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dg_10_2017_SPEZIAL_Infrastruktur

Die Oktober-Ausgabe des gemeinderat beschäftigt sich schwerpunktmäßig mit dem Thema Infrastruktur, z. B. im Bereich Wohnraumversorgung oder Breitbandausbau.

Die Oktober-Ausgabe des gemeinderat beschäftigt sich schwerpunktmäßig mit dem Thema Infrastruktur, z. B. im Bereich Wohnraumversorgung oder Breitbandausbau.

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Titel<br />

<strong>Infrastruktur</strong><br />

Titel<br />

ZUR PERSON<br />

Die Juristin Dr. Eva Lohse (Jg. 1956),<br />

Oberbürgermeisterin in Ludwigshafen<br />

am Rhein (rd. 168 000 Einwohner,<br />

Rheinland-Pfalz), ist seit 2015 Präsidentin<br />

des Deutschen Städtetags<br />

(www.staedtetag.de) mit Sitz in Berlin<br />

und Köln. Zugang zum Kommunalen<br />

fand sie 1987 als Verwaltungsjuristin<br />

bei der Kreisverwaltung Bad Dürkheim.<br />

Von 1994 bis 2001 war sie Mitglied des<br />

Ludwigshafener Stadtrates und stellvertretende<br />

Vorsitzende der CDU-Ratsfraktion.<br />

Im Mai 2001 wurde sie erstmals<br />

zur Oberbürgermeisterin gewählt, 2009<br />

dann im Amt bestätigt. Seit 2006 ist sie<br />

Vorsitzende des Verbands Region Rhein-<br />

Neckar und stellvertretende Vorsitzende<br />

der Initiative Zukunft Metropolregion<br />

Rhein Neckar. Eva Lohse ist verheiratet<br />

und hat zwei Kinder.<br />

„Ein knappes Flächenangebot<br />

und hohe Preise für<br />

angebotene Bauflächen<br />

sind der Flaschenhals beim<br />

Wohnungsbau“<br />

Eva Lohse<br />

Wohnraumversorgung<br />

„Es ist auch der<br />

Bund gefordert“<br />

In den angespannten Märkten haben über die Hälfte der Deutschen Probleme,<br />

eine bezahlbare Wohnung zu finden. der gemeinderat sprach mit Eva Lohse, der<br />

Präsidentin des Deutschen Städtetages, über die Hintergründe des Engpasses,<br />

die Wohnungspolitik der Kommunen und deren Handlungsoptionen in diesem<br />

wichtigen Bereich lokaler <strong>Infrastruktur</strong>politik.<br />

Frau Lohse, lange Zeit wurde der kommunale<br />

Wohnungsbau vernachlässigt, jetzt, in<br />

der Zeit hoher Bauland- und Mietpreise,<br />

fehlen bezahlbare Wohnungen. Warum ist<br />

diese wichtige lokale <strong>Infrastruktur</strong>aufgabe<br />

aus dem Blick geraten?<br />

Lohse: Ich würde nicht von Vernachlässigung<br />

sprechen. Während in den 1990er-<br />

Jahren noch sehr viele Wohnungen gebaut<br />

wurden, galt zu Beginn der 2000er-Jahre<br />

die Wohnungsfrage als gelöst. Sämtliche<br />

Prognosen wiesen eine schrumpfende Bevölkerung<br />

aus. In der Erwartung, künftig<br />

deutlich weniger planen und bauen zu<br />

müssen und wegen deutlich geringerer<br />

Investitionskraft der Kommunen insgesamt<br />

sank in den vergangenen 25 Jahren<br />

in der Folge auch das Personal in<br />

den Wohnungs-, Bau- und Planungsämtern.<br />

Mit derselben<br />

Begründung fuhren Bund<br />

und Länder ihre wohnungsbaupolitischen<br />

Förderinstrumente<br />

stark zurück. Inzwischen<br />

hat sich<br />

die Situation wieder<br />

verändert, der<br />

Wohnungsbedarf<br />

ist aus verschiedenen<br />

Gründen gestiegen.<br />

Der Markt<br />

reagiert darauf.<br />

Seit einigen Jahren<br />

steigt die Zahl der<br />

erteilten Baugenehmigungen<br />

wieder<br />

deutlich<br />

.<br />

Allerdings nicht in dem Maße, um die hohe<br />

Nachfrage zu decken ...<br />

Lohse: Es reicht nicht überall aus, richtig.<br />

Vor allem in Groß- und Universitätsstädten<br />

mit wachsenden Einwohnerzahlen ist es<br />

für viele Menschen schwierig, bezahlbare<br />

Wohnungen zu finden. In anderen Städten<br />

und Regionen dagegen drohen Leerstände<br />

und Preisverfall. Die Städte müssen also<br />

immer wieder auf sehr unterschiedliche<br />

Entwicklungen reagieren. Um zukünftig<br />

dieses Auf und Ab zu vermeiden, setzt sich<br />

der Deutsche Städtetag für eine langfristige<br />

und ressortübergreifende Wohnungs- und<br />

Bodenpolitik ein.<br />

Wie stellt sich Ihr Verband zur Forderung<br />

des Bundes an die Bundesländer und die<br />

Kommunen, sich stärker im Wohnungsbau<br />

zu engagieren und noch aktiver die Baulandentwicklung<br />

voranzubringen?<br />

Lohse: Ein knappes Flächenangebot und<br />

hohe Preise für angebotene Bauflächen<br />

sind der Flaschenhals beim Wohnungsbau.<br />

Viele Kommunen bemühen sich<br />

deshalb um eine aktivere Baulandpolitik.<br />

Sie sind bestrebt, Planungs- und Genehmigungsverfahren<br />

zu optimieren und die<br />

vorhandenen Instrumente des Bau- und<br />

Planungsrechts konsequent anzuwenden.<br />

Sie entwickeln umfassende Baulandstrategien,<br />

setzen auf eine strategische Bodenvorratspolitik<br />

und die konditionierte<br />

preisreduzierte Abgabe von Grundstücken<br />

für bezahlbaren Wohnraum und verankern<br />

Quoten im Rahmen städtebaulicher Verträge.<br />

Der Schlüssel für eine sozial ausgewogene<br />

Stadtentwicklung ist eine aktive,<br />

Foto: Deutscher Städtetag<br />

dem Gemeinwohl verpflichtete Bodenpolitik.<br />

Hier ist der Bund gefordert, den Gemeinwohlgedanken<br />

stärker in die bodenrechtlichen<br />

Bestimmungen einzubinden.<br />

Vielen Kommunen fällt es schwer, die<br />

Flächenpotenziale für Wohnungsbau zu<br />

erschließen. Wo liegen hier die Probleme?<br />

Lohse: Zu der bereits erwähnten Flächenknappheit<br />

vor allem in Ballungszentren<br />

kommt hinzu, dass einfach zu erschließende<br />

Flächen Mangelware sind. Oftmals<br />

hemmen Altlasten, sehr hohe Kosten für<br />

die Erschließung, komplizierte Eigentumsverhältnisse<br />

oder die fehlende Akzeptanz<br />

in der Nachbarschaft die Aktivierung potenzieller<br />

Wohnbauflächen. Vorschriften<br />

des Umweltrechts beeinflussen ebenfalls<br />

die bauliche Nutzbarkeit von Grundstücken.<br />

Hier wäre eine bessere Verzahnung<br />

von Umwelt- und Baurecht hilfreich. Sie<br />

könnte Städten etwa in Gebieten mit gewerblichem<br />

Lärm erlauben, mit Vorgaben<br />

zum passiven Schallschutz, etwa mit besonderen<br />

Fensterkonstruktionen, geringere<br />

Abstände von Wohnen und Gewerbe<br />

zu ermöglichen, ohne dass es zu Konflikten<br />

kommt. Auch im Falle bundeseigener<br />

Grundstücke besteht Nachholbedarf. Der<br />

Bund muss die verbilligte Abgabe seiner<br />

Liegenschaften an Kommunen für sozialen<br />

Wohnungsbau praktikabler gestalteten.<br />

Was müssen die Städte jetzt unternehmen,<br />

um den Wohnungsbedarf vor allem im<br />

preisgünstigen Segment zu decken?<br />

Lohse: Die Situation ist von Stadt zu Stadt<br />

sehr unterschiedlich. Deswegen gilt es,<br />

passgenaue individuelle Lösungen zu<br />

entwickeln. Das kann zum Beispiel bedeuten,<br />

die vorhandenen bauplanungsund<br />

ordnungsrechtlichen Instrumente<br />

zur Bestands- und Milieuschutzsicherung<br />

zu erweitern und zu schärfen. Die Kunst<br />

besteht darin, notwendige Investitionen<br />

für energetische Sanierungen, generationengerechte<br />

Umbauten oder Standardverbesserungen<br />

zu ermöglichen und diese<br />

Erneuerungsprozesse gleichzeitig sozialverträglich<br />

zu gestalten. Das besondere<br />

Städtebaurecht bietet überdies gebietsbezogene<br />

Steuerungsmöglichkeiten. Basis<br />

der hierfür notwendigen integrierten Quartierskonzepte<br />

sollten sozialraumbezogene<br />

Analysen und Strategien sein.<br />

Was erwarten die Kommunen zur Wiederbelebung<br />

des sozialen Wohnungsbaus von<br />

den Ländern und vom Bund?<br />

Lohse: Um mehr Wohnbauflächen aktivieren<br />

und Angebote zur Wohnraumförderung<br />

für breite Schichten entwickeln<br />

zu können, ist der Gemeinwohlgedanke<br />

beim Verkauf von Bundes- und Landesliegenschaften<br />

zu stärken. Dazu gehören die<br />

Prüfung eines angemessen ausgestatteten<br />

Wohnbauland- und Erschließungsfonds<br />

sowie die Einführung einer Tarifoption<br />

bei der Grundsteuer zur Mobilisierung erschlossener,<br />

aber unbebauter Grundstücke.<br />

Bund und Länder müssen ihr Engagement<br />

für mehr Wohnungsbau verstärken<br />

und diesen mittels geeigneter Förderinstrumente<br />

attraktiver gestalten.<br />

Im Zuge der Föderalismusreform wird der<br />

Bund ab 2020 seine jährlichen Überweisungen<br />

an die Länder für die Wohnraumförderung<br />

von derzeit rund 1,5 Milliarden Euro<br />

komplett einstellen. Was bedeutet das für<br />

den sozialen Wohnungsbau?<br />

Lohse: Insgesamt wird die Reform die finanzielle<br />

Situation der Bundesländer deutlich<br />

verbessern. Wir erwarten, dass die Länder<br />

dies auch nutzen, um ihre Kommunen stärker<br />

zu unterstützen. Das gilt auch für den<br />

sozialen Wohnungsbau, denn die aktuelle<br />

Neubautätigkeit reicht nicht aus, um den<br />

anhaltenden Abgang an Sozialwohnungen<br />

zu kompensieren. In den angespannten<br />

Märkten ist die Bezahlbarkeit von Wohnraum<br />

für über die Hälfte der Bevölkerung<br />

eine finanzielle Herausforderung.<br />

Braucht Deutschland eine komplette Neujustierung<br />

der Wohnungspolitik?<br />

Lohse: Lösungen für die aktuelle Entwicklung<br />

kann nur ein ressortübergreifender<br />

Ansatz bieten, der Kommunen, Länder<br />

und den Bund umfasst. Ein Ansatz, der<br />

die Abhängigkeiten zwischen Wohnungsund<br />

Bodenpolitik, Energie- und Umweltrecht,<br />

Verkehrs- und Raumordnungspolitik<br />

stärker berücksichtigt, als dies bislang der<br />

Fall ist. Deshalb müssen Bund und Länder<br />

ihr Engagement für mehr Wohnungsbau<br />

verstärken und ihn über einen geeigneten<br />

Mix von Förderinstrumenten attraktiver<br />

machen. Interview: Wolfram Markus<br />

STADTENTWICKLUNG BRAUCHT<br />

INTEGRIERTE KONZEPTE<br />

Wie kann die Stadtplanung auf den<br />

anhaltenden Trend der Urbanisierung<br />

reagieren? Wie soll sie umgehen mit<br />

demografischen, gesellschaftlichen und<br />

wirtschaftlichen Entwicklungen, deren<br />

Konsequenzen sich unter anderem<br />

zeigen am wachsenden Bedarf an<br />

Betreuungseinrichtungen für Kinder und<br />

alte Menschen, an steigenden Grundstückspreisen<br />

und Mieten, am Bedarf<br />

an neuen Gewerbeflächen, aber auch<br />

am zunehmenden Interesse an einem<br />

städtischen Umfeld, das für Menschen<br />

und nicht für das Auto gedacht ist?<br />

Antworten auf diese Fragen geben<br />

integrierte städtebauliche Entwicklungskonzepte,<br />

die die Zusammenarbeit<br />

zwischen Kommune, Bürgern und<br />

Investoren fördern.<br />

Zur Stärkung der Ortskerne und um zu<br />

verhindern, dass Bürger abwandern,<br />

werden Innenentwicklungspotenziale<br />

genutzt, was gleichzeitig einen erhöhten<br />

Flächenverbrauch vermeidet. Erst wenn<br />

alle innerstädtischen Entwicklungsmöglichkeiten<br />

ausgeschöpft sind, sollte die<br />

Außenentwicklung in Betracht gezogen<br />

werden. Im Vordergrund steht hier die<br />

Baulandentwicklung insbesondere<br />

zugunsten junger Familien.<br />

Ein Beispiel einer solchen weitsichtigen<br />

Stadtentwicklung ist in Konstanz (rund<br />

85 500 Einwohner, Baden-Württemberg)<br />

zu finden. Mit dem Gebiet „Nördlich<br />

Hafner“ (www.neuer-stadtteil.de) soll,<br />

unterstützt durch die Steg Stadtentwicklung<br />

(Stuttgart), ein neuer Stadtteil<br />

entwickelt werden, der entsprechend<br />

dem Leitbild der Stadt der kurzen Wege<br />

Wohnen, Arbeiten, Versorgung und Erholung<br />

miteinander verbindet. Red.<br />

ONLINE<br />

Die Langversionen beider Texte auf<br />

dieser Seite finden Sie auf<br />

www.treffpunkt-kommune.de ><br />

Themen > Planen & Bauen<br />

der gemeinderat <strong>10</strong>/17<br />

der gemeinderat <strong>10</strong>/17<br />

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