <strong>der</strong> Digitalisierung für didaktische<br />

Ziele zu heben: anwendungsorientierter zu planen<br />

und Lernende stärker zu aktivieren, etwa durch einen<br />

Medienmix und Gruppenarbeiten. „Unter dem Schlagwort<br />

New Learning diskutieren wir nun, wie wir heute die Hochschullehre<br />

für die Zukunft gestalten wollen“, so Getto.<br />

„Eine mo<strong>der</strong>ne Hochschullehre muss vorbereiten auf Lebens-<br />

und Arbeitswelten, die digital durchdrungen sind.<br />

Die Art, wie gelehrt wird, muss anschlussfähig sein an diese<br />

Realität, in <strong>der</strong> Kommunikation und Interaktion mit digitalen<br />

Medien ganz selbstverständlich on- und offline stattfindet.“<br />

Digitale Medien bilden die Umgebung, in <strong>der</strong> sich Studierende<br />

Wissen aneignen.“<br />

Unterstützung dafür sei vorhanden, die IT- und Medienzentren<br />

an den Hochschulen stellen noch mehr Möglichkeiten<br />

zur Verfügung als vor Corona. <strong>Das</strong> sei schon einmal<br />

eine wichtige Voraussetzung. Die Hochschulen selbst können<br />

sich untereinan<strong>der</strong> vernetzen und voneinan<strong>der</strong> lernen.<br />

Dr. Barbara Getto im Videochat mit Kolleginnen<br />

und Kollegen aus <strong>der</strong> Wissenschaft


14<br />

Hochschulen lernen voneinan<strong>der</strong><br />

Beispielhaft dafür hat die <strong>FernUniversität</strong> ab Frühjahr 2020<br />

offene Angebote mit Videos und Tutorials für Präsenzhochschulen<br />

angeboten, um sie fit zu machen für digitale<br />

Semester <strong>–</strong> darunter etwa das Projekt Tandems: Lehrende<br />

<strong>der</strong> FernUni haben ihre fachlich-didaktische Erfahrung mit<br />

Blended Learning geteilt mit Lehrenden an traditionellen<br />

Präsenzhochschulen. Vonseiten <strong>der</strong> FernUni hat beispielsweise<br />

Christina Gloerfeld, Wissenschaftliche Mitarbeiterin<br />

im Lehrgebiet Bildungstheorie und Medienpädagogik, eine<br />

Fachkollegin an einer Präsenz-Uni unterstützt. „Obwohl<br />

meine Partnerin bereits innovative Lehre mit Medien umsetzte,<br />

konnte ich Impulse setzen und <strong>der</strong> Austausch motivierte<br />

sie, Neues auszuprobieren o<strong>der</strong> digitale Medien noch<br />

mehr aktivierend einzusetzen und zum Beispiel die Studierenden<br />

Inhalte erarbeiten zu lassen“, beschreibt Gloerfeld.<br />

„In so einem Gespräch wird auch deutlich, wie weit die<br />

FernUni mit den technologischen Infra- und Supportstrukturen<br />

ist <strong>–</strong> und auch vor allem in <strong>der</strong> Umsetzung von<br />

Blended-Learning-Formaten.“<br />

Working Out Loud<br />

Bei Working Out Loud geht es darum, in einem Team von<br />

vier bis fünf Mitglie<strong>der</strong>n innerhalb von zwölf Wochen ein<br />

definiertes individuelles Ziel zu erreichen: etwa eine Hausarbeit<br />

zu schreiben. Dabei steht <strong>der</strong> Netzwerkgedanke<br />

ebenso im Vor<strong>der</strong>grund wie das Vorhaben, das erarbeitete<br />

Wissen mit den an<strong>der</strong>en zu teilen. „So entwickelt sich das<br />

eigene Mindset, die eigene Denkweise, weiter“, beschreibt<br />

Nicole Engelhardt. An <strong>der</strong> <strong>FernUniversität</strong> steckt die Methode<br />

noch in den Anfängen.<br />

Hackathon<br />

Dagegen gibt es bereits Erfahrungen mit Hackathons.<br />

Dahinter steht: Studierende entwickeln innerhalb eines<br />

kurzen Zeitraums in kleinen Teams in lockerer Arbeitsatmosphäre<br />

Apps, Programme o<strong>der</strong> Prototypen für die<br />

Zukunft. In einem wirtschaftswissenschaftlichen Seminar<br />

arbeiteten Studierende gemeinschaftlich daran, ein theo-<br />

E-Learning koordinieren<br />

An <strong>der</strong> <strong>FernUniversität</strong> sorgt die Koordinationsstelle für<br />

E-Learning und Bildungstechnologien (e-KOO) im Zentrum<br />

für Medien und IT für die beschriebene Unterstützung.<br />

„Bei New Learning geht es darum, Future Skills zu vermitteln<br />

<strong>–</strong> wie vernetzt zu denken und kollaborativ zu arbeiten.<br />

Um das im Studium zu implementieren, müssen wir bewusst<br />

aus vorhandenen Mustern ausbrechen“, meint Nicole<br />

Engelhardt. Sie leitet die e-KOO <strong>–</strong> und nennt Beispiele für<br />

neue Wege in <strong>der</strong> Lehre: Methoden wie Working Out Loud,<br />

Formate wie Hackathons o<strong>der</strong> Social Reading.<br />

retisches Modell in einem realen Unternehmenskontext<br />

umzusetzen. Darüber hinaus veranstaltete die <strong>FernUniversität</strong><br />

im März 2020 „HackUcation“: ein Bildungshackathon,<br />

zu dem Studierende aller Studiengänge eingeladen waren,<br />

um Ideen und Konzepte für die Bildung von morgen zu<br />

entwickeln <strong>–</strong> Chatbots, virtuelle Tutoren- und digitale Motivationssysteme,<br />

die den Lernfortschritt im Blick behalten<br />

und Empfehlungen zum weiteren Studienverlauf aussprechen.<br />

„Hackathons aktivieren unterschiedliche Kompetenzen<br />

innerhalb eines Teams, för<strong>der</strong>n die Kreativität und den<br />

Prozess, sich selbst zu organisieren“, fasst Engelhardt zusammen.


New Learning 15<br />

Social Reading<br />

Mittels Social Reading kommentieren und diskutieren Studierende<br />

Texte gemeinsam digital. Zum Einsatz kommt das<br />

webbasierte Format in den Kultur- und Sozialwissenschaften.<br />

Es ermöglicht eine intensive Auseinan<strong>der</strong>setzung mit wissenschaftlichen<br />

Texten und bietet den Vorteil, räumlich und<br />

zeitlich flexibel daran zu arbeiten.<br />

In eine ähnliche Richtung strebt Susanne Krieghoff (54),<br />

die mitten in ihrem Psychologiestudium an <strong>der</strong> FernUni<br />

steckt: „New Learning macht mich frei und unabhängig,<br />

ich kann mein Lernen selbst steuern. Gleichzeitig habe ich<br />

die Möglichkeit, mich mit Mitstudierenden zu vernetzen.<br />

<strong>Das</strong> steigert die Motivation.“ Denn: Lernen ist ein soziales<br />

Phänomen. Man arbeitet gemeinsam an Themen und<br />

Lösungen.<br />

Was Studierende meinen<br />

Welche Chancen sehen Studierende in New Learning für<br />

ihr Fernstudium? „<strong>Das</strong> Potenzial besteht darin, verschiedene<br />

Technologien und Lernsysteme eigenständig und nach<br />

meinen Bedürfnissen wählen zu können <strong>–</strong> noch stärker als<br />

bisher“, meint Andreas Schwalmberger. Der 37-Jährige ist<br />

Maschinenbauingenieur und studiert seit dem Sommersemester<br />

2016 im Bachelorstudiengang Wirtschaftsinformatik<br />

an <strong>der</strong> FernUni. „Ingenieurswissenschaften verschmelzen<br />

mehr und mehr. Maschinen werden immer digitaler“,<br />

sagt <strong>der</strong> gebürtige Landshuter, <strong>der</strong> heute in München lebt<br />

und arbeitet. Kenntnisse und Fähigkeiten, Informationssysteme<br />

zu konzipieren und Softwareprojekte zu koordinieren<br />

spielen in seinem Job eine immer größere Rolle. „Diese<br />

Kompetenzen sollten im Studium vermittelt werden“, schließt<br />

sich Schwalmberger <strong>der</strong> wissenschaft lichen Meinung zu<br />

Future Skills an.<br />

Studieren <strong>der</strong> Zukunft<br />

<strong>Das</strong> führt Barbara Getto noch weiter: „Wir müssen ernsthaft<br />

darüber ins Gespräch kommen, was Studieren im digitalen<br />

Zeitalter heißt. Mein Eindruck ist, dass viele Studierende<br />

doch eher tra ditio nelle Formate erwarten und sich<br />

in diesen auch sicherer fühlen.“ Zudem sehen Studierende<br />

digitale Formate einerseits nicht als gleichwertig zur Präsenzlehre<br />

an und empfinden sie an<strong>der</strong>erseits sogar oft als<br />

aufwendiger. „Da müssen wir für mehr Sicherheit sorgen.<br />

Denn selbstbestimmtes Lernen ermöglicht neues verantwortungsvolles<br />

Lernen von- und miteinan<strong>der</strong>.“<br />

aw<br />

»Bei New Learning geht es darum, Future Skills<br />

zu vermitteln <strong>–</strong> wie vernetzt zu denken und<br />

kollaborativ zu arbeiten. Um das im Studium<br />

zu implementieren, müssen wir bewusst aus<br />

vorhandenen Mustern ausbrechen«<br />

Nicole Engelhardt, e-KOO


16<br />

Gerechte Bildungsteilhabe in <strong>der</strong><br />

Corona-Krise stark gefährdet<br />

Fernunterricht, Corona-Semester, überfor<strong>der</strong>te Eltern, Lehrende und Lernende: Corona<br />

verän<strong>der</strong>t das Bildungswesen im rasanten Tempo. Noch immer ist nicht abzusehen,<br />

wie Unterricht an Schulen und Lehre an Hochschulen in Zukunft stattfinden werden.<br />

Auf welchen Wegen erreichen und begleiten Lehrende ihre Schülerinnen, Schüler und<br />

Studierenden bestmöglich beim Lernen auf Distanz? Und wie ist Lernen neu zu denken?<br />

Eine Studie <strong>der</strong> <strong>FernUniversität</strong> in Hagen zum Fernunterricht<br />

an Schulen und Fernlehre an Hochschulen zeigt: Die<br />

Bildungsteilhabe in <strong>der</strong> Corona-Krise ist massiv gefährdet.<br />

Als Grund dafür wird vor allem <strong>der</strong> unzureichende persönliche<br />

Kontakt zwischen Lehrenden und Lernenden<br />

genannt. Infolge <strong>der</strong> Schul- und Hochschulschließungen<br />

zur Eindämmung des Corona-Virus mussten Lehrkräfte<br />

quasi von jetzt auf gleich verstärkt auf digitale Werkzeuge<br />

zurückgreifen. „Trotz <strong>der</strong> Einschätzung, dass die Inhalte<br />

die Adressatinnen und Adressaten erreichen, sieht <strong>der</strong><br />

Großteil <strong>der</strong> Lehrerinnen, Lehrer und Hochschullehrenden<br />

die Bildungsteilhabe massiv gefährdet“, stellt Projektleiterin<br />

Prof. Dr. Julia Schütz (Lehrgebiet Empirische Bildungsforschung)<br />

heraus.<br />

<strong>Das</strong> Team hinter <strong>der</strong> Studie zum Unterrichten und Lehren in <strong>der</strong> Corona-Krise (v.l.):<br />

Davin Akko, Dr. Lena Rosenkranz, Prof. Julia Schütz und Cylia Hergenrö<strong>der</strong>.


New Learning 17<br />

Erste Ergebnisse liegen vor<br />

Zwar kommt <strong>der</strong> Lehrstoff bei den Schülerinnen, Schülern<br />

und Studierenden an. Doch ganz ohne persönlichen Kontakt<br />

stufen Lehrende den Lernerfolg kritisch ein. 87 Prozent<br />

<strong>der</strong> befragten Lehrkräfte an allgemeinbildenden Schulen<br />

schätzen, dass <strong>der</strong> von ihnen vermittelte Unterrichtsstoff<br />

bei ihren Schülerinnen und Schülern ankommt. Im Hochschulbereich<br />

geben 84 Prozent <strong>der</strong> Lehrenden an, dass<br />

dies <strong>der</strong> Fall sei. Und trotzdem: 78 Prozent <strong>der</strong> Lehrkräfte<br />

an Schulen und 65 Prozent <strong>der</strong> Hochschullehrenden sehen<br />

die gleichberechtigte Bildungsteilhabe ihrer Schülerinnen<br />

und Schüler bzw. Studierendenschaft gefährdet. Ob und<br />

inwieweit diese Einschätzung mit <strong>der</strong> Medienkompetenz<br />

<strong>der</strong> Befragten zusammenhängt, wird noch analysiert.<br />

Online-Umfrage und Interviews<br />

Anfang April startete die offene Online-Umfrage zum<br />

Unterrichten und Lehren an allgemeinbildenden Schulen<br />

und Hochschulen in <strong>der</strong> Corona-Krise. <strong>Das</strong> war unmittelbar<br />

nach den bundesweiten Schulschließungen und <strong>der</strong><br />

Verschiebung des regulären Semesterstarts an vielen Hochschulen.<br />

Inzwischen liegen erste Ergebnisse <strong>der</strong> Studie zur<br />

Professionalität und Bildungsgerechtigkeit in <strong>der</strong> Krise<br />

(ProBiKri-Studie) vor. Zusätzlich werden Interviews<br />

mit Lehrerinnen, Lehrern und Hochschullehrenden<br />

geführt und ausgewertet.<br />

An <strong>der</strong> Befragung beteiligten sich bundesweit<br />

837 Personen. Ihre Erfahrungen und Einschätzungen<br />

stehen im Mittelpunkt. So wurde<br />

unter an<strong>der</strong>em danach gefragt, wie <strong>der</strong> digitale<br />

Unterricht bzw. die digitale Lehre in <strong>der</strong> Krise<br />

gelingt und inwieweit die Teilnehmenden<br />

eine gleichberechtige Bildungsteilhabe<br />

als gefährdet einschätzen. Darüber<br />

hinaus zielt die Studie auf das<br />

professionelle Handeln <strong>der</strong><br />

Lehrenden im Fernunterricht<br />

bzw. <strong>der</strong> Fernlehre:<br />

„Gelingt es den Akteurinnen<br />

und Akteuren, ein<br />

tragfähiges Arbeitsbündnis<br />

zu ihren Schülerinnen,<br />

Schülern und Studierenden<br />

herzustellen und wenn ja,<br />

wie?“, stellt Schütz als zentrale<br />

Frage heraus. „<strong>Das</strong> ist eine <strong>der</strong><br />

wichtigsten Voraussetzungen zur<br />

Initiierung von Lern- und Bildungsprozessen.“<br />

Virtuelle Präsenz verringert Raum<br />

für soziales Handeln<br />

Durch den nur eingeschränkt o<strong>der</strong> gar nicht existierenden<br />

persönlichen Kontakt sehen Lehrende an Schulen und Hochschulen<br />

die Bildungschancen von Kin<strong>der</strong>n, Jugendlichen<br />

und Studierenden massiv beeinträchtigt (Lehrerinnen und<br />

Lehrer 69 Prozent, Hochschullehrende 58 Prozent). Dies<br />

gilt gerade vor dem Hintergrund einer unzureichenden<br />

technischen Ausstattung <strong>der</strong> Schülerinnen und Schüler.<br />

Auch die bisher geführten Interviews <strong>der</strong> Studie deuten<br />

darauf hin, dass <strong>der</strong> persönliche Kontakt in Präsenz als<br />

Faktor für das Gelingen von Lehr-Lern-Prozessen gelten<br />

kann. <strong>Das</strong> beiläufige Aufeinan<strong>der</strong>treffen, <strong>der</strong> kurze Austausch<br />

auf dem Schul hof und die Berücksichtigung <strong>der</strong> nonverbalen<br />

Kommunikation för<strong>der</strong>n ein stabiles Arbeitsbündnis<br />

zwischen Lehrenden und Lernenden. Die <strong>FernUniversität</strong> in<br />

Hagen selbst setzt entsprechend ihrer langjährigen Erfahrung<br />

auf Blended-Learning-Ansätze in <strong>der</strong> Lehre. <strong>Das</strong> heißt,<br />

verschiedene Bausteine <strong>der</strong> Online- und Präsenzlehre werden<br />

mit Studien briefen kombiniert, sodass ein persönlicher<br />

Austausch stattfinden kann.<br />

Der Kolibri ist Botschafter <strong>der</strong> Studie<br />

„Professionalität und Bildungsgerechtigkeit<br />

in <strong>der</strong> Krise“. Er kann im Fliegen fressen und ist<br />

<strong>der</strong> einzige Vogel auf <strong>der</strong> Welt, <strong>der</strong> auch rückwärts<br />

fliegen kann. Er ist also extrem wendig, ein Superathlet<br />

gewissermaßen. Weil <strong>der</strong> Kolibri so klein ist,<br />

wird er oft übersehen <strong>–</strong> wie die interaktionalen<br />

Leistungen <strong>der</strong> Lehrkräfte und Lehrenden in Unterricht<br />

und Studium. <br />

Grafik: Gerald Moll


18<br />

Rückkehr zu tradierter Rollenverteilung<br />

Alarmierend sind die Ergebnisse auch mit Blick auf die<br />

Vereinbarkeit von Beruf im Homeoffice und Familienarbeit.<br />

„Frauen kümmern sich vermehrt um die Kin<strong>der</strong>betreuung<br />

während <strong>der</strong> Kita- und Schulschließungen und reduzieren<br />

die eigene Arbeitszeit“, nimmt Julia Schütz zudem die Rückkehr<br />

zu tradierten Rollenverteilungen beim schulischen<br />

Fernunterricht in den Blick. Damit gerate auch die gleichberechtigte<br />

Teilhabe am Studienangebot in Gefahr. 51 Prozent<br />

<strong>der</strong> befragten Hochschullehrenden stufen diese als<br />

gefährdet ein, weil auch für studierende Eltern die Kin <strong>der</strong>betreuung<br />

während des Lockdowns wegfiel. Diese zusätzliche<br />

Herausfor<strong>der</strong>ung zeigt sich auch in den Antworten<br />

<strong>der</strong> interviewten Lehrkräfte. Neben <strong>der</strong> Fortführung des<br />

schulischen Unterrichts und <strong>der</strong> Lehre sind diese eben<br />

auch persönlich von den Corona-Einschränkungen betroffen.<br />

Interviews mit Expertinnen und Experten<br />

Weitere Ergebnisse liegen bereits vor und stehen auf den<br />

Webseiten des Zentrums für pädagogische Berufsgruppenund<br />

Organisationsforschung (ZeBO Hagen) zur Verfügung.<br />

Aktuell werden die Interviews ausgewertet. Es wird nach<br />

Schulformen und Hochschultypen differenziert. Interessier te<br />

erfahren zum Beispiel, inwieweit Unterricht und Hochschullehre<br />

trotz des Shutdowns überhaupt stattgefunden haben.<br />

14,7 Prozent <strong>der</strong> Lehrerinnen und Lehrer gaben an, nicht<br />

mehr zu unterrichten. An Hochschulen waren es nur drei<br />

Prozent <strong>der</strong> Lehrenden. Es geht aber auch um den Einsatz<br />

von E-Mails, Lern-Apps und digitalen Texten sowie um die<br />

virtuelle Präsenz in Schulen und Hochschulen. Darüber<br />

hinaus folgen Gespräche mit Expertinnen und Experten<br />

aus Bildungspolitik, Bildungsadministration und berufsständischen<br />

Ver treterinnen und Vertretern.<br />

can<br />

Projektseite:<br />

www.fernuni.de/<br />

bildung-in-coronakrise<br />

Zentrum für pädagogische<br />

Berufsgruppen- und<br />

Organisationsforschung:<br />

www.fernuni.de/zebo


New Learning 19<br />

Zeit für gutes Lernen<br />

FernUni-Rektorin Prof. Dr. Ada Pellert hat das<br />

Hagener Manifest mit initiiert. Im Interview spricht<br />

sie darüber, was ihr dabei wichtig ist.<br />

<strong>Das</strong> Hagener Manifest kreist um den Begriff<br />

New Learning. Frau Prof. Pellert, warum muss<br />

man das Lernen neu erfinden?<br />

Ada Pellert: Weil gutes Lernen nicht ohne den jeweiligen<br />

historischen und gesellschaftlichen Kontext zu denken ist.<br />

Deswegen muss man es immer wie<strong>der</strong> neu definieren und<br />

justieren. Manches von dem, was im Manifest steht, sagt die<br />

Pädagogik schon seit 200 Jahren <strong>–</strong> aber es kommt eben darauf<br />

an, es heute adäquat umzusetzen, in unserer Gegen wart.<br />

Diese Debatte will den Begriff „New Learning“ auslösen.<br />

Woran denken Sie konkret?<br />

Die Digitalisierung verän<strong>der</strong>t unsere Gesellschaft tiefgreifend:<br />

wie wir arbeiten, wo wir uns informieren, wie wir miteinan<strong>der</strong><br />

kommunizieren, wie wir unseren Alltag leben. Um<br />

diesen Transformationsprozess nicht nur zu bewältigen,<br />

son<strong>der</strong>n aktiv zu gestalten, müssen wir lernen, die Digitalisierung<br />

zu verstehen, und wir müssen lernen, die digitalen<br />

Werkzeuge produktiv zu nutzen. Außerdem wird unsere<br />

Gesellschaft auch immer vielfältiger <strong>–</strong> o<strong>der</strong> vielmehr: Die<br />

Diversität wird uns immer stärker bewusst. Auch darauf<br />

muss sich das Bildungssystem besser als bisher einstellen:<br />

Die einzelnen Lernenden gehören ins Zentrum <strong>–</strong> mit dem,<br />

was Sie an individuellem Vorwissen und Erfahrungen mitbringen,<br />

und mit dem, was sie als persönliches Bildungsziel<br />

erreichen wollen. Lehrende sind deshalb weniger als<br />

Vermittlerinnen und Vermittler von Fakten gefragt, son<strong>der</strong>n<br />

eher als Coaches, als Lernbegleiterinnen und Lernbegleiter,<br />

die Wege durch das Wissen eröffnen.<br />

Apropos Vielfalt: An <strong>der</strong> Formulierung des Hagener<br />

Manifests haben viele Personen aus sehr unterschiedlichen<br />

Bereichen mitgewirkt. Wie ist diese Gruppe<br />

entstanden?<br />

Wir als <strong>FernUniversität</strong> haben die Initiative für das Manifest<br />

ergriffen, denn als Deutschlands größte Universität für das<br />

Lebenslange Lernen gehört die Erforschung und Weiterentwicklung<br />

von Lerntheorie und -praxis quasi zu unserer<br />

DNA. Darum haben sich natürlich unsere einschlägigen<br />

Forschungseinrichtungen in die Entstehung des Hagener<br />

Manifests eingebracht: das Institut für Bildungswissenschaft<br />

und Medienforschung (IfBM), das Zentrum für pädagogische<br />

Berufsgruppen- und Organisationsforschung (ZeBO) und<br />

<strong>der</strong> Forschungsschwerpunkt Digitalisierung, Diversität und<br />

Lebenslanges Lernen (D²L²). Es soll aber kein Manifest „<strong>der</strong><br />

FernUni“ sein, son<strong>der</strong>n eine Bewegung im Bildungssystem<br />

auslösen. Darum haben wir ganz unterschiedliche Expertinnen<br />

und Experten eingeladen, sich zu beteiligen: kluge Köpfe<br />

aus Schule und Hochschule, aber auch aus <strong>der</strong> Wirtschaft,<br />

etablierte Persönlichkeiten genauso wie „junge Wilde“.<br />

Denn wir wollen mit dem Manifest ja nicht zuletzt Grenzen<br />

überwinden, gutes Lernen brauchen wir überall. Da kann<br />

das Team dahinter nicht groß und stark genug sein. Deshalb<br />

freut es mich auch, dass schon so viele Menschen das<br />

Manifest unterzeichnet haben. <br />

SD<br />

Alle Unterzeichnerinnen und<br />

Unterzeichner des Hagener Manifests:<br />

www.fernuni.de/hm-signiert


20<br />

27 500 US-Dollar<br />

betrug 2018 <strong>der</strong> Preis für ein „Black Album“ von Prince<br />

(gestorben 2016) aus dem Jahr 1987. Warum die Preise für<br />

manche Langspielplatten exorbitant steigen, erforschte<br />

Dr. Hendrik Sonnabend vom Lehrstuhl für Volkswirtschaftslehre,<br />

insbeson<strong>der</strong>e Wirtschaftspolitik. Eine gemeinsame<br />

Studie mit Samuel Cameron, (Co-)Editor des Journal of<br />

Cultural Economics und bis vor kurzem Professor of Economics<br />

an <strong>der</strong> University of Bradford, zu beson<strong>der</strong>s teuren<br />

Sammlerstücken ergab: Sinkt das Angebot um ein Prozent,<br />

steigt <strong>der</strong> Preis um etwa 16. Je geringer die Stückzahlen<br />

und je populärer die o<strong>der</strong> <strong>der</strong> Künstler, desto eher ist ein<br />

Preisanstieg zu erwarten. Interessant sind vor allem kleine<br />

Erstauflagen sehr populärer Alben, Fehl- o<strong>der</strong> Demo-Pressungen.<br />

Wichtige Faktoren sind Bekanntheit und Bedeutung<br />

von Künstlerin, Künstler, Band o<strong>der</strong> Album sowie ein<br />

perfekter Zustand.<br />

Da<br />

www.fernuni.de/schallplatten<br />

Regierungs-Rat<br />

Seit 1. Juli ist Prof. Dr. Annette Elisabeth Töller Mitglied<br />

im renommierten Sachverständigenrat für Umweltfragen<br />

(SRU). Er begutachtet unabhängig und interdisziplinär die<br />

Umweltbedingungen in Deutschland, zeigt Korrekturmöglichkeiten<br />

auf und unterstützt so die Urteilsbildung<br />

insbeson<strong>der</strong>e <strong>der</strong> Bundesregierung, aber auch aller umweltpolitischen<br />

Akteure und <strong>der</strong> Öffentlichkeit. Im Kreise<br />

<strong>der</strong> sechs Kolleginnen und Kollegen fällt die Leiterin des<br />

Lehrgebiets Politikfeldanalyse und Umweltpolitik an <strong>der</strong><br />

<strong>FernUniversität</strong> in Hagen insofern etwas aus dem Rahmen,<br />

als sie sich nicht in erster Linie für bestimmte Umweltthemen<br />

interessiert, son<strong>der</strong>n vor allem für Querschnittsfragen,<br />

etwa für die Logik umweltpolitischer Entscheidungsprozesse,<br />

für umweltpolitische Instrumente, Institutionen<br />

und die Macht gesellschaftlicher Akteure.<br />

Da<br />

www.fernuni.de/sachverstaendigenrat<br />

Forschung zu<br />

Anti-Sklaverei-<br />

Bewegungen<br />

Auf den ersten Blick erscheinen die Anti-Sklaverei-Bewegungen<br />

als große Erfolgsgeschichte. Schließlich ist Sklaverei<br />

in keinem Land <strong>der</strong> Welt noch gesetzlich legitimiert.<br />

Genauer hinsehen möchte das Lehrgebiet Geschichte <strong>der</strong><br />

Europäischen Mo<strong>der</strong>ne. Für drei Jahre för<strong>der</strong>t die Gerda<br />

Henkel Stiftung die Forschungsarbeit des Lehrgebiets zur<br />

Ausbreitung <strong>der</strong> Anti-Sklaverei-Bewegungen in Europa.<br />

„Insgesamt möchten wir keine reine Erfolgsgeschichte<br />

erzählen, son<strong>der</strong>n auch die Wi<strong>der</strong>stände in den Blick<br />

nehmen“, erläutert Lehrgebietsleiterin Prof. Dr. Alexandra<br />

Przyrembel. Ihre Habilitandin Saskia Geisler wird untersuchen,<br />

wie sich die Bewegungen im 19. Jahrhun<strong>der</strong>t von<br />

England aus über Europa ausbreiteten. Zudem möchte sie<br />

herausfinden, ob es neben rein altruistischen Motiven<br />

auch noch an<strong>der</strong>e gab, sich diesen anzuschließen. <strong>Das</strong><br />

Projekt läuft in Kooperation mit dem Institut für Soziale<br />

Bewegungen <strong>der</strong> Ruhr-Universität Bochum.<br />

CG<br />

www.fernuni.de/anti-sklaverei-bewegung


Kaleidoskop 21<br />

Wer war mit wem in Kontakt?<br />

Nimmt man eine Gruppe von Menschen und schaut sich<br />

an, wann welche Personen länger als 15 Minuten in einem<br />

Abstand von unter 1,5 m beieinan<strong>der</strong>standen, kann man<br />

das Ergebnis auch graphisch darstellen. Es entsteht ein<br />

Graph, wahrscheinlich sogar ein chordaler Graph, bei dem<br />

sich die Anzahl <strong>der</strong> jeweiligen Kontakte zählen lässt. Man<br />

erkennt, wer mit vielen und wer nur mit wenigen an<strong>der</strong>en<br />

Menschen in Kontakt war.<br />

So in etwa könnte man das Thema von Uwe Mayers<br />

Diplom arbeit von <strong>der</strong> abstrakten Theorie auf die aktuelle<br />

Situation übertragen. Der Mathematiker hat in seiner Abschlussarbeit<br />

im Lehrgebiet Diskrete Mathematik<br />

und Optimierung chordale Graphen<br />

untersucht. Er hat sich angeschaut,<br />

ob man bei diesen<br />

mit <strong>der</strong> Hilfe von bestimmten Funktionen, sogenannten<br />

Nachbarschaftspolynomen, zählen kann, wie viele Nachbarschaften<br />

es in welcher Größe gibt. Dabei hat er herausgefunden,<br />

dass dies nicht bei allen chordalen Graphen<br />

effizient möglich ist, son<strong>der</strong>n nur bei chordalen Graphen<br />

mit einer zusätzlichen Eigenschaft, die zum Beispiel bei<br />

Intervallgraphen erfüllt ist. Übertragen auf das Corona-<br />

Beispiel heißt das, dass es beispielsweise bei einer Zugfahrt<br />

funktionieren würde, wenn die Kontakte sich zeitlich beschränkt<br />

anordnen lassen. Die unterschiedliche Anzahl <strong>der</strong><br />

Kontakte entsteht dort durch die jeweilige Zeit, die sich<br />

die Menschen im Zug befinden.<br />

<strong>Das</strong> Ergebnis <strong>der</strong> Arbeit soll demnächst<br />

veröffentlicht werden.<br />

<br />

CG


22<br />

Wissenschaft ausgedruckt<br />

Einmal Pommes mit Wurst, bitte. Prof. Dr. Michael Niehaus (re.)<br />

und Prof. Dr. Peter Risthaus präsentieren ein im 3-D-Drucker<br />

entstandenes Beispiel für einen Musterteller. Ein Musterteller<br />

in einer Kantine zeigt den Gästen ein angebotenes Gericht und<br />

seine Komponenten und gibt eine Probe auf einige typische<br />

Eigenschaften des Gerichts.<br />

Anhand des Mustertellers wird deutlich: Es ist etwas ganz<br />

an<strong>der</strong>es ein Gericht zu beschreiben o<strong>der</strong> es als Muster auszustellen.<br />

In <strong>der</strong> analytischen Philosophie bedarf es eigentlich<br />

komplexer Theorie, um diesen Unterschied deutlich zu<br />

machen und so die Beispielfunktion von syntaktisch dichten<br />

Symbolen, also Bil<strong>der</strong>n, zu klären. Es hilft aber auch ein einfaches<br />

Beispiel, wie das des Mustertellers.<br />

Die beiden Literaturwissenschaftler Risthaus und Niehaus<br />

beschäftigen sich mit den Rollen von Beispielen in wissenschaftlichen<br />

Diskursen. Dazu haben sie die Fachzeitschrift<br />

z.B. <strong>–</strong> Zeitschrift zum Beispiel gegründet und eine Datenbank<br />

eingerichtet, das „Archiv des Beispiels“. <br />

CG


Kaleidoskop 23<br />

Führung auf Distanz<br />

Die Pandemie wirkt auf die Führungsbeziehung ein, damit<br />

gleichermaßen auf Führungskräfte wie Mitarbeitende. Die<br />

digitale Kommunikation wird zweifelsfrei aufgewertet. „Gerade<br />

die beziehungsorientierte Seite <strong>der</strong> Führung verän<strong>der</strong>t<br />

sich aber durch technisierte Kommunikationsformen. Der<br />

Führung auf Distanz ist damit eine an<strong>der</strong>e sozio-mediale<br />

Qualität zu eigen“, so Prof. Dr. Jürgen Weibler, Inhaber<br />

des Lehrstuhls für BWL, insbeson<strong>der</strong>e Personalführung und<br />

Organisation. „Beispielsweise sind wichtige Signale <strong>der</strong><br />

Führenden, die über Mimik, Gestik, Stimme o<strong>der</strong> Körperspannung<br />

vermittelt werden, nicht o<strong>der</strong> erschwert von<br />

den Teammitglie<strong>der</strong>n zu dechiffrieren. Doch erst dieses<br />

Zusammenspiel mit <strong>der</strong> verbalisierten Botschaft macht die<br />

beson<strong>der</strong>e Kraft einer Body-to-Body-Kommunikation aus“.<br />

Aber auch, dass Teammitglie<strong>der</strong> sich selbst nicht unmittelbar<br />

gegenübertreten können, erschwere den Führungsprozess,<br />

denn „die aktuelle Einschätzung <strong>der</strong> Teamleitung<br />

bildet sich durch soziale Vergleiche und den Einbezug des<br />

Verhaltens an<strong>der</strong>er auf die Führungskraft mit heraus“.<br />

Näheres untersucht Weibler in einer aktuellen Forschungsarbeit<br />

zur Digitalen Führung.<br />

CSa<br />

www.fernuni-hagen.de/weibler<br />

Leibniz-WissenschaftsCampus<br />

Die <strong>FernUniversität</strong> in Hagen ist am Leibniz-Wissenschafts-<br />

Campus „Resources in Transformation“(ReForm) beteiligt,<br />

<strong>der</strong> im Herbst/Winter 2020 seine Arbeit aufnehmen wird.<br />

In <strong>der</strong> von <strong>der</strong> Leibniz Gemeinschaft geför<strong>der</strong>ten Forschungskooperation<br />

soll untersucht werden, wie Menschen durch<br />

verschiedene Praktiken mit ihrer materiellen Umwelt verflochten<br />

sind und welche Auswirkungen dies auf die Entstehung<br />

und Verän<strong>der</strong>ung sozialer Institutionen hat. Gemeinsam<br />

mit Forscherinnen und Forschern aus den Natur-,<br />

Wirtschafts-, Ingenieur- und Geisteswissenschaften wird<br />

FernUni-Soziologe Prof. Dr. Frank Hillebrandt dabei schwerpunktmäßig<br />

den Einfluss des Steinkohlenbergbaus und seiner<br />

Beendigung auf die gesellschaftliche Entwicklung des Ruhrgebiets<br />

in den Blick nehmen. ReForm bringt Forscherinnen<br />

und Forscher des Deutschen Bergbau-Museums Bochum<br />

(Foto), <strong>der</strong> Ruhr-Universität Bochum, <strong>der</strong> Technischen Hochschule<br />

Georg Agricola, <strong>der</strong> Stiftung Geschichte des Ruhrgebiets<br />

und <strong>der</strong> <strong>FernUniversität</strong> in Hagen zusammen. SD


Forschungsschwerpunkte<br />

an <strong>der</strong> FernUni<br />

Die <strong>FernUniversität</strong> bündelt profilbildende<br />

Forschungsaktivitäten in<br />

drei Schwerpunkten, in denen Wissenschaftlerinnen<br />

und Wissenschaftler<br />

über die Grenzen ihrer jeweiligen<br />

Fächer und Fakultäten hinweg zusammenarbeiten.<br />

So vernetzen sich<br />

verschiedene wissenschaftliche<br />

Disziplinen <strong>der</strong> <strong>FernUniversität</strong>, um<br />

übergreifende Fragestellungen interdisziplinär<br />

zu bearbeiten. Eine solche<br />

Forschungsinfrastruktur konzentriert<br />

Wissen sowie Ressourcen und ermöglicht<br />

es, innovative, komplexe und<br />

langfristig konzipierte Forschungsvorhaben<br />

umzusetzen <strong>–</strong> auch in<br />

Kooperation mit externer Expertise.<br />

Im Forschungsschwerpunkt (FSP)<br />

D²L² entwickeln die Wissenschaftlerinnen<br />

und Wissenschaftler Strategien<br />

für den Umgang mit dem digitalen<br />

Wandel, <strong>der</strong> sich auch auf die<br />

Hochschulbildung auswirkt. Ziel des<br />

FSP Energie, Umwelt & Nachhaltigkeit<br />

ist es, politische, ökonomische,<br />

gesellschaftliche und technologische<br />

Dimensionen <strong>der</strong> drei Themenfel<strong>der</strong><br />

zu analysieren. Um den Prozess <strong>der</strong><br />

Digitalisierung selbst und die Konsequenzen<br />

daraus geht es im FSP<br />

digitale_kultur.<br />

aw<br />

Mehr Informationen:<br />

www.fernuni.de/fsp


Forschungsschwerpunkte 25<br />

D 2 L 2<br />

Digitalisierung, Diversität und Lebenslanges Lernen.<br />

Konsequenzen für die Hochschulbildung<br />

Der Forschungsschwerpunkt widmet sich <strong>der</strong> Frage, welche<br />

Möglichkeiten und Notwendigkeiten sich für Hochschulen<br />

aus den großen Trends unserer Zeit ergeben: eine zunehmende<br />

Digitalisierung sehr vieler Lebensbereiche, eine<br />

zunehmende Diversität in <strong>der</strong> Gesellschaft und ein stetig<br />

wachsen<strong>der</strong> Bedarf an lebenslanger Bildung und Weiterbildung.<br />

Die Institution Hochschule wird sich anpassen<br />

müssen, um daraus resultierenden geän<strong>der</strong>ten Rahmenbedingungen<br />

und Wirkmechanismen gerecht zu werden.<br />

Wissenschaftliches Ziel des Forschungsschwerpunkts ist es,<br />

Diversität in Bezug auf die ganze Bandbreite an bildungsrelevanten<br />

Variablen zu charakterisieren. Dazu gehört neben<br />

soziodemografischen Komponenten wie dem individuellen<br />

Vorwissen, <strong>der</strong> Fähigkeit zur Selbststeuerung und Selbstkontrolle<br />

auch die Frage, wie divers eine Gruppe optimalerweise<br />

aufgestellt sein muss. Darüber hinaus soll die theoriebasierte<br />

Forschung vorangetrieben werden: Wie können<br />

digitale Technologien eingesetzt werden, um in personalisierten<br />

Lehr-/Lernszenarien adaptiv auf eine zunehmende<br />

Diversität <strong>der</strong> Studierenden zu reagieren?<br />

Am interdisziplinären Forschungsschwerpunkt D²L² sind<br />

Professorinnen und Professoren aller Fakultäten <strong>der</strong> Fern-<br />

Universität und ein großes Nachwuchsteam beteiligt.<br />

Kooperationen, unter an<strong>der</strong>em mit dem Deutschen Forschungszentrum<br />

für Künstliche Intelligenz, <strong>der</strong> Humboldt-<br />

Universität zu Berlin, dem Alexan<strong>der</strong> von Humboldt Institut<br />

für Internet und Gesellschaft o<strong>der</strong> dem Deutschen Institut<br />

für Erwachsenenbildung <strong>–</strong> Leibniz-Zentrum für Lebenslanges<br />

Lernen, stellen eine breite wissenschaftliche Basis und<br />

Vernetzung sicher.


26<br />

EUN<br />

Energie, Umwelt & Nachhaltigkeit<br />

Der Klimawandel mit seinen spürbaren Auswirkungen<br />

durch Trockenheit, Waldbrände und Stürme stellt Wissenschaft,<br />

Wirtschaft, Politik und Gesellschaft vor gewaltige<br />

Herausfor<strong>der</strong>ungen. Um zukunftsfähige und nachhaltige<br />

Lösungsmodelle zu entwickeln, bündelt <strong>der</strong> Forschungsschwerpunkt<br />

die vielseitigen Forschungsaktivitäten an <strong>der</strong><br />

<strong>FernUniversität</strong> zu den Themenfel<strong>der</strong>n Energie, Umwelt<br />

und Nachhaltigkeit. Die beteiligten Wissenschaftlerinnen<br />

und Wissenschaftler arbeiten alleine mit ihren Teams o<strong>der</strong><br />

zusammen mit Kolleginnen und Kollegen in fach- und<br />

fakultätsübergreifenden Gruppen.<br />

Im Mittelpunkt des Forschungsinteresses stehen politische,<br />

ökonomische, gesellschaftliche und technologische Dimensionen<br />

des Energie- und Umweltsektors mit ihren gegenseitigen<br />

Abhängigkeiten sowie Ansätze und Auswirkungen<br />

<strong>der</strong> Energie- und Umweltpolitik. Die interdisziplinäre Spannweite<br />

<strong>der</strong> Forschungsperspektiven reicht von betriebs- und<br />

volkswirtschaftlichen Ansätzen über politik-, sozial- und<br />

rechtswissenschaftliche Fragestellungen bis hin zu technologischen<br />

Komponenten.<br />

Ein interdisziplinäres Forschungsteam befasst sich mit <strong>der</strong><br />

Entwicklung eines neuartigen dynamischen Routingsystems<br />

zur Verkehrssteuerung, das aktuelle und effiziente Routenund<br />

Fahrzeitempfehlungen gibt. Eine weitere Gruppe<br />

beschäftigt sich damit, wie Unternehmen ihre Produktionsabläufe<br />

so gestalten können, dass sie auf sich schnell<br />

än<strong>der</strong>nde Energiepreise reagieren können.


Forschungsschwerpunkte 27<br />

d_k<br />

digitale_kultur<br />

<strong>Das</strong> Digitale und die Digitalisierung greifen tief in das<br />

Selbstverständnis <strong>der</strong> Kulturen und die Gesellschaften <strong>der</strong><br />

Gegenwart ein und verän<strong>der</strong>n diese nachhaltig. Der damit<br />

einhergehende Wandel <strong>der</strong> technologiegetriebenen Innovationen<br />

ist <strong>der</strong>art umfassend und komplex, dass er die<br />

Menschen auch dort betrifft, wo sie nicht direkt mit technischen<br />

Artefakten umgehen, weil es sich um einen Wandel<br />

<strong>der</strong> Kultur selbst handelt <strong>–</strong> eine digitale Kultur. Dabei<br />

sind Ausmaß, Dramatik und Reichweite des Umbruchs bisher<br />

kaum abzuschätzen.<br />

Die Kultur- und Sozialwissenschaften können gemeinsam<br />

mit <strong>der</strong> Informatik dazu beitragen, lesbar und handhabbar<br />

zu machen, was unser Zusammenleben transformiert. Sie<br />

sind daher gefor<strong>der</strong>t, den Wandel, den die digitalen Kulturen<br />

und Gesellschaften mit sich bringen, zu sichten, zu reflektieren,<br />

wissenschaftlich zu erschließen und kritisch zu<br />

begleiten.<br />

Als Wissenschaften sind sie jedoch selbst jenem Wandel<br />

unterworfen und ihre Gegenstände und Methoden verän<strong>der</strong>n<br />

sich. Dies wird unter den Begriff Digital Humanities<br />

gefasst. Der Prozess soll im Rahmen des Forschungsschwer<br />

punktes digitale_kultur somit in zwei Richtungen<br />

verfolgt werden: zum einen in Bezug auf die soziale Wirklichkeit<br />

und zum an<strong>der</strong>en in Bezug auf die wissenschaftsinternen<br />

Verän<strong>der</strong>ungen. Diese enge Verzahnung von Kulturreflexion<br />

und Digital Humanities zeichnet den<br />

Forschungsschwerpunkt aus.


28<br />

Der Küchenmixer läuft nicht mehr.<br />

Zum Glück gibt es Repair-Cafés<br />

wie die Wie<strong>der</strong>herstell-Bar in Hagen.<br />

Frank kennt sich mit Elektrogeräten aus<br />

und hilft an<strong>der</strong>en dabei, sie zu reparieren.


Nah und fern 29<br />

nah<br />

<strong>Das</strong> ist oft gar nicht so schwer,<br />

wie man denkt.<br />

Der Mixer läuft wie<strong>der</strong>.<br />

Also: Lieber Hand anlegen,<br />

statt aus <strong>der</strong> Hand geben …


… denn Geräte wegzuwerfen,<br />

macht ziemlich viel Müll.


30<br />

fern<br />

Bundesweit fallen im Durchschnitt<br />

22 Kilogramm Elektroschrott pro Person<br />

im Jahr an.


Nah und fern 31<br />

Wenn schon wegschmeißen <strong>–</strong><br />

dann zumindest richtig.<br />

Wertstoffhöfe wie an <strong>der</strong> Müllverbrennungs<br />

anlage in Hagen kümmern sich um<br />

die richtige Entsorgung und Verwertung<br />

von Elektroschrott.


Mixer und Co sind kleine Rohstofflager.<br />

Sie enthalten oft wertvolle Metalle,<br />

die wie<strong>der</strong>verwendet werden können.<br />

www.fernuni.de/nahundfern<br />

Die <strong>FernUniversität</strong> forscht zum<br />

Thema Nachhaltigkeit in ihrem<br />

Forschungsschwerpunkt Energie,<br />

Umwelt, Nachhaltigkeit:<br />

www.fernuni.de/eun


32<br />

Ich bin:<br />

Soziologin und seit April 2020 Professorin für Mikrosoziologie<br />

(Ernsting’s family-Stiftungsprofessur)<br />

Daran forsche ich:<br />

Die Mikrosoziologie befasst sich mit den „kleinen sozialen<br />

Einheiten“ wie Paar- und Familienbeziehungen,<br />

Verwandtschafts- und Freundschaftsbeziehungen,<br />

Interaktionen im Berufsleben, sozialen Kleingruppen<br />

allgemein o<strong>der</strong> dem Individuum. Es geht um Sozialität,<br />

personale Identität, Biografie, Lebenslauf und Lebensalter,<br />

Jugend und Erwachsenwerden. Ganz beson<strong>der</strong>s<br />

wichtig sind für mich auch Fragen rund um den Kin<strong>der</strong>schutz:<br />

Wie etwa kann die Zusammenarbeit verschiedener<br />

Professionen in diesem Bereich weiter verbessert<br />

werden?<br />

Prof. Dr.<br />

Dorett Funcke<br />

Eine wichtige Rolle spielt das Promotionskolleg „Familie<br />

im Wandel. Diskontinuität, Tradition und Strukturbildung“,<br />

das ich leite. Interessante Informationen zu<br />

gesellschaftlichen Fragestellungen <strong>–</strong> auch zu unseren<br />

eigenen Forschungen <strong>–</strong> vermittelt unsere Vortragsund<br />

Seminarreihe BürgerUni Coesfeld wissenschaftlich<br />

interessierten Bürgerinnen und Bürgern.<br />

Ich bin:<br />

Japanologe und Jurist, gebürtig aus <strong>der</strong> Pfalz, in Leipzig<br />

groß geworden und seit September 2020 Juniorprofessor<br />

für Japanisches Recht an <strong>der</strong> <strong>FernUniversität</strong>.<br />

Jun.-Prof. Dr.<br />

Julius Weitzdörfer<br />

Daran forsche ich:<br />

Mich beschäftigt die Frage, wie das Recht mit den<br />

technischen und ökologischen Transformationsprozessen<br />

des 21. Jahrhun<strong>der</strong>ts umgeht. Japan ist dafür ein spannendes<br />

Forschungsfeld, weil dort bestimmte technologische<br />

Umbrüche früher passieren. Von <strong>der</strong> Robotik über<br />

Wasserstoffmotoren bis zu Mikrochips bleibt Japan<br />

Spitzenreiter in Spezialtechnologien, die hier wie dort<br />

in rechtliche Bahnen gelenkt werden müssen und unzählige<br />

Rechtsbeziehungen zu deutschen Unternehmen<br />

betreffen. Doch mit technischer Entwicklung geht oft<br />

auch ökologischer Wandel einher. Der Reaktorunfall in<br />

Fukushima erfor<strong>der</strong>te rechtliche, wirtschaftliche und<br />

politische Lösungen, aus denen wir fundamental und<br />

global für die Krisenbewältigung lernen können. Ich<br />

möchte mich Fragen im Spannungsfeld zwischen Risikoregulierung,<br />

Technologiepolitik und Umweltrecht widmen.


Neu an <strong>der</strong> FernUni 33<br />

Ich bin:<br />

Wirtschaftsingenieur, 39 Jahre alt und seit Oktober<br />

2019 Professor für Betriebswirtschaftslehre, insbeson<strong>der</strong>e<br />

Produktion und Logistik. Gebürtig stamme ich<br />

aus Espelkamp in Ostwestfalen-Lippe (NRW).<br />

Daran forsche ich:<br />

Ich arbeite an <strong>der</strong> Schnittstelle zwischen Produktionsund<br />

Logistikmanagement sowie Nachhaltigkeitsmanagement.<br />

Im Mittelpunkt stehen folgende Fragen: Welche<br />

ökologischen und sozialen Konsequenzen haben Entscheidungen<br />

etwa zur Gestaltung von Produktionsnetzwerken,<br />

die aus ökonomischer Sicht vorteilhaft<br />

erscheinen? Und wie kann <strong>der</strong> ökonomische Erfolg<br />

solcher Entscheidungen sichergestellt werden, die ökologisch<br />

und sozial zu präferieren sind? Zur Beantwortung<br />

dieser Fragestellungen entwickle ich quantitative<br />

Methoden und Modelle. Von beson<strong>der</strong>em Interesse<br />

sind für mich globale Herausfor<strong>der</strong>ungen wie die<br />

Reduktion von Treibhausgasemissionen sowie von<br />

Energie- und Ressourcenverbrauch, z. B. im Anwendungsfeld<br />

Elektromobilität. Ich arbeite gerne abseits<br />

starrer Fächergrenzen. Deshalb beteilige ich mich mit<br />

großer Freude am Forschungsschwerpunkt „Energie,<br />

Umwelt und Nachhaltigkeit“ <strong>der</strong> <strong>FernUniversität</strong>.<br />

Prof. Dr.<br />

Karsten Kieckhäfer<br />

Ich bin:<br />

Seit 2020 Professor im Lehrgebiet „Allgemeine Psychologie:<br />

Urteilen, Entscheiden, Handeln“. Als Psychologe<br />

und Biologe interessiere ich mich für die Schnittstelle<br />

zwischen Kognition und Neurowissenschaften.<br />

Daran forsche ich:<br />

Mich fasziniert, wie Wahrnehmen, Entscheiden und<br />

Handeln miteinan<strong>der</strong> verwoben sind. Mein Interesse<br />

lässt sich dabei in drei Teile glie<strong>der</strong>n: Erstens untersuche<br />

ich Entscheidungskonflikte beim gemeinsamen Handeln<br />

<strong>–</strong> sowohl von Menschen untereinan<strong>der</strong> als auch<br />

zwischen Menschen und Maschinen (z. B. Robotern).<br />

Zweitens forsche ich zu Ich-Bewusstsein und multisensorischer<br />

Integration. Hier geht es etwa um Störungen<br />

<strong>der</strong> eigenen Körperwahrnehmung. Unser Körper-Ich<br />

verän<strong>der</strong>t sich durch den aktiven Umgang mit technischen<br />

Geräten und ist wahrscheinlich nicht stabil.<br />

Drittens unter suche ich die verkörperte Wahrnehmung<br />

(Embodied Cognition) in Multitasking-Situationen, in<br />

denen wir mit multiplen Reizen und Handlungsoptionen<br />

konfrontiert sind. Mich interessiert dabei, ob Verän<strong>der</strong>ungen<br />

von Körperzuständen auch höhere kognitive<br />

Prozesse beeinflussen können.<br />

Prof. Dr.<br />

Roman Liepelt


34 Neu an <strong>der</strong> FernUni<br />

Ich bin:<br />

Professor für Umweltwissenschaften in <strong>der</strong> FernUni-<br />

Fakultät für Kultur- und Sozialwissenschaften.<br />

Prof. Dr.<br />

Görge Deerberg<br />

Daran forsche ich:<br />

Wie müssen umweltwissenschaftliche Forschungsfel<strong>der</strong><br />

in zehn o<strong>der</strong> 15 Jahren organisiert sein, um ökologische<br />

Probleme lösen zu können? Um Antworten hierfür zu<br />

finden, haben die <strong>FernUniversität</strong> und das Fraunhofer-<br />

Institut UMSICHT in Oberhausen meine Professur eingerichtet.<br />

Im Institut, dessen stellvertreten<strong>der</strong> Leiter ich<br />

bin, stellen wir häufig fest, dass umwelt- und energietechnische<br />

Probleme nicht immer alleine durch Technik<br />

gelöst werden können, gerade bei Umweltthemen<br />

müssen oft an<strong>der</strong>e Disziplinen einbezogen werden.<br />

Daher befindet sich mein Lehrgebiet in einem kulturund<br />

sozialwissenschaftlichen Umfeld. Mit vielen fachlich<br />

kompetenten Personen in <strong>der</strong> <strong>FernUniversität</strong> stehe<br />

ich als Mitglied <strong>der</strong> wissenschaftlichen Leitung unseres<br />

gemeinsamen Weiterbildungsangebots infernum bereits<br />

in engem Kontakt <strong>–</strong> das kann uns in Forschung<br />

und Lehre nützlich sein.<br />

Ich bin:<br />

Volkswirt, gebürtig aus Wien, in Hamburg aufgewachsen<br />

und seit März 2020 Professor für Angewandte Statistik<br />

an <strong>der</strong> <strong>FernUniversität</strong>.<br />

Prof. Dr.<br />

Robinson Kruse-Becher<br />

Daran forsche ich:<br />

Meine vorwiegenden Forschungsinteressen sind angewandte<br />

Zeitreihenanalyse und Finanzmarktökonometrie<br />

mit Schwerpunkten im Bereich <strong>der</strong> Prognose. Ich habe<br />

mich unter an<strong>der</strong>em mit spekulativen Blasen in <strong>der</strong> Finanzkrise<br />

beschäftigt und in dem Zusammenhang die<br />

Determinanten <strong>der</strong> Ölpreisrally Mitte <strong>der</strong> 2000er Jahre<br />

untersucht. Mit langjährigen Ko-Autoren habe ich neue<br />

Verfahren entwickelt, um makroökonomische Prognosen<br />

von Experten und Maschinen valide miteinan<strong>der</strong> vergleichen<br />

zu können. An <strong>der</strong> FernUni interessiert mich<br />

beson<strong>der</strong>s die Anbindung an den Forschungsschwerpunkt<br />

Energie, Umwelt und Nachhaltigkeit. Als ein<br />

nächstes Forschungsvorhaben könnte ich mir hier gut<br />

eine Untersuchung im Bereich des Emissionshandels<br />

vorstellen <strong>–</strong> zum Beispiel zur Modellierung und Vorhersage<br />

von CO 2<br />

-Emissionen und Markterwartungen und<br />

Risikoprämien im CO 2<br />

-Zertifikatehandel.


Screen 35<br />

Ich bin:<br />

Seit Oktober 2020 Professorin für Mediendidaktik an<br />

<strong>der</strong> <strong>FernUniversität</strong>.<br />

Daran forsche ich:<br />

In meinen aktuellen BMBF-geför<strong>der</strong>ten Forschungsprojekten<br />

gehe ich vor allem Fragen von Medienbildung als<br />

Datenbildung und -kritik nach. Dazu zählen das „All is<br />

data (Aid)“-Projekt im schulischen Kontext, aber auch die<br />

Forschungsprojekte „DocTalk“ sowie <strong>der</strong> „WerteRadar“<br />

in <strong>der</strong> beruflichen Erwachsenen- und Weiterbildung.<br />

Darin verfolge ich Fragestellungen an <strong>der</strong> Schnittstelle<br />

von Medienpädagogik, -didaktik und Informatik, die es<br />

mit Mitteln qualitativer Sozialforschung zu beantworten<br />

gilt. Denn technisch erzeugte Daten ziehen viele Anfor<strong>der</strong>ungen<br />

an Subjekte nach sich. Mich interessiert, wie<br />

Menschen mit diesen Anfor<strong>der</strong>ungen in unterschiedlichen<br />

Kontexten umgehen.<br />

Konkreten Gestaltungsanfor<strong>der</strong>ungen gilt es auch institutionell<br />

zu begegnen, etwa durch neue Angebote o<strong>der</strong><br />

Durchlässigkeit zwischen Bildungsinstitutionen. Auch deswegen<br />

arbeite ich an <strong>der</strong> Weiterentwicklung <strong>der</strong> Mediendidaktik<br />

und möchte künftig vermehrt hinter Lerngewohnheiten<br />

und -routinen blicken o<strong>der</strong> biografische Übergänge<br />

zwischen Bildungsinstitutionen genauer fokussieren.<br />

Prof. Dr.<br />

Sandra Hofhues<br />

»Die Beson<strong>der</strong>heit ist das<br />

Zusammenspiel von Videos<br />

und Lehrtexten«<br />

Bildungswissenschaftlerin<br />

Dr. Lena Rosenkranz über<br />

das intermediale Projekt<br />

„Meet and Read Experts“<br />

Reinschauen:<br />

https://youtu.be/BI_3RnBmL34<br />

Was ist Beratungsforschung? Mit welchem Text informiere ich mich am besten<br />

über Gen<strong>der</strong>forschung? Und mit welchen Methoden arbeitet die Demokratieforschung?<br />

Im Lehrvideoportal für Erziehungs- und Bildungswissenschaft erklären<br />

Professorinnen und Professoren unterschiedlicher Universitäten zentrale Begriffe<br />

und Fragen ihres Fachs. „Die Beson<strong>der</strong>heit ist dabei das Zusammenspiel von<br />

Videos und einschlägigen Texten“, erklärt Dr. Lena Rosenkranz. Die Wissenschaftliche<br />

Mitarbeiterin baut das Portal mit Prof. Dr. Julia Schütz, Nora Berner<br />

(Lehrgebiet Empirische Bildungsforschung) und dem Zentrum für Medien und IT<br />

(ZMI) weiter aus. Die Verbindung zwischen Text und Lehrvideo wird auch in einem<br />

Studienbrief aufgegriffen, <strong>der</strong> zukünftig in <strong>der</strong> Eingangsphase des Bachelorstudiengangs<br />

Bildungswissenschaft eingesetzt wird. Videos und zusätzliche Infor mationen,<br />

wie zum Beispiel Textverweise, stehen auch auf <strong>der</strong> Homepage des Zentrums für<br />

pädagogische Berufsgruppen- und Organisationsforschung (ZeBO Hagen) bereit.


36 Screen<br />

»Interessantes, Skurriles und Virtuelles<br />

aus Psychologie und Gesellschaft«<br />

Ganz nach dem Prinzip „Nice-To-Know“ weist Dr. Horst Heidbrink<br />

auf Lesenswertes aus <strong>der</strong> Netzwelt hin <strong>–</strong> mal ernst, mal augenzwinkernd,<br />

aber immer in hoher Taktung. Thematisch feuert <strong>der</strong><br />

FernUni-Psychologe dabei eine volle Breitseite ab. Egal ob Technik,<br />

Bildung, Kultur, Politik o<strong>der</strong> Biologie: Heidbrink behält alles im<br />

Blick. Wer darüber auf dem Laufenden bleiben möchte, was in<br />

Wissenschaft und Gesellschaft passiert, sollte ihm bei Twitter folgen.<br />

Dr. Horst Heidbrink, FernUni-Lehrbeauftragter,<br />

über seinen Twitter-Channel @psychmac<br />

Reinlesen:<br />

twitter.com/psychmac<br />

»Nachhaltig sichtbare Projekte<br />

und Ergebnisse aus Wissenschaft<br />

und Forschung«<br />

Den Digitaltag 2020 verpasst o<strong>der</strong> Interesse an den Forschungsmethoden des<br />

Instituts für Geschichte und Biographie? Ob kurzer Bericht, Tagungsdokumentation<br />

o<strong>der</strong> Interview mit einer Expertin o<strong>der</strong> einem Experten <strong>–</strong> die <strong>FernUniversität</strong><br />

macht ihre Forschung auch per Video sichtbar. Die Digitalen Medien Services<br />

am Zentrum für Medien und IT produzieren unterschiedlichste Videos rund um<br />

Workshops, Tagungen, Vorträge, Diskussionen und Forschungsvorhaben. So stehen<br />

sie einem breiten (Fach-)Publikum auch anschließend je<strong>der</strong>zeit zur Verfügung.<br />

Axel Nattland,<br />

Leiter „Digitale Medien Services“<br />

am Zentrum für Medien und IT<br />

Reinschauen:<br />

www.fernuni.de/wissenschaftsvideos<br />

»Auch hier kann sein,<br />

dass ich österreichisch<br />

zwitschere«<br />

FernUni-Rektorin Ada Pellert<br />

bei ihrem erfolgreichen Start<br />

auf Twitter<br />

Reinlesen:<br />

twitter.com/ada_pellert<br />

Als Prof. Dr. Ada Pellert Ende September ihre erste Nachricht auf Twitter veröffentlicht,<br />

trifft sie einen Nerv: Rund 2.000 Personen und Institutionen folgen ihr<br />

bereits am ersten Tag und freuen sich auf Neuigkeiten und den Austausch mit<br />

<strong>der</strong> Rektorin <strong>der</strong> <strong>FernUniversität</strong>. Updates gibt es reichlich <strong>–</strong> über #Bildungspolitik,<br />

#Digitalisierung und natürlich über das Hagener Manifest zu #NewLearning.<br />

Und als sie kurz nach dem Start ein Nutzer fragt „Twittern Sie selbst?“, antwortet<br />

Pellert schlagfertig: „Ja, das mache ich. Mal sehen, wie es läuft.“


Wie Corona<br />

unser Miteinan<strong>der</strong><br />

verän<strong>der</strong>t<br />

Kontakt, Nähe, Abstand? Der Umgang miteinan<strong>der</strong><br />

fühlt sich an<strong>der</strong>s an: Bürogemeinschaften lösen sich<br />

auf, einige soziale Normen sind abgeschafft, Mimik<br />

verschwindet aus dem Alltag. Verbindlichkeit und<br />

persönlicher Austausch steigen in <strong>der</strong> Wertschätzung.<br />

Die Lust am Lockeren nimmt ab. Was die Pandemie<br />

langfristig mit uns macht, muss sich zeigen.<br />

An <strong>der</strong> <strong>FernUniversität</strong> forschen verschiedene Disziplinen<br />

zu Aspekten <strong>der</strong> Corona-Krise. aw/sam<br />

www.fernuni.de/coronaforschung


38<br />

Was lehrt uns die Pandemie für<br />

die Zukunft? Was kann die<br />

Wissenschaft zur Analyse von<br />

Pandemien beitragen?<br />

Fünf Forscherinnen und Forscher geben Antworten.<br />

»Wie<strong>der</strong>kehrende Probleme wie Pandemien<br />

haben Gesellschaften angeregt, neue Institutionen<br />

zu entwickeln, etwa Gesundheitssysteme. Die<br />

Corona- wurde mit <strong>der</strong> Klimakrise verglichen.<br />

Für letztere gibt es aber keinen Präzedenzfall.<br />

Neue politische Entscheidungsstrukturen, wie<br />

etwa citizensʼ assemblies, o<strong>der</strong> eine Verankerung<br />

von Klimaschutz in <strong>der</strong> Verfassung sind<br />

nötig. Auch für Pandemien ist vorausschauende<br />

Politik (durch Pandemiepläne) bedeutsam.<br />

Früh zeitige Reisebeschränkungen und Quarantänevorschriften<br />

Anfang des Jahres hätten<br />

die glo bale Ausweitung von SARS-CoV-2 evtl.<br />

verhin<strong>der</strong>n können.«<br />

Prof. Dr. Robert Schmidt<br />

Mikroökonomie<br />

»Die Psychologie beschäftigt sich schon seit<br />

Langem mit den Reaktionen von Menschen auf<br />

gesundheitliche Bedrohungen. Es stellen sich<br />

viele wichtige Fragen zur SARS-CoV-2-Pandemie<br />

wie etwa: Wie interpretieren wir statistische<br />

Informationen über die Verbreitung des Virus?<br />

Welche Persönlichkeitsmerkmale erleichtern<br />

die Einhaltung von Schutzmaßnahmen? O<strong>der</strong><br />

welche therapeutischen Maßnahmen können<br />

Angst, Wut und dem Gefühl von Isolation entgegenwirken?<br />

Hier leistet das psychologische<br />

Theorie- und Methodenwissen aktuell wichtige<br />

Beiträge zu ihrer Beantwortung.«<br />

Prof. Dr. Christel Salewski<br />

Gesundheitspsychologie


Spektrum 39<br />

»Natürlich sind die Kultur- und Medienwissenschaften nicht dafür zuständig,<br />

Pandemien einzudämmen o<strong>der</strong> ihnen vorzubeugen. Aber eine<br />

Pandemie ist nicht einfach ein Naturphänomen, vielmehr wird sie immer<br />

auch durch unsere Medienkultur hervorgebracht und interpretiert.<br />

Nur unsere Disziplinen sind in <strong>der</strong> Lage zu analysieren, was die Pandemie<br />

für uns <strong>–</strong> für unsere Kultur o<strong>der</strong> für unsere Zivilisation <strong>–</strong> ist und<br />

wie sie sie verän<strong>der</strong>t. Wer die Medien und ihr Verhältnis zum Staat in<br />

einem solchen Ausnahmezustand nicht beobachtet, versteht nicht, was<br />

vorgeht und was schiefgeht (warum es zum Beispiel zu Verschwörungstheorien<br />

kommt). Eine Lehre, die aus <strong>der</strong> Corona-Krise zu ziehen wäre,<br />

ist, dass den Kultur- und Medienwissenschaften ein größerer Stellenwert<br />

eingeräumt werden müsste.«<br />

Prof. Dr. Michael Niehaus<br />

Neuere deutsche Literaturwissenschaft und Medienästhetik<br />

»Die Bekämpfung <strong>der</strong> Corona-Pandemie ist eine<br />

Bewährungsprobe für unseren Rechtsstaat. Die<br />

Entscheidungsträgerinnen und -träger in Bund<br />

und Län<strong>der</strong>n stehen vor <strong>der</strong> Heraus for<strong>der</strong>ung,<br />

den Schutz <strong>der</strong> Gesundheit und die Gewährleistung<br />

<strong>der</strong> individuellen Freiheit ge gen einan<strong>der</strong><br />

abzuwägen und zu einem Ausgleich zu<br />

bringen. Den Gerichten kommt die Aufgabe zu,<br />

über die Wahrung <strong>der</strong> Grundrechte zu wachen.<br />

Die Rechtswissenschaft begleitet die Arbeit <strong>der</strong><br />

Legislative, Exekutive und Judikative kritisch<br />

und hilft so mit, rechts staatskonforme Rahmenbedingungen<br />

zu schaffen.«<br />

Prof. Dr. Andreas Haratsch<br />

Deutsches und Europäisches Verfassungs- und<br />

Verwaltungsrecht sowie Völkerrecht<br />

»Die Pandemie lehrt uns die Zerbrechlichkeit<br />

von alltäglicher Normalität, das Primat <strong>der</strong><br />

Vernunft und die Notwendigkeit friedlicher<br />

Auseinan<strong>der</strong>setzung mit Krisen. Sie hat auch<br />

gezeigt, dass in solchen Situationen nur interdisziplinär<br />

fundierte Entscheidungen gesellschaftlich<br />

tragfähig sind, woran sich auch<br />

Philosophinnen und Philosophen mit konstruktiven<br />

Ideen beteiligen sollten. Die Medizinethik<br />

kann die Pandemie zwar nicht eindämmen,<br />

aber zur Analyse und Beurteilung geeigneter<br />

Maßnahmen beitragen, etwa bei medizinischökonomischen<br />

Wertekonflikten.«<br />

Jun.-Prof. Dr. Orsolya Friedrich<br />

Medizinethik


40<br />

Schutzmaßnahmen gegen<br />

Covid-19: schnell, angemessen<br />

und gerichtsfest<br />

Angesichts <strong>der</strong> hohen Dynamik <strong>der</strong> Corona-Ausbreitung muss auch die Politik schnell<br />

angemessene Entscheidungen treffen, die gleichzeitig „gerichtsfest“ sind. Nach Ansicht<br />

<strong>der</strong> Staatsrechtlerin Prof. Dr. Andrea Edenharter hat sich die Politik vor allem zu Beginn <strong>der</strong><br />

Covid-19-Pandemie mit ihren Entscheidungen auf sehr dünnem Eis bewegt. Die Inhaberin<br />

des Lehrstuhls für Staats- und Verwaltungsrecht, Europarecht, Religionsverfassungsrecht<br />

und Rechtsvergleichung an <strong>der</strong> <strong>FernUniversität</strong> in Hagen arbeitet juristisch,<br />

nicht empirisch, macht also keine Umfragen, wertet keine Fragebögen aus, son<strong>der</strong>n<br />

sie analysiert Maßnahmen im Hinblick auf ihre Verfassungsmäßigkeit.<br />

Prof. Edenharter: Die Beschlüsse vom Juli zum Umgang<br />

mit regional begrenz ten Ausbruchsgeschehen sind ein sehr<br />

guter Ansatz, <strong>der</strong> dem Prinzip <strong>der</strong> Verhältnismäßigkeit<br />

besser Rechnung trägt als pauschale Maßnahmen. Ich denke<br />

schon, dass man bei Problemen in einem begrenzten Bereich,<br />

also etwa bei einem lokalen Ausbruch, nicht einen ganzen<br />

Land kreis, eine ganze Stadt, mit zum Beispiel einer Ausgangssperre<br />

belasten sollte. Aus juristischer Sicht ist es gegebenenfalls<br />

für eine kurze Zeit, einige wenige Tage etwa, zu verantworten,<br />

ein Stadtviertel o<strong>der</strong> einen Teil eines Kreises<br />

abzuschotten. Man muss allerdings sagen: Ganz zu Beginn<br />

eines Ausbruchs wird man noch nicht sagen können, wie<br />

begrenzt er ist. Ein, zwei, drei Tage lang kann es vielleicht<br />

sogar verhältnismäßig sein, einen vergleichsweise großen<br />

Bereich mit einer Ausgangs- und Kontaktsperre zu belegen.<br />

Aber dann muss man gleichzeitig testen, um festzustellen,<br />

wer betroffen ist und wer nicht. Und wenn man das weiß,<br />

auf die kleinteiligeren Maßnahmen zurückgreifen.<br />

Prof. Andrea Edenharter<br />

Frau Prof. Edenharter, die Zustimmung <strong>der</strong> Bevölkerung<br />

zu Corona-Schutzmaßnahmen sinkt. Ein Grund<br />

dafür ist wohl, dass sie vielen zu einschneidend sind.<br />

Wie sehen Sie als Staatsrechtlerin das?<br />

Gibt es eine „Hierarchie“ <strong>der</strong> Grundrechte?<br />

Im deutschen Verfassungsrecht gibt es keine Hierarchie<br />

von Grundrechten. Allerdings steht die Menschenwürde<br />

über allem. Grundrechte betreffende Entscheidungen können<br />

lediglich im Wege <strong>der</strong> Abwägung getroffen werden:<br />

Man muss in je<strong>der</strong> Situation die betroffenen Rechtsgüter<br />

und Grundrechte in einen angemessenen verhältnismäßigen<br />

Ausgleich bringen.<br />

Wie soll eine Richterin o<strong>der</strong> ein Richter entscheiden,<br />

was wichtiger ist?<br />

<strong>Das</strong> ist extrem schwierig, was man auch daran sieht, dass<br />

die verschiedenen angerufenen Gerichte teilweise zu unterschiedlichen<br />

Ergebnissen kommen. Es gibt nur ganz wenige


Spektrum 41<br />

eindeutige Situationen. So hat das Bundesverfassungsgericht<br />

nach einiger Zeit des Lockdowns gesagt, dass auf Dauer,<br />

insbeson<strong>der</strong>e vor dem Hintergrund sinken<strong>der</strong> Infektionszahlen,<br />

<strong>der</strong> Gesundheits-, Infektions- und Lebensschutz<br />

nicht mehr alles an<strong>der</strong>e über wiegen konnte. Ganz zu Beginn,<br />

als die Infektionszahlen sehr, sehr hoch waren, wurde<br />

natürlich <strong>der</strong> Lebens- und Gesundheitsschutz zu Recht<br />

höher bewertet als zum Beispiel die Öffnung von Restaurants.<br />

Aber auch hier mussten wirtschaftliche Gesichtspunkte<br />

stets mitberücksichtigt werden. Man muss also immer<br />

wie<strong>der</strong> neu abwägen und viele Aspekte beachten, insbeson<strong>der</strong>e<br />

auch Gleichheitsfragen: Während des Lockdowns<br />

durften Supermärkte öffnen und von Lebensmitteln über<br />

Waschmaschinen und Schlauchboote alles verkaufen,<br />

während etwa reine Elek tro märkte geschlossen bleiben<br />

mussten. <strong>Das</strong>s es hier zu einer nicht zu rechtfertigenden<br />

Ungleichbehandlung kam, hätten sowohl Politik als auch<br />

die Gerichte früher berücksichtigen müssen.<br />

In einer noch schwierigeren Situation sind ja wahrscheinlich<br />

die politischen Entscheidungsträgerinnen<br />

und -träger. Was soll man ihnen raten?<br />

Die rechtsstaatlichen Grundsätze müssen beachtet werden.<br />

In den meisten Fällen entsprachen die Entscheidungen auch<br />

den Vorgaben <strong>der</strong> jeweiligen Rechtsgrundlage. Teilweise<br />

wurden aber beispielsweise Allgemeinverfügungen erlassen,<br />

wo man eigentlich eine Rechtsverordnung hätte erlassen<br />

müssen.<br />

<br />

Da<br />

Mehr Informationen:<br />

www.fernuni.de/covidurteile<br />

Gibt es Hilfestellungen, wie lange eine „harte“<br />

Maßnahme rechtlich zulässig ist?<br />

Es gibt keine Schablone, die vorschreibt, wie in einer konkreten<br />

Situation zu entscheiden ist. Dabei ist zum Beispiel<br />

zu berücksichtigen, wie weit man mit dem Testen ist, was<br />

man über die Ausbreitung weiß und so weiter. Bei allen<br />

Entscheidungen werden aber auch die eigenen Erwägungen<br />

<strong>der</strong> Richterinnen und Richter eine Rolle spielen.


42<br />

Acht Mitglie<strong>der</strong> <strong>der</strong> Forschungsgruppe „Gen<strong>der</strong> Politics“ (v.li.): Carolin Rolf, Dr. Anja Böning, Dr. Nadine Nett, Prof. Dr. Andreas Mokros,<br />

Tillmann Nett, Dr. Maximilian Waldmann, Dr. Hendrik Sonnabend und Jun.-Prof. Dr. Irina Gradinari<br />

Gen<strong>der</strong>forschung deckt<br />

Leerstellen auf<br />

Geschlechterforschung sorgt für Wirbel <strong>–</strong> politisch, kulturell, wissenschaftlich. Jun.-Prof.<br />

Dr. Irina Gradinari spornt die Kontroverse an: „Wir sehen die Resonanz in <strong>der</strong> Öffentlichkeit.<br />

Sie ist symptomatisch dafür, dass wir an grundsätzlichen Problemen gerüttelt haben,<br />

die vorher unbemerkt waren.“<br />

An <strong>der</strong> <strong>FernUniversität</strong> in Hagen leitet die Juniorprofessorin<br />

für literatur- und medienwissenschaftliche Gen<strong>der</strong>forschung<br />

jetzt die neue interdisziplinäre Forschungsgruppe „Gen<strong>der</strong><br />

Politics“. Ihre Doktorandin Carolin Rolf koordiniert den<br />

Zusammenschluss. Auch sie ist sich <strong>der</strong> Sprengkraft ihres<br />

Fachs bewusst: „Gen<strong>der</strong> Studies können wehtun, weil sie<br />

Leerstellen offenbaren.“<br />

Die kritische Herangehensweise macht das Vorhaben umso<br />

attraktiver für die Forschenden <strong>der</strong> <strong>FernUniversität</strong>. So<br />

beteiligen sich an ihm bereits Mitglie<strong>der</strong> von zwölf Lehrgebieten<br />

aus vier Fakultäten. „Ich war am Anfang selbst<br />

überrascht, wie viele Leute an <strong>der</strong> <strong>FernUniversität</strong> zu Gen<strong>der</strong>fragen<br />

arbeiten“, sagt Rolf. In <strong>der</strong> Vielfalt liegt die Stärke<br />

<strong>der</strong> Gruppe: Auf die Schnittstelle zwischen Politik und Geschlechterfragen<br />

blickt sie juristisch, philosophisch, psychologisch,<br />

ökonomisch, historisch, politologisch, bildungs-,<br />

literatur- und medienwissenschaftlich. Entsprechend groß<br />

ist die Bandbreite ihrer Fragestellungen: Empirische Erhebungen<br />

zur Wahlbeteiligung von Frauen zählen ebenso<br />

dazu wie Analysen zum Hashtag-Aktivismus in sozialen<br />

Medien o<strong>der</strong> zu Online-Feminismus.<br />

„Wir bündeln die Kompetenzen an <strong>der</strong> <strong>FernUniversität</strong> und<br />

ermöglichen den Austausch, um daraus etwas Größeres<br />

zu entwickeln“, freut sich Irina Gradinari. Etappenziel ist es,


Spektrum 43<br />

ein antragsfähiges Projekt auf die Beine zu stellen. Die För<strong>der</strong>möglichkeiten<br />

in Nordrhein-Westfalen seien aussichtsreich,<br />

Kooperationen mit an<strong>der</strong>en Universitäten bereits auf<br />

den Weg gebracht. Bei <strong>der</strong> Ausrichtung von Tagungen,<br />

Vorträgen und an<strong>der</strong>en Treffen arbeitet die Forschungsgruppe<br />

zudem eng mit dem Team <strong>der</strong> Gleichstellung <strong>der</strong><br />

<strong>FernUniversität</strong> zusammen.<br />

Interesse bei Jüngeren<br />

Gen<strong>der</strong> Studies haben sich als starker Strang im mo<strong>der</strong>nen<br />

akademischen Denken etabliert. Wo anfangs vor allem<br />

Frauen den Erkenntnisgewinn „vom Rande her“ vorantrieben,<br />

herrscht inzwischen große methodische und theoretische<br />

Vielfalt. Zurzeit falle auf, dass sich beson<strong>der</strong>s junge Forschende<br />

für Gen<strong>der</strong>fragen interessieren, so Gradinari. Auch<br />

an <strong>der</strong> <strong>FernUniversität</strong> sei das spürbar: „Momentan findet<br />

ein großer Teil unserer Forschung im Mittelbau statt. Darüber<br />

freue ich mich <strong>–</strong> das heißt, die neue Generation kommt!“<br />

Entsprechend ernst nimmt die Forschungsgruppe auch<br />

ihre Aufgabe, den Nachwuchs zu för<strong>der</strong>n <strong>–</strong> zum Beispiel<br />

mit regelmäßigen Kolloquien.<br />

Auch aufseiten <strong>der</strong> Studierenden wächst das Interesse. Hierin<br />

sieht die Gruppe einen weiteren Kernauftrag: „Langfristig<br />

möchten wir ein interdisziplinäres Gen<strong>der</strong>-Modul entwickeln,<br />

das an allen unserer Fakultäten einsetzbar ist.“ Neue Erkenntnisse<br />

fließen auf diesem Weg direkt in die Lehre ein. „Wir<br />

wollen das Angebot dann Schritt für Schritt ausweiten“,<br />

stellt Gradinari in Aussicht.<br />

Relevant <strong>–</strong> gerade in <strong>der</strong> Krise!<br />

Allerdings wurde auch die Forschungsgruppe „Gen<strong>der</strong><br />

Politics“ von Corona zur Improvisation gezwungen: Viele<br />

Veranstaltungen und Arbeitstreffen verlagerten sich in den<br />

digitalen Raum. Ausbremsen lassen möchte sie sich durch<br />

die Corona-Maßnahmen jedoch nicht. Im Gegenteil: Die<br />

Krise habe erneut daran erinnert, wie politisch relevant<br />

Geschlechterfragen seien: „Im Lockdown hat es vor allem<br />

die Frauen getroffen: Sie haben nicht nur die meiste Arbeit<br />

in <strong>der</strong> Familie übernommen, auch Kündigungen waren<br />

unter Frauen beson<strong>der</strong>s häufig“, erklärt Gradinari. „Viele<br />

standen schon vorher in ungesicherten Arbeitsverhältnissen.“<br />

Gen<strong>der</strong>- ungleich Frauenforschung<br />

Dennoch unterstreichen die beiden Wissenschaftlerinnen,<br />

dass Gen<strong>der</strong>forschung nicht mit Frauenforschung gleichzusetzen<br />

ist. So leiden auch Männer unter bestehenden<br />

Ungleichheiten: „Wie sehr Kriminalität bei Männern verbreitet<br />

ist, zeigt zum Beispiel, unter welchem Druck sie stehen<br />

und in was für starken Gewaltverhältnissen sie leben“, so<br />

Gradinari. Zudem hat die Geschichte bewiesen, wie flexibel<br />

Geschlechtermodelle sind. Zum Beispiel konnten Männer im<br />

antiken Griechenland <strong>–</strong> im Gegensatz zu an<strong>der</strong>en Epochen <strong>–</strong><br />

offen gleichgeschlechtliche Verhältnisse ausleben, erklärt<br />

Carolin Rolf: „Kultur und Gesellschaft sind Konstrukte; und<br />

die verän<strong>der</strong>n sich mit dem Zeitgeist immer wie<strong>der</strong>.“ br<br />

Homepage <strong>der</strong><br />

Forschungsgruppe:<br />

www.fernuni.de/<br />

gen<strong>der</strong>-politics<br />

Jun.-Prof. Irina Gradinari (li.) leitet die<br />

Forschungsgruppe, die Koordination<br />

liegt bei Carolin Rolf.


44<br />

Spagat zwischen Beruf und<br />

Familie im 19. Jahrhun<strong>der</strong>t<br />

Wie können Arbeits- und Privatleben in Einklang gebracht werden? Welche Folgen<br />

hat es, wenn das Verhältnis zwischen beiden nicht ausgeglichen ist? Mit den historischen<br />

Entwicklungen auf diesem Gebiet befasste sich PD Dr. Eva Ochs vom Institut<br />

für Geschichte und Biographie <strong>der</strong> <strong>FernUniversität</strong> in Hagen in ihrem Habilitationsprojekt<br />

„Beruf als Berufung? Die Work-Life-Balance bürgerlicher Männer im 19. Jahrhun<strong>der</strong>t“.<br />

Wie gingen Männer damit um, dass ein neues Berufsethos und ein geän<strong>der</strong>tes<br />

Familien ideal an ihnen zerrten? Die Historikerin „begleitete“ bürgerliche<br />

Männer durch ihre Karriere und fragte, welchen Stellenwert die Familie dabei hatte.<br />

<strong>Das</strong> Verhältnis innerhalb von Familien, die dem aufstrebenden<br />

Bürgertum angehörten <strong>–</strong> also vor allem Unternehmer,<br />

höhere Beamte und freiberuflich Tätige <strong>–</strong>, verän<strong>der</strong>te sich<br />

seit dem letzten Drittel des 18. Jahrhun<strong>der</strong>ts: „Die patriarchalische<br />

Grundordnung mit dem ‚Hausvater‘, <strong>der</strong> über<br />

alle im Haus bestimmt, blieb zwar teilweise bestehen“,<br />

erläutert Eva Ochs. „Nun erfolgte aber eine Emotionalisierung,<br />

die den familiären Binnenraum gegen das Hausvater-<br />

Modell abgrenzte.“<br />

Der bürgerliche Ehemann und Vater sollte einerseits fürsorgliches<br />

Familienoberhaupt sein, er durfte in <strong>der</strong> Familie<br />

auch Gefühle zeigen. An<strong>der</strong>erseits musste er in <strong>der</strong> Berufswelt<br />

beim „harten Kampf ums Überleben“ seinen Mann<br />

stehen <strong>–</strong> mit Mut, Tatkraft, Vernunft o<strong>der</strong> Energie: „<strong>Das</strong><br />

führte zu inneren Spannungen.“ Demgegenüber wurden aus<br />

<strong>der</strong> physischen Konstitution <strong>der</strong> Frau, dem sogenannten<br />

„schwachen Geschlecht“, psychische Eigenschaften wie<br />

Hingebung, Fürsorge, Zuneigung o<strong>der</strong> Duldungsfähigkeit<br />

abgeleitet. Demnach könnten Frauen besser den Nachwuchs<br />

aufziehen. Und sie seien besser für Pflege- und Fürsorgeberufe<br />

geeignet.<br />

Werner von Siemens und seine Familie um 1876


Spektrum 45<br />

PD Eva Ochs<br />

Ein Schriftsteller in seinem Studierzimmer, 1890er Jahre<br />

„Natürlich gab es diese ‚Eigenschaften‘ auch schon früher,<br />

jetzt bemühte man sich erstmals um eine Systematisierung“,<br />

stellt Ochs fest. „Die geschlechtsspezifischen Zuschreibungen<br />

spielten im Bürgertum eine ganz große Rolle. <strong>Das</strong> ‚Erbe‘<br />

spürt man heute noch.“<br />

Erfolgreiche Männer<br />

keine „Pantoffelhelden“<br />

<strong>Das</strong> Bürgertum definierte sich durch Besitz bzw. Bildung.<br />

Daraus entwickelte es ein beson<strong>der</strong>es Leistungsethos, aus<br />

dem es Herrschaftsansprüche ableitete. „Dieses fast sakrale<br />

Arbeits- und Leistungsethos fand sich sogar auf Grabsteinen<br />

wie<strong>der</strong>, mit Inschriften wie ‚Rastlose Tätigkeit‘, ‚Nimmermüdes<br />

Tun‘ <strong>–</strong> das war als Norm gesetzt“, so Ochs. Dieses<br />

Ethos lastete beson<strong>der</strong>s auf den Männern. Viele fanden<br />

bei dem Spagat zwischen Berufsethos und Familienleben<br />

keine wirkliche Balance.<br />

So beklagte etwa <strong>der</strong> Soziologe und Nationalökonom Max<br />

Weber seine eingeengte Rolle und beneidete die Frauen<br />

um „ihr natürliches Gleichgewicht“ im Leben. Theodor<br />

Fontane lag wie viele mit seiner Frau im Dauerstreit darüber,<br />

wann er Zeit für seine Familie hätte. An<strong>der</strong>e meinten,<br />

dass ein beruflich erfolgreicher Mann kein „Pantoffelheld“<br />

sein könne o<strong>der</strong> bestanden darauf, dass <strong>der</strong> Bereich des<br />

Gefühls und <strong>der</strong> familiären Beziehungspflege eine Domäne<br />

<strong>der</strong> Frau bleiben müsse. Der Unternehmer Werner von Siemens<br />

fand es gut, dass Frauen den Männern den Rücken<br />

freihielten: „Im Haus soll die Frau gebieten, im Geschäft =<br />

Null sein, sonst ist es ein Pantoffelregiment, was we<strong>der</strong> ihr<br />

noch dem Manne Ehre macht.“ Neben dem Bedauern,<br />

wenig Zeit für die Familie zu haben, fand Ochs sogar Äußerungen,<br />

wonach <strong>der</strong> Beruf eine Entlastung sein könne.<br />

Etwa, wenn zu Hause alle krank waren und <strong>der</strong> Mann sich<br />

von dort zurückziehen konnte.<br />

(Aus-)Bildung formt Persönlichkeit<br />

Natürlich gab es auch vorher emotionale Wärme in <strong>der</strong><br />

Familie, jedoch wurde sie jetzt erstmals bewusst wahrgenommen<br />

und thematisiert: „Der Nachwuchs musste viel<br />

Aufmerksamkeit und Zuneigung erhalten, um die ganzen<br />

Leistungskriterien und Bildungswerte in ihn zu ‚verpflanzen‘.“<br />

Denn er konnte nicht <strong>–</strong> wie in Handwerksbetrieben <strong>–</strong> den<br />

bürgerlichen Vater nachahmen, <strong>der</strong> aushäusig arbeitete. In<br />

diesem Zusammenhang hatte Bildung einen hohen Stellenwert:<br />

Eine gute Ausbildung sollte auch bestimmte Werte<br />

vermitteln und die Persönlichkeit herausbilden. Da<br />

Die „Work-Life-Balance“<br />

bürgerlicher Männer im<br />

19. Jahrhun<strong>der</strong>t<br />

www.fernuni.de/<br />

buergertum


46<br />

Auch Franziska Krüger und ihr Partner<br />

müssen aushandeln, wie sie ihre Zeit<br />

zwischen Familie und Beruf aufteilen.<br />

Zurück zur familiären<br />

Bürgerlichkeit?<br />

Der Vater arbeitet im Homeoffice an seiner Karriere<br />

und die Mutter wird wie<strong>der</strong> zur Hausfrau, <strong>der</strong> die<br />

Familienarbeit überlassen wird… Stimmt es, dass sich<br />

bürgerliche Familienrollenmuster durch die Corona-<br />

Krise wie<strong>der</strong> verstärken? Gibt es dieses überkommene<br />

Modell heute überhaupt noch in nennens wertem<br />

Umfang?<br />

„Hier muss man differenzieren“, erläutert Franziska Krüger.<br />

„<strong>Das</strong> bürgerliche Modell ist ein ‚Idealbild‘ von Ehe und<br />

Familie und hat auch heute noch große Wertschätzung.<br />

Doch dafür, wie sich Paare arrangieren, wenn es tatsächlich<br />

um Erwerbs- und Familienarbeit geht, ist es keine Grundlage<br />

mehr.“ Franziska Krüger ist Promovendin am Promotionskolleg<br />

„Familie im Wandel. Diskontinuität, Tradition und<br />

Strukturbildung“ <strong>der</strong> Ernsting’s family Stiftungsprofessur<br />

für Mikrosoziologie <strong>der</strong> <strong>FernUniversität</strong> in Hagen. Dabei<br />

befasst sie sich nicht zuletzt mit <strong>der</strong> Frage, wie Paare die<br />

Vereinbarkeit von Familie und Beruf ausgestalten.<br />

Ideal <strong>der</strong> „bürgerlichen Familie“<br />

Historisch gesehen entsprach das bürgerliche Familienmodell<br />

seit <strong>der</strong> Industrialisierung auch dem Wunsch vieler<br />

nichtbürgerlicher Familien, aber keinesfalls <strong>der</strong>en Lebenswirklichkeit.<br />

Denn oftmals waren zwei Einkommen notwendig,<br />

um die Familie zu ernähren.<br />

Für die heutige Gesellschaft typisch ist die „mo<strong>der</strong>nisierte<br />

Versorgerehe“: Der Mann ist immer noch hauptverantwortlich<br />

für das Familieneinkommen, die Frau aber nicht<br />

mehr auf Haushalt und Kin<strong>der</strong>versorgung beschränkt.<br />

Son<strong>der</strong>n sie verdient in <strong>der</strong> Regel selbst Geld. Sobald jedoch<br />

Kin<strong>der</strong> geboren sind, schlägt das Pendel ein wenig<br />

zurück: Die Frau geht in Elternzeit, <strong>der</strong> Mann arbeitet weiter,<br />

vielleicht sogar mehr als vorher, weil er sich „oft verpflichtet<br />

fühlt, das Familienleben finanziell zu stabilisieren“,<br />

so Franziska Krüger. <strong>Das</strong> Elterngeld ist erheblich geringer<br />

als das Gehalt <strong>der</strong> Frau, die anschließend typischerweise in<br />

Teilzeit arbeitet. „Weil in vielen Unternehmen Arbeitsleistung<br />

immer noch sehr stark in Anwesenheit, also Arbeitszeit,<br />

gemessen wird, heißt das für den Mann: ‚Ich muss im<br />

Beruf anwesend sein, um meine Position zu sichern, Karriere<br />

zu machen und mehr zu verdienen.‘ Es ist also durchaus<br />

ein beruflicher Erwartungs druck da.“<br />

Franziska Krüger promoviert über die Vereinbarkeit<br />

von Familie und Beruf.


Spektrum 47<br />

Mehr Zeit für Kin<strong>der</strong>, nicht für Hausarbeit<br />

Geht es ebenso darum, <strong>der</strong> Familie auch einmal zu entfliehen?<br />

„Eine gewisse Vermeidung“ sieht Krüger durchaus,<br />

differenziert jedoch klar zwischen Fürsorge einer- und Hausarbeit<br />

an<strong>der</strong>erseits: „Viele ‚neue‘ Väter wollen sich mehr in<br />

<strong>der</strong> Erziehungsarbeit engagieren und deutlich mehr Zeit mit<br />

ihren Kin<strong>der</strong>n haben. Was sie eher nicht übernehmen wollen,<br />

ist die Hausarbeit.“ Berufsarbeit außer Haus kann dann<br />

unbewusst eine Flucht sein. Wer nicht zu Hause ist, macht<br />

auch nicht so viel im Haushalt. Krüger: „<strong>Das</strong> sieht man, wenn<br />

Paare ihre Arbeit organisieren und die Frau in Teilzeit arbeitet,<br />

was ja das häufigste Modell ist: Dann reduziert sich <strong>der</strong><br />

Anteil geleisteter Hausarbeit <strong>der</strong> Männer ganz drastisch.“<br />

Wobei die Frauen <strong>–</strong> von denen ja viele „für ihre Kin<strong>der</strong> da<br />

sein wollen“ <strong>–</strong> in <strong>der</strong> Bilanz nicht weniger arbeiten.<br />

Dazu, wer sich beim „Aushandeln“ <strong>der</strong> Arbeitsanteile durchsetzt,<br />

gibt es verschiedene Theorien. Eine besagt, dass<br />

rational nach Kosten und Nutzen entschieden und in die<br />

erfolgversprechen<strong>der</strong>e Karriere „investiert“ wird. Doch ist<br />

dies nach Krügers Erkenntnis eine „verkürzte“ Perspektive:<br />

Wenn Paare ihre Aufteilung <strong>der</strong> Arbeit begründen, wird<br />

oft <strong>der</strong> geringere Verdienst <strong>der</strong> Frau genannt. Hinter <strong>der</strong><br />

Entscheidung stehen aber normative Bil<strong>der</strong>, persönliche Erfahrungen,<br />

Sozialisation und Tradition. Häufig wägen Paare<br />

also keine Argumente ab, son<strong>der</strong>n fallen in traditionelle<br />

Rollenmuster. Gesellschaftliche Erwartungen <strong>–</strong> etwa, dass<br />

die Frau als Mutter emotional besser für die Kin<strong>der</strong>versorgung<br />

geeignet sei o<strong>der</strong> <strong>der</strong> Mann erwerbstätig zu sein<br />

habe <strong>–</strong> prägen unsere Überzeugungen und Vorstellungen.<br />

Probleme für immer mehr Paare<br />

Aufgrund <strong>der</strong> bei Frauen steigenden Qualifizierung gibt es<br />

auch immer mehr Paare, bei denen beide Karriere machen<br />

wollen. <strong>Das</strong> ist ein zweischneidiges Schwert, weil sie dann<br />

vielleicht doch eher <strong>–</strong> zumindest zunächst <strong>–</strong> auf Kin<strong>der</strong> verzichten,<br />

um erst einmal einige Karrieresprünge zu schaffen.<br />

Doch auch bei ihnen sind es dann sehr oft die Frauen, die<br />

als Mütter beruflich zurücktreten. Demgegenüber haben<br />

auch in diesen Paarbeziehungen die Männer eher einen<br />

ungebrochenen Berufsweg: Sie nehmen sich weniger Auszeiten<br />

<strong>–</strong> wie die Elternzeit <strong>–</strong> für ihre Kin<strong>der</strong>, arbeiten deutlich<br />

mehr Stunden, die Familien ziehen viel eher aus beruflichen<br />

Gründen des Mannes um. Krüger: „Familie zu haben,<br />

führt eher zu einem ‚Bruch‘ in weiblichen Biografien.“<br />

„Prinzipiell sind Kin<strong>der</strong> eine persönliche Erfüllung“, so Krüger,<br />

„bei karriereorientierten genauso wie bei Paaren aus<br />

an<strong>der</strong>en Milieus.“ Wobei man aber auch sagen muss, dass<br />

Familie und Kin<strong>der</strong> nicht bei allen einen hohen Stellenwert<br />

haben. „Die normative Vorstellung von Unabhängigkeit<br />

und Selbstverwirklichung über Berufsarbeit steht im Wi<strong>der</strong>spruch<br />

zu Bindung und Kompromissfindung, die im privaten<br />

Bereich eingegangen werden. Die westliche Gesellschaft<br />

ist zudem stark auf die Arbeitswelt orientiert.“ Da<br />

Weitere Informationen:<br />

www.fernuni.de/berufundfamilie


48<br />

Zukunftssicher mit neuen<br />

Technologien <strong>–</strong> auch in <strong>der</strong> Krise<br />

Für die Digitalisierung war sie ein Innovationstreiber, für das globale Produktionssystem<br />

ein Inferno <strong>–</strong> die Corona-Pandemie hat zweierlei gezeigt: wie zerbrechlich Lieferketten<br />

sind und wie aus einer Krise Chancen werden können. Diese Erkenntnisse könnten zu<br />

nachhaltigen Verän<strong>der</strong>ungsprozessen in <strong>der</strong> globalen Wertschöpfung führen, sagt Wirtschaftswissenschaftler<br />

Prof. Dr. Karsten Kieckhäfer.<br />

Herr Professor Kieckhäfer, sehen Sie die globale<br />

Wertschöpfung im Wanken?<br />

Zu Beginn <strong>der</strong> Pandemie haben wir erlebt, wie globale Lieferketten<br />

von jetzt auf gleich zusammenbrechen können.<br />

Transporte gerieten ins Stocken, Produkte wurden teilweise<br />

gar nicht erst geliefert. Die Automobilindustrie, aber<br />

auch an<strong>der</strong>e Branchen, die stark von globalen Wertschöpfungsnetzwerken<br />

abhängen, gerieten ins Straucheln. Als<br />

Lösung für all diese Probleme wurden und werden jetzt<br />

häufig lokale Produktionsaktivitäten genannt. Dies würde<br />

ich für Deutschland aber nicht im großen Stil erwarten.<br />

Warum nicht?<br />

Viele Unternehmen stehen vor einem Konflikt. Um ihre<br />

Wettbewerbsstellung zu erhalten o<strong>der</strong> auszubauen, müssen<br />

sie einerseits kostengünstig produzieren <strong>–</strong> zum Beispiel im<br />

Ausland. An<strong>der</strong>erseits müssen Lieferketten robust gegenüber<br />

möglichen Störfaktoren sein wie Naturkatastrophen,<br />

Lieferantenausfällen o<strong>der</strong> eben einer Pandemie. <strong>Das</strong> wie<strong>der</strong>um<br />

erreichen Unternehmen, indem sie ihre Lagerbestände<br />

erhöhen und ein größeres Lieferantennetzwerk<br />

aufbauen. Doch ganze Produktionsprozesse zurück nach<br />

Deutschland zu holen, ist vielfach schwierig und teuer.


Spektrum 49<br />

Produzierende Unternehmen sind zum Teil von globalen<br />

Monopolstrukturen abhängig o<strong>der</strong> auf Grundstoffe angewiesen,<br />

die es hier nicht gibt. Zudem werden sie sicher<br />

keine Entscheidungen treffen, die ihre Wettbewerbsposition<br />

schwächen, schon gar nicht in <strong>der</strong> Krise. Grundsätzlich<br />

haben potenzielle Risikoereignisse aber natürlich einen<br />

großen Einfluss auf unternehmerische Entscheidungen.<br />

Woran denken Sie da?<br />

In meiner Forschung befasse ich mich hauptsächlich mit<br />

<strong>der</strong> Automobilindustrie <strong>–</strong> sie glänzt sicher in vielen Bereichen<br />

als schlechtes Beispiel, ist oftmals intransparent und<br />

setzt noch auf konfliktreiche Rohstoffe wie Kobalt in <strong>der</strong><br />

Batterieherstellung. Aber was den Einsatz von Technologien<br />

betrifft, ist ein großer Aufbruch zu spüren. Volkswagen<br />

hat sich etwa auf die Fahne geschrieben, bis 2050 eine<br />

klimaneutrale Fahrzeugflotte zu produzieren. Produktion,<br />

Nutzung und Entsorgung dieser Fahrzeuge sollen dann<br />

unterm Strich kein einziges Gramm CO 2<br />

mehr ausstoßen.<br />

Alle hierfür notwendigen Technologien sind noch nicht<br />

marktreif, aber das gesetzte Ziel zeigt eindrücklich, dass<br />

eine mögliche Krise <strong>–</strong> in dem Fall <strong>der</strong> Klimawandel <strong>–</strong> ein<br />

Inno va tionstreiber sein kann. <strong>Das</strong> potenzielle Risiko dieser<br />

Krise für Unternehmen bietet somit einen Anreiz, Strukturen<br />

zu überdenken, um die Wettbewerbsfähigkeit auch<br />

langfristig zu erhalten.<br />

Sie haben Risiken und Krisen als Innovationstreiber<br />

angesprochen. Fallen Ihnen für Unternehmen auch<br />

positive Motive ein, um innovativer zu werden?<br />

Ja, in diesem Zusammenhang könnte ich ein weiteres Beispiel<br />

aus <strong>der</strong> Automobilindustrie nennen. Tesla erhöht momentan<br />

rapide seine Produk tionskapazitäten für Elektro autos. Der<br />

Hersteller hat angekündigt, ein neues Produktionsverfahren<br />

für den Karosseriebau einzusetzen. Mit einer selbst entwickelten<br />

Druckgussmaschine soll es in Zukunft möglich sein,<br />

eine Karosserie aus einem Guss zu produzieren, für die<br />

normaler weise 70 Einzelteile notwendig wären. <strong>Das</strong> wäre<br />

schon bahnbrechend. Damit stellt das Unternehmen etablierte<br />

und über Jahre gewachsene Produktionsabläufe infrage<br />

und treibt die restliche Automobilindustrie vor sich her: Ein<br />

Beispiel dafür, dass neue Technologien und <strong>der</strong> Wett bewerb<br />

Verän<strong>der</strong>ungsprozesse in Lieferketten anstoßen können.<br />

Welchen Beitrag kann die Wissenschaft<br />

an dieser Stelle leisten?<br />

In diesem Jahrhun<strong>der</strong>t stehen uns noch einige große Herausfor<strong>der</strong>ungen<br />

bevor. Ich denke hier an den Klimawandel<br />

und an die Endlichkeit fossiler Brennstoffe. Um Nachhaltigkeitsziele<br />

zu erreichen, müssen Industrie, Politik und Gesellschaft<br />

umdenken. Hierfür sollte Forschung Erkenntnisse<br />

bereitstellen, die als Leitplanken für zielgerichtete Entscheidungen<br />

und Handlungen dienen können. Neben <strong>der</strong><br />

Politik können aber insbeson<strong>der</strong>e auch Konsumentenanfor<strong>der</strong>ungen,<br />

gesellschaftlicher Druck und an<strong>der</strong>e Wettbewerber<br />

beeinflussen, wie Unternehmen handeln. <strong>Das</strong><br />

heißt im Umkehrschluss, wissenschaftliche Erkenntnisse<br />

müssen so kommuniziert werden, dass sie im gesellschaftlichen<br />

Diskurs, in <strong>der</strong> Industrie und von <strong>der</strong> Politik auch<br />

verstanden und aufgenommen werden können. sam<br />

Karsten Kieckhäfer ist Professor und Inhaber des<br />

Lehrstuhls für Betriebswirtschaftslehre, insbeson<strong>der</strong>e<br />

Produktion und Logistik an <strong>der</strong> <strong>FernUniversität</strong><br />

in Hagen. Der Betriebswirt analysiert strategische<br />

Fragestellungen des Produktions- und Logistikmanagements.<br />

In diesem Zusammenhang befasst er<br />

sich mit <strong>der</strong> Reduktion von Treibhausgasemissionen<br />

sowie Energie- und Ressourcenverbrauch speziell in<br />

den Bereichen Mobilität und industrielle Wertschöpfungsnetzwerke.<br />

Mehr über Prof. Kieckhäfer<br />

erfahren Sie in <strong>der</strong> Rubrik Neu an <strong>der</strong> FernUni.<br />

Prof. Karsten Kieckhäfer beschäftigt sich vor allem mit dem<br />

Thema Nachhaltigkeit in Wertschöpfungsnetzwerken.


50<br />

Warum wir gerne verzichten<br />

40 Tage ohne Alkohol, unter <strong>der</strong> Woche keine Süßigkeiten, das Auto stehen lassen<br />

und mit dem Rad zur Arbeit fahren: Immer mehr Menschen entdecken die neue Lust<br />

am Verzicht. Ob in <strong>der</strong> Fastenzeit o<strong>der</strong> zwischendurch <strong>–</strong> Fasten liegt im Trend. Und<br />

trotzdem ist es bisher kaum erforscht worden.<br />

Dr. Patrick Heiser, Religionssoziologe an <strong>der</strong> <strong>FernUniversität</strong><br />

in Hagen, hat in diesem Jahr vor Ostern die bislang größte<br />

Fastenstudie im deutschsprachigen Raum gestartet.<br />

„Gefastet wird unabhängig vom Alter in allen Schichten<br />

und Milieus“, bilanziert er. „Dabei wird die traditionelle<br />

religiöse Praktik des Fastens individuell ausgestaltet.“<br />

Normalerweise ist es kein Selbstläufer, ausreichend Teilnehmende<br />

für wissenschaftliche Untersuchungen zu gewinnen.<br />

Bei Heisers Studie zu spätmo<strong>der</strong>nen Fastenzeiten<br />

war das an<strong>der</strong>s. Fast 2.000 Personen nahmen zwischen<br />

Aschermittwoch und Ostern an <strong>der</strong> offenen Befragung<br />

teil und wollten ihre Fastenerfahrung teilen. Warum wir<br />

verzichten und welche Rolle die Religion dabei spielt <strong>–</strong> die<br />

Ergeb nisse im Überblick:<br />

Die Mehrheit fastet regelmäßig<br />

72,4 Prozent <strong>der</strong> Befragten haben Fastenerfahrungen:<br />

58,7 Prozent fasteten bereits mehrfach in ihrem Leben,<br />

13,7 Prozent immerhin einmal. 16,7 Prozent <strong>der</strong> Teilnehmenden<br />

haben zwar noch nie gefastet, aber sie hätten<br />

Interesse: 13,7 Prozent können es sich „durchaus vorstellen”<br />

und 4 Prozent wollen es „unbedingt einmal ausprobieren”.<br />

10,9 Prozent <strong>der</strong> Befragten haben dagegen<br />

we<strong>der</strong> Erfahrung noch Interesse am Fasten.


Spektrum 51<br />

Verzicht auf Süßes und Alkohol<br />

Eins haben beim Fasten alle gemeinsam: „Die Menschen<br />

verzichten, um sich körperlich und seelisch besser zu fühlen“,<br />

fasst Patrick Heiser zusammen. „Frauen tun dies übrigens<br />

deutlich häufiger als Männer.“ Hauptsächlich verzichtet<br />

wird dabei auf Genussmittel wie Süßes und Alkohol, mit<br />

einigem Abstand aber auch auf Rauchen, Drogen und<br />

Kaffee. Insgesamt geben 86,1 Prozent <strong>der</strong> Befragten an,<br />

auf mindestens eines dieser Genussmittel verzichtet zu<br />

haben bzw. verzichten zu wollen. Dabei fällt es den<br />

Menschen offenbar leichter, für eine bestimmte Zeit ohne<br />

Alkohol zu leben als ohne Süßigkeiten.<br />

Fasten als Gesellschaftskritik<br />

Mit einer nachwachsenden Generation von Fastenden<br />

kommen neue, gesellschaftskritische Optionen hinzu, etwa<br />

<strong>der</strong> Verzicht auf Auto fahren, tierische Produkte und Medien.<br />

„Hierzu zählt das sogenannte Datenfasten, also <strong>der</strong> Verzicht<br />

auf private Computer- und Internetznutzung sowie auf<br />

Fernsehen“, erläutert Heiser. „<strong>Das</strong> Fasten wird damit zur<br />

Konsumkritik und entsprechend mit Bedeutung versehen.“<br />

Die Rolle <strong>der</strong> Religion<br />

Neben dem Alter spielen die Religiosität und die Konfessionszugehörigkeit<br />

eine wichtige Rolle. Denn mit dem Fasten<br />

ist eine jahrhun<strong>der</strong>tealte Tradition verbunden. Es ist Bestandteil<br />

aller Weltreligionen, auch wenn es heute für viele<br />

Gläubige keine religiöse Pflicht mehr ist. Der Tradition aber<br />

bleiben sie verbunden. Zwei Drittel aller Befragten fasten<br />

daher nicht irgendwann, son<strong>der</strong>n in Fastenzeiten, etwa vor<br />

Ostern, im Advent o<strong>der</strong> im Ramadan. „Ein traditioneller<br />

Rahmen macht es leichter“, erklärt Heiser. Ein Viertel <strong>der</strong><br />

Befragten fühlt sich beim Fasten Gott näher, betet häufiger<br />

o<strong>der</strong> besucht öfters den Gottesdienst. Mit Blick auf die<br />

Konfession stechen die Musliminnen und Muslime heraus.<br />

„Sie verfügen am ehesten über Fastenerfahrung, gefolgt<br />

von den katholischen und protestantischen Gläubigen“,<br />

sagt Heiser.<br />

Fasten und Pilgern<br />

Nach Auswertung <strong>der</strong> Studie sollen im zweiten Schritt ausführliche<br />

Interviews über das Fasten folgen. Im Zuge seiner<br />

Habilitation nimmt <strong>der</strong> Sozialwissenschaftler Patrick Heiser<br />

weitere traditionelle religiöse Praktiken wie das Pilgern in<br />

den Blick. „Einerseits gibt es eine Tradition, die für Evidenz<br />

bürgt. An<strong>der</strong>erseits gestalten Menschen diese religiösen<br />

Praktiken heute individuell“, fasst Heiser zusammen.<br />

„Pilgern und Fasten bewegen sich also zwischen individueller<br />

Gestaltung und religiöser Tradition. Beide Pole sind<br />

wichtig, um ihre Popularität zu erklären.“<br />

can<br />

Mehr über die Studie zu<br />

spätmo<strong>der</strong>nen Fastenzeiten:<br />

Der Sozialwissenschaftler Dr. Patrick Heiser erforscht<br />

religiöse Praktiken wie das Fasten und das Pilgern.<br />

www.fernuni.de/<br />

fastenstudie


52<br />

Seuchen verstärkten<br />

langfristige Entwicklungen<br />

Epidemien gibt es, seit die Menschen eng mit ihren Tieren zusammenleben. Für PD<br />

Dr. Eva-Maria Butz, Lehrgebiet Geschichte und Gegenwart Alteuropas an <strong>der</strong> Fern­<br />

Universität in Hagen, wirkten Seuchen in <strong>der</strong> Geschichte eher schleichend und bereits<br />

bestehende Entwicklungen verstärkend denn als Revolutionen. Und sie konnten<br />

sogar positive Folgen für die Überlebenden haben.<br />

Die erste dokumentierte Seuche, ein hochansteckendes<br />

Fieber, tötete während des Peloponnesischen Krieges (431<br />

bis 404 v. Chr.) 30 bis 40 Prozent <strong>der</strong> 300.000 Athenerinnen<br />

und Athener. Dem führenden Politiker Perikles wurden<br />

schwere Versäumnisse vorgeworfen, auch <strong>–</strong> aber nicht nur <strong>–</strong><br />

im Zusammenhang mit <strong>der</strong> Krankheit. Er wurde gestürzt,<br />

die demokratische Staatsform und die attische Kunst und<br />

Kultur erlebten ihren Nie<strong>der</strong>gang, Oligarchen übernahmen<br />

die Herrschaft. „Dies war aber ein längerer Prozess, <strong>der</strong><br />

jedoch offensichtlich durch die Seuche beför<strong>der</strong>t wurde“,<br />

so die Historikerin. „Grundsätzlich kann gesagt werden,<br />

dass eine Seuche bestimmte Prozesse verstärken kann,<br />

wenn eine Gesellschaft schon in <strong>der</strong> Krise ist.“<br />

In gewisser Weise verstärkte 1918 auch die Spanische Grippe<br />

lediglich längerfristige Entwicklungen: „In Deutschland hatte<br />

sie nur sehr geringen Einfluss auf die November-Revolution<br />

und das Ende des Kaiserreichs“, so Butz. Die Deutschen<br />

betrachteten sie damals als Teil <strong>der</strong> allgemeinen Verschlechterung<br />

<strong>der</strong> Volksgesundheit, die aber schon ab 1916 wahrgenommen<br />

wurde.<br />

Jüdische Menschen<br />

auch aus Habgier verfolgt<br />

Geschätzt 25 Millionen Menschen for<strong>der</strong>te <strong>der</strong> „Schwarze<br />

Tod“, die Beulenpest, zwischen 1346 und 1353 in Europa.<br />

Wirksame Medikamente hatten die vermummten Pestärzte<br />

nicht, auch kein Wissen um die Übertragung. Viele Infizierte<br />

starben in <strong>der</strong> Familie <strong>–</strong> und steckten diese an. An<strong>der</strong>e<br />

warteten von allen verlassen auf den Tod. Die letzte Ölung<br />

gaben Priester manchmal auf Distanz mit langen Stangen.<br />

Im Zusammenhang mit dem Schwarzen Tod kam es in<br />

Kastilien, Frankreich, den Nie<strong>der</strong>landen und in Deutschland<br />

„relativ verbreitet“ zu Judenverfolgungen, so Eva-<br />

Maria Butz, in <strong>der</strong>en Folge viele Überlebende ihre bisherige<br />

Heimat verließen <strong>–</strong> in Polen waren sie willkommen. Doch<br />

gab es auch vorher schon verschiedentlich Pogrome, <strong>der</strong>en<br />

Ursachen aber regionaler o<strong>der</strong> lokaler Art waren: „Es ging<br />

eigentlich immer darum, dass man einen Sündenbock<br />

brauchte. Und es ging um Geld.“ Viele christliche Menschen<br />

konnten so ihre Schulden bei Juden loswerden.<br />

PD Eva-Maria Butz


Spektrum 53<br />

Pesthauben wie diese waren vermutlich<br />

in Italien und Frankreich in <strong>der</strong> Mitte des<br />

17. bzw. anfangs des 18. Jahrhun<strong>der</strong>ts<br />

gebräuchlich.<br />

Infolge <strong>der</strong> Pest wandten sich viele verstärkt <strong>der</strong> Religion zu.<br />

So erlebte die Bewegung <strong>der</strong> Flagellanten <strong>–</strong> die sich selbst<br />

geißelten <strong>–</strong> ihren Höhepunkt in Deutschland. Pestblätter<br />

zeigten vor allem im 15. Jahrhun<strong>der</strong>t Heilige als Helferinnen<br />

und Helfer gegen die Pest. Auch die Passionsspiele in Oberammergau<br />

entstanden 1634 als Reaktion auf die überstandene<br />

Seuche.<br />

Wirtschaftsför<strong>der</strong>ung<br />

und Innovationen<br />

Es gab aber auch „Seuchen-Gewinner“: die Überlebenden.<br />

Denn nun fehlten vor allem in <strong>der</strong> Landwirtschaft Arbeitskräfte.<br />

1349 erließ <strong>der</strong> englische König das erste Arbeitsgesetz.<br />

Die Abschaffung <strong>der</strong> Leibeigenschaft war jedoch<br />

nicht ausschließlich eine Folge <strong>der</strong> Seuche: „Der Arbeitskräftemangel<br />

nach <strong>der</strong> Pest war nur mit Geld aufzufangen“,<br />

so Butz. „Damit begann das Zeitalter <strong>der</strong> Lohnwirtschaft im<br />

Mittelalter.“<br />

Auch auf dem Kontinent än<strong>der</strong>te sich einiges. Die Zünfte<br />

öffneten sich für mehr Mitglie<strong>der</strong> und in den Städten stiegen<br />

die Löhne, weshalb die Arbeitgeber Arbeitsabläufe mechanisiert<br />

haben wollten: „Es gab im 15. Jahrhun<strong>der</strong>t ein Klima<br />

<strong>der</strong> Innovationen.“ In diesen Kontext stieß auch Johannes<br />

Gutenberg 1450 mit dem Buchdruck. Diese Medienrevolution<br />

trug im Zusammenhang mit einem wirtschaftlichen<br />

Aufschwung und steigendem Wohlstand zu Reformation,<br />

Verbreitung des Humanismus, besserer Bildung etc. bei.<br />

„Distancing“ und Abriegelung<br />

Spätere Pestwellen blieben regional beschränkt,„wohl, weil<br />

man ein bisschen gelernt hatte, wie man damit umgehen<br />

musste“, so Butz: Städte riegelten sich ab, Erkrankte wurden<br />

in abgeschiedenen, oft bewachten Pesthäusern konzentriert,<br />

verdächtige Schiffe in Häfen unter Quarantäne gestellt.<br />

Gegen das Osmanische Reich, das bis ins 19. Jahrhun<strong>der</strong>t<br />

dauerhaft von Pestwellen heimgesucht wurde, bildete Österreich<br />

im 18. Jahrhun<strong>der</strong>t eine militärische „Pestfront“,<br />

mit einem ganz dezidierten Quarantänesystem mit genauen<br />

Quarantäne- und Desinfektionsvorschriften bis hin zu<br />

kontaktlosen Warenübergaben. Letztendlich konnte ein<br />

Übergreifen <strong>der</strong> Pest nach Westeuropa verhin<strong>der</strong>t werden.<br />

Wirklich erfolgreich wurde die Seuchenbekämpfung aber<br />

erst mit dem Aufkommen <strong>der</strong> Naturwissenschaften im 18.<br />

und 19. Jahrhun<strong>der</strong>t.<br />

Da<br />

Weitere interessante Fakten finden Sie hier:<br />

www.fernuni.de/seuchen


54<br />

cause<br />

pregnancy<br />

word<br />

headache<br />

birth<br />

encyclopedia<br />

name<br />

restriction<br />

pneumonia<br />

meningitis<br />

ebola virus desease<br />

rhinitis<br />

influenza<br />

sinusitis<br />

chicken pox<br />

nose<br />

cough<br />

treatment<br />

technique<br />

common cold<br />

diphtheria<br />

lung cancer<br />

fever<br />

outbreak<br />

vaccine<br />

medicine<br />

lung<br />

use<br />

virus<br />

Die richtige Diagnose stellen<br />

Ist es COVID-19 o<strong>der</strong> doch nur eine einfache Erkältung? Fieber, Kopfschmerzen, Husten<br />

o<strong>der</strong> Schnupfen sind Symptome, die auf verschiedene Krankheiten hinweisen können.<br />

Durch ähnliche Krankheitsbil<strong>der</strong> ist es für Ärztinnen und Ärzte oft schwierig, die richtige<br />

Diagnose zu stellen. Der medizinische Empfehlungsdienst soll die interaktive Diagnostik<br />

unterstützen.<br />

Die Idee zum „Medical Recommen<strong>der</strong> System“ hatten<br />

Prof. Dr. Herwig Unger und PD Dr. Mario Kubek (Lehrgebiet<br />

Kommunikationsnetze) gemeinsam mit Prof. Anirach<br />

Mingkhwan von <strong>der</strong> King Mongkut‘s University of Technology<br />

North Bangkok bei einem Doktoranden-Workshop im<br />

Mai 2019. Seitdem entwickeln sie das System gemeinsam<br />

mit Programmierhilfe von vier Studierenden <strong>der</strong> thailändischen<br />

Universität. „Ohne die Hilfe <strong>der</strong> Studierenden und<br />

Prof. Anirach Mingkhwan hätten wir die Idee nicht umsetzen<br />

können“, sagt Prof. Herwig Unger.


Spektrum 55<br />

Weiterentwicklung <strong>der</strong> WebEngine<br />

„Der Empfehlungsdienst ist eine Weiterentwicklung <strong>der</strong><br />

WebEngine, die jetzt themenbezogen agiert und vor allem<br />

allgemeine Inhalte liest“, erklärt Dr. Mario Kubek. Für die<br />

WebEngine, eine dezentrale Suchmaschine, die ähnlich<br />

wie Google aussieht, jedoch an<strong>der</strong>s funktioniert, erhielt er<br />

den Fakultätspreis <strong>der</strong> Fakultät für Mathematik und Informatik.<br />

Der medizinische Empfehlungsdienst basiert auf <strong>der</strong><br />

Verarbeitung natürlicher Sprache und kann mehr Informationen<br />

verarbeiten als eine Person lesen kann. <strong>Das</strong> System<br />

funktio niert zunächst in englischer Sprache, kann prinzipiell<br />

aber auch jede an<strong>der</strong>e Sprache verarbeiten.<br />

Krankheiten richtig erkennen<br />

Mit dem medizinischen Empfehlungsdienst sollen Fehldiagnosen<br />

seltener werden, da Krankheiten mit sehr ähnlichen<br />

Symptomen besser voneinan<strong>der</strong> abzugrenzen sind. <strong>Das</strong><br />

hilft insbeson<strong>der</strong>e jungen Ärztinnen und Ärzten mit wenig<br />

Erfahrung. Der medizinische Empfehlungsdienst unterstützt<br />

sie interaktiv. Wenn das System zum Beispiel eine Meningitis<br />

für wahrscheinlich hält, kann die Ärztin o<strong>der</strong> <strong>der</strong> Arzt dazu<br />

nähere Untersuchungen durchführen, um eine möglichst<br />

genaue Diagnose abzugeben. Diagnoseabläufe können sie<br />

in dem System protokollieren und nachvollziehbar gestalten.<br />

System liest Literatur im Hintergrund<br />

Für die erste Demoversion hinterlegten die Entwickler 221<br />

typische Krankheiten in Form von Wikipedia-Artikeln. Auf<br />

Basis einer sogenannten Kookurrenzanalyse kann das System<br />

medizinische Fachliteratur im Hintergrund in hoher<br />

Geschwindigkeit anzeigen. Wie in einer Suchmaschine<br />

können Ärztinnen und Ärzte zum Beispiel das Symptom<br />

Kopfschmerzen eingeben. Interface des Systems ist ein sogenanntes<br />

Fischaugen-Interface, das Symptome und mögliche<br />

Krankheiten in verschiedenen Farben (grün und rot)<br />

sowie relevante an<strong>der</strong>e Begriffe (blau) darstellt und durch<br />

Linien die Beziehungen zwischen den Termen anzeigt.<br />

Es können gleichzeitig mehrere Begriffe eingegeben werden<br />

und das System verän<strong>der</strong>t sich dynamisch je nach den<br />

Suchwörtern. Die wahrscheinlichste Diagnose wird nach<br />

einem entwickelten Verfahren von Unger und Kubek aus<br />

den Beziehungen <strong>der</strong> Worte in den gelesenen Texten berechnet<br />

und jeweils ins Zentrum gerückt. Auch kann zum<br />

Beispiel angeklickt werden, ob die kranke Person in den<br />

Tropen war, um eventuell Krankheiten auszuschließen, die<br />

nur in bestimmten Regionen vorkommen. Durch das Wissen<br />

<strong>der</strong> Medizinerinnen und Mediziner und das System<br />

können so schrittweise Krankheiten ausgeschlossen o<strong>der</strong><br />

Symptome verfeinert beschrieben werden. Dadurch entsteht<br />

interaktiv die finale Diagnose.<br />

<strong>Das</strong> System ist zudem individuell anpassbar. Ärztinnen und<br />

Ärzte können jede Art von Publikation in das System eingeben.<br />

Auch können sie dort Patientenakten, eigene Erfahrungen<br />

sowie Präferenzen für die Behandlung einpflegen.<br />

Der Empfehlungsdienst speichert diese und kann<br />

zukünftig Diagnosen in Sekundenschnelle anzeigen.<br />

System funktioniert<br />

nicht nur für die Medizin<br />

<strong>Das</strong> „Medical Recommen<strong>der</strong> System“ ist die erste themenbezogene<br />

Suchmaschine auf Basis <strong>der</strong> WebEngine. Eine<br />

Consulting-Firma aus Bangkok, die medizinische Informationssysteme<br />

entwickelt, zeigt bereits Interesse an ihr. So<br />

könnte sie schon bald Ärztinnen und Ärzten zur Verfügung<br />

stehen.<br />

Perspektivisch denken Herwig Unger und Mario Kubek darüber<br />

nach, das System weiterzuentwickeln. „Der Empfehlungsdienst<br />

könnte auch dabei helfen, Defekte bei Autos<br />

zu finden o<strong>der</strong> Kundinnen und Kunden beim Produktkauf<br />

unterstützen“, sagt Unger. Dafür müsste in den Dienst lediglich<br />

an<strong>der</strong>e Literatur statt medizinischer Publikationen<br />

eingepflegt und an die jeweilige Nutzergruppe angepasst<br />

werden.<br />

AG<br />

Gemeinsam mit Prof. Anirach Mingkhwan (vorne rechts) und den<br />

Studierenden <strong>der</strong> King Mongkut’s University of Technology North<br />

Bangkok entwickelten Prof. Unger (hinten rechts) und Dr. Kubek<br />

(Mitte rechts) das System.


56 Periskop<br />

Zu Boden gleiten,<br />

Treibstoff sparen<br />

Sinken, Flughöhe halten, sinken, Höhe halten… Bei einem<br />

Landeanflug verringert die Flugzeugcrew die Triebwerksleistung,<br />

dann gibt sie wie<strong>der</strong> Gas. Mehrfach. Treibstoffverbrauch,<br />

CO 2<br />

-Ausstoß, Wartungsaufwand <strong>der</strong> Triebwerke<br />

und Lärm steigen. Damit Maschinen ausschließlich durch<br />

kontinuierliche Sinkflüge (Continuous Descent Approaches,<br />

CDAs) zu Boden gleiten können, hat Prof. Dr. Wolfram<br />

Schiffmann mit seinem Lehrgebiet Rechnerarchitektur an<br />

<strong>der</strong> <strong>FernUniversität</strong> in Hagen eine optimierte Anflugplanung<br />

entwickelt: EELA (Energy Efficient Landing Approaches)<br />

unterstützt die Crew dabei, das Flugzeug zur Flughafen-<br />

Landebahn hinabgleiten zu lassen. Die Triebwerke sind bis<br />

zum Endanflug im Leerlauf.<br />

<strong>Das</strong> Land NRW för<strong>der</strong>t die Entwicklung eines Demonstrators<br />

mit 70.000 Euro, auch die Deutsche Flugsicherung hilft<br />

mit Daten und begleitet die Entwicklung einer geeigneten<br />

Benutzerschnittstelle für die Fluglotsinnen und Fluglotsen.<br />

Die Anflugplanung EELA (Energy Efficient Landing Approaches)<br />

ist eine Weiterentwicklung des von Schiffmann in den<br />

letzten Jahren entwickelten Engine-out Emergency Landing<br />

Assistant (ELA). Bei diesem Notlandeassistenten geht es ebenfalls<br />

um kontrolliertes Zu-Boden-Gleiten, jedoch bei einem<br />

ungewollten Triebwerksausfall. ELA kooperiert mit dem Notlandeplatzfin<strong>der</strong><br />

ELFI (Emergency Landing Field Identification),<br />

um die Maschine zu einer passenden Landebahn gleiten zu<br />

lassen und dort aufzusetzen. ELA berechnet in kürzester Zeit<br />

permanent den optimalen Gleitpfad. Ist kein geeigneter Flugplatz<br />

erreichbar, kennt ELFIs Datenbank Notlandeplätze.<br />

Sein neues Verfahren EELA hat Schiffmann in die<br />

„Safe2Land“-App integriert, die auch ELA und ELFI sowie<br />

eine Autopiloten-Komponente beinhaltet.<br />

Prof. Schiffmann im Flugsimulator des Lehrgebietes<br />

bei einer simulierten Notlandung<br />

Ein FernUni-Student hat „Safe2Land“ in seiner Masterarbeit<br />

in ein Modellflugzeug mit 1,4 Metern Spannweite<br />

integriert. Wesentlicher Bestandteil seiner Arbeit ist ein<br />

von ihm entwickelter Regler, <strong>der</strong> das Fluggerät entlang <strong>der</strong><br />

von „Safe2Land“ geplanten Notlandebahn führt. Die Analyse<br />

von Flugdaten aus Simulationen und einem realen<br />

Flugversuch bewies die hohe Genauigkeit des automatisierten<br />

Gleitfluges.<br />

Da<br />

Weitere Informationen:<br />

www.fernuni.de/safe2land<br />

Damit kann je nach Flugzeugtyp ca. eine halbe Tonne CO 2<br />

pro Landeanflug eingespart werden. Schiffmann: „Bei rund<br />

47 Millionen Flügen von Verkehrsflugzeugen pro Jahr könnte<br />

sich nach <strong>der</strong> Normalisierung des Flugverkehrs ein Einsparungspotenzial<br />

von rund 23 Millionen Tonnen CO 2<br />

ergeben.“<br />

Nicht zuletzt erhöht EELA auch Sicherheit und Pünktlichkeit:<br />

Die Flugslotsinnen und Fluglotsen erhalten exakte Daten, mit<br />

denen sie die Crews besser leiten können als mit Schätzungen.<br />

Bei EELA gleitet ein Flugzeug kontinuierlich zu<br />

Boden (grüne Linie), während bisher zwischen Sink-<br />

und Geradeausflug gewechselt wird (rote Linie).


Impressum 57<br />

Impressum<br />

Herausgeberin<br />

Die Rektorin <strong>der</strong> <strong>FernUniversität</strong> in Hagen,<br />

Prof. Dr. Ada Pellert<br />

Redaktionsanschrift<br />

<strong>FernUniversität</strong> in Hagen<br />

Stabsstelle 2 <strong>–</strong> Kommunikation und Öffentlichkeitsarbeit<br />

Universitätsstraße 47, 58097 Hagen,<br />

Fon: +49 2331 987-4318, presse@fernuni-hagen.de,<br />

www.fernuni.de/presse<br />

Redaktion<br />

Stephan Düppe (SD), Carolin Annemüller (can), Gerd<br />

Dapprich (Da), Susanne Gerhards (SG), Annemarie<br />

Gonsiorczyk (AG), Carina Grewe (CG), Sarah Müller (sam),<br />

Benedikt Reuse (br), Carsten San<strong>der</strong> (CSa), Anja Wetter (aw)<br />

Grafik, Illustration, Layout und Satz<br />

<strong>FernUniversität</strong> in Hagen<br />

Dezernat 5.2.3 <strong>–</strong> Grafik<br />

Jan Hillers, Malte Jessen, Olivia Reymann<br />

Druck<br />

LUC GmbH, Hansaring 118, 48268 Greven<br />

www.luc-medienhaus.de<br />

Lektorat<br />

Daniel Toufaki<br />

Auflage<br />

5.000<br />

Wir bedanken uns für die nette Zusammenarbeit beim<br />

Hagener Entsorgungsbetrieb (HEB), beim Repair-Café<br />

Wie<strong>der</strong>herstell-Bar in Hagen, bei Optik Rüther Bochum<br />

sowie bei <strong>der</strong> Offenen Werkstatt Hagen <strong>–</strong> Mittelstand 4.0<br />

für die Fotolocations (Seite 28 <strong>–</strong> 32), den 3-D-Druck (Seite 22)<br />

und die Brille auf dem Titelbild sowie bei allen beteiligten<br />

Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern.<br />

Bildnachweise<br />

Titelbild: Volker Wiciok<br />

Volker Wiciok (S. 2, 4, 12, 13, 15, 16, 18, 19, 22, 28/29, 30/31,<br />

32, 33, 34, 35, 38 (rechts), 39 (oben rechts, unten rechts), 40,<br />

42, 43, 45 (links), 46, 47, 49, 51, 52, 55 (rechts), 56 (links)<br />

PeopleImages/E+/GettyImages (S. 4, 6/7)<br />

Deutscher Bundestag/Sylvia Bohn (S. 5, 41)<br />

Andriy Onufriyenko/Moment/GettyImages (S. 5, 48)<br />

eternalcreative/iStock/GettyImages (S. 8)<br />

Wichayada Suwanachun/EyeEm/GettyImages (S. 11)<br />

Vesnaandjic/E+/GettyImages (S. 17)<br />

Gerald Moll (S. 17 unten)<br />

270770/E+/GettyImages (S. 20)<br />

Karlheinz Jardner (S. 23)<br />

Deagreez/iStock/GettyImages (S. 24)<br />

Westend 61/GettyImages (S. 25)<br />

zhongguo/E+/GettyImages (S. 26)<br />

tolgart/E+/GettyImages (S. 27)<br />

sorbetto/DigitalVision Vectors/GettyImages (S. 37)<br />

biscotto87/iStock/GettyImages (S. 37)<br />

Nuthawut Somsuk/iStock/GettyImages (S. 37)<br />

petovarga/iStock/GettyImages (S. 37)<br />

OLHA POTYSIEVA/iStock/GettyImages (S. 37)<br />

thommy/DigitalVision/GettyImages (S. 37)<br />

Ungaju/iStock/GettyImages (S. 37)<br />

SENRYU/iStock/GettyImages (S. 37)<br />

Hardy Welsch (S. 38 (links), 39 (links))<br />

Siemens Historical Institute, © SiemensForum, München (S. 44)<br />

Veit Mette (S. 56 oben)<br />

Classen Rafael/EyeEm/GettyImages (S. 41 unten)<br />

Ning Li/Moment/GettyImages (S. 42)<br />

ducan1890/iStock/GettyImages (S. 45 rechts)<br />

sorendls/E+/GettyImages (S. 50)<br />

Aurelija Diliute/iStock/GettyImages (S. 53)<br />

Panchalee Sukjit (S. 55 links)<br />

<strong>fernglas</strong> erscheint jährlich und ist erhältlich in <strong>der</strong> Stabsstelle<br />

2 <strong>–</strong> Kommunikation und Öffentlichkeitsarbeit <strong>der</strong><br />

<strong>FernUniversität</strong> in Hagen. <strong>Das</strong> Heft kann kostenlos abonniert<br />

werden unter: www.fernuni.de/<strong>fernglas</strong><br />

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