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Z19 »REFORMAFIKTION 5.0«

Die volle Ausgabe der Z 19/20 – 500 Jahre, was nun? Etliche sind froh, dass der Jubiläums-Hype vorbei ist – andere haben den tiefen Wunsch nach einer echten Erneuerung. Diese Z-Ausgabe liefert eine Fülle von Impulsen für Reformation die vor uns liegt und realisiert werden kann. Die Leseprobe liefert einen Einblick – den vollen Umfang kann man hier vorbestellen. http://www.zwiezukunft.de/z19/

Die volle Ausgabe der Z 19/20 – 500 Jahre, was nun?
Etliche sind froh, dass der Jubiläums-Hype vorbei ist – andere haben den tiefen Wunsch nach einer echten Erneuerung. Diese Z-Ausgabe liefert eine Fülle von Impulsen für Reformation die vor uns liegt und realisiert werden kann.
Die Leseprobe liefert einen Einblick – den vollen Umfang kann man hier vorbestellen. http://www.zwiezukunft.de/z19/

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f ü r Z u k u n f t<br />

REFORMA<br />

FIKTION 5.0<br />

500 JAHRE, WAS NUN?<br />

DER SCHREI NACH<br />

ECHTER ERNEUERUNG<br />

A u s g a b e # 1 9 / 2 0<br />

Z für Zukunft<br />

1<br />

w w w . Z f ü r Z u k u n f t . d e


Impressum<br />

BÜCHER, DIE BEWEGEN<br />

Herausgeber: Zukunft-Europa e.V.<br />

setzt sich für die zukunftstragenden<br />

Werte der Gesellschaft ein und weist<br />

auf wertezerstörende Trends hin.<br />

Vorstand: Peter Ischka,<br />

Dr. Martin Fontanari, Christa Meves,<br />

Sr. Dogan Hatune<br />

Redaktion: Peter Ischka<br />

Lesen Sie, was man nicht mehr sagen<br />

darf: • Umerziehung zum Gender-Menschen<br />

• verfrühte Sex-Erziehung • der<br />

Weg zum Totalitarismus.<br />

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anhand seines Handwerks den<br />

christlichen Glauben eindrücklich.<br />

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Anschrift: Zukunft-Europa e.V.<br />

Postfach 1409 • 73014 Göppingen<br />

Tel. 0171 1200 983 • www.ZwieZukunft.de<br />

info@ZwieZukunft.de<br />

Z-Kontakt in der Schweiz:<br />

Zukunft CH, Zürcherstr. 123,<br />

CH 8406 Winterthur, info@zukunft-ch.ch<br />

Z-Kontakt in Österreich:<br />

Z für Austria, Vordere Achmühle 3c,<br />

A 6850 Dornbirn, austria@ZwieZukunft.de<br />

Lektorat: Gabriele Pässler,<br />

www.g-paessler.de<br />

Satz und Gestaltung:<br />

Agentur PJI UG, Adelberg<br />

Druck: Primus GmbH, 56307 Dernbach<br />

Erscheinungsweise<br />

unregelmäßig, ca. 2 x jährlich<br />

Nr. 19/20 Januar 2018<br />

Abopreis: € 29,– für 6 Einzel-Ausgaben,<br />

inkl. Versand in Deutschland.<br />

Einzelexpl.: € 4,95 Doppelausgabe € 7,95<br />

Copyright<br />

Wenn nichts anderes vermerkt ist, liegen<br />

alle Rechte bei Zukunft-Europa e.V.,<br />

Nachdruck und weitere Veröffentlichung<br />

nur auf Anfrage bei der Redaktion.<br />

Dieses Buch<br />

zeigt, wie „Mission possible“<br />

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Nationen beim Aufstieg des falschen<br />

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können Sie bequem, sicher und gebührenfrei<br />

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Titelbild: Montage, © Agentur PJI UG<br />

ISBN: 978-3-944764-16-0<br />

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Agentur PJI UG • 73099 Adelberg • 07166 91930 • info@agentur-pji.com<br />

2<br />

Z für Zukunft


Editorial<br />

Liebe Leserin, lieber Leser,<br />

so viel wurde in letzter Zeit über Reformation gesprochen und so wenig<br />

wurde reformiert. Besonders die Hüter der Reformation, die Lutheraner,<br />

haben sich in überheblicher Weise als ganz deformatorisch erwiesen:<br />

„Bestimmte Glaubenssätze sind modern denkenden Menschen<br />

nicht mehr zuzumuten.“ Die vier „Sola“ wurden relativiert, dafür<br />

scheint zu gelten: nulla scriptura, nullus Christus, Gnade als Schleuderware und „Wir glauben,<br />

wie es uns beliebt“.<br />

Aber Reformation ist das Natürlichste der Welt: Alles wächst und erneuert sich, siehe<br />

das Beispiel der Palme auf Seite 16. Neues kommt, Altes stirbt ab. Bis zur Erfüllung der<br />

angekündigten Wiederherstellung aller Dinge, wie Propheten von jeher gesagt haben,<br />

muss sich Jesus im Himmel noch etwas die Zeit vertreiben. 1 Keine Frage, Reformation<br />

wird geschehen und zwar im vollen Ausmaß – die Frage ist nur, ob die eine oder andere<br />

Kirche auch dabei sein wird.<br />

Das Beharrungsvermögen à la „Das haben wir doch schon immer so gemacht“ ist<br />

menschlich-allzumenschlich. Als Jesus seinen Jüngern erklärte, dass er bald am Kreuz<br />

sterben würde, reagierte Petrus spontan: „Gott behüte! Dies wird dir keinesfalls widerfahren.“<br />

Zutiefst menschlich! Aber Jesus antwortete: „Tritt hinter mich, Satan! Du sinnst<br />

nicht auf das, was Gottes, sondern auf das, was menschlich ist.“ 2<br />

Diese Ausgabe gibt visionäre Impulse für nächste Reformationen. Die werden<br />

genau diese menschlichen, humanistischen Muster angehen: Denkkonzepte, die mit<br />

Gottes Konzepten nicht übereinstimmen. Da braucht es Richtungskorrektur. Wir sollten<br />

unsere Vernunft benützen, statt sie zu überhöhen und dem Irrtum zu verfallen, der<br />

Mensch wäre das Maß aller Dinge.<br />

Aber Vorsicht! Reformation schafft Probleme; neue Reformatoren wurden schon<br />

immer erbittert bekämpft. Heute gibt es zum Glück keine Scheiterhaufen mehr, aber<br />

auch Worte können töten, und davon wird leider umso reichlicher Gebrauch gemacht.<br />

Wer diese Ausgabe liest, wird ganz sicher eine persönliche Reformation erleben. Wichtig<br />

dabei: Halten Sie das Althergebrachte locker in der Hand, etliches davon ist wertvoll<br />

und des Bewahrens würdig. Aber mehr, als wir denken, ist überholt und mit menschlichen<br />

Irrtümern behaftet – das können Sie getrost loslassen.<br />

Das Material zu dem Thema ist so reichhaltig, dass wir es auf zwei Ausgaben verteilen.<br />

Ich wünsche Ihnen, dass es Ihnen geht wie mir: Mich hat’s gepackt – ich habe eine<br />

Leidenschaft für nachhaltige Reformation.<br />

Reformation<br />

zieht sich wie<br />

ein (blut)roter<br />

Faden durch die<br />

Geschichte.<br />

Wer lebt,<br />

reformiert<br />

sich ständig!<br />

Peter Ischka<br />

Chefredakteur<br />

Diese Z-Ausgabe<br />

könnte polarisieren:<br />

Wer nicht für Erneuerung<br />

ist, ist meist dagegen.<br />

PS. Werden Sie ein Reformator! Wie zu Zeiten Luthers gilt es heute, neue Gedanken<br />

über alte Wahrheiten weiterzugeben. Nützen Sie dazu das gute alte Papier – die gedruckte<br />

»Z« –, aber auch digitale Versionen, E-Mail und das Internet: www.ZwieZukunft.de.<br />

1 Apostelgeschichte 3,21.<br />

2 Matthäus 16, 22–23.<br />

Z für Zukunft<br />

3


Inhalt<br />

Reformafiktion 6<br />

Woran krankt<br />

„Kirche“ 24<br />

Reformation neu denken 32<br />

Der rote Faden 48<br />

Ekklesia<br />

wird Humanismus überwinden,<br />

Kirche nicht 93<br />

Reformafiktion<br />

Lieben Sie Science-Fiction? Stellen wir uns vor, eine umfassende<br />

Reformation wäre möglich: In hundert Jahren geschieht etwas,<br />

das alles auf den Kopf stellt. Eine spannende Parabel 6<br />

Reformation in 3D<br />

Was bedeutet Reformation? Nach dem Jubiläum denken viele dabei<br />

an Luther. Aber Reformation ist mehr! Ein 3D-Modell hilft,<br />

Reformation besser zu verstehen. 14<br />

Luther und die Reformation – und heute<br />

Die Digitalisierung bringt einen Paradigmenwechsel wie damals die<br />

Erfindung des Buchdrucks. Auch heute steht der christliche Glaube<br />

auf dem Prüfstand. Rezension: „Ein Mensch namens Luther“ 18<br />

Zeitkritisch<br />

Woran krankt „Kirche“?<br />

Und im Speziellen die evangelische in Deutschland? Eine Antwort<br />

gibt Urich Parzany in seinem Buch „Was nun, Kirche?“ 24<br />

Reformation neu denken<br />

Zum 500-jährigen Jubiläum gab es in Berlin und Wittenberg einen<br />

speziellen Kirchentag mit inszenierter Homo-Trauung und anderen<br />

umstrittenen Aktionen. Was will uns die EKD damit mitteilen? 32<br />

Billige Gnade, Todfeind der Kirche<br />

Dietrich Bonhoeffer hat uns immer noch viel zu sagen. Ein Plädoyer<br />

aus dem Jahre 1937 für teure Gnade, so aktuell, als wäre es<br />

für heute geschrieben 38<br />

Historisch<br />

Das Vermächtnis der ersten Christen<br />

Nach einer ZDF-Doku von Petra Gerster: Auf den Spuren der<br />

Urgemeinde. Die Erfindung der Menschenrechte und eine nicht<br />

vermutete Anerkennung der Frau. Interessante Einblicke 42<br />

Der rote Faden<br />

Durch die Kirchengeschichte zieht sich ein blutgetränkter Faden.<br />

Es hat immer Reformation gegeben, von Anfang des Christentums an.<br />

Lernen Sie unbekannte, aber bedeutende Reformatoren kennen. 48<br />

Luther und „die Türken“ –<br />

500 Jahre her, veraltet oder aktuell?<br />

Wie Luther „die Türken“ erlebte: Nach der blutigen Eroberung<br />

Konstantinopels standen sie jetzt vor den Toren von Wien. 63<br />

Kommen Reformatoren in den Himmel?<br />

In einer prophetischen Vision kommt Rick Joyner mit einem Reformator<br />

im Himmel ins Gespräch. Warum hat diese Persönlichkeit der<br />

Kirchengeschichte „da oben“ keinen Platz in der ersten Reihe? 69<br />

Die 10 Schandflecke der Reformation<br />

Luther und seine „vier Solas“, wer kennt sie nicht! Zu Beginn war<br />

Luther voller Glauben und Hoffnung; am Ende wurde er bitter,<br />

müde von den politischen und religiösen Winkelzügen. 73<br />

Die Täufer – eine Provokation<br />

Wie Reformatoren die Reformation abwürgten: Lutheraner, eben<br />

noch Verfolgte, werden selbst zu den schlimmsten Verfolgern.<br />

Sie verbrennen und vertreiben alle, die einen nächsten<br />

Reformations-Schritt wagen. 77<br />

4<br />

Z für Zukunft


Inhalt<br />

Ekklesiozid<br />

mit Schwert, Scheiterhaufen und Galeere. Fakten und Zahlen 82<br />

Lernen aus der Erweckungsgeschichte<br />

Was am Anfang des 20. Jh. in Wales und auf den schottischen Hebriden<br />

geschah, hatte große Wirkung auf die ganze christliche Kirche. 83<br />

Der Weg des Buches<br />

Der Besitz und das Lesen einer Bibel in deutscher Sprache waren<br />

verboten. Auf diesen abenteuerlichen Pfaden wurden Bibeln<br />

geschmuggelt zu den Geheimprotestanten in Österreich. 90<br />

Visionär<br />

Ekklesia wird Humanismus überwinden,<br />

Kirche nicht<br />

Humanistisches Denken steht Reformation entgegen. Wie Luther seine<br />

Thesen gegen den Ablasshandel der römischen Kirche gerichtet hat, so<br />

brauchen wir heute welche gegen einen humanistischen Geist. 93<br />

Einheit – Traum oder Wirklichkeit?<br />

Was ist Einheit? Müssen alle Kirchen in einer Organisation aufgehen?<br />

Nicht überall, wo „Einheit“ draufsteht, ist auch Einheit drin.<br />

Die zentrale Frage: Einheit – aber mit wem? 99<br />

Evangelium – was ist das eigentlich?<br />

Dank Luther konnten alle die Bibel lesen. Heute geht das auf jedem<br />

Smartphone. Luther hat das Evangelium von der Erlösung wiederentdeckt,<br />

Jesus sprach ständig vom Evangelium des Reiches Gottes. 104<br />

Vorschau auf die<br />

nächste Ausgabe:<br />

95 Thesen zum Humanismus<br />

Das Denkkonzept, das mit der Reformation „ausgestreut“ wurde wie<br />

das Unkraut unter gute Saat, lässt den Menschen sich für „das Maß<br />

aller Dinge“ halten. Fatal in allen Gesellschaftsbereichen. Das zu<br />

verändern, ist wichtig für jede künftige Reformation. 6 S.<br />

Das Zentrum der Reformation<br />

Statt moralischer Berechnung – fröhlicher Austausch. Durch Bekennen<br />

Vergebung erlangen: Ohne diese anhaltende Erfahrung macht sich Kirche<br />

überflüssig. Luthers Vermächtnis anwenden. 3 S.<br />

Zeitkritisch<br />

Zurück zu Luther – ... und die Neuzeit<br />

Dr. Norbert Bolz hat sich der Herausforderung gestellt – er sieht die<br />

christlichen Religionen im Spannungsverhältnis mit dem, was die<br />

Neuzeit zur Neuzeit gemacht hat. Seine scharfsinnig-philosophischen<br />

Überlegungen regen zum Nach-denken an. 5 S.<br />

Hypergrace, die noch billigere Gnade<br />

Ein Blick auf die moderne Gnaden-Bewegung. Auf welcher Seite möchten<br />

Sie vom Pferd fallen? Auf der Seite der religiösen Gesetzlichkeit oder auf der<br />

Seite einer selbstbezogenen Hyper-Gnade? 4 S.<br />

Konstantin und Theodosius:<br />

Das Heidentum kommt zurück<br />

Am Anfang waren die ersten Christen etwas Einzigartiges: Sie hatten<br />

keine Priester, keine Tempel und kein Opfer. Spätestens nach Konstantin<br />

änderte sich das gravierend. 5 S.<br />

Luther und der Antichrist<br />

Hat seine Sicht noch Gegenwartswert? „Antichrist“, was muss man<br />

sich darunter vorstellen? 5 S.<br />

Wofür Jan Hus lebte, wofür er starb<br />

Ein Reformator macht noch keinen Sommer. Viele Vor-Reformatoren<br />

haben ein größeres Ganzes gesehen. Ist ihre Vision eine Projektion,<br />

die erst noch in Erfüllung geht? 5 S.<br />

„Reformatoren“ & IS: Gemeinsamkeiten?<br />

Ähnlichkeiten der Massaker an den Täufern mit den Gräueltaten des<br />

IS an Christen im Nahen Osten 1 S.<br />

Das Azusa-Phänomen<br />

Die Realität des Heiligen Geistes für den einzelnen Gläubigen wurde<br />

wiederentdeckt – Auslöser für viele Pfingst- und charismatische<br />

Kirchen in aller Welt. 3 S.<br />

Augenzeugen aus Azusa-Street 312<br />

Dort in Los Angeles war zwischen 1906 und 1909 wohl Gottes<br />

Bodenstation: Fehlende Gliedmaßen und Zähne wuchsen nach,<br />

Krebsgeschwüre fielen ab und Menschen wurden geheilt. 6 S.<br />

Visionär<br />

„Kirche“ wird zur ekklesia<br />

Prophetische Perspektiven zur kommenden Reformation: Wie kann<br />

die Ekklesiologie einer Kirche, die bis heute an ihren mittelalterlichen<br />

Strukturen festhält, erneuert werden? 5 S.<br />

Die Kingdom-Dimension<br />

Durch Luther kam die Errettung aus Glauben wieder in den Blick;<br />

nun muss uns die bisher vernachlässigte Reich-Gottes-Perspektive in<br />

den Fokus kommen: Stoff für eine kommende Reformation. 5 S.<br />

Jesus, der Staatsgründer<br />

Jesus ist kein Religionsstifter! Wie ist das mit der neuen Staatsbürgerschaft<br />

und dem richtigen Pass? Die vergessene Botschaft von Jesus<br />

Christus neu entdecken 4 S.<br />

Weltweite Rückrufaktion<br />

Luther hat auch wirtschaftliche Prozesse angestoßen, die haben<br />

Europa verändert. Wer macht weiter, wo Luther aufgehört hat?<br />

Was bedeutet das Konzept von Gottes Königreich heute? 3 S.<br />

Historisches<br />

Der rote Faden, Teil 2<br />

Die Reformation ging auch nach Luther und den Täufern weiter, bis<br />

heute. Viele Reformatoren, deren Namen nicht viel Beachtung<br />

gefunden haben, haben wichtige Puzzlesteine hinzugefügt. 8 S.<br />

Z für Zukunft<br />

5


Leitthema<br />

Foto: © Agentur PJI UG, Montage<br />

R e f o r m a f i k t i o n<br />

Mögen Sie Science-Fiction? Stellen wir uns einfach mal vor, eine umfassende Reformation<br />

wäre möglich. Was Reformation alles nicht ist, wurde uns ja ein ganzes Jahr lang<br />

in Form eines Jubiläums präsentiert. Versetzen wir uns in das Jahr 2117.<br />

Peter Ischka<br />

Die letzten<br />

100 Jahre<br />

hat sich die<br />

Theologie<br />

weiterentwickelt:<br />

Dem Zeitgeist<br />

entsprechend<br />

kommt Gott gar<br />

nicht mehr vor<br />

Die letzten Veteranen der Lutheraner<br />

mussten gerade alle Pläne<br />

für ein 600-Jahr-Jubiläum ad acta<br />

legen, aus finanziellen Gründen:<br />

Die Kirche hat noch 4 % Mitglieder,<br />

Durchschnittsalter 68 – hauptsächlich Rentner<br />

und Sozialhilfeempfänger, die kaum Kirchensteuer<br />

zahlen. Die Säkularisierung hat um sich<br />

gegriffen; die meisten Kirchengebäude wurden<br />

anderen Nutzungen zugeführt. Kirchenbesuche<br />

werden nur noch aus musealen Aspekten vorgenommen;<br />

sie sind Bildungsveranstaltungen in historisch<br />

bedeutenden Bauwerken.<br />

Die letzten 100 Jahre hat sich die Theologie<br />

wissenschaftlich weiterentwickelt: Dem Zeitgeist<br />

entsprechend kommt Gott gar nicht mehr vor,<br />

obwohl eine gewisse Gottessehnsucht im Menschen<br />

nie erloschen ist. Er sucht Antworten, aber<br />

es werden ihm keine gegeben. Die Pfarrer zeichnen<br />

sich aus durch Skepsis und Kritik; spätestens<br />

beim Abschluss des Theologiestudiums ist ihnen<br />

jeder Glaube ausgetrieben. Warum sollte sich<br />

jemand dann am Sonntagmorgen noch die Mühe<br />

machen, ein Kirchengebäude aufzusuchen? Gibt<br />

es doch digital ganz bequem viel interessantere<br />

Angebote!<br />

Für Plakate zum 600-jährigen Jubiläum hat es<br />

gerade noch gereicht: das Lutherporträt in Form<br />

eines Explosionsbildes, mit dem Slogan: „Luther,<br />

wie es dir beliebt.“ Die Öffentlichkeit nimmt kaum<br />

Notiz.<br />

6<br />

Z für Zukunft


Leitthema<br />

Aufregung in der Finanzwelt<br />

Deutlich mehr Resonanz erzielte die Eröffnung<br />

der von Larry Bracks (77) gegründeten HDS-Bank<br />

(„Habit Debit Save Bank“) in Frankfurt – ausgerechnet<br />

am 31. Oktober 2117, am Tag des 600-<br />

Jahr-Jubiläums. Zufall oder Kalkül? Mr. Bracks ist<br />

unvorstellbar reich; sein gesamtes Vermögen von<br />

378 Billiarden Euro hat er in diese Bank gesteckt.<br />

Sein Wirtschaftskonzept steht allem Herkömmlichen<br />

diametral entgegen; WWF, FED und EZB<br />

haben bereits Krisensitzungen einberufen. Sie<br />

befürchten, dass das Konzept der HDS-Bank nicht<br />

nur das sensible Finanzsystem weltweit erschüttern,<br />

sondern auch andere gut eingespielte Strukturen<br />

aushebeln könnte.<br />

Was hat dieser Larry Bracks vom Stapel gelassen,<br />

dass er weltweit solche Aufregung verursacht?<br />

Im Grunde genommen ist sein Konzept ganz<br />

einfach: Wer sich bei HDS als Kunde verbindlich<br />

registriert, was sich mit einem kleinen Prozedere<br />

regeln lässt, dem werden als Erstes alle<br />

seine Schulden getilgt und anschließend erhält<br />

er monatlich auf Lebenszeit einen gewissen Prozentsatz<br />

seiner Schuldsumme als Prosperitätssatz<br />

ausbezahlt; die Höhe des Satzes richtet sich nach<br />

gesellschaftlich-sozialen Parametern und wird<br />

von einem komplexen Algorithmus ermittelt.<br />

Einer der ersten Kunden, der sich registrierte,<br />

war Kuno Bretschneider in Frankfurt, 48 Jahre,<br />

verheiratet und Vater von drei Kindern. Seine<br />

127 000 Euro Schulden wurden unmittelbar<br />

nach der Akkreditierung getilgt. Aufgrund des<br />

HDS-Prosperitätsschlüssels ergab sich für Familie<br />

Bretschneider ein Satz von 4,2759 % – demzufolge<br />

werden Kuno nun bis zum Lebensende<br />

monatlich 5430 Euro ausbezahlt. Außer einer verbindlichen<br />

Registrierung bei der HDS-Bank und<br />

der Zusstimmung zu den AGB wurde von Kuno<br />

Bretschneider keine weitere Leistung gefordert.<br />

Auch der hoch verschuldete Unternehmer<br />

Hans-Joachim Fries wurde HDS-Kunde. Ihm<br />

wurde sofort der Betrag von 46 Mio. Euro überwiesen;<br />

so kann er sein Unternehmen solide<br />

weiterführen. Für ihn ergab sich ein Prosperitätsschlüssel<br />

von 6,4286 %; monatlich erhält er<br />

knapp 3 Mio. Euro, bis sein Unternehmen wieder<br />

in die Gewinnzone geführt ist und ein neuer<br />

Schlüssel definiert wird.<br />

Eine alleinerziehende Mutter, die an einer<br />

chronischen Atemwegs-Erkrankung leidet, wird<br />

HDS-Kunde; auch ihre 24 000 Euro Schulden sind<br />

nun getilgt und monatlich kann sie mit 2317 Euro<br />

rechnen.<br />

Auch Kunde werden<br />

Das sind nur drei Beispiele von vielen. Sicher kennen<br />

Sie selber HDS-Kunden in Ihrer Nähe, es sind<br />

inzwischen ja richtig viele. Selbstverständlich ist<br />

das Budget dieser Bank für Marketing und Kundenakquise<br />

praktisch gleich null – jeder, der dank<br />

HDS seine Schulden losgeworden ist, ist nicht<br />

mehr zu bremsen und erzählt allen und jedem von<br />

seiner Veränderung! Das Problem der Bank war<br />

am Anfang eher, die Kundenakkreditierung zeitnah<br />

abzuwickeln – zunächst waren es allmonatlich<br />

Tausende; bald wurde die Logistik ausgebaut<br />

und nach kurzer Zeit konnten stündlich Tausende<br />

zufriedenstellend bedient werden.<br />

Akkreditierungsdetails<br />

Sehen wir uns das Kundenakkreditierungs-Anmeldeformular<br />

der HDS-Bank im Detail an.<br />

Nach den Feldern für Name, Adresse, Geburtsdatum<br />

und Familienstand kommt die Frage nach<br />

den Schulden: „Benennen Sie Grund und Höhe<br />

Ihrer Schulden.“ Darunter eine Multiple-Choice-<br />

Auswahl zum Ankreuzen: „Ich bitte um die Tilgung<br />

meiner Schulden, die ich aus eigener Leistung<br />

nicht in den Griff bekomme.“ Eine weitere Möglichkeit:<br />

„Ich bitte um Auszahlung eines monatlichen<br />

Prosperitätssatzes, um sorgenfrei meine<br />

eigentlichen Fähigkeiten entfalten zu können.“<br />

Dann folgen die AGB der HDS-Bank, die zu<br />

unterzeichnen sind. Mit seiner Unterschrift willigt<br />

der zukünftige HDS-Kunde in folgende Bedingungen<br />

ein:<br />

• Ich erlasse meinen Schuldnern alle Schulden zu<br />

100 % und verzichte vollständig und endgültig<br />

auf alle diese Forderungen.<br />

• 25 % meines Prosperitätssatzes verwende ich<br />

dafür, die Lebensbedingungen von Menschen in<br />

meinem Umfeld zu verbessern.<br />

Die<br />

HDS-Bank<br />

braucht kein<br />

Werbe-Budget –<br />

keiner ist zu<br />

bremsen, jeder<br />

erzählt allen<br />

davon<br />

Z für Zukunft<br />

7


Leitthema<br />

Foto: © Agentur PJI UG, Montage<br />

Selbstmordattentat:<br />

Herabstürzende<br />

Hallenteile<br />

begraben<br />

Passanten<br />

unter sich.<br />

Was ist ein<br />

Menschenleben<br />

eigentlich wert?<br />

• Ich wähle eine Erwerbstätigkeit und/oder ein<br />

Ehrenamt, in dem ich mich meinen Fähigkeiten<br />

und Begabungen entsprechend weiterentwickeln<br />

kann.<br />

• Ich treffe mich regelmäßig mit zwei bis drei Personen<br />

meines Vertrauens zum Essen, um mich<br />

über Fragen des Lebens und über Probleme<br />

des Alltags auszutauschen, von den Erfahrungen<br />

der anderen zu lernen und zu einer positiven<br />

Motivation beizutragen.<br />

Das war’s! Wer dem zustimmen kann, wird<br />

per Unterschrift HDS-Kunde und der Schuldentilgung<br />

steht nichts mehr im Wege.<br />

Medienscheu<br />

Die Aufregung des internationalen Finanzwesens<br />

und der unvorstellbar große Andrang neuer Kunden<br />

hat den medienscheuen Larry Bracks für die<br />

Öffentlichkeit interessant gemacht. Alle bewegt<br />

die Frage: Warum macht ein Billiardär so etwas?<br />

Um darauf eine Antwort zu bekommen, haben<br />

Sender und Medienhäuser alles in Bewegung<br />

gesetzt. Aber Larry Bracks hat beschlossen, seine<br />

Geschichte einem kleinen Blogger zu erzählen;<br />

Mike Herswold hat sich einen Namen gemacht<br />

in Kreisen, in denen man gerne auch mal gegen<br />

den Strich denkt. Bracks hat ihn zum Essen nach<br />

Obertshausen in die „Fette Ente“ eingeladen und<br />

dort erzählt er, wie alles angefangen hat.<br />

Warum macht ein Billiardär so etwas?<br />

Bracks wurde in die „richtigen“ Kreise hineingeboren,<br />

ist also quasi auf die Speckseite gefallen. Schon<br />

in jungen Jahren lernt er, wie das System „tickt“,<br />

wie man sich Freunde macht und Feinde ausschaltet.<br />

Krisen lassen sich gut instrumentalisieren, um<br />

auf Kosten der Verlierer satte Gewinne zu machen.<br />

Er erzählt, wie man mit den Rohstoffen der ärmsten<br />

Länder superreich wird und wie man „ganz legal“<br />

Waffenembargos vergolden kann.<br />

An einem bestimmten Tag, er wechselt gerade<br />

das Flugzeug am Flughafen Schiphol, läuft er geradewegs<br />

auf eine Explosion zu: Selbstmordattentäter<br />

zerfetzen sich in Einzelteile! Herabstürzende<br />

Hallenelemente begraben ihn unter sich. Um ihn<br />

herum schreiende Verletzte, Blut überall. Über 30<br />

Passanten finden den Tod. Bracks kann sich nicht<br />

rühren, ihn packt eine entsetzliche Angst, Gedanken<br />

rasen ihm durch den Kopf: Was ist ein Menschenleben<br />

eigentlich wert? In der „Forbes-Liste“<br />

steht er an der Spitze der Reichsten dieser Welt.<br />

Und nun stellt er sich eine Frage, die ihn noch nie<br />

berührt hat: „Wenn ich heute sterben würde, was<br />

kommt dann? – Sollte es einen Gott geben, was<br />

hätte ich ihm vorzuweisen?“<br />

Wie in einem Zeitrafferfilm spulen sich einige<br />

seiner skrupellosen Entscheidungen vor seinen<br />

Augen ab: blutige Bürgerkriege, ausgelöst durch<br />

seine Deals. Rohstoffe in Billiarden-Werten den<br />

Ländern der Dritten Welt entzogen. Menschen<br />

hingeschlachtet für seine globalen Gewinne. Was<br />

ist ein Menschenleben wert? – Das will er doch<br />

gar nicht sehen! Wo ist der Aus-Knopf? –<br />

Sanitäter befreien ihn aus dieser Lage.<br />

Nach einer umfassenden Untersuchung im<br />

„University Medical Center Amsterdam“ werden<br />

keine ernstzunehmenden Verletzungen festgestellt;<br />

professionell versorgt und mit einigen Verbänden<br />

verziert wird Bracks entlassen. Im Pulitzer<br />

bezieht er eine Suite, um sich bis zum Anschlussflug<br />

etwas zu entspannen, und vor allem: er will<br />

schnell auf andere Gedanken kommen.<br />

Vorsichtig lässt er sich auf das bequeme Sofa<br />

nieder – die vielen Prellungen schmerzen höllisch –<br />

und greift nach der nächstbesten Lektüre auf dem<br />

nahen Beistelltisch.<br />

8<br />

Z für Zukunft


Leitthema<br />

Wahllos schlägt er eine Seite auf: „Da ist kein<br />

Gerechter, auch nicht einer; da ist keiner, der verständig<br />

ist. Alle sind abgewichen; da ist keiner,<br />

der Gutes tut, auch nicht einer. Ihre Worte bringen<br />

Tod und Verderben. Durch und durch verlogen<br />

ist all ihr Reden, und was über ihre Lippen<br />

kommt, ist bösartig und todbringend wie Schlangengift.<br />

Ihr Mund ist voller Flüche und Gehässigkeiten.<br />

Sie sind schnell bereit, Blut zu vergießen.<br />

Sie hinterlassen eine Spur der Verwüstung und<br />

des Elends. Den Weg zum Frieden kennen sie<br />

nicht. Keine Ehrfurcht vor Gott ist in ihnen.“<br />

„Das bin ja ich!“, wird Bracks schlagartig bewusst.<br />

Er liest weiter:<br />

„Jetzt aber ist Gottes Gerechtigkeit sichtbar<br />

geworden durch Jesus Christus für alle, die glauben.<br />

Denn es ist kein Unterschied, alle haben<br />

gesündigt und haben jeden Zugang zu Gottes<br />

Herrlichkeit vertan. Als gerecht erklärt werden,<br />

das kann man nur aus reiner Gnade; es ist ein<br />

Geschenk aufgrund der Erlösung durch Jesus<br />

Christus. Ihn hat Gott vor den Augen aller Welt<br />

zum Sühneopfer für unsere Schuld gemacht,<br />

durch den Glauben wird es uns eröffnet.“ 1<br />

Der Rat des „Spinners“<br />

Das schlägt ein wie ein Blitz! Bracks greift zum<br />

Smartphone und wählt die Nummer von Rob<br />

Berrington, des Sohnes einer Familie, mit der er<br />

schon die heißesten Geschäfte gemacht hat. Rob<br />

ist in gewissem Sinne ein Außenseiter; Bracks<br />

hat ihn immer für einen Spinner gehalten. Aber<br />

genau das, was er eben hier gelesen hat, hat Rob<br />

ihm schon einmal eindringlich gesagt: „Dank deinem<br />

Geld hast du so viel Blut an den Händen, das<br />

kannst du irgendwann nicht mehr ertragen – es<br />

wird dich innerlich zerfressen!“<br />

Rob am anderen Ende der Leitung hört sich<br />

geduldig an, was Bracks ihm erzählt von den<br />

Erlebnissen der letzten Stunden – und dann liest<br />

Rob genau das vor, was Larry selber gerade gelesen<br />

hat! Rob kann es nur bestätigen:<br />

„Larry, du bist einer der mächtigsten Männer<br />

der Welt. Du hast Kohle wie kaum ein anderer,<br />

aber du bist genau so, wie es hier beschrieben<br />

wird: Du hast keinen Zugang zu Gott und du hast<br />

dir bis heute auch noch nie richtig Gedanken darüber<br />

gemacht. Aber ich weiß, dass du dich trotz<br />

deines Reichtums nie wirklich frei gefühlt hast.<br />

Du bist unter der Herrschaft eines Systems,<br />

das über Leichen geht. Ein teuflisches System<br />

ist das, und du wurdest missbraucht und hast<br />

viel Elend verursacht. Einige haben sich vielleicht<br />

als Gewinner gefühlt, du ganz sicher auch;<br />

unzählig viele waren elendige Verlierer. Aber vor<br />

Gott bist du der Verlierer, wenn du nicht das System<br />

wechselst. ‚Denn Gott hat die Menschen so<br />

sehr geliebt, dass er seinen einzigen Sohn opferte<br />

– damit jeder, der an ihn glaubt, nicht mit diesem<br />

tödlichen System zugrunde geht, sondern das<br />

ewige Leben haben soll.‘<br />

Du hast dich ja gefragt: ‚Was ist, wenn ich<br />

jetzt sterbe?‘ Lass dich retten aus den Krallen der<br />

Finsternis und lass dich versetzen in die Beziehung<br />

zum geliebten Sohn Gottes, in dem auch du<br />

Zugang hast zu der Liebe Gottes. In diesem Gottessohn<br />

hast du dann die Erlösung, die Vergebung<br />

deiner himmelschreienden Vergehungen.“ 2<br />

Was Larry beim Lesen wie ein Blitz getroffen<br />

hat, das ist mehr als nur ein logisches Bedenken<br />

seiner Lage. Er ist innerlich zutiefst betroffen,<br />

kann es gar nicht in Worte fassen; so ist es für ihn<br />

nur folgerichtig zu beschließen: Ich will absolut<br />

das System wechseln!<br />

Noch am Telefon folgt er Robs Empfehlung –<br />

und bekennt stammelnd und unter Tränen, dass er<br />

ein unermesslich großer und grausamer Sünder<br />

ist. Unter der erdrückenden Last seiner Schuld<br />

versucht er, irgendwie um Vergebung zu bitten;<br />

die Vergebung, von der er gerade eben gelesen<br />

hat, genau die will Bracks in Anspruch nehmen.<br />

Vor Rob spricht er aus, dass er aus der Abhängigkeit<br />

von diesem System, aus der Herrschaft der<br />

Finsternis, heraus- und in den Einflussbereich des<br />

„Sohnes der Liebe“ hineinversetzt werden wolle.<br />

Bis Bracks einigermaßen begreift, welch weitreichende<br />

Entscheidung er mit diesen wenigen<br />

Worten am Telefon getroffen hat, dauert es.<br />

Eine große Hilfe sind ihm dabei Rob und seine<br />

Freunde: Wann immer er Gelegenheit findet, trifft<br />

er sich nun mit ihnen, um genauer herauszufinden,<br />

was dieser Systemwechsel für ihn bedeutet.<br />

Unter der<br />

Herrschaft<br />

eines teuflischen<br />

Systems kann<br />

einer leicht<br />

missbraucht<br />

und zur Quelle<br />

großen Elends<br />

werden<br />

In der Hotel-Suite greift er nach<br />

der nächstbesten Lektüre<br />

Foto: © Pulitzer, Amsterdam<br />

Z für Zukunft<br />

9


Leitthema<br />

Foto: © Agentur PJI UG, Montage<br />

Er gründet<br />

eine etwas<br />

andere Bank,<br />

um zu erklären,<br />

was es bedeutet,<br />

wenn einem<br />

die Schulden<br />

erlassen<br />

werden<br />

Große Reden liegen ihm nicht<br />

Zweieinhalb Jahre später ist Bracks klar, dass<br />

er seine globalen Geschäfte so nicht mehr weiterführen<br />

kann: „Wem viel vergeben wurde, der<br />

liebt viel.“ Larry Bracks ist unvorstellbar viel vergeben<br />

worden, das erkennt er von Jahr zu Jahr<br />

deutlicher, und er sieht auch immer klarer, wie<br />

unterschiedlich, ja gegensätzlich die beiden Systeme<br />

sind; deshalb sucht er nach einer Möglichkeit,<br />

den unermesslichen inneren Reichtum der<br />

Vergebung, die er selber erhalten hat, anderen<br />

mitzuteilen.<br />

Larry ist kein Mann der Öffentlichkeit, auch<br />

große Reden liegen ihm nicht, aber er versteht<br />

etwas von Geld. So gründet er eine Bank, um das<br />

auszudrücken, was zu sagen ihm nicht so leichtfällt:<br />

Was es bedeutet, wenn einem die Schulden erlassen<br />

werden und man aus den Zwängen der Armut herausgeholt<br />

wird. – So entstand die HDS-Bank.<br />

Mike Herswold ist begeistert! Was er da in der<br />

„Fetten Ente“ in Obertshausen an Land gezogen<br />

hat, das ist ja wirklich eine Exklusiv-Story vom<br />

Feinsten! Kaum merkt er, dass die gefüllte Maispoulardenbrust<br />

an Shi-Take-Pilzen inzwischen<br />

kalt geworden ist. Zum Abschluss der aufregenden<br />

Unterhaltung lässt er sich noch ein Mousse<br />

au chocolat servieren – um wieder etwas herunterzukommen<br />

und das Gehörte einigermaßen sortieren<br />

zu können. Er kommt sich vor wie im Film<br />

– einem guten Film!<br />

Erfolgsgeschichten<br />

Nach nur einem Jahr hat die HDS-Bank 2,49 Millionen<br />

Kunden, 236 Mrd. Euro an Schulden wurden<br />

getilgt. Diese Kunden wiederum haben ihren<br />

Schuldnern die Schulden erlassen – im Schnitt<br />

hatte jeder 5 Schuldner, das sind weitere 12,45<br />

Millionen Menschen. (Die Summe dieser zusätzlich<br />

getilgten Schulden konnte nicht zuverlässig<br />

eruiert werden.)<br />

Die Ergebnisse sprechen für sich: Kuno Bretschneider,<br />

dem seit seiner Schuldentilgung nun<br />

monatlich 5430 Euro ausbezahlt werden, geht es<br />

rundum besser. Die nagenden Sorgen hatten bei<br />

ihm psychosomatische Probleme ausgelöst – Hautausschläge<br />

mit starkem Juckreiz. Die Geldsorgen<br />

waren ihm sozusagen unter die Haut gegangen,<br />

man kann auch sagen: Sie kratzten ihn wirklich!<br />

Heute ist davon nichts mehr zu sehen. Lag früher<br />

im Hause Bretschneider Gereiztheit in der<br />

Luft, wurde ein falsches Wort schnell zum Zünder<br />

für explosive Auseinandersetzungen, so ist die<br />

Atmosphäre heute entspannt und man nimmt sich<br />

Zeit füreinander.<br />

Kuno hat sich ein Jahr Auszeit von seinem Job<br />

gegönnt und diese Zeit zur Weiterbildung in kreativer<br />

Kommunikation genützt. Das brachte ihm<br />

beim Wiedereinstieg nicht nur eine bessere Position,<br />

auch in der Familie hat sich die Gesprächskultur<br />

verändert. Dabei kamen immer wieder<br />

auch die Beweggründe von Larry Bracks zur<br />

Sprache: „Mann, hat der eine 180-Grad-Wende<br />

erlebt! Damit wurde er wirklich Spezialist für<br />

Schuldentilgung. In jeder Hinsicht. Ich glaube, da<br />

könnten wir einiges lernen.“<br />

Auch bei Unternehmer Hans-Joachim Fries hat<br />

sich vieles verändert. Sein Unternehmen war ja<br />

in die Krise geraten, weil er nicht Schritt halten<br />

konnte mit der Geschwindigkeit der technologischen<br />

Entwicklung in seiner Branche.<br />

Die Schuldenlast hatte ihn völlig gelähmt, er<br />

war nicht mehr in der Lage gewesen, für seine<br />

Zukunft konstruktive Entscheidungen zu treffen.<br />

Kaum war aber die Last von seinen Schultern<br />

genommen, konnte er wieder klar denken, die<br />

Kreativität kam zurück; er hat sein Unternehmen<br />

in eine Nische geführt, in der er nahezu mitbe-<br />

10 Z für Zukunft


Leitthema<br />

werberfrei ist. Und das alles, ohne einen einzigen<br />

Mitarbeiter zu entlassen!<br />

Der Passus in den HDS-Geschäftsbedingungen,<br />

den eigenen Schuldnern seien alle Schulden zu<br />

erlassen, hat ihm viele Freunde gemacht, gerade<br />

unter den Mitarbeitern – das Betriebsklima hat<br />

sich total zum Guten verändert. Etliche Mitarbeiter<br />

sind selber HDS-Kunden geworden und treffen<br />

sich zum wöchentlichen Erfahrungsaustausch-<br />

Essen. Man ruft einander zu: „Schulden erlassen,<br />

das hat was!“ Gerade weil HDS-Kunden nicht<br />

arbeiten müssten, macht ihnen die Arbeit umso<br />

mehr Spaß. Dass die Beziehungskultur von der<br />

Kraft der Vergebung geprägt ist, löst positive Verwunderung<br />

aus und bietet immer wieder Stoff für<br />

angeregte Diskussionen.<br />

Der alleinerziehenden Mutter geht es besonders<br />

gut; auch ihre chronische Atemwegs-Erkrankung<br />

dürfte mit der Schuldenlast im Zusammenhang<br />

gestanden haben. Vor allem aber: Sie ist nicht mehr<br />

alleinerziehend! Den HDS-Geschäftsbedingungen<br />

gemäß hat sie dem Vater ihres Kindes seine Schulden<br />

erlassen, die er bei ihr wegen nicht geleisteter<br />

Unterhaltszahlungen hatte, und damit wurde ein<br />

wichtiger strittiger Punkt zwischen ihnen aus der<br />

Welt geschafft. Der Vater selbst gestand ein, er habe<br />

Fehler gemacht, und bat sie um Vergebung. Auf diesem<br />

Wege hat sich offensichtlich mehr als nur ein<br />

monetäres Problem gelöst: Zurzeit suchen die beiden<br />

einen Hochzeitstermin.<br />

Schuld und Schulden –<br />

ein Menschheitsproblem<br />

Das von Mike Herswold veröffentliche Interview<br />

wurde in viele Sprachen übersetzt und ging um die<br />

Welt. Das Leserecho ist gespalten: Für die einen<br />

ist Larry Bracks der reiche Spinner, für die anderen<br />

ein außergewöhnliches Vorbild. Eines wurde<br />

deutlich: Schuld ist ein generelles Problem der<br />

Menschheit. Schulden machen unfrei! Man lebt<br />

dann nur noch, um Schulden zu tilgen, hat aber<br />

keine Aussicht, dieses Ziel jemals zu erreichen.<br />

Nicht nur in Deutschland nimmt die Zahl der<br />

Überschuldungsfälle konstant zu; die finanzielle<br />

Situation vieler Menschen verschlechtert sich spürbar.<br />

Mindestens jeder Zehnte ist überschuldet.<br />

Allein in Deutschland sind 6,7 Millionen Menschen<br />

nicht in der Lage, auf absehbare Zeit ihren<br />

Zahlungsverpflichtungen nachzukommen. Die<br />

durchschnittliche Verschuldung beträgt rund<br />

31 600 Euro pro Kopf. Aber Schulden drücken<br />

nicht nur Einzelpersonen; praktisch alle Länder<br />

sind überschuldet, zum Teil extrem.<br />

Das am höchsten verschuldete Land der Welt<br />

ist Japan; hier beträgt die Staatsverschuldung<br />

269 % des Bruttoinlandsprodukts. Das heißt: Alle<br />

Einwohner müssten 2 Jahre und 8 Monate arbeiten<br />

und Gehalt, Vergütung und Erlös vollständig<br />

an die Gläubiger des japanischen Staates abführen,<br />

um die Staatsschuld zu tilgen. Natürlich<br />

fallen während dieser Zeit weitere Zinsen und<br />

Staats-Ausgaben an. (Japans BIP beträgt 4,93 Billionen<br />

US-Dollar; die Schulden belaufen sich auf<br />

11,78 Billionen.)<br />

Das hat Folgen<br />

Zwei Jahre nach der Eröffnung ist die Zahl der<br />

HDS-Kunden bereits auf 19,64 Millionen hochgeschnellt;<br />

ihnen wurde eine Schuldenlast in Höhe<br />

von über 22,5 Billionen Euro abgenommen, von<br />

der „Umwegsrentabilität“, dem Kollateralnutzen,<br />

ganz zu schweigen. Kein Wunder, dass die HDS-<br />

Bank und ihr Gründer Larry Bracks auch weiterhin<br />

Gesprächsthema sind.<br />

Wo es bis vor Kurzem noch völlig normal war,<br />

dass jeder unter irgendeiner Schuldenlast stöhnte,<br />

ist in diesen Tagen „Entschuldung“ in aller Munde<br />

– in manchen Regionen gibt es gar keine Schuldner<br />

mehr. Die Menschen blühen auf. Man hat Zeit<br />

füreinander. Man spricht begeistert über<br />

Japan<br />

die positiven Veränderungen und man hat<br />

Libanon<br />

Zukunftsperspektiven. Man freut sich mit<br />

Italien<br />

anderen, dass es ihnen wieder gut geht. Portugal<br />

Kapverden<br />

Es gibt ja wirklich keinen Grund, verbissen<br />

Eritrea<br />

oder neidisch zu reagieren, wenn es einem Gambia<br />

selber auch besser geht als je zuvor.<br />

Mosambik<br />

Das hat auch die Kriminalitätsrate Jamaika<br />

Singapur<br />

erkennbar beeinflusst: Vor zwei Jahren<br />

Bhutan<br />

wurden in Deutschland noch 6,37 Mio. Zypern<br />

USA<br />

Straftaten registriert; nach einem Jahr<br />

Belgien<br />

sank diese Zahl bereits um 18,7 %, nach Barbados<br />

Spanien<br />

dem zweiten Jahr insgesamt um 54,2 %<br />

auf 2,32 Mio Straftaten! Bei anhaltender Belize<br />

Griechenland<br />

Republik Kongo<br />

Mauretanien<br />

Schuld ist<br />

ein generelles<br />

Problem der<br />

Menschheit.<br />

Schulden<br />

machen unfrei!<br />

Man lebt nur<br />

noch, um sie<br />

zu tilgen<br />

239,27%<br />

Die 20 Länder<br />

mit der höchsten<br />

Staatsverschuldung<br />

im<br />

Jahr 2016 in<br />

Relation zum<br />

Bruttoinlandsprodukt<br />

(BIP)<br />

© Statista 2017,<br />

Quelle: IMF<br />

Z für Zukunft<br />

11


Leitthema<br />

Foto: © Seikang<br />

Nebenwirkung: In den<br />

Krankenhäusern ist<br />

Überlastung fast zum<br />

Fremdwort geworden. Man<br />

leidet unter Bettenleerstand<br />

Es zählt nicht<br />

mehr, auf Kosten<br />

anderer zu überleben<br />

oder sich zu<br />

Ungunsten anderer<br />

Vorteile herauszuschinden<br />

Entwicklung geht man in der Kriminalitätsstatistik<br />

davon aus, dass in weiteren zwei Jahren die<br />

Zahl unter 1 Mio. sinken könnte. Wurde vor zwei<br />

Jahren noch lauthals eine massive Aufstockung<br />

der Sicherheitskräfte gefordert, muss die Politik<br />

sich inzwischen darum kümmern, wie sie die über<br />

150 000 nicht mehr benötigten Polizisten durch<br />

Umschulung im Arbeitsmarkt halten kann.<br />

Beziehungskultur und Gesundheitsboom<br />

Wer seine Schulden bezahlt bekommt, erlässt<br />

anderen die Schulden – nur ein Punkt in den<br />

HDS-Geschäftsbedingungen, aber der ändert den<br />

Lebensstil: Nicht mehr zählt es, auf Kosten anderer<br />

irgendwie überleben zu können oder sich zu<br />

Ungunsten anderer gar Vorteile herauszuschinden.<br />

Nein, der Blick hat sich völlig gewendet<br />

dank dem Impuls, einen Teil des monatlichen Prosperitätssatzes<br />

dazu zu verwenden, dass sich die<br />

Lebensqualität von Menschen im nahen Umfeld<br />

verbessert.<br />

Aus Eigennutz und Selbstbezogenheit ist eine<br />

Beziehungskultur geworden, in der Gesellschaft<br />

hat eine Transformation stattgefunden: Man<br />

genießt und sucht das immense Hochgefühl, das<br />

man verspürt, wenn es dem anderen gut geht. Es<br />

macht Spaß, Gutes zu tun! Das hat zu einer Veränderung<br />

des Denkens geführt, eine Umdeutung<br />

von Werten hat stattgefunden.<br />

Eine weitere Nebenwirkung ist der aktuelle<br />

Gesundheitsboom: Ein Großteil psychosomatisch<br />

bedingter Krankheiten, vor Kurzem noch an die<br />

80 % aller von den Gesundheitskassen erfassten<br />

Erkrankungen, ist außerordentlich stark im Rückzug<br />

begriffen. Ärzte stellen einen spürbaren Patientenschwund<br />

fest und in den Krankenhäusern<br />

ist Überlastung fast zum Fremdwort geworden.<br />

Die Pharmakonzerne klagen über dramatische<br />

Einbrüche ihrer Aktienkurse.<br />

Gottessehnsucht<br />

Jeder der HDS-Kunden hat irgendwann die<br />

Geschichte von Larry Bracks gehört oder gelesen.<br />

Da ist sozusagen ein Saulus zum Paulus geworden,<br />

und man erfreut sich an den positiven Auswirkungen<br />

von Bracks Kehrtwende für sich selbst<br />

und das Umfeld.<br />

Vielen geht die Geschichte aber tiefer: „Hat da<br />

so ein stinkreicher Ausbeuter nach Gott gefragt<br />

und tatsächlich Vergebung bekommen für die<br />

Gräueltaten, die er durch seine skrupellosen<br />

Geschäfte auf dem Gewissen hat?“ Solche und<br />

ähnliche Fragen regen die Gespräche an.<br />

„Hätte er doch nicht nötig gehabt, bei dem<br />

Reichtum!“, wirft der eine oder andere ein. Aber<br />

als der damals beim Terroranschlag Verschüttete<br />

sich dem Tode nahe sah, war ihm klar, dass er von<br />

seinen Billiarden nichts mitnehmen kann – und<br />

in diesem Moment unterschied er sich in keiner<br />

Weise von dem Afrikaner, der um einen Dollar pro<br />

Tag im Bergwerk für ihn schuften musste.<br />

So mancher erinnert sich an den alten Spruch,<br />

den er als Kind noch ab und zu gehört hat: „Vergib<br />

uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unseren<br />

Schuldigern.“ Jetzt ist er wieder aktuell – viele<br />

wählen ihn sogar zum Lebensmotto! Nicht selten<br />

folgen Zeitgenossen dem Beispiel von Bracks und<br />

reflektieren in einer beschaulichen Minute ihr<br />

Leben vor einem Gott, der ihnen fremd geworden<br />

ist, denn in der säkularen Gesellschaft ist Gott<br />

schon lange kein Thema mehr gewesen.<br />

Aber die Geschichte von Bracks und ihre<br />

Auswirkung haben geradezu eine Gottessehnsucht<br />

ausgelöst: „Unsere Geldschulden sind wir<br />

jetzt los, aber mich drückt noch mehr, was man<br />

nicht mit Geld wettmachen kann – was mache ich<br />

damit?“ Wer die Lösung auch dieser, meist viel<br />

tiefer sitzenden Schuld erlebt, kann es vor Glück<br />

nicht für sich behalten – und das nun stellt selbst<br />

12<br />

Z für Zukunft


Leitthema<br />

den HDS-Erfolg völlig in den Schatten! Vergebung<br />

kann noch viel, viel mehr. Ein neues Vergebungs-Schneeball-System<br />

wurde ausgelöst.<br />

Luther ade, HDS olé!?<br />

Die Mitgliedschaft bei der Luther-Institution ist<br />

seit 2117 in Deutschland auf 2,3 % der Gesamtbevölkerung<br />

gesunken. Rhetorisch hochbegabte<br />

und theologisch umfassend gebildete Dozenten<br />

erklären dem Häuflein der Getreuen, warum es<br />

zutiefst human ist, atheistisch-religiös zu sein.<br />

Parallel dazu sind etwa 32,5 % der Bevölkerung<br />

direkt durch die HDS-Bank oder indirekt<br />

dank HDS-Kunden ihre Schulden los, sie sind<br />

quasi „er-löst“. Die meisten haben es nicht bei<br />

der finanziellen Ebene belassen; sie haben es<br />

Larry Bracks gleichgetan und auch die Erlösung<br />

von ihrer Lebensschuld und Systemfesseln<br />

in Anspruch genommen. Wie Bracks haben sie<br />

erkannt: „… gerechtfertigt aus Glauben an Jesus<br />

Christus.“<br />

Für die 2,3 Prozent Lutheraner eigentlich<br />

nichts Neues – aber die vor 600 Jahren revolutionär<br />

gewesene Wiederentdeckung durch<br />

einen sich dem Mittelalter entwindenden Mann<br />

war eben seit Jahrzehnten in den Hintergrund<br />

gerückt. Man zeigt sich erhaben, hat sich von<br />

„veralteten“, nicht mehr in die Zeit passenden<br />

Gedanken gelöst.<br />

Zigmillionen Menschen, die die lutherische<br />

Randgruppe kaum noch wahrnehmen, haben wie<br />

Bracks so oder anders gesagt: „Ich bitte um die<br />

Vergebung meiner Schuld vor Gott und den Menschen.<br />

Ich bitte darum, aus dem System dieser<br />

Welt herausgelöst, aus diesen Klauen der Finsternis<br />

in diese Beziehung mit dem ‚Sohnes der Liebe‘<br />

zu kommen.“<br />

Sie treffen sich regelmäßig in ihrem Wohnzimmer<br />

oder machen einen Stammtisch – aber<br />

schon lange nicht mehr, weil es in den AGB der<br />

HDS-Bank steht; es gehört einfach zu ihrem<br />

neuen Lebensstil. Sie sind Freunde geworden,<br />

und sie möchten sie nicht mehr missen, diese<br />

Austauschrunde über Gott und die Welt und ihre<br />

Erlebnisse, die gelegentlich auch „nicht von dieser<br />

Welt“ sind.<br />

Systemwechsel konkret<br />

Bitten Sie Gott um Vergebung Ihrer eigenen<br />

Schuld. Jesus Christus hat definitiv die Mittel<br />

dafür bereitgestellt. (Und das unabhängig davon,<br />

ob Sie an Gott glauben oder nicht; wie so manche<br />

Tatsache, die unsere Vernunft übersteigt, ist auch<br />

diese nicht davon abhängig, ob Sie sie logisch<br />

nachvollziehen können.)<br />

Tipp: Erstellen Sie eine Liste Ihrer Vergehungen,<br />

die kann kurz oder lang sein; achten Sie darauf,<br />

dass Sie den Hauptpunkt nicht vergessen:<br />

Ihre bisherige Unabhängigkeit von Gott.<br />

Entscheiden Sie sich für den Systemwechsel:<br />

vom System der Boshaftigkeit hin zum System<br />

des „Sohnes der Liebe“, das ist Jesus Christus.<br />

Vergeben Sie all den Menschen, die an Ihnen<br />

schuldig geworden sind. Das ist oft leichter<br />

gesagt als getan; aber wer erkennt, wie viel ihm<br />

selber vergeben wurde, dem fällt es meist leichter<br />

– und je mehr davon einem bewusst wird, umso<br />

einfacher wird es mit dem Vergeben, Schritt für<br />

Schritt. Fangen Sie einfach mal an.<br />

Das befreit ungemein! Da fallen gigantische<br />

Lasten ab und so manche Krankheit löst sich<br />

in Wohlgefallen auf, weil Krankheit nicht selten<br />

unmittelbar zusammenhängt mit der Last, die wir<br />

den anderen „nach-tragen“.<br />

Treffen Sie sich regelmäßig (mindestens einmal<br />

pro Woche) mit einigen Menschen Ihres Vertrauens,<br />

die auch diesen Systemwechsel vollzogen<br />

haben. Sprechen Sie über Ihre Erfahrungen<br />

und ermutigen Sie einander, die guten Erfahrungen<br />

zu vertiefen.<br />

Wählen Sie zwei, drei Menschen aus, denen<br />

Sie aktiv helfen wollen, ihre Lebensumstände zu<br />

verbessern.<br />

Empfehlen Sie diesen<br />

Menschen auch,<br />

selber Vergebung zu<br />

empfangen und zu<br />

gewähren.<br />

1 Römer 3,10–25.<br />

2 Johannes 3,16;<br />

Kolosser 1,13–14.<br />

Man<br />

reflektiert sein<br />

Leben wieder<br />

vor einem Gott,<br />

auch wenn der<br />

vielleicht fremd<br />

geworden ist,<br />

weil er im Säkularen<br />

schon lange<br />

kein Thema<br />

mehr war<br />

Sie treffen sich regelmäßig in<br />

ihrem Wohnzimmer oder<br />

machen einen Stammtisch<br />

Foto: © SWR. Die Fallers, Michael Ciesielski<br />

Z für Zukunft<br />

13


Leitthema<br />

Aus allen<br />

Richtungen<br />

zerren Kräfte,<br />

um das Ziel<br />

zu verrücken:<br />

Vermischung mit<br />

dem Heidnischen<br />

oder der Einfluss<br />

des jeweiligen<br />

Zeitgeistes<br />

Grafik: © Agentur PJI UG<br />

Stagnationsfaktor<br />

Vermischung<br />

mit<br />

Heidnischem<br />

Zeitgeist<br />

Zeit<br />

zurzeit<br />

möglicher<br />

Top-Status<br />

Ausgangspunkt: die<br />

ersten Christen<br />

Gesetzlichkeit<br />

dogmatische<br />

Einseitigkeit<br />

Reformation in 3D<br />

Ein Jahr lang wurde dieses Wort strapaziert: „Reformation“. Wie viele haben es wahrgenommen<br />

– und wer weiß, was es bedeutet? Gut, nach einem Jahr Marketing fällt nun<br />

ein paar mehr Menschen dazu „Luther“ ein. Aber ist Luther gleich Reformation?<br />

Die Kirche<br />

heute ist in<br />

einem weit<br />

schlimmeren<br />

Zustand<br />

als die vor<br />

500 Jahren<br />

re<br />

formatio<br />

– „zurück“<br />

– „Format, Formation,<br />

gestalten“<br />

reformatio – „Wiederherstellung,<br />

Umgestaltung“<br />

Reformation will etwas in sein<br />

ursprüngliches Format zurückführen,<br />

sozusagen in die Werkseinstellung,<br />

in den Zustand, den der Erfinder<br />

beabsichtigt hat.<br />

Wenn bei einem Computer nichts mehr richtig<br />

läuft, vielleicht weil sich ein Virus eingeschlichen<br />

hat, dann wird eine Neu-Formatierung nötig.<br />

Im 16. Jh. war der Kirchen-Computer vom<br />

Virus „Mammon“ befallen: Für den exorbitanten<br />

Bau des Petersdoms in Rom wurden Unmengen<br />

von Geld benötigt; dafür kaufte man all die Seelen<br />

der gutgläubigen Schäfchen und verkaufte ihnen<br />

eine falsche Art Erlösung, während die richtige<br />

umsonst zu bekommen war (nur wie, das wurde<br />

geheim gehalten).<br />

Heute ist der Kirchen-Computer von vielen<br />

Viren befallen; der wohl gefährlichste Virus heißt<br />

„Humanismus“: Die Vernunft spielt sich als Gott<br />

auf und dem Menschen wird weisgemacht, er<br />

hätte keine Erlösung nötig. Die Kirche heute, 500<br />

Jahre nach Luther, ist in einem weit schlimmeren<br />

Zustand als damals. Damals gab man unnötig<br />

Geld aus, aber man suchte die Errettung. Heute<br />

werden die „Kirchenmitglieder“ angelogen und<br />

gehen verloren.<br />

Man hat ein Jubiläum gefeiert, aber welches?<br />

Das der Deformation? „Herr, vergib ihnen, denn<br />

sie wissen nicht, was sie tun!“<br />

14<br />

Z für Zukunft


Leitthema<br />

Reformation zum Anfassen –<br />

Der totale Kontrast<br />

„Reformation“ ist inzwischen ein ziemlich plattgeredeter<br />

Begriff; also versuchen wir es mal mit<br />

einem 3D-Modell.<br />

Frei nach Monopoly: „Gehen Sie zurück zum<br />

Start“ – es wird nicht zum Schaden sein. Zurück<br />

zur Geburt der Kirche: Jesus hat seinen verschreckten<br />

kleinen Haufen enttäuschter Nachfolger<br />

verlassen, ist in Richtung Himmel entschwunden,<br />

gab ihnen aber noch den Hinweis: „Wartet<br />

kurz, bis ihr mit der Kraft aus dem Himmel erfüllt<br />

werdet!“ Das geschah an Pfingsten, und die kleine<br />

Gruppe erweiterte sich in kurzer Zeit explosionsartig<br />

von 120 auf vielleicht 25 000.<br />

Die zwischenmenschlichen, sozialen und gesellschaftlichen<br />

Folgen waren gewaltig: Armutsproblem<br />

gelöst, die Stellung der Frau geändert. Ein<br />

tragfähiges Beziehungsnetzwerk war entstanden,<br />

wie es das zuvor so noch nie gegeben hatte. Wir<br />

können uns heute kaum vorstellen, wie revolutionär<br />

das war!<br />

Der totale Kontrast zu allen gängigen Religionen:<br />

kein Tempel (die Menschen waren nun selbst<br />

der Tempel), keine Opfer (durch Jesus war das<br />

umfassende, endgültige Opfer gebracht worden),<br />

keine Priester (alle zusammen waren die königliche<br />

Priesterschaft).<br />

Das 3D-Modell für Reformation<br />

Im 3D-Modell befindet sich der rote Ausgangspunkt<br />

in der Mitte der Grundfläche. Von dort aus<br />

auf der Zeitachse bewegt er sich auf den möglichen<br />

Top-Status zu – den Zustand der Gemeinde<br />

Jesu ohne Flecken und Runzeln. 1 „Kirche“ ist das,<br />

was intern als „Leib Christi“ bezeichnet wird: ein<br />

lebendiger Organismus, der als Braut dem Bräutigam<br />

begegnen wird. (Dort wird es sicher keine<br />

„Ehe für alle“ geben – aber das nur so nebenbei).<br />

Aus allen Richtungen zerren verschiedene<br />

Kräfte, um das Ziel zu verrücken: nach links die<br />

Vermischung mit dem Heidnischen; nach rechts<br />

einseitiger Dogmatismus; nach vorn der Einfluss<br />

des jeweiligen Zeitgeistes und nach hinten eine<br />

verbohrte Gesetzlichkeit. Der Zeitachse entgegen<br />

wirkt der Stagnations-Faktor. Alle Kräfte zusammengenommen<br />

haben dazu geführt, dass „Kirche“<br />

im Raum verteilt herumschwirrt und in den<br />

allermeisten Fällen weitab von der geraden Linie<br />

und dem Ziel irgendwo herumdümpelt.<br />

Es reicht aber nicht aus, nur rückwärtsgewandt<br />

auf den Ausgangspunkt zu starren, es muss<br />

vorangehen – und diese Vorwärtsentwicklung<br />

wird gespeist von tausenden Reformationen auf<br />

dem Weg zur „Wiederherstellung aller Dinge“ 2 .<br />

So hat auch eine Kirche, die ihren Ursprung im<br />

1. Jh. geltend machen kann, keinen Anspruch auf<br />

Sonderstellung; auch sie kann durch diesen Stagnations-Faktor<br />

ziemlich weit abgeschlagen sein.<br />

Vermischung mit dem Heidnischen<br />

Schon früh begann diese Kraft der Vermischung,<br />

Wirkung zu entfalten und die Kirche zu zersetzen:<br />

Gebäude, ähnlich heidnischen Tempeln, wurden<br />

zu „heiligen“ Stätten – bevorzugt errichtet auf<br />

den Gräbern „heiliger“ Menschen. Der allmähliche<br />

Bedeutungsverlust des „allgemeinen Priestertums“<br />

zugunsten einer Trennung in Klerus und Laien<br />

beraubte die meisten Gläubigen der Möglichkeit,<br />

ihren Glauben zu entfalten, und entmündigte sie.<br />

Dogmatische Einseitigkeit<br />

Es ist allzu leicht möglich, auf einer Seite vom<br />

Pferd zu fallen. Das Spannende an der Bibel ist,<br />

dass meist zwei scheinbare Gegensätze sich die<br />

Waage halten. In der Kirchengeschichte führte<br />

die Wiederentdeckung einer verlorengegangenen<br />

Wahrheit oft schnell zu ihrer Überbetonung<br />

– irgendwie verständlich, schließlich wollte man<br />

ihr wieder die nötige Geltung verschaffen.<br />

Oft hat sich in der zweiten Generation solch<br />

dogmatische Einseitigkeit verselbständigt; das<br />

Ergebnis war eine neue, „einzig wahre“ Denomination<br />

rund um diese eine spezielle Wahrheit,<br />

die doch nur im ausgewogenen Zusammenklang<br />

mit vielen anderen Wahrheiten fruchtbar sein und<br />

dem Reich Gottes dienen kann.<br />

Der Einfluss des Zeitgeistes<br />

Das ist ein sehr aktuelles Problem. EKD-Theologen<br />

sind der Auffassung, Gedanken wie die Jungfrauengeburt<br />

und die Auferstehung könne man<br />

Foto: © Wikipedia<br />

Aus allen<br />

Richtungen<br />

zerren Kräfte,<br />

um das Ziel<br />

zu verrücken:<br />

Heidnisches,<br />

einseitiger<br />

Dogmatismus,<br />

Einfluss des<br />

Zeitgeistes<br />

und verbohrte<br />

Gesetzlichkeit<br />

Z für Zukunft<br />

15


Leitthema<br />

Reformation<br />

ist wie eine<br />

Palme:<br />

Jedes Jahr<br />

kommen<br />

zehn neue<br />

Wedel hervor.<br />

Die alten<br />

sterben ab<br />

Foto: © Wikipedia<br />

dem vernünftig denkenden Menschen von heute<br />

nicht mehr zumuten; damit aber wird der christliche<br />

Glaube ausgehöhlt und, genau genommen,<br />

gegenstandslos. Der Humanismus macht den<br />

Menschen zum Maß aller Dinge; aber wenn der<br />

Mensch aus seiner Perspektive Gott erklären will,<br />

ist das ganz einfach zum Scheitern verurteilt.<br />

Der Zeitgeist fragt immer: „Sollte Gott gesagt<br />

haben?“, oder drängt Gott überhaupt aus dem<br />

Weltbild. Eine Kirche, die diesem Streben Raum<br />

gibt, disqualifiziert sich und macht sich überflüssig<br />

– davon zeugt die steigende Zahl von Kirchenaustritten.<br />

Verbissene Gesetzlichkeit<br />

Schwäche kompensieren wir gerne mit überbetonter<br />

Frömmigkeit – das Einhalten von Verhaltensmustern<br />

und Regelwerken soll eine Ernsthaftigkeit<br />

vortäuschen, die aber nicht gelebt wird.<br />

Test: Wie sind wir, wenn keiner zuschaut?<br />

Man kann es „religiös“ nennen oder „pharisäisch“;<br />

man versucht, etwas für Gott zu tun, um bei<br />

ihm Pluspunkte zu sammeln.<br />

Das zurechtzurücken, genau das war ja der<br />

zentrale Impuls von Martin Luthers „Gerechtfertigt<br />

aus Glauben“. Religiosität setzt Menschen<br />

unter Druck und steht im Widerspruch zu der Freiheit,<br />

die dem christlichen Glauben doch eigen ist.<br />

Der Stagnationsfaktor<br />

Der Zeitachse entgegen wirkt der Stagnationsfaktor:<br />

Jeder Reformation ging mal die Luft aus – sie stagnierte<br />

und blieb auf der Zeitachse zurück. Machtansprüche<br />

haben sich in der Geschichte immer wieder<br />

als Bremse erwiesen. Faktoren, die anfänglich einen<br />

Aufbruch ausgelöst haben, können zur Einseitigkeit<br />

führen und darin erstarren. So können gute Anfänge<br />

zu starken Blockaden werden.<br />

Der Befund<br />

Alle sind mehr oder weniger entfernt von der zentralen<br />

Achse. Alle brauchen eine Richtungsänderung:<br />

weg vom Zeitgeist, weg vom Heidnischen,<br />

weg von der Einseitigkeit, weg von der Gesetzlichkeit<br />

und gegen die Stagnation. In der Fachsprache<br />

nennt man das „Buße“ – sich abwenden von dem,<br />

was nicht gut ist.<br />

16<br />

Z für Zukunft


Buße wäre doch der optimale Einstieg in die<br />

Reformation, die nun vor uns liegt!<br />

Muslime<br />

träumen von<br />

Jesus! Lesen Sie<br />

in diesem Buch<br />

tolle Berichte<br />

davon<br />

Leitthema<br />

Reformation spaltet! Oder wer?<br />

Weltweit gibt es über 46 000 christliche Denominationen<br />

– stellen Sie sich vor, wie diese in dem<br />

3D-Modell herumschwirren. Etliche von ihnen sind<br />

der Auffassung, sie wären die „einzig Wahren“<br />

unter uns Christen (was sie damit zur Sekte macht,<br />

und wäre es eine seit Langem bestehende Großkirche).<br />

Viele davon sind absolut für Einheit – wenn<br />

der Rest sich nur an ihre Vorgaben halten würde.<br />

Wer ist schuld? Man sagt, die Reformation vor<br />

500 Jahren hätte die Kirche gespalten. Aber sind<br />

nicht jene die Spalter, die die notwendige Erneuerung<br />

oder die Wiederherstellung der Vorzüge der<br />

ersten Christen verweigern und im Status quo<br />

gefangen bleiben wollen?<br />

Von dieser Warte aus betrachtet hat vor 500<br />

Jahren die römisch katholische Kirche sich abgespalten;<br />

kurz danach haben sich die Lutheraner<br />

von den Täufern abgespalten. Und so weiter –<br />

etwas wurde wiederhergestellt, was in Vergessenheit<br />

geraten war, und das, was sich nicht<br />

weiter verändern wollte, hat den neuerlichen Aufbruch<br />

bekämpft. Das Neu-Alte wurde immer zum<br />

Feind des Neuen.<br />

Auf Teufel komm raus!<br />

Das Bild der Palme hilft, das Muster von Reformation<br />

besser zu verstehen: Jedes Jahr kommen mindestens<br />

zehn neue Palmwedel hervor. Die alten<br />

sterben ab – aber doch waren sie nötig, um den<br />

Stamm zu bilden; der ist das Ergebnis aller bisherigen<br />

Wedel.<br />

Ein spannender Bericht von Pilgerreisen auf den Spuren des Apostels Paulus. Sie<br />

werden zur Suche nach der Kraft des Glaubens und führen zu aufschlussreichen<br />

historischen Plätzen der ersten Christen in „Kleinasien“, der heutigen Türkei.<br />

Herrliche Panoramabilder begleiten den mitreißenden Text (80 Farb- und 34 s/w-Fotos).<br />

Der Leser spürt etwas von der Leidenschaft der ersten Christenheit.<br />

Geschichte und Gegenwart verschmelzen: Istanbul – Konstantinopel, das Tor zum<br />

Orient. Über Ankara geht es zu den tausend Höhlenkirchen in Kappadokien. Auch die<br />

Stätten der sieben apokalyptischen Gemeinden fehlen nicht.<br />

An der türkischen Südküste, wo die erste Reise des Paulus ihren Ausgang nahm,<br />

sollte Peter Ischka vieles selbst erleben, wovon in der Apostelgeschichte berichtet wird:<br />

Er bekommt den „Auftrag“, einen jungen Christen, der auf Grund seiner Bekehrung<br />

ins Gefängnis kam, daraus zu befreien. In diesem Buch lesen Sie, wie das Unmögliche<br />

tatsächlich geschah. Daumennagelgroße Nierensteine verschwinden nach schlichtem<br />

Gebet. Jesus begegnet Muslimen in Träumen und Visionen.<br />

Sogar ein Esel wird von dieser Kraft übernatürlich berührt.<br />

Dieses Buch liest sich wie die Fortsetzung der Apostelgeschichte<br />

und macht Mut, längst in Vergessenheit geratenes<br />

Glaubensgut wieder beim Wort zu nehmen.<br />

Gebunden, 160 S., 32 Seiten Panorama-Fotos, 17 x 25 cm, Best.-Nr. 453.103.778<br />

17,95<br />

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QR zur Leseprobe<br />

Wie bei der Palme ist Reformation ein andauernder<br />

Prozess. Alle 500 Jahren eine, das würde<br />

nicht reichen. Heute ist die Kirche wahrscheinlich<br />

in einem weit schlimmeren Zustand als die Kirche,<br />

die Luther vor sich hatte – aber wo sind heute die<br />

Luthers mit der Leidenschaft, ihr Leben zu investieren<br />

und die Kirche zu reformieren „auf Teufel komm<br />

raus“? Denn der muss raus aus der Kirche, wenn sie<br />

das sein soll, was der Erfinder sich vorgestellt hat.<br />

1 Epheser 5,27.<br />

2 Apostelgeschichte 3,21.<br />

Z für Zukunft<br />

17


Leitthema<br />

Foto: © RheinCargo<br />

Luther, die Reformation –<br />

und wir heute<br />

Barbara von Schnurbein<br />

Luther:<br />

Wie bekomme<br />

ich einen<br />

gnädigen Gott?<br />

Wie werde<br />

ich vor Gott<br />

gerecht?<br />

Kürzlich sagte jemand im Gespräch:<br />

„Die Digitalisierung bringt einen<br />

Paradigmenwechsel wie damals die<br />

Erfindung des Buchdrucks.“ Und<br />

ich dachte mir: „Ja, und wie damals<br />

wird auch heute der christliche Glaube dabei<br />

auf den Prüfstand gestellt.“ Die Erfindung des<br />

Buchdrucks hatte wesentlichen Anteil am Erfolg<br />

der Bemühungen Martin Luthers, denn dadurch<br />

wurde es möglich, nicht nur die Bibel bekannt zu<br />

machen, sondern auch seine Schriften in Windeseile<br />

zu verbreiten. Über die deutschen Grenzen<br />

hinaus wurde bekannt, dass Luther die kirchliche<br />

Ablasslehre bekämpfte und sich damit gegen den<br />

Papst und viele Landesherren stellte.<br />

Paradigmenwechsel – Luther an der<br />

Grenze zur Neuzeit<br />

Aber nicht nur seine theologischen Erkenntnisse<br />

waren revolutionierend, auch Luthers persönliches<br />

Leben spiegelt die großen Veränderungen<br />

seiner Zeit: Seine Familie war bäuerlicher Herkunft;<br />

doch als der kleine Martin am 10. November<br />

1483 in Eisleben geboren wurde, waren seine<br />

Eltern schon aus der bäuerlichen Umgebung weggezogen<br />

und ließen sich in Mansfeld nieder. Vater<br />

Hans verdiente den Lebensunterhalt nicht mehr<br />

in der Landwirtschaft, sondern als Bergmann und<br />

„Hüttenmeister“ in der aufblühenden Kupfer- und<br />

Silberindustrie.<br />

Die beginnende Industrialisierung kennzeichnet<br />

den Beginn der Neuzeit. In diesem Umbruch<br />

stellt Luther seine ganz persönliche Lebens-<br />

18<br />

Z für Zukunft


Leitthema<br />

frage, die ihn jahrelang umtrieb: Wie bekomme<br />

ich einen gnädigen Gott? Wie werde ich vor Gott<br />

gerecht?<br />

Ob die Fragen entstanden, weil sein Vater<br />

so streng war oder weil generell ein unerbittlicher<br />

Gott und Jesus als Weltenrichter das Gottesbild<br />

der Menschen damals bestimmten, sei<br />

dahingestellt. Nach seinem Eintritt in das Erfurter<br />

Augustinerkloster beherrschten diese Fragen<br />

sein Leben. Damals hatte er große Angst, trotz all<br />

seiner guten Werke, seiner selbstauferlegten Bußübungen,<br />

ja, seines ganzen Lebens als Mönch, im<br />

Jüngsten Gericht vor Gott nicht bestehen zu können<br />

und für immer verdammt zu werden. Jahrelang<br />

plagte er sich, fastete und kasteite sich, und<br />

fand keine Antwort.<br />

Allein durch Glauben<br />

an Jesus Christus – sola fide<br />

Bis – ja, bis ihm beim Bibellesen klar wurde, dass<br />

Gott von ihm diese Übungen gar nicht erwartet;<br />

dass Jesus Christus bereits „für uns gestorben ist,<br />

als wir noch Sünder waren“ 1 . Wie gut, dass er selber<br />

die Bibel lesen konnte! Anhand des Römerbriefs<br />

erkannte er, dass Gott ihn in Christus ohne<br />

jede Vorleistung, ohne Verdienst oder eigene<br />

Mühe, aus purer Liebe gerechtgesprochen hatte!<br />

Deshalb predigte Luther nun aus tiefster<br />

Überzeugung, Beichte und Buße seien zwar richtig<br />

und wichtig, aber allein der Glaube an Gottes<br />

Werk durch Jesus Christus bewirke für alle Menschen<br />

das ewige Heil. Ein höchst aktuelles Thema<br />

auch für moderne Menschen, die sich weitgehend<br />

über Leistung definieren und in einer Leistungsgesellschaft<br />

mit den eigenen Grenzen oft nicht<br />

zurechtkommen. 2<br />

Luther war überzeugt, dass Gläubige gute<br />

Taten tun sollen, aber nicht, um sich ihr ewiges<br />

Heil zu verdienen, sondern als selbstverständliche<br />

Folge ihrer Beziehung zu Jesus Christus und<br />

als Auswirkung ihres gelebten Glaubens.<br />

Als Luther am 31. Oktober, dem Vorabend des<br />

Allerheiligentages 1517 – wie es berichtet wird –<br />

seine 95 Thesen an der Schlosskirche in Wittenberg<br />

anschlug, wollte er keine neue christliche<br />

Konfession gründen. Er wollte vielmehr in seiner<br />

römisch-katholischen Kirche dem Wort Gottes –<br />

der Bibel – wieder die zentrale Bedeutung geben<br />

und dadurch seine Kirche erneuern. Deswegen<br />

hinterfragte er alle hinzugekommenen Traditionen<br />

und Lehren.<br />

Allein durch Gnade – sola gratia<br />

Weil ihm die Gnade Gottes so wichtig geworden<br />

war, bekämpfte Luther nun besonders die Ablasslehre.<br />

Mit dramatischen Worten schilderten die<br />

Ablassprediger den verängstigten Zuhörern, wie<br />

ihre Eltern und Angehörigen im Fegefeuer darum<br />

flehen, dass sie durch Almosen von ihren furchtbaren<br />

Qualen erlöst würden. Der bekannteste<br />

unter ihnen war Johann Tetzel (ca. 1460–1519),<br />

von dem einige Predigten erhalten sind. 3<br />

Zwar wurde weiterhin gelehrt, dass nach dem<br />

Sündenbekenntnis im Beichtgespräch durch die<br />

Absolution die Schuld vor Gott vergeben sei.<br />

Aber das galt nur für den Himmel; auf der Erde<br />

mussten für die gebeichteten Sünden zusätzlich<br />

bestimmte „Kirchenstrafen“ abgeleistet werden:<br />

Den Gläubigen wurden Gebete, gute Taten,<br />

Almosen auferlegt bis hin zu schweren Strafen,<br />

die der Papst – angeblich im Namen Gottes – trotz<br />

der zugesprochenen Vergebung noch über sie<br />

verhängte.<br />

Also nicht Gottes Gnade befreite von Schuld,<br />

sondern bei diesen einzeln auferlegten Strafen<br />

galt sofortige Vergebung erst, wenn der Sünder<br />

nach Beichte und Reue sein Geld in den Kasten<br />

geworfen hatte. Für die Toten wurde von<br />

den Lebenden nichts als Geld gefordert nach<br />

dem Grundsatz, den Luther in seinen Thesen<br />

anprangerte: „Wenn das Geld im Kasten klingt,<br />

die Seele aus dem Fegefeuer springt.“ 4 Für<br />

die einzelnen Vergehen waren bestimmte<br />

Mindestsummen angesetzt, 5 über die dann auch<br />

häufig – wie eine Quittung – ein Ablassbrief<br />

ausgestellt wurde.<br />

Allein Christus – solus Christus<br />

Verständlich, dass Luther sich vehement gegen<br />

diese Ablasspraxis wandte. Er betonte kämpferisch,<br />

dass Gott die bereute und bekannte Schuld<br />

in Zeit und Ewigkeit vergibt, wenn der Gläubige<br />

Foto: © Wikipedia<br />

Dramatisch<br />

schilderten die<br />

Ablassprediger<br />

den verängstigten<br />

Zuhörern, wie<br />

Angehörigen im<br />

Fegefeuer darum<br />

flehen, durch ihre<br />

Almosen von den<br />

furchtbaren<br />

Qualen erlöst<br />

zu werden<br />

Satan, der Ablässe verteilt.<br />

Aus einer tschechischen<br />

Handschrift 1490.<br />

Bereits 1412 verurteilte<br />

Ján Hus (der Hauptführer der<br />

böhmischen Reformation)<br />

den Ablasshandel<br />

Z für Zukunft<br />

19


Leitthema<br />

Luther auf dem Reichstag<br />

in Worms (kolorierter<br />

Holzschnitt, 1527)<br />

„Hier stehe<br />

ich, ich kann<br />

nicht anders,<br />

Gott helfe mir,<br />

Amen.“<br />

sich im Glauben allein auf das für ihn vergossene<br />

Blut Christi verlässt. Die Kirche dagegen<br />

verkaufe wirkungslose Ablässe nur für die vorher<br />

von ihr selbst auferlegten Strafen, die für die<br />

Ewigkeit bedeutungslos seien.<br />

Kein Wunder also, dass sich Luthers Argumente<br />

gegen die Ablasszahlungen wie ein Lauffeuer<br />

verbreiteten und der Thesenanschlag viele<br />

Geistliche gegen Luther aufbrachte. Es entstand<br />

eine heftige Diskussion. Man stritt darüber, dass<br />

er sich auf die Autorität der Heiligen Schrift<br />

berief. Nicht nur die Kirche, auch die deutschen<br />

Universitäten sowie ausländische Gelehrte wie<br />

Erasmus von Rotterdam und andere reformatorisch<br />

Denkende beteiligten sich an der Debatte,<br />

oft in kämpferischem Ton.<br />

Die ursprünglich theologische Diskussion entwickelte<br />

sich zum Politikum, sodass auch Landesfürsten<br />

und Reichsstädte Stellung bezogen. Die<br />

Kirche sah in Luther ihren größten und gefährlichsten<br />

Feind und warf ihm vor, er hetze die<br />

Laien auf. Man beschuldigte ihn der Ketzerei,<br />

genau wie hundert Jahre zuvor den böhmischen<br />

Theologen und Reformator Ján Hus. Dieser war<br />

trotz der Zusicherung freien Geleits beim Konzil<br />

in Konstanz 1415 verurteilt und auf dem Scheiterhaufen<br />

verbrannt worden, weil er seine Lehre<br />

nicht widerrufen wollte.<br />

Glaube macht mutig<br />

Beim Reichstag in Worms bekam Luther noch<br />

ein letztes Mal die Gelegenheit, seine Aussagen<br />

und Schriften vor Kaiser Karl V. zu widerrufen.<br />

Obwohl er wusste, dass es seinen Tod bedeuten<br />

könnte, sagte er am 17. April 1521 nach einem<br />

Tag Bedenkzeit: Da „mein Gewissen in den Worten<br />

Gottes gefangen ist, ich kann und will nichts<br />

widerrufen, weil es gefährlich und unmöglich ist,<br />

etwas gegen das Gewissen zu tun. Gott helfe mir.<br />

Amen.“ 5 Auf einem Holzschnitt von 1527 findet<br />

sich der bekannte Satz: „Hier stehe ich, ich kann<br />

nicht anders, Gott helfe mir, Amen.“ Er ist aber<br />

vorher nicht belegt.<br />

Luther wusste, dass in Rom längst der Bann<br />

gegen ihn geplant wurde; ein Widerruf aber war<br />

ihm unmöglich. Im Gegenteil, mit einer weiteren<br />

Schrift brachte er nun auch noch die Sakramente<br />

in die Diskussion, indem er im September<br />

die Schrift „Von der babylonischen Gefangenschaft<br />

der Kirche“ veröffentlichte. Darin schrieb<br />

er, dass nur drei Sakramente von Jesus Christus<br />

eingesetzt seien, nämlich die Taufe, das Abendmahl<br />

und die Buße. Die weiteren vier Sakramente<br />

(Firmung, Ehe, Priesterweihe und Letzte Ölung)<br />

seien von Menschen eingesetzt. Die Ehe sei eine<br />

sittliche Ordnung des allgemein menschlichen<br />

Lebens, die bei Christen ebenso wie bei Nichtchristen<br />

bestehe. Bei der Salbung Kranker mit<br />

Öl, wie sie im Jakobusbrief beschrieben wird, 7<br />

handle es sich nicht um eine letzte Ölung Sterbender,<br />

sondern um den Dienst der Gabe, Kranke<br />

in Kraft des Glaubens und Gebets zu heilen. Und<br />

für das allgemeine Priestertum aller Gläubigen<br />

genügte ihm die Taufe als Weihe. Der Bann, der<br />

in Rom schon am 16. Juni erlassen worden war,<br />

erreichte die Universität Wittenberg in den ersten<br />

Oktobertagen.<br />

Luther reagierte mit einem Schreiben an den<br />

Papst, in dem er die historische Entwicklung des<br />

Streites darstellte. Dem Schreiben legte er seine<br />

Schrift „Von der Freiheit eines Christenmenschen“<br />

bei, die Summe seiner Erkenntnis darüber,<br />

welche Freiheit Jesus Christus durch seinen<br />

Tod den gläubigen Christen erworben hat.<br />

20<br />

Z für Zukunft


Leitthema<br />

Die Reformation zieht Kreise<br />

Gleichzeitig mit Luther gab es andere Theologen<br />

und Gelehrte, die sich mit diesen Themen<br />

befassten. Nicht immer kamen sie zu den gleichen<br />

Ergebnissen. Neben Sachargumenten gab<br />

es leider auch persönliche Angriffe; Luthers Formulierungen<br />

waren oft heftig, und die Gegner der<br />

Reformation antworteten entsprechend.<br />

1528 berief der Kaiser einen Reichstag nach<br />

Speyer ein für den 21. Februar 1529. Dort wurde<br />

ein Beschluss durchgesetzt, wodurch nicht nur<br />

die weitere Ausbreitung der Reformation, sondern<br />

auch der Vollzug in bereits reformierten<br />

Gebieten erschwert wurde. Die Evangelischen<br />

protestierten dagegen am 19. April 1529 und<br />

erhielten so den Namen „Protestanten“. Kaiser<br />

und Papst aber bereinigten ihre Differenzen und<br />

schlossen am 29. Juni 1529 ein Bündnis.<br />

Keine Einigung zum Abendmahl<br />

Um auch die Evangelischen zu vereinen und die<br />

Abendmahls-Streitigkeiten vor allem zwischen<br />

Luther und Zwingli beizulegen, lud Landgraf<br />

Philipp von Hessen die führenden evangelischen<br />

Gelehrten 1529 zu einem Gespräch nach Marburg<br />

ein. Das eindrucksvolle große Gemälde von<br />

August Noack 6 dokumentiert die Bedeutung des<br />

Gesprächs der Reformatoren mit Landesfürsten<br />

und Gelehrten im Fürstensaal des Marburger<br />

Schlosses auch noch 300 Jahre danach. Es blieb<br />

die einzige Begegnung von Luther und Zwingli.<br />

Am 1. Oktober 1529 trafen sich auf Anweisung<br />

des Landgrafen Luther, Zwingli, Oekolampad und<br />

Melanchthon. Über viele Punkte hatten sie sich<br />

in Vorgesprächen schon geeinigt; Hauptpunkt<br />

der Diskussion war das Abendmahlsverständnis.<br />

Beide Seiten brachten Argumente aus der Bibel,<br />

aber eine Einigung, wie Landgraf Philipp von Hessen<br />

sie wünschte, kam nicht zustande. Der entscheidende<br />

15. Punkt der „Marburger Artikel“,<br />

nämlich ob beim Abendmahl Brot und Wein der<br />

Leib und das Blut Christi „sind“ (Luther) oder den<br />

Leib und das Blut Christi „bedeuten“ (Zwingli),<br />

blieb strittig. Dennoch unterschrieben schließlich<br />

alle Theologen das Dokument. Wenn man die<br />

heftigen Auseinandersetzungen und Beschimpfungen<br />

davor vergleicht mit der Art, wie in Marburg<br />

miteinander gesprochen und umgegangen<br />

wurde, dann hatte die Einladung des Landgrafen<br />

dennoch weitreichende Auswirkungen auf den<br />

weiteren Verlauf der Reformation.<br />

Das außerordentliche Verdienst Luthers ist,<br />

dass er durch seine deutsche Bibel dem Volk<br />

ermöglichte, selber das Wort Gottes zu lesen und<br />

sich eine eigene Meinung zu bilden. Begünstigt<br />

durch die Erfindung des Buchdrucks bekamen<br />

das Lesenlernen und der Schulbesuch erstmals<br />

in der deutschen Geschichte eine herausragende<br />

Bedeutung. Luthers Bibel prägte nicht nur die<br />

weitere Entwicklung der deutschen Sprache, sondern<br />

das gesamte damalige Bildungswesen.<br />

Auch Luther erkannte „stückweise“<br />

Umso problematischer ist es, dass Luther die bleibende<br />

Bedeutung des Volkes Israel in den zeitgenössischen<br />

Juden nicht wirklich erkannte. Seine<br />

heftigen Thesen gegen die Juden von 1543 sollen<br />

deshalb hier erwähnt werden. So entschieden wie<br />

er die Erkenntnis vom Heil für jeden Menschen<br />

allein durch die Gnade Gottes und den Tod Jesu<br />

Christi vertrat, so wenig verstand er die eindeutigen<br />

Aussagen der Bibel zu Gottes Volk Israel, den<br />

Juden. Vielleicht war er auch enttäuscht, dass sie<br />

Jesus nicht als ihren Messias annahmen, nachdem<br />

sie doch nun auch das Neue Testament in Deutsch<br />

lesen konnten! Ob der auch in seiner Zeit übliche<br />

Antijudaismus ihn beeinflusste? Es bleiben ein<br />

dunkler Fleck in seinem Leben und die Aufforderung<br />

an alle Christen, es besser zu machen und<br />

das Volk Israel zu segnen und zu schützen.<br />

Seit der Reformationszeit haben sich die evangelische<br />

und die katholische Kirche in manchen<br />

Fragen verständigt. Oft waren es die Laien, die<br />

wichtige gemeinsame Entwicklungen umsetzten.<br />

Auch das in beiden Kirchen und in Freikirchen<br />

erlebte Wirken des Heiligen Geistes verbindet<br />

Kirchen und Gemeinschaften über konfessionelle<br />

Grenzen hinweg. Überall dort, wo Gottes Wort und<br />

Gebet das Zentrum des Gemeindelebens bilden<br />

und wo die Beziehung zu Gott und zu Jesus Christus<br />

gepflegt wird, kann durch diese Gemeinschaft<br />

auch Unterschiedlichkeit akzeptiert werden. Auf<br />

Inzwischen<br />

haben sich die<br />

evangelische und<br />

die katholische<br />

Kirche in manchen<br />

Fragen<br />

verständigt.<br />

Oft waren es<br />

die Laien, die<br />

gemeinsame<br />

Entwicklungen<br />

umsetzten<br />

Das Abendmahl ist ein strittiges<br />

Thema – bis heute.<br />

Foto: © Church Stock Photos<br />

Z für Zukunft<br />

21


Leitthema<br />

Foto: © Agentur PJI UG, Montage<br />

In der<br />

Präambel der<br />

EU-Charta war<br />

kein Platz<br />

für Gott.<br />

Damit<br />

verleugneten<br />

wir, was Europa<br />

geprägt hat<br />

der Basis der Heiligen Schrift sind Versöhnung<br />

und gegenseitige Annahme möglich. Wo biblische<br />

Lehre in Liebe gelebt und weitergegeben wird,<br />

wird sie christliche Gemeinschaft beleben und<br />

stärken. So kann der Auftrag Jesu erfüllt werden,<br />

wie er von Matthäus aufgeschrieben wurde. 9 Und<br />

es könnte sich auch die Einheit erfüllen, über die<br />

Jesus im Johannesevangelium gesprochen hat. 10<br />

Paradigmenwechsel heute:<br />

Die Bibel – sola scriptura<br />

Bestimmt fehlt die klare Überzeugung – vielfach<br />

auch in der Kirche –, dass die Bibel als Gottes<br />

Wort gültiger Maßstab für ein Leben mit Christus<br />

ist. Dass es nicht in unser Belieben gestellt<br />

ist, welche Verse der Bibel wir akzeptieren wollen<br />

und welche wir ablehnen. Die Erfahrung von<br />

Christen durch die Jahrhunderte zeigt: Wer sich<br />

auf Gottes Wort verlässt, erlebt seine befreiende,<br />

verändernde Kraft.<br />

Vielen suchenden Menschen fehlt der Hinweis,<br />

dass die Bibel Gottes Plan mit der Welt für alle<br />

Menschen aufzeigt; dass Jesus für jeden Einzelnen<br />

persönlich gestorben ist. Dass er gerade für<br />

unsere Nöte, Probleme und Fragen persönliche<br />

Antworten hat und nicht nur der unnahbare mittelalterliche<br />

Weltenrichter ist.<br />

Oft fehlt auch die Botschaft, dass Erlösung<br />

nicht aus uns selbst geschehen kann. Der Blick<br />

nach innen kann vielleicht zeitweilig erleichternd<br />

sein, aber wirkliche Befreiung kann nur von<br />

außen, von Jesus, vom Kreuz her kommen.<br />

Und es gilt heute erneut, für Israel als Gottes<br />

Volk einzutreten und jeder Art von Antisemitismus<br />

– leider auch in Deutschland – entschieden zu<br />

begegnen. Nicht weil die Juden besser wären als<br />

andere Menschen, sondern weil Gott sie erwählt<br />

hat, ob uns das passt oder nicht, und mit ihnen<br />

Weltgeschichte schreibt.<br />

Der Paradigmenwechsel durch Digitalisierung<br />

und Globalisierung fordert uns Christen heraus,<br />

beides auch zu nutzen, um den Auftrag Jesu zu<br />

erfüllen: allen Menschen die Frohe Botschaft zu<br />

bringen. Denn wohin die Welt kommt, wenn sie<br />

Gott ins Abseits stellt und meint, ohne ihn auszukommen,<br />

das erleben wir ja tagtäglich! In der<br />

Präambel der EU-Charta war kein Platz für Gott.<br />

Nicht „schade“, sondern eine Katastrophe, denn<br />

damit verleugneten wir, was Europa geprägt hat:<br />

die Bibel als Wertekodex, aus dem sich unsere<br />

politischen, wirtschaftlichen und sozialen Strukturen<br />

entwickeln konnten. Und die Gnade, mit der<br />

Gott sich nach dem Krieg und bei der Wiedervereinigung<br />

über Deutschland erbarmte.<br />

500 Jahre Thesenanschlag sind Grund genug,<br />

dem Wort Gottes wieder seine zentrale Bedeutung<br />

als Richtschnur für alle Lebensbereiche<br />

zukommen zu lassen. Wenn es also im Jahr 2017<br />

etwas zu feiern gab, dann doch das Wort Gottes,<br />

Gottes Gnade und Treue, seine Liebe und Macht<br />

und Jesu Sieg über Sünde, Tod und Teufel, wie<br />

Luther gern zu sagen pflegte.<br />

Ein Hinweis: Wer sich eingehend mit Luther<br />

und seiner Zeit befassen möchte, dem sei das in<br />

neuer Auflage erschienene Buch von Dr. Georg<br />

Gremels empfohlen. Als Naturwissenschaftler<br />

und Theologe beantwortet er kompetent die häufigsten<br />

Argumente und Fragen.<br />

In 49 Briefen will der Schreiber Markus seinem<br />

naturwissenschaftlich orientierten Mediziner-Freund<br />

Christian den Glauben Martin<br />

Luthers und die Bedeutung der Bibel erklären.<br />

Der Autor hat Chemie studiert und ist promovierter<br />

Theologe mit viel Praxiserfahrung. Er kennt<br />

die üblichen Vorbehalte gegen die Bibel. Und er<br />

kennt Luther und seine Zeit! Sachkundig beant-<br />

22<br />

Z für Zukunft


wortet er alle Fragen seines interessierten Briefpartners.<br />

Dabei erweist sich die Bibel als höchst<br />

aktuelles Lebenshandbuch. So erfahren die Leser<br />

nicht nur etwas über Luthers Spiritualität, sondern<br />

auch über den Weg zu einem persönlich<br />

erfahrbaren Glauben.<br />

Ein hervorragendes Buch für alle, die sich auf<br />

biblischer Basis mit Luther befassen wollen. Und<br />

für die, die sich fragen, was die rasanten Veränderungen<br />

unserer Zeit und die Erkenntnisse der<br />

Wissenschaft für den Glauben bedeuten. Spannend,<br />

wenn auch nicht immer ganz einfach zu<br />

lesen. Aber Durchhalten lohnt sich! Gerade die<br />

letzten zehn Briefe sind besonders aufschlussreich.<br />

Oberkirchenrat i.R. Klaus Baschang empfahl<br />

das Buch als „bislang wichtigsten Beitrag<br />

zum Reformationsjubiläum 2017“.<br />

Georg Gremels<br />

Ein Mensch namens Luther<br />

Francke-Buchhandlung GmbH, Marburg 2016<br />

320 Seiten, 9,95 €, ISBN 978-3-86827-567-4<br />

Nach einer Rezension von Klaus Baschang,<br />

idea-spezial Nr. 2, 2016, S. 4.<br />

1 Römer 5,8.<br />

2 Georg Gremels, Ein Mensch namens Luther: Vom Geheimnis der<br />

Wandlung, Marburg: Francke 2016, S. 206.<br />

3 s. Julius Köstlin, Luthers Leben, Leipzig: Fues‘s Verlag 1882, S. 97.<br />

4 https://de.wikipedia.org/wiki/Johann_Tetzel, (Zugriff am 02.03.2016).<br />

Auch: Luthers These Nr. 27 in: „Die 95 Ablassthesen Luthers“: Weimarer<br />

Ausgabe, WA1, S. 233 ff; vgl. auch: Gremels, S. 199.<br />

5 Nachweis: Köstlin, S. 93.<br />

Auch: Egon Friedell, Kulturgeschichte der Neuzeit I–III, München 1927,<br />

1928, 1931, hrsg. in einem Band bei C.H. Beck, München, o. J., S. 282.<br />

6 Martin Treu, Martin Luther in Wittenberg: Ein biografischer<br />

Rundgang, Hrsg: Stiftung Luthergedenkstätten in Sachsen-<br />

Anhalt, 2. Aufl. 2006, S. 49 f.<br />

7 Jakobus 5,14–18.<br />

8 August Noack, 1822–1905, deutscher Maler, vor allem Porträtist<br />

und Historienmaler, schuf 1869 das 2,50 x 3,05 m große<br />

Ölgemälde zum Reformationsgespräch von 1529. Es hängt im<br />

Marburger Schloss.<br />

9 Matthäus 28,18–20.<br />

10 Johannes 17,22–23.<br />

Leitthema<br />

Möchten Sie mit uns<br />

zusammenarbeiten?<br />

2018 beginnen wir in den Unternehmen des deutschsprachigen<br />

Raumes „LEUCHTTÜRME“ zu pflanzen<br />

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und über 100 in einer mindestens 10-tägigen Intensiv-Ausbildung<br />

zu Umdenk-Trainern ® lizenziert, die das Gedankengut<br />

der Umdenk-Akademie ® in Wirtschaft und Gesellschaft<br />

tragen. Wir sind anerkannte Praktiker.<br />

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Ja, das sagen viele. Aber was tun wir dafür, dass diese Wahrheit<br />

immer mehr Unternehmen und Führungskräften zur<br />

bewussten Realität wird in ihrem täglichen Handeln?<br />

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Führungskräften geht jetzt einen Schritt weiter:<br />

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in welcher Position – Licht in die Unternehmen bringen, dort<br />

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oft keine Möglichkeit mehr vorfinden, ihre gottgegebenen<br />

Talente und Fähigkeiten zum Nutzen der Menschen mit<br />

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oder als Repräsentant, Trainer, Seminarleiter,<br />

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Z für Zukunft<br />

23


Zeitkritisch<br />

Woran krankt „Kirche“?<br />

Und im Speziellen die evangelische in<br />

Deutschland? Eine Antwort gibt<br />

Urich Parzany in seinem Buch<br />

„Was nun, Kirche?“<br />

Valentine Godé-Darel<br />

am Tag vor ihrem Tod,<br />

Ferdinand Hodler 1915<br />

Will man<br />

überhaupt<br />

Veränderungen?<br />

Man hat die<br />

Mehrheiten<br />

und das Geld<br />

der Kirchensteuerzahler.<br />

Man nützt<br />

diese Macht<br />

rücksichtslos<br />

Wenn ich hier über Nöte und<br />

Fehlentwicklungen in den Kirchen<br />

schreibe, will ich keinen<br />

Augenblick vergessen, wie<br />

sehr ich auf der anderen Seite<br />

die Kirche als Wunder Gottes sehe.<br />

Ich will Fehlentwicklungen und Konflikte<br />

beschreiben. Ich will nicht um den heißen Brei<br />

herumreden. Ich schreibe gegen Resignation.<br />

Auch gegen meine eigene. Ich weiß, wir sind uns<br />

unter den Evangelikalen – Angela Merkel hat sie<br />

„intensiv evangelisch“ genannt – nicht einig darüber,<br />

ob und wie wir öffentlich Kritik üben sollen<br />

an Kirchenleitungen und Synodenbeschlüssen.<br />

Ich weiß aber: Wer schweigt, fördert, was<br />

im Gange ist.<br />

Es fehlt an deutlichem Widerstand gegen Entscheidungen,<br />

die Bibel und Bekenntnis eindeutig<br />

widersprechen.<br />

Ich bin allerdings ziemlich skeptisch, ob Kirchenleitungen<br />

und Synoden sich für Veränderungen<br />

nach Maßgabe der Bibel gewinnen lassen.<br />

Sie haben die Mehrheiten und sie haben das Geld<br />

der Kirchensteuerzahler. Diese Macht nutzen sie<br />

ziemlich rücksichtslos.<br />

In allen Teilen der Welt wächst die Kirche, nur in<br />

Westeuropa nicht. Woran liegt das? Nirgendwo in<br />

der Welt sind Kirchen materiell so reich wie in einigen<br />

Teilen Europas – vor allem in Deutschland – und<br />

in Nordamerika. Allerdings sind die meisten Gottesdienste<br />

in Deutschland sehr schlecht besucht.<br />

Kirchenmitgliedschaft<br />

und Gottesdienstbesuch<br />

1990 hatten die evangelischen Kirchen in<br />

Deutschland 29 422 000 Mitglieder. Das waren<br />

36,9 % der deutschen Bevölkerung. 2015 waren<br />

es nur noch 21 933 000 (26,7 %). 1<br />

24<br />

Z für Zukunft


Zeitkritisch<br />

In einer Statistik der Evangelischen Kirche<br />

in Deutschland (EKD) ist zu lesen:<br />

„Die Teilnahme am Gemeindegottesdienst ist<br />

ein wesentlicher Ausdruck christlicher Frömmigkeit.<br />

Im Laufe eines Jahres werden in Deutschland<br />

an Sonn- und Feiertagen 1,1 Millionen Gottesdienste<br />

gefeiert.“ 2<br />

4 % der Mitglieder evangelischer Kirchen gehen<br />

sonntags in einen Gottesdienst. „Von den 16- bis<br />

29-jährigen Evangelischen besucht nur 1 % regelmäßig<br />

den Gottesdienst.“ 3<br />

Wenn also die „Teilnahme am Gemeindegottesdienst<br />

ein wesentlicher Ausdruck christlicher<br />

Frömmigkeit“ ist, müsste das zu denken geben.<br />

Was ist mit den anderen 96 %? Das sind doch gut<br />

21 Millionen Mitglieder. Die 28 Millionen Konfessionslosen<br />

würden sich vielleicht auch interessieren,<br />

wenn wir in der Bibel lesen: Gott „will, dass<br />

alle Menschen gerettet werden und zur Erkenntnis<br />

der Wahrheit kommen“. 4<br />

Zu Zeiten der Staatsreligion wurden hierzulande<br />

die Menschen mehr oder weniger gezwungen,<br />

in Gottesdienste zu gehen. Nachdem der<br />

Zwang weggefallen ist, kam die Realität zum Vorschein.<br />

Historische Tatsache ist, dass Deutschland<br />

in den meisten Teilen von oben her christianisiert<br />

wurde: Die Herrscher entschieden, ob sie den<br />

christlichen Glauben annahmen; die Untertanen<br />

mussten folgen. Den meisten wurde das Evangelium<br />

nicht vor der Taufe gesagt. Sie wurden auch<br />

nicht gefragt, ob sie es annehmen wollten.<br />

„Nach einer eigenen Prognose der EKD ergibt<br />

sich, wenn man den Trend zurückliegender Jahre<br />

fortschreibt, für den Zeitraum bis 2030 folgende<br />

Konsequenz: Die Zahl der Mitglieder der evangelischen<br />

Kirche würde dann von 26 Millionen<br />

(2003) um ein Drittel auf etwa 17 Millionen<br />

(67 %) zurückgehen. […] Zugleich sinkt die Zahl<br />

der Mitglieder im erwerbsfähigen Alter auf etwa<br />

58 % des heutigen Standes – und zwar auch dann,<br />

wenn das Renteneintrittsalter auf 68 oder 70<br />

Jahre steigen sollte.“ 5<br />

„Die Diagnose: Bei sinkender Mitgliederzahl<br />

um etwa ein Drittel geht die finanzielle Leistungsfähigkeit<br />

nahezu um die Hälfte zurück.“ 6<br />

Die Zeiten von Volkskirche sind längst vorbei.<br />

Die christliche Gemeinde ist eine Minderheit<br />

in einer Mehrheitsgesellschaft, die sich für die<br />

Inhalte des christlichen Glaubens nicht interessiert<br />

und sie teilweise bewusst ablehnt.<br />

Nicht erst seit der Reformation gilt in der Kirche<br />

der Satz ecclesia semper reformanda – „Die Kirche<br />

muss immer erneuert werden“. Dies sollte eine<br />

selbstverständliche Lebensregel sein; aber wehe,<br />

wenn jemand es wagt, die Arbeit der Pfarrer zu<br />

kritisieren! Da die evangelischen Kirchen nach der<br />

Reformation das Priestertum aller Gläubigen zwar<br />

theologisch-theoretisch entdeckt, es aber nicht in<br />

die Praxis umgesetzt haben, sind sie Pastorenkirchen<br />

geblieben und leider nicht Gemeindekirchen<br />

geworden. Darum müssen sich die Pfarrer auch<br />

Kritik gefallen lassen, weil vor allem sie die Erneuerung<br />

der Kirchen verhindern.<br />

Das Problem liegt nicht zuerst bei den Formen<br />

und Methoden, sondern es ist der theologische<br />

Inhalt. Die Mitte des evangelischen Gottesdienstes<br />

ist die Predigt. Die Verkündigung des Wortes<br />

Gottes steht seit der Reformation wieder im Zentrum<br />

des Gottesdienstes. Wie es am Anfang war:<br />

„Sie blieben beständig in der Lehre der Apostel,<br />

im Brotbrechen und im Gebet.“ Die Krise der Kirchen<br />

ist eine Krise der Verkündigung, weil das<br />

Vertrauen in die Autorität der Bibel verschwunden<br />

ist. Darüber zu sprechen, scheint in den Kirchen<br />

heute ein Tabu zu sein.<br />

Das Tabu in den<br />

evangelischen Kirchen<br />

Prof. Klaus-Peter Jörns 7 hat untersucht, was die<br />

Pfarrerschaft glaubt oder nicht mehr glaubt. Er<br />

fand heraus, dass ein großer Teil von ihnen wichtige<br />

Teile der christlichen Lehre nicht mehr für<br />

wahr und wichtig hält. Er wundert sich, dass das<br />

für Kirchenleitungen und Synoden kein Grund<br />

zur Aufregung ist. Er zitiert eine Schlagzeile aus<br />

dem „Focus“ (24/1997) als Kommentar zu seinen<br />

Umfrageergebnissen: „Schock für die Kirchen:<br />

Nicht nur Laien, auch Pfarrer haben sich von vielen<br />

offiziellen Glaubensinhalten verabschiedet.“<br />

Sie sind<br />

Pastorenkirchen<br />

geblieben und<br />

leider nicht<br />

Gemeindekirchen<br />

geworden.<br />

Darum müssen<br />

sich Pfarrer Kritik<br />

gefallen lassen,<br />

weil vor allem sie<br />

Erneuerung<br />

verhindern<br />

Z für Zukunft<br />

25


Zeitkritisch<br />

Wenn ich die<br />

Aussagen der<br />

Bibel nicht als<br />

hilfreich ansehe,<br />

dann gilt sie<br />

nicht! – ?<br />

Ich bin der<br />

Maßstab?<br />

Bin ich<br />

Gott?<br />

Es wird so getan, als ob man sich über die<br />

Inhalte des Evangeliums und der Verkündigung<br />

einig wäre. Das ist aber überhaupt nicht der Fall.<br />

Die Pfarrer scheuen sich, über die Qualität, sprich<br />

Inhalt ihrer Predigt miteinander zu reden.<br />

Ich behaupte, es besteht keine Einigkeit in der<br />

Pfarrerschaft über die Grundaussagen des christlichen<br />

Glaubens: Wer ist Jesus Christus? Wurde<br />

er von der Jungfrau Maria geboren? Hat er den<br />

Anspruch erhoben, Messias, Sohn Gottes und<br />

Menschensohn-Weltrichter zu sein?<br />

Ist er vom Tod auferstanden? Ist der Auferstandene<br />

seinen Jüngern tatsächlich begegnet? Worin<br />

besteht das Heil? Was heißt Rettung? Haben<br />

Kreuzigung und Auferweckung Jesu versöhnende<br />

Wirkung? Ist die Bibel Gottes Wort, also<br />

das Dokument der Offenbarung Gottes und damit<br />

Maßstab für Glauben und Leben? Diese Fragen<br />

werden nicht gestellt. Wenn die Diagnose nicht<br />

die Ursachen der Krankheit aufdeckt, wird die<br />

Therapie bestenfalls Symptome überdecken.<br />

Dürfen Pfarrer alles und auch das Gegenteil<br />

von allem verkündigen – Hauptsache in rhetorischer<br />

Qualität und in ansprechendem liturgischem<br />

Rahmen? Man könnte die Vermutung<br />

haben, das käme durch den Einfluss des Postmodernismus.<br />

Der bestreitet, dass die Diskussion<br />

über die Wahrheitsfrage überhaupt Sinn ergibt:<br />

Jeder hat seine Wahrheit. Hauptsache, jeder ist<br />

authentisch. Ich hingegen meine, dass es einfach<br />

um Macht geht.<br />

Kirchenleiter reden zwar oft und gern davon,<br />

dass man im Gespräch bleiben sollte. Aber in den<br />

letzten Jahren haben wir beobachten müssen,<br />

dass Vorhaben wie die gottesdienstliche Segnung<br />

oder Trauung gleichgeschlechtlicher Paare ohne<br />

Rücksicht auf Verluste durchgesetzt werden. Kirchenleitungen<br />

haben mögliche Opponenten in<br />

den eigenen Gremien längst aussortiert.<br />

Bibelkritik –<br />

das Krebsgeschwür der Kirche<br />

Ja, es geht um die Frage: Ist die Bibel Gottes<br />

Wort? Die Christenheit war fest überzeugt, dass<br />

Gott sich dem Volk Israel und durch Jesus Christus<br />

der ganzen Welt offenbart hat und dass die<br />

Bibel die Urkunde dieser Offenbarung und darum<br />

Gottes Wort ist.<br />

In dem Grundlagentext des Rates der EKD<br />

„Rechtfertigung und Freiheit – 500 Jahre Reformation<br />

2017“ lesen wir: „Seit dem siebzehnten<br />

Jahrhundert werden die biblischen Texte historisch-kritisch<br />

erforscht. Deshalb können sie nicht<br />

mehr so wie zur Zeit der Reformatoren als ‚Wort<br />

Gottes‘ verstanden werden. Die Reformatoren<br />

waren ja grundsätzlich davon ausgegangen, dass<br />

die biblischen Texte wirklich von Gott selbst gegeben<br />

waren. Angesichts von unterschiedlichen Versionen<br />

eines Textabschnitts oder der Entdeckung<br />

verschiedener Textschichten lässt sich diese Vorstellung<br />

so nicht mehr halten. Damit aber ergibt<br />

sich die Frage, ob, wie und warum sola scriptura<br />

auch heute gelten kann.“ 8<br />

Lesen wir, was Landesbischof Ralf Meister<br />

schreibt, der die Evangelisch-lutherische Kirche<br />

Hannovers leitet. Er hat in einem Vortrag bei<br />

der Arbeitsgemeinschaft Missionarische Dienste<br />

(AMD) am 20. Mai 2014 über „Die Bibel als<br />

Grundlage von Glauben und Theologie“ erklärt: 9<br />

„Die Bibel ist nicht einfach Autorität, weil es<br />

konventionell so ist oder weil sie einfach Gottes<br />

Wort ‚enthält‘. Hier haben die modernen Säkularisierungsprozesse<br />

zu einer grundsätzlichen<br />

Infragestellung nicht nur der biblischen Autorität<br />

geführt. Autorität muss heute notwendigerweise<br />

eine sich legitimierende Autorität sein. In diesem<br />

Sinne kann die Bibel nur noch dann als Autorität<br />

anerkannt werden, wenn sie in der individuellen<br />

Lebensführung als hilfreich, sinn- und lebenserschließend<br />

erfahren wird.“<br />

Beliebiger und unverbindlicher geht es nicht<br />

mehr. Wenn ich die Aussagen der Bibel nicht als<br />

hilfreich ansehe, dann gilt sie nicht. Ich bin der<br />

Maßstab? Bin ich Gott?<br />

Bischof Meister weiter: „Dazu – so paradox es<br />

klingt – muss ich zuerst damit ernst machen, dass<br />

die Bibel ein ganz normales Stück Literatur ist.<br />

Dass das immer wieder gesagt werden muss, mag<br />

überraschen. Aber faktisch wird auf den Kanzeln<br />

häufig vergessen, was im exegetischen Prosemi-<br />

26<br />

Z für Zukunft


Zeitkritisch<br />

nar einmal gelernt wurde. Bei so mancher Predigt,<br />

die ich höre, bekomme ich den Eindruck,<br />

dass das, was jetzt gesagt wird, deshalb relevant<br />

ist, weil es in der Bibel steht. Und was in der Bibel<br />

steht, beanspruche zeitlose Relevanz.“<br />

Es gibt wohl doch noch den einen oder anderen<br />

Prediger, der sich an sein Ordinationsgelübde<br />

erinnert, was den Bischof überrascht.<br />

Da möchte ich doch an die grundlegende<br />

Bekenntnisschrift der lutherischen Kirchen, das<br />

Augsburgische Bekenntnis, erinnern. Auf dieses<br />

Bekenntnis werden alle Pfarrer ordiniert. Es<br />

wurde nicht widerrufen oder abgeschafft. Der Artikel<br />

28 hat die Überschrift „Von den Bischöfen“.<br />

Darin lesen wir: „Man soll auch den Bischöfen, so<br />

ordentlich gewählet, nicht folgen, wo sie irren oder<br />

etwas wider die heilige göttliche Schrift lehren und<br />

ordnen“. Wir haben heute allen Grund, an diesen<br />

Artikel zu erinnern. Warum wird eigentlich gegen<br />

einen Bischof, der wie Landesbischof Meister so<br />

offensichtlich die Autorität der Bibel infrage stellt,<br />

kein Lehrbeanstandungsverfahren eröffnet?<br />

Es ist nicht neu, dass die Autorität der Bibel als<br />

Wort Gottes bestritten wird. Neu ist der Versuch<br />

des Rates der EKD, diese Herabwürdigung der<br />

Bibel in ihrem Grundlagentext zum Reformationsjubiläum<br />

quasi kirchenamtlich zu verkünden.<br />

Weltanschauliche Vorurteile<br />

contra Bibel<br />

Seit der philosophischen Aufklärung 10 stellte die<br />

menschliche Vernunft die Offenbarung Gottes<br />

infrage. Die Bibel enthält viele Berichte über historische<br />

Ereignisse. Um sie zu verstehen, ist historische<br />

Erforschung also wichtig. Was ich kritisiere,<br />

ist eine historische Erforschung und Auslegung<br />

der Bibel, die durch weltanschauliche Vorurteile<br />

bestimmt ist.<br />

Damit wurde der Rahmen für eine Wirklichkeit<br />

abgesteckt, in dem das Reden und Handeln<br />

Gottes, seine Menschwerdung mit allen Folgewirkungen,<br />

die Wunder, das versöhnende Handeln<br />

Gottes durch den Kreuzestod Jesu und die Auferweckung<br />

Jesu natürlich keinen Raum mehr hatten.<br />

Hier geht es eben nicht um Geschehnisse, wie sie<br />

auch sonst immer passieren und die wir im Ursache-Wirkungs-Zusammenhang<br />

erklären können.<br />

Als historisch konnte höchstens gelten, dass Menschen<br />

solche religiösen Auffassungen vertreten<br />

haben. Was nicht in die Schublade von Analogie<br />

und Kausalität passte, durfte also nicht als historisch<br />

tatsächlich geschehen gelten.<br />

Der Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland<br />

hat aus Anlass des Reformationsgedenkens<br />

2017 in dem bereits zitierten „Grundlagentext“<br />

die Autorität der Bibel als Wort Gottes infrage<br />

gestellt. Hat die Bibel damit ihre Bedeutung als<br />

verbindlicher Maßstab für Glauben und Leben<br />

verloren? Ja, jedenfalls für diese Kirchenleiter.<br />

Die Autorität der Bibel ist damit zumindest der<br />

höchst subjektiven Erfahrung der Einzelnen ausgeliefert.<br />

Eine verbindliche Lehre von der Autorität<br />

der Bibel erscheint deshalb nicht möglich – „kein<br />

abstraktes Urteil, sondern eine Beschreibung von<br />

Erfahrungen mit diesen Texten“. Wenn es um konkrete<br />

Fragen und Entscheidungen geht, spielen<br />

die Worte der Bibel keine bestimmende, schon gar<br />

Ulrich Parzany:<br />

Mit Leidenschaft für<br />

das Evangelium<br />

Foto: © Sven Lorenz<br />

Was ich<br />

kritisiere, ist<br />

eine historische<br />

Erforschung und<br />

Auslegung der<br />

Bibel, die durch<br />

weltanschauliche<br />

Vorurteile<br />

bestimmt ist<br />

Z für Zukunft<br />

27


Zeitkritisch<br />

Foto: © Wikipedia<br />

Wenn also das<br />

reformatorische<br />

Prinzip „Allein<br />

die Bibel“ nicht<br />

mehr gilt, dann<br />

verliert auch das<br />

„Allein durch<br />

Jesus Christus“<br />

seinen Inhalt.<br />

Was bleibt<br />

dann noch?<br />

keine verbindliche Rolle. Das hat sich in letzter Zeit<br />

besonders klar gezeigt in der Debatte um die Segnung<br />

und Trauung gleichgeschlechtlicher Paare.<br />

Aber wie ist das nun, wenn jeder Bibelkritiker<br />

entscheidet, welche Worte von Jesus echt sind und<br />

welche ihm später in den Mund gelegt wurden,<br />

welche Berichte der Evangelien von tatsächlich<br />

Geschehenem handeln und welche aus dem Glauben<br />

der ersten Christen gebildete Legenden sind?<br />

Dieser selbst konstruierte Jesus wird dann gegen<br />

die konkreten Aussagen der Bibel ausgespielt. Zum<br />

Beispiel: Jesus sei für die Nächstenliebe und gegen<br />

jede Ausgrenzung gewesen. Deshalb sei auch die<br />

evangelische Kirche inklusiv unterwegs. Darum<br />

könne man sich über die kritischen Aussagen der<br />

Bibel gegen praktizierte Homosexualität hinwegsetzen.<br />

So argumentierte zum Beispiel die Kirchenleitung<br />

der Evangelischen Kirche von Baden, als<br />

sie von ihrer Landessynode die Trauung gleichgeschlechtlicher<br />

Paare beschließen ließ.<br />

Im Grunde wird „Jesus Christus“ so zur Leerformel,<br />

die jeder nach seinen Vorstellungen füllt<br />

und benutzt. Wenn also das reformatorische<br />

Prinzip „Allein die Bibel“ nicht mehr gilt, dann<br />

verliert auch das „Allein durch Jesus Christus“<br />

seinen Inhalt. Die beiden daraus folgenden reformatorischen<br />

Grundsätze „Allein durch die Gnade“<br />

und „Allein durch den Glauben“ lösen sich dann<br />

in Philosophie und Psychologie auf.<br />

Die Bibel legt sich selber aus<br />

Ein wichtiger Grundsatz der Reformation hieß:<br />

Die Bibel legt sich selber aus. Alle Bibeltexte<br />

müssen im Zusammenhang gelesen werden. Drei<br />

Beispiele:<br />

Erstens: Es ist wichtig, das Verhältnis von Altem<br />

und Neuem Testament zu beachten. Das Alte Testament<br />

läuft auf Jesus zu und muss von Jesus her<br />

verstanden werden. Gebote, die Gott nach dem<br />

Gericht der Sintflut im Bund mit Noah als Ordnungen<br />

gegen die Eskalation des Bösen einsetzte, werden<br />

von Jesus auf den ursprünglichen Willen Gottes<br />

zurückgeführt. Er hat in der Bergpredigt gesagt:<br />

„Ihr habt gehört, dass zu den Alten gesagt ist …<br />

Ich aber sage euch …“ An die Stelle des Gesetzes<br />

der Vergeltung tritt das Gebot der Feindesliebe. 11<br />

Auch verstärkt Jesus die Unverbrüchlichkeit der<br />

Ehe. Er bestätigt, dass die Zuordnung von Mann<br />

und Frau zur Gott-Ebenbildlichkeit des Menschen<br />

gehört. 12 Deshalb geht es bei der Ehe nicht nur um<br />

eine Lebensform neben anderen, wie evangelische<br />

Kirchen neuerdings lehren. Das christliche Menschenbild<br />

orientiert sich an der Bibel.<br />

Zweitens: Im Alten Testament gab es Kriege nach<br />

Gottes Willen. Nach dem Neuen Testament aber<br />

kann niemand sich auf Jesus berufen, wenn er<br />

Krieg führt. Jesus verwehrt seinen Jüngern das<br />

Schwert, um ihn zu verteidigen. 13 Nach dem, was<br />

Jesus gesagt hat, darf jedenfalls niemand mehr<br />

einen Krieg im Namen Gottes führen. Wir dürfen<br />

in dieser Sache nicht das Alte Testament zitieren,<br />

als wäre Jesus nicht gekommen.<br />

Drittens: Die Welt von heute ist nicht die Schöpfung,<br />

von der es heißt: „Und Gott sah an alles, was<br />

er gemacht hatte, und siehe, es war sehr gut.“ 14<br />

Die Rebellion des Menschen gegen Gott, der<br />

sogenannte Sündenfall 15 , beeinträchtigte sie. Der<br />

Mensch will sein wie Gott. Er zerstört durch seine<br />

Vermessenheit die gute Schöpfung Gottes. Dieser<br />

28<br />

Z für Zukunft


Zeitkritisch<br />

Bruch geht bis in die Natur. Gottes gute Gaben –<br />

zum Beispiel Intelligenz und Sexualität – können<br />

verkehrt und missbraucht werden. Wer beispielsweise<br />

Homosexualität als Schöpfungsvariante<br />

bezeichnet, ignoriert diese biblischen Grundaussagen<br />

und erklärt sie für ungültig.<br />

Auslegungen der Bibel im Einzelnen können<br />

strittig bleiben. Unser Wissen ist Stückwerk.<br />

Aber die Grundfrage nach der Autorität der Heiligen<br />

Schrift muss geklärt sein: Die Bibel ist Gottes<br />

Wort, sie ist die Urkunde der Offenbarung Gottes.<br />

Eine Kirche, die das nicht mehr bekennt, erledigt<br />

sich selber. – Nach meiner Überzeugung ist das<br />

die Hauptursache für die Demontage der Kirche.<br />

Ein nicht so involvierter Mensch kommt dann<br />

leicht zu dem Schluss: Wenn die historische Forschung<br />

herausfindet, dass Personen und Ereignisse,<br />

über die die Bibel berichtet, gar nicht<br />

gelebt oder stattgefunden haben, wird dem<br />

christlichen Glauben der Boden unter den Füßen<br />

weggezogen. Wenn Jesus nicht vom Tod auferstanden<br />

ist, wenn die Worte und Taten Jesu von<br />

seinen Anhängern erfunden wurden, wenn sein<br />

Kreuzestod kein stellvertretender Sühnetod war,<br />

dann ist der christliche Glaube ein Irrtum.<br />

So scharf hat Paulus die möglichen Konsequenzen<br />

gesehen und beschrieben: „Wenn aber<br />

Christus gepredigt wird, dass er von den Toten<br />

auferweckt ist, wie sagen dann einige unter euch:<br />

Es gibt keine Auferstehung der Toten? Gibt es<br />

keine Auferstehung der Toten, so ist auch Christus<br />

nicht auferweckt worden. Ist aber Christus<br />

nicht auferweckt worden, so ist unsre Predigt<br />

vergeblich, so ist auch euer Glaube vergeblich.<br />

Wir würden dann auch als falsche Zeugen Gottes<br />

befunden, weil wir gegen Gott bezeugt hätten,<br />

er habe Christus auferweckt, den er nicht auferweckt<br />

hätte. Ist Christus aber nicht auferstanden,<br />

so ist euer Glaube nichtig, so seid ihr noch<br />

in euren Sünden; dann sind auch die, die in Christus<br />

entschlafen sind, verloren. Hoffen wir allein in<br />

diesem Leben auf Christus, so sind wir die elendesten<br />

unter allen Menschen.“ 16<br />

Von der tatsächlich geschehenen Auferweckung<br />

hängt alles ab: „Nun aber ist Christus auferweckt<br />

von den Toten als Erstling unter denen, die entschlafen<br />

sind.“ 17 Diese Logik gilt in den evangelischen<br />

Kirchen aber schon lange nicht mehr.<br />

Das Evangelium von Jesus Christus<br />

im interreligiösen Dialog<br />

Im Grundlagentext der EKD zum Reformationsjubiläum<br />

„Rechtfertigung und Freiheit“ heißt es<br />

zum interreligiösen Dialog: „Die Herausforderung<br />

besteht darin, von Christus zu sprechen,<br />

aber so, dass dabei nicht der Glaube des anderen<br />

abgewertet oder für unwahr erklärt wird. So wie<br />

für den Christen das Gehören zu Christus der einzige<br />

Trost im Leben und im Sterben ist, so ja auch<br />

für den Anhänger der anderen Religion sein spezifischer<br />

Glaube. Dies darf auf beiden Seiten des<br />

Gespräches anerkannt werden.“ 18<br />

Im Koran, Sure 4,157 f, lesen wir:<br />

„Und [weil sie] sagten: ‚Wir haben Christus<br />

Jesus, den Sohn der Maria und Gesandten Gottes<br />

getötet‘. – Aber sie haben ihn [in Wirklichkeit]<br />

nicht getötet und auch nicht gekreuzigt.<br />

Vielmehr erschien ihnen [ein anderer] ähnlich<br />

[sodass sie ihn mit Jesus verwechselten und töteten].<br />

Und diejenigen, die über ihn uneins sind,<br />

sind im Zweifel über ihn. Sie haben kein Wissen<br />

über ihn, gehen vielmehr Vermutungen nach. Und<br />

sie haben ihn nicht mit Gewissheit getötet. Nein,<br />

Gott hat ihn zu sich [in den Himmel] erhoben.<br />

Gott ist mächtig und weise.“ 19<br />

Der Koran leugnet, dass Jesus gekreuzigt<br />

wurde. Die Begründung ist theologisch: Gott ist<br />

allmächtig und weise. Die Allmacht und Weisheit<br />

Gottes wäre widerlegt, wenn er die Tötung seines<br />

Propheten zulassen würde. Demgegenüber<br />

ist das Sterben Jesu am Kreuz nach der Bibel die<br />

Offenbarung und der Beweis der Liebe Gottes:<br />

„So sehr hat Gott die Welt geliebt.“ 20 Kann beides<br />

wahr sein? Kann man beides nebeneinander<br />

stehenlassen?<br />

Die Evangelische Kirche in Deutschland lässt<br />

aus Anlass des Reformationsjubiläums verlauten,<br />

dass sie das Alleinstellungsmerkmal des<br />

christlichen Glaubens nicht mehr vertreten will.<br />

Die Apostel haben vor Gericht in Jerusalem über<br />

Z für Zukunft<br />

29


Zeitkritisch<br />

Jesus gesagt: „Und in keinem andern ist das Heil,<br />

auch ist kein andrer Name unter dem Himmel den<br />

Menschen gegeben, durch den wir sollen gerettet<br />

werden.“ 21<br />

die scharfen Worte von Paulus in Galater 1,7:<br />

„Kein anderes Evangelium!“, und sogar das „Anathema!“<br />

– Gottes Gericht über jeden, der ein<br />

anderes Evangelium verkündigt.<br />

Bild: © Buchcover, Orac-Verlag<br />

Nicht der<br />

Mensch sucht<br />

Gott, sondern<br />

Gott sucht den<br />

Menschen.<br />

Gott fragt:<br />

Adam, wo<br />

bist du?<br />

In den Diskussionen über den interreligiösen<br />

Dialog kommt mehr und mehr zum Vorschein,<br />

dass es kirchenleitenden Personen vor allem<br />

darum zu gehen scheint, das Christentum als<br />

Zivilreligion zu platzieren. Platt gesagt: religiöser<br />

Kitt für die zerfallende Gesellschaft. Nur nicht<br />

polarisieren und spalten! – Was ist eine Zivilreligion?<br />

„So nennt man die Schwundstufe eines Christentums,<br />

das nicht mehr in seinem Wahrheitsanspruch,<br />

sondern nur noch wegen seiner ethisch<br />

und politisch stabilisierenden Funktion ernst<br />

genommen wird. […] Man könnte die ‚Grundwerte‘<br />

als das Dogma der Zivilreligion bezeichnen.<br />

[…] Es geht in der Zivilreligion also um das<br />

Glaubensminimum, das wir zur Geltung bringen<br />

müssen, damit die moderne Gesellschaft funktioniert.<br />

[…] Als Zivilreligion hat der Protestantismus<br />

die großen Themen wie Kreuz, Erlösung<br />

und Gnade aufgegeben und durch einen diffusen<br />

Humanismus ersetzt.“ 22<br />

Angeblich sucht der Mensch nicht mehr nach<br />

dem gnädigen Gott, sondern nach dem gnädigen<br />

Nächsten. Aber genau da liegt das Problem: Wenn<br />

der Mensch sich selbst zu Gott macht, wird der<br />

Mensch für den Menschen zum Wolf. Darum flehen<br />

wir jetzt um den gnädigen Nächsten. Allerdings<br />

vergeblich, wie die Geschichte beweist.<br />

Auch das ist nicht neu: Nicht der Mensch sucht<br />

Gott, sondern Gott sucht den Menschen. Gott<br />

fragt: Adam, wo bist du?<br />

Rezension aus: Ulrich Parzany, „Was nun, Kirche?“;<br />

ISBN: 978-3-7751-5792-6<br />

http://shop.agentur-pji.com/was-nun-kirche.html<br />

1 https://de.wikipedia.org/wiki/Mitgliederentwicklung_in_den_<br />

Religionsgemeinschaften. (Zugriff am 28.12.2017).<br />

2 https://www.ekd.de/download/zahlen_und_fakten_2016.pdf<br />

(Zugriff 28.12.2017).<br />

3 Johannes Zimmermann, „Gemeinde unter Gottes Verheißung“;<br />

in: Lebendige Gemeinde, Das Magazin der ChristusBewegung<br />

4, 2016, S. 4. Er bezieht sich auf Detlef Pollack, „Was wird aus<br />

der Kirche?“ DtPfBl 116,446; Quelle: Allensbacher Institut für<br />

Demoskopie.<br />

4 1. Timotheus 2,3.<br />

5 Kirche der Freiheit, Impulspapier des Rates der EKD 2006, S. 21 f.<br />

6 a. a. O. S. 22.<br />

7 Ehemals Professor für Praktische Theologie an der Berliner Humboldt-Universität,<br />

hat in seinem Buch Die neuen Gesichter Gottes<br />

– Was die Menschen heute wirklich glauben seine Untersuchungen<br />

veröffentlicht.<br />

8 Rechtfertigung und Freiheit, Grundlagentext der EKD, S. 83 f.<br />

9 Der Vortrag war lange Zeit in voller Länge auf www.a-m-d.de<br />

und wurde inzwischen von der Seite genommen. Teile finden<br />

sich noch unter: www.idea-pressedienst.de/pdf/ausgabe/009/<br />

jahr/2015/code/hpJ4P7B2/user/ (Zugriff am 29.03.2016).<br />

10 Eine ausgezeichnete Darstellung der Entwicklung der Bibelkritik<br />

bietet Ron Kubsch in Sollte Gott gesagt haben? – Was<br />

steckt hinter der Bibelkritik? https://www.evangelium21.net/<br />

downloads/pdf/R.Kubsch_Sollte_Gott_gesagt_haben_(Edition-<br />

E21).pdf (Zugriff am 28.12.2017).<br />

11 vgl. Matthäus 5,38–48.<br />

12 vgl. Matthäus 5,27–32; 19,4–6; 1. Mose 1,27.<br />

13 vgl. Matthäus 26,52–53.<br />

14 1. Mose 1,33.<br />

15 1. Mose 3.<br />

16 1. Korinther 15,12–19.<br />

17 1. Korinther 15,20.<br />

18 Rechtfertigung und Freiheit, S 58.<br />

19 Der Koran, Übersetzung von Rudi Paret, Stuttgart 1966, S. 83 f.<br />

20 Johannes 3,16.<br />

21 Apostelgeschichte 4,12.<br />

22 Norbert Bolz, „Zurück zu Luther, Die Evangelische Kirche in der<br />

Modernitätsfalle“; in: CA, Das lutherische Magazin für Religion,<br />

Gesellschaft und Kutur II, 2016, S. 21 f.<br />

Buch bestellen<br />

Es gilt: Christus allein! Und weil allein Gott<br />

in Christus die Erlösung schafft, können wir sie<br />

nur geschenkt bekommen. Ganz geschenkt! Wir<br />

können sie auch nicht kaufen. Wir bekommen sie<br />

geschenkt oder wir bekommen sie nicht. Darum<br />

auch: „Gnade allein!“ Gott hat in Christus die<br />

Welt versöhnt – zu 100 Prozent, daher dürfen wir<br />

uns auch 100 Prozent schenken lassen.<br />

Wie Paulus will auch ich, dass Menschen durch<br />

Jesus gerechtfertigt und gerettet werden. Darum<br />

30<br />

Z für Zukunft


Public Relation<br />

Krankenversicherung<br />

ab 0,85 pro Tag<br />

Brückenbauer zwischen den Kulturen:<br />

Internationale Krankenversicherung<br />

Die Care Concept AG (CCAG) versichert Deutsche<br />

im Ausland, Ausländer in Deutschland und Reisende<br />

weltweit für kurz-, mittel und langfristige Aufenthaltsdauern.<br />

Die Produkte erfüllen die Voraussetzungen<br />

der nationalen Gesetzgeber, so sind sie beispielsweise<br />

Schengenkonform. Die Prämien betragen<br />

0,85 € pro Tag z. B. für den Care Visa Protect oder<br />

ab 28 EUR mtl. für die Krankenversicherung von<br />

Sprachschüler und Studenten Care College.<br />

Schwerpunkt der Unternehmenstätigkeit ist<br />

die Internationale Krankenversicherung.<br />

Die Produkte können ergänzt werden durch<br />

Unfall-, Haftpflicht-, Krankentagegeld- oder<br />

Reiserücktritts-Versicherungen.<br />

Die CCAG zeichnet sich aus durch:<br />

- faire, kompetent kalkulierte und langfristig stabile<br />

Preise<br />

- Mehrsprachigkeit : Die Homepage ist in 7 Sprachen<br />

übersetzt. Die Mitarbeiter sprechen 19<br />

Sprachen.<br />

- schlanke Online–Verfahren mit kürzesten Bearbeitungs-<br />

und Reaktionszeiten<br />

Die christliche Prägung der CCAG:<br />

- Beratung der Kunden u. Kooperationspartner unter<br />

Nennung der Vor- und Nachteile der Produkte<br />

- Tatsache, dass sich die CCAG der Entwicklung von<br />

CSR-Projekten verpflichtet fühlt (Corporate Social<br />

Responsibility), wie zum Beispiel der Mikrokrankenversicherungen<br />

für die Ärmsten der Armen<br />

- Kooperation der CCAG mit Entraide Missionaire<br />

(EMS), einem an den Vatikan angegliederten<br />

Versorgungswerk. Im Rahmen dieser Kooperation<br />

können konfessionsübergreifend Christen<br />

im Ausland eine sehr kostengünstige und unbefristete<br />

Krankenversorgung erhalten.<br />

Selbstverständlich stehen die Produkte der<br />

CCAG Angehörigen aller kulturellen und religiösen<br />

Gruppen zur Verfügung.<br />

Weitere Informationen<br />

- zur christlichen Prägung des Unternehmens finden<br />

Sie unter www.care-concept.de/ichthys.<br />

- zu allgemeinen Fragen oder Vertragsabschlüssen<br />

über das Internet unter www.care-concept.de<br />

- persönliche Beratung: Frank Brandenberg (Leiter<br />

Vertrieb), f.brandenberg@care-concept.de<br />

Z für Zukunft<br />

31


Zeitkritisch<br />

Reformation neu denken<br />

Foto: © Agentur PJI UG, Montage<br />

Zum 500-jährigen Reformationsjubiläum gab es in Berlin und Wittenberg einen<br />

besonderen Kirchentag. Was will die EKD dem Rest der Welt damit sagen?<br />

Peter Ischka<br />

Geht Gewalt<br />

primär von<br />

Männern aus?<br />

Ist der politische<br />

Feminismus<br />

jemals friedlich<br />

gewesen?<br />

Die EKD ist bekannt für „neu denken“.<br />

So ist sie dabei, Kirche neu<br />

zu denken, und „erfreut“ sich weiter<br />

steigender Austrittszahlen. Mit<br />

dem Kirchentag von 24.–28. Mai<br />

2017 hat sie offensichtlich versucht, „Reformation“<br />

neu zu denken. So angestrengt hat man<br />

nachgedacht, dass sogar ein Rauchwölkchen aufstieg,<br />

ja ein regelrechtes Rauchzeichen mit einer<br />

ganz speziellen Botschaft.<br />

Ein Interview von Karsten Huhn in der idea Nr.<br />

20/2017 mit der Kirchentagspräsidentin Christina<br />

Aus der Au zeigt, in welche Richtung der EKD-<br />

Wind bläst. Wir kommentieren einige Zitate.<br />

FRAGE: Kirchentage sind leicht mit Parteiveranstaltungen<br />

der Grünen zu verwechseln.<br />

ANTWORT: Das nehme ich als Kompliment, wir nehmen<br />

die Verantwortung für die Schöpfung ernst.<br />

KOMMENTAR: (Die Frage betraf wohl eher die linksliberale,<br />

neomarxistische Richtung; das wurde<br />

aber geflissentlich überhört – und von wegen<br />

„Schöpfung ernst nehmen“: Der Kirchentag ist<br />

sowas von durchgegendert! Wo bleibt da das<br />

Schöpfungskonzept des Menschen als Mann und<br />

Frau?)<br />

Barack Hussein Obama diskutiert mit Angela<br />

Merkel am Kirchentag?<br />

Mit Barack Obama konnten wir einen Menschen<br />

gewinnen, der aus protestantischer Verantwortung<br />

heraus eine bedeutende Position<br />

innehatte.<br />

(In seiner Amtszeit hat Obama mehr den Einfluss<br />

von Muslimen gestärkt als den der Christen;<br />

eine Reihe christlicher Werte hat er an den Rand<br />

gedrängt.)<br />

Brauchen Marsmenschen Erlösung? Womit sich<br />

eine Veranstaltung auf dem Kirchentag befasst.<br />

Ich bin begeisterte Science-Fiction-Leserin<br />

und mit einem Theologen befreundet, der sich<br />

mit Leben fern der Erde beschäftigt. Wenn Gott<br />

die Welt erschaffen hat und in Christus Mensch<br />

32<br />

Z für Zukunft


Zeitkritisch<br />

geworden ist: Was bedeutet das für das Leben<br />

außerhalb der Erde, etwa für Marsmenschen?<br />

Gibt es Spezies, die keine Erlösung brauchen,<br />

weil sie nicht unter dem Sündenfall stehen?<br />

(Als ob wir keine Menschen mehr hätten, die<br />

Erlösung brauchen – und wenn das so wäre, wie<br />

Frau Aus der Au meint, dann wäre Christus sicher<br />

als Marsmännchen auf den Mars gekommen …<br />

Eine viel sinnvollere Frage wäre: „Brauchen EKDler,<br />

die wesentliche Teile des Wortes Gottes relativieren,<br />

auch Erlösung?“)<br />

„Feminist*innen aller Religionen vereinigt<br />

euch!“ Strategien gegen Fundamentalismus?<br />

Religionen sind nicht zu Unrecht unter<br />

Beschuss – als eine Kraft, die für Gewalt verantwortlich<br />

sein kann. Dieses Gewaltpotenzial wird<br />

im Moment besonders dem Islam zugeschoben.<br />

Das hat auch mit unserer Geschichte und Gegenwart<br />

etwas zu tun. Leider geht Gewalt nun mal<br />

häufig von Männern aus. Es ist ein Hoffnungszeichen,<br />

wenn Frauen nach dem Friedenspotenzial<br />

ihrer Religion suchen und den interreligiösen Dialog<br />

stärken.<br />

(Als wäre der politische Feminismus in seinem<br />

Grundmuster jemals friedlich gewesen …<br />

als könnte der Fundamentalismus im Feminismus<br />

uns da helfen! Ein Tipp für jeden, der nach<br />

wirklichem Friedenspotenzial sucht: Komm zu<br />

Jesus höchstpersönlich – „Meinen Frieden gebe<br />

ich euch; der ist nicht zu vergleichen mit dem,<br />

was die Welt euch zu bieten hat. Die Weltsysteme<br />

erzeugen Angst. Aber seid guten Mutes, ich habe<br />

die Welt und ihre ‚Ismen‘ überwunden“. 1 )<br />

Es gibt auch Kabarett: „Dschihad in Wittenberg.<br />

Martin Luther – sein Kampf“<br />

Satire darf viel. Das wird einiges bissig und<br />

witzig zur Sprache bringen, so dass einem das<br />

Lachen im Halse steckenbleibt.<br />

(Da mag sie wohl recht haben … Hoffentlich<br />

erstickt keiner daran!)<br />

Im Zentrum für Kinder werden „Märchen<br />

der Völker“ und „Die Abenteuer des Butattino“<br />

geboten.<br />

Zu unserem eigenen Nutzen ist es sinnvoll,<br />

sich auch mit Texten anderer Traditionen zu<br />

beschäftigen. Und die Märchenforschung zeigt,<br />

dass auch Märchen Botschaften vermitteln, die<br />

helfen können.<br />

(Aber welche Botschaft – und Hilfe wofür? Kinder<br />

kennen die Botschaften der Bibel nicht mehr,<br />

weil ihnen alles andere vermittelt wird, nur nicht<br />

das Wort Gottes. Damit „erzieht“ die EKD ihre<br />

zukünftigen Kirchenaustreter – also gut, dann<br />

lieber gleich Mitglied in einem ordentlichen Märchen-Erzähl-Club<br />

werden!)<br />

„Gottesdienst für Lesben und andere Frauen“<br />

im „Zentrum Regenbogen“: Was ist das?<br />

Das ist in erster Linie ein farbiger, fröhlicher<br />

Gottesdienst. Frauen haben sich jahrhundertelang<br />

als „Brüder“ mit eingeschlossen fühlen müssen.<br />

Gott wird auch nicht nur als Herr, sondern<br />

auch als Weisheit und Geistes-Kraft angesprochen.<br />

Von dieser Art Gottesdienst kann ich mich<br />

befruchten und inspirieren lassen.<br />

(… das muss dann wohl eine künstliche Befruchtung<br />

sein, denn Männer fehlen da ja. [Scherz.] Aber<br />

mal ernsthaft: Ob da die Weisheit und die Kraft des<br />

Heiligen Geistes gegenwärtig sein kann? Ich habe<br />

noch nie eine ernsthaft gläubige Frau getroffen, die<br />

Probleme gehabt hätte mit Stellen in der Bibel, die<br />

„Brüder“ ansprechen. Aber ich habe etliche Frauen<br />

getroffen, die gar nicht glauben – und das als Ausrede<br />

nutzten. Was viele nicht wissen: Wir alle, so wir<br />

glauben, sind dazu berufen, Söhne Gottes zu werden,<br />

männliche und weibliche. Das ist der Trick, um<br />

nicht aus der göttlichen Erbberechtigung herauszufallen.<br />

2<br />

Brauchen<br />

Marsmenschen<br />

Erlösung?<br />

Z für Zukunft<br />

33


Zeitkritisch<br />

Foto: © Wikipedia, Sandro Halank<br />

„Juden<br />

müssen nicht<br />

erst über den<br />

christlichen<br />

Weg zu<br />

Gott finden,<br />

sie sind bereits<br />

Gottes Volk“<br />

Bibelarbeiten<br />

von Muslimen?<br />

„Ich entdecke dabei<br />

etwas über meine<br />

blinden Flecke“<br />

Foto: © flickr, Die Linke<br />

Dann wird es „Impulse für die Gender-Debatte“<br />

geben. Luther schuf eine verständliche Sprache.<br />

Genderianer sind sich untereinander nicht<br />

einig, ob sie Feminist*innen mit Sternchen,<br />

großem Binnen-I, unterstrichen oder mit<br />

X schreiben wollen.<br />

Die wirkliche Diskussion beginnt aber einen<br />

Schritt früher: Können wir weiterhin Frau und<br />

Mann schreiben? Es gibt gute Argumente von<br />

Menschen, die sich nicht diesen zwei Kategorien<br />

zuordnen lassen wollen und darunter leiden. Wer<br />

bin ich, dass ich mit meiner Sprache festlege, wo<br />

sie sich einzuordnen haben? Das ist nicht feinfühlig<br />

und achtsam.<br />

(Die Achtsamkeit wird sehr aufwändig werden,<br />

wenn wir nur an die über 60 Geschlechter<br />

denken, die Facebook seinen Usern anbietet. Die<br />

wirkliche Diskussion beginnt einige Schritte früher:<br />

beim Sündenfall, der die Ursache für jedes<br />

Chaos ist, auch für die Genderideologie. „Bekennt<br />

nun einander die Sünden und betet füreinander,<br />

damit ihr geheilt werdet!“ 3 Feinfühlig und achtsam<br />

wäre, wenn wir jedem helfen, aus Gnade,<br />

sola gratia, Vergebung seiner Sünden zu erfahren<br />

– das wäre reformatorisch.)<br />

Warum bleiben messianische Juden ausgeladen<br />

– Sie pflegen doch mit allen den Dialog?<br />

Wir wollen Menschen jüdischen Glaubens<br />

in ihrer Eigenheit stehenlassen. Theologisch<br />

gesprochen: Der alte Bund Gottes mit seinem<br />

Volk ist mit dem neuen Bund nicht aufgehoben.<br />

Juden müssen nicht erst über den christlichen<br />

Weg zu Gott finden, sondern sind bereits Gottes<br />

Volk – und bleiben es auch. Es ist also nicht nötig,<br />

Juden zu missionieren.<br />

(Da sollte man zum einen das Verständnis der<br />

Bedeutung der Worte alt und neu vertiefen und<br />

sich mal näher ansehen, was der Jude Paulus dazu<br />

zu sagen hat: „Denn ich schäme mich des Evangeliums<br />

nicht, ist es doch Gottes Kraft zum Heil<br />

jedem Glaubenden, sowohl dem Juden zuerst als<br />

auch dem Griechen.“ 4 Oder die Meldung an die<br />

Hebräer: „Denn wenn jener erste Bund tadellos<br />

wäre, so wäre kein neuer nötig geworden: ‚Siehe,<br />

es kommen Tage, spricht der Herr, da werde ich<br />

mit dem Haus Israel und mit dem Haus Juda<br />

einen neuen Bund schließen, nicht nach der Art<br />

des alten Bundes mit ihren Vätern‘ …“. 5 Wenn die<br />

EKD-Leute es doch einfach Luther nachmachen<br />

würden – nur mal in der Bibel lesen –, da steht<br />

schließlich alles drin: Auch Juden brauchen Jesus<br />

und müssen „missioniert“ werden!)<br />

Warum haben messianische Juden keinen<br />

Zugang zum Kirchentag?<br />

Das berührt den Kern des Selbstverständnisses<br />

des Kirchentags, das aus dem Zweiten<br />

Weltkrieg stammt. Judenmission hat etwas von<br />

Ignoranz und Überheblichkeit, die mit dem Kirchentag<br />

unvereinbar ist.<br />

34<br />

Z für Zukunft


Zeitkritisch<br />

(Eine besondere „Geistesgabe“ haben wichtige<br />

EKD-Führungskräfte: Sie können sich hervorragend<br />

herausreden, haben immer eine tiefsinnige<br />

und kluge, rhetorisch perfekte, geschliffene<br />

Antwort, zu der der Unwissende nur begeistert<br />

nicken kann, weil ihm die Worte fehlen.)<br />

Sind Menschen ohne Christus verloren?<br />

Ich halte es mit dem reformierten Theologen<br />

Karl Barth: Christus ist Mensch geworden, um<br />

die Menschheit in seiner Person selig zu machen.<br />

Wenn wir Gnade ernst nehmen, darf die Rettung<br />

nicht am Glauben des Einzelnen hängen, sondern<br />

ist Gnade für die ganze Welt.<br />

(Aha! Daher braucht es auch keine Mission<br />

und es macht nichts, wenn so viele aus der Kirche<br />

austreten [höchstens der Kirchensteuer-Rückgang<br />

könnte noch Anreiz für Mitgliederwerbung<br />

sein]. Und so nebenbei: Wenn Gnade so billig<br />

wäre, dann könnte man bei der nächsten Bibelrevision<br />

viele Stellen streichen – das würde eine<br />

Menge Papier sparen. Jedenfalls „evangelisch“ ist<br />

diese Ansicht nicht mehr.) [Siehe den folgenden<br />

Artikel „Billige Gnade“.]<br />

Bibelarbeiten von Atheisten und Muslimen<br />

gehalten?<br />

Ich bin überzeugt, dass man aus mehreren Perspektiven<br />

heraus die Bibel besser verstehen kann<br />

als nur aus der eigenen. Ich lerne dabei etwas über<br />

meinen eigenen Glauben und entdecke dabei etwas<br />

über meine blinden Flecke. Auch für die Zuhörer<br />

wird der Dialog mit Juden, Muslimen, Agnostikern<br />

und Atheisten eine Bereicherung sein.<br />

(Bisher hatte ich immer gedacht, der Heilige<br />

Geist wäre dafür zuständig, dass ich die Bibel<br />

besser verstehen kann … „Wenn aber jener, der<br />

Geist der Wahrheit, gekommen ist [das ist seit<br />

Pfingsten erledigt], wird er euch in die ganze<br />

Wahrheit einführen.“ Möglicherweise ist die EKD<br />

inzwischen so „verweltlicht“, dass sie mit dem<br />

Geist der Wahrheit nichts mehr anfangen kann,<br />

„denn die Welt kann ihn nicht empfangen, weil sie<br />

ihn nicht sieht noch ihn kennt“ 6 . Deshalb muss<br />

die EKD nun Muslime und Atheisten fragen, wie<br />

man die Bibel verstehen solle.)<br />

Z für Zukunft<br />

35


Zeitkritisch<br />

„Die Gottlosigkeit<br />

der<br />

Menschen, die<br />

die Wahrheit auf<br />

den Kopf stellen,<br />

lassen Gott<br />

nicht kalt“<br />

Innovation Homo-Trauung: Erstmals werden<br />

auf dem Kirchentag gleichgeschlechtliche<br />

Paare getraut. Für Katholiken und Orthodoxe<br />

wäre das Irrlehre.<br />

Die gastgebende Landeskirche bekennt sich<br />

dazu, dass die verantwortungsbewusste, nachhaltige<br />

Liebe zwischen zwei Menschen von Gott<br />

gesegnet ist – unabhängig davon, ob diese zwei<br />

dasselbe oder verschiedene Geschlechter haben.<br />

Das ist auch meine Position.<br />

Bibelstellen, die sich kritisch zur Homosexualität<br />

äußern, hatten vor allem eine machtpolitische<br />

Aussage und richteten sich zudem nur gegen die<br />

Knabenliebe. Zwei Menschen, die sich lieben und<br />

vor Gott einen Bund beschließen wollen, kann ich<br />

mich nicht entgegenstellen. Ich kann in dieser<br />

Liebesbeziehung keine Sünde sehen.<br />

(Die EKD hat damit der „Ehe für alle“ den<br />

roten Teppich ausgerollt; das wurde jahrelang<br />

vorbereitet. Am Freitag, den 30. Juni 2017, wurde<br />

diese dann auch politisch mehrheitsfähig; nach<br />

der Abstimmung im Parlament hat der Bundesrat<br />

dieses Gesetz durchgewunken.<br />

Für den Unionsfraktionsvorsitzenden Volker<br />

Kauder, der die unterschiedlichen Standpunkte<br />

respektiert, ist die Ehe eine Verbindung von<br />

Mann und Frau.<br />

Der SPD-Fraktionsvorsitzende Thomas Oppermann<br />

argumentierte, die Ehe würde dadurch nicht<br />

geschmälert, sondern gestärkt: „Vielen wird etwas<br />

gegeben, niemandem aber etwas genommen.“ 7 )<br />

Wirklich nichts genommen?<br />

Wenn ein einzelner Mensch tut, was Gott missfällt,<br />

dann entzieht er sich dem Segen Gottes –<br />

das ist sein privates Problem. Wenn aber eine Kirche<br />

sich dem Segen Gottes entzieht oder gar ein<br />

ganzes Land, dann ist das fatal: Die Abwesenheit<br />

von Segen schafft Raum für Fluch.<br />

Oppermanns Spruch wurde vielfach aufgegriffen<br />

und wie ein Mantra wiederholt: „Vielen wird<br />

etwas gegeben, niemandem aber etwas genommen.“<br />

Das klang fast schon weise, ist aber trotzdem<br />

nicht wahr. Man hat dem Land Segen genommen!<br />

Das ist, wie wenn einem im Regen plötzlich<br />

der Schirm entrissen wird. Wen wundert es, wenn<br />

man nun nass wird? Vor allem sollte man dann<br />

nicht einfältig fragen: „Warum lässt Gott das zu?“<br />

Wenn der Schutz weg ist, sind wir dem Übel<br />

dieser Zeit viel, viel stärker ausgesetzt.<br />

„Ein solches Maß an Gewalt und eine derartige<br />

Intensität der Brutalität kannten wir bisher noch<br />

nicht. Das ist neu und gefährlich“, sagte Herbert<br />

Reul (Nordrhein-Westfalens neuer Innenminister,<br />

CDU) Anfang Juli 2017 den „Ruhr Nachrichten“<br />

zu den Ausschreitungen linker Gewalt beim G20-<br />

Gipfel in Hamburg.<br />

Die Bibel neu gedacht? –<br />

Nulla scriptura?<br />

Wir versuchen immer noch, das Ansinnen der<br />

EKD zu verstehen, und fragen uns, warum sie<br />

zum 500-jährigen Reformationsjubiläum diese<br />

Botschaften sendet: „Weg von der Schrift“ – nulla<br />

scriptura. Die Bibel muss wohl auch neu gedacht<br />

werden …<br />

Kommentare von Paulus und Salomo<br />

Hören wir Paulus „zur Lage der Nation“: „Die Gottlosigkeit<br />

und Ungerechtigkeit der Menschen, die<br />

die Wahrheit auf den Kopf stellen, lassen Gott nicht<br />

kalt. Obwohl der unsichtbare Gott sich und seine<br />

ewige Kraft im Erschaffenen erkennbar gemacht<br />

hat, damit sich keiner herausreden kann, haben<br />

sie ihn trotzdem nicht geehrt noch ihm gedankt,<br />

sondern sind ihrer Torheit verfallen und haben ihr<br />

unverständiges Herz verfinstert. Sie haben sich<br />

für besonders clever gehalten, sind aber zu Narren<br />

geworden. Darum hat Gott sie im Befolgen der<br />

Begierden ihres Herzens aus dem Schirm seines<br />

Segens heraustreten lassen, jene, die die Wahrheit<br />

Gottes in Lüge verdrehten und dem Geschöpf Ver-<br />

36<br />

Z für Zukunft


Zeitkritisch<br />

ehrung dargebracht haben anstatt dem Schöpfer.<br />

Aus diesem Grund hat Gott sie ihrer eigenen<br />

schändlichen Leidenschaft ausgeliefert: Frauen<br />

vertauschten den natürlichen Geschlechtsverkehr<br />

mit dem widernatürlichen, genauso die Männer.<br />

Sie wurden von wildem Verlangen zueinander<br />

gepackt; Männer ließen sich in schamlosem Treiben<br />

mit anderen Männern ein. Das rächte sich in<br />

Verirrung an ihnen selbst. Wie sie es auch nicht<br />

nötig fanden, Gott und seine Ordnung anzuerkennen,<br />

hat Gott sie ihrem verworrenen Sinn preisgegeben,<br />

sodass sie Dinge tun, die nicht recht sind“ 8<br />

(und daher nicht gesegnet werden können).<br />

Wer aber weiterhin zu Gottes Ordnung in allen<br />

Lebensbereichen stehen möchte, auch wenn dies<br />

hierzulande nicht mehrheitsfähig scheint, der sei<br />

ermutigt und gestärkt. Denn die sind es, die Jesus<br />

wirklich lieben, die den Willen seines Vaters tun 9<br />

– die werden dann aber trotz allem gesegnet sein,<br />

inmitten des Desasters.<br />

Der wirklich weise Salomo hat das in seinen<br />

Sprüchen gut zusammengefasst:<br />

„Hänge meine Gebote an deinen Hals und<br />

schreibe sie auf die Tafel deines Herzens, so<br />

wirst du Freundlichkeit und Klugheit erlangen,<br />

die Gott und den Menschen gefallen.<br />

Verlass dich nicht auf deinen Verstand, sondern<br />

verlass dich von ganzem Herzen auf den Herrn, deinen<br />

Gott, und gedenke an ihn in allen deinen Wegen,<br />

so wird er dich recht führen. Halte dich nicht für<br />

weise, sondern habe Ehrfurcht vor dem Herrn<br />

und meide das Böse.“ 10<br />

Interview: idea Nr. 20/2017;<br />

http://www.idea.de/spektrum/detail/was-ist-evangelisch-amevangelischen-kirchentag-100970.html<br />

(Zugriff am 28.12.2017).<br />

1 Johannes 14,27; 16,33.<br />

2 Galater 4,5; Epheser 1,5.<br />

3 Jakobus 5,16.<br />

4 Römer 1,6.<br />

5 Hebräer 8,7–9.<br />

6 Johannes 16,13; 14,17.<br />

7 https://www.bundestag.de/dokumente/textarchiv/2017/kw26-deehe-fuer-alle/513682<br />

(Zugriff am 24.10.2017).<br />

8 Römer 1,18–28.<br />

9 Johannes 14,23.<br />

10 Sprüche 3,3–7.<br />

Warum ist Europa wohlhabend<br />

und frei? Was hat Europa in die<br />

Orientierungslosigkeit geführt?<br />

Jedes Volk gestaltet seine Gesellschaft nach dem, was und an<br />

wen es glaubt. Aus dem Kult wächst jene Kultur, die den Aufbau<br />

einer Zivilisation prägt – und Geschichte gestaltet.<br />

Stückelberger weist nach, wie das christliche Gottes- und Menschenbild<br />

den Aufstieg Europas begründet, Wissenschaft und Forschung<br />

begünstigt und die Freiheit des Individuums gefördert hat.<br />

Der Abstieg Europas wurde eingeleitet mit dem Verrat an fundamentalen<br />

Werten; dem folgten in der Überhöhung der Vernunft<br />

Ideologien, denen über 100 Mio. Menschen zum Opfer gefallen sind.<br />

Ein Blick in die Zukunft rundet das umfassende Werk ab.<br />

„Das vorliegende Buch gibt eine völlig neue Sicht auf die Geschichte<br />

Europas. Es lässt sich sehr leicht und flüssig lesen, regt aber zu intensivem<br />

Nachdenken an.“ P. Fröstl in Amazon<br />

„»Europas Aufstieg und Verrat« ist eine Reise durch die Jahrhunderte<br />

… Es hat mein Weltbild und insbesondere mein Geschichtsbewusstsein<br />

nachhaltig beeinflusst.“ C. Rühle in Amazon<br />

„Dieses Buch hilft zu verstehen, warum das gängige Weltbild vielfach<br />

im Widerspruch zu biblischen Prinzipien steht. Ein<br />

lesenswerter Augenöffner.“ Dr. Mark Gabriel, Bestseller-Autor<br />

Gebunden, 432 S., 21,5 x 14,5 cm,<br />

ISBN 978-3-944764-05-4 19,95<br />

http://shop.agentur-pji.com<br />

B E S O N D E R S<br />

empfehlenswert<br />

QR zur Leseprobe<br />

Z für Zukunft<br />

37


Zeitkritisch<br />

Foto: © Agentur PJI-UG, Montage<br />

Billige Gnade, Todfeind der Kirche<br />

Der evangelische Theologe und Märtyrer Dietrich Bonhoeffer hat uns bis heute eine Menge zu<br />

sagen. Hier ein Auszug aus seinem Buch „Nachfolge“ von 1937; dieses Zeugnis christlichen Glaubens<br />

ist zugleich eine Kampfschrift gegen die NS-Unrechtsherrschaft – und gegen die „Gießkannengnade“<br />

á la „Ich bin getauft und zahle meine Kirchensteuer, lass mich gefälligst in Ruhe“.<br />

Billige Gnade<br />

leugnet das<br />

lebendige<br />

Wort Gottes,<br />

die Menschwerdung<br />

des<br />

Wortes Gottes<br />

„Unser Kampf heute<br />

geht um die teure Gnade.“<br />

Das schrieb Bonhoeffer vor über 80 Jahren, und<br />

es ist so aktuell! „Billige Gnade“ heißt: Gnade als<br />

Schleuderware, verramschte Vergebung, wertloser<br />

Trost; Gnade als unerschöpfliche Vorratskammer<br />

der Kirche, aus der mit leichtfertigen Händen<br />

bedenkenlos und grenzenlos ausgeschüttet wird:<br />

Gnade ohne „Preis“, Gnade, deren Wert wir nicht<br />

mehr zu schätzen wissen. Bonhoeffer schreibt:<br />

„Billige Gnade“<br />

Billige Gnade heißt Gnade als Lehre, als Prinzip,<br />

als etabliertes System: das bedeutet Sündenvergebung<br />

als allgemeine Wahrheit, das heißt Liebe<br />

Gottes als christliche Gottesidee: Wer sie nur<br />

bejaht, der hat schon Vergebung der Sünden. Die<br />

Kirche dieser Gnadenlehre ist durch diese Gottesidee<br />

schon der Gnade teilhaftig. In dieser Kirche<br />

findet die Welt billige Bedeckung ihrer Sünden, die<br />

sie nicht bereut und von denen frei zu werden sie<br />

erst recht nicht wünscht. Billige Gnade ist darum<br />

Leugnung des lebendigen Wortes Gottes, Leugnung<br />

der Menschwerdung des Wortes Gottes.<br />

Billige Gnade heißt Rechtfertigung der Sünde<br />

und nicht des Sünders. Billige Gnade ist Predigt<br />

der Vergebung ohne Buße, ist Abendmahl ohne<br />

Bekenntnis der Sünden, ist Absolution ohne persönliche<br />

Beichte. Billige Gnade ist Gnade ohne<br />

Nachfolge, Gnade ohne Kreuz, Gnade ohne den<br />

lebendigen, Mensch gewordenen Jesus Christus.<br />

Gnade ist teuer<br />

Dagegen ist teure Gnade der verborgene Schatz<br />

im Acker, um dessentwillen der Mensch hingeht<br />

und mit Freuden alles verkauft, was er hatte; die<br />

38<br />

Z für Zukunft


Zeitkritisch<br />

köstliche Perle, für deren Preis der Kaufmann alle<br />

seine Güter hingibt; die Königsherrschaft Christi,<br />

um derentwillen sich der Mensch das Auge ausreißt,<br />

das ihn ärgert; der Ruf Jesu Christi, auf den<br />

hin der Jünger seine Netze verlässt und ihm nachfolgt.<br />

Teure Gnade ist das Evangelium, das immer<br />

wieder gesucht, die Gabe, um die gebeten, die<br />

Tür, an die geklopft werden muss.<br />

Teuer ist sie, weil sie den Menschen das Leben<br />

kostet, Gnade ist es, weil sie ihm so erst das<br />

Leben schenkt.<br />

Teuer ist die Gnade vor allem darum, weil sie<br />

Gott teuer gewesen ist, weil sie Gott das Leben<br />

seines Sohnes gekostet hat („Ihr seid teuer<br />

erkauft“ 1 ), und weil uns nicht billig sein kann, was<br />

Gott teuer ist.<br />

Teure Gnade ist die Menschwerdung Gottes:<br />

Teuer ist die Gnade, weil sie den Menschen<br />

unter das Joch der Nachfolge Jesu Christi zwingt,<br />

Gnade ist es, dass Jesus sagt: „Mein Joch ist sanft<br />

und meine Last ist leicht.“ 2<br />

Ist nun Gnade das von Christus selbst geschenkte<br />

„Resultat“ christlichen Lebens, so ist dieses Leben<br />

keinen Augenblick dispensiert von der Nachfolge.<br />

Ist aber Gnade prinzipielle Voraussetzung meines<br />

christlichen Lebens, so habe ich damit [das folgert<br />

der bloße Namenschrist bequemerweise] im Voraus<br />

die Rechtfertigung meiner Sünden, die ich im<br />

Leben in der Welt tue. Ich kann nun auf diese Gnade<br />

hin sündigen, die Welt ist ja im Prinzip durch Gnade<br />

gerechtfertigt. Ich bleibe daher in meiner bürgerlich-weltlichen<br />

Existenz wie bisher, alles bleibt<br />

beim Alten, und ich darf sicher sein, dass mich die<br />

Gnade Gottes bedeckt. Die ganze Welt ist unter dieser<br />

Gnade „christlich“ geworden, das Christentum<br />

aber ist unter diesem Verständnis von „Gnade“ in<br />

nie dagewesener Weise zur Welt geworden.<br />

„Sündige tapfer“?<br />

Was bedeutet es, wenn Luther sagen kann: „Pecca<br />

fortiter, sed fortius fide et gaude in Christo“ –<br />

„Sündige tapfer, aber glaube und freue dich in<br />

Christo umso tapferer!“ Also, du bist nun einmal<br />

ein Sünder, und kommst doch nie aus der Sünde<br />

heraus; ob du ein Mönch bist oder ein Weltlicher,<br />

ob du fromm sein willst oder böse, du entfliehst<br />

dem Stricke der Welt nicht, du sündigst. So sündige<br />

denn tapfer – und zwar gerade auf die geschehene<br />

Gnade hin! [Diese Schlussfolgerung zieht der<br />

zur Nachfolge unwillige Namenschrist nur allzu<br />

bereitwillig; das aus dem Zusammenhang gerissene<br />

Luther-Zitat wird nur zu gern missverstanden.<br />

3 ] Diese unverhüllte Proklamation der „billigen<br />

Gnade“ ist Freibrief zum Sündigen und Aufhebung<br />

der Nachfolge, lästerliche Aufforderung zum mutwilligen<br />

„Sündigen auf Gnade hin“. Gibt es eine<br />

teuflischere Schmähung der Gnade, als auf die<br />

geschenkte Gnade Gottes hin zu sündigen?<br />

[Diese Überlegungen sind absolut nichts<br />

Neues. Schon zu Paulus’ Zeiten wurde Gottes<br />

Gnade missverstanden: „Wie bisher die Sünde<br />

über alle Menschen herrschte und ihnen den<br />

Tod brachte, so herrscht jetzt Gottes Gnade: Gott<br />

spricht uns von unserer Schuld frei und schenkt<br />

uns ewiges Leben durch Jesus Christus, unseren<br />

Herrn. Was heißt das praktisch? Sollen wir<br />

etwa nun fröhlich drauflossündigen, damit Gott<br />

zeigen kann, wie groß seine Gnade an uns ist?<br />

Absolut Nein! Als Christen sind wir für die Sünde<br />

doch tot. Wie könnten wir da noch länger mit ihr<br />

leben?“ 4 ]<br />

Zum Verständnis muss hier die Unterscheidung<br />

von Resultat und Voraussetzung in Anwendung<br />

gebracht werden. Wird Luthers Satz zur<br />

Voraussetzung einer Gnadentheologie, so ist die<br />

billige Gnade ausgerufen. Aber eben nicht als<br />

Anfang, sondern ganz ausschließlich als Ende,<br />

als Resultat, als Schlussstein, als allerletztes<br />

Wort ist Luthers Satz recht zu verstehen. Es soll<br />

allerletzter Zuspruch sein für den, der auf seinem<br />

Wege der Nachfolge erkennt, dass er nicht<br />

sündlos werden kann, der in der Furcht vor der<br />

Sünde verzweifelt an Gottes Gnade. Für ihn ist<br />

das „Sündige tapfer“ nicht etwa eine grundsätzliche<br />

Bestätigung eines ungehorsamen Lebens,<br />

sondern es ist das Evangelium von der Gnade<br />

Gottes, vor dem wir immer und in jedem Stande<br />

Sünder sind und das uns gerade als Sünder sucht<br />

und rechtfertigt. Bekenne dich tapfer zu deiner<br />

Das Christentum<br />

aber ist unter<br />

„billiger Gnade“<br />

in nie dagewesener<br />

Weise zur<br />

Welt geworden<br />

Z für Zukunft<br />

39


Zeitkritisch<br />

Foto: © Wikipedia, Sandro Halank<br />

Ist der<br />

Zusammenbruch<br />

der organisierten<br />

Kirchen nicht<br />

eine notwendige<br />

Folge der zu<br />

billig erworbenen<br />

Gnade?<br />

Sünde, versuche ihr nicht zu entfliehen, aber<br />

„glaube noch viel tapferer“.<br />

Zu wem aber darf das gesagt sein als zu dem,<br />

der täglich von Herzen der Sünde absagt, der täglich<br />

allem absagt, was ihn an der Nachfolge Jesu<br />

hindert, und der doch untröstlich ist über seine<br />

tägliche Untreue und Sünde? Wer anders kann<br />

das ohne Gefahr für seinen Glauben hören, als<br />

der, der sich durch solchen Trost erneut in die<br />

Nachfolge Christi gerufen weiß? So wird Luthers<br />

Satz, als Resultat verstanden, zur teuren Gnade,<br />

die allein Gnade ist.<br />

Letzten Endes unbarmherzig<br />

Aber wissen wir auch, dass diese billige Gnade in<br />

höchstem Maße unbarmherzig gegen uns gewesen<br />

ist? Ist der Preis, den wir heute [geschrieben<br />

vor über 80 Jahren!] mit dem Zusammenbruch<br />

der organisierten Kirchen zu zahlen haben, etwas<br />

anderes als eine notwendige Folge der zu billig<br />

erworbenen Gnade? Man gab die Verkündigung<br />

und die Sakramente billig, man taufte, man konfirmierte,<br />

man absolvierte ein ganzes Volk, ungefragt<br />

und bedingungslos, man gab das Heiligtum<br />

aus menschlicher Liebe den Spöttern und Ungläubigen,<br />

man spendete Gnadenströme ohne Ende,<br />

aber der Ruf in die Nachfolge Christi wurde seltener<br />

gehört. Wo blieben die Erkenntnisse der alten<br />

Kirche, die sorgsam über der Grenze zwischen Kirche<br />

und Welt, über der teuren Gnade wachte? Wo<br />

blieben die Warnungen Luthers vor einer Evangeliumsverkündigung,<br />

die die Menschen sicher<br />

machte in ihrem gottlosen Leben? Wann wurde die<br />

Welt grauenvoller und heilloser christianisiert als<br />

hier? Was sind die 3000 von Karl dem Großen am<br />

Leibe getöteten Sachsen gegenüber den Millionen<br />

getöteter Seelen heute? Es ist an uns wahr geworden,<br />

dass die Sünde der Väter an den Kindern<br />

heimgesucht wird bis ins dritte und vierte Glied.<br />

Es muss um der Wahrhaftigkeit willen für die<br />

unter uns gesprochen werden, die bekennen, dass<br />

sie mit der billigen Gnade die Nachfolge Christi<br />

verloren haben und mit der Nachfolge Christi wiederum<br />

das Verständnis der teuren Gnade suchen.<br />

Einfach, weil wir es nicht leugnen wollen, dass wir<br />

nicht mehr in der rechten Nachfolge Christi stehen,<br />

nicht mehr Glieder einer nachfolgenden Kirche<br />

sind. Es muss der Versuch gemacht werden,<br />

Gnade und Nachfolge wieder in ihrem rechten Verhältnis<br />

zueinander zu verstehen. Hier dürfen wir<br />

heute nicht mehr ausweichen. Immer deutlicher<br />

erweist sich die Not unserer Kirche als die eine<br />

Frage, wie wir heute als Christen leben können.<br />

Wohl denen, die schon am Ende des Weges,<br />

den wir gehen wollen, stehen und staunend<br />

begreifen, was wahrhaftig nicht begreiflich<br />

erscheint: dass Gnade teuer ist, gerade weil sie<br />

reine Gnade, weil sie Gnade Gottes in Jesus Christus<br />

ist. Wohl denen, die in einfältiger Nachfolge<br />

Jesu Christi von dieser Gnade überwunden sind,<br />

dass sie mit demütigem Geist die alleinwirksame<br />

Gnade Christi loben dürfen. Wohl denen, die in<br />

der Erkenntnis solcher Gnade wahrhaft frei sind<br />

für das Leben in dieser Welt, ohne sich an sie<br />

zu verlieren. Wohl ihnen, für die Nachfolge Jesu<br />

Christi nichts heißt, als Leben aus der Gnade, und<br />

für die Gnade nichts heißt, als Nachfolge. Wohl<br />

ihnen, die in diesem Sinne Christen geworden<br />

sind, denen das Wort der Gnade barmherzig war.<br />

„Laufe hinter mir her!“ Das ist alles<br />

Der Ruf Jesu ergeht, und ohne jede weitere Vermittlung<br />

folgt die gehorsame Tat des Gerufenen.<br />

Die Antwort des Jüngers ist nicht ein gesprochenes<br />

Bekenntnis des Glaubens an Jesus, sondern<br />

das gehorsame Tun ...<br />

40<br />

Z für Zukunft


Zeitkritisch<br />

„Und als er vorüberging, sah er Levi am Zollhaus<br />

sitzen. Und er spricht zu ihm: Folge mir<br />

nach! Und er stand auf und folgte ihm nach.“ 5<br />

Hat der Zöllner Jesus schon vorher gekannt<br />

und war daher bereit, auf seinen Ruf hin zu folgen?<br />

Hierüber schweigt der Text hartnäckig, es<br />

liegt ihm ja gerade alles an dem unvermittelten<br />

Gegenüber von Ruf und Tat. Die einzige gültige<br />

Begründung für dieses Gegenüber von Ruf und<br />

Tat: Jesus Christus selbst. Er ist es, der ruft.<br />

Jesus ruft in die Nachfolge nicht als Lehrer und<br />

Vorbild, sondern als der Christus, der Sohn Gottes.<br />

So wird in diesem kurzen Text Jesus Christus<br />

und sein Anspruch auf den Menschen verkündigt,<br />

sonst nichts.<br />

Was wird über den Inhalt der Nachfolge<br />

gesagt? Folge mir nach, laufe hinter mir her!<br />

Das ist alles. Hinter ihm hergehen, das ist etwas<br />

schlechthin Inhaltloses. Es ist wahrhaftig kein<br />

Lebensprogramm, dessen Verwirklichung sinnvoll<br />

erscheinen könnte, kein Ziel, kein Ideal, dem<br />

nachgestrebt werden sollte. Es ist keine Sache,<br />

für die es sich nach menschlicher Meinung<br />

lohnte, irgendetwas oder gar sich selbst einzusetzen.<br />

Und was geschieht? Der Gerufene verlässt<br />

alles, was er hat, nicht, um damit etwas besonders<br />

Wertvolles zu tun, sondern einfach um des Rufes<br />

willen, weil er sonst nicht hinter Jesus hergehen<br />

kann. Diesem Tun ist an sich nicht der geringste<br />

Wert beigemessen. Es bleibt in sich selbst etwas<br />

völlig Bedeutungsloses, Unbeachtliches.<br />

Nur der Gehorsame glaubt<br />

Ein Christentum ohne den lebendigen Jesus Christus<br />

bleibt ein Christentum ohne Nachfolge, und ein<br />

Christentum ohne Nachfolge ist immer ein Christentum<br />

ohne Jesus Christus; es ist Idee, Mythos. Allein<br />

weil der Sohn Gottes Mensch wurde, weil er Mittler<br />

ist, ist Nachfolge das rechte Verhältnis zu ihm.<br />

Aber die Unterscheidung von Glaube und<br />

Gehorsam darf niemals die Einheit beider aufheben,<br />

die darin liegt, dass Glaube nur im Gehorsam<br />

existiert, niemals ohne Gehorsam ist, dass Glaube<br />

nur in der Tat des Gehorsams Glaube ist.<br />

Nur der Gehorsame glaubt. Es muss Gehorsam<br />

geleistet werden einen konkreten Befehl, damit<br />

geglaubt werden kann. Es muss ein erster Schritt<br />

des Gehorsams gegangen werden, damit Glaube<br />

nicht frommer Selbstbetrug, billige Gnade werde.<br />

Du beklagst dich darüber, dass du nicht glauben<br />

kannst? Es darf sich keiner wundern, wenn<br />

er nicht zum Glauben kommt, solange er sich an<br />

irgendeiner Stelle in wissentlichem Ungehorsam<br />

dem Gebot Jesu widersetzt oder entzieht. Du willst<br />

irgendeine sündige Leidenschaft, eine Feindschaft,<br />

eine Hoffnung, deine Lebenspläne, deine Vernunft<br />

nicht dem Gebot Jesu unterwerfen? Wundere dich<br />

nicht, dass du den Heiligen Geist nicht empfängst,<br />

dass du nicht beten kannst, dass dein Gebet um<br />

den Glauben leer bleibt! Gehe vielmehr hin und<br />

versöhne dich mit deinem Bruder, lass von der<br />

Sünde, die dich gefangen hält, und du wirst wieder<br />

glauben können! Willst du Gottes gebietendes<br />

Wort ausschlagen, so wirst du auch sein gnädiges<br />

Wort nicht empfangen. Wie solltest du die Gemeinschaft<br />

dessen finden, dem du dich wissentlich an<br />

irgendeiner Stelle entziehst? Der Ungehorsame<br />

kann nicht glauben, nur der Gehorsame glaubt.<br />

Der Mensch hat sich vergiftet mit der billigen<br />

Gnade: Er bleibt im Ungehorsam und tröstet sich<br />

mit einer Vergebung, die er sich selbst zuspricht,<br />

und verschließt sich damit dem Wort Gottes. Der<br />

Einbruch in die Festung misslingt, solange ihm<br />

allein der Satz wiederholt wird, hinter dem er<br />

sich versteckt. Es muss die Wendung eintreten,<br />

der Andere muss zum Gehorsam gerufen werden:<br />

Nur der Gehorsame glaubt!<br />

Wird einer damit auf den Weg der eigenen<br />

Werke verführt? Nein, vielmehr wird er darauf<br />

verwiesen, dass sein Glaube kein Glaube ist, er<br />

wird aus der Verstrickung in sich selbst befreit.<br />

Er muss in die freie Luft der Entscheidung und<br />

des Tuns. So wird ihm der Ruf Jesu zum Glauben<br />

und zur Nachfolge neu hörbar gemacht.<br />

Auszug aus: „Nachfolge“. Dietrich Bonhoeffer, Martin Kuske<br />

(Hrsg.), Ilse Tödt (Hrsg.), ISBN 978-3-579-07136-7, redaktionell<br />

bearbeitet; http://shop.agentur-pji.com/nachfolge.html.<br />

1 1. Korinther 6,20.<br />

2 Matthäus 11,30.<br />

3 Eine gute Erklärung gibt Uwe Siemon-Netto in Luther – Lehrmeister<br />

des Widerstands, Fontis Basel 2016, S. 95–97.191.<br />

4 Römer 5,21–6,2.<br />

5 Markus 2,14.<br />

Willst du<br />

Gottes<br />

gebietendes<br />

Wort ausschlagen,<br />

so wirst<br />

du auch sein<br />

gnädiges Wort<br />

nicht empfangen<br />

Z für Zukunft<br />

41


Historisch<br />

Das Vermächtnis der ersten Christen<br />

Eine Rezension der Dokumentation von Petra Gerster – Auf den Spuren der<br />

Urgemeinde … Eine Produktion im Auftrag des ZDF 2013<br />

Alle Fotos in diesem Artikel: © Screenshot, ZDF-Doku<br />

Anfangs<br />

ist es noch eine<br />

kleine Gruppe;<br />

aber diese<br />

„Urgemeinde“<br />

wächst stetig<br />

Vor 2000 Jahren entdeckt die Menschheit<br />

einen neuen Glauben: Männer<br />

und Frauen bekennen sich zu Jesus<br />

Christus. Was als kleine Bewegung<br />

beginnt, soll die Welt für immer verändern.<br />

Bedroht, verfolgt und am Ende dennoch<br />

siegreich, verbreitet sich der neue Glaube über<br />

die ganze Welt. Welches Geheimnis verbirgt sich<br />

hinter dem unaufhaltsamen Aufstieg?<br />

Sie glauben, das Christentum sei dort entstanden,<br />

wo Jesus gekreuzigt und begraben wurde: in<br />

Jerusalem? Die Antwort ist: Nein! Entscheidende<br />

Ideen der neuen Religion kamen in Kleinasien auf<br />

die Welt, in der heutigen Türkei. Hier und nicht<br />

in Jerusalem wurden die Weichen gestellt für den<br />

neuen Glauben, der seinen Siegeszug durch das<br />

ganze Römische Reich antrat.<br />

Aber wie fing alles an? Was passierte eigentlich<br />

nach der Kreuzigung<br />

Jesu? Wie konnte aus einer<br />

Handvoll Männer und Frauen<br />

eine Bewegung entstehen,<br />

die sich gegen alle anderen<br />

Religionen durchsetzte – und<br />

was ist das Geheimnis ihres<br />

Erfolgs?<br />

Diesen Fragen will die<br />

Doku nachgehen.<br />

Der Ausgangspunkt<br />

Unsere Spurensuche führt uns in das Jahr 30, nur<br />

wenige Monate nach der Hinrichtung Jesu. Hier in<br />

Jerusalem soll sich die erste christliche Gemeinde<br />

gebildet haben – so erzählt es der Evangelist Lukas<br />

in seinem Werk, das wir im Deutschen „Apostelgeschichte“<br />

nennen. Regelmäßig kommt die kleine<br />

Schar der Jerusalemer Gemeinde zusammen als<br />

Glaubensgemeinschaft, sie ist aber auch Lebensgemeinschaft.<br />

Ein Dutzend Apostel, der engste<br />

Kreis der Nachfolger Jesu zu seinen Lebzeiten, bilden<br />

den inneren Kern der Bewegung.<br />

Anfangs ist es wohl noch eine sehr kleine<br />

Gruppe; aber diese „Urgemeinde“ wächst stetig:<br />

Immer mehr Männer und auch Frauen begeistern<br />

sich für die Botschaft der Liebe, die Jesus ihnen<br />

gepredigt hatte.<br />

Es ist das Ursprungsrätsel des Christentums<br />

– denn nachdem Jesus am Kreuz gestorben war,<br />

stand die Bewegung faktisch vor dem Aus. Doch<br />

nur wenige Monate später wächst und gedeiht<br />

sie! Wie war das möglich? Nach all dem, was wir<br />

heute wissen, muss die Kreuzigung Jesu auf die<br />

Jünger wie ein Schock gewirkt haben. Jesus war<br />

überzeugt, mit ihm sei das Reich Gottes auf die<br />

Erden gekommen; schon seine ersten Anhänger<br />

hatte er mit diesem Versprechen fasziniert, und<br />

nun endet der lang erwartete Messias jämmerlich<br />

am Kreuz! Die Bewegung war am Tiefpunkt.<br />

42<br />

Z für Zukunft


Historisch<br />

Die meisten Wissenschaftler sind sich einig:<br />

Die Grabeskirche in Jerusalem markiert die<br />

Stelle, an der Jesus gestorben ist. Über dem Eingang<br />

zum Heiligen Grab verkündet eine griechische<br />

Inschrift, was auch der Evangelist Lukas<br />

überliefert: „Was sucht ihr den Lebenden bei den<br />

Toten? Er ist nicht hier, er ist auferstanden.“<br />

Als Jesus auf der Richtstätte Golgatha am<br />

Kreuz hing, reichte sein Ruf allenfalls in die<br />

Region hinaus; im Römischen Reich war er ein<br />

Niemand. Doch die Auferstehung Jesu von den<br />

Toten, von der die Jünger berichten, markiert den<br />

Wendepunkt in der noch jungen Geschichte der<br />

Bewegung:<br />

Jesus ist den Jüngern erschienen, leibhaftig<br />

erschienen! Das heißt: Er muss auferstanden<br />

sein! Da begreifen die Jünger: Jesus ist mit seiner<br />

Botschaft nicht gescheitert. Und jetzt erst verstehen<br />

sie seine Botschaft in der Tiefe: Mit dem Tod<br />

ist eben nicht alles aus! Über das Leben hat der<br />

Tod keine Macht, und Jesus hat den Tod besiegt!<br />

Das war die Stunde, in der das Christentum seinen<br />

Ursprung nahm.<br />

Angeführt wird diese Keimzelle der neuen<br />

Bewegung von einer Doppelspitze: Jakobus, ein<br />

leiblicher Bruder Jesu, und Petrus, dem der Auferstandene<br />

als Erstem erschienen sein soll. Sie gelten<br />

als die Säulen der Urgemeinde. Auch Maria,<br />

die Mutter Jesu, soll von Anfang an dazugehört<br />

haben.<br />

Für das, was nach der Kreuzigung Jesu<br />

geschah, finden wir in der Bibel präzise Zeitangaben:<br />

Am dritten Tag ist Jesus von den Toten<br />

auferstanden; das feiern wir am Ostersonntag.<br />

Am 40. Tag nach Ostern ging er zu seinem Vater<br />

zurück, fuhr in den Himmel auf – „Christi Himmelfahrt“<br />

[auch als „Vatertag“ bekannt]. Am 50.<br />

Tag nach seiner Auferstehung, also 10 Tage nach<br />

Himmelfahrt, was geschah da?<br />

Die Apostelgeschichte erzählt, dass an diesem<br />

„50. Tag“ [übrigens kommt über den Umweg des<br />

Griechischen von daher der Name „Pfingsten“] –<br />

also dass an diesem 50. Tag der Heilige Geist auf<br />

die Jünger herabkam. Sie hatten sich zum jüdischen<br />

Erntefest „Schawuot“ versammelt; und mit<br />

feurigen Zungen, die vom Himmel herabloderten,<br />

soll der Heilige Geist bewirkt haben, dass jeder<br />

Mensch, egal welcher Sprache und Herkunft, die<br />

Worte der Jünger hören und verstehen(!) konnte.<br />

Revolutionär<br />

Für die Gläubigen ist der Fall klar: Gott hat am<br />

Pfingsttag etwas unternommen, um seine Bewegung<br />

anzuschieben. Was immer damals passierte,<br />

Tatsache ist: Was Jesu Anhänger jetzt verkünden,<br />

das ist nicht nur neu, es ist revolutionär: Ein hingerichteter<br />

Gott, ein Verlierer, wird zum Sieger!<br />

Solch ein Gottesbild kannte die Welt noch nicht.<br />

Man kann es sich heute fast nicht mehr vorstellen,<br />

angesichts gewaltiger Gotteshäuser. Denn<br />

unter den ersten Christen war irdischer Besitz<br />

regelrecht verpönt; so wenigstens erzählt es<br />

Lukas in der Apostelgeschichte.<br />

Laut Lukas hatten sie uneingeschränkte Gütergemeinschaft<br />

und pflegten eine grenzenlose Solidarität:<br />

Die Menge der Gläubigen war ein Herz<br />

und eine Seele; auch nicht einer von ihnen sagte<br />

von seinen Gütern, dass sie sein wären. Es war<br />

ihnen alles gemeinsam. Es war auch keiner unter<br />

ihnen, der Mangel hatte; denn wer von ihnen<br />

Äcker und Häuser besaß, verkaufte sie und<br />

brachte das Geld den Aposteln – und davon gab<br />

man einem jeden, was er nötig hatte.<br />

Lukas berichtet von einem Mann namens<br />

Simon, der von Petrus etwas kaufen will: die Gabe<br />

Gottes, Wunder zu wirken. Ohne Erfolg. Später<br />

benennt man nach diesem Simon die Käuflichkeit<br />

geistlicher Ämter – „Simonie“. Gottes Gnade kann<br />

man nämlich nicht kaufen, sie ist unverkäuflich.<br />

[Sowieso ist sie unbezahlbar, aber sie ist bereits<br />

bezahlt.] Das war die Botschaft.<br />

Die Gütergemeinschaft folgte dem Ideal der<br />

Nächstenliebe: Wer mehr hat, gibt dem, der weniger<br />

hat. – So handelten und dachten die ersten<br />

Christen.<br />

Rasantes Wachstum<br />

Die Apostelgeschichte berichtet von einem stürmischen<br />

Anwachsen der jungen Gemeinde: An<br />

Himmelfahrt waren es erst 120, nach Pfingsten<br />

bereits 3000, und dann wurden es Tag für<br />

Tag immer mehr. Eines Tages waren es um die<br />

5000, und irgendwann ist von vielen Tausenden<br />

Der Gekreuzigte<br />

mit Eselskopf. Dieses<br />

Spottkruzifix gilt heute als<br />

die älteste Darstellung von<br />

Christus am Kreuz<br />

Ein hingerichteter<br />

Gott,<br />

ein Verlierer,<br />

wird zum Sieger!<br />

Solch ein Gottesbild<br />

kannte die<br />

Welt noch nicht<br />

Z für Zukunft<br />

43


Historisch<br />

Foto: © Screenshot, ZDF-Doku<br />

Pfingsten:<br />

Der Heilige<br />

Geist kam auf<br />

die Jünger; und<br />

feurige Zungen<br />

loderten vom<br />

Himmel herab<br />

die Rede, von „Myriaden“ – Zehntausenden 1 . Die<br />

Zahl der Jünger in Jerusalem wurde immer größer.<br />

Fakt ist: die Christen wurden immer mehr.<br />

Aber woher kamen sie und wie erfuhren sie<br />

von dem neuen Glauben? Wichtige Anlaufstelle<br />

für die ersten Christen war der Tempel von Jerusalem.<br />

Die Apostelgeschichte berichtet, dass die<br />

Urgemeinde sich regelmäßig traf in der „Halle<br />

Salomos“ am Rand des Tempelplatzes. Besonders<br />

an den hohen jüdischen Festtagen, wenn Pilger<br />

aus aller Welt in die Stadt kamen, schien die Gelegenheit<br />

günstig, neue Anhänger zu gewinnen.<br />

In den Synagogen predigten die Anhänger<br />

Christi, mit ihrem Jesus sei der Messias, der Erlöser<br />

gekommen. Und viele schenkten ihren Worten<br />

Glauben – nicht nur in Jerusalem stießen die Predigten<br />

der Apostel, wie die Jünger Jesu nach seinem<br />

Tod genannt wurden, auf offene Ohren, sondern<br />

auch in der näheren und weiteren Umgebung<br />

bis hin nach Kleinasien, der heutigen Türkei.<br />

Die Geschichten vom Leben und Sterben Jesu,<br />

wie sie später in den Evangelien aufgeschrieben<br />

wurden, sind ein wesentlicher Baustein für den<br />

Erfolg des Christentums.<br />

Spektakuläre Kehrtwende<br />

„Gehet hin in alle Welt und lehret alle Völker“, hat<br />

Jesus seinen Jüngern mit auf den Weg gegeben.<br />

Sollten sie sich wirklich auch an Nichtjuden wenden?<br />

Auf die Idee, das Christentum auch den griechischen<br />

Heiden zu verkünden, kamen die Anhänger<br />

Jesu in Jerusalem wohl kaum – und so wären<br />

die ersten Christen vermutlich in die Geschichte<br />

eingegangen als eine der vielen jüdischen Sekten<br />

des Altertums, wenn, ja wenn da nicht plötzlich in<br />

Kleinasien ein Mann aufgetaucht wäre, der alles<br />

wendete. Hier, in der heutigen Türkei, stellte er<br />

die Frage aller Fragen: „Warum dürfen eigentlich<br />

nur Juden Christen werden? Ist Jesus nicht für<br />

alle Menschen gestorben?“<br />

Die Bibel berichtet von einer spektakulären<br />

Kehrtwende: Der griechisch sprechende Saulus,<br />

strenggläubiger Jude und hartnäckiger Gegner<br />

der Christen, soll eine Vision gehabt haben, in der<br />

ihm Jesus höchstselbst erschienen sei.<br />

Auf dem Pferderücken leuchtete ihm plötzlich<br />

ein Licht vom Himmel, er stürzte zu Boden<br />

und hörte eine Stimme: „Saul, Saul, warum verfolgst<br />

du mich?“ Unglaublich, aber wahr: Der<br />

Christenverfolger Saulus steht nun auf der Seite<br />

des neuen Glaubens! Die Wandlung vom blutigen<br />

Christenverfolger zum Vorreiter des Christentums<br />

ist also Fakt.<br />

Antiochia in Kleinasien, hinter Rom und Alexandria<br />

in Ägypten drittgrößte Stadt im Römischen<br />

Reich: Hier kommt es zum Richtungsstreit im jungen<br />

Christentum, und mittendrin der griechische<br />

Jude Paulus, so nennt Saulus sich inzwischen. „Nur<br />

beschnittene Juden haben Zugang zum christlichen<br />

Abendmahl!“, sagen die Hardliner unter den<br />

Christen. Paulus steht an der Spitze einer Gruppe,<br />

die eintritt für radikale Öffnung und konsequente<br />

Antidiskriminierung: Alle Menschen sollen Christen<br />

werden können und sind in die Gemeinschaft<br />

aufzunehmen, nicht nur Juden.<br />

Es kommt zum Bruch zwischen Petrus und<br />

Paulus: Paulus geht zu den Heiden, Petrus zu den<br />

Juden.<br />

Im Jahr 49 nach Christus kommt es zur Krisensitzung<br />

in Jerusalem. Noch sieht man sich als<br />

innerjüdische Gruppierung, aber jetzt gibt es<br />

zwei Lager: Die Strenggläubigen beharren auf<br />

den Riten des Judentums; Paulus hält mit seinen<br />

Getreuen dagegen. Die Öffnung setzt sich durch,<br />

somit ist der Weg frei für die Bekehrung aller<br />

Menschen. Damit sind die Weichen gestellt, das<br />

Christentum wird zur weltweiten Bewegung.<br />

44<br />

Z für Zukunft


Historisch<br />

Patent aufs Missionieren<br />

Unglaubliche 16 000 Kilometer [also ein Drittel des<br />

Erdumfangs] legte der Apostel Paulus auf seinen<br />

Reisen zurück, weite Strecken zu Fuß – Missionsarbeit<br />

war auch eine körperliche Herausforderung!<br />

An seiner Seite sehen wir oft Glaubensbrüder,<br />

junge Christen, die sich wie er die Ausbreitung des<br />

Christentums zur Lebensaufgabe gemacht haben.<br />

Die Christen tun das, was Juden bis heute nicht<br />

machen: sie missionieren; sie versuchen, andere<br />

Menschen von ihrem Glauben zu überzeugen, weil<br />

sie sicher sind, dass sie die beste Info aller Zeiten<br />

haben. Christliche Missionare schwärmen aus in<br />

alle Ecken und Enden des Römischen Reiches,<br />

Paulus immer vorneweg; aufs Missionieren hätten<br />

die Urchristen ein Patent anmelden können.<br />

Selbst in den entlegensten Winkeln des Römischen<br />

Reiches sind bis heute Spuren der Urchristen<br />

zu finden.<br />

Das unwegsame Kappadokien im Herzen der<br />

Türkei entwickelt sich zu einem wichtigen christlichen<br />

Zentrum; Hunderte von Höhlenkirchen<br />

zeugen von den frühen Anfängen: Hier lebten die<br />

ersten Christen, beteten gemeinsam und feierten<br />

das Abendmahl. Leuchtend bunte Wandmalereien<br />

erinnern bis heute daran.<br />

Es gab in der Antike keine Religion, die Missionierung<br />

kannte. Der Isis-Kult zum Beispiel – seine<br />

Anhänger sind nicht irgendwo hingegangen und<br />

haben gefragt: „Wollt ihr Anhänger der Isis werden?“<br />

In 13 Briefen hat Paulus seine Mission beschrieben;<br />

wir kennen sie aus dem Neuen Testament.<br />

Seine Briefe sind Rundschreiben, Flugschriften an<br />

die ersten Christen-Gemeinden. Das war damals<br />

das modernste Kommunikationsmittel, und keine<br />

anderen Texte wurden häufiger abgeschrieben und<br />

weitergereicht als ebendiese Briefe des Paulus.<br />

Der Trumpf des Christentums<br />

Manche nennen Paulus den Erfinder des Christentums,<br />

denn ohne den Theologen, den Briefeschreiber,<br />

den Missionar ist der Aufstieg des<br />

Christentums zur Weltreligion praktisch undenkbar.<br />

Bis dahin glaubten viele, der Tod sei ein<br />

Nichts, ein ewiger Schlaf. Ohne Hoffnung auf ein<br />

Leben danach. Das Christentum aber hatte noch<br />

einen Trumpf im Ärmel.<br />

Den ersten Christen wurde ja vorgeworfen, sie<br />

würden einen Verbrecher anbeten: „Verflucht ist,<br />

wer am Holz hängt“, sagt das jüdische Gesetz.<br />

Und auch bei Römern und Griechen, die das<br />

Schöne, Starke und Gesunde verehrten, konnte<br />

ein hingerichteter Gott nur für ungläubiges Kopfschütteln<br />

sorgen. Eine Kritzelei aus dem dritten<br />

Jahrhundert zeigt das Bild eines Gekreuzigten mit<br />

Eselskopf. Dieses Spottkruzifix gilt heute als die<br />

älteste Darstellung von Christus am Kreuz.<br />

Das Römische Reich kennt große Toleranz<br />

gegenüber anderen Religionen und Kulten. Der<br />

Pantheon, der Tempel aller Götter, ist offen für<br />

alte wie neue Angebote. Aber gilt das auch für die<br />

Jesus-Bewegung?<br />

Es ist auffällig, dass die Urgemeinde ungeheure<br />

Risiken eingeht. Man hat den Eindruck:<br />

Die sind ungeheuer motiviert; eine große Kraft ist<br />

zu spüren – offensichtlich die Wirkung der Auferstehung<br />

von Jesus. Dass man in kürzester Zeit aus<br />

einem Haufen von verstörten, deprimierten Menschen<br />

heraus eine solche Kraft erleben kann, das<br />

hängt damit zusammen, dass diese Leute überzeugt<br />

sind: Unser Heiland lebt!<br />

Die junge Gemeinde glaubt fest auch daran,<br />

dass sie selber nach dem Tod ebenfalls zu einem<br />

neuen Leben auferstehen wird.<br />

Schon für die ersten Christen gilt: Manchmal<br />

ist es sinnvoller, von der Bildfläche zu verschwinden.<br />

So sehr sie sich auch über Zulauf freuen<br />

mögen, noch sind die Anhänger Jesu eine kleine<br />

und radikale Minderheit.<br />

Ihren Anspruch, auserwählt zu sein und den<br />

einzig wahren Gott anzubeten, finden viele Nichtchristen<br />

anmaßend, beleidigend und sogar bedrohlich.<br />

So beschließen sie nicht selten, mit diesen<br />

Christen „kurzen Prozess“ zu machen.<br />

Schon kurz nach dem Tod Jesu<br />

wird das Gemeindemitglied<br />

Stefanus<br />

zum ersten Opfer<br />

Bis dahin<br />

glaubten viele,<br />

der Tod sei ein<br />

Nichts, ein ewiger<br />

Schlaf. Ohne<br />

Hoffnung auf ein<br />

Leben danach.<br />

Die Christen<br />

waren überzeugt:<br />

Unser Heiland<br />

lebt!<br />

Z für Zukunft<br />

45


Historisch<br />

Foto: © Screenshot, ZDF-Doku<br />

Wer gläubig<br />

wurde, ließ<br />

sich taufen.<br />

Es waren<br />

viele!<br />

Ein Taufbecken aus der<br />

Zeit der ersten Christen.<br />

Hier wurde untergetaucht<br />

in den Reihen der jungen Bewegung; und nach ihm<br />

gehen noch viele Männer und Frauen für ihre Überzeugung<br />

bis zum Äußersten: Sie werden zum Märtyrer.<br />

[Bis vor Kurzem war dieser Ehrentitel denen<br />

vorbehalten, die bereit waren, sich von ihren Gegnern<br />

für ihren Glauben ohne Gegenwehr einsperren,<br />

foltern, umbringen zu lassen.]<br />

Die Überzeugung, Jesus von Nazareth sei der<br />

Messias, der Christus, der Gesalbte Gottes, muss<br />

übermenschliche Kraft entfaltet haben; es heißt,<br />

jeder dieser Märtyrer – jeder, der wegen seines<br />

Glaubens umgebracht wurde, ohne selber Gewalt<br />

anzuwenden –, habe der christlichen Gemeinde<br />

hundert neue Mitglieder verschafft. Die Christen<br />

litten und starben für ihren Glauben.<br />

Besonders attraktiv für Frauen<br />

Was war am Christentum so attraktiv, warum ließen<br />

sich so viele taufen? Es gab doch auch andere<br />

Kulte, die von der Politik genehmigt und in der<br />

Gesellschaft viel angesehener waren. Und dann<br />

die große Konkurrenz am Götterhimmel!<br />

Lukas berichtet, dass die Taufe schon sehr früh<br />

praktiziert wurde – der Apostel Petrus soll seine<br />

Zuhörer bereits zu Pfingsten, also keine zwei<br />

Monate nach der Auferstehung Jesu, öffentlich dazu<br />

aufgefordert haben: „Tut Buße und<br />

ein jeder von euch lasse sich taufen<br />

auf den Namen Jesu Christi<br />

zur Vergebung eurer Sünden,<br />

so werdet ihr empfangen<br />

die Gabe des Heiligen<br />

Geistes.“ Durch das Eintauchen<br />

des ganzen Körpers werden alle Sünden<br />

vergeben, die dieser Mensch begangen hat, und<br />

ein neues Leben kann beginnen, ein Leben in der<br />

Gemeinschaft mit Jesus Christus und mit allen, die<br />

an ihn glauben. Ohne jegliche Vorleistung! Revolutionär!<br />

Durch die Taufe und den Glauben an Jesus<br />

Christus kann jedermann und jede Frau die Zugehörigkeit<br />

zum Volk Gottes erlangen.<br />

Was war am Christentum so unwiderstehlich?<br />

Warum schworen so viele den alten Göttern ab und<br />

bekannten sich zu dem einen Gott der Christen?<br />

Vielleicht finden wir hier eine Antwort, in<br />

Silifke im Süden der heutigen Türkei; hier<br />

bewahrt man das Andenken an die heilige Thekla.<br />

Sie wurde für ihren Glauben verfolgt und mit dem<br />

Tode bedroht; zum Christentum bekehrt hatte sie<br />

sich durch Paulus. Thekla gilt als die erste weibliche<br />

Heilige der noch jungen Kirche. Haben Sie<br />

das gewusst?<br />

Welche Rolle spielten Frauen überhaupt im<br />

Urchristentum? Von Paulus wissen wir, dass er<br />

Frauen sehr geschätzt und ausdrücklich gefördert<br />

hat, wenngleich er selbst zeitlebens unverheiratet<br />

blieb. Die anderen Apostel wie Petrus<br />

und die Brüder Jesu hingegen waren verheiratet<br />

und wurden auf ihren Missionsreisen stets<br />

von ihrer Frau und den Kindern begleitet. Ein<br />

Umstand, der heute wohl etwas in Vergessenheit<br />

geraten ist.<br />

Für Frauen war es besonders attraktiv, Christ<br />

zu werden, weil das Christentum die soziale Stellung<br />

der Frau eindeutig verbesserte. Damals wur-<br />

46<br />

Z für Zukunft


Historisch<br />

den viele Frauen mit 12, 14 Jahren verheiratet und<br />

kamen damit aus der Hand ihres patriarchalischen<br />

Vaters in die Hand eines oft gewalttätigen Mannes,<br />

obwohl sie oft gebildeter waren als die Männer;<br />

so kann man sich vorstellen, dass das Christentum<br />

eine Religion der Befreiung für sie war.<br />

Und erwähnt die Bibel nicht auch eine Frau<br />

unter den Aposteln? Die Briefe des Paulus berichten<br />

nicht nur von Gemeindeleiterinnen, Missionarinnen<br />

und Prophetinnen – in seinem Römerbrief<br />

erwähnt er auch die Apostelin Junia. Eine<br />

Frau als Apostel! Bis ins 13. Jahrhundert hinein<br />

war das ganz einfach Fakt; dann unterzogen<br />

die Männer der Kirche sie einer nachträglichen<br />

Geschlechtsumwandlung: Aus der weiblichen<br />

Junia wurde ein männlicher Junias. Offensichtlich<br />

kein Einzelfall in der Geschichte; es lässt sich<br />

beobachten, dass die bedeutenden Frauen unter<br />

den ersten Christen einfach nicht mehr beachtet<br />

wurden. Das geht zurück auf Machtinteressen<br />

innerhalb der Kirche: Machtpositionen sollten<br />

Männern vorbehalten bleiben. Und da störte eine<br />

Apostelin Junia gewaltig!<br />

Für die ersten Christen gab es keinen Unterschied<br />

der Geschlechter, der Herkunft und<br />

des Standes. Alle Menschen sind Gottes Kinder,<br />

also musste auch allen geholfen werden.<br />

Sie kümmerten sich um Witwen und Waisen und<br />

um die Ausgestoßenen. Das mag uns heute selbstverständlich<br />

scheinen, aber damals war auch das<br />

revolutionär! Über die sozialen Schranken hinweg<br />

hat man Netze geknüpft und sich um die Einzelnen<br />

gekümmert, unabhängig davon, zu welcher<br />

Gesellschaftsschicht jemand gehörte – ganz<br />

so, wie Jesus es ihnen geraten hatte: „Was ihr für<br />

einen meiner geringsten Brüder getan habt, das<br />

habt ihr mir getan.“<br />

Für die Griechen und die Römer waren ja die<br />

meisten Menschen von Natur aus Sklaven; da sah<br />

man gar nichts Verwerfliches dabei. Für die Christen<br />

kam das aber nicht in die Tüte! Jeder Einzelne<br />

hat seinen Wert und seine Würde, weil Gott ihn<br />

geschaffen hat und weil Jesus für ihn gestorben<br />

ist. Das gilt für alle Menschen ohne Ansehen der<br />

Person: Alle waren gleich.<br />

Eigentlich war es also Jesus,<br />

der die Menschenwürde erfunden hat,<br />

und die Christen sagen:<br />

Alle Menschen sind gleich, und allen muss geholfen<br />

werden! Das ist die revolutionäre Botschaft<br />

des Christentums. Das Christentum hatte die<br />

attraktivsten Angebote.<br />

Des Supermissionars letztes Privileg<br />

Im Jahr 58 erreicht auch Paulus die Hauptstadt<br />

des Reiches. Als Gefangener; er wurde mit dem<br />

Schwert enthauptet. Diese Todesart war ein letztes<br />

Privileg – nur weil er das römische Bürgerrecht<br />

hatte, blieb ihm ein qualvoller Tod erspart.<br />

Paulus, der Mann, der für den Aufstieg des<br />

Christentums wohl mehr getan hat als jeder<br />

andere: Für seine Überzeugung ist er bis zum<br />

Äußersten gegangen, am Ende bis zum Tod. Auch<br />

dem Apostel Petrus soll es so ergangen sein, kopfüber<br />

sollen sie ihn gekreuzigt haben. Aber stimmt<br />

das denn auch? Bis heute streiten sich Theologen<br />

und Historiker, ob Petrus überhaupt in Rom war.<br />

Von allem etwas: Nächstenliebe und Menschenwürde,<br />

Vernunft, Aufgehobensein in der Gemeinschaft,<br />

und das Wichtigste: die Zuversicht, wie<br />

Jesus von den Toten aufzustehen und das ewige<br />

Leben zu erlangen. Und jeder, ob Mann oder Frau,<br />

Herr oder Sklave: Jeder war willkommen.<br />

Keine andere Religion war so modern, so fortschrittlich<br />

wie das Christentum. Keine andere<br />

Religion sprach die Menschen so an, gab ihnen<br />

so viel Hoffnung und Zuversicht. Das war ihr<br />

Erfolgsgeheimnis – und ist es bis heute.<br />

https://www.zdf.de/dokumentation/dokumentation-sonstige/<br />

das-vermaechtnis-der-ersten-christen-100.html<br />

1 Apostelgeschichte 21,2: wtl. myriaden – „Zehntausende“,<br />

siehe Elberfelder Anmerkung.<br />

Für Frauen<br />

war es besonders<br />

attraktiv, Christ<br />

zu werden, weil<br />

das Christentum<br />

ihre soziale Stellung<br />

eindeutig<br />

verbesserte<br />

Petra Gerster<br />

hat diese Doku<br />

zusammengestellt<br />

Zur ZDF-Doku:<br />

Z für Zukunft<br />

47


Historisch<br />

Der rote Faden<br />

... blutgetränkt zieht er sich durch die Kirchengeschichte<br />

Von ersten Jahrhundert an zieht sich ein roter, ein blutroter Faden durch die Kirchengeschichte. Unzählige<br />

Reformatoren, man nannte sie „Ketzer“, wurden geköpft, ertränkt oder verbrannt, weil sie sich wider<br />

die herrschende Kirche einsetzten für die Wiederherstellung ursprünglichen Glaubensgutes. Welches<br />

Zeugnis kann die Geschichte einer Kirche ausstellen, die auf Korrektur nur mit gnadenlosem Töten antworten<br />

kann und ein Buch, das sagt, dass man sogar seine Feinde zu lieben habe, dem Volk vorenthält?<br />

Nach Edmund Hamer Broadbent 1<br />

Die Geschichte<br />

wurde immer von<br />

den „Siegern“<br />

geschrieben.<br />

In der Kirchengeschichte<br />

waren<br />

die Bewahrer<br />

des Glaubens nie<br />

bei den vermeintlichen<br />

Siegern<br />

Eben erst hat man Martin Luther<br />

gefeiert als den Reformator; doch<br />

er selbst sagte: „Wir alle sind Hussiten.“<br />

Damit ehrte er einen seiner<br />

Vorläufer, der ihm den Blick<br />

geschärft hatte. Reformatoren gab es die ganze<br />

Kirchengeschichte hindurch; viele sind unbekannt<br />

geblieben, aber sie haben wichtige Impulse<br />

gesetzt, die andere weitergebracht haben. Wir<br />

verdanken ihnen viel.<br />

Wer hat die Kirchengeschichte geschrieben?<br />

Das Gros der Informationen stammt aus der Feder<br />

einer mächtigen Kirche, in der alle, die manches<br />

anders sahen, als Ketzer, Irrlehrer, Abtrünnige<br />

bezeichnet wurden. Nicht nur die Welt-, auch<br />

die Kirchengeschichte wurde meist von den Siegern<br />

geschrieben; oft wurde Wichtiges ausgeblendet.<br />

Jesus Christus hat gesagt: „Ich baue meine<br />

Gemeinde.“ Im Lauf der Jahrhunderte<br />

haben Machtmenschen<br />

ihre eigenen Institutionen gebaut; die Reformatoren<br />

wollten zurückfinden zu der Art von Gemeinde,<br />

von der Jesus gesagt hat, dass sie seine ist.<br />

E. H. Broadbent hat uns einen besonderen<br />

Blickwinkel auf die Kirchengeschichte hinterlassen.<br />

Hier ein paar Blitzlichter.<br />

Die Anfänge (29‒313)<br />

Das Neue Testament ist die Erfüllung dessen, was<br />

die Propheten im Alten Testament angekündigt<br />

haben. Die ersten Gemeinden stehen in direkter<br />

Beziehung zu ihrem Herrn, erhalten von ihm<br />

Autorität und sind nur ihm verantwortlich. Es gibt<br />

keine Andeutung, dass eine Gemeinde eine andere<br />

beaufsichtigen sollte oder dass eine übergeordnete<br />

Organisation vorgesehen wäre; vielmehr sind die<br />

Gemeinden durch innige persönliche Beziehungen<br />

verbunden. 2 Ihre Hauptaufgabe sahen die ersten<br />

Christen darin, die ganze Welt mit dem Evangelium<br />

des Reiches Gottes bekannt zu machen.<br />

48<br />

Z für Zukunft


Historisch<br />

Sie trafen sich in Privathäusern, in Schulen<br />

oder unter freiem Himmel; besondere Gebäude<br />

brauchten sie nicht. Diese Beweglichkeit und<br />

autarke Einheit ließ Verschiedenheit zu, und sie<br />

befähigte die Gemeinden, auch Verfolgung zu<br />

überstehen.<br />

Die jüdische Religion wollte die junge Gemeinde<br />

der Christen unter ihr Gesetz bringen. Deshalb<br />

betonte Paulus: „Der Mensch wird nicht aus Gesetzeswerken<br />

gerechtfertigt, sondern nur durch<br />

den Glauben an Jesus Christus!“ 3 Das hat Martin<br />

Luther wiederentdeckt und der römisch-katholischen<br />

Lehre entgegengehalten. Die „Freiheit eines<br />

Christenmenschen“ – so der Titel eines Buchs des<br />

Reformators – war also von Anfang an bedroht.<br />

Angriffe kamen auch von den heidnischen Philosophien,<br />

die damals in Griechenland, in Rom, in<br />

Afrika und in Asien populär waren. In ihrem Windschatten<br />

entwickelten sich bischöfliche Macht<br />

und klerikale Systeme; die veränderten nach und<br />

nach den Charakter der Gemeinde – in der hehren<br />

Absicht, die „reine Lehre“ zu schützen.<br />

Bald waren Dienste, die bis dahin grundsätzlich<br />

jeder Gläubige versehen konnte, den Priestern<br />

vorbehalten, was zur Unterscheidung zwischen<br />

Geistlichen und Laien führte und die<br />

Position von Gemeindeleitern und Bischöfen<br />

überhöhte: Menschliche Organisation und religiöse<br />

Form traten an die Stelle des Wirkens des<br />

Heiligen Geistes.<br />

Origenes (185‒254)<br />

Der Sohn christlicher Eltern in Alexandria erlebte<br />

schon als kleines Kind das Wirken des Heiligen<br />

Geistes. Sein Vater wurde wegen seines Glaubens<br />

hingerichtet. Origenes’ ungewöhnliche Befähigung<br />

als Lehrer brachte den „Laien“ bald zu<br />

Ansehen, auch Bischöfe folgten seiner Schriftauslegung.<br />

Das erzürnte den Bischof von Alexandria<br />

so sehr, dass er ihn mit dem Bann belegte.<br />

Für Origenes war die Gemeinde die Versammlung<br />

derer, die die Kraft des Evangeliums erfahren<br />

haben; die einzelne Gemeinde vor Ort muss<br />

nicht immer einer Meinung sein mit denen, die in<br />

der „Kirche“ das Sagen haben.<br />

Wo die „offizielle“<br />

Geschichtsschreibung schweigt<br />

Als die Kirche größer wurde, ermattete der erste<br />

Eifer; die Gleichförmigkeit mit „der Welt“ nahm<br />

zu, und die Organisation der „katholischen“ (allgemeinen,<br />

Mainstream-)Kirchen, die sich durch<br />

diese Bezeichnung von den „falschen“ abgrenzen<br />

wollten, schritt fort.<br />

Doch in ihr bildeten sich Kreise, die Reformen<br />

anstrebten; einige Gemeinden trennten<br />

sich, wollten zurück zu den ursprünglichen Lehren<br />

und Praktiken. Auch hier gilt: Die „offizielle“<br />

Geschichtsschreibung wird von den Siegern<br />

besorgt, das Schrifttum der „Abweichler“ hingegen<br />

unterdrückt; deshalb kennen wir im Wesentlichen<br />

nur die Schriften, die gegen die Reformer<br />

verfasst wurden. Man könnte daher irrtümlich<br />

meinen, in den ersten drei Jahrhunderten habe es<br />

eine einheitliche katholische Kirche gegeben.<br />

Die Christen waren gute Untertanen; aber ihr<br />

Glaube verbot ihnen, dem Kaiser oder den Götzenbildern<br />

zu opfern. Damit versagten sie dem<br />

Römischen Reich die geforderte Treuebezeugung,<br />

und die Christen wurden auch deshalb<br />

gehasst, weil sie sich von der Kultur des Götterkults<br />

absonderten. Am Ende des 1. Jh. galt es als<br />

gesetzeswidrig, Christ zu sein. Es kam zur systematischen<br />

Verfolgung.<br />

Konstantin der Große (270/288‒337)<br />

Mit Konstantin wurde der langen und furchtbaren<br />

Verfolgung ein jähes Ende gesetzt. Im Jahre 312<br />

errang er die Macht, zog in Rom ein und erließ<br />

unverzüglich ein Edikt, das die Christenverfolgung<br />

beendete. Konstantin, der die alte kaiserliche<br />

Würde des Oberpriesters (Pontifex Maximus)<br />

der heidnischen Religion beibehielt, machte sich<br />

zum Schiedsrichter auch der christlichen Kirchen.<br />

Kirche und Staat wurden eng verbunden,<br />

und es dauerte nicht lange, da standen die Machtmittel<br />

des Staates auch den Kirchenführern zur<br />

Verfügung. So wurden die eben noch Verfolgten<br />

bald selbst zu Verfolgern.<br />

Fotos: © Wikipedia<br />

Der Apostel Paulus betonte<br />

die Freiheit vom jüdischen<br />

Gesetz<br />

Origenes: Als „Laie“<br />

legte er den Bischöfen<br />

die Bibel aus<br />

Konstantin I. behielt als<br />

Kaiser die Würde des<br />

heidnischen Oberpriesters<br />

„Pontifex Maximus“ bei<br />

Tempel, um Kaiser wie<br />

Götter zu verehren:<br />

Hadrian-Tempel, Ephesus<br />

Z für Zukunft<br />

49


Historisch<br />

Das Konzil von Nizäa. In der<br />

Mitte Kaiser Konstantin I.,<br />

er hatte die Kontrolle<br />

Athanasius hielt das Zeugnis<br />

von der Göttlichkeit<br />

Jesu hoch<br />

Fotos: © Wikipedia<br />

Augustinus erklärt das<br />

Sichtbare für böse und<br />

nur das Geistige als<br />

von Gott kommend<br />

Das Mönchtum erwies sich<br />

nicht als Lösung.<br />

Es verweltlichte selbst<br />

Priszillian löste in Spanien,<br />

Portugal und Andalusien eine<br />

Erneuerungsbewegung aus<br />

Konzil von Nizäa (325)<br />

Dieses Konzil wurde von Konstantin einberufen;<br />

es ging um die Lehre des Arius, des Bischofs von<br />

Alexandrien: Jesus Christus, der Sohn Gottes, sei<br />

ein erschaffenes Wesen, mit Gott dem Vater nicht<br />

wesensgleich. Das Nizänische Glaubensbekenntnis<br />

hingegen zementierte die unbedingt göttliche<br />

Natur des Sohnes und seine Gleichheit mit Gott<br />

dem Vater.<br />

Zwei Jahre nach dem Konzil rief Konstantin den<br />

Arius aus dem Exil zurück; unter der Regierung<br />

seines Sohnes wurden alle Bischofsstühle mit Arianern<br />

besetzt. Die verfolgten nun die Katholiken,<br />

wie diese zuvor die Arianer verfolgt hatten.<br />

Athanasius (300‒373)<br />

Er war Teilnehmer am Konzil zu Nizäa und wurde<br />

später Bischof von Alexandria. Nahezu 50 Jahre<br />

lang hielt er das Zeugnis von der göttlichen Natur<br />

Jesu hoch. Er wurde verleumdet, vor Gerichte<br />

geschleppt und mit dem Bann belegt, aber nichts<br />

konnte ihn von seinem Standpunkt abbringen.<br />

Der Arianismus hielt sich fast 300 Jahre als<br />

Staatsreligion. Die unklare Einstellung zu Jesus<br />

Christus, dem Sohn Gottes, könnte dem islamischen<br />

Denken den Weg bereitet haben.<br />

Augustinus (354‒430)<br />

Seine Lehren, besser sein Irrtum, haben der folgenden<br />

Zeit einen unauslöschlichen leidvollen<br />

Stempel aufgedrückt. Unter anderem stellte er<br />

fest, Heil gebe es allein durch die Sakramente<br />

der Kirche; der Priester nehme das Heil aus den<br />

Händen des Heilands und gebe es den Menschen.<br />

Diese machtaffine Mittlerrolle schiebt sich zwischen<br />

die Gläubigen und Christus, der gesagt hat:<br />

„Kommt zu mir“ – von Priester, Kirche und Heiligen<br />

als Mittler war da nicht die Rede.<br />

Vor seiner Bekehrung war Augustinus Manichäer<br />

gewesen; der Manichäismus 4 erklärt das Sichtbare<br />

und Körperliche zum Werk böser Mächte, nur das<br />

Geistige wurde als von Gott kommend gesehen.<br />

Damit bekam Gottes Schöpfung ein „böses“ Image,<br />

obwohl Gott über seine Schöpfung gesagt hatte,<br />

dass sie „sehr gut“ war. 5 Die Konsequenz: Askese<br />

und Leibfeindlichkeit; das verstellte den unmittelbaren<br />

Weg zur Erlösung durch den Sohn Gottes.<br />

Dass Jesus Christus, Gott, offenbart im Fleisch, zur<br />

Sühnung für die Sünden der Welt Mensch geworden<br />

ist, wurde dadurch verzerrt; das nährte auch den<br />

Arianismus, der die Gottheit Christi leugnete.<br />

Das Mönchtum<br />

Der geistliche Niedergang der Kirche, ihr Abweichen<br />

vom Vorbild des Neuen Testaments und<br />

die zunehmende Verweltlichung und Duldung<br />

von Sünde, all das rief bereits früh nach einer<br />

Reformation der Kirche; die, die nach Heiligkeit<br />

und nach Gemeinschaft mit Gott strebten, sahen<br />

sich genötigt, sich aus der Welt zurückzuziehen.<br />

Im 4. Jh. wurde der Eremit Antonios in Ägypten<br />

bekannt; viele wollten es seiner Frömmigkeit<br />

gleichtun und ließen sich in seiner Nähe nieder.<br />

Anfang des 6. Jh. gab der Mönch Benedikt<br />

in Italien andere Lebensregeln heraus – nicht<br />

Askese war für ihn die Hauptsache, er betonte<br />

religiöse Zeremonien und den Dienst am Nächsten.<br />

So lernten im 7. und 8. Jh. die germanischen<br />

Völker das Christentum kennen. Das Mönchtum<br />

erwies sich aber nicht als die Lösung; es konnte<br />

der Gemeinde Jesu nicht die nötige Stütze bieten,<br />

hingegen verweltlichte es selbst.<br />

Priszillian 350‒385<br />

Der Spanier löste eine Erneuerungsbewegung aus,<br />

die weite Teile Spaniens sowie Portugal und Andalusien<br />

erfasste; sogar in Rom war sie spürbar. Priszillian<br />

war wohlhabend und belesen; weder heidnische<br />

Religionen noch das gängige Christentum zogen ihn<br />

an, er befasste sich lieber mit Philosophie. Durch<br />

das Lesen der Bibel kam er zum Glauben an Christus<br />

und wählte ein Leben der Hinwendung zu Gott<br />

und der Trennung von der Welt.<br />

Als Laie predigte er eifrig, und besonders<br />

die gebildeten Kreise hörten ihn in Scharen; so<br />

wurde Priszillian zum Bischof von Ávila ernannt.<br />

Bald bekam er die Feindschaft des Klerus zu spüren.<br />

Die Anklage wegen Ketzerei hatte keinen<br />

Erfolg; aber eine spätere wegen Zauberei und<br />

Unsittlichkeit führte zur Verurteilung: Priszillian<br />

und sechs andere wurden enthauptet.<br />

50<br />

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52<br />

Z für Zukunft


Historisch<br />

Dies war der erste Fall, dass Christen wegen<br />

ihres Glaubens durch die Kirche hingerichtet<br />

wurden. Ein ungutes Vorbild, dem<br />

erschreckend viele weitere folgen sollten.<br />

1886 entdeckte man in der Universitätsbibliothek<br />

zu Würzburg elf Schriften Priszillians.<br />

Darin zitiert er die Bibel, und zwar in einer Übersetzung,<br />

die älter ist als die Vulgata des Hieronymus.<br />

Er lehnt es ab, über die Dreieinigkeit zu<br />

diskutieren; ihm genügt es zu wissen, dass in<br />

Jesus durch den Heiligen Geist der eine wahre<br />

Gott erschienen ist. Er lehrte, Erlösung geschehe<br />

durch unsere Bekehrung zu Gott. Eine ernsthafte<br />

Abkehr von der Welt sei erforderlich, damit nichts<br />

die Gemeinschaft mit Gott hindere. Die Errettung<br />

sei kein magisches, durch Sakramente ermöglichtes<br />

Geschehen, sondern ein geistlicher Vorgang.<br />

Wenn die Gemeinschaft mit Christus unterbrochen<br />

sei, habe der Einzelne sie durch seine Reue<br />

wiederherzustellen. Für Priszillian gibt es kein<br />

besonderes klerikales Amt, Laien haben den Geist<br />

Gottes so gut wie Priester. – Damit war er eindeutig<br />

im Widerspruch zur römischen Kirche.<br />

Mohammed (570/573‒632)<br />

Seit dem Tod Mohammeds 632 hat sich die Religion<br />

des Islams in kurzer Zeit über den größten<br />

Teil Arabiens ausgebreitet. In weniger als 100<br />

Jahren dehnte sich ihr Herrschaftsbereich von<br />

Indien bis Spanien aus; man konnte wählen:<br />

Unterwerfung oder Tod. Unzählige starben lieber,<br />

als Christus zu verleugnen. Vor allem in Nordafrika<br />

war die Gemeinde Jesu zahlreich; sie hatte<br />

in den Verfolgungen durch das heidnische Rom<br />

über Jahrhunderte Treue gehalten. In der Ausbreitung<br />

des Islams sah man das Gericht Gottes<br />

wegen der Bilderverehrung im Christentum und<br />

über die Vermischung mit dem Heidentum.<br />

Constantinus Silvanus (620‒684)<br />

Etwa im Jahr 653 traf ein Armenier, der gerade<br />

aus der Gefangenschaft der (islamischen) Sarazenen<br />

freigekommen war, auf Constantinus, der<br />

ihn freundlich aufnahm. Als kostbares Geschenk<br />

überreichte er dem Gastgeber eine Handschrift<br />

der vier Evangelien und der Paulus-Briefe.<br />

Das Studium dieser Schriften nahm Constantinus<br />

ganz gefangen und führte bei ihm zu einer<br />

radikalen Lebensveränderung. Er nahm einen<br />

neuen Namen an und nannte sich hinfort „Silvanus“<br />

nach dem Begleiter des Apostels Paulus;<br />

dazu schloss er sich Gläubigen an, die die nicht<br />

schriftgemäßen Traditionen der byzantinischen<br />

Kirche ablehnten.<br />

Von Armenien aus wirkte Silvanus über 30<br />

Jahre lang. Viele Katholiken und Heiden bekehrten<br />

sich. Sein Einfluss reichte vom Euphrat bis zum<br />

Taurusgebirge in das westliche Kleinasien hinein,<br />

wo auch der byzantinische Kaisers Constantinus<br />

Pogonatos auf ihn aufmerksam wurde.<br />

Die irischen Missionare (800‒850)<br />

Unter dem Iren Columban wurden Missionare aus<br />

Irland zu den Heiden gesandt – nach Schottland und<br />

auf das Festland. Ihre Methode war, mit zwölf Mönchen<br />

ein kleines Dorf mit Schulräumen und Wohnhäusern<br />

zu errichten; in der Mitte stand die Holzkirche.<br />

Sie halfen den Bauern, die Erträge zu steigern,<br />

und verbesserten das Gesundheitswesen.<br />

Sobald sie der Landessprache mächtig waren,<br />

übersetzten sie Teile der Bibel, schrieben sie ab<br />

und brachten sie ihren Schülern bei. Bekehrte<br />

sich jemand zum Glauben an Christus, brachten<br />

sie ihm bei, auch anderen die Bibel zu erklären.<br />

Getauft wurde nur, wer seinen Glauben unter<br />

Beweis gestellt hatte.<br />

Die Missionare aus Irland predigten nicht<br />

gegen die jeweilige Religion ihres Gastvolkes; sie<br />

verkündeten lediglich die Aussagen des Neuen<br />

Testaments und die Rechtfertigung aus Glauben.<br />

Die Benediktinermönche bekämpften die Arbeit<br />

der irischen Missionare: Entweder sie unterstellten<br />

sich Rom oder sie wurden vertrieben. Die<br />

Fotos: © Wikipedia<br />

Mohammed leugnete die<br />

Gottessohnschaft Jesu<br />

und war damit in der<br />

Linie der Arianer<br />

Unter dem Iren Columban<br />

wurden Missionare zu den<br />

Heiden nach Schottland<br />

und auf das Festland<br />

gesandt<br />

Z für Zukunft<br />

53


Historisch<br />

Handschriftliches Evangelium<br />

in der Landessprache (9. Jh.)<br />

Kaiser Ludwig der Fromme<br />

war einer der Hauptförderer<br />

von Claudius<br />

Unter Kaiserin Theodora II.<br />

fanden Hunderttausende<br />

den Tod<br />

Kyrill von Saloniki,<br />

der Slawen-Apostel<br />

Kaiser Alexius Comnenes<br />

stellte Basillius eine Falle, um<br />

ihn hinrichten zu lassen<br />

Staatsmacht stellte sich hinter die Benediktiner;<br />

die Missionstätigkeit der Iren kam zum Erliegen.<br />

Doch ihr Einfluss blieb und stärkte spätere Reformationsbewegungen.<br />

Um 830 erschien eine Evangelienharmonie als<br />

Stabreim-Dichtung in altsächsischer Sprache –<br />

„Der Heiland“ (Heliandlied). Zweifellos ein Werk<br />

der irischen Missionare! Beachtung verdient,<br />

dass es weder Marien- noch Heiligenverehrung<br />

kennt und frei ist von den typischen Zügen der<br />

römischen Kirche jener Zeit.<br />

Claudius von Turin (810‒um 827)<br />

Ludwig, der dritte Sohn Karls des Großen, folgte<br />

813 seinem Vater auf den Kaiserthron. Er war ein<br />

Bewunderer des Spaniers Claudius, jenes eifrigen<br />

Schriftforschers und Bibelkommentators. Als Kaiser<br />

ernannte Ludwig den Claudius zum Bischof<br />

von Turin.<br />

Claudius lehrte, das Apostelamt des heiligen<br />

Petrus habe mit dessen Tod aufgehört, die<br />

„Schlüsselgewalt“ sei auf den gesamten Episkopat<br />

übergegangen; der Bischof von Rom habe<br />

apostolische Gewalt – aber nur, wenn er auch ein<br />

apostolisches Leben führe.<br />

Sergius (800‒834)<br />

Von Armenien „bin ich von Ost nach West und<br />

von Nord nach Süden gezogen, um das Evangelium<br />

von Christus zu predigen, bis meine Knie<br />

müde wurden“. – Mit großer Vollmacht beseitigte<br />

Sergius Trennungen und lehrte die Gläubigen.<br />

Obwohl er als Zimmermann arbeitete, besuchte<br />

er doch fast alle Teile des Hochlands von Kleinasien,<br />

der heutigen Türkei.<br />

Zu seiner Bekehrung ist überliefert: Eine gläubige<br />

Frau soll ihn gefragt haben, warum er nicht<br />

Gottes Evangelium lese. Sergius erklärte, dies sei<br />

doch nur Priestern gestattet. Die Frau entgegnete,<br />

Gott sehe nicht die Person an, sondern wünsche,<br />

dass jeder errettet würde und die Wahrheit<br />

erkenne, 6 und es sei ein Übel, dass die Priester das<br />

Volk ihres Anteils am Evangelium beraubten. So<br />

begann Sergius, die Bibel zu lesen. – Sergius’ Briefe<br />

fanden weite Verbreitung. Seine Verfolger zerstückelten<br />

ihn bei lebendigem Leibe mit der Axt.<br />

„Der Schlüssel der Wahrheit“<br />

Systematisches Niedermetzeln, Enthauptung,<br />

Verbrennen, Ertränken – dieser Mittel bediente<br />

sich Kaiserin Theodora II. in den Jahren 842–856.<br />

Etwa hunderttausend fanden den Tod, doch das<br />

konnte die Standhaftigkeit der Gläubigen nicht<br />

erschüttern.<br />

In dieser Zeit könnte das armenische Buch<br />

„Der Schlüssel der Wahrheit“ verfasst worden<br />

sein. Es schildert Glauben und Leben der sogenannten<br />

Paulizianer 7 jener Tage. Der unbekannte<br />

Autor beschreibt überzeugend das Leben der<br />

„neugeborenen Kinder“ der „allgemeinen und<br />

apostolischen Kirche unseres Herrn Jesus Christus“.<br />

So schrieb er: „Unser Herr fordert zunächst<br />

Buße und Glauben, und dann tauft er; so müssen<br />

wir ihm nachfolgen und nicht den trügerischen<br />

Beweisführungen anderer, welche Ungläubige<br />

taufen. Ist ein Kind geboren, sollen die Eltern es<br />

in Frömmigkeit und im Glauben erziehen. Getauft<br />

werden soll es erst, wenn es das wirklich will.“<br />

Im Blick auf Bilder und Reliquien sagt der<br />

Schreiber: „Was die Mittlerschaft betrifft, so gibt<br />

es nur die unseres Herrn Jesus Christus, nicht die<br />

anderer Heiliger und Toter und schon gar nicht<br />

die von Steinen, Kreuzen oder Bildern.“<br />

Mitte des 8. Jh. wurde Bulgarien von der russischen<br />

Fremdherrschaft befreit und dem Reich<br />

des Befreiers zugeschlagen; die Paulizianer wurden<br />

auf den Balkan umgesiedelt. Mitte des 9. Jh.<br />

waren dort die byzantinischen Missionare Kyrill<br />

und Methodius tätig; viele Einheimische wurden<br />

Christen und gründeten Gemeinden. Diese Gläubigen<br />

nannte man „Bogomilen“ 8 ; das slawische<br />

Wort bedeutet „Gottesfreunde“.<br />

Basilius (1070‒1111)<br />

Basilius war Bulgare und Arzt; nebenbei war er<br />

unermüdlich tätig als Prediger und Lehrer. Kaiser<br />

Alexius Comnenes sprach ihm seine Bewunderung<br />

aus, er sei an seiner Lehre interessiert, wolle sich<br />

gerne bekehren, und lud ihn nach Konstantinopel<br />

ein. Am Tisch des Kaisers entspann sich ein lebhaftes<br />

Gespräch; Basilius antwortete freimütig auf<br />

alle Fragen. Plötzlich zog der Kaiser einen Vorhang<br />

54<br />

Z für Zukunft


Historisch<br />

zur Seite und ließ den Schnellschreiber sehen, der<br />

das ganze Gespräch als Beweismittel festzuhalten<br />

hatte; den Dienern befahl er, seinen Gast in Ketten<br />

zu legen und in den Kerker zu werfen. Basilius verweigerte<br />

den Widerruf und wurde im Hippodrom<br />

zu Konstantinopel öffentlich verbrannt. In dieser<br />

Zeit wurden viele „Gottesfreunde“ aufgespürt und<br />

verbrannt oder lebenslang eingekerkert.<br />

Ein bulgarischer Bischof beschrieb Ende des<br />

10. Jh. die Bogomilen so: „Sie verehren weder<br />

die Muttergottes noch das Kreuz, behaupten,<br />

das Brot beim Abendmahl sei nicht Christi Leib,<br />

sondern gewöhnliches Brot. Wenn die Leute ihr<br />

demütiges Verhalten sehen, meinen sie, sie hätten<br />

den rechten Glauben, deshalb holen sich viele<br />

Rat bei ihnen wegen des Seelenheils. Sie geben<br />

freundliche Antwort und tun, als wüssten sie, wie<br />

es im Himmel zugeht.“<br />

Der Kirchenvater Gregor sagte von den Paulizianern,<br />

wie die Bogomilen auch genannt wurden,<br />

man klage sie nicht bösen Lebenswandels wegen<br />

an, sondern weil sie zu frei dächten und die Obrigkeit<br />

nicht anerkennten. Sogar ihre Gegner gaben<br />

zu, dass ihr Lebenswandel, ihre Sittlichkeit, ihr<br />

Fleiß weit über das hinausragten, was sonst dort<br />

zu finden war. Auch das zog viele an.<br />

Die von Byzanz ausgehende Verfolgung vertrieb<br />

viele Gläubige nordwestwärts nach Serbien;<br />

von dort wichen sie vor der serbisch-orthodoxen<br />

Kirche nach Bosnien aus.<br />

Die Bogomilen am Balkan (10.‒15. Jh.)<br />

Die bosnischen Herrscher führten den Titel „Ban“,<br />

der bedeutendste von ihnen war Kulin Ban. 1180<br />

wurde er vom Papst als treuer Anhänger der Kirche<br />

geehrt, aber 1199 wandten sich seine Frau,<br />

seine Familie und zehntausende Bosniaken den<br />

Bogomilen zu. Das Land war nun nicht mehr<br />

katholisch – und erlebte eine Blütezeit, die sprichwörtlich<br />

wurde (und blieb). Es gab keine Priester<br />

mehr; vielmehr wurde das allgemeine Priestertum<br />

aller Gläubigen gelebt.<br />

Papst Innozenz III. brachte mithilfe des<br />

Königs von Ungarn 1203 Kulin Ban durch Kriegsdrohung<br />

in Bedrängnis, so stimmte dieser der Forderung<br />

zu, dass allein der Klerus geistliche Ämter<br />

versehen dürfe. Doch das Volk lehnte es einmütig<br />

ab, sich bevormunden zu lassen. Die Gläubigen<br />

in Bosnien hatten Verbindung mit Gleichgesinnten<br />

in Italien, in Südfrankreich, in Böhmen, am<br />

Rhein, ja bis Flandern und England. Als der Papst<br />

zum Kreuzzug gegen die Albigenser aufrief und<br />

die Provence verwüstet wurde, fanden Flüchtige<br />

in Bosnien herzliche Aufnahme.<br />

1216 ernannte der Papst einen römisch-katholischen<br />

Ban und sandte Missionare, um die Bosniaken<br />

zu rekatholisieren, aber die nichtrömische<br />

Christengemeinde im Land wuchs umso mehr,<br />

dehnte sich aus nach Kroatien, Dalmatien, Istrien,<br />

Kärnten und Slowenien.<br />

Sechs Jahre später beschloss<br />

der Papst, die Bosniaken mit<br />

Gewalt zu „bekehren“, und das<br />

Land wurde verwüstet. Doch<br />

sobald sich das Heer zurückgezogen<br />

hatte, stellte sich heraus,<br />

dass die Glaubensgemeinden<br />

noch bestanden, und der<br />

Fleiß des Volkes stellte den<br />

Wohlstand schnell wieder her.<br />

Nach der Eroberung von<br />

Konstantinopel 1453 durch<br />

Mehmet II. kam es schnell zur<br />

Unterwerfung von Griechenland,<br />

Albanien und Serbien.<br />

Ausdehnung der Bogomilen 10.–15. Jh.<br />

Am Ende des 12. Jh. waren christliche Gemeinschaften<br />

in Europa (im Osten die Bogomilen und im Westen die<br />

Katharer) durch gute Vernetzung vom Schwarzen Meer<br />

bis zum Atlantik miteinander verbunden.<br />

Die Eroberung von<br />

Konstantinopel überlebten<br />

nur wenige der 8000, die<br />

sich hinter den Mauern<br />

verschanzt hatten<br />

Fotos: © Wikipedia<br />

Z für Zukunft<br />

55


Historisch<br />

Die Waldenser hatten sich<br />

in den Bergtälern der Macht<br />

Roms entziehen können<br />

Mehrere Albigenserkreuzzüge<br />

richteten großes<br />

Leid an. Hier: Vertreibung<br />

aus Carcassonne<br />

Als die<br />

Waldenser von<br />

der Reformation<br />

hörten:<br />

„Unsere Vorfahren<br />

haben<br />

uns erzählt, wir<br />

bestehen seit<br />

den Tagen der<br />

Apostel. Wir denken<br />

wie ihr und<br />

sind in diesem<br />

Glauben immer<br />

fest geblieben.“<br />

Sie führten ihren Ursprung auf<br />

die Zeit der ersten Gemeinden<br />

in Kleinasien zurück, also nicht<br />

auf eine „Reformation“<br />

Rom erkannte die Gefahr nicht, sondern machte<br />

weiterhin jede Hilfe für Bosnien von der Verfolgung<br />

der Bogomilen abhängig. 1463, als die Türken<br />

wieder auf Bosnien vorrückten, verweigerte<br />

das Volk seinem König den Gehorsam. Es zog<br />

die Türken der Bedrückung durch Rom vor und<br />

setzte dem Eroberer keinen Widerstand entgegen;<br />

innerhalb einer Woche konnten so 70 Städte<br />

eingenommen werden.<br />

Diese „Freunde Gottes“ in Bosnien haben nur<br />

wenig Schriftliches hinterlassen. Fest steht: Sie<br />

wehrten sich damals heftig gegen die Zersetzung<br />

des christlichen Glaubens und hielten an den Lehren<br />

und Vorbildern der Urgemeinde fest. Ihre<br />

Beziehung zu den älteren Kirchen in Armenien und<br />

Kleinasien, zu den Albigensern in Frankreich, zu<br />

den Waldensern und anderen in Italien sowie zu<br />

den Hussiten in Böhmen zeigten, dass eine gemeinsame<br />

Grundlage des Glaubens sie alle einte.<br />

Waldenser und Albigenser<br />

Die aus den Balkanländern Geflohenen kamen<br />

bis nach Südfrankreich – und überall fanden sie<br />

Gleichgesinnte.<br />

Die Bezeichnung „Albigenser“ tauchte nach<br />

dem Konzil auf, das 1165 nahe Albi abgehalten<br />

wurde. Die Leute, die vor Gericht gestellt wurden,<br />

legten zwar ein nahezu „römisches“ Glaubensbekenntnis<br />

ab; da sie aber gewissenshalber<br />

den Eid verweigerten, wurden sie trotzdem<br />

verurteilt. Der Volksmund nannte sie „die guten<br />

Leute“ wegen ihrer vorbildlichen Lebensweise,<br />

die in klarem Gegensatz stand zu der Zügellosigkeit<br />

des Klerus.<br />

In den Alpentälern Piemonts gab es 16 Jahrhunderte<br />

lang (70–1700) Gemeinschaften von<br />

Gläubigen, die als „Waldenser“ bekannt wurden<br />

(nach Petrus Valdes, einem Kaufmann in Lyon,<br />

12. Jh.). Sie führten ihren Ursprung auf die Zeit<br />

der ersten Gemeinden in Kleinasien zurück, also<br />

nicht auf eine „Reformation“.<br />

Von einer Generation zur nächsten hatten sie<br />

ununterbrochen am Gemeinde-Modell des Neuen<br />

Testaments festgehalten; sie kannten die Bibel,<br />

aber weder Bilderverehrung noch andere Abweichungen.<br />

In ihren schwer zugänglichen Bergtälern<br />

hatten sie sich der Macht Roms entziehen<br />

können; als sie im 16. Jh. von der Reformation<br />

hörten, sagten sie: „Unsere Vorfahren haben uns<br />

erzählt, dass wir seit den Tagen der Apostel bestehen.<br />

Nichtsdestoweniger stimmen wir in allem<br />

mit euch überein, wir denken wie ihr und sind in<br />

diesem Glauben immer fest geblieben.“<br />

1163 untersagte ein von Papst Alexander III.<br />

einberufenes Konzil jeden Verkehr mit den Waldensern,<br />

weil sie „eine verdammungswürdige<br />

Ketzerei lehren, die lange zuvor in diesem Gebiet<br />

entstand“.<br />

Bis dahin gab es in Metz starke Waldensergemeinden;<br />

auch die Gemeinde in Köln hatte schon<br />

lange bestanden, als 1150 eine Anzahl ihrer Glieder<br />

hingerichtet wurden. Der Richter sagte von<br />

ihnen: „Sie gingen nicht nur mit Geduld, sondern<br />

mit Leidenschaft in den Tod.“ In Straßburg hatten<br />

die Dominikaner 1212 fünfhundert(!) Waldenser<br />

eingekerkert.<br />

Die Waldenser hatten bereits eigene Bibelübersetzungen.<br />

Sie bewerteten die Worte Christi<br />

in den Evangelien als die höchste Offenbarung;<br />

Christus nachzufolgen, sein Vorbild nachzuahmen,<br />

das war ihr höchstes Ziel. In ihren Augen<br />

schenkte allein Christus die Fähigkeit, sein Wort<br />

zu verstehen. In der Bergpredigt sahen sie ihre<br />

Lebensregel. Blutvergießen und Todesstrafe<br />

lehnten sie ab, auch jede Gewaltanwendung in<br />

Glaubensfragen. Vergeltungswünschen gegenüber<br />

jenen, die sie beleidigten und verfolgten, gaben<br />

sie keinen Raum; die meisten in den Bergdörfern<br />

erlaubten jedoch bewaffneten Widerstand und<br />

verteidigten sich und ihre Familien gegen die<br />

Angriffe aus Rom.<br />

Die Waldenser glaubten nicht, dass das Heil<br />

durch Sakramente zu erlangen sei oder durch<br />

irgendetwas anderes außer durch den Glauben<br />

an Christus – und dieser Glaube zeige sich in Werken<br />

der Liebe.<br />

Apostel spielten bei ihnen eine wichtige Rolle.<br />

Die Ältesten und Aufseher blieben zu Hause, in<br />

ihrer Gemeinde; die Apostel zogen umher und<br />

besuchten die Gemeinden. Die waldensischen<br />

Apostel besaßen nichts. Sie wanderten von Ort<br />

zu Ort ohne Geld, ohne einen zweiten Rock. Ihre<br />

56<br />

Z für Zukunft


Historisch<br />

Bedürfnisse wurden gedeckt von den Gläubigen,<br />

denen sie das Wort verkündeten. Sie zogen immer<br />

zu zweit, ein älterer und ein jüngerer Bruder. Ihre<br />

Besuche waren sehr geschätzt, man brachte ihnen<br />

große Ehrfurcht und Liebe entgegen. Zum Schutz<br />

waren sie als Handelsleute unterwegs; meist trug<br />

der Jüngere leichte Waren zum Verkauf mit sich –<br />

Messer, Nadeln und ähnliches. Niemals baten sie<br />

um etwas. Einige waren medizinisch ausgebildet<br />

und wurden auch dafür sehr geschätzt.<br />

Bewegungen am Ausgang<br />

des Mittelalters (1300‒1500)<br />

1302 erließ Papst Bonifatius VIII. eine Bulle, die<br />

erklärte, dass jeder Mensch sich dem Papst unterwerfen<br />

müsse, wolle er sein Seelenheil nicht verscherzen<br />

(und überhaupt: In der Welt sei keine<br />

von Gott gegebene Autorität, die sich nicht vom<br />

Papst herleite). An der Spitze derer, die gegen<br />

solcherlei Ansinnen Protest erhoben, stand Kaiser<br />

Ludwig von Bayern.<br />

Marsiglio von Padua<br />

(1275/1290‒1342/1343)<br />

Marsiglio hatte an der Pariser Universität studiert.<br />

Der Politiker kritisierte 1324 die Beziehung<br />

zwischen Staat und Kirche: „Es ist üblich geworden,<br />

die Bezeichnung ‚Kirche‘ den Dienern der<br />

Kirche beizulegen – Bischöfen, Priestern und Diakonen.<br />

Dies steht im Widerspruch zu dem apostolischen<br />

Gebrauch des Wortes, wonach die Kirche<br />

die Versammlung ist oder die Gemeinschaft der<br />

an Christus Gläubigen. Es ist nicht ein Versehen,<br />

dass sich der unrichtige Gebrauch des Wortes<br />

eingebürgert hat, sondern das geschah aus wohlüberlegten<br />

Gründen, die für die Priesterschaft<br />

große Bedeutung haben, für die Christenheit<br />

dagegen verheerende Folgen.“<br />

Johannes Tauler (um 1300‒1361)<br />

In der Auseinandersetzung zwischen Kaiser Ludwig<br />

von Bayern und dem Papst stellte sich der<br />

Dominikaner-Pater Dr. Johannes Tauler kühn auf<br />

die Seite des Kaisers. In seinen jungen Jahren in<br />

Köln hatten die verbotenen Schriften des Meister<br />

Eckhart großen Einfluss auf ihn ausgeübt.<br />

1338 in Straßburg zogen Taulers Predigten<br />

große Scharen an; sein Ruf drang auch in andere<br />

Länder. Als zehn Jahre später die Pest Straßburg<br />

verheerte, diente Tauler zusammen mit einem<br />

Augustiner- und einem Karthäuser-Mönch der<br />

leidenden Bevölkerung. In offenen Briefen rechtfertigten<br />

die drei ihren Dienst an den unter dem<br />

Bann stehenden Erkrankten damit, dass „Christus<br />

für alle gestorben ist, deshalb kann der Papst<br />

keinem den Weg des Heils verschließen, nur weil<br />

sie seine Autorität bestreiten und ihrem rechtmäßigen<br />

König die Treue halten“.<br />

Er erklärte auch: „Die Geistlichkeit denkt zu<br />

hoch von sich. Dabei handelt sie wie die Pharisäer<br />

und bringt die ‚Gottesfreunde‘ um.“ Papst<br />

Sixtus V. setzte 1590 Taulers Reden auf den Index<br />

der verbotenen Schriften.<br />

John Wyclif (1330‒1384)<br />

In England herrschte unter dem Klerus eine ähnliche<br />

Verderbtheit wie auf dem Festland. Ernstgesinnte,<br />

die von einem besseren Weg sprachen,<br />

erhielten den Spottnamen „Lollarden“ – Schwätzer.<br />

Anfang des 15. Jh. waren die Lollarden so zahlreich<br />

geworden, dass Heinrich IV., um die Kirche<br />

gewogen zu stimmen, darauf den Feuertod setzte.<br />

John Wyclif, Professor in Oxford, prangerte die<br />

Verderbtheit der Kirche an. Er stand für die Rückkehr<br />

zur Heiligen Schrift und in die Nachfolge<br />

Christi. In seiner Abhandlung „Das Reich Gottes“<br />

wies er nach, dass das Evangelium von Jesus<br />

Christus die einzige Quelle echten Glaubens sei,<br />

die Schrift allein sei wahr; alle Autorität stamme<br />

von Gott und die, die Autorität ausübten, müssten<br />

Fotos: © Wikipedia<br />

„Der Weg von Wyclif“, 1377.<br />

Wandgemälde von Ford<br />

Madox Brown in der<br />

Manchester Town Hall<br />

Papst Bonifatius VIII. erließ:<br />

Zum Seelenheil müsse sich<br />

jeder dem Papst unterwerfen<br />

Marsiglio von Padua kritisierte<br />

die enge Beziehung zwischen<br />

Staat und Kirche<br />

Pater Dr. Johannes Tauler<br />

stellte sich kühn auf die<br />

Seite des Kaisers, gegen<br />

den Papst<br />

Z für Zukunft<br />

57


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vor Gott Rechenschaft ablegen darüber, wie sie<br />

die Macht ausgeübt haben, die er ihnen anvertraut<br />

habe. Damit bestritt Wyclif die unumschränkte<br />

Autorität von Papst und König, die damals niemand<br />

zur Verantwortung ziehen konnte, und auch die<br />

Notwendigkeit des priesterlichen Mittleramts. Kein<br />

Wunder, dass er auf heftigen Widerstand stieß!<br />

Seine Bibelübersetzung bewirkte einen<br />

Umsturz im Denken der Engländer. Durch Traktate<br />

und Wanderprediger wurde Wyclifs Einfluss<br />

so stark, dass auch seine erbittertsten Gegner<br />

nur eine Strafversetzung erwirken konnten. Wyclif<br />

unterstrich die Autorität der Heiligen Schrift<br />

als Quelle der Wahrheit: „Die Schrift nicht kennen<br />

heißt, Ihn nicht kennen.“<br />

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58 Z für Zukunft<br />

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Ján Hus (1370‒1415)<br />

Einer der ausländischen Studenten in Oxford,<br />

die Wyclif hörten, war Hieronymus von Prag. Voll<br />

Eifers für die Wahrheit, die er in England kennengelernt<br />

hatte, kehrte er in seine Heimatstadt<br />

zurück. Kühn lehrte er, die römische Kirche sei<br />

von Christus abgewichen, und jeder, der das Heil<br />

suche, müsse zu den Lehren des Evangeliums<br />

zurückkehren. Diese Worte drangen auch in das<br />

Herz von Ján Hus, Doktor der Theologie, Prediger<br />

in Prag und Beichtvater der Königin von Böhmen.<br />

Sein ernster Glaube und seine hervorragenden<br />

Fähigkeiten, verbunden mit Beredsamkeit und<br />

gutem Benehmen, wirkten stark unter dem Volk,<br />

das durch die Waldenser schon vorbereitet war.<br />

Er sprach und schrieb auf Tschechisch.<br />

Die Rivalität zwischen Germanen und Slawen<br />

in Böhmen gab der Bewegung ein politisches<br />

Gesicht: der deutsche Teil hielt sich an Rom, der<br />

tschechische an die Lehren Wyclifs. Der Papst<br />

exkommunizierte Hus und ließ Wyclifs Schriften<br />

öffentlich verbrennen; der böhmische König, die<br />

Universität und die Mehrheit des Volkes hielten<br />

zu Hus und seiner Lehre.<br />

Konzil zu Konstanz (1414)<br />

Dieses Konzil dauerte dreieinhalb Jahre und<br />

brachte eine Unzahl von kirchlichen Würdenträgern,<br />

Fürsten und Herrschern vieler Länder<br />

sowie eine riesige Volksmenge zusammen. Die


Historisch<br />

Stadt wurde Schauplatz ausgesuchter Vergnügen<br />

und schamloser Schlechtigkeit. Es galt die drei<br />

rivalisierenden Päpste abzusetzen und an ihrer<br />

Stelle einen anderen, Martin V., zu wählen.<br />

Ein weiteres Ziel war, die Lehre von Wyclif<br />

und Hus zu bekämpfen. Hus wurde unter Zusage<br />

sicheren Geleits von Kaiser Sigismund zur Teilnahme<br />

eingeladen; doch in Konstanz wurde er<br />

ergriffen und in ein schmutziges Gefängnis auf<br />

einer Bodensee-Insel geworfen. Um diese Tat zu<br />

rechtfertigen, verkündete das Konzil sie als Entscheidung<br />

des Heiligen Geistes und damit als<br />

unfehlbar; die Kirche sei nicht verpflichtet, einem<br />

Ketzer das Wort zu halten. Mit allen erdenklichen<br />

Mitteln – durch Überredungskunst und<br />

üble Behandlung bis hin zur Folter – versuchte<br />

man nun, Hus zum Widerruf zu bewegen. Sein<br />

Standpunkt: Das Heil wird uns aus Gnade zuteil<br />

ohne Gesetzeswerke, und weder Titel noch Stellung<br />

können einen Menschen für Gott annehmbar<br />

machen, wenn sein Lebenswandel nicht gottgefällig<br />

ist. In Demut, mit außergewöhnlichem Mut<br />

und hoher Beredsamkeit erklärte Hus sich bereit,<br />

alles zu widerrufen, was er gelehrt habe, vorausgesetzt,<br />

man könne ihm aus der Heiligen Schrift<br />

nachweisen, dass er irre. Er werde aber nichts<br />

zurücknehmen von dem, was Gottes Wort lehrt.<br />

Am Nachmittag des 6. Juli 1415 wurde Ján<br />

Hus verbrannt, zusammen mit seinen Schriften.<br />

Wenige Tage zuvor hatte er geschrieben: „Ich bin<br />

sehr getröstet durch Christi Wort: ‚Glückselig<br />

seid ihr, wenn die Menschen euch hassen‘ … ein<br />

guter, nein, der beste Gruß, aber schwer – ich will<br />

nicht sagen zu verstehen, aber auszuleben, denn<br />

er befiehlt uns Freude in diesen Trübsalen … Er<br />

ist leicht vorzulesen und zu erklären, aber schwer<br />

zu verwirklichen. Sogar jener tapfere Krieger<br />

war, obwohl er wusste, dass er nach drei Tagen<br />

auferstehen werde, nach dem Abendmahl in seinem<br />

Geist beschwert.“<br />

Hieronymus von Prag ging bald den gleichen<br />

schrecklichen Weg. Die böhmischen Hussiten teilten<br />

sich in drei Hauptströmungen: Die einen<br />

kämpften; die anderen suchten einen Vergleich zu<br />

erwirken; und es gab auch die, die bereit waren,<br />

für die Wahrheit zu leiden und zu sterben.<br />

Während des Konzils<br />

sorgten in den Bordellen<br />

700 Prostituierte für das<br />

„leibliche Wohl“<br />

der Gäste<br />

Zunehmende Verfolgung<br />

Nach Kaiser Ludwig hatte 1355 Karl IV. den Kaiserthron<br />

bestiegen; der neue Kaiser stand ganz unter<br />

dem Einfluss des Papstes und leitete eine für die<br />

bibeltreuen Gemeinschaften unheilvolle Änderung<br />

ein: Jede abweichende Meinung sollte verstummen.<br />

Während der ersten Hälfte des 14. Jh. hatten die<br />

von Rom unabhängigen Glaubensgemeinschaften<br />

stark zugenommen; das änderte sich nun: In großer<br />

Zahl wurden Inquisitoren ins Reich gesandt und<br />

der Kaiser gab ihnen freie Hand, wie es der Papst<br />

verlangte. Ganz Europa wurde Schauplatz der grausamen<br />

Hinrichtung vieler seiner besten Einwohner.<br />

Papst Bonifatius IX. ordnete in einem Edikt an, „die<br />

übrige ketzerische Pest“ (Ungeziefer) sei mit allen<br />

geeigneten Mitteln auszurotten. 1395, also knapp<br />

zwei Jahrzehnte vor dem Märtyrertod von Ján Hus,<br />

prahlte der Inquisitor Peter Pilichdorf, es sei gelungen,<br />

der Ketzerei Herr zu werden. Böhmen und England<br />

waren für viele zur Zufluchtsstätte geworden;<br />

Wyclif in England sowie Hieronymus und Hus in<br />

Böhmen hatten diese Länder sehr geprägt.<br />

Jan Hus wurde wegen<br />

seiner „Glaubensfreiheit“<br />

verbrannt. Er schrieb:<br />

„Glückselig seid ihr,<br />

wenn die Menschen<br />

euch hassen“<br />

Ján Hus lehrte 100 Jahre<br />

vor Luther die Rechtfertigung<br />

aus Glauben<br />

Konzil von Konstanz mit<br />

Gegenpapst Johannes XXIII.<br />

im Konstanzer Münster<br />

Hieronymus von Prag<br />

brachte Wyclifs Gedanken<br />

nach Böhmen<br />

Fotos: © Wikipedia<br />

Z für Zukunft<br />

59


Historisch<br />

Erasmus von Rotterdam<br />

veröffentlichte das griechische<br />

Neue Testament in neuer<br />

lateinischer Übersetzung<br />

Johann von Staupitz<br />

entdeckte den jungen<br />

Mönch Martin Luther<br />

Hans Denck war sehr<br />

einflussreich unter den<br />

Wiedertäufern. Er fragte:<br />

Was fehlt der Lehre Luthers?<br />

Alte Schätze und neue Erkenntnisse<br />

Die Eroberung Konstantinopels 1453 löste die<br />

Flucht vieler gelehrter Griechen aus; sie brachten<br />

wertvolle alte griechische Manuskripte in den<br />

Westen. An den Universitäten lehrten griechische<br />

Professoren die Sprache, die den Schlüssel zu<br />

diesen Schätzen bot, und seit 1516 lag das griechische<br />

Neue Testament mit lateinischer Übersetzung<br />

gedruckt vor.<br />

Die Erfindung des Buchdrucks verhalf den neuen<br />

Erkenntnissen zu größerer Verbreitung – und die<br />

Reformationszeit war wirklich eine Zeit neuer<br />

Erkenntnisse, man denke nur an die Entdeckung<br />

Amerikas durch Kolumbus und die des Sonnensystems<br />

durch Kopernikus, und auch die Bibel gab es<br />

gedruckt auf Deutsch. Ihr Deutsch war vor Luther<br />

zwar noch holprig, aber man konnte bereits erkennen,<br />

welch ungeheurer Gegensatz bestand zwischen<br />

Christus und seiner Lehre einerseits und dem<br />

machthungrigen, verderbten Klerus andererseits.<br />

1486 verbot der Erzbischof von Mainz Verbreitung<br />

und Besitz deutscher Bibeln.<br />

Erasmus von Rotterdam (1467‒1535)<br />

und das griechische Neue Testament<br />

Erasmus war ein armes Waisenkind, aber seine<br />

großen Fähigkeiten verschafften ihm Anerkennung<br />

in gelehrten Kreisen und an den Höfen von<br />

London bis Rom. Sein größtes Werk war die Veröffentlichung<br />

des griechischen Neuen Testaments<br />

mit einer neuen lateinischen Übersetzung, versehen<br />

mit vielen Erklärungen. In Frankreich wurden<br />

in kurzer Zeit 100 000 Exemplare verkauft,<br />

und nun konnten auch Nicht-Theologen die Worte<br />

des Heils lesen. Sie lernten Christus und die<br />

Apostel kennen; sie sahen, dass religiöse Tyrannei<br />

nicht Gottes Wille war.<br />

Erasmus gehörte zu den vielen, die auf eine<br />

friedliche Reformation der Christenheit hofften;<br />

die Zeit schien günstig: Auf den blutrünstigen<br />

Papst Julius folgte Leo X. aus der berühmten<br />

Familie der Medici, gottlos, aber ein Freund der<br />

Kunst und der Literatur. Er genehmigte Erasmus’<br />

griechisches Neues Testament.<br />

Staupitz entdeckt Luther (1505)<br />

Johann von Staupitz war Generalvikar der Augustiner.<br />

1505 fand er auf einer Inspektionsreise durch<br />

die Häuser des Ordens in Erfurt den jungen Mönch<br />

Martin Luther, der zutiefst bekümmert war um sein<br />

Seelenheil. Staupitz riet ihm, die Heilige Schrift zu<br />

studieren sowie Augustinus und die Schriften von<br />

Tauler zu lesen. Luther folgte diesem Rat und die<br />

Lehre von der Rechtfertigung aus Glauben wurde<br />

ihm zur lebendigen Erfahrung.<br />

1520 schrieb Luther an Spalatin 9 : „Bis jetzt<br />

habe ich, wenn auch unwissend, alles verkündigt,<br />

was Hus gepredigt und festgehalten hat; Johann<br />

Staupitz tat unbewusst dasselbe – mit einem<br />

Wort: Ich habe bisher unbewusst den ganzen<br />

Johann Hus gelehrt und gehalten … Kurz, wir alle<br />

sind unbewusst Hussiten. Ja, Paulus und Augustin<br />

sind aufs Wort Hussiten. – Siehe, ich bitte dich, in<br />

was für Ungeheuerlichkeiten sind wir ohne den<br />

böhmischen Führer und Lehrer geraten.“<br />

Hans Denck, Wiedertäufer<br />

(um 1498‒1527)<br />

Denck war einer der einflussreichsten Brüder der<br />

Wiedertäufer-Gemeinden in der Reformationszeit.<br />

In Bayern geboren, in Basel promoviert, muss er<br />

dort mit Erasmus und einem Kreis von Gelehrten<br />

und Druckern in Berührung gekommen sein.<br />

1523 wurde Denck an die Schule in Nürnberg<br />

berufen; dort hatte die lutherische Bewegung<br />

bereits vor einem Jahr Oberhand gewonnen.<br />

Sicher hatte der neue Glaube im Volk Gottesfurcht<br />

und einen ehrbaren Lebenswandel bewirkt, freute<br />

sich Denck, aber zu seiner Enttäuschung fand er<br />

gerade das Gegenteil!<br />

Warum? Was fehlte der Lehre Luthers? Das<br />

Volk hatte sie so verstanden: Allein aus Glauben,<br />

das genügt; gute Werke sind unnütz. Ja, Luther<br />

schaffte viele Missstände ab, die in der katholischen<br />

Kirche herrschten, doch er wies zu wenig<br />

hin auf Gehorsam, Selbstverleugnung und die<br />

Nachfolge Christi.<br />

Denck zeigte 1524, die Erfahrung beweise,<br />

dass die Lehre aus Wittenberg die Leute „sicher<br />

60<br />

Z für Zukunft


Historisch<br />

und sorglos“ mache: „Die meisten Menschen sind<br />

gegen Lehren, die ihnen strenge sittliche Ordnung<br />

zur Dämpfung ihrer natürlichen Begierden<br />

auferlegen. Aber sie wünschen, als Christen<br />

angesehen werden, und lauschen willig den<br />

Heuchlern, die lehren, dass unsere Gerechtigkeit<br />

allein darin besteht, dass Gott uns für gerecht<br />

hält, auch wenn wir schlechte Menschen sind,<br />

und dass unsere Gerechtigkeit außerhalb von<br />

uns, nicht in uns liegt. Wehe denen, die verkündigen,<br />

dass Menschen sündigen Wandels nicht als<br />

fromm angesehen werden können – die meisten<br />

werden wütend, wenn sie das hören. Am liebsten<br />

hätten sie es, wenn solche Prediger verjagt oder<br />

gar umgebracht würden.“<br />

Dencks Ansichten wurden als furchtbare Irrlehre<br />

abgestempelt, aber er konnte seine Überzeugung<br />

so klar darstellen, dass den Gegnern die<br />

Argumente ausgingen; deshalb wurde er 1525<br />

aufgefordert, Nürnberg noch vor Nacht zu verlassen<br />

und zehn Meilen Abstand zu halten.<br />

Dencks Bekenntnis<br />

Er habe bemerkt, dass sich etwas in ihm gegen<br />

Sünde gewandt und das Verlangen nach Leben<br />

und Seligkeit geweckt habe. Er habe bemerkt,<br />

dass Glauben mehr sei als die bloße Annahme<br />

dessen, was er gehört oder gelesen habe, und<br />

gefunden, dass der Christus der Heiligen Schrift<br />

dem entsprach, was von ihm in seinem eigenen<br />

Herzen offenbart gewesen sei. Er habe festgestellt,<br />

dass er die Schrift nicht durch bloßes äußeres<br />

Lesen verstehen könne, sondern nur, wenn<br />

der Heilige Geist sie seinem Herzen und Gewissen<br />

offenbare.<br />

Denck war einige Zeit in St. Gallen; dann fand<br />

er eine Lehrerstelle in Augsburg. Dort herrschte<br />

Streit zwischen Katholiken und Evangelischen,<br />

dazu zwischen Lutheranern und Zwinglianern<br />

– und ein allgemeiner, schon bedrohlicher Sittenverfall.<br />

Denck empfand Mitleid und sammelte jene<br />

um sich, die im Alltag Jesus nachfolgen wollten; in<br />

Augsburg tat er damit, was er in St. Gallen genau<br />

beobachtet hatte. Der Besuch des einstigen Theologieprofessors<br />

Dr. Balthasar Hubmayr brachte ihn<br />

zu dem Entschluss, sich taufen zu lassen und so<br />

zum „Wiedertäufer“ zu werden; bis 1527 wuchs<br />

deren Zahl in und um Augsburg auf über 1100 an.<br />

Als Verfolgung entstand, besonders gegen<br />

Denck, suchte dieser in Straßburg Zuflucht;<br />

auch dort gab es viele getaufte Gläubige. Wenige<br />

Wochen nach seiner Ankunft musste Denck wieder<br />

den Wanderstab nehmen. In Worms, wo er<br />

eine große Gemeinschaft von Wiedertäufern vorfand,<br />

hielt er sich einige Zeit auf und ließ 1527,<br />

Jahre vor der ersten Lutherbibel, eine Übersetzung<br />

der Propheten drucken – in 3 Jahren erlebte<br />

dieses Werk 13 Auflagen! Angesichts der zunehmenden<br />

Verfolgung hätten manche Täufer gerne<br />

zu den Waffen gegriffen; Denck trat dagegen auf.<br />

Wiedertäufer auf dem Scheiterhaufen<br />

Dr. Hubmayr, der Denck getauft hatte, ging<br />

danach nach Nikolsburg in Mähren, und in kurzer<br />

Zeit ließen sich dort etwa 6000 Leute taufen;<br />

die Zahl der getauften Gemeindeglieder stieg auf<br />

über 15 000.<br />

1527 zwang König Ferdinand die Behörden,<br />

Hubmayr auszuliefern. Einige Monate nach seiner<br />

Ankunft in Wien wurde er zum Scheiterhaufen<br />

geführt. Mit lauter Stimme betete er: „O<br />

mein gnädiger Gott, gib mir Ausharren in meinem<br />

Martyrium! O mein Vater, ich danke dir, dass du<br />

mich heute aus diesem Jammertal hinwegnehmen<br />

willst! O Lamm, Lamm, das die Sünde der Welt<br />

wegnimmt! O mein Gott, in deine Hände befehle<br />

ich meinen Geist!“ Aus den Flammen hörte man<br />

Öffentliche Hinrichtung<br />

von Wiedertäufern in<br />

Münster 1563<br />

Fotos: © Wikipedia<br />

Dr. Balthasar Hubmayr<br />

brachte Hans Denck dazu,<br />

sich taufen zu lassen<br />

Die Lamberti-Körbe zieren<br />

heute noch den Kirchturm<br />

St. Lamberti in Münster.<br />

In ihnen wurden 1536<br />

die Leichname von drei<br />

hingerichteten Anführern<br />

der Wiedertäufer zur Schau<br />

gestellt, nachdem sie vor der<br />

Kirche öffentlich gefoltert<br />

und getötet worden waren<br />

Foto: © Wikipedia, Rüdiger Wölk<br />

Z für Zukunft<br />

61


Historisch<br />

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ihn laut „Jesus, Jesus!“ rufen. Drei Tage später<br />

wurde seine Frau in der Donau ertränkt.<br />

In dieser Zeit starb auch Hans Denck, noch<br />

nicht dreißigjährig. Die vielen Wanderungen und<br />

Entbehrungen hatten seine Gesundheit gebrochen;<br />

bei einem Freund in Basel, dem Reformator<br />

Hüßgen (Oekolampadius), fand er einen sicheren<br />

letzten Aufenthalt. Kurz vor seinem Tod schrieb<br />

Denck: „Was mich so bedrückt: dass mein Streben<br />

so wenig Frucht gebracht hat. Gott weiß, dass mir<br />

keine andere Frucht etwas gilt, als dass viele mit<br />

einem Herzen und in einem Sinn den Vater unseres<br />

Herrn Jesus Christus verherrlichen, ob sie<br />

nun beschnitten sind oder getauft oder keines<br />

von beiden. Ich denke ganz anders als jene, die<br />

das Königreich Gottes zu sehr an Zeremonien<br />

oder die Elemente der Welt binden.“<br />

1600 Jahre im Zeitraffer<br />

Das war nur ein kleiner Einblick in die Zeit bis<br />

Luther; dieser blutrote Faden ist bis heute nicht<br />

abgerissen. – Wo stehen Sie? Heute werden<br />

abweichende Standpunkte nicht mehr geahndet<br />

durch Köpfen, Ertränken oder Verbrennen; man<br />

hat subtilere Formen. Aber es gibt sie immer<br />

noch, die bis in den Tod Getreuen, die wenn nötig<br />

mit ihrem Leben den roten Faden fortsetzen bis<br />

zur „Wiederherstellung aller Dinge“, die durch<br />

den Apostel Petrus angekündigt ist. 10<br />

Eine Rezension mit Auszügen aus „2000 Jahre Gemeinde Jesu<br />

– eine spannende Kirchengeschichte besonderer Art“ von E.H.<br />

Broadbent, CV Dillenburg, ISBN 978-3-86353-362-5 (redaktionell<br />

bearbeitet).<br />

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1 Edmund Hamer Broadbent (1861–1945) war Missionar und Autor.<br />

Laut John Bjorlie war er ein gut aussehender englischer Gentleman wie<br />

aus dem Bilderbuch; Broadbent fand Wege in Länder, wo andere nur<br />

verschlossene Türen sahen. Er wurde im englischen Lancashire geboren<br />

und arbeitete unter der Schirmherrschaft der Plymouth-Brüder-<br />

Bewegung. Sein Buch „2000 Jahre Gemeinde Jesu“ ist eine Kirchengeschichte<br />

besonderer Art – Päpste sind für ihn nur Randfiguren.<br />

2 Apostelgeschichte 15,36.<br />

3 Galater 2,16.<br />

4 Der Manichäismus (so benannt nach seinem Gründer, dem Perser<br />

Mani, 216–276/277) war eine stark vom Gedankengut der Gnosis<br />

beeinflusste Religion in der Spätantike und im frühen Mittelalter.<br />

Von seinen Anhängern verlangte Mani Askese und das Bemühen um<br />

Reinheit als Voraussetzung für die angestrebte Erlösung.<br />

5 1. Mose 1,31.<br />

6 1. Timotheus 2,4.<br />

7 Die Paulizianer waren christliche „Häretiker“ (ein denunzierender<br />

Sammelbegriff für Christen, die von der offiziellen Lehre abwichen).<br />

Sie traten auf im 7. Jh. im Einzugsbereich der byzantinisch-orthodoxen<br />

sowie der armenisch-apostolischen Kirche. Die Paulizianer lehnten<br />

religiösen Kult, Bilder- und Reliquienverehrung sowie kirchliche<br />

Zeremonien und Hierarchien ab.<br />

8 Die Bogomilen (slawisch: „Gottesfreunde“) waren eine asketisch<br />

lebende Gemeinschaft mit einem dualistischen Lehrsystem. Der Name<br />

der Bewegung ist möglicherweise auf einen bulgarischen Dorfpfarrer<br />

namens Bogomil zurückzuführen („Gottlieb“), vielleicht auch auf den<br />

Gebetsruf Bog milui – „Gott, erbarme dich!“ Die Bewegung der Bogomilen<br />

breitete sich von Bulgarien her im Byzantinischen Kaiserreich aus<br />

sowie in den anderen Balkanländern und in Russland. Dank regem<br />

Austausch durch Kaufleute und Wanderprediger im 12. Jh. kamen sie<br />

mit ähnlichen Gruppen in West- und Mitteleuropa in Kontakt.<br />

9 Georg Burkhardt, später Spalatin (1484–1545), war Humanist, Theologe,<br />

Reformator und Historiker. Er war Beichtvater des Kurfürsten<br />

Friedrichs des Weisen und dessen vertrautester Diener, begleitete ihn<br />

zu fast allen Reichstagen und vermittelte Friedrichs Beziehung zu<br />

Martin Luther fast ausschließlich. Nach der Reichsacht gegen Luther<br />

(Wormser Edikt 1521) veranlasste Georg Spalatin dessen Rettung vor<br />

seinen Verfolgern auf die Wartburg.<br />

10 Apostelgeschichte 3,21.<br />

Man sollte etwas über<br />

den Islam wissen, um sich<br />

eine Meinung zu bilden.<br />

Hier lernen Sie das Wichtigste<br />

kompakt kennen. – Impulse,<br />

wie wir als Christen Muslimen<br />

begegnen können.<br />

Aus dem Inhalt:<br />

­ Islam in Deutschland?<br />

­ Angst vor Islamisierung?<br />

­ Multikulti führt zur<br />

Katastrophe<br />

­ Dekadenz des Westens ‒ Ursache<br />

für die Ausbreitung des Islams?<br />

­ Wunsch oder Wirklichkeit:<br />

Toleranter Euro-Islam?<br />

­ Keine Jungfrauen im Paradies<br />

­ Deutschland – Erfinder des<br />

politischen Dschihad?<br />

­ Muslime träumen von Jesus<br />

­ Frauen im Islam<br />

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62<br />

Z für Zukunft


Historisch<br />

Luther und<br />

„die Türken“<br />

Bild: © Wikipedia<br />

Nach 500 Jahren veraltet oder hochaktuell? Die Zeit Luthers –<br />

der geschichtliche Hintergrund seiner Empfehlungen zu „den Türken“<br />

Die Türken vor Wien<br />

Zeitgenössisches Gemälde<br />

von Frans Geffels, 1683<br />

Will man Luthers Standpunkt zu<br />

den Türken verstehen, sollte<br />

man etwas über ihre Geschichte<br />

wissen. Die Türken hatten<br />

zunächst einen kleinen Staat<br />

gegründet, und zwar in Anatolien in der heutigen<br />

Türkei. 1 Im Jahr 551 armenischer Zeitrechnung,<br />

um 1103 n. Chr., richteten sie unter der christlichen<br />

Bevölkerung ein Blutbad an – sie überfielen<br />

den Distrikt von Baghin in Armenia und plünderten<br />

ihn. Von dort zogen sie in angrenzende Distrikte,<br />

wo sie ebenfalls die Christen umbrachten.<br />

Als die Türken später in den Ländern Syrien<br />

und Palästina herrschten, überhäuften sie Christen,<br />

die zum Beten nach Jerusalem kamen, mit<br />

Beleidigungen, schlugen sie, raubten sie aus und<br />

erhoben Kopfsteuer am Stadttor, auf Golgatha<br />

und am Heiligen Grab. „Darüber hinaus zerbrachen<br />

sie sich jedes Mal den Kopf, wenn sie eine<br />

Karawane von Christen sahen, besonders solcher<br />

aus Rom und den Ländern Italiens, wie sie diese<br />

auf verschiedene Art und Weise umbringen könnten.“<br />

2 1453 überwältigten osmanische Elitesoldaten<br />

mit Kanonen nach zweimonatiger Belagerung<br />

die Stadt Konstantinopel, was in einem schrecklichen<br />

Blutbad mündete. Das tausend Jahre alte<br />

europäische Römisch-Byzantinische Reich wurde<br />

so vom Osmanischen Reich annektiert. Von da an<br />

regierten die Türken von Konstantinopel aus, dem<br />

heutigen Istanbul.<br />

Zu Lebzeiten Luthers (1483–1546) hatte das<br />

türkische Osmanenreich (1301–1921) also einen<br />

Höhepunkt gewaltsamer Islamisierung andersgläubiger<br />

Gebiete; bald konnte es seinen Einfluss<br />

auf den größten Teil der islamischen Welt ausdehnen<br />

und durch blutige Expansionskriege weit ins<br />

christliche Europa eindringen. Das Reich, das im<br />

Osten so große Erfolge errungen hatte, wollte<br />

nun auch Mittel- und Westeuropa erobern.<br />

Auch in dem auf Toleranz ausgerichteten Impulspapier<br />

der EKD-„Konferenz für Islamfragen“ zum<br />

500. Jahrestag mit dem Titel „Reformation und<br />

Islam“ 3 heißt es: „Zur Zeit Luthers sah Europa<br />

sich militärisch und politisch vom expandierenden<br />

Osmanischen Reich bedrängt. Konstantinopel<br />

war 1453 gefallen. Seither waren‚ die Türken‘, wie<br />

Mit einem<br />

schrecklichen<br />

Blutbad wurde<br />

1453 die Stadt<br />

Konstantinopel<br />

von den<br />

Osmanen<br />

eingenommen;<br />

das war das<br />

Ende des<br />

Römisch-<br />

Byzantinischen<br />

Reiches<br />

Z für Zukunft<br />

63


Historisch<br />

Bild: © Wikipedia<br />

Luther<br />

kritisiert den<br />

fleischlichen<br />

Charakter der<br />

Seligkeit der<br />

Muslime im<br />

Paradies<br />

Persische Miniaturmalerei<br />

aus dem 16. Jahrhundert:<br />

Mohammed im Himmel<br />

man zur Zeit der Reformation meist sagte, auf dem<br />

Vormarsch nach Nordwesten. Man nahm sie wahr<br />

als die Anderen und Fremden, als die bedrohliche<br />

Macht aus dem Südosten. […] Die Muslime nannte<br />

man vor allem ‚Türken‘, ‚Sarazenen‘ … oder schlicht<br />

‚Heiden‘. ‚Türckischer Glaub‘, das hieß seinerzeit<br />

vor allem anderen: ‚Türkengefahr‘. Der osmanische<br />

Sultan Suleiman hatte im Jahr 1521 Belgrad erobert,<br />

1526 fiel das ungarische Mohács.“<br />

Als 1529 „die Türken“ vor Wien standen und<br />

dessen Bürger in größter Lebensgefahr waren,<br />

arbeitete Luther an den Hauptschriften „widder<br />

den Tuercken“. Würde auch Wien bald fallen?<br />

Würden „die Türken“ dann ganz Mitteleuropa<br />

grausam erobern?<br />

Luther und „die Türken“:<br />

12 Empfehlungen an Christen<br />

Die „Heerpredigt widder den Tuercken“ 4 empfiehlt<br />

allen Christen dringlichst, [1.] das Vaterunser,<br />

[2.] die Zehn Gebote und [3.] das evangelische<br />

Glaubensbekenntnis auswendig zu lernen<br />

und im Alltag immer wieder leise aufzusagen,<br />

insbesondere „wo du etwa wirst ein Turckisch<br />

ergernis sehen odder anfechtung haben“. Der<br />

wichtigste Glaubensartikel lautet nach Luther:<br />

„[Ich glaube] an Jhesum Christ seinen [Gottes]<br />

einigen Son unsern Herrn, der empfangen ist<br />

vom heiligen geist, geborn von der iungfrawen<br />

Maria, gelitten hat unter Pontio Pilato, gecreutzigt,<br />

gestorben und begraben, Nidder gefaren<br />

zur hellen, Am dritten tag aufferstanden von den<br />

todten, auffgefaren gen hymel, sitzend zur rechten<br />

Gottes des allmechtigen Vaters, von dannen<br />

er komen wird zu richten die lebendigen und die<br />

todten. [...] Denn an dem artickel ligt dein leben<br />

und seligkeit.“ 5 Damit der „gemeine Mann“ und<br />

seine Kinder [4.] wissen und verstehen, was es<br />

heißt, ein Christ zu sein, schrieb Luther in diesem<br />

Jahr den Kleinen Katechismus.<br />

Laut Luther war der Islam „Gottes Rute“ für<br />

eine von Gott abgefallene, „verlotterte“ Christenheit.<br />

Gott wolle durch „des Teufels Diener“, der als<br />

Gericht auf die Christen losgelassen sei, vor allem<br />

die Papstkirche strafen, die sich dem rechten<br />

Evangelium verweigere. Deshalb lehnte er einen<br />

Kreuzzug gegen die durch eigene Sünde verursachte<br />

Invasion der Türken ab. Vielmehr sei es<br />

Aufgabe der Christen, „… [5.] Buße zu tun, [6.] zu<br />

beten und [7.] sich auf das wahre Evangelium zu<br />

besinnen“ – nur so könne der Türkengefahr begegnet<br />

werden. Für einen [8.] militärischen Überlebens-<br />

und Abwehrkampf ohne Gebietserweiterung<br />

schreibt er aber später – vor dem Hintergrund<br />

möglicher eigener Vernichtung –, der christliche<br />

Soldat sollte, sofern ihn die „Obrigkeit“ rufe, als<br />

Verteidiger gegen den todbringenden Eindringling<br />

„die Faust regen und getrost dreinschlagen,<br />

morden, rauben und Schaden tun, so viel sie<br />

immer vermögen“. 6 „Denn er [der Tuercke] streit<br />

nicht aus not odder sein land ym fride zu schutzen,<br />

als ein ordenlich Obirkeit thut, sondern er suecht<br />

ander land zu rauben und zubeschedigen, die yhm<br />

doch nichts thun odder gethan haben, wie ein<br />

meer reuber odder strassen reuber.“ 7<br />

Im Frühjahr 1542 las Luther einen lateinischen<br />

Koran und beschloss [9a.], ihn ins Deutsche zu<br />

übersetzen, „Das doch bey uns deudschen auch<br />

erkand werde, wie ein schendlicher Glaube des<br />

Mahmets Glaube ist, Da mit wir gesterckt werden<br />

in unserm Christlichen Glauben“. 8 Die Übersetzung<br />

seines Freundes Bibliander durfte aber<br />

nicht gedruckt werden, denn die Baseler Stadtväter<br />

fürchteten mögliche Verführung durch den<br />

Koran. Erst nachdem Luther dazu ein [9b.] Vorwort<br />

mit Widerlegungen des Korans geschrieben<br />

hatte, durfte das Werk erscheinen. Zudem editierte<br />

Luther [10.] die „Widerlegung des Koran“<br />

des Ricoldus (um 1243–1320) und übertrug sie<br />

64<br />

Z für Zukunft


Historisch<br />

ins Deutsche. „Im Koran möge vieles nach christlicher<br />

Lehre klingen, aber es fehle alles, was wichtig<br />

sei, oder es werde grotesk verzerrt: die Lehre von<br />

Christus, dem Sohn Gottes, von der Trinität, von<br />

der Sünde, vom Kreuz, von der Auferstehung, von<br />

der Vergebung allein aus Gnade.“ 9 Markant ist das<br />

Fehlen von Beglaubigungswundern der Sendung<br />

des Propheten Muhammad und der fleischliche<br />

Charakter der Seligkeit der Muslime im Paradies.<br />

All das zeige, wie falsch die islamische Offenbarung<br />

sei. Der Koran habe keine Bestätigung durch das<br />

Alte und Neue Testament, in ihm seien wahre und<br />

falsche Aussagen vermischt. 10 „Er sei ein ‚Moerdisch,<br />

Tyrannisch und wuetig‘ Gesetz, das ‚nicht<br />

Gottes Gesetz sein kann […], Denn es ist kurtz zu<br />

reden ein Gesetz des todes und wuetens‘.“ 11<br />

Luthers Brief nach Basel zeigt, dass einige Elemente<br />

im Islam ihn beeindruckten: der strenge<br />

Monotheismus, das Leben ihrer „‚Priester‘, ohne<br />

Wein und Saufen und Fressen, die Disziplin und<br />

Stille des Gebets, samt Geschlechtertrennung<br />

[und] ordentlicher Kleidung der Frauen.“ 12 Doch<br />

das, so Luther, sei alles nur [11] „äußerlich, ein<br />

Blendwerk, vor dessen Wirkung sich der Christ in<br />

Acht zu nehmen habe. In der Sache und im Kern<br />

sei der Islam falsch, die ‚Türken‘ ehrten ‚den teuffel<br />

an Gottes stat‘.“ 13<br />

Luther hatte in seinen jungen Jahren noch die<br />

Hoffnung gehabt, einige [12] Türken zum christlichen,<br />

evangelischen Glauben zu bringen, was er<br />

später aufgab, „denn sie sind ‚so hart verstockt,<br />

dass sie fast alle unsere Glaubensartikel spotten<br />

und höhnisch verlachen‘.“ 14<br />

Wenn Luther heute „die Türken“<br />

beobachten würde …<br />

… er hätte hunderttausende Muslime über die Türkei<br />

nach Europa und vor allem nach Deutschland<br />

strömen sehen. Von den USA angeführte Kriege<br />

in aller Welt, mangelhafte Hilfe in kriegsnahen<br />

Flüchtlingslagern, die Weigerung reicher muslimischer<br />

Golfländer, Flüchtlinge aufzunehmen, der<br />

Wunsch vieler Menschen nach hohem Komfort,<br />

Lockrufe der deutschen Regierung und krimineller<br />

Schlepperbanden ins verheißene Paradies, Aufrufe<br />

des „Islamischen Staates“ zum totalen Krieg<br />

in Europa 15 – all das verfehlt seine Wirkung nicht.<br />

Mehr Islam in Europa sowie Entvölkerung und<br />

verstärkte Verelendung der Herkunftsregionen<br />

sind die Folge.<br />

Luther wäre entsetzt, dass gerade Deutschland<br />

und die EU dem islamistischen, Völkermord leugnenden,<br />

Kurden unterdrückenden, Folter begünstigenden,<br />

die Meinungsfreiheit mit Füßen tretenden<br />

Präsidenten und Neu-Sultan Recep Tayyip Erdoğan<br />

eine neue Schlüsselrolle und Macht geben. Gewaltige<br />

Geldsummen (6000 x 1 Mio. Euro) sollen fließen,<br />

wenn die Türkei vorübergehend Notunterbringung,<br />

Auswahl und Zuordnung von Menschenströmen<br />

nach Deutschland und Europa übernimmt – wohlgemerkt:<br />

ohne wirkliche Nachweispflicht aufseiten<br />

der Türkei. Türkische Politik wird so die Entwicklung<br />

deutscher Regionen mitbestimmen.<br />

Würde Luther verstehen, dass die Ditib, der<br />

deutsche Arm des türkischen Religionsministeriums,<br />

seine Imame als bezahlte türkische Staatsbeamte<br />

in knapp tausend deutsche Moscheen<br />

sendet? 16 Das Religionsministerium hat in Ankara<br />

mehr Mitarbeiter als das dortige Innen- und das<br />

Außenministerium. Es bringt türkische Politik in<br />

deutsche Moscheen und fordert Islamunterricht<br />

in Deutschland, um auch in den Schulen Einfluss<br />

zu bekommen. Manche Bundesländer wollen<br />

Staatsverträge schließen!<br />

Wie schon Luther bekannt, sind Nationalgefühl<br />

und Nationalismus im Türkischen eng verknüpft<br />

mit der islamischen Identität. 17 Regierungschef<br />

Recep Tayyip Erdoğan zitierte in einer politischen<br />

Rede – damals noch als Oberbürgermeister von<br />

Istanbul – 1997 in der Stadt Siirt: „Die Moscheen<br />

sind unsere Baracken, die Minarette unsere Bajonette,<br />

die Kuppeln unsere Helme, die Gläubigen<br />

unsere Soldaten.“ Diese im Balkankrieg 1913<br />

veröffentlichten gotteskriegerischen Verse aus<br />

dem Gedicht „Asker Duasi“ (Gebet eines Soldaten)<br />

stammen von Ziya Gökalp (1876–1924),<br />

dem Chefideologen der Partei „Einheit und Fortschritt“,<br />

die den Völkermord an den Armeniern,<br />

aramäischsprachigen Christen und kleinasiatischen<br />

Griechen auf dem Gewissen hat, eben den<br />

Völkermord, den Erdoğan bis heute leugnet und<br />

Fotos: © Wikipedia<br />

Für Luther war der Koran ein<br />

„Moerdisch, Tyrannisch und<br />

wuetig“ Gesetz, das nicht<br />

Gottes Gesetz sein kann<br />

Regierungschef Recep Tayyip<br />

Erdoğan ist bekannt für<br />

markige Sprüche<br />

Völkermord an Albanern.<br />

Offizielles russisches Foto,<br />

herausgeber von Droschks<br />

unter Kommandant Bikoff<br />

Einige Elemente<br />

im Islam beeindruckten<br />

Luther<br />

aber auch: Das<br />

Leben ihrer<br />

‚Priester‘, ohne<br />

Wein und Saufen<br />

und Fressen. Im<br />

Gegensatz zu seinen<br />

Kollegen<br />

Z für Zukunft<br />

65


Historisch<br />

Sultan Selim I. der Grausame<br />

(1470–1520). Als erster<br />

osmanischer Herrscher führte<br />

er den Titel des Kalifen und war<br />

Hüter der heiligen Stätten.<br />

Oben: Yavuz-Sultan-Selim-Brücke.<br />

2164 m Länge, 322 m hoch.<br />

Foto: © Wikipedia, U.S. Naval<br />

Forces Europe-Africa<br />

von dem auch bei uns nur wenig bekannt ist.<br />

1988 wurde die zweite Bosporus-Brücke nach<br />

Sultan Mehmet Fatih benannt, dem grausamen<br />

Eroberer Konstantinopels. 2013 wurde am 660.<br />

Jahrestag jener Eroberung der Grundstein zur<br />

dritten Bosporus-Brücke gelegt. Benannt wird<br />

sie nach Sultan Selim I., der in Luthers Zeit von<br />

1512 bis 1520 das Osmanische Reich regierte.<br />

Seinen Beinamen Yavuz, „der Grausame“, verdankt<br />

er dem gnadenlosen Vorgehen gegen seine<br />

Gegner – kein Herrscher hat so viele liberale Aleviten<br />

abschlachten lassen wie er. 18 Unter dem<br />

Neusultan unserer Tage, der für seinen Sohn das<br />

Kalifat muslimischer Weltherrschaft vorbereiten<br />

will, wird die Hagia Sophia in Istanbul Schritt für<br />

Schritt wieder zur Moschee: 19 Erstmals seit 85<br />

Jahren hat 2016 ein Imam vom Inneren des riesigen<br />

Allah-Hauses zum Morgengebet aufgerufen,<br />

live übertragen vom türkischen Staatsfernsehen.<br />

Luther würde die Wahlrede Erdoğans 2015<br />

anlässlich des 562. Jahrestags der Eroberung<br />

Konstantinopels ernst nehmen: „Eroberung heißt<br />

Mekka. Eroberung heißt Sultan Saladin, heißt, in<br />

Jerusalem wieder die Fahne des Islams wehen zu<br />

lassen.“ Eroberung bedeutet, „das Erbe Sultan<br />

Fatih Mehmeds zu wahren“. „Eroberung bedeutet,<br />

die Türkei wieder auf die Beine zu bringen. Eroberung<br />

ist 1994 (Wahl Erdoğans zum Oberbürgermeister<br />

von Istanbul). Eroberung ist der 7. Juni<br />

(Wiederwahl seiner Partei und Person)“ 20 – und<br />

etwas später: „Alle, die behaupten, Jerusalem sei<br />

die heilige Stadt der Juden, sollen sich noch einmal<br />

dafür schämen. Sie sollen sich schämen! Wir<br />

haben den Namen Saladin gewählt, um mit Gottes<br />

Hilfe diese Botschaft zu senden: Jerusalem gehört<br />

für immer den Kurden, den Türken, den Arabern,<br />

den Muslimen!“ ‒ „Ihr seid die Generation, die<br />

Damaskus und Jerusalem erobern wird“, hatte<br />

ein Einpeitscher vor Beginn der Menge zugerufen.<br />

Nach Angaben von GFP 21 hat die Türkei<br />

inzwischen die weltweit achtstärkste Armee aufgebaut<br />

(2017 das stärkste muslimische Heer der<br />

Welt). Sie hat 382 850 aktive Soldaten! Deutschland<br />

liegt mit nur 180 000 aktiven Soldaten auf<br />

Rang neun.<br />

„Die Demokratie ist nur der Zug, auf den<br />

wir aufspringen, bis wir am Ziel sind“, 22 hatte<br />

Erdoğan zu Beginn seiner Karriere gesagt. Er<br />

ist gut vorangekommen. „Human Rights Watch“<br />

bestätigt, dass Ankara den Behörden im Ausnahmezustand<br />

einen „Blankoscheck“ 23 für Folter<br />

gegeben habe. Hört man einen 2016 in Istanbul<br />

gefolterten Insassen, dann ist das Mittelalter in<br />

die Türkei zurückgekehrt: „Sie drohten mir, während<br />

sie meine Sexualorgane quetschten, und<br />

schlugen mich auf widerwärtige Weise. Einer<br />

sagte: ‚Ich habe deine Mutter hierhergebracht<br />

und vergewaltige sie vor dir, wenn du nicht<br />

redest.‘“ Aus der Erdoğan-Hochburg Deutschland<br />

erhielt dieser 2017 63 % der Stimmen deutscher<br />

Türken zu Veränderungen hin zu einem noch diktatorischeren,<br />

islamistischen Regime – bald soll<br />

visafreier Zugang nach Deutschland gewährt<br />

werden. Luther würde den „deutschen Fürsten“<br />

persönlich gegenübertreten und ihnen gewaltig<br />

ins Gewissen reden. Doch wie sollen wir „normalen“<br />

Christen uns verhalten?<br />

66<br />

Z für Zukunft


Historisch<br />

Luther und „die Türken“:<br />

Übereinstimmungen und Ergänzungen<br />

aus heutiger Sicht<br />

Zunächst kann es für Christen nur gut sein, nach<br />

Luther [1.] das Vaterunser, [2.] die Zehn Gebote und<br />

[3.] das apostolische Glaubensbekenntnis auswendig<br />

zu lernen und im Alltag zur Glaubensstärkung<br />

wie Josua sich immer wieder leise vorzusagen. 24<br />

[4.] Die Aneignung eines Kleinen Katechismus<br />

reformatorischen Bekenntnisses z. B. durch Glaubensgrundkurse<br />

ist absolut sinnvoll. Ebenso, ihn<br />

den Kindern weiterzugeben, statt sich auf den<br />

bibelkritischen Religionsunterricht der Schulen<br />

zu verlassen.<br />

Luther sah den Islam als „Gottes Rute“ für eine<br />

von Gott abgefallene Christenheit. Seine Sicht<br />

des Islams als „des Teufels Diener“ führt in die<br />

Betrachtung des Paulusworts: „Seid stark in dem<br />

Herrn [Jesus] und in der Macht seiner Stärke.<br />

Zieht an die Waffenrüstung Gottes, damit ihr<br />

bestehen könnt gegen die listigen Anschläge des<br />

Teufels. Denn wir haben nicht mit Fleisch und Blut<br />

zu kämpfen, sondern mit Mächtigen und Gewaltigen,<br />

nämlich mit den Herren der Welt, die in dieser<br />

Finsternis herrschen, mit den bösen Geistern unter<br />

dem Himmel.“ 25 Unsere Feinde sind zuerst finstere<br />

Mächte, die durch unsere Sünden Macht gegen<br />

uns erlangen, und nicht Menschen aus Fleisch und<br />

Blut. So können wir mit Luther sagen, dass wir als<br />

Christen auf eventuelle muslimische Bedrohungen<br />

nicht reagieren durch die Teilnahme an Expansionskriegen<br />

außerhalb der deutschen Grenzen,<br />

sondern dass es wichtig ist, [5.] tiefe Buße zu tun<br />

über den Abfall von Gott und seinem Wort im eigenen<br />

Leben, in Gemeinde und Gesellschaft, [6.] zu<br />

beten auch für die Obrigkeit 26 und [7.] sich auf das<br />

wahre Evangelium zu besinnen. So kann der Islamisierung<br />

ernsthaft begegnet werden.<br />

[8.] Bei militärischen Abwehrkämpfen gegen<br />

islamistische Staaten oder Terrorakte in Deutschland<br />

und Europa muss uns das von Gottes Wort<br />

geprägte Gewissen leiten: „Liebe Gott von ganzem<br />

Herzen und deinen Nächsten wie dich selbst“ –<br />

hierin ist ganz sicher auch ein Schutzauftrag des<br />

Lebens eingebettet. Der Überlebenskampf wird<br />

sich bei Fortsetzung der Einwanderung, insbesondere<br />

ohne sichere Identitätsprüfung und bei<br />

lapidarem Strafmaß in voller Dramatik abspielen.<br />

Bei Gefahr kann der Staat als „Obrigkeit“ in den<br />

bewaffneten Kampf rufen – bei freier Zustimmung<br />

des Bürgers mit gutem Gewissen. Der Christ, ob<br />

als Soldat, Polizist oder Bürger, soll sich in alledem<br />

angemessen verhalten und sich Jesu Christi<br />

würdig erweisen. Er ist an die Bibel, an Gewissen,<br />

Recht und Gesetz gebunden. Hier könnte die<br />

mittelalterliche Ausdrucksweise Luthers missverstanden<br />

werden im Sinne von „gleicher Reaktion<br />

auf brutale Aktionen des Feindes“. Aber Christen<br />

dürfen sich nie auf das Niveau religiös-fanatischer<br />

Verbrecher begeben. Die Feindes-Retterliebe<br />

Christi und das Gedenken an Hitlers<br />

Schreckensjahre müssen uns hiervor bewahren.<br />

[9.] Unverfälschte Übersetzungen des Korans,<br />

denen biblische Widerlegungen seiner vielen<br />

antichristlichen Aussagen beigegeben sind, sollten<br />

Teil des Lehrdienstes werden, samt Hilfen,<br />

um Muslimen den Weg der Rettung allein in Jesus<br />

Christus zu zeigen. Das trifft natürlich auch zu<br />

auf [10.] umfassendere Auslegungen des Korans<br />

samt Widerlegungen und biblisch begründete<br />

Kommentare zum Leben Mohammeds.<br />

[11.] Die Retterliebe des Herrn Jesus gebietet,<br />

jedem Menschen einschließlich aller Muslime als<br />

Geschöpfen Gottes in Offenheit zu begegnen. Es<br />

ist aber auch der Hinweis Luthers richtig, sich<br />

nicht von äußerlichen Formen, Kleidung, Menge<br />

der Menschen, anderem „Blendwerk“, Manipulation,<br />

Verharmlosung oder Druck und Gewalt<br />

beeindrucken zu lassen. Das Heil, die ewige Rettung<br />

liegt allein in Jesus Christus, dem sündlosen<br />

Sohn Gottes, der am Kreuz auf Golgatha stellvertretend<br />

für die Sünder sein Blut und Leben<br />

opferte, für sie in den Tod ging und für sie von den<br />

Toten auferstand. Jeder, der dieses Opfer für sich<br />

persönlich in Anspruch nimmt, Buße tut und als<br />

Jünger des Herrn Jesus an ihn glaubt, wird nicht<br />

verloren gehen, sondern das ewige Leben haben.<br />

[12.] Wir geben nicht wie Luther die Hoffnung<br />

auf, Türken und andere Muslime in Retterliebe<br />

zum christlichen evangelischen Glauben zu<br />

führen, auch wenn das viel Geduld und Langmut<br />

erfordert. Wir haben den evangelistischen Auftrag<br />

Luther sah den<br />

Islam als „Gottes<br />

Rute“ für eine von<br />

Gott abgefallene<br />

Christenheit.<br />

Er empfahl, „tiefe<br />

Buße zu tun über<br />

die Abkehr von<br />

Gottes Wort im<br />

eigenen Leben,<br />

in Gemeinde und<br />

Gesellschaft“<br />

Z für Zukunft<br />

67


Historisch<br />

Wir sind herausgefordert,<br />

auch<br />

entgegen dem<br />

Mainstream, für<br />

verfolgte Christen<br />

in der muslimischen<br />

Welt und<br />

im eigenen Land<br />

öffentlich<br />

einzutreten<br />

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in Deutschland und den missionarischen Auftrag<br />

für alle muslimischen Völker bis an die Enden der<br />

Erde! In den letzten 25 Jahren haben sich mehr<br />

Muslime dafür entschieden, Jesus nachzufolgen,<br />

als in den gesamten 14 Jahrhunderten davor.<br />

[13.] Der prophetische Auftrag verlangt öffentliches<br />

Eintreten, auch entgegen dem Mainstream:<br />

für verfolgte Christen in der muslimischen Welt<br />

und dem eigenen Land, das Warnen vor Wegen,<br />

die in unserem Land den Frieden, freie Religionsausübung<br />

und freien Religionswechsel zunehmend<br />

gefährden, das Aufzeigen realer Gefahren und ihrer<br />

Ursachen in Islam, Islamisierung, Terrorismus und<br />

muslimischen Großreichen wie dem Osmanischen.<br />

[14.] Der uns anbefohlene Hirtendienst samt<br />

Diakonie öffnet die Türen zur Hilfestellung für<br />

alle notleidenden, kranken, verführten oder armen<br />

Menschen. Er betrifft natürlich auch die neuen Einwanderer.<br />

Der soziale christliche Liebesdienst verbunden<br />

mit dem Wort Gottes ist gleichzeitig Ausdruck<br />

von Barmherzigkeit und Retterliebe. Möge<br />

noch vielen Muslimen nach dem Maß unserer Kraft<br />

geholfen werden zur Rettung für ihre Seelen und<br />

zum Aufbau ihres Lebens nach dem Willen Gottes.<br />

Martin Luther hat uns „zu den Türken“<br />

noch heute sehr viel Wichtiges zu<br />

sagen. Seinem Konzept sind<br />

Die »Z-Trilogie«<br />

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124 S. Best.-Nr: 453.104.013,<br />

► Gender-Ideologie<br />

Nr. 15/16,<br />

164 S. Best.-Nr: 453.104.015<br />

► Postfaktisch –<br />

Meinungsbildung<br />

Nr. 17/18, 120 S.<br />

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neben den genannten Korrekturen vor allem<br />

Evangelisation, Mission und Liebesdienste hinzuzufügen.<br />

Eine Reformation heute kann alle 14<br />

Elemente in das Glaubens- und Gemeindeleben<br />

integrieren. Packen wir es an!<br />

(redaktionell bearbeitet, Hervorhebungen hinzugefügt)<br />

1 Maurer, Andreas. Basiswissen Islam, „Das Osmanenreich“. Holzgerlingen:<br />

SCM Hänssler 2008, S. 40–41.<br />

2 Yeór, Bat. Der Niedergang des orientalischen Christentums unter<br />

dem Islam. Gräfelfing: Resch, 2. Auflage 2005, S. 316.<br />

3 Geschäftsführender Ausschuss der Konferenz für Islamfragen der<br />

EKD. Impulspapier Reformation und Islam 2015, S. 7, 11.<br />

4 Ebenda, S. 12.<br />

5 Ebenda.<br />

6 Ihle, Marc P. „Luthers Türkenschriften“, http://www.blauenarzisse.de<br />

(Stand 25.10.2016).<br />

7 Impulspapier, S. 13.<br />

8 Ebenda.<br />

9 Ebenda, S. 15.<br />

10 Paulus, Christiane. Islam und Reformation – Martin Luther im muslimischen<br />

Diskurs. Herausgeber © Museum der Weltkulturen, Frankfurt<br />

a. M. 2008.<br />

11 Impulspapier, S. 15.<br />

12 Ebenda, S. 14.<br />

13 Ebenda.<br />

14 Paulus, 2008.<br />

15 Diehl, Jörg, in „Spiegel Online“: „Sicherheitslage – Zahl der Hinweise<br />

auf mutmaßliche Terroristen unter Flüchtlingen steigt“ (10.02.2016).<br />

Flückiger, Jan, in der NZZ: „Internationaler Terrorismus – Der IS nutzt<br />

Flüchtlingsströme gezielt“ (05.08.2016).<br />

16 Dittrich, Monika; Pick, Ulrich, im Deutschlandfunk: „Die Kritik an<br />

Ditib ist berechtigt“ (04.08.2016).<br />

17 Internationale Gesellschaft für Menschenrechte. Wer in der Türkei<br />

Christ ist, zahlt einen Preis dafür – Auf dem Weg nach Europa: Eine<br />

Schlussfolgerung. IGFM 2007.<br />

18 Hermann, Rainer, in der FAZ: „Istanbul – Brooklyn Bridge über den<br />

Bosporus“ (26.08.2016).<br />

19 Bernath, Markus, in „Der Tagesspiegel“: „Erdogan und die zweite<br />

Eroberung Konstantinopels“ (03.07.2016).<br />

20 Yücel, Denis, in „Die Welt“: „Erdogan schwärmt von der Eroberung<br />

Jerusalems“ (16.10.2015).<br />

21 „Global Fire Power – Countries Ranked by Military Strength“<br />

(17.08.2017).<br />

22 Yücel, Denis, in „Die Welt“: „Erdogan – der Kalif, der aus der Volksneurose<br />

kam“ (03.04.2016).<br />

23 kgp in „Der Stern“: „Nach dem Putsch – Menschenrechtler: Ankara<br />

gibt ‚Blankoscheck‘ für Folter“ (26.10.2016).<br />

24 Josua 1,9.<br />

25 Epheser 6,10–12.<br />

26 1. Timotheus 2,2.<br />

Z 17/18 »Postfaktisch«<br />

Wie ist das mit der Wahrheit, wo kommen Fakten her?<br />

Diese »Z« lässt hier ein Licht aufgehen!<br />

• Was macht Globalisierung mit uns? •<br />

Ernten wir, was wir einst gesät? • Lüge<br />

regiert die Welt • Attraktive Geisterbeschwörer<br />

– lächerliche Christen?<br />

QR zur Leseprobe<br />

68<br />

Z für Zukunft


Historisch<br />

Kommen Reformatoren<br />

in den Himmel?<br />

Bild: © Wikipedia, Genter Altar<br />

In einer Trilogie beschreibt Rick Joyner prophetische Visionen, die ihn mit dem Geschehen<br />

im himmlischen Bereich in Berührung gebracht haben. Dabei begegneten ihm<br />

bedeutende Persönlichkeiten der Kirchengeschichte, darunter auch ein Reformator.<br />

Erstaunlicherweise befand sich dieser im äußersten Bereich, bei den „Geringsten“.<br />

Was ist von solchen Visionen<br />

zu halten? Sind das Träume,<br />

Ergebnis blühender Fantasie?<br />

Rick Joyner antwortet auf die<br />

Frage, wie er diese empfangen<br />

hat: „Da Gott immer noch derselbe ist, spricht er<br />

zu Menschen auch heute wie in biblischen Zeiten.<br />

Das können wir die ganze Kirchengeschichte hindurch<br />

verfolgen. Am Ende eines Zeitabschnittes<br />

verdichtet sich die Intensität von Visionen und<br />

Prophetien, wie Petrus in seiner Pfingstpredigt<br />

erklärt. Ganz offensichtlich nähern wir uns dem<br />

Ende eines Zeitalters.“<br />

Es gibt viele Ebenen prophetischer Erfahrungen:<br />

bildhafte Eindrücke, bewusste Wahrnehmung<br />

der Gegenwart Gottes, Visionen und<br />

Träume. Die Visionen, die Rick Joyner hier<br />

beschreibt, begannen mit einem Traum. „Aber<br />

ich blieb immer handlungsfähig und nahm meine<br />

Umgebung bewusst wahr. Ich konnte zum Beispiel<br />

Anrufe entgegennehmen. Wurde eine Vision<br />

dadurch unterbrochen, konnte ich sie danach<br />

genau an dem Punkt fortsetzen, wo sie aufgehört<br />

hatte. Dabei machte ich Erfahrungen, die<br />

ich als eine starke Form der Gabe der Unterscheidung<br />

und des Wortes der Erkenntnis bezeichnen<br />

möchte“, erklärt Rick Joyner.<br />

Foto: © Morningstar Ministries<br />

Z für Zukunft<br />

69


Historisch<br />

Zwischen sieben Leuchtern<br />

steht eine Gestalt mit langem<br />

Gewand, feurigen Augen, sieben<br />

Sternen in der Rechten und<br />

einem Schwert aus dem Mund<br />

Holzschnitt zur Offenbarung<br />

in der „Biblia“ 1545<br />

Solche<br />

Prophetien<br />

werden gegeben,<br />

um Gottes<br />

Strategien zu<br />

erkennen,<br />

aber auch, um<br />

Aussagen der<br />

Bibel klarer zu<br />

beleuchten<br />

Rick Joyner,<br />

„Der letzte Aufbruch“<br />

Buch bestellen<br />

Er betont ausdrücklich:<br />

„Ich glaube nicht, dass<br />

irgend eine Form prophetischer<br />

Offenbarung dazu<br />

dienen soll, daraus eine<br />

Theologie zu entwickeln.<br />

Dafür haben wir die Heilige<br />

Schrift. Solche Prophetien<br />

werden gegeben, um eine<br />

gegenwärtige oder zukünftige<br />

Strategie Gottes zu erkennen, aber auch, um<br />

Aussagen der Bibel klarer zu beleuchten.“<br />

Ein kurzer Einblick<br />

in diese Vison:<br />

Bei den „törichten Jungfrauen“<br />

Bald mündete der Weg in eine Halle, die so groß<br />

war, dass ich dachte, auf der ganzen Erde sei kein<br />

Platz für sie. Ihre Schönheit war mit Begriffen<br />

menschlicher Architektur nicht zu erfassen. Sie<br />

übertraf alles, was ich je erlebt hatte. Am anderen<br />

Ende war die Quelle der Herrlichkeit, die alles in<br />

diesem Raum überstrahlte: der Richterstuhl Christi,<br />

Ursprung größter Geborgenheit und zugleich<br />

Quelle einer tieferen, aber reineren Furcht.<br />

Ich bemerkte, dass meine Gedanken hier<br />

bedauerlicherweise genauso dumm waren wie auf<br />

der Erde – nur: Hier konnte jeder sie lesen! Einer<br />

antwortete auf meine Gedanken: „Unser Verstand<br />

ist nicht mehr länger von Sünde getrübt, deshalb<br />

sind wir fähig, ein Vielfaches von dem zu begreifen,<br />

was selbst der größte Denker auf Erden nicht<br />

ergründen kann. Unsere Fähigkeit, zu verstehen,<br />

wird die ganze Ewigkeit hindurch zunehmen. Auf<br />

der Erde kannst du nicht ansatzweise verstehen,<br />

was der Geringste hier weiß – und wir sind die<br />

Geringsten von allen hier!“<br />

„Wie könnt ihr die Geringsten sein? Bei dieser<br />

Herrlichkeit?“, fragte ich ungläubig.<br />

„Der Lohn für unser irdisches Leben ist unsere<br />

Stellung, die wir hier für immer einnehmen. Wir<br />

hier sind diejenigen, die Jesus als die ‚törichten<br />

Jungfrauen‘ bezeichnete. Wir haben zwar das<br />

Kreuz als das Mittel unserer Erlösung gewählt,<br />

aber nicht für Christus gelebt, sondern für uns<br />

selbst. Es gibt keine größere Torheit, als die Erlösung<br />

Gottes zu kennen und doch weiter für sich<br />

selbst zu leben.“<br />

Ich fing an, über all die Zeit nachzudenken,<br />

die ich in meinem Leben vergeudet hatte. Das<br />

überwältigte mich. Bestimmte Dinge des Lebens<br />

zogen an mir vorüber, und ich empfand schrecklichen<br />

Schmerz über verschiedene Sünden. „Auch<br />

ich gehöre zu diesen törichten Jungfrauen“,<br />

dachte ich.<br />

Ich erkannte einige, die als die größten geistlichen<br />

Leiter ihrer Zeit gelten; sie waren hier unter<br />

den „törichten Jungfrauen“.<br />

Zerstörerischer Stolz<br />

Ein Mann sprach mich an, den ich immer für den<br />

größten geistlichen Leiter aller Zeiten gehalten<br />

hatte: „Gegen Ende seines Lebens sagte der<br />

Apostel Paulus, dass er der Geringste aller Heiligen<br />

sei. Kurz vor seinem Tod nannte er sich sogar<br />

den Größten aller Sünder. Hätte er das nicht während<br />

seines Lebens auf der Erde gelernt, wäre<br />

auch er in Gefahr gewesen, im Himmel einer<br />

der geringsten Heiligen zu sein. Aber weil er es<br />

gelernt hat, kann er Christus nun ganz nahe sein<br />

und in Ewigkeit einen der höchsten Ränge im<br />

Himmel einnehmen.“<br />

Diesen Mann unter den törichten Jungfrauen<br />

zu sehen, war eine große Überraschung für mich.<br />

„Warum sind Sie hier?“<br />

„Ich bin hier, weil ich einen der schwersten<br />

Fehler begangen habe, den man begehen kann,<br />

wenn einem das herrliche Evangelium anvertraut<br />

ist. Der Apostel Paulus hielt sich zuerst den großen<br />

Aposteln gegenüber für gleichrangig; am<br />

Ende aber hielt er sich für einen der größten Sünder.<br />

Ich habe es umgekehrt gemacht: Ich fing an<br />

in dem Bewusstsein, einer der größten Sünder zu<br />

sein, der Gnade gefunden hat, hielt mich aber am<br />

Ende für einen der größten Apostel. Aus großem<br />

Stolz, nicht aus Unsicherheit, fing ich an jeden<br />

anzugreifen, der etwas anders sah als ich.<br />

Denen, die mir folgten, raubte ich ihre Berufung,<br />

ja sogar ihre Persönlichkeit, und setzte sie<br />

unter Druck, so zu werden wie ich. Niemanden<br />

ließ ich ihn selber sein. Niemand wagte, mich zu<br />

hinterfragen, denn ich hätte ihn zermalmt. Ich<br />

dachte, ich könnte mich größer machen, indem<br />

70<br />

Z für Zukunft


Historisch<br />

ich andere erniedrige. Von außen sah mein Dienst<br />

aus wie eine perfekt funktionierende Maschine;<br />

aber es war eine Zuchthaus-Ordnung: Ich machte<br />

aus den Kindern des Herrn Roboter, sie wurden<br />

zu meinem Ebenbild anstatt zu seinem.<br />

Am Ende dienten sie nicht mehr dem Herrn,<br />

sondern dem Götzen, den ich aus mir gemacht<br />

hatte. Am Ende meines Lebens war ich in Wirklichkeit<br />

ein Feind des Evangeliums, wenn auch meine<br />

Lehren und Schriften unanfechtbar schienen.“<br />

„Wenn Sie ein Feind des wahren Evangeliums<br />

geworden sind, warum sind Sie dann trotzdem<br />

hier?“, wollte ich wissen.<br />

„Es war Gottes Gnade, dass ich dem Kreuz vertraute,<br />

wenn es um meine eigene Errettung ging.<br />

Andere hielt ich davon ab, indem ich sie zu mir<br />

selbst und nicht zu ihm führte. Aber auch da ist<br />

der Herr treu, selbst wenn wir untreu werden. Es<br />

war seine Gnade, dass er mich früher als geplant<br />

von der Erde nahm, damit die Menschen unter<br />

mir zu ihm finden und ihn erkennen konnten!“<br />

„Bei Gott sieht Geschichte<br />

ganz anders aus“<br />

Das von diesem Mann zu hören, erschütterte<br />

mich zutiefst; die Geschichte hat uns ein ganz<br />

anderes Bild von ihm vermittelt!<br />

Er konnte lesen, was in meinem Herzen vor<br />

sich ging: „Bei Gott sieht Geschichte ganz anders<br />

aus. Irdische Geschichte wird vergehen, aber die<br />

Bücher, die hier geschrieben werden, bleiben für<br />

immer. Wenn du dich darüber freuen kannst, was<br />

der Himmel über dein Leben berichtet, dann bist<br />

du wirklich gesegnet.<br />

Menschen sehen wie durch ein dunkles Glas,<br />

immer verzerrt, und manchmal sogar völlig falsch.“<br />

„Kann ich, wieder auf der Erde, die Geschichte<br />

richtig beurteilen, weil ich hier war?“<br />

„Du bist hier, weil du gebetet hast, dass der<br />

Herr dich richten und ohne Rücksicht zurechtweisen<br />

möge, damit du ihm noch besser dienen<br />

kannst. Das war eine deiner weisesten Bitten<br />

überhaupt. Der Weise richtet sich selbst, damit<br />

er nicht gerichtet wird. Die noch Weiseren bitten<br />

um das Gericht des Herrn, denn sie erkennen,<br />

dass nicht einmal sie selber sich recht beurteilen<br />

können. Mir wurde<br />

erlaubt, mit dir zu reden,<br />

denn in einem gewissen<br />

Sinne habe ich dich durch<br />

meine Bücher unterrichtet“,<br />

schloss der berühmte<br />

Reformator.<br />

„Nur mit einer<br />

reinen Seele“<br />

Eine Frau kam hinzu, ich kannte sie nicht. Ihre<br />

Schönheit war atemberaubend, aber nicht auf<br />

eine sinnliche Weise.<br />

„Auf Erden war ich seine Frau; vieles, was du<br />

über ihn weißt, stammt eigentlich von mir, deshalb<br />

geht es nicht nur um ihn, sondern um uns beide. Du<br />

kannst die Kirche reformieren, ohne deine eigene<br />

Seele zu reformieren. Du kannst den Lauf der<br />

Geschichte prägen und doch nicht den Willen des<br />

Vaters tun, nicht seinen Sohn verherrlichen.“<br />

Ich entgegnete: „Aber Ihr Werk hatte einen<br />

starken und guten Einfluss auf die nachfolgenden<br />

Generationen. Wie dunkel wäre die Welt, hätte es<br />

Sie nicht gegeben!“<br />

„Du kannst die ganze Welt gewinnen und doch<br />

deine eigene Seele verlieren. Nur mit einer reinen<br />

Seele kannst du die Welt prägen mit dem ewigen<br />

Anliegen Gottes. Mein Mann hat seine Seele<br />

an mich verloren; vieles, was er tat, tat er mehr<br />

für mich als für den Herrn. Ich setzte ihn unter<br />

Druck und vermittelte ihm sogar viele der Einsichten,<br />

die er lehrte. Ich benutzte ihn als Fortsetzung<br />

meines Egos, denn als Frau durfte ich<br />

damals kein geistliches Amt ausüben. Ich nahm<br />

sein Leben in meine Hand, damit ich mich durch<br />

ihn ausleben konnte. Bald tat er alles, um mir<br />

wohlgefällig zu sein.“<br />

„Sie müssen sie sehr geliebt haben“, sagte ich<br />

zu ihm.<br />

„Nein. Ich habe sie überhaupt nicht geliebt,<br />

und ich habe auch mich nicht geliebt. Nach einigen<br />

Jahren Ehe konnten wir uns nicht einmal<br />

mehr leiden. Aber wir brauchten einander und<br />

so fanden wir einen Weg, miteinander zu arbeiten.<br />

Unsere Ehe war ein Joch der Gebundenheit.<br />

Je erfolgreicher wir wurden, umso unglücklicher<br />

waren wir, und wir betrogen diejenigen, die uns<br />

In der Mitte thront eine<br />

Blitze aussendende, vom<br />

Regenbogen und vier Tieren<br />

umgebene Gestalt, die dem<br />

„Lamm“ ein Buch übergibt<br />

Holzschnitt zur Offenbarung<br />

in der „Biblia“ 1545<br />

„Du kannst<br />

eine Kirche<br />

reformieren,<br />

ohne deine<br />

eigene Seele<br />

zu reformieren.<br />

Du kannst<br />

den Lauf der<br />

Geschichte<br />

prägen und doch<br />

nicht den Willen<br />

des Vaters tun“<br />

Z für Zukunft<br />

71


Historisch<br />

Die vier Reiter: Der erste als Türke<br />

mit dem Krummschwert, der<br />

zweite als „Krieg und Blut“, der<br />

dritte mit der Waage als „teure<br />

Zeit und Hunger“ und der vierte<br />

mit der Sense als „Pestilenz“ mit<br />

dem Höllenrachen hinter ihm<br />

Holzschnitt zur Offenbarung<br />

in der „Biblia“ 1545<br />

Wahre<br />

Reformation<br />

geschieht nur,<br />

wenn man mit<br />

seinem Erlöser<br />

eins wird<br />

folgten. Am Ende unseres<br />

Lebens waren wir arme,<br />

elende Narren.<br />

Je größer der Einfluss,<br />

den man sich selbst verschafft,<br />

umso mehr muss<br />

man kämpfen, um diesen<br />

auch zu erhalten, und umso<br />

dunkler und grausamer wird<br />

das Leben. Könige fürchteten<br />

uns, aber wir fürchteten jeden, vom König bis<br />

zum Bauern. Wir konnten niemandem vertrauen,<br />

wir trauten ja nicht einmal einander. Wenn man<br />

die größten Wahrheiten predigt, selber aber nicht<br />

danach lebt, dann ist man der größte Heuchler.“<br />

Ich konnte sehen, dass mein Leben auch schon<br />

in diese Richtung ging: Was tat ich nicht alles, um<br />

mich groß zu machen anstatt Christus!<br />

Ich betrachtete dieses Ehepaar. Sie legten um<br />

meinetwillen ihre geheimsten Sünden offen und<br />

freuten sich noch darüber.<br />

Dann gab mir der berühmte Reformator eine<br />

letzte Ermahnung mit auf meinen Weg:<br />

„Reformation ist nicht nur eine Lehre“<br />

„Versuche nicht, andere dazu zu bringen, das zu<br />

tun, was du selber nicht tust. Reformation ist nicht<br />

nur eine Lehre. Wahre Reformation geschieht nur,<br />

wenn man mit seinem Erlöser eins wird.<br />

Wenn du mit ihm an einem Strang ziehst und<br />

die Lasten trägst, die er dir gibt, dann wird er auch<br />

bei dir sein und sie für dich tragen. Du kannst sein<br />

Werk nur tun, wenn du es mit ihm zusammen tust,<br />

anstatt es für ihn zu tun.<br />

Nur der Geist kann hervorbringen, was Geist<br />

ist. Wenn du dich mit ihm zusammentust, wirst du<br />

nichts mehr aus reiner Taktik unternehmen oder<br />

um einen Platz in der Geschichte zu bekommen.<br />

Wenn du nicht lebst, was du anderen predigst,<br />

disqualifiziert du dich selber für Gottes hohe<br />

Berufung, so wie wir es taten.<br />

Alles, was du tust, um dich selbst groß zu<br />

machen, wird dir eines Tages die schlimmste<br />

Demütigung bringen. Alles, was du aus echter<br />

Liebe zu dem Erlöser tust, alles, was du tust, um<br />

seinen Namen zu verherrlichen, wird die Grenzen<br />

seines ewigen Reiches erweitern und dir letztlich<br />

einen höheren Platz einbringen. Kümmere dich<br />

nicht darum, was man auf Erden sagt.“<br />

Dann verabschiedeten sich die beiden mit<br />

einer fröhlichen Umarmung. Ich allerdings fühlte<br />

mich alles andere als fröhlich. Erneut wurde ich<br />

von meinen eigenen Sünden überwältigt – die<br />

Erinnerung an Situationen, in denen ich Menschen<br />

ausgenützt hatte, um meinen Ehrgeiz zu<br />

befriedigen, oder den Namen Jesu benutzte, um<br />

mein Ansehen zu verbessern.<br />

„Schau auf den Sohn!“, rief mir die Frau des<br />

Reformators nach.<br />

Gekürzte Auszüge aus: Rick Joyner, „Der letzte Aufbruch“, Schleife<br />

Verlag, Winterthur 1998, 4. Aufl. 1999, S. 15; 16; 88; 90–92; 94;<br />

97–104 (redaktionell bearbeitet, Hervorhebungen hinzugefügt).<br />

Der Autor hat bewusst keine Namen genannt.<br />

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Über Einheit wird<br />

viel geredet, aber was<br />

das sein soll, darüber<br />

gibt es Uneinheit<br />

Nicht überall, wo „Einheit“ draufsteht, ist<br />

auch Einheit drin. Aber was ist Einheit? Eines<br />

ist sicher: Der Feind tut alles, um sie zu verhindern.<br />

Wo ihm das nicht gelingt, erzeugt er die<br />

schillerndsten Imitationen.<br />

In dem Buch wollen wir herausfinden, was<br />

Jesus meint, wenn er von Einheit spricht. Um<br />

was hat er in Johannes 17 wirklich gebetet?<br />

– Um Einheit jedenfalls nicht.<br />

PETER ISCHKA<br />

Hier findest WIE GEHT du die EINHEIT? Anleitung für dein<br />

persönliches Nicht überall, „Einheits-Entwicklungs-Labor“<br />

und ist sicher: konkrete Der Feind tut alles, Hinweise, um sie zu verhindern. wo Wo Einheit<br />

ihm<br />

wo „Einheit“ draufsteht, ist auch drin. Ein Thema, über das große Uneinheit besteht. Eines<br />

das nicht gelingt, erzeugt er die schillernsten Imitationen.<br />

anfängt und wie Einheit in deiner Stadt<br />

In dem Buch wollen wir herausfinden, was Jesus meint,<br />

praktisch wenn werden von Einheit spricht. kann. Um was Du hat selbst er in Johannes spielst<br />

17<br />

eigentlich gebetet? – Um Einheit jedenfalls nicht.<br />

dabei eine Hier findest Schlüsselrolle!<br />

du eine Anleitung für dein persönliches<br />

„Einheits-Entwicklungs-Labor“ und ganz konkrete Hinweise,<br />

Bei der wo Einheit, anfängt die und wie Jesus Einheit in deiner meint, Stadt geht. würde<br />

die Welt<br />

Du selbst<br />

erkennen<br />

spielst dabei eine<br />

und<br />

Schlüsselrolle!<br />

nicht über die<br />

Christen spotten.<br />

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WIE GEHT<br />

EINHEIT<br />

Nicht überall, wo´s draufsteht, ist Einheit drin<br />

72<br />

Z für Zukunft


Historisch<br />

Fotos: © Wikipedia<br />

10 Schandflecke der Reformation<br />

Martin Luther und seine „vier Soli“, wer kennt sie nicht: sola scriptura, sola fide, sola gratia, solus<br />

Christus – allein die Bibel; allein durch Glauben; allein aus Gnade; allein Christus. Luther war eine<br />

apostolische Figur, durch die viel Licht in eine von monopolisierter Religion verdunkelte Welt kam.<br />

Wolfgang Simson<br />

Sein Leben kann grob in zwei Phasen<br />

dargestellt werden: Zu Beginn seiner<br />

reformatorischen Arbeit war Luther<br />

voller Glauben, Revolution und Hoffnung;<br />

gegen Ende seines Lebens<br />

wurde er bitter, verärgert und müde von den vielen<br />

politischen und religiösen Winkelzügen. Es ist<br />

nicht zu übersehen, dass seine Reformation entweder<br />

nicht weit oder nicht tief genug ging; sie<br />

blieb stecken.<br />

„Die Kirche Luthers kämpft mit ungelösten<br />

Herausforderungen“, sagt der Lutheraner Prof.<br />

Gerhard Maier, ein früherer Bischof in Deutschland.<br />

Es gab wenigstens zehn unvollendete oder<br />

gar konträre Bereiche in Luthers Reformation.<br />

Sie sind inzwischen, 500 Jahre danach, zu schwelenden<br />

Krebsherden geworden, die alle betreffen,<br />

die im Protestantismus ihre Wurzel haben.<br />

Die zehn Übel in Luthers Reformation<br />

1) Personenkult. Es liegt in der Natur des religiösen<br />

Menschen, Führungspersonen zu glorifizieren,<br />

ja zu vergöttern. Das geschah auch mit<br />

Luther. (Auch wenn er das selber vielleicht nicht<br />

wollte: „Zum Ersten bitte ich, man solle meines<br />

Namens schweigen und sich nicht lutherisch, sondern<br />

Christen heißen. Was ist Luther?“ – Aber es<br />

geschah doch.)<br />

Die Überhöhung Luthers mit all seinen Stärken<br />

und Schwächen ist das Zentralübel des Protestantismus.<br />

Der Freiraum für Personenkult lenkte<br />

nicht nur von der Zentralität Christi ab, sondern<br />

schuf Raum für ein Heer von Luther-Imitatoren<br />

und Mega-Persönlichkeiten mit Guru-Status, die<br />

sich am Jubel ihrer Anhänger laben.<br />

Anfangs<br />

war Luther<br />

voller Glauben,<br />

Revolution und<br />

Hoffnung; gegen<br />

Ende wurde er<br />

bitter, verärgert<br />

und müde von<br />

den vielen<br />

politischen und<br />

religiösen<br />

Winkelzügen<br />

Z für Zukunft<br />

73


Historisch<br />

Luthers<br />

Theologie von<br />

Kirche nahm<br />

sich nicht die<br />

ersten Christen<br />

zum Vorbild,<br />

sondern blieb<br />

substanziell<br />

katholisch<br />

Foto: © Wikipedia, MathKnight<br />

2) Ein riesiges Defizit an Ethik und biblischer<br />

Rechtsstaatlichkeit. Martin Luther war<br />

zunächst ein asketischer Mönch und wurde später<br />

zum freiheitsliebenden Genuss-Menschen.<br />

Doch das Pendel schlug etwas zu weit ins Gegenteil<br />

– in seinem Versuch, die Gesetzlichkeit des<br />

Katholizismus zu überwinden, verwarf er nicht<br />

nur das Gesetz des Mose, sondern auch die<br />

Rechtsstaatlichkeit in Gottes Königreich, die<br />

darin besteht, dass man die Anordnungen Christi<br />

ernst nimmt und befolgt. Diese bilden die Verfassung,<br />

den grundlegenden Rechtskodex des Königreichs<br />

Gottes. Damit hat Luther das Kind mit<br />

dem Bade ausgeschüttet, mit der Gesetzlichkeit<br />

zugleich die Rechtsstaatlichkeit verworfen.<br />

Dadurch wurde das Luthertum derart lax und<br />

gesetzlos, dass es viele inner-kirchliche Reformbestrebungen<br />

gab, die (leider erfolglos) nach<br />

mehr praxis pietatis riefen, nach mehr biblischer<br />

Ethik, um diesen Punkt zu korrigieren. „Durch<br />

den Einfluss des Liberalismus und der Bibelkritik<br />

ist heute im Luthertum grundsätzlich alles<br />

erlaubt, solange es nicht in der Bibel steht“, sagte<br />

Prof. Georg Huntemann (1929–2014), evangelischer<br />

Professor für Ethik.<br />

Eine späte Frucht der praktischen Gesetzlosigkeit<br />

im Protestantismus ist das<br />

willkommene Missverständnis<br />

von der „billigen Gnade“, auch<br />

hyper-grace genannt: Wenn<br />

alles Gnade ist, dann werden<br />

Regeln, Gesetze und Ethik<br />

nicht nur irrelevant, sondern<br />

sie sind ein ärgerliches Hindernis<br />

für denjenigen, dem<br />

es hauptsächlich darum geht,<br />

Spaß zu haben und seinen<br />

persönlichen Launen und Lüsten<br />

nachzujagen.<br />

3) Ekklesiologie. Luther<br />

wollte nicht eine neue Kirche<br />

gründen, sondern „seine“<br />

römisch-katholische Kirche<br />

reformieren. Seine Ekklesiologie,<br />

also die Theologie von<br />

Kirche, war im Kern nicht aufgebaut<br />

auf dem Königreich, von dem Jesus Christus<br />

andauernd sprach, sondern auf der katholischen<br />

Kirche. Dadurch wurde seine Kirche zur<br />

lutherischen Version der katholischen Kirche.<br />

Für Luther war die Kirche „die Versammlung<br />

aller Gläubigen, bei welchen das Evangelium<br />

rein gepredigt und die heiligen Sakramente dem<br />

Evangelium gemäß gereicht werden“ (Confessio<br />

Augustana).<br />

Im Kern blieb Luther ein Sakramentalist und<br />

ein Veranstaltungs-Prediger, der religiöse Riten<br />

und Liturgien feierte (einschließlich die fälschlich<br />

als heilsbringend verstandene Kinder-Taufe),<br />

und das alles in sakralen Gebäuden. Das typische<br />

evangelische bzw. protestantische Kirchengebäude<br />

ist bis heute eine event location, ein Veranstaltungsort,<br />

und nicht ein Ort, wo das Leben des<br />

Königreichs Gottes als Organismus stattfindet.<br />

4) Verwirrtes Bibelverständnis. Wenn man<br />

Lutheraner fragt: a) Ist die Bibel Gottes Wort, oder<br />

b) enthält sie Gottes Wort?, so ist die Antwort eindeutig:<br />

b! Luther hatte schon immer zu kämpfen<br />

mit für ihn schwierigen Bibelstellen wie etwa dem<br />

Jakobus-Brief und dessen Aufforderung zu Taten<br />

des Glaubensgehorsams. Er nannte den Jakobusbrief<br />

eine „stroherne Epistel“ und bezweifelte gar,<br />

dass er von einem Apostel geschrieben wurde.<br />

Luther unterschied zwischen wichtigen, weniger<br />

wichtigen und problematischen Teilen der<br />

Bibel. Damit legte er Stolpersteine für die Zukunft.<br />

Es ist deshalb kein Zufall, dass die wichtigsten Vertreter<br />

der bibelkritisch-liberalen Theologie aus<br />

dem Luthertum stammen. Nachdem die Bibel im<br />

Luthertum jahrhundertelang der zersetzenden<br />

Bibelkritik ausgeliefert war, ist sie heute in der<br />

Praxis vieler evangelischen Kirchen so belanglos,<br />

dass sie dort nicht viel mehr ist als ein religiöses<br />

literarisches Werk voller Mythen.<br />

5) Die Juden. Luther hoffte, durch sein „evangelisches<br />

Evangelium“ die Juden zu bekehren. Als<br />

sie ihm diesen Gefallen nicht taten, verteufelte er<br />

sie und verstieg sich mit Worten wie: „Verbrennt<br />

sie in ihren Synagogen. Ein solch verzweifeltes,<br />

durchböstes, durchgiftetes, durchteufeltes Ding<br />

ist’s um diese Juden, so diese 1400 Jahre unser<br />

74<br />

Z für Zukunft


Historisch<br />

Plage, Pestilenz und alles Unglück gewesen sind<br />

und noch sind. Summa, wir haben rechte Teufel<br />

an ihnen.“<br />

Der Hass Luthers auf die Juden war so groß,<br />

dass die anti-judaistischen Schmähschriften, die er<br />

verfasste, bis in die Nazizeit wirksam waren; die<br />

Brücken zwischen Protestantismus und Judentum<br />

waren dadurch auf Dauer verbrannt. Es ist kaum<br />

denkbar, dass ein Jude jemals auf einen Protestanten<br />

eifersüchtig werden würde, wie es Paulus<br />

wünscht: „… ob ich vielleicht meine Stammverwandten<br />

zum Nacheifern reizen und einige von<br />

ihnen retten könnte“. 1<br />

6) Mission. Luther war nicht sehr erfolgreich in<br />

dem, was wir heute Mission nennen. Luther hat<br />

missionarisch aber nicht nur bei den Juden versagt,<br />

sondern auch bei den Türken. Luther sah sie<br />

nicht als Missionsfeld, sondern als die „Erzfeinde<br />

Gottes und Plage, Diener des Teufels“. Es ist<br />

schon fast ein Treppenwitz der Geschichte, dass<br />

ausgerechnet diejenigen, die Luther als „Schwärmer“<br />

verdammte, später zur Speerspitze protestantischer<br />

Mission wurden.<br />

7) Hauskirchen. Die „Gemeinde im Haus“ ist<br />

eindeutig die Urform der Kirche; erst im Laufe<br />

der Zeit wurde aus der Hauskirche das Kirchenhaus.<br />

Durch die spätere Vermischung von Staat<br />

und Kirche wurden die Hauskirchen zum Feindbild,<br />

verfolgt vom kontrollierenden Staat und seiner<br />

„Staatskirche“.<br />

Luther hatte zunächst durchaus mit der Idee<br />

von Hauskirchen geliebäugelt; er nannte sie die<br />

„dritte Form der Messe“, meinte aber, er habe<br />

„nicht die Leute dazu“. Später, in seinem Ärger<br />

über den Kontrollverlust und im Zorn auf freie<br />

Prediger und Wiedertäufer, die sich zumeist in<br />

Häusern trafen, wurde er sogar zu einem blutigen<br />

Verfolger dieser Hauskirchen. Im Jahr 1531<br />

unterzeichnete er, gemeinsam mit Melanchthon,<br />

ein Dokument für den Kurfürsten, das für Wiedertäufer<br />

die Todesstrafe forderte. Er nannte sie<br />

eine „Sekte des Teufels, die das Ziel hat, die<br />

wahre Lehre zu zerstören“.<br />

8) Dolchstoß für die Bauern. Die Situation der<br />

Armen war in den Tagen der Feudalherrschaft<br />

Bild: © Wikipedia<br />

dramatisch schlecht. Die katholische Kirche hatte<br />

den sozialen Status zementiert; durch die Reformation<br />

wurden „vor-kommunistische“ Bauern-<br />

Erhebungen ausgelöst wie etwa der Bundschuh-<br />

Aufstand (Lörrach 1517). Das waren Proteste<br />

gegen die Unterdrückung.<br />

Als das Neue Testament im Jahre 1522 auf<br />

Deutsch vorlag, konnten die Bauern und andere<br />

verarmte Bevölkerungsgruppen zentrale Wahrheiten<br />

selber lesen, die ihnen die Kirche lange<br />

vorenthalten hatte: Gläubige teilen ihre Güter;<br />

auch die Reichen mit den Armen, sodass es keine<br />

Bedürftigen mehr unter ihnen gab. 2 Sie erkannten,<br />

dass dieser neutestamentliche Standard der<br />

Gütergemeinschaft revolutionäre Konsequenzen<br />

für sie alle haben würde.<br />

In Memmingen im Allgäu verfassten einige<br />

Bauernführer im Jahr 1525 die berühmt gewordenen<br />

„Zwölf Artikel“ darüber, wie sich das<br />

Leben im Einklang mit Gottes Wort nun ändern<br />

würde. Die Zwölf Artikel gelten als die erste Niederschrift<br />

der allgemeinen Menschenrechte in<br />

Europa, entstanden aus der ersten verfassungsgebenden<br />

Versammlung von Bauerngruppen auf<br />

deutschem Boden.<br />

Luther stimmte diesen Forderungen zunächst<br />

schriftlich zu; später, unter dem Druck der Kurfürsten<br />

und Feudalherren, machte er einen Rückzieher.<br />

So war die Kirche weiterhin nicht bereit,<br />

„Die 12 Artikel“.<br />

Lea Grundig 1955, Blatt 4<br />

aus „Deutscher Bauernkrieg“<br />

Als im<br />

Jahre 1522<br />

Bibeltexte auf<br />

Deutsch vorlagen,<br />

konnten die<br />

Bauern die<br />

zentralen Wahrheiten<br />

selber<br />

lesen, die ihnen<br />

die Kirche lange<br />

vorenthalten<br />

hatte<br />

Z für Zukunft<br />

75


Historisch<br />

Das<br />

Problem<br />

mit der Ich-<br />

Zentriertheit:<br />

Wie entkomme<br />

ich der Hölle?<br />

Wie blühe ich<br />

auf? Wie werde<br />

ich erfolgreich?<br />

Was springt für<br />

mich dabei<br />

heraus?<br />

mit den Armen zu teilen, obwohl das in der frisch<br />

übersetzten Bibel nun jeder lesen konnte. Luther<br />

rief die Bauern zur Geduld und Diplomatie auf;<br />

doch diese hatten bereits zu lange auf Veränderungen<br />

gewartet und hatten das Stillhalten satt.<br />

Manche pöbelten, polterten, einige mordeten.<br />

Daraufhin wechselte Luther die Seiten und<br />

erklärte die Bauern zu Feinden seiner Reformation.<br />

In einer regelrecht dämonischen Schrift mit<br />

dem Titel „Wider die räuberischen und mörderischen<br />

Rotten der Bauern“ rief Luther dazu auf,<br />

man solle die Bauern, die „Teufelswerk treiben“,<br />

„zuschmeißen, würgen und stechen, heimlich<br />

oder öffentlich, wer da kann, und gedenken, dass<br />

nichts Giftigers, Schädlichers, Teuflischers sein<br />

kann denn ein aufrührischer Mensch, gleich als<br />

wenn man einen tollen Hund totschlagen muss“.<br />

Damit gab er den Heeren der Adligen die theologische<br />

Genehmigung für einen der blutigsten<br />

Kriege der Geschichte, den Bauernkrieg (1524–<br />

1526), in dem über hunderttausend Arme brutal<br />

umgebracht wurden.<br />

Wer diesen Krieg überlebte, wähnte sich<br />

nicht nur vom Klerus, von Luther oder der<br />

Bibel verlassen, sondern auch von Gott<br />

selbst. In der Folge schworen viele aus der armen<br />

Bevölkerung, nach außen hin jeder Religion zu<br />

huldigen, die man ihnen aufdrängte – im Herzen<br />

aber würden sie Heiden bleiben! Das ist einer der<br />

Gründe, weshalb bis heute der Aberglaube und<br />

heidnische Feste wie Fasnacht, Sonnenwenden<br />

oder neuerdings Halloween die eigentliche Religion<br />

des Volkes geblieben ist.<br />

Das war ein traumatischer Moment für den<br />

Protestantismus: Er verlor hier nicht nur seinen<br />

ansatzweise revolutionären Geist, sondern vor<br />

allem das Vertrauen der Armen. Der Protestantismus<br />

wurde mehr und mehr zum Bewahrer der<br />

alten Ordnung. Er erhebt als Kirche zwar ab und<br />

an den moralischen Zeigefinger und macht halbherzige<br />

(und in aller Regel folgenlose) Einwürfe,<br />

nimmt aber weiterhin fleißig den Armen Kirchensteuern<br />

oder „den Zehnten“ ab.<br />

9) „Wie finde ich?“ Eine der großen Fragen<br />

Luthers war: „Wie finde ich einen gnädigen Gott?“<br />

Doch das blieb nicht die einzige Ich-Frage im Protestantismus.<br />

Weitere folgten: Wie entkomme<br />

ich der Hölle? Wie blühe ich auf? Wie werde ich<br />

erfolgreich? Was springt für mich dabei heraus?<br />

Bis heute hat der Protestantismus diese eingebaute<br />

Ich-Zentriertheit nicht abgelegt. Wer eine<br />

anthropozentrische Sicht (der Mensch steht im<br />

Mittelpunkt) vertritt, hat es nicht leicht, zu einer<br />

theozentrischen Sichtweise (Gott steht im Mittelpunkt)<br />

zu finden. Und genau das ist einer der neuralgischen<br />

Punkte: Denn in Wahrheit stehen nicht<br />

der Mensch und „seine Kirchen“ im Mittelpunkt,<br />

sondern Gott und sein Reich.<br />

10) Billiger Protest. Protestieren war schon<br />

immer billiger, als das alternative Modell zu leben.<br />

Viele Protest-Gruppen haben eines gemeinsam:<br />

Sie schießen sich ein auf die Verantwortlichen<br />

in Politik, Kirche, Wirtschaft und Gesellschaft,<br />

ohne dass sie bereit wären, selber dauerhaft Verantwortung<br />

zu übernehmen. Der protestantische<br />

Urschrei war: „Wir wollen die Kirche reformieren,<br />

aber nicht die alternative Kirche sein.“<br />

Heute flirtet der Protestantismus mit Rom<br />

und gibt sich „ökumenisch“. Längst hat er seine<br />

Motivation verloren, sich selbst – oder andere<br />

– zu reformieren. Eine Reihe lutherischer Theologen<br />

kommt zu der Einsicht, dass die evangelische<br />

Kirche nichts anderes als eine religiöse Bürgerrechts-Bewegung<br />

geworden ist, die sich die<br />

sozialen und politischen Themen anderer auf die<br />

Fahnen schreibt, weil sie ihren ureigenen protestantischen<br />

Impuls (von einem prophetischen ganz<br />

zu schweigen) längst verloren hat. Das Luthertum<br />

reagiert nur noch, weil es die Fähigkeit verloren<br />

hat, pro-aktiv zu sein.<br />

Wolfgang Simson ist Autor und Innovatoren-Coach für Menschen<br />

mit bahnbrechenden Erfindungen in allen Bereichen des<br />

Lebens. Er ist auch der Verfasser des „Kingdom Manifests“, das als<br />

Ergänzung zu diesem Artikel kostenlos abgerufen werden kann<br />

auf: www.simsonmedia.com.<br />

1 Römer 11,14.<br />

2 Apostelgeschichte 2,44.45; 4,32–5,4.<br />

76<br />

Z für Zukunft


Historisch<br />

Die Täufer – eine Provokation<br />

Wie Reformatoren die Reformation blutig niederschlugen<br />

Eine Reformation<br />

des Glaubens<br />

genügte ihnen nicht,<br />

sie wollten eine<br />

Reformation<br />

des Lebens –<br />

und zogen den<br />

Tod vor<br />

Verbrennung von Salzburger<br />

Täufern 1528<br />

Jan Luyken<br />

Mitten in der Reformation, 1525,<br />

lebten die Täufer ihren Glauben<br />

gewaltfrei in einer Gesellschaft,<br />

die sich im Umbruch befand.<br />

Sie strebten nach einer Kirche,<br />

die vom Staat unabhängig war, und trafen<br />

sich in ihren Häusern oder im Freien. Sie tauften<br />

nur Menschen, die sich bewusst für den Glauben<br />

entschieden hatten. Auf dieses Vergehen stand im<br />

16. Jahrhundert die Todesstrafe.<br />

In kurzer Zeit entstanden überall im ganzen<br />

deutschsprachigen Raum Täufer-Gemeinden.<br />

Trotz mancher Auswüchse mit eindeutigen Irrwegen<br />

und massiven Fehlern ist ihr Zeugnis für<br />

das Christentum heute immer noch Vorbild und<br />

Herausforderung.<br />

Die etablierten Kirchen damals und die Landesfürsten,<br />

die, sofern evangelisch, in ihrem<br />

Gebiet ja Oberhaupt der „Landeskirche“ waren,<br />

sahen in den Täufern jedoch eine Gefahr für die<br />

öffentliche Ordnung: Sie wagten es, eine andere<br />

Kirche aufzumachen, eine Kirche, zu der man<br />

gehören konnte oder auch nicht! Die Fürsten<br />

witterten Kontrollverlust – und mussten feststellen,<br />

dass diese Menschen Gott mehr gehorchen<br />

als den Menschen. Das war für die Obrigkeit<br />

unerträglich! So wurden sie blutig verfolgt und<br />

viele erlitten die „Feuertaufe“ – den Tod auf dem<br />

Scheiterhaufen, sie wurden ertränkt oder gnädigerweise<br />

nur geköpft.<br />

So wurden in Mitteleuropa im Namen der Kirche<br />

und der Obrigkeit Tausende von Christen enteignet,<br />

ihrer Kinder beraubt und ermordet. Es<br />

ist tief bewegend, wie die Täufer die Nachfolge<br />

Jesu verstanden haben: Eine Reformation des<br />

Glaubens genügte ihnen nicht, sie wollten eine<br />

Reformation des Lebens. Das ist auch für uns<br />

heute eine Herausforderung, wie damals, so auch<br />

heute: eine Provokation im ursprünglichen Wortsinn<br />

– es will etwas hervorrufen.<br />

Z für Zukunft<br />

77


Historisch<br />

Der Täufer Dirk Willem rettet<br />

seinen Verfolger. In der Folge<br />

kann er selbst nicht mehr<br />

fliehen und wird verbrannt.<br />

Jan Luyken (1685)<br />

Die Täufer, eine<br />

Bewegung, die<br />

die Verbindung<br />

von Staat und<br />

Kirche ablehnte<br />

und den Glauben<br />

leben wollte ohne<br />

Bevormundung<br />

durch den Staat<br />

Wofür es sich zu leben<br />

und zu sterben lohnt<br />

Tausende von Täufern bezahlten für ihre Überzeugung<br />

mit dem Leben. Was gab ihnen die Kraft,<br />

all das auszuhalten – Verfolgung, Enteignung, Folter<br />

und Tod – und dabei Unvorstellbares auf sich<br />

zu nehmen? Darunter liegt die eigentliche Frage:<br />

„Wofür lohnt es sich zu leben und zu sterben?“<br />

Die Täufer hatten eine Antwort gefunden.<br />

Jahrhundertelang hatten Kirche und Staat eine<br />

symbiotische Einheit gebildet; mal hatte der eine<br />

Oberhand, mal der andere. Und niemand wagte,<br />

dieses Gleichgewicht zu stören – bis die Täufer<br />

kamen.<br />

Die Täufer waren die erste überregionale<br />

Bewegung, die die Verbindung von Staat und Kirche<br />

ablehnte und den Glauben leben wollte ohne<br />

den Schutz und die Bevormundung durch den<br />

Staat. Eine unabhängige Kirche war für sie die<br />

logische Konsequenz des Rufes Jesu.<br />

Doch damit gerieten sie in direkte Konfrontation<br />

mit dem Denken und der Tradition ihrer Zeit<br />

und wurden zur Provokation für politische und<br />

kirchliche Machthaber. Die Täufer sahen die<br />

Urchristenheit als ihr Vorbild an, die Christenheit<br />

vor der „Verstaatlichung“ unter Konstantin<br />

und Theodosius.<br />

„Tod oder Taufe!“<br />

Zwischen den ersten Christen und den Täufern<br />

liegen über tausend Jahre; in dieser Zeit<br />

hat sich das Christentum immer weiter von seinen<br />

Ursprüngen entfernt. Die Christen der ersten<br />

Jahrhunderte mussten für ihren Glauben oft<br />

auch einen hohen Preis bezahlen – viele wurden<br />

zu Märtyrern. Das änderte sich nach der konstantinischen<br />

Wende, und noch im selben Jahrhundert<br />

wurde das Christentum Staatsreligion. Im „Heiligen<br />

Römischen Reich Deutscher Nation“ wurde<br />

die Verbindung von Kirche und Staat noch enger.<br />

Ganze germanische Volksstämme traten geschlossen<br />

zum Christentum über; der Einzelne durfte<br />

nicht von der herrschenden Überzeugung abweichen.<br />

Massenbekehrungen, oder besser: die<br />

Zwangsbekehrung von Stämmen, die nicht selten<br />

wählen mussten: „Tod oder Taufe!“, führten<br />

häufig zu einer nur äußerlichen Hinwendung<br />

zum christlichen Glauben. Die meisten hatten nie<br />

erfahren, was Nachfolge Jesu eigentlich bedeutet;<br />

auch deshalb hat sich das Christentum mit Volksglauben<br />

und heidnischen Elementen vermischt.<br />

Auch der Tod<br />

brachte sie nicht zum Schweigen<br />

Im 16. Jahrhundert wurden immer mehr Stimmen<br />

laut, die eine Erneuerung der Kirche forderten.<br />

Viele Mönche und Priester, wie Luther, von Witmarsum,<br />

Zwingli, Hubmaier, Denck, Sattler oder<br />

Marpeck, wollten die Worte Christi und der Apostel<br />

ganz neu lesen und verstehen. Nachdem dank<br />

Buchdruck und Übersetzung das Wort Gottes in die<br />

Hände des Volkes gelangt war, ließ sich die neue<br />

Bewegung nicht mehr aufhalten – weder von der<br />

römisch-katholischen Kirche noch vom Kaiser.<br />

Luthers Reformation blieb jedoch auf halbem<br />

Weg stehen, ebenso wie die von Zwingli. Beide<br />

wollten zwar eine Erneuerung der Kirche, scheuten<br />

sich aber, ihr Bündnis mit dem Staat infrage zu stellen;<br />

andere sahen genau darin ein mit dem Glauben<br />

unvereinbares Zugeständnis, und bald folgten Tausende<br />

dem Ruf zur Kompromisslosigkeit. Sie sahen<br />

in den ersten Jüngern Jesu Vorbilder, die erwachsene<br />

Menschen zur Umkehr riefen und sie daraufhin<br />

tauften – und wurden deshalb von ihren Feinden<br />

„Wiedertäufer“ genannt, von jenen, die an der<br />

Zwangsbesprengung von Säuglingen festhielten.<br />

Konrad Grebel in Zürich, anfänglich ein Mitarbeiter<br />

Zwinglis, oder Hans Denck, der noch vor<br />

Luther die alttestamentlichen Propheten aus dem<br />

78<br />

Z für Zukunft


Historisch<br />

Hebräischen übersetzte, und andere Täufer konnten<br />

nicht schweigen. Sie erhoben ihre Stimme,<br />

sie verfassten Schriften. Vieles davon wurde im<br />

Gefängnis geschrieben, dort standen keine Nachschlagewerke<br />

zur Verfügung, Schriftstellen wurden<br />

oft aus dem Gedächtnis zitiert. Die Texte wimmelten<br />

von Schreib- und Formfehlern. Aber die Täufer<br />

wussten um die Macht des Wortes – und ihre Schriften<br />

erschütterten halb Europa und verbreiteten sich<br />

rasch über den deutschsprachigen Raum hinaus.<br />

Katholiken verbrannten die Schriften, Luther<br />

verfluchte sie, Zwingli und Bucer verfassten scharfe<br />

Entgegnungen. Europäische Fürsten erklärten<br />

Verbreitung und Besitz von Täuferschriften zu<br />

einem todeswürdigen Verbrechen.<br />

Ein Fläschchen mit Zaubertrank?<br />

Schon bald fragte man sich, wo die noch junge<br />

Täuferbewegung ihre Kraft hernahm.<br />

Irgendwo im Inntal wurde eine merkwürdige<br />

Geschichte in die Welt gesetzt: Die Täufer hätten<br />

ein Fläschchen, von dessen zauberkräftigem<br />

Inhalt selbst der Teufel keine Ahnung habe; ein<br />

winziger Schluck genüge, um jemanden völlig<br />

unter ihren Einfluss zu bringen. Kein Geld der<br />

Welt und keine Verlockung des Lebens könne<br />

solch einen Menschen wieder zu dem machen,<br />

der er gewesen war.<br />

Leonhard Schiemer ergriff 1527 die Gelegenheit,<br />

auf dieses Gerücht zu antworten. Er war<br />

bereits im Gefängnis und wurde kurz darauf in<br />

Rattenberg am Inn hingerichtet.<br />

„Ich gebe es zu. Lass es uns ein Fläschchen<br />

nennen. Und wie du sagst, weiß nicht einmal der<br />

Teufel, was darinnen ist. … Es ist wahr, wer daraus<br />

trinkt, aus dem wird ein anderer Mensch. Der<br />

Trank in diesem Fläschchen ist nichts anderes als<br />

ein gestoßenes, zu Pulver zerriebenes und betrübtes<br />

Herz, zerstoßen mit dem Mörser des Kreuzes.<br />

… Aus diesem Fläschlein trank unser lieber Bruder<br />

und Freund Christus am Kreuz. In diesem<br />

Fläschchen ist eine so wirksame Flüssigkeit, dass<br />

jemand sogleich ein anderer Mensch wird, dass<br />

sogar seine Nachbarn es merken. Wenn einer<br />

davon kostet, so verlässt er alles, was er hat. …<br />

Niemand weiß es, als der es empfängt.“<br />

Christus folgen bis in den Tod<br />

Christus nachfolgen hieß für die Täufer mehr als<br />

seine Gebote halten, mehr als ein öffentliches<br />

Bekenntnis – es war für sie auch die Bereitschaft,<br />

für ihren Herrn in den Tod zu gehen. Sie wollten<br />

Jesus Christus kennen und wie die ersten Jünger<br />

in Gemeinschaft mit ihm leben. Dazu gehörten<br />

auch Transparenz und Offenheit untereinander:<br />

„Wenn wir aber im Licht wandeln, wie er im Licht<br />

ist, haben wir Gemeinschaft miteinander, und das<br />

Blut Jesu reinigt uns von jeder Sünde.“ 1 Sie sprachen<br />

lieber von „Gemeinschaft“ als von „Kirche“.<br />

Die Täufer beteten freimütig zu Christus direkt;<br />

es lag ihnen fern, auf die Vermittlung durch Heilige<br />

oder Maria zu setzen. Sie gebrauchten auch<br />

keine Anbetungsformeln wie „Allmächtiger Gott!“,<br />

wie sie die „korrekte“ Lehre der Reformatoren<br />

hervorgebracht hatte. Sie beteten einfach zu Gott,<br />

dem Vater, oder zu Christus, ihrem Bruder.<br />

Wolfgang Brandhuber, ein „Diener am Wort“<br />

– so bezeichneten die Täufer ihre Prediger und<br />

unterstrichen damit ihre antiklerikale Überzeugung,<br />

dass es in der Gemeinde keine hierarchische<br />

Struktur geben solle –, Brandhuber also<br />

schrieb 1529: „Wer Gott fürchtet, sieht auch<br />

all seine Gedanken und Werke in anderem<br />

Licht. Das Licht ist Christus, der Wille des<br />

Vaters ist durch ihn offenbart. Seine wahre<br />

Menschlichkeit hat uns den Weg bereitet, damit<br />

am letzten Tag niemand eine Ausrede habe. Seinem<br />

Willen soll all unser inneres und äußeres<br />

Handeln folgen. Ich und der Vater sind eins,<br />

spricht der Herr.“<br />

Kurz danach wurde Wolfgang Brandhuber mit<br />

siebzig anderen Täufern zum Tode durch „Feuer,<br />

Wasser und Schwert“ verurteilt.<br />

Gelassenheit<br />

Die Täufer gebrauchten das Wort „Gelassenheit“<br />

anders, als wir es gewohnt sind – sie meinten<br />

damit, alles loszulassen. Hans Haffner schrieb<br />

im Passauer Festungsturm ein Traktat: „Wahre<br />

Gelassenheit beinhaltet zweierlei: Verfolgung<br />

erdulden, sich selbst überwinden. Wenn sie uns<br />

auf die Backe schlagen, bieten wir ihnen auch die<br />

andere an. … Wir müssen uns von der Art unserer<br />

Foto: © Wikipedia<br />

Die Täufer<br />

waren bereit,<br />

für ihren Herrn<br />

in den Tod<br />

zu gehen.<br />

Sie wollten<br />

Jesus Christus<br />

kennen und wie<br />

die ersten Jünger<br />

in Gemeinschaft<br />

mit ihm leben<br />

Z für Zukunft<br />

79


Historisch<br />

Foto: © Wikipedia<br />

Luther fand<br />

die Schrift<br />

und die<br />

„reine Lehre“;<br />

die Täufer<br />

fanden in der<br />

Schrift Christus.<br />

Zwei unterschiedliche<br />

Richtungen<br />

Die Taufe Christi war den<br />

Täufern Vorbild.<br />

Miniatur aus dem<br />

Hitdar-Evangeliar, um 1020<br />

menschlichen Natur entwöhnen, wie ein Kind von<br />

der Mutterbrust entwöhnt werden muss. Wir müssen<br />

bereit sein, Frau und Kind, Vater und Mutter,<br />

Land und Besitz, ja unser Leben … aufzugeben …<br />

für Christus.“<br />

Die Täufer suchten nicht nach Ausgewogenheit.<br />

Sie hatten genug von Jesus verstanden, um<br />

ihm radikal nachzufolgen.<br />

Klaus Felbinger, ein junger Missionar der Täufer,<br />

schrieb aus einem Turmverlies im bayerischen<br />

Landshut kurz vor seiner Hinrichtung 1560:<br />

„Die Welt ist zur Wildnis geworden, versunken<br />

in Sünde, sie weiß kaum etwas oder nichts<br />

von Gott. Und nun ist die Lehre des Evangeliums<br />

selbst zu einer neuen ketzerischen Lehre geworden,<br />

eine Irrlehre in den Augen der Welt.“<br />

Das war die Reaktion der Reformierten auf die<br />

Täufer: Sie nannten sie Irrlehrer, Verrückte oder<br />

Narren. – Wo haben sich die Wege Luthers und<br />

die der Täufer getrennt? Luther fand die Schrift<br />

und die „reine Lehre“; Täufer fanden Christus.<br />

Ihre Entdeckungen führten sie in völlig verschiedene<br />

Richtungen.<br />

Das Augsburger Bekenntnis<br />

Auf dem Augsburger Reichstag 1530 legten die<br />

protestantischen Reichsstände Kaiser Karl V.<br />

das von Philipp Melanchthon zusammengestellte<br />

„Augsburger Bekenntnis“ vor. Dieses in den lutherischen<br />

Kirchen bis heute gültige Bekenntnis will<br />

eine „ausgewogene und vernünftige“ Position einnehmen.<br />

Unter anderem heißt es darin:<br />

„Von der Staatsordnung wird gelehrt, dass<br />

alle Obrigkeit in der Welt und Gesetze gute Ordnung<br />

sind, die von Gott geschaffen und eingesetzt<br />

sind, und dass Christen ohne Sünde in Obrigkeit<br />

und Richteramt tätig sein können, nach kaiserlichen<br />

und anderen geltenden Rechten Urteile und<br />

Recht sprechen, Übeltäter mit dem Schwert strafen,<br />

rechtmäßig Kriege führen.<br />

Hiermit werden die [Wiedertäufer] verdammt,<br />

die lehren, dass das oben Angezeigte unchristlich<br />

sei. Auch werden diejenigen verdammt, die<br />

lehren, dass es christliche Vollkommenheit sei,<br />

Haus und Hof, Weib und Kind leiblich verlassen<br />

und dies alles aufzugeben, wo doch allein das die<br />

rechte Vollkommenheit ist: rechte Furcht Gottes<br />

und rechter Glaube an Gott.“<br />

Das Augsburger Bekenntnis enthält vier Verdammungen<br />

der „Wiedertäufer“. Melanchthon<br />

wollte damit eine Brücke schlagen zur altgläubigen<br />

römisch-katholischen Kirche und die Reformation<br />

als vereinbar mit Staat und Herrschaft<br />

darstellen.<br />

In den reformierten Gebieten der Schweiz<br />

fragten sich Zwingli und Calvin, wie mit der „täuferischen<br />

Pest“ umzugehen sei. „Man könnte den<br />

Untergang der Welt nicht besser in Gang setzen<br />

… als mit dem Versuch, die zivile Ordnung und die<br />

Staatsgewalt niederzureißen.“<br />

Paulus: Theologe ‒ oder<br />

Narr um Christi willen?<br />

Für die Reformatoren war die Bibel höchste Autorität.<br />

Da sie meinten, die „rechte“ Auslegung<br />

gefunden zu haben, galt ihre fromme Verehrung<br />

dem Buch; aber die Menschen, die<br />

Jesus nachfolgen wollten, verfolgten sie, ja,<br />

sie führten Kriege zur Verteidigung der Bibel und<br />

ihrer, der Reformatoren Lehre.<br />

Für die Täufer hingegen war die Bibel einfach<br />

das Buch, das sie zu Jesus brachte. Die Reformatoren<br />

fanden den „Schlüssel“ zur Auslegung der<br />

Bibel in den Briefen des Apostel Paulus; die Täufer<br />

hingegen fanden diesen Schlüssel in Jesus und<br />

in seiner Bergpredigt. Die Reformatoren sahen in<br />

Paulus den großen Theologen, die Täufer einen<br />

Mann, der alles aufgab und „ein Narr um Christi<br />

willen“ wurde. Sie fanden Gemeinschaft mit ihm<br />

in seinem Märtyrertod. Die Reformatoren lebten<br />

im Gehorsam gegenüber der Obrigkeit, die Täufer<br />

im Gehorsam gegenüber Christus.<br />

Ein Beispiel von Hunderten<br />

1528 tauchte in der Reichsstadt Schwäbisch<br />

Gmünd ein junger Mann namens Martin Zehetmayer<br />

auf. Er zog als Sänger von Haus zu Haus;<br />

seine Lieder riefen zur Nachfolge Jesu. Seine<br />

Ernsthaftigkeit und Echtheit beeindruckte vor<br />

allem junge Menschen, und noch bevor der Stadtrat<br />

begriff, was geschah, hatte Martin schon über<br />

hundert Menschen getauft. Sie trafen sich in ihren<br />

Häusern und feierten heimlich das Abendmahl.<br />

80<br />

Z für Zukunft


Historisch<br />

Nach einer dieser Versammlungen wurde<br />

Zehetmayer festgenommen. Die Anklage lautete,<br />

er habe die Armen, die einfachen Leute und die<br />

Jugend der Stadt verführt. Mit ihm wurden 40<br />

weitere gefangen genommen, darunter 19 Mädchen<br />

und Frauen.<br />

Sie folterten Martin auf der Streckbank und warfen<br />

ihm sexuelle Vergehen vor. Doch er hatte nichts<br />

zu bekennen, als dass er Jesus nachfolgen und mit<br />

den Gläubigen auch alle Güter teilen wollte.<br />

Im Dezember 1529 holte man sieben „Verstockte“<br />

aus ihren Zellen und machte ihnen „zum<br />

Wohl der Stadt“ öffentlich den Prozess; unter<br />

ihnen waren auch eine junge Frau und der Sohn<br />

eines Müllers. Die sieben blieben bei ihrer „Sturheit“;<br />

so überführte das Gericht sie der Ketzerei<br />

und fällte das Todesurteil. Drei Tage später wurden<br />

sie in Ketten auf ein gefrorenes abgeerntetes<br />

Feld vor der Stadt geführt. Die Vornehmen der<br />

Stadt folgten auf Pferden, das Volk zog in großen<br />

Scharen hinterher. Der Lärm der Trommler<br />

machte jede Unterhaltung unmöglich.<br />

Doch was war das? Der jüngste der Sieben, der<br />

Sohn des Müllers, schrie aus Leibeskräften. Er<br />

übertönte die Trommeln und viele konnten seine<br />

Worte verstehen: „Lasst ab von euren Sünden und<br />

eurer Ungerechtigkeit! Kehrt um zu Gott! Es ist<br />

kein anderer Weg ins Himmelreich als der Herr<br />

Jesus Christus, der für eure Befreiung am Kreuz<br />

gestorben ist!“<br />

Einer der berittenen Edelleute konnte es nicht<br />

ertragen, dass der Junge getötet werden sollte.<br />

Er bat um Erlaubnis, mit ihm zu sprechen: „Mein<br />

Sohn, lass ab von deiner Verführung und widerrufe.<br />

Schone dein junges Leben! Ich will dich<br />

in mein Haus aufnehmen und dich stets bei mir<br />

behalten. Wenn du mir folgst, sollst du dein Leben<br />

lang gute Tage bei mir haben.“<br />

Doch der junge Mann antwortete: „Das wolle<br />

Gott niemals zulassen, dass ich das irdische<br />

Leben behalte und das ewige verliere. Da würde<br />

ich töricht handeln. Nein, ich will das nicht tun.<br />

Dein Gut kann weder dir noch mir helfen, ich will<br />

meinen Geist Gott übergeben und Christus anbefehlen,<br />

damit sein bitteres Leiden am Kreuz an<br />

mir nicht umsonst war.“<br />

Alle sieben wurden geköpft und ein Schrecken<br />

erfasste das Volk. Es wurde erzählt, in jener<br />

Nacht sei ein Leuchten über der Stadt und ein<br />

Gesang von Engeln zu hören gewesen.<br />

Die Urteilsfindung<br />

Die sieben Gefangenen waren zum Tode verurteilt<br />

worden. Aber starben sie aufgrund dieses Urteils?<br />

Nein, sie starben, weil sie selbst zu einer unendlich<br />

höheren Urteilsfindung gekommen waren:<br />

dass sie recht handelten, wenn sie Jesus in allem<br />

nachfolgten. Ihr inneres Urteil machte sie stärker<br />

als alle äußeren Verurteilungen.<br />

Sie folgten Jesus in Taufe, Brotbrechen, Gewaltfreiheit<br />

– und auch in eine neue, völlig andere<br />

Herrschaftsordnung. Und sie waren bereit, ihm<br />

nachzufolgen auch in Leiden, ja bis in den Tod.<br />

Ihre Verfolger spürten das und es erfüllte sie<br />

mit Schrecken. Sie ahnten, dass gegen solch<br />

innere Urteilskraft nicht anzukommen war.<br />

Was sollten sie ausrichten gegen Leute, die<br />

die Todesstrafe lieber wollten als ein Leben in<br />

Reichtum und Wohlstand im Haus eines Edelmannes?<br />

Weder Tradition noch Gesetz, keine Familie,<br />

nicht Kaiser, Schwert, Papst oder Kirche konnten<br />

etwas ausrichten gegen ein solches inneres Urteil.<br />

Dieser Artikel ist ein kurzer Ausschnitt der ersten 60 Seiten des<br />

330-seitigen Buches „Feuertaufe – das radikale Leben der Täufer –<br />

eine Provokation“. Peter Hoover, erschienen bei „Down to Earth“.<br />

ISBN 3-935992-23- 8 (redaktionell bearbeitet).<br />

http://shop.agentur-pji.com/feuertaufe.html<br />

1 1. Johannes 1,7.<br />

Täufergericht 1529 in<br />

Schwäbisch Gmünd.<br />

Jan Luyken (1685)<br />

Die<br />

Reformatoren<br />

lebten im<br />

Gehorsam<br />

gegenüber<br />

der Obrigkeit,<br />

die Täufer im<br />

Gehorsam<br />

gegenüber<br />

Christus<br />

Z für Zukunft<br />

81


Historisch<br />

Ekklesiozid<br />

mit Schwert, Scheiterhaufen und Galeere<br />

Hinrichtung von Jan van<br />

Leiden in Münster 1536;<br />

Stich, Hermann von<br />

Kerrsenbroick, 1771<br />

An den<br />

Verfolgungen<br />

waren neben<br />

den staatlichen<br />

Behörden auch<br />

die römischkatholische,<br />

die<br />

lutherische und<br />

die reformierte<br />

Geistlichkeit<br />

beteiligt<br />

Etwa 1000 namentlich erfasste Täufer<br />

ließen im 16. und 17. Jahrhundert<br />

aufgrund ihrer Glaubensüberzeugungen<br />

ihr Leben. Davon sind etwa 800<br />

Namen im mennonitischen Märtyrerspiegel<br />

erfasst. Das Geschichtsbuch der Hutterischen<br />

Brüder beschreibt auf rund 670 Seiten viele<br />

Einzelschicksale täuferischer Märtyrer. Die Täuferforschung<br />

geht davon aus, dass die dokumentierte<br />

Zahl der Opfer mindestens verdoppelt werden muss;<br />

aber auch das wird dem ganzen Ausmaß der Verfolgung<br />

nicht gerecht: Täufer wurden ihres Besitzes<br />

beraubt, des Landes verwiesen und in die Sklaverei<br />

verkauft. An den Verfolgungen waren neben den<br />

staatlichen Behörden auch die römisch-katholische<br />

Kirche, die lutherische und die reformierte Geistlichkeit<br />

beteiligt.<br />

Besonders lang anhaltend war die Verfolgung<br />

der Täufer in der Schweiz. Die reformierten Städte<br />

Zürich und Bern verhängten noch im 17. Jahrhundert<br />

die in den meisten Fällen tödlich endende<br />

Galeerenstrafe. Die Stadt Bern richtete 1699 eine<br />

besondere „Täuferkammer“ ein, die die Verfolgung<br />

koordinieren und die Güter der geflohenen oder<br />

vertriebenen Täufer verwalten sollte; es gab sogar<br />

„Täuferjäger“! Allein 1709 sollen mit Hilfe der Täuferkammer<br />

etwa 500 Personen aus der Schweiz<br />

vertrieben worden sein. Nahezu 25 Prozent der<br />

Hinrichtungen in protestantischen Gebieten des<br />

Deutschen Reiches fanden in Kursachsen statt;<br />

hier hatte sich bereits 1531 Philipp Melanchthon in<br />

einem Gutachten für die Todesstrafe für aufrührerische<br />

Täufer ausgesprochen. Auch in den Niederlanden<br />

endeten viele Täufer auf dem Scheiterhaufen.<br />

Im Erzbistum Salzburg wurde im April 1523<br />

bekannt, dass sich in Salzburg neben Anhängern<br />

Luthers auch Wiedertäufer befänden; als ihr<br />

Anführer wurde Hans Hut vermutet (daher kommt<br />

die Bezeichnung „Hutterer“). Man spürte eine Versammlung<br />

von 32 Täufern auf; von ihnen wurden<br />

drei verbrannt, fünf durch das Schwert hingerichtet,<br />

eine Frau und ein sechzehnjähriges Mädchen<br />

wurden ertränkt. Vier Tage später wurden wieder<br />

vier Täufer zum Scheiterhaufen geführt, vier<br />

Widerrufende enthauptet und fünf mitsamt dem<br />

Versammlungshaus verbrannt. Die überlebenden<br />

Täufer gingen nach Tirol.<br />

Im Weinviertel wurden 1538 in den Verliesen<br />

der Burg Falkenstein zahlreiche aus Mähren vertriebene<br />

Täufer inhaftiert. Die Frauen und Kinder<br />

wurden bald wieder freigelassen, die Männer<br />

kamen in Triest auf habsburgische Galeeren.<br />

Der Täuferforscher Wolfgang Krauss spricht<br />

im Blick auf das Ausmaß des Martyriums, das die<br />

Täufer durchlitten haben, von „Ekklesiozid“.<br />

In manchen Territorien fanden die Gesetze<br />

gegen die Täufer keine strikte Anwendung. Man<br />

verwies die Angehörigen der Täufergemeinden,<br />

die nicht „abschwören“ wollten, des Landes oder<br />

sprach eine Duldung aus, sofern sich die Täufer in<br />

aller Stille versammelten und auf Missionierung<br />

verzichteten. Unter dem hessischen Landgrafen<br />

Philipp I., einem Lutheraner, kam die Todesstrafe<br />

trotz Androhungen nicht zur Anwendung.<br />

Anlässlich des „Täuferjahres 2007“ baten Vertreter<br />

der Reformierten Kirche der Schweiz die<br />

Nachfahren der Täuferbewegung um Vergebung.<br />

Bei einem Bußgottesdienst in Stuttgart (Juli 2010)<br />

legte auch der Lutherische Weltbund gegenüber<br />

Vertretern der reformatorischen Täuferbewegung<br />

ein umfassendes Schuldbekenntnis ab.<br />

Quelle: https://de.wikipedia.org/wiki/Täufer (Zugriff am 3.11.2017).<br />

82<br />

Z für Zukunft


Historisch<br />

Lernen aus der<br />

Erweckungsgeschichte<br />

Erweckungen im 20. Jahrhundert in Wales und auf den schottischen Hebriden<br />

Hanspeter Nüesch<br />

Foto: © Postkarte aus jener Zeit<br />

Von der Erweckungsgeschichte können<br />

wir für unsere Zeit eine Menge<br />

lernen, um auch für einen neuen<br />

geistlichen Aufbruch in Europa vorbereitet<br />

zu sein. Ich habe insbesondere<br />

die zwei Erweckungen des 20. Jahrhunderts<br />

in Europa studiert, die in Wales (1904–1906) und<br />

die auf den schottischen Hebriden (1949–1952),<br />

um Merkmale und Voraussetzungen zu verifizieren<br />

– und zu erkennen, was das für uns heute<br />

bedeuten könnte.<br />

Eine persönliche Erweckung erleben<br />

1972, während meines Sprachaufenthaltes in<br />

England, erfuhr mein oberflächlicher Glaube eine<br />

dramatische Wende. In einer tiefen persönlichen<br />

Krise erkannte ich meinen innerlichen Zustand<br />

schonungslos deutlich. Zum ersten Mal wurde<br />

mir klar: Ohne die Erfüllung durch den Heiligen<br />

Geist kann ich kein glaubwürdiger Christ sein.<br />

Im Gebet übergab ich Jesus Christus die Leitung<br />

über mein ganzes Leben, und was ich daraufhin<br />

erlebte, war eine gewaltige persönliche<br />

Erweckung, ein geistliches Wachwerden, eine<br />

Bevollmächtigung durch den Heiligen Geist, eine<br />

grundlegende Veränderung.<br />

Nach diesem Tag fanden Menschen um mich<br />

herum zum Glauben. Eine depressive Schweizerin,<br />

der ich seit Wochen von Jesus erzählt hatte, verlor<br />

ihren Argwohn mir gegenüber, wie sie sagte, und<br />

nahm Jesus Christus als Erlöser und Herrn auf.<br />

Eine griechische Studentin, die im selben Haus<br />

wohnte, wollte noch auf dem Weg zur Schule mitten<br />

auf dem Weg Gott in ihr Leben einladen.<br />

Ohne mein Zutun wurden sich Menschen ihrer<br />

Sündhaftigkeit bewusst und wollten mit Gott ins<br />

Reine kommen. Gottes Gegenwart war manchmal<br />

so stark, dass in einem Fall zwei buddhistisch<br />

erzogene Japaner ausriefen: „Jetzt erleben<br />

wir den Gott, von dem du sprichst“, während<br />

gleichzeitig ein Mann aus Panama zum<br />

Restaurant hinausrannte, weil er diese<br />

Atmosphäre offensichtlich nicht mehr<br />

aushielt.<br />

Ein italienischer Playboy, der sich<br />

über die wachsende Bibelgruppe in der<br />

Es kamen so viele Menschen<br />

zu den öffentlichen Predigten,<br />

dass man Veranstaltungen ins<br />

Freie verlegen musste<br />

Foto: Postkarte 1905<br />

Hanspeter und Vreni Nüesch<br />

haben sich eingehend mit<br />

„Erweckung“ befasst<br />

Z für Zukunft<br />

83


Historisch<br />

Gleichzeitig begriff ich, dass Erweckung untrennbar<br />

mit Evangelisation zusammenhängt: Erweckung<br />

macht die Menschen Gottes bewusst, und<br />

Evangelisation zeigt auf, wie sie Vergebung ihrer<br />

Sünden erhalten können. Bei meinem eigenen<br />

Aufbruch erlebte ich zum ersten Mal, was Erweckung<br />

ist und welch entscheidende Rolle der Heilige<br />

Geist spielt, aber auch das ernsthafte Gebet,<br />

damit Menschen zu einem lebendigen Glauben<br />

gelangen und zu echter Lebensveränderung.<br />

Bei meinem Studium der Erweckungsgeschichte<br />

ist mir aufgefallen, wie stark das eine<br />

das andere fördert: Die evangelistische Verkündigung<br />

war gerade dort um ein Vielfaches<br />

effektiver, wo Christen als Antwort auf außerordentliches<br />

Gebet zuvor selbst Erweckung<br />

erlebt hatten und neu mit dem Heiligen Geist<br />

erfüllt worden waren.<br />

Im Jahr 1906 wurde über die<br />

Erweckung in Wales auch<br />

in Deutschlands berichtet.<br />

Das Interesse am Evanglium<br />

nahm deutlich zu. Die Zelte<br />

der Deutschen Zeltmission<br />

konnten die Interessierten<br />

nicht mehr fassen,<br />

wie hier in Elberfeld.<br />

Foto: Postkarte aus jener Zeit<br />

Cafeteria lustig gemacht hatte, kam zu uns mit<br />

den Worten: „Mich interessiert nicht, was ihr<br />

da lest, mich interessiert nur, wie ich mit Gott<br />

ins Reine kommen kann.“ Und eine lebenslustige<br />

Sprachlehrerin, die ich an den Tanzabenden<br />

der Schule als gute Tänzerin kennengelernt<br />

hatte, fragte eines Morgens: „Ich konnte<br />

die ganze Nacht nicht schlafen, weil ich Angst<br />

hatte um meine Seele. Habt ihr so etwas auch<br />

schon erlebt?“ Auf meine Antwort: „Sie müssen<br />

Ihr Leben Jesus Christus unterwerfen (surrender)!“,<br />

korrigierte sie mich, ganz Lehrerin: „Nein,<br />

Sie müssen Ihr Leben Jesus Christus anvertrauen<br />

(commit)!“, worauf ich meinte: „Ja, das ist es, was<br />

Sie tun müssen!“<br />

Erweckung und Evangelisation<br />

1906 lud man den Evangelisten Reuben Archer<br />

Torrey an die Tersteegen-Ruh-Konferenz in Mühlheim<br />

an der Ruhr ein, um von ihm Näheres über<br />

die Erweckung in Wales zu erfahren. Seine Botschaft<br />

von der vollständigen Hingabe und dem<br />

Erfülltsein mit dem Heiligen Geist schlug bei den<br />

anwesenden Leitern ein wie eine Bombe. Eine<br />

direkte Folge war, dass evangelistische Aktivitäten<br />

ihre Wirkung vervielfachten und die drei Zelte<br />

der Deutschen Zeltmission die Menschen, die mit<br />

Gott ins Reine kommen wollten, kaum noch fassen<br />

konnten. Wenn solche Aufbruchsströme aber<br />

nicht einfach über das Land hinwegfließen, sondern<br />

eine tiefgreifende Veränderung bewirken<br />

sollen, sind konstante Evangelisation und Anleitung<br />

in der Nachfolge Jesu unabdingbar.<br />

Sehen wir uns hier insbesondere die beiden<br />

Erweckungen des 20. Jahrhunderts in Europa an,<br />

die in Wales (1904–1906) und die auf den schottischen<br />

Hebriden (1949–1952), um herauszufinden,<br />

was das für uns heute bedeuten könnte.<br />

Merkmale einer Erweckung<br />

Duncan Campbell (1898–1972), der die Erweckung<br />

auf den Hebriden maßgeblich prägte, hat<br />

sie so definiert: „Das Hauptmerkmal einer Erweckung<br />

ist ein Gottesbewusstsein, das sich über<br />

eine ganze Gegend legt, sodass es für alle Teile<br />

sichtbar ist.“ Alle Erweckungen zeichnen sich<br />

durch eine machtvolle Gegenwart Gottes aus,<br />

die zu Gottesfurcht und Sündenerkenntnis führt.<br />

In Erweckungszeiten sind es nicht die Evangelisten,<br />

die auf der Suche nach bußwilligen Sündern<br />

sind, sondern die bußwilligen Sünder sind auf der<br />

Suche nach Evangelisten, um ihre Lasten loszuwerden<br />

und Frieden mit Gott zu erlangen.<br />

1. Gottes Gegenwart bewirkt<br />

Gottesfurcht und Sündenerkenntnis<br />

Diese beiden Eigenschaften sind sicher das Kennzeichen<br />

der Gegenwart Gottes. In Erweckungszeiten<br />

wird den Menschen ihre Sündhaftigkeit<br />

84<br />

Z für Zukunft


Historisch<br />

zutiefst bewusst. In einem Bericht über einen der<br />

letzten Aufbrüche in Europa liest man:<br />

„Im April 1957 kamen vier hübsche Evangelistinnen<br />

der ‚Edinburgh Faith Mission‘ zwischen<br />

zwanzig und dreißig nach North Uist, einer Insel<br />

der Äußeren Hebriden in Schottland. In Lochmaddy<br />

wiesen die Pastoren die Bewohner an, den<br />

Frauen keine Unterkunft anzubieten; so besorgten<br />

sich diese selber eine ärmliche Wohnung.<br />

Zwei Wochen hielten die Evangelistinnen Gott<br />

seine Verheißung vor, er wolle ‚Wasser gießen auf<br />

das dürre Land‘ (Jesaja 44,3), bis sie Gewissheit<br />

erhielten, dass die Erweckung kommen würde.<br />

Eine von ihnen predigte über den reichen<br />

Mann und den armen Lazarus und zitierte dabei<br />

John Bunyan: ‚Hört auf die Seufzer der Hölle.‘<br />

Von diesem Moment an brach auf der Insel die<br />

Erweckung aus. Eine Person schrie in ihrer Sündenerkenntnis<br />

laut auf, und andere begannen am<br />

ganzen Körper zu zittern. Noch um Mitternacht<br />

wurden die jungen Frauen in ihrer Hütte von dreißig<br />

bußfertigen Personen besucht. Am nächsten<br />

Morgen war die Kirche überfüllt. Die Furcht Gottes<br />

erfüllte in der Folge die ganze Insel.“<br />

2. Menschen werden<br />

tiefgreifend verändert<br />

Bei der Erweckung in Wales (1904–1906) wurden<br />

aus Spielern und Alkoholikern fürsorgliche<br />

Ehemänner und Väter, aus Taugenichtsen disziplinierte<br />

Arbeiter und aus schüchternen Frauen<br />

mutige Verkündiger für Jesus, die kraftvoll den<br />

Menschen den Weg wiesen. Herkunft und Ausbildung<br />

spielten nur noch eine Nebenrolle. Die<br />

bestimmenden Wesenszüge waren Freude am<br />

Herrn Jesus und der tiefe Wunsch, dass ihre Mitmenschen<br />

diese Freude auch erleben mögen.<br />

William Stead sah in der Tatsache, „dass aus<br />

Christen Evangelisten wurden“, das wichtigste<br />

Merkmal der Erweckung in Wales. Und David<br />

Matthews fasste es so zusammen: „Schwächlinge<br />

wurden zu Giganten. Junge, gut gekleidete<br />

Frauen knieten mit Vagabunden. Sie baten<br />

diese eindringlich, den verkehrten Weg zu verlassen<br />

und ihr Leben Christus anzuvertrauen, dem<br />

neuen und lebendigen Weg.“<br />

3. Die Atmosphäre<br />

ist geprägt von Liebe und Freude<br />

Colin Peckham beschrieb die Atmosphäre zur Zeit<br />

der Erweckung auf den Hebriden anhand zweier<br />

herausragender Merkmale: „Ein Geist der Liebe<br />

durchwehte alles. Die Einheit untereinander<br />

war unbeschreiblich. Man muss es erlebt haben,<br />

um es zu glauben. Die ganze Atmosphäre war<br />

geprägt von einer tiefen Freude.“<br />

Evan Roberts, der Kohlenarbeiter, der zur<br />

Schlüsselperson der Erweckung in Wales wurde,<br />

betonte, dass die Gläubiggewordenen sich als<br />

eine große Familie empfanden: „Es gibt keine<br />

Spaltungen mehr. Lange genug haben wir einander<br />

bekämpft; von nun an haben wir mehr Zeit,<br />

den Teufel zu bekämpfen.“<br />

4. Alter und Geschlecht<br />

werden zweitrangig<br />

In einem Rückblick betonte William Edwards in<br />

der Zeitschrift „The Sunday Strand“ den starken<br />

Einfluss der Erweckung auf die Rolle der Frau in<br />

Kirche und Gesellschaft: „Die Frauen erhielten<br />

einen starken Ruf, sich voll im christlichen Dienst<br />

zu engagieren. Es gab revolutionäre Veränderungen<br />

in der Rolle der Schwestern.“<br />

William Stead sah sogar die Möglichkeit, dass<br />

die Frauen als Folge der Erweckung im Staat<br />

mehr Rechte bekommen würden: „In der jetzigen<br />

Erweckung sind die Frauen überall an der Front,<br />

indem sie singen, Zeugnis geben, beten und predigen<br />

… Die gegenwärtige Erweckung könnte damit<br />

gekrönt werden, dass die Frauen die staatliche<br />

Anerkennung der vollen Bürgerrechte erhalten.“<br />

David Matthews zeigte sich vor allem beeindruckt<br />

von der Rolle, die Kinder in der Erweckung<br />

einnahmen: „Sie drückten ihre Gedanken in Gebet<br />

und Zeugnis intelligent und schriftgemäß aus, wie<br />

sie durch den Geist Gottes geführt wurden.“<br />

5. Sämtliche Gesellschaftsbereiche<br />

verändert<br />

Ein Artikel in der Tageszeitung „Western Mail“ vom<br />

31. Januar 1905 berichtete von gewaltigen Veränderungen:<br />

„Eine Erweckung dieser Dimension ist<br />

geradezu eine Revolution. Das soziale und politi-<br />

Foto: © Hanspeter Nüesch<br />

Aus<br />

Spielern und<br />

Alkoholikern<br />

wurden<br />

fürsorgliche<br />

Ehemänner<br />

und Väter, aus<br />

Taugenichtsen<br />

disziplinierte<br />

Arbeiter und aus<br />

schüchternen<br />

Frauen mutige<br />

Verkündiger<br />

für Jesus<br />

Duncan Campbell<br />

(1898–1972) hat die<br />

Erweckung auf den Hebriden<br />

maßgeblich geprägt<br />

Z für Zukunft<br />

85


Historisch<br />

Flüche hörte<br />

man keine mehr,<br />

sodass die Pferde<br />

den Bergleute in<br />

den Minen nicht<br />

mehr gehorchten,<br />

da diese zuvor<br />

ihre Tiere nur<br />

mit Flüchen<br />

antrieben<br />

sche Leben in Wales hat eine weitreichende Veränderung<br />

erfahren, und aller Wahrscheinlichkeit nach<br />

steht uns ein noch größerer Wandel bevor. Zuweilen<br />

wurden aus Fußballspielen Gebetsstunden!<br />

Manche Konzerte änderten ihr Programm<br />

und führen stattdessen Kantaten und geistliche<br />

Lieder auf. Man kann den Zuhörern keine weltliche<br />

Musik mehr vorsetzen … Aus großen Politikern<br />

wurden Erweckungsprediger … Tausende<br />

von Männern und Frauen freuen sich zum ersten<br />

Mal darauf, nach Hause zu kommen und mit der<br />

Familie zusammen zu sein. Ihre Kinder erhalten<br />

Kleidung und Nahrung und liebevolle Erziehung<br />

wie nie zuvor. Arbeiter sind mit ihrem Lohn und<br />

ihrem Arbeitsumfeld zufrieden … Aus Kohlebergwerken<br />

wurden Andachtsräume. Nach allem, was<br />

wir heute wissen, wird Wales aus dieser gegenwärtigen<br />

Taufe gestärkt hervorgehen und besser<br />

zugerüstet für die Aufgaben, die vor uns stehen.“<br />

James Stewart fasste im Rückblick die gesellschaftlichen<br />

Veränderungen in Wales so zusammen:<br />

„Langjährige Schulden wurden bezahlt,<br />

gestohlene Güter retourniert, Trinktavernen verlassen,<br />

Flüche hörte man keine mehr, sodass man<br />

sagte, dass deswegen in den Minen die Pferde die<br />

Bergleute nicht mehr verstanden, die zuvor ihre<br />

Tiere nur mit Flüchen antrieben.<br />

Politische Versammlungen mussten verschoben<br />

werden, da die Abgeordneten an Erweckungstreffen<br />

teilnahmen. Die Gefängnisse waren leer.“<br />

Kein Wunder, dass Jahre nach der Erweckung<br />

sogar weltliche Geschäftsleute sagten: „Wir wollen<br />

mehr von dieser Erweckung; es wurden so<br />

viele Altschulden zurückgezahlt und die Ehrlichkeit<br />

hat zugenommen.“<br />

Voraussetzungen für Erweckung<br />

Solchen Aufbrüchen gehen immer Zeiten voraus,<br />

in denen den Gläubigen schmerzlich bewusst<br />

wird, wie schlimm es um Kirche und Gesellschaft<br />

bestellt ist. Berichte von früheren Aufbrüchen<br />

machen den momentanen Zustand deutlich und<br />

erzeugen gleichzeitig Hoffnung, dass Gott wieder<br />

eingreifen würde. Noch während der Erweckung<br />

in Wales wurden darüber mehrere Bücher<br />

geschrieben, so auch von Solomon Benjamin Shaw<br />

„The Great Revival in Wales“. Überall in den USA<br />

seien daraufhin Gebetsgruppen entstanden, die<br />

aus tiefer Betroffenheit, aber auch mit gestärktem<br />

Glauben um Ähnliches beteten. Kirchenhistoriker<br />

führen die pfingstliche Azusa-Street-Erweckung<br />

von 1906 direkt darauf zurück.<br />

1. Heilige Unzufriedenheit<br />

Das tiefe Empfinden des Fehlens geistlicher<br />

Kraft gilt auch für die Erweckung auf den Hebriden.<br />

Duncan Campbell, der sich nach innerem<br />

Zerbruch mit 57 Jahren Gott neu zur Verfügung<br />

stellte, sein Pfarramt aufgab und in die „Faith<br />

Mission“ eintrat, schrieb: „Ich weiß von keiner<br />

größeren Tragödie, als das Bewusstsein der<br />

unmittelbaren Gegenwart Gottes zu verlieren.“<br />

Auf meine Frage, was seinen Vater ausgezeichnet<br />

habe, meinte seine Tochter Sheena Vischer-<br />

Campbell, er sei geprägt gewesen von einer heiligen<br />

Unzufriedenheit, aber auch von einer tiefen<br />

Liebe zu den Menschen – im Wissen, dass Erweckung<br />

immer bei einem selbst beginne.<br />

2. Weg von toter Religiosität ‒ hin zur<br />

Verkündigung des Wortes Gottes<br />

In seinem Augenzeugenbericht „I Saw the Welsh<br />

Revival“ schreibt David Matthews: „Erweckung<br />

versetzt aller künstlichen religiösen Feierlichkeit<br />

den Todesstoß. Kühle Formen und Regeln,<br />

die in anderen Lebensbereichen von Nutzen sein<br />

mögen, sind das erste Opfer jeder geistlichen<br />

Bewegung.“ Und Duncan Campbell folgert aus 23<br />

Jahren Dienst im Pfarramt: „Wir haben zu viel Zeit<br />

verbracht mit Methoden, kirchlicher Maschinerie<br />

und Ressourcen und zu wenig Zeit mit der Frage,<br />

wo die Quelle der Kraft liegt. Die ersten Christen<br />

breiteten sich gigantisch aus, weil Gottes Gegenwart<br />

ihre Verkündigung bestätigte durch übernatürliche<br />

Zeichen und Offenbarung … O dass die<br />

heutige Kirche … zurückfinden möge zur Gegenwart<br />

Gottes, zur Kraft … Macht nie unbiblische<br />

Kompromisse, um den Teufel zu besänftigen!“<br />

86<br />

Z für Zukunft


Historisch<br />

Noch deutlicher äußerte sich der Erweckungsprediger<br />

Charles Finney: „Hört auf mit euren<br />

Milch-und-Wasser-Predigten über die Liebe Christi,<br />

wenn sie nicht zu einem heiligen Lebensstil und zur<br />

Abwendung von Unmoral führen.“<br />

3. Außerordentliches,<br />

verzweifeltes Gebet<br />

Man hat jegliche menschlichen Lösungsversuche<br />

als nichtig erachtet und nur mehr von Gott allein<br />

Veränderung erwartet. Unsere eigene Stärke ist<br />

oft das größte Hindernis für Gottes Eingreifen. Das<br />

erklärt auch die Tatsache, dass diese Aufbrüche oft<br />

dort geschehen, wo man es nicht erwarten würde.<br />

Es waren vor allem zwei hochbetagte Schwestern<br />

in der Gemeinde Barvas auf der Hebriden-<br />

Insel Lewis, die eine taub, die andere halb blind,<br />

die 1949 verzweifelt Gott anflehten, er möge<br />

eingreifen und insbesondere die Jugend zu ihm<br />

zurückführen. Schließlich gab Gott ihnen Gewissheit,<br />

dass er als menschliches Werkzeug Duncan<br />

Campbell dazu brauchen würde. Dieser war aber<br />

anderswo im Einsatz.<br />

Sie hielten an der Verheißung Gottes fest, bis<br />

er kam und mit ihm die Erweckung. Bekannt ist<br />

das verzweifelte Gebet von John Knox, einem<br />

Schüler von Johannes Calvin: „Gib mir Schottland,<br />

oder ich sterbe!“ Zweihundert Jahre später<br />

betete John Wesley, Vater der methodistischen<br />

Erweckung, in England: „O dass Gott mir die<br />

Dinge geben würde, nach denen ich mich sehne:<br />

dass ich ein Volk sehen möge, das ganz Gott hingegeben<br />

lebt, der Welt gekreuzigt.“ Und nochmals<br />

zweihundert Jahre später zeigte Edwin Orr,<br />

der Erweckungshistoriker schlechthin, Billy Graham<br />

den Schlafraum von John Wesley im Lincoln<br />

College in Oxford, dort, wo mit dem „Holy Club“<br />

unter den Studenten alles begann.<br />

Billy Graham zu Edwin Orr: „Heißt das, dass<br />

alles mit einer Gruppe von Studenten begann?“<br />

Spontan knieten die beiden nieder. Billy Graham<br />

betete: „O Herr, tue es noch einmal!“ – und wenig<br />

später erlebte Billy Graham den Durchbruch in<br />

seinem evangelistischen Dienst.<br />

Foto: © Hanspeter Nüesch<br />

Für Evan Roberts gehörten Gebet und Erweckung<br />

untrennbar zusammen: „Es gibt nur einen<br />

Weg, Erweckung zu erlangen, und das ist durch<br />

Gebet, durch einmütiges Gebet. Die Kraft der<br />

Erweckung liegt im Gebet.“<br />

4. Reinigung<br />

Evan Roberts, der über zehn Jahre um eine Erweckung<br />

in Wales gebetet hatte, musste erst zu der<br />

Einsicht kommen, dass noch einiges in seinem<br />

Leben nicht dafür bereit war. Ein Wort aus einem<br />

Gebet von Seth Josua blieb bei ihm haften: „Herr,<br />

beuge mich!“ Er wusste: Das galt ihm. Fortan bat<br />

er Gott inständig, alles aus seinem Leben wegzunehmen,<br />

was Gottes Wirken hinderlich sein<br />

könnte.<br />

Auch Duncan Campbell erlebte eine tiefe Überführung,<br />

bevor er für einen Aufbruch brauchbar<br />

Evan Roberts predigt<br />

vor einer großen<br />

Menschenmenge in Felinfoel,<br />

Llanelli, Wales, 1905<br />

Z für Zukunft<br />

87


Historisch<br />

Evan Roberts gab nie<br />

Interviews, aber in<br />

zahlreichen Briefen<br />

inspirierte er andere,<br />

ähnliches Wirken des<br />

Heiligen Geistes zu<br />

erbitten. So war er<br />

im Briefkontakt mit<br />

Frank Bartleman, einer<br />

Schlüsselperson der<br />

Erweckung in der Azusa<br />

Street, Los Angeles<br />

Foto: © Hanspeter Nüesch<br />

Das Problem<br />

Europas sei nicht<br />

der Unglaube der<br />

Heiden, sondern<br />

der Kleinglaube<br />

der Gläubigen –<br />

sie vertrauen<br />

nicht mehr<br />

Gottes Wort<br />

wurde: Er war ein gefragter Konferenzredner und<br />

stolz darauf; aber tief im Inneren fühlte er eine<br />

große Leere. Gebet war für ihn eine Last und das<br />

Wort Gottes toter Buchstabe, und er wollte den<br />

Dienst quittieren. Später wies Duncan Campbell<br />

immer darauf hin, dass seine Rolle bei der Erweckung<br />

auf den Hebriden nur klein gewesen sei.<br />

Die meisten Menschen seien vom Heiligen Geist<br />

überführt worden, noch bevor sie über die Kirchenschwelle<br />

getreten seien, berichtete er. Wenn<br />

schon, dann sei es das verzweifelte Gebet der einfachen<br />

Gläubigen gewesen, das den Boden vorbereitet<br />

habe. In Erweckungszeiten leben die Gläubigen<br />

in einer andauernden Abhängigkeit von<br />

Gott, die sich im Gehorsam auch in ganz banalen<br />

Dingen äußert.<br />

Charles Thomas Studd, der Gründer des WEC<br />

(„Weltweiter Einsatz für Christus“), formulierte<br />

es so: „Erweckung ist in Tat und Wahrheit Gehorsam<br />

gegenüber dem Heiligen Geist … Lasst uns<br />

gehorchen, und wir werden unmittelbar Gottes<br />

Wirken erleben in unserem eigenen Leben und in<br />

unserem Umfeld.“<br />

5. Gottes Wort in der Kraft<br />

des Heiligen Geistes<br />

Durch das Studium der Erweckungsliteratur ist<br />

bei mir die Erwartung gewachsen, dass Gott auch<br />

heute übernatürlich wirken will; doch empfinde<br />

ich gleichzeitig Trauer, dass es zurzeit so wenig<br />

Glauben gibt, besonders in Europa. Ein Inder hat<br />

mir einmal gesagt, das geistliche Problem Europas<br />

sei nicht der Unglaube der Heiden, sondern<br />

der Kleinglaube der Gläubigen – dass sie Gott und<br />

seinem Wort nicht mehr vertrauen.<br />

Wir passen die biblischen Wahrheiten an<br />

unsere beschränkten Erfahrungen an, anstatt<br />

mit der Erfüllung der Verheißungen der Bibel zu<br />

rechnen.<br />

Ich bin überzeugt: Wir brauchen eine neue<br />

Erfüllung mit dem Heiligen Geist, gleichgültig,<br />

ob unser Glaube charismatisch geprägt ist<br />

oder nicht. Dazu der Erweckungsprediger Evan<br />

Roberts: „Die Taufe mit dem Heiligen Geist ist<br />

die Essenz der Erweckung – einer Zusammenarbeit<br />

mit dem Heiligen Geist, die Gott ermöglicht,<br />

in Kraft zu wirken.“ Duncan Campbell beschrieb<br />

seine Veränderung so: „Die Taufe im Heiligen<br />

Geist kam zu mir in einer mächtigen, reinigenden,<br />

bevollmächtigenden Kraft … Ich ging hinaus<br />

und predigte die gleiche Predigt, die ich siebzehn<br />

Jahre lang gepredigt hatte – mit dem Unterschied,<br />

dass ich nun erlebte, dass Hunderte die Erlösung<br />

durch Christus ergriffen.“ Laut Apostelgeschichte<br />

5,32 bekommen jene den Heiligen Geist, die<br />

ihm gehorchen. Das betonte auch Evan Roberts<br />

gegenüber Edwin Orr: „Das völlige Sich-Gott-<br />

Überlassen stellt sicher, dass Gott uns während<br />

des ganzen Tages leitet; deshalb besteht unsere<br />

Aufgabe ganz einfach darin, auf Gottes Stimme zu<br />

hören und ihr zu gehorchen.“<br />

6. Für Nachhaltigkeit sorgen<br />

Auf die Frage, warum der mächtige Aufbruch auf<br />

den Hebriden so nachhaltig war, dass als Folge<br />

viele Menschen in den geistlichen Dienst traten<br />

oder gar in die Mission gingen, meinte Duncan<br />

Campbell: „Wir haben hier ein Volk, das sich<br />

der Autorität und Inspiration des Wortes Gottes<br />

nicht berauben ließ. Die Autorität und Inspiration<br />

der Bibel wurde nicht infrage gestellt.“ Das<br />

scheint mir für unsere Zeit ein Schlüssel zu sein:<br />

Heute gibt es kein biblisches Grundwissen mehr,<br />

88<br />

Z für Zukunft


Historisch<br />

auf dem aufgebaut werden könnte. Die Gefahr<br />

besteht, dass eine Erweckung über das Land hinwegströmt,<br />

ohne nachhaltige Veränderung bewirken<br />

zu können.<br />

Nach dem 11. September wollte ich in New<br />

York lernen, wie wir als Gemeinde Jesu uns optimal<br />

auf Katastrophen vorbereiten können, und<br />

suchte zahlreiche geistliche Leiter unterschiedlicher<br />

Denominationen auf. Die wichtigste Lektion<br />

daraus: Unmittelbar nach 9/11 hatten die<br />

Menschen ein großes Bedürfnis, sich mit jemandem<br />

über die traumatischen Erlebnisse auszutauschen.<br />

Aber nur jene Kirchen mit Erfahrung in<br />

Nachbarschaftsevangelisation und die, die Kleingruppen<br />

hatten, waren darauf vorbereitet. Der<br />

Gottesdienstbesuch bei der großen Mehrheit der<br />

Kirchen veränderte sich hingegen kaum.<br />

Dieses Muster wird sich auch bei uns wiederholen,<br />

wenn wir nicht alles unternehmen, um<br />

in jedem Christen die „Basics“ des christlichen<br />

Glaubens wieder zu verankern, also alles rund um<br />

den Kreuzestod Christi und wie jeder den Heiligen<br />

Geistes empfangen kann.<br />

Alpha-Kurse oder ähnliches sind sicher gute<br />

Mittel dafür. Zusätzlich gilt es, Beziehungsgruppen<br />

zu bilden, in denen das Wort Gottes gemeinsam<br />

bewegt wird. Kirchen sollten Kurse anbieten,<br />

um Nachfolger Jesu auszubilden, die im Ernstfall<br />

die vielen suchenden Menschen begleiten und im<br />

Glauben festigen können. Angenommen, wir hätten<br />

plötzlich zehnmal so viele am Glauben interessierte<br />

Menschen wie heute, was müssten wir<br />

tun? Wären wir darauf vorbereitet?<br />

Lektionen aus der<br />

Erweckungsgeschichte für heute<br />

Was können wir also aus früheren Erweckungen<br />

lernen? Wie können wir uns auf einen großen<br />

geistlichen Aufbruch am besten vorbereiten?<br />

Kurz zusammenfasst:<br />

Jede Erweckung sieht anders aus. Wir dür-<br />

uns nicht festlegen auf etwas, was frü-<br />

01fen<br />

her funktioniert hat.<br />

Selbstzufriedenheit muss Platz machen für<br />

02einen Hunger nach Gottes mächtigem, veränderndem<br />

Wirken.<br />

In einer Haltung tiefgreifender Umkehr<br />

03müssen wir auch solche Dinge vor Gott<br />

bekennen und dafür um Vergebung bitten, die<br />

Sünde sind, aber jetzt nicht mehr als Sünde<br />

gelten.<br />

Unsere eigene Vorstellung von Stärke<br />

04und Schwäche muss Platz machen für die<br />

Abhängigkeit vom Heiligen Geist.<br />

05<br />

In ernsthaftem Flehen müssen wir Gottes<br />

Gegenwart suchen mit außerordentlichem<br />

Gebet, auch im Gottesdienst.<br />

Zielloser Aktivismus muss einem Leben<br />

06Platz machen, das vom Wort Gottes und der<br />

Leitung des Heiligen Geistes geprägt ist.<br />

Wir müssen lernen, unser Denken, Beten<br />

07und Handeln nicht an unseren beschränkten<br />

Erfahrungen auszurichten, sondern an den<br />

Verheißungen der Bibel.<br />

Auf alle Weise müssen wir das ABC des<br />

08Glaubens weitergeben, verbunden mit persönlichem<br />

Glaubenszeugnis, um eine biblische<br />

Grundlage für Erweckung zu legen.<br />

Jeder Christ muss zum Dienst ausgerüstet<br />

09 werden, damit der kommende Aufbruch in<br />

gute Bahnen gelenkt werden und von Dauer<br />

sein kann.<br />

Wir müssen lernen, der Verständnislosig-<br />

und der Kritik der Umwelt zu begeg-<br />

10keit<br />

nen in Liebe und mit Segnen.<br />

Hanspeter Nüesch, bis 2013 Leiter von Campus für Christus<br />

Schweiz, Integrationsfigur für Christustag-International<br />

(redaktionell bearbeitet)<br />

Angenommen,<br />

es würden sich<br />

plötzlich zehnmal<br />

so viele für den<br />

Glauben interessieren<br />

wie heute:<br />

Wären wir darauf<br />

vorbereitet?<br />

Z für Zukunft<br />

89


Historisch<br />

Der Weg des Buches<br />

Werner Bartl<br />

Foto: © Werner Bartl<br />

Kaiserin Maria Theresia von Österreich<br />

war überzeugte Katholikin<br />

und keineswegs tolerant. Noch<br />

1776 – also im Jahr der Unabhängigkeitserklärung<br />

Amerikas und 13<br />

Jahre vor der Französischen Revolution – ließ sie<br />

über viertausend „Geheimprotestanten“ auf der<br />

Donau nach Siebenbürgen schaffen.<br />

Das hatte Tradition: Ein halbes Jahrhundert<br />

zuvor, 1730/31, mussten über 22 000 Salzburger<br />

Protestanten binnen acht Tagen das Land verlassen;<br />

ein Fünftel der Bevölkerung wurde zwangs-<br />

deportiert. Zwar brannten keine Scheiterhaufen<br />

mehr, aber die Evangelischen mussten für ihren<br />

Glauben trotzdem teuer bezahlen.<br />

Bibellesen streng verboten!<br />

Kinder unter 14 wurden den Eltern entrissen<br />

und ins Kloster gesteckt, wo sie mit aller Gewalt<br />

zwangskatholisiert wurden. Viele der Deportierten<br />

starben schon auf dem Transport oder im<br />

ersten Jahr in der Fremde; andere wurden ins<br />

Gefängnis geworfen und gingen dort jämmerlich<br />

zugrunde. Was hatten sie verbrochen?<br />

90<br />

Z für Zukunft


Historisch<br />

Zum Gedenken an die Zeit, zu der Bibellesen streng verboten war und auf diesen<br />

abenteuerlichen Pfaden jahrhundertelang Bibeln geschmuggelt wurden, um so die<br />

„Geheimprotestanten“ mit dem Wort Gottes zu versorgen<br />

Es genügte bereits, wenn man beim Bibellesen<br />

erwischt wurde. Das widerfuhr auch dem Altbauern<br />

Jakob Schenner im Salzkammergut: Er hatte<br />

nachts in seiner Stube heimlich in der Bibel gelesen<br />

und starb – wie viele andere auch – hinter<br />

modrigen Gefängnismauern.<br />

Bibelschmuggel in Mitteleuropa<br />

Der Besitz und das Lesen der Bibel in deutscher<br />

Sprache waren in Österreich bis zum Erlass des<br />

Toleranzpatents (1781, Joseph II.) verboten. Zum<br />

Gedenken an diese Zeiten eröffnete die Evangelische<br />

Kirche in Österreich 2008 den „Weg des<br />

Buches“ – auf diesen abenteuerlichen Pfaden<br />

wurden jahrhundertelang Bibeln geschmuggelt,<br />

um die „Geheimprotestanten“ mit dem Wort Gottes<br />

zu versorgen.<br />

Wegen (und trotz!) der Verfolgung trafen sich<br />

die Evangelischen heimlich in Wäldern und Höhlen;<br />

sie hatten sogar verborgene Friedhöfe. Der<br />

600 Kilometer lange „Weg des Buches“ führt zu<br />

vielen dieser Höhlen, Felsformationen, Waldlichtungen<br />

und Anhöhen.<br />

Z für Zukunft<br />

91


Historisch<br />

DE<br />

Salzburg<br />

Italien<br />

Passau<br />

Gmunden<br />

Schladming<br />

Österreich<br />

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Villach<br />

Slovenien<br />

Triest<br />

Bild oben: Der Autor Werner Bartl an einem<br />

geheimen Treffpunkt der Christen im Wald<br />

Wegbeschreibung und Karte:<br />

http://www.wegdesbuches.eu<br />

An den einzelnen Stationen<br />

und durch viele Erzählungen<br />

wird verständlich, warum<br />

diese „Abtrünnigen und Widerspenstigen“<br />

den Mächtigen<br />

Linz<br />

jener Zeit so gefährlich schienen,<br />

dass sie sie ins Gefängnis<br />

warfen und zur Auswanderung<br />

zwangen. Viele der „Ketzer“<br />

wurden auch zum Tod auf dem<br />

Scheiterhaufen verurteilt oder<br />

mit einem Stein um den Hals<br />

ertränkt. Diese Auswüchse<br />

der Intoleranz erschüttern<br />

– und zeigen, wie notwendig<br />

die Reformation war, der Protest<br />

gegen die Bevormundung<br />

durch die Kirche.<br />

Nachdenken<br />

Der Blick in die Vergangenheit<br />

macht uns auch der Verantwortung<br />

bewusst, jeglicher aggressiven<br />

Intoleranz gegen Andersdenkende<br />

und Andersgläubige<br />

entgegenzutreten. Vor allem<br />

aber bringt er uns hoffentlich<br />

zum Nachdenken: Diese Menschen<br />

waren bereit, für ihren<br />

Glauben an ein rettendes Evangelium<br />

in den Tod zu gehen!<br />

Sie waren überzeugt, dass sie<br />

sich das ewige Leben nicht verdienen<br />

konnten, weder durch<br />

gute Werke noch durch religiöse<br />

Rituale, auch nicht durch<br />

das Märtyrerschicksal. Für<br />

ihren Glauben brauchten sie<br />

weder Gebäude noch Organisation.<br />

Seit 236 Jahren dürfen sich<br />

Evangelische in Österreich wieder<br />

versammeln, anfangs nur in<br />

Gebäuden ohne Turm und Glocken,<br />

und alle mussten „durch<br />

die Hintertür“: die evangelischen<br />

Gotteshäuser durften auf der Straßenseite<br />

keinen Eingang haben. Viele Jahrzehnte warnten<br />

katholische Pfarrer in Österreich vor der „Sekte der<br />

Evangelischen“, meine Großmutter hat das noch<br />

selber erlebt. Das ist vorbei und das ist gut so.<br />

Das Begonnene zu Ende führen<br />

Sollen wir uns darüber freuen, dass heute erlaubt<br />

ist, was vor 500 Jahren als heftig bekämpfte Reformation<br />

begann? Ja. Aber das war damals nur der<br />

Anfang; Martin Luther startete eine Reformation,<br />

aber sie muss noch zu Ende geführt werden. Er<br />

ging den ersten Schritt; in den fünf Jahrhunderten<br />

seither haben andere die nächsten Schritte getan.<br />

Auch heute werden Nachfolger Jesu, die ihre<br />

Stimme erheben gegen die etablierten Kirchen<br />

und Freikirchen, weil sie Menschen wiederum<br />

oder noch immer in Abhängigkeit halten von Ritualen,<br />

Kirchenzugehörigkeit und Amtsverständnis<br />

– auch heute werden diese Nachfolger Jesu oft ins<br />

„Sekteneck“ gestellt.<br />

Der Kampf um die von Gott geschenkte Freiheit<br />

in Christus ist noch nicht zu Ende. Es ist der<br />

„Weg des Geistes Gottes“, der uns am „Weg des<br />

Buches“ dem Ziel entgegen führt: Erneuerung,<br />

aber ohne das Bewährte zu verlieren; Wahrheit<br />

behalten und bisher verdeckte Wahrheit finden;<br />

und natürlich ein Leben in der Liebe zu Gott und<br />

dem Nächsten.<br />

Werner Bartl ist Österreicher und als Fernsehjournalist und -<br />

korrespondent tätig. Er ist den „Weg des Buches“ als Erster von<br />

Anfang bis Ende gegangen. Seine Wegbeschreibung „Auf<br />

Schmugglerpfaden von Passau zum Dreiländereck pilgern“ ist im<br />

Conrad Stein Verlag erhältlich. ISBN 978-3-86686-299-9.<br />

92<br />

Z für Zukunft


Visionär<br />

Bild: © Leonardo da Vinci<br />

Ekklesia<br />

wird Humanismus überwinden,<br />

Kirche nicht<br />

George Markakis<br />

Reformation<br />

lässt sich nicht<br />

stoppen. Jedoch<br />

werden Reformer<br />

aufs Erbittertste<br />

bekämpft von<br />

denen, die<br />

aus deren Mitte<br />

sie hervorkommen<br />

Was verhindert, dass „Kirche“<br />

zur ekklesia wird? Luthers<br />

Thesen wandten sich gegen<br />

den Ablasshandel der römischkatholischen<br />

Kirche; gegen<br />

was oder wen müssten sich „Thesen“ heute richten?<br />

Eine ekklesia als oikos-Familie Gottes, ein<br />

Organismus, eine allgemeine königliche Priesterschaft,<br />

die auf der Erde die Autorität Jesu<br />

Christi ausübt – das hätte doch was; es wäre in<br />

der Lage, einem atheistisch-humanistischen Denksystem<br />

gegenüberzutreten. Warum Humanismus<br />

mit Atheismus so eng verbunden ist, wird in der<br />

zweiten Hälfte des Artikels deutlicher.<br />

Gottes Reich komme, Gottes Wille geschehe –<br />

auf Erden genauso, wie es im Himmel geschieht!<br />

Vor 500 Jahren wurde die Wahrheit in Sachen<br />

Glauben verdunkelt durch die römisch-katholi-<br />

sche Kirche, die Seelenheil verkaufte, um den<br />

Bau prunkvoller Tempel zu finanzieren. Wer ist<br />

es heute, der Verdunkelung betreibt? Welcher<br />

Art ist die Finsternis unserer Tage? Sie hat mit<br />

einem Denkkonzept zu tun. Die Evangelische Kirche<br />

Deutschlands (EKD) maßt sich an, mit „vernünftiger“<br />

Theologie Gott beibringen zu wollen,<br />

wie er sein Wort zu verstehen hat. Damit hat sie<br />

ihr lutherisches Erbe, die Reformation, gründlich<br />

„deformiert“ und sich in einen Zustand begeben,<br />

der wohl noch finsterer ist als die römisch-katholische<br />

Kirche zur Zeit Luthers.<br />

Doch Reformation lässt sich nicht stoppen; die<br />

Wiederentdeckung der ursprünglichen, der biblischen<br />

Wahrheit hat nie aufgehört – auch wenn<br />

die Geschichte zeigt: Die Reformer werden aufs<br />

Erbittertste bekämpft von denen, aus deren Mitte<br />

sie hervorkommen. Und noch ein Prinzip: Wenn<br />

Z für Zukunft<br />

93


Visionär<br />

Das „Gemasolar“ – ein<br />

Solarkraftwerk bei Sevilla<br />

in Spanien<br />

Foto: © Torresol Energie<br />

Die ekklesia Jesu<br />

soll dieser<br />

verfinsterten<br />

Welt zur<br />

Beleuchtung<br />

dienen<br />

ein Erneuerungsprozess in einer Denomination<br />

zum Stillstand kam, wurde er in einer anderen<br />

weitergeführt – wie beim Stafettenlauf. Das hört<br />

sich allerdings leichter an, als es war; schon so<br />

mancher hat dafür mit dem Leben bezahlt.<br />

In den letzten hundert Jahren wurden die<br />

Reformationszyklen immer kürzer; überall auf<br />

der Welt geschah Erweckung und man erlebte<br />

wieder Realitäten, die für die ersten Christen normal<br />

gewesen waren. Die Wiederentdeckung der<br />

Kraft des Heiligen Geistes führte in vielen Ländern<br />

zu einer explosionsartigen Ausbreitung des<br />

christlichen Glaubens.<br />

Wir sind dankbar für jeden Fortschritt, aber<br />

noch ist nicht alles perfekt im „Hause Gottes“.<br />

Der Reformationsprozess der Wiederherstellung<br />

verschütteter Wahrheiten ist immer noch im<br />

Gange; jetzt steht er vor einer neuen Phase.<br />

Etwa hundert Jahre nach der „Azusa-Street-<br />

Erweckung“, durch die unzählige neue Denominationen<br />

entstanden, ist es Zeit für eine weitere<br />

Ebene, denn noch sind bei Weitem nicht alle<br />

Ankündigungen der Bibel erfüllt. Ein wichtiger<br />

Teil von Gottes Plan ist, dass wir Christen zusammenwachsen<br />

zu einem lebendigen Organismus,<br />

der auf der Erde den Himmel vertritt als Spiegel<br />

der Autorität und Herrlichkeit Gottes. Das hat<br />

Gott gemeint, als er die ekklesia ins Leben rief.<br />

Der Unterschied zwischen „Kirche“ und<br />

ekklesia – drei Hauptpunkte<br />

1. „Kirche“, wie Gott sie gedacht hat, ist weder<br />

ein Tempelgebäude noch eine Organisation und<br />

auch keine bloße Versammlung von geretteten<br />

Sündern, sondern eine oikos-Familie Gottes,<br />

eine Lebensgemeinschaft. Hier zählen Gemeinsamkeit<br />

statt Individualität, Liebe statt Selbstzentriertheit.<br />

So wird Gott sichtbar und spürbar<br />

und seine Herrlichkeit zeigt sich durch ganz<br />

normale Menschen.<br />

2. „Kirche“, wie Gott sie gedacht hat, also ekklesia,<br />

ist von Gott berufen, auf der Erde die königliche<br />

Priesterschaft Jesu Christi zu sein. Jesus<br />

Christus ist der Hohepriester Gottes; er sitzt zur<br />

Rechten Gottes des Vaters und wird als König<br />

wiederkommen. (Das kennen wir aus dem Glaubensbekenntnis<br />

und sprechen es brav nach; ist<br />

uns aber auch klar, was das bedeutet?)<br />

3. „Kirche“, wie Gott sie gedacht hat, wurde<br />

durch das Blut Jesu erkauft und gebildet, und<br />

zwar nicht nur zum Zwecke der Erlösung von<br />

Sünde und Gottesferne, sondern auch, um uns<br />

aus einem tödlichen Machtbereich herauszuretten.<br />

Die so Erlösten und Erretteten werden zur<br />

ekklesia Jesu, die in dieser verfinsterten Welt<br />

zur Beleuchtung dienen soll, um etwas bislang<br />

Unsichtbares sichtbar zu machen – das Reich<br />

Gottes.<br />

Diese oikos-Gemeinschaft Gottes soll als<br />

ekklesia die juristische Autorität ausüben, die<br />

Gott an seinen Organismus delegiert hat – sie<br />

soll also richten und regieren:<br />

damit das Reich Gottes auf Erden sichtbar werden<br />

kann (Vaterunser: „Dein Reich komme!“);<br />

damit die Pforten der Hölle nicht herrschen<br />

können, weil die ekklesia proklamierend betet;<br />

sodass das Licht Gottes auf Erden leuchtet,<br />

damit alle Menschen es sehen können.<br />

In der nächsten Phase der Reformation soll<br />

dieser lebendige Organismus sichtbar werden<br />

und an die Stelle von Organisationen treten.<br />

94<br />

Z für Zukunft


Visionär<br />

Ist „Kirche“, wenngleich protestantisch-reformiert,<br />

dennoch in der mittelalterlichen Variante<br />

von „Kirche“ steckengeblieben (das heißt, sie ist<br />

immer noch „religiöse Versammlung“ und kaum<br />

mehr), so soll jetzt eine Veränderung erfolgen hin<br />

zu einer königlichen Priesterschaft Jesu Christi,<br />

die als ekklesia auf dieser Welt in Gottes Kraft<br />

und Autorität ihren Ausdruck findet.<br />

Es ist an der Zeit, der Finsternis im „Hause<br />

Gottes“ mit Licht zu begegnen; so wird der atheistische<br />

Humanismus samt seiner spirituellen Kraft<br />

entlarvt und vom Sockel gestoßen.<br />

Zur Verdeutlichung<br />

Die „Kirche“ begnügt sich damit, dass Sünder<br />

selig werden; die ekklesia aber soll Gottes Herrschaft<br />

verkünden und sichtbar machen!<br />

Wer sich auf das „Evangelium der Errettung“<br />

beschränkt, verhindert das „Evangelium des Reiches<br />

Gottes“ und macht sich damit letztlich –<br />

sicher ohne es zu wollen – zum Agenten Satans.<br />

Das sind harte Worte, doch mit dieser Einschränkung<br />

wird Gottes ursprünglicher Plan behindert;<br />

der umfassende Zweck, für den Jesus am<br />

Kreuz gestorben ist, wird nur sehr eingeschränkt<br />

erfüllt.<br />

Der humanistische Geist hat schon Petrus dazu<br />

veranlasst, Jesus von seinem Auftrag abzuhalten;<br />

als Jesus von seinem bevorstehenden Kreuzestod<br />

sprach, rief der Jünger aus: „O nein, Herr! Das<br />

wird dir niemals passieren!“ Was erwiderte Jesus<br />

auf diesen sicher gut gemeinten Ausruf? „Geh<br />

hinter mich, Satan! Du bist mir ein Ärgernis, eine<br />

Versuchung, Du willst mich zu Fall bringen, denn<br />

du denkst nicht im Sinne, was Gottes Absichten<br />

sind, sondern was menschlich ist“. 1 Menschlich<br />

– humanistisch.<br />

Die Gesinnung des Humanismus fährt im<br />

„Hause Gottes“ zurzeit äußerst listige Angriffe.<br />

In dem Gespräch, das Jesus und seine Jünger in<br />

Cäsarea Philippi führten, sehen wir: Satan reagierte<br />

unverzüglich auf die Erklärung Jesu, dass<br />

er seine ekklesia aufbauen werde. Durch genau<br />

den Petrus, der eben noch eine grundlegende<br />

Offenbarung ausgesprochen und dem Jesus „die<br />

Schlüssel des Himmelreiches“ zugesagt hatte,<br />

durch genau diesen Petrus widerspricht Satan<br />

nun und versucht damit, die ekklesia Gottes zu<br />

vereiteln.<br />

Dieses Denkmuster des Humanismus betrog<br />

Petrus und missbrauchte dessen menschliches<br />

Denken und Fühlen zum Widerstand gegen Gottes<br />

Vorhaben. Diesen Versuch setzt Satan bis heute<br />

fort – immer noch will er verhindern, dass Jesus<br />

seinen Auftrag auf Erden vollständig ausführt. Das<br />

Muster ist immer gleich: Er kapert Leitungspersönlichkeiten<br />

in der „Kirche“, um Gottes Plan zu<br />

sabotieren, der durch seine ekklesia seine Herrschaft<br />

sichtbar machen will.<br />

Natürlich kann Satan Gott nicht wirklich<br />

davon abhalten, sich den Menschen zu offenbaren<br />

und sie aus dem Reich des Todes zu erretten.<br />

Aber durch Täuschung und Sünde kann er verzögern<br />

oder verhindern, dass die ekklesia ausrichtet,<br />

wozu sie beauftragt ist.<br />

Die „Kirche“ propagiert das Evangelium der<br />

Errettung; die ekklesia verkündet das Evangelium<br />

des Reiches Gottes und macht es sichtbar.<br />

Das „Evangelium der Errettung“ (Rettung<br />

des Einzelnen) sowie die anderen ichbezogenen<br />

„Evangelien“ (z. B. das „Wohlstands-Evangelium“)<br />

sind Täuschungen Satans. Er benutzt das humanistische<br />

Denken und die menschliche Weisheit<br />

der „Kirchen“führer, um zu verhindern, dass die<br />

ekklesia in vollem Umfang ihrer Berufung nachkommt:<br />

auf Erden das Reich Gottes aufzurichten.<br />

Petrus verkündigte am Pfingsttag, welchen<br />

Zweck Gott mit der ekklesia verfolgt:<br />

„Der Herr sprach zu meinem Herrn: Setze<br />

dich zu meiner Rechten, bis ich deine Feinde zum<br />

Schemel deiner Füße gemacht habe! Den Stab<br />

deiner Macht wird der Herr aus Zion ausstrecken.<br />

Herrsche inmitten deiner Feinde!“ 2<br />

Warum erleben wir davon so wenig?<br />

Kurz gesagt: Weil der „Geist des Humanismus“<br />

alles ignoriert oder unterdrückt, was aus<br />

dem Übernatürlichen hervorgeht; er leugnet<br />

jede Form göttlichen Wirkens und bestreitet,<br />

dass Gott die höchste Autorität ist.<br />

Bild: © Wikipedia<br />

Die „Kirche“<br />

propagiert das<br />

Evangelium der<br />

Errettung;<br />

die ekklesia<br />

verkündet das<br />

Evangelium des<br />

Reiches Gottes<br />

und macht es<br />

sichtbar<br />

Wie ist das nun zu<br />

verstehen mit den Schlüsseln<br />

des Himmelreichs?<br />

Bildtafel des Apostels Petrus,<br />

St. Jakobus-Kapelle, Nonnenhorn<br />

Z für Zukunft<br />

95


Visionär<br />

Oben: Tempel von Cäsarea<br />

Philippi (Banias). Das Loch<br />

links wurde „die Pforten<br />

der Hölle“ genannt; daran<br />

erklärte Jesus seinen<br />

Freunden etwas Essenzielles.<br />

Der Fels im Hintergrund:<br />

griech. petra<br />

Unten: Der Banias-<br />

Tempelbezirk heute<br />

Gemälde: © Experiencing Israel<br />

Foto: © Wikipedia, Avraham Graicer<br />

Vielmehr betrachtet der Humanismus den<br />

Menschen als das Maß aller Dinge und stellt<br />

seine Vernunft, seine Wünsche, Bedürfnisse und<br />

Entscheidungen in den Mittelpunkt.<br />

Dazu gehört auch, dass seine moralischen<br />

Werte eine von Gott definierte absolute Wahrheit<br />

leugnen. Denn für den Humanismus sind die<br />

Werte des Menschen einziges Maß für Recht<br />

und Unrecht; „Wahrheit“ wird relativ und den<br />

Vorlieben und Entscheidungen des Menschen<br />

untergeordnet.<br />

Das betrifft besonders die Wahrheiten der<br />

Bibel. Wo der Geist des Humanismus dominiert, ist<br />

es nicht mehr wichtig, was in der Bibel geschrieben<br />

steht – interessant ist dann nur noch, wie die<br />

Theologen sie interpretieren und was sie daraus<br />

ableiten. Alles wird daraufhin ausgerichtet,<br />

dass es dem „Humanisten-Evangelium“ entspricht<br />

und für „alle“ akzeptabel wird.<br />

Das Ergebnis dieses intellektuellen Prozesses<br />

ist klar: Das Wort Gottes als absolute Wahrheit<br />

wird ersetzt durch die „Weisheit“ der Menschen,<br />

die es (um)interpretieren und andere Werte und<br />

Normen festlegen. Nicht Gott regiert; die „Götter“<br />

dieser Welt haben das Ruder übernommen.<br />

Praktische Beispiele<br />

Die Bibel spricht von Gaben und Wirkungsweisen<br />

des Geistes Gottes – übernatürliche Heilungen,<br />

verschiedene Kraftwirkungen: Durch seinen<br />

Geist wirkt Gott unter den Menschen; und es gibt<br />

keinen Hinweis darauf, dass dies zeitlich begrenzt<br />

wäre. Dennoch negieren „Kirchen“führer das mittels<br />

intellektuellen, „theologischen“ Erklärungen.<br />

Dieselben Leute, die behaupten, die Bibel sei<br />

für sie ultimative Autorität, die vertreten eigene<br />

Interpretationen, wenn eine Aussage der Bibel<br />

nicht in ihr Vernunftkonzept passt.<br />

Statt dass Jesus seinen Leib aufbauen und entfalten<br />

könnte durch die von ihm berufenen und<br />

ausgerüsteten geistlichen Leiter (vgl. fünf Dienstämter<br />

3 ), wird die „Kirche“ von Leuten geführt,<br />

die dank ihrer politischen Fähigkeiten Positionen<br />

erlangen und nach akademischem Titel ausgewählt<br />

werden (was aber nicht heißen soll, dass<br />

Bildung verkehrt wäre!). Auf diesem Weg hat der<br />

Geist des Menschen den Geist Gottes ersetzt, und<br />

das ist Humanismus, ja Atheismus.<br />

Jakobus schreibt: „Dies ist nicht die Weisheit,<br />

die von oben herabkommt, sondern eine irdische,<br />

seelische, dämonische“. 4<br />

Der Humanismus in der „Kirche“ leugnet Gottes<br />

übernatürliche, spirituelle Aktivität, die jede<br />

menschliche Fähigkeit übersteigt, sowie Gottes<br />

Recht, zu tun, was immer ihm gefällt. „Dein Wille<br />

geschehe“ müsste demnach aus dem Vaterunser<br />

gestrichen werden. Das humanistische Denken<br />

anerkennt nur den Intellekt des Menschen und<br />

definiert anhand seiner Meinungen, Bedürfnisse<br />

und Wünsche, was „Kirche“ und was „biblische<br />

Wahrheit“ ist.<br />

Wenn „Kirchen“führer von der Denkweise des<br />

Humanismus geprägt sind (wie es Petrus passierte),<br />

dann ist ihre Wahrnehmung von „Gott“<br />

bestimmt durch die Sichtweise dieser Welt.<br />

96<br />

Z für Zukunft


Visionär<br />

Der Geist des Humanismus hat inzwischen<br />

die „Kirche“ stark durchdrungen; kein<br />

Wunder, dass an die Stelle des gottzentrierten<br />

Evangeliums vom Reich Gottes ein Ichzentriertes,<br />

humanistisches Evangelium der Rettung des Einzelnen<br />

und des privaten Wohlstands getreten ist.<br />

Damit beschränkt sich „Kirche“ auf die individuellen<br />

Bedürfnisse und Wünsche des Menschen<br />

und dient den Prinzipien des Zeitgeists.<br />

Gottes Version und Zweck der Errettung<br />

Gott rettet Sünder aus dem Griff des Todes, um<br />

auf Erden seine Familie (oikos) zu bauen. Diese<br />

ist sein königliches Priestertum, das ihm dient<br />

und auf Erden sein Reich vertritt – und als ekklesia<br />

agiert, die ihr von Gott verliehene Autorität<br />

ausübt. Die ekklesia ist also eine „Körperschaft“;<br />

der Einzelne ist Teil eines Gesamtleibes, der<br />

oikos-Familie Gottes. Dieser Leib, diese Körperschaft<br />

ist geistlich vereint mit Christus, dem<br />

Haupt, und übt gemeinsam die ihr vom Himmel<br />

verliehene (delegierte) Autorität aus.<br />

Satans fauler Trick:<br />

Das Ich-zentrierte „Seelenheil“<br />

Der Geist des Humanismus hat den Menschen<br />

glauben gemacht, dass Jesus für mich starb, um<br />

mich vor dem Bösen und der Finsternis dieser<br />

Welt zu retten, weil er mich so sehr liebte, damit<br />

er mich dieser Welt entreißen konnte, damit ich<br />

einmal in den Himmel komme. Man achte auf<br />

die Betonung: „Ich, mich, meiner, mir – Herr,<br />

segne du uns vier!“<br />

Dieses individualistische „Evangelium“ kennt<br />

weder Auftrag noch Pflicht. Es macht mich zum<br />

Mittelpunkt des Wirkens Gottes, ohne Reich-Gottes-Perspektive:<br />

„Jesus starb, um mich zu retten“<br />

– und jetzt, wo ich errettet bin, kann ich Gott<br />

benutzen, um mich zu segnen? Das ist eine völlig<br />

verzerrte Sicht. Richtig ist: Gott hat mich gerettet,<br />

um mich in seinen oikos einzufügen: „Trachtet<br />

als Erstes nach dem Reich Gottes!“<br />

Ja, es kommt eine Zeit, da wird Jesus sein Volk<br />

aus dieser Welt nehmen; aber bis dahin hat er für<br />

uns auf dieser Erde einen Auftrag, einen Zweck,<br />

den es zu erfüllen gilt. Der Humanismus jedoch<br />

verdreht dem „Kirchen“volk den Verstand, sodass<br />

es weder Gottes Pläne noch seine Rolle als königliche<br />

Priesterschaft erkennt.<br />

Durch das Werk Jesu werde ich für Gott aus<br />

den Klauen der Finsternis erkauft, damit ich ein<br />

Mitglied seines oikos werde und als Teil seiner<br />

königlichen Priesterschaft seinen Willen ausführen<br />

kann: „Dein Wille geschehe, dein Reich<br />

komme auf Erden wie im Himmel.“ Ja, wer<br />

glaubt, der wird errettet; und ja, wir sind gesegnet<br />

– aber vor allem, um auf Erden Gottes Willen<br />

auszuführen, damit sein Reich „kommt“ und<br />

sichtbar wird, und zwar hier und jetzt!<br />

Aber die momentane Realität?<br />

Die „Kirche“ interessiert sich nicht dafür, oder sie<br />

weiß es nicht, wie sie zur ekklesia Gottes werden<br />

kann oder wie man die Schlüssel des Reiches<br />

Gottes gebraucht, um damit etwas zu bewirken,<br />

das auf Erden Veränderung bringt.<br />

Infolgedessen nährt die „Kirche“ den Individualismus<br />

ihrer Mitglieder: „Hauptsache gerettet!“,<br />

statt sie zu einem mündigen, lebendigen Organismus<br />

werden zu lassen.<br />

Die Perspektive der<br />

nächsten Reformation<br />

Die ekklesia Christi baut Gottes Reich auf Erden<br />

und zwar in kleinen oikos-Familien vor Ort, in<br />

denen Gottes gegenwärtig ist und die durch<br />

seine Autorität Einfluss auf das Geschehen um<br />

sich herum nehmen.<br />

Es ist Zeit, dass Reformation in eine neue<br />

Phase tritt und „Kirche“ zur ekklesia wird. Das<br />

geht Hand in Hand mit der „Lösung“ der Denominationen<br />

und Gemeinden, der Pfarrer und<br />

Pastoren sowie Bibelschulen und theologischen<br />

Hochschulen von der Bevormundung durch<br />

Denkmuster des Humanismus.<br />

Andernfalls bleiben sie lediglich gerettete Sünder,<br />

die, isoliert und kraftlos, sich in religiösen<br />

Versammlungen aufpäppeln lassen, bis Jesus sie<br />

heimholt von dieser ach so bösen Erde …<br />

Errettung und<br />

Seelenheil sind<br />

wichtig, aber das<br />

ist nur eine Seite<br />

der Medaille<br />

Ohne Auszug aus „Ägypten“<br />

kommt man nicht in das<br />

Land der Verheißung!<br />

Werk von Léon Gruel, Paris.<br />

Walters Art Gallery, Baltimore.<br />

Wikipedia<br />

Z für Zukunft<br />

97


Visionär<br />

Aus dem Inhalt:<br />

Leitthema<br />

­ Gender für Anfänger ­<br />

­ Affenjungen spielen mit Autos … ­<br />

­ Weniger Menschen, dafür mehr Sex ­<br />

­ Entmännlichung der Gesellschaft ­<br />

Gender-Taktik<br />

­ Von Herren Professorinnen ­<br />

Gender-Blüten<br />

­Freie Fahrt ins Irrenhaus ­<br />

­Die 60 Geschlechter von Facebook ­<br />

Europa<br />

­ Verschlungene Wege der EU ­<br />

Historisch<br />

­ Gehirnwäsche missglückt ­<br />

Politik<br />

­ Gender – eine totalitäre Bedrohung ­<br />

Sexualpädagogik<br />

­ Wie viel Wissenschaft steckt drin? ­<br />

­ Wie das „Gehirn“ der sexuellen<br />

Vielfalt tickt ­<br />

Unsere Kinder<br />

­ Identität zerbrechen?<br />

­ Staatlich verordneter Kindesmissbrauch<br />

­<br />

­ Die „Vielfalts“-Indoktrinierung ­<br />

Homosexualität<br />

­ Der Homosexuelle als Spezies ­<br />

Pädophilie<br />

­ Pädophilie ­<br />

Spiritualität<br />

­ SEX: Beliebigkeit oder höhere Spiritualität? ­<br />

­ Was ist schon gerecht? ­<br />

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98<br />

Z für Zukunft<br />

Das<br />

kompakte<br />

Nachschlagewerk<br />

für Zusammenhänge<br />

über<br />

Gender<br />

»Z« 15/16:<br />

Das Beste<br />

zum Thema<br />

Gender<br />

in dieser<br />

Kompaktheit<br />

42 Beiträge<br />

auf 164 Seiten<br />

QR zur Leseprobe<br />

Errettung und Seelenheil sind wichtig,<br />

aber das ist nur eine Seite der Medaille<br />

Es ist absolut genial, wenn man Vergebung erfahren<br />

hat und vom Sünder zu einem Kind Gottes<br />

geworden ist!<br />

Es ist Grund zur Freude, wenn ein Kind geboren<br />

wird; aber niemand ist glücklich, wenn das<br />

Kind ewig ein Baby bleibt. Oder wie damals,<br />

als die Israeliten beim Auszug aus Ägypten das<br />

Blut des einjährigen Schafbocks an die Türpfosten<br />

ihrer Häuser strichen und daraufhin vor dem<br />

Todesengel geschützt waren: Sinn und Zweck der<br />

Übung war, dass sie sich auf den Weg machten<br />

und das verheißene Land in Besitz nahmen. Das<br />

Blut Jesu rettet uns aus dem Griff des Todes – und<br />

es ermöglicht uns, aus der Sklaverei hinaus- und<br />

weiter in die Freiheit zu gelangen, um Verheißenes<br />

in Besitz zu nehmen.<br />

Gott rettet Sünder, um sie aus dem Griff des<br />

Todes zu befreien und damit sie zu seinen Söhnen,<br />

zu Brüdern Jesu Christi werden. Aber das<br />

ist nur der Anfang des Weges hin zu einem sehr<br />

konkreten Ziel: dem verheißenen Land – wo die<br />

ekklesia das Reich Gottes auf Erden sichtbar<br />

werden lässt, indem sie in engster Verbindung<br />

mit dem auferstandenen Jesus Christus die von<br />

ihm an sie delegierte Autorität gebraucht.<br />

Wenn Christen aber in ihrem eigenen „Ägypten“<br />

steckenbleiben und Kirche spielen, ist das fast, als<br />

wäre das Blut Jesu für sie vergeudet worden!<br />

Durch den Humanismus will Satan die „Kirche“<br />

in Ägypten gefangen halten; sie soll sich in<br />

religiöser Bescheidenheit und Selbstgefälligkeit<br />

damit zufriedengeben, eines Tages im Himmel<br />

aufzuwachen …<br />

Das Evangelium des Reiches Gottes hat eine<br />

andere Botschaft! Aber um sie hören zu können,<br />

müssen wir den Geist des Humanismus überwinden.<br />

George Markakis, Athen, ist prophetischer Visionär, vertraut<br />

mit den griechischen Wurzeln europäischer Philosophien, internationaler<br />

Referent.<br />

1 Matthäus 16,22–23.<br />

2 Apostelgeschichte 2,32–36; Psalm 110,1.<br />

3 Epheser 4,11.<br />

4 Jakobus 3,15.


Visionär<br />

Einheit – Traum oder Wirklichkeit?<br />

Über Einheit wird viel gesprochen und geschrieben; aber was das bedeutet, darüber<br />

besteht weitgehend Uneinigkeit. Auch ist nicht überall, wo „Einheit“ draufsteht, tatsächlich<br />

auch Einheit drin. Und vor allem sollten wir uns fragen: Einheit – mit wem?<br />

Peter Ischka<br />

Foto: © Agentur PJI UG, Montage<br />

Einheit unter Christen – die Einheit,<br />

von der das Johannes-Evangelium<br />

in Kapitel 17 handelt, die wird auf<br />

jeden Fall kommen. Die Frage ist<br />

nur: Sind wir dabei oder nicht?<br />

Auch dieser Spruch von Jesus schwebt im<br />

Raum: „Viele sagen: ‚Herr, Herr!‘, aber ich kenne<br />

sie nicht.“ Wie viele rufen „Einheit, Einheit!“, sind<br />

aber selber meilenweit davon entfernt?<br />

Mit dem Traum von Einheit ist es ein wenig<br />

wie mit dem Traum vom Fliegen: Wir wollen hoch<br />

hinaus und malen uns aus, wie das wohl wäre,<br />

wenn alle Christen eins wären.<br />

Was Einheit nicht ist<br />

Wer sich mit Einheit befasst, sollte aber auch ein<br />

wenig Bescheid wissen, was Einheit nicht ist.<br />

So denkt man unter dem Begriff „Petrusdienst“<br />

laut darüber nach, die weltweite Christenheit<br />

unter dem Vorsitz einer Integrationsfigur<br />

zu vereinen – gemeint ist der Papst. Dafür soll<br />

dessen Amt teilweise abgespeckt werden; nur<br />

in dem römisch-katholischen Teil soll die ganze<br />

Amtsgewalt Anwendung finden. – Kirchenpolitische<br />

Überlegungen gibt es viele, aber die müssen<br />

nicht unbedingt Einheit bewirken.<br />

Heute finden wir weltweit über 46 000 christliche<br />

Denominationen, christliche Kirchenarten<br />

sozusagen, und täglich werden es mehr. Ein Teil<br />

davon ist der Sprachenvielfalt zu verdanken, aber<br />

etliche Denominationen sind deshalb entstanden,<br />

weil ein paar Leute entdeckt haben, dass sie „die<br />

einzig Wahren“ unter uns Christen sind. Viele<br />

davon sind absolut für Einheit – wenn sich der<br />

Rest nur an ihre Vorgaben halten würde …<br />

Einheit im Sinne des Erfinders<br />

Um aus der Verwirrung um das Thema „Einheit“<br />

auszusteigen und zu verdeutlichen, was der Erfinder<br />

von Kirche – Jesus – gemeint hat, wenn er von<br />

Einheit sprach, nennen wir diese Einheit „Gleichwie-Einheit“.<br />

Wie kann ein Gerichtsmediziner herausfinden,<br />

ob eine einzelne Hand oder ein separierter Fuß<br />

zum selben Körper gehören? Er macht einen DNA-<br />

Test. – Haben die einzelnen Teile dieselbe DNA wie<br />

Um aus der<br />

Verwirrung um<br />

das Thema<br />

„Einheit“ auszusteigen<br />

und uns<br />

dem nähern,<br />

was Jesus<br />

gemeint hat,<br />

nennen wir sie<br />

„Gleichwie-<br />

Einheit“<br />

Z für Zukunft<br />

99


Visionär<br />

Foto: © Wikipedia, Ailura<br />

Die Latte ist<br />

gelegt!<br />

So wie Jesus eins<br />

war mit dem<br />

Vater, so sollen<br />

wir eins mit ihm<br />

sein. Und nur<br />

jene, die so eins<br />

sind mit ihm,<br />

können diese<br />

„Gleichwie-<br />

Einheit“ untereinander<br />

erleben<br />

das Haupt, dann kann man von ein und demselben<br />

Leib sprechen: Einheit! Daher ist es gut, ja notwendig,<br />

die DNA des Hauptes zu kennen.<br />

Verwirklichte Einheit<br />

ist jemandes Super-GAU<br />

Da ist einer darauf spezialisiert, echte Einheit in<br />

der Christenheit zu verhindern und dafür Ersatzformen<br />

in Umlauf zu bringen – und vieles, was<br />

heute als „Einheit“ verkauft wird, ist bei Lichte<br />

betrachtet nur ein miserables Imitat.<br />

Übrigens: Jesus hat gar nicht<br />

um Einheit gebetet<br />

Gebetet hat Jesus um drei elementare Voraussetzungen<br />

für Einheit; man muss nur genau hinschauen,<br />

was in Johannes 17 tatsächlich steht,<br />

und nicht nur nachsprechen, was viele vermutet<br />

oder in diesen Text hineininterpretiert haben.<br />

1. Bewahre sie in der Autorität deines Namens,<br />

den du mir gegeben hast (V. 11b): also in seinem,<br />

Jesu, Namen und nicht im Namen der<br />

evangelischen, katholischen, baptistischen,<br />

pfingstlichen oder einer der anderen 46 000<br />

Denominationen.<br />

2. Bewahre sie vor dem Bösen (V. 15b). Der geht<br />

nämlich umher wie ein brüllender Löwe und<br />

sucht, wen er verschlingen kann. Und was der<br />

ganz sicher nicht leiden kann, ist die Einheit<br />

unter den Leuten von Jesus! Die zu verhindern,<br />

darin ist er seit Jahrtausenden Profi. Die Vermischung<br />

mit Heidnischem, der Einzug des humanistischen<br />

Geistes oder dogmatische Einseitigkeiten<br />

sind solche Wirkungen des Bösen, und<br />

vor denen will uns dieses Gebet bewahren.<br />

3. Heilige sie durch die Wahrheit, dein Wort ist die<br />

Wahrheit (V. 17). Wenn in einer Denomination<br />

die unumschränkte Autorität des Wortes Gottes<br />

relativiert wird, dann erübrigt sich alles Weitere.<br />

Denn Christus selbst ist das Wort Gottes,<br />

und der Geist Gottes leitet in die ganze Wahrheit.<br />

„Aber was ist Wahrheit?“, fragt sich so<br />

mancher aufgeklärte Christ.<br />

Bewahre sie in deinem Namen, bewahre sie<br />

vor dem Bösen, heilige sie durch die Wahrheit:<br />

Diese drei Bitten müssen in Erfüllung gehen,<br />

damit Einheit möglich wird. Rührende Lieder wie<br />

„Vater, mach uns eins“ verleiten eher zum Fatalismus<br />

und vernebeln den realistischen Blick auf<br />

diese drei entscheidenden Voraussetzungen für<br />

Einheit: die Autorität seines Namens, das Überwinden<br />

des Bösen und gefestigt zu sein in der<br />

Wahrheit. Was immer wir davon relativieren,<br />

wird nur ein weiteres schlaffes Imitat von Einheit<br />

zustande bringen.<br />

Das Schlüsselwort in Johannes 17:<br />

„gleichwie“<br />

Mit „gleichwie“ ist die Latte gelegt; das stellt<br />

alle unsere Vorstellungen von Einheit sowie all<br />

die Ersatzformen bloß. So wie Jesus eins war mit<br />

dem Vater, so sollen wir eins sein mit ihm. Und<br />

nur jene, die so eins sind mit ihm, können diese<br />

„Gleichwie-Einheit“ untereinander erleben.<br />

Wenn wir uns Einheit wünschen, geht es nicht<br />

in erster Linie um die Frage nach Unterschieden<br />

in Lehrmeinungen oder des Frömmigkeitsstils<br />

oder um Projekte, die man gemeinsam durchführen<br />

könnte. Die netten Bemühungen, nur das<br />

Gemeinsame zu suchen und das Trennende unter<br />

den Teppich zu kehren, haben auf lange Sicht<br />

noch nie gefruchtet. Nein, im Zentrum steht einzig<br />

und allein die Frage nach der Einheit mit Christus,<br />

dem Auferstandenen, dem alle Macht im Himmel<br />

und auf Erden gehört.<br />

100<br />

Z für Zukunft


Visionär<br />

Also: Wer eins ist mit Jesus Christus, der kann ‒<br />

oder besser: wird ‒ eins sein mit jemand anderem,<br />

der ebenfalls mit Jesus Christus eins ist.<br />

Wir würden alle gerne fliegen können. Aber<br />

wie beim Fliegen, so ist auch bei der Einheit der<br />

Christen nicht der Traum ausschlaggebend, sondern<br />

die Wirklichkeit: Nur wo wir im Kleinen treu<br />

sind, werden wir auch im Größeren in dieser Realität<br />

leben können. Wir träumen von einer großen<br />

Einheit, auf nationaler Ebene oder gar auf<br />

einer europäischen. Aber mit unseren nächsten<br />

Brüdern und Schwestern eins zu sein, das fällt<br />

uns gelegentlich schwer. Fast wie in der Ehe – je<br />

näher wir einander kommen, umso genauer lernen<br />

wir auch die Problemzonen kennen.<br />

In diesem Metier kennt sich der Einheits-<br />

Verhinderer besonders gut aus. Er hat ein ausgefeiltes<br />

Know-how darin, Einheit zu sabotieren und<br />

Zwist und Spaltung zu produzieren. Am effektivsten<br />

gelingt es ihm im Kleinen, also zwischen dem<br />

einen Nächsten und dem anderen.<br />

Das Super-Werkzeug<br />

Nicht-Vergeben-Wollen – „Unvergebenheit“ gehört<br />

zu einen besten Werkzeugen. Immerhin ist einer<br />

seiner „Ehren“-Titel „Verkläger der Brüder“ 1 !<br />

„Wenn ihr nicht vergebt, kann euch nicht vergeben<br />

werden“, sagte Jesus, und schon sind wir aus der<br />

Gnade gefallen und machen das Werk vom Kreuz<br />

für uns zunichte.<br />

„Wenn du bemerkst, dass ein Bruder, eine<br />

Schwester etwas gegen dich hat, denn gehe du<br />

hin und versöhne dich. Anbetung kannst du dir<br />

bis dahin sparen.“ 2<br />

„Das Gebet eines Gerechten vermag viel.“ 3<br />

Das Gebet eines Nichtgerechten hingegen kann<br />

man in der Pfeife rauchen … Wer unversöhnlich<br />

ist und so des Teufels Handwerk betreibt, der ist<br />

in dieser Hinsicht nicht gerecht. Denn wenn aus<br />

diesem Grund Gott einem nicht vergeben kann,<br />

ist man in diesen Bereichen nicht gerechtfertigt,<br />

also ist man auch kein Gerechter!<br />

Diese in der Christenheit weit verbreitete<br />

Unart – Unversöhnlichkeit – disqualifiziert uns, sie<br />

entzieht uns der Gnade und sie verhindert die Einheit,<br />

von der Jesus gesprochen hat.<br />

Es kann durchaus sein, dass wir in unserem<br />

abgeschlossenen christlich-denominationellen System<br />

so etwas wie Einheit verspüren, weil wir zu verhüten<br />

gelernt haben, dass diese für unseren Herrn<br />

abscheulichen Punkte angetastet werden. Aber das<br />

ist nicht die Einheit, die Jesus will; vielmehr machen<br />

wir damit den Teufel zum Untermieter, und das<br />

im Hause Gottes! Ja, Nicht-Vergeben-Wollen und<br />

Unversöhnlichkeit sind die Spielwiesen des Teufels;<br />

besonders gefällt es ihm, wenn wir dann auch noch<br />

über andere Geschwister herziehen.<br />

Wo immer wir nicht konkret Vergebung gesucht<br />

und unseren Vorwürfen den Rücken gekehrt haben<br />

(und, wo möglich, Versöhnungswege gegangen<br />

sind), an diesen Stellen sind die Triggerpunkte, die<br />

„roten Knöpfe“ in uns. Wenn wir dann einen ernsthaften<br />

Schritt in Richtung Einheit gehen wollen,<br />

dann ist das wie der rote Auslöserknopf, der eine<br />

Dynamitladung zur Explosion bringt. Das kann ein<br />

Eheproblem sein, ein finanzieller Absturz, Krankheit<br />

… Unversöhnlichkeit gibt dem Einheitsverhinderer<br />

das Recht, uns massive Knüppel in den Weg<br />

zu legen.<br />

Wenn wir wirklich Einheit wollen, müssen wir<br />

zuerst diese Trigger unwirksam machen – Eifersucht,<br />

Neid, üble Nachrede, Streit und so weiter,<br />

Paulus zählt sie in den Briefen auf; eben die üblichen<br />

Instrumente, mit denen im ganz „normalen“<br />

Leben operiert wird, um Einzelpersonen und<br />

Familien, Gruppen und Kirchen zu entzweien.<br />

Etwas so Erstrebenswertes wie Einheit herbeizusehnen,<br />

hat durchaus seinen Platz; solange<br />

aber diese Hindernisse so reichlich vorhanden<br />

sind, können wir von der „Gleichwie-Einheit“<br />

nur träumen – und das nun ist jedenfalls nicht im<br />

Sinne des Erfinders!<br />

„Ich halte mich zu Paulus, ich aber zu Apollos,<br />

ich aber bin Kephas-Fan“ – ich bin von der Bewegung<br />

ABC, ich vom Netzwerk XYZ … „Ist denn der<br />

Christus zerteilt?“ Man spricht ja von einem „Leib“<br />

Christi. Sicher haben (neben den Gründen, die einfach<br />

nur traurig sind) die verschiedenen Denominationen<br />

gute theologische Erklärungen und Begründungen,<br />

und doch: „Wir sind für Einheit [… also am<br />

besten, Sie treten unserem Netzwerk bei]!“<br />

Und was der<br />

Verhinderer sicher<br />

nicht leiden kann,<br />

ist Einheit unter den<br />

Leuten von Jesus!<br />

Er streut seine<br />

Ingredienzen:<br />

die Vermischung<br />

mit Heidnischem,<br />

der Einzug des<br />

humanistischen<br />

Geistes oder<br />

dogmatische<br />

Einseitigkeit<br />

Nicht-Vergeben-Wollen ist<br />

einer der „roten Knöpfe“, die<br />

eine Ladung Dynamit zur<br />

Explosion bringen<br />

Foto: © 123RF, Tomasz Wyszolmirski<br />

Z für Zukunft<br />

101


978-3-944764-14-6<br />

Visionär<br />

inheit<br />

t. Eines<br />

n. Wo ihm<br />

tationen.<br />

meint,<br />

hannes 17<br />

es<br />

Hinweise,<br />

t geht.<br />

W I E G E H T E I N H E I T<br />

Foto: © Agentur PJI UG, Montage von Wikipedia-Bildern<br />

„Ich bin für<br />

Paulus,<br />

ich aber für<br />

FC-Bayern,<br />

ich aber bin<br />

Kephas-Fan“,<br />

ich für Borussia,<br />

ich für Werder<br />

Bremen …<br />

PETER ISCHKA<br />

WIE GEHT<br />

EINHEIT<br />

Nicht überall, wo´s draufsteht, ist Einheit drin<br />

QR zur Leseprobe<br />

Der Größte unter euch<br />

soll der größere Diener sein<br />

Aber was ist das eigentlich, der Leib Christi? Und<br />

dann ist da ja auch noch die „Braut Christi“, der<br />

er begegnen möchte – wer sagt uns, was was<br />

bedeutet? Und wer sind die Ersten und die Großen<br />

im Reich Gottes?<br />

„Ich bin ‚first‘ – Ich bin Förster –<br />

Aber ich bin Oberförster!“?<br />

Man könnte es als „Schneeball-System“ bezeichnen:<br />

Im Reich Gottes übt man sich im gegenseitigen<br />

Übertreffen beim Einander-höher-Achten –<br />

also darin, dem anderen das Doppelte des Segens<br />

zu wünschen, den man selber abbekommen hat.<br />

(Keine Angst, das ist nur theoretisch gedacht, es<br />

besteht kein Anlass zur Sorge. Oder haben Sie<br />

schon einmal erlebt, dass dieses Ansinnen von<br />

Jesus konkret und praktisch umgesetzt wird?)<br />

Scherz beiseite – stellen Sie sich diese Dynamik<br />

vor: Was würde passieren, wenn jeder darauf<br />

aus wäre, seinen Nächsten auf eine bessere<br />

Ebene zu hieven, die vielleicht sogar herrlicher<br />

ist als die eigene? Ein Pastor wünscht sich, dass<br />

seine Mitarbeiter geistlich über ihn hinauswachsen<br />

– und weil er so damit beschäftigt ist, andere<br />

zu segnen und voranzubringen, bemerkt er gar<br />

nicht, wie er selber dabei nach oben gehoben<br />

wird. Fast wie beim Fliegen! (Wir lassen einfach<br />

mal der Fantasie freien Lauf.)<br />

Ein Team von Alphatieren<br />

Da gibt es ja diese fünf wirklich großen Dienste:<br />

Apostel, Propheten, Evangelisten, Hirten und Lehrer.<br />

Jeder von denen ist in der Regel eine Leiterpersönlichkeit,<br />

man könnte auch sagen: ein „Alphatier“;<br />

jeder Einzelne könnte locker eine Kirche, ein Missionswerk,<br />

einen Lehrdienst am Laufen halten. Aber<br />

was, wenn man zwei oder drei von ihnen in einen<br />

Raum sperren würde? Wie lange würde es wohl dauern,<br />

bis es zur Explosion kommt? Denn sie sind so<br />

grundverschieden in ihrer Dienstprägung, ihrer Persönlichkeit<br />

und der Art, etwas anzupacken.<br />

Daher sind die meisten Bewegungen und Kirchen<br />

entweder prophetisch oder evangelistisch<br />

oder aber pastoral oder lehrorientiert geprägt.<br />

Wer in die jeweilige Prägung hineinpasst, der<br />

fühlt sich dort wohl; wer nicht, der empfindet sich<br />

als fehl am Platz und wird sich früher oder später<br />

die zu ihm passende Prägung suchen.<br />

Aber ist das im Sinne des Erfinders? Nun, der<br />

hat ja deutlich erklärt, was er will: dass diese fünf in<br />

ihrer unterschiedlichen und vielfältigen Ausführung<br />

eins sind! Ein Team von Alphatieren – für uns Menschen<br />

offensichtlich eine Überforderung; aber gut,<br />

wenn Jesus das im Blick hat, sollte es möglich sein!<br />

Deshalb stehen die Chancen gut, dass die Einheit<br />

des Leibes Christi doch zustande kommt, übernatürlich<br />

natürlich, so wie auch die „Gleichwie-<br />

Einheit“ nur etwas Übernatürliches sein kann.<br />

Christus ist der Chef-Apostel, er ist der Überprophet,<br />

er ist der Mega-Evangelist, er ist der<br />

Oberhirte und er ist der Ultimativ-Lehrer. Das<br />

Bodenpersonal kann nur dann ein würdiges Pendant<br />

des Königs der Könige sein, wenn diese fünf<br />

Dienste im Sinne des Erfinders „in die Puschen“<br />

kommen – und wie ein Mann (eine Frau) funktionierende<br />

Teams bilden.<br />

Lehre über die fünf Dienste gibt es inzwischen<br />

zur Genüge, aber es gibt die fünf Dienste kaum in<br />

Aktion. Es gibt viele Star-Apostel und Power-Propheten,<br />

jeder hat seinen eigenen „Ministry“ (und seine<br />

Gefolgschaft). Aber wo sind die Teams mit jeweils<br />

mehreren Aposteln, mehreren Propheten und einer<br />

Schar von Evangelisten, Hirten und Lehrern, die<br />

trotz aller spürbaren Unterschiede wie ein Mann<br />

(Frauen eingeschlossen) mit einer Stimme wirken?<br />

102<br />

Z für Zukunft


Visionär<br />

Solange die Einheit dieser „Fünf“ nicht wenigstens<br />

ansatzweise zum Durchbruch kommt, wird die<br />

„Gleichwie-Einheit“ des Leibes Christi wohl weiter<br />

ein Traum bleiben. Dabei sind die Fünf – Apostel,<br />

Propheten, Evangelisten, Hirten, Lehrer – so etwas<br />

wie der Schlüssel zur Ausbreitung des Reiches Gottes<br />

auf Erden („Dein Reich komme!“, sagen wir im<br />

Vaterunser) und zur Formierung des Leibes Christi.<br />

Diese Qualität von Einheit ist für uns Menschen<br />

aber nicht machbar; wir erleben sie nur, wenn wir<br />

in der Kraft Gottes die Einheits-Hindernisse überwinden.<br />

Was Gott den Überwindern verheißt, das<br />

können wir in den Briefen lesen, die Jesus an seine<br />

Gemeinde geschrieben hat, zu finden am Anfang<br />

der Johannes-Offenbarung.<br />

Die Fünf sind der Schlüssel …<br />

… damit Gottes Bodenpersonal ausgerüstet wird<br />

zum Dienst.<br />

… damit das Volk Gottes zur Einheit des Glaubens<br />

kommt.<br />

… damit die Gläubigen den Sohn Gottes erkennen,<br />

wie er wirklich ist („Gleichwie“-Erkenntnis).<br />

… damit wir alle zur vollen Reife gelangen, zum<br />

Vollmaß der Erfüllung in Christus.<br />

… damit wir nicht weiter als Unmündige umgeworfen<br />

werden von jeder neuen Welle der Lehre.<br />

… damit der ganze „Leib“ durch diese Dienst-<br />

Gelenke zusammengehalten und bewegungsfähig<br />

wird.<br />

… damit das eine Haupt seinen Platz auf dem Leib<br />

einnimmt und dieser aufhört, ein vielköpfiges<br />

Monster zu sein.<br />

… damit jeder Teil am Leib in seiner Funktion<br />

(Berufung) agieren kann, und zwar nach dem<br />

Maß, das ihm in Gottes Plan zugeteilt ist – und<br />

das ist meist größer, als wir denken.<br />

Wenn die Fünf nicht in Einheit zusammenwirken,<br />

dann bleiben die Ergebnisse aus, die ihnen<br />

zugedacht sind: Die Ausrüstung zum Dienst wird<br />

grobe Mängel aufweisen; es fehlt an Einheit des<br />

Glaubens, an Reife und am Sichtbarwerden der<br />

Erfüllung in Christus.<br />

Doch wenn die Fünf „in Einheit zusammen<br />

sind“, wie es Psalm 133 besingt, dann offenbaren<br />

sie damit das Haupt samt dem Leib als eine Einheit,<br />

und es wird der sichtbar, der die Fülle dessen<br />

ist, der alles in allem erfüllt – Christus, der<br />

König der Könige.<br />

Klein anfangen und<br />

eine große Rolle spielen<br />

Legen wir also unsere Kronen nieder und entscheiden<br />

wir uns dazu, die „größeren Diener“<br />

zu sein, damit Jesus Christus der König und das<br />

Haupt seines Leibes sein kann. Dann werden wir<br />

ihn erkennen, wie er ist, und wir werden umgewandelt<br />

in sein Bild – und das führt ziemlich automatisch<br />

zur Einheit mit Ihm.<br />

Die schöne und höchst erwünschte Nebenwirkung:<br />

Wer eins ist mit dem Haupt, Christus, der<br />

kann auch eins sein mit denen, die ebenfalls eins<br />

sind mit ihm – und das ganz ohne Anstrengung.<br />

Wer im Kleinen treu ist, der wird das auch auf<br />

höherer Ebene realisieren können. Sie als Einzelner<br />

spielen eine große Rolle<br />

in der Verwirklichung dieses<br />

Traumes! Denn die eigentliche<br />

Herausforderung liegt<br />

in der Einheit von zwei, drei<br />

Menschen in einem anhaltend<br />

aktiven Prozess. „Wo zwei<br />

oder drei ‚gleichwie-eins‘<br />

sind in der Autorität meines<br />

Namens, da bin ich mitten<br />

unter ihnen, und worum sie<br />

in dieser Einheit bitten, das<br />

wird ihnen widerfahren.“ 4<br />

Das wäre doch eine attraktive<br />

Perspektive, nicht wahr?<br />

Ausführlicher wird dieses Thema behandelt in<br />

dem Buch „Wie geht Einheit?“; dort finden Sie auch<br />

eine Erläuterung für Ihr persönliches „Einheits-Entwicklungs-Labor“.<br />

Ein Handbuch, wie Sie mit zwei,<br />

drei anderen schrittweise in diese übernatürliche<br />

„Gleichwie-Einheit“ kommen können.<br />

Leseprobe: http://shop.agentur-pji.com<br />

Siehe auch Kurzvideo „Höhere Mathematik für einfache Christen“,<br />

www.youtube.com/watch?v=FigVB1p-2-0<br />

1 Offenbarung 12,10.<br />

2 Matthäus 5,23–24.<br />

3 Jakobus 5,14.<br />

4 Matthäus 18,19–20.<br />

5 Hesekiel 37,4–5.<br />

Die Glieder des<br />

„Leibes“ – noch<br />

sind sie kaltgestellt<br />

und warten auf die<br />

eigentliche<br />

Reformation.<br />

„Weissage über diesen<br />

Körperteilen:<br />

Ihr vertrockneten<br />

Glieder, hört das<br />

Wort des HERRN:<br />

Siehe, ich bringe<br />

Odem in euch, dass<br />

ihr wieder lebendig<br />

werdet!“ 5<br />

QR zum Video<br />

„Höhere Mathematik<br />

für einfache<br />

Christen“<br />

Foto: © Agentur PJI UG, Montage<br />

Z für Zukunft<br />

103


Visionär<br />

Evangelium –<br />

was ist das eigentlich?<br />

Dank Luther konnten plötzlich alle die Bibel lesen. Heute geht das auf jedem Smartphone,<br />

aber wer tut es noch? Was das Evangelium, die Frohe Botschaft, sein soll, wissen daher<br />

nur noch wenige. Meist sind gekürzte Versionen im Umlauf – oft im Format einer „überlieferten“<br />

Meinung. Doch „Selber lesen!“ war immer schon der Schlüssel jeder Reformation<br />

Peter Ischka<br />

Welches Bild verkündigt<br />

welches Evangelium? Eine<br />

königliche Maria mit einem<br />

Kindlein auf dem Schoß – Der<br />

leidende Jesus gemartert am<br />

Kreuz – Jesus Christus, der<br />

Pantokrator, sitzend<br />

auf dem Thron<br />

Madonna im Rosenhag,<br />

Stefan Lochner um 1450.<br />

Isenheimer Altar,<br />

Matthias Grünewald 1523–25.<br />

Basilika San Miniato al Monte<br />

Jesus sprach<br />

immer von einem<br />

Evangelium des<br />

Reiches Gottes.<br />

Wie konnten<br />

wir das nur<br />

übersehen?<br />

„Evangelium“ – das war ursprünglich<br />

ein militärischer Begriff: Wenn an der Front der<br />

Feind besiegt war, brachte ein Eilbote die erfreuliche<br />

und ersehnte Nachricht ins Kernland. Auch<br />

die Thronbesteigung eines neuen Kaisers wurde<br />

als „Evangelium“ verkündigt.<br />

Wussten Sie das? Nun, mich hat es auch überrascht,<br />

dieses Wort ist inzwischen doch sehr<br />

„christlich“ konnotiert. Doch in der Tat – das Evangelium<br />

der Christen ist die Frohe Botschaft, dass<br />

Jesus Christus durch sein Leiden und Sterben am<br />

Kreuz die Schuld der ganzen Menschheit beglichen<br />

und uns somit Sündenvergebung erwirkt hat.<br />

Zur Zeit Luthers wurde das Schuldbewusstsein,<br />

das jeder nur zu gut kennt, von der römisch-katholischen<br />

Kirche extrem missbraucht; der Ablasshandel<br />

war ein willkommenes Geschäftsmodell,<br />

um die hohen Summen für den Bau des Petersdoms<br />

zu generieren: „Sobald das Geld im Kasten<br />

klingt, die Seele in den Himmel springt!“<br />

Damit hat Luther aufgeräumt; er hielt dagegen:<br />

„Gerechtfertigt aus Gnade“. Das war ein<br />

gigantisch großer Schritt, aber das ganze Evangelium<br />

bietet deutlich mehr! Nach Zeiten gnadenloser<br />

religiöser Unterdrückung schlägt das<br />

Pendel meist in ein anderes Extrem – man könnte<br />

auch sagen: Aus einer (durchaus notwendigen)<br />

Betonung wird Einseitigkeit. So wurde Gottes<br />

Gnade in den Augen vieler zur „billigen Gnade“:<br />

„Komm zu Jesus, du kriegst Freibier“; „Hauptsache,<br />

ich bin errettet, mir geht es gut, mein Jesus<br />

wird es schon richten …“<br />

„Evangelium“ nannte man auch, wenn verkündet<br />

wurde, dass ein neuer Herrscher den Thron<br />

bestiegen hatte (dann gab es oft Geschenke bis<br />

hin zur Generalamnestie). Jesus hat sich zur<br />

Rechten Gottes des Vaters gesetzt!<br />

Wie hat Jesus es wirklich gemeint? Die ganze<br />

Zeit seines Wirkens auf dieser Erde sprach Jesus<br />

von einem Evangelium des Reiches Gottes;<br />

104<br />

Z für Zukunft


Visionär<br />

besonders nach seiner Auferstehung nützte er<br />

die verbleibenden 40 Tage, um mit seinen Freunden<br />

über all das zu sprechen, „was das Reich<br />

Gottes betrifft“. Eine Videoaufzeichnung davon<br />

wäre sicher interessant!<br />

Adam, Eva und der „linke Deal“<br />

Foto: © wallpapervortex.com<br />

Evangelium von der Errettung – Evangelium des<br />

Reiches Gottes – was ist der Unterschied? Ist das<br />

nicht nur eine theologische Spitzfindigkeit?<br />

Könnte man meinen; deshalb beginnen wir<br />

auch gleich bei Adam und Eva: „‚Lasst uns Menschen<br />

nach unserem Bild machen, uns ähnlich!<br />

Sie sollen herrschen über die ganze Erde und<br />

über alle Lebewesen.‘ Und Gott schuf den Menschen<br />

nach seinem Bilde, als Mann und Frau.“ So<br />

lesen wir es in 1. Mose 1,26; der Psalmist unterstreicht<br />

den Herrschaftsauftrag: „Der Himmel ist<br />

der Himmel des Herrn, die Erde aber hat er den<br />

Menschenkindern gegeben.“ 1<br />

Das war der Ausgangspunkt. Die Erde war<br />

also ursprünglich das Herrschaftsgebiet des<br />

Menschen; der Mensch regierte über die Erde,<br />

die war ihm übergeben. Genau das sagen die<br />

Begriffe, die am Anfang der Bibel stehen. Aber<br />

wir wissen es aus dem Geschichtsunterricht:<br />

Herrschaftsansprüche sind nicht „in Stein gemeißelt“,<br />

Regierungsautorität kann in andere Hände<br />

gelangen – durch Heirat, durch Siege oder auch<br />

durch Betrug.<br />

In der Anfangszeit war es für den Menschen<br />

ganz normal, Gott zu begegnen und mit ihm<br />

einige Worte zu wechseln. Es gab eine unmittelbare<br />

Beziehung.<br />

Aber dann schlich sich ein Etwas ein und<br />

stellte die verfängliche Frage: „Sollte Gott gesagt<br />

haben?“ Eine Frage, die aus atheistisch-humanistischer<br />

Perspektive auch heute jeden Tag gestellt<br />

wird. Wir kennen sie ja, die Geschichte vom<br />

Sündenfall, die auf den ersten Seiten der Bibel<br />

erzählt wird.<br />

Wer steckte hinter diesem Etwas? Zu gern<br />

hätte Satan die Herrschaft über die Erde gehabt,<br />

aber die war schon vergeben. Was tun? Er schlug<br />

den aktuellen Herren der Erde einen äußerst linken<br />

Deal vor: verbotene Frucht essen gegen eine<br />

Art Neuprogrammierung mit Bewusstseinserweiterung<br />

(was diese doch gar nicht nötig gehabt<br />

hätten!). Der Mensch hat sich übel austricksen<br />

lassen – und sein Erbrecht für ein „Linsengericht“<br />

verkauft, hat die Herrschaft über die Erde eingetauscht<br />

gegen den Genuss einer ominösen Frucht.<br />

So wurde Satan zum „Fürsten dieser Welt“.<br />

Wie aus dem Deal herauskommen?<br />

Großer Sprung: Was hat nun Jesus, der auch „der<br />

letzte Adam“ genannt wird, tatsächlich bewirkt<br />

durch seinen Tod am Kreuz und die Auferstehung?<br />

In einer Ankündigung seines nahen Todes<br />

zeigt Jesus, wie sehr dieser gegen den Fürsten<br />

dieser Welt gerichtet war: „Jetzt ist das Gericht<br />

dieser Welt, jetzt wird der Fürst dieser Welt<br />

hinausgeworfen werden. Ich werde nicht mehr<br />

viel mit euch reden, denn der Fürst dieser Welt<br />

kommt, aber in mir hat er gar nichts.“ 2<br />

Was hatte er nicht, dieser „Fürst dieser Welt“?<br />

Er hatte keinen Deal mit Jesus, es gab kein Vertragsverhältnis,<br />

worauf der „Fürst dieser Welt“<br />

einen Anspruch hätte geltend machen können.<br />

Durch diesen ursprünglichen „linken Deal“ waren<br />

zunächst die ersten Menschen, „der erste Adam“,<br />

und anschließend die ganze Menschheit in einer<br />

Vertragsabhängigkeit gefangen. Jesus als „der<br />

letzte Adam“ aber war, weil er nie gesündigt<br />

hatte, davon frei und konnte deshalb nicht korrumpiert<br />

werden. Dadurch hatte Jesus Christus<br />

das volle Recht und die Möglichkeit, die Menschheit<br />

aus dieser tödlichen Abhängigkeit herauszukaufen<br />

und ihr ursprüngliches Recht, über die<br />

Erde zu herrschen, wieder zurückerlangen.<br />

Paulus hat das zutiefst erkannt: „Ihr wart tot<br />

in euren Verfehlungen, in denen ihr gemäß dem<br />

Zeitgeist dieser Welt, gemäß seinem Fürsten, als<br />

Söhne des Ungehorsams unterwegs wart.“ 3 Das<br />

Das Eigentliche<br />

des Evangeliums<br />

ist nicht die<br />

Erlösung von<br />

Sünden, es geht<br />

um Veränderung<br />

von Machtverhältnissen!<br />

Sündenvergebung<br />

ist „lediglich“<br />

eine gute Begleiterscheinung<br />

Z für Zukunft<br />

105


Visionär<br />

Es fällt<br />

uns nicht leicht<br />

zu begreifen,<br />

wie umfassend<br />

das war, was<br />

Jesus Christus<br />

in Tod und<br />

Auferstehung<br />

erreicht hat.<br />

Zu sehr sind<br />

wir von einem<br />

verkürzten<br />

Evangelium<br />

geprägt<br />

Hauptanliegen des Evangeliums ist nicht primär<br />

die Erlösung von Sünden, es geht um die Veränderung<br />

von Machtverhältnissen; Sündenvergebung<br />

ist sozusagen „lediglich“ eine gute Nebenwirkung!<br />

„Er hat uns errettet aus den Machtverhältnissen<br />

der Finsternis und uns versetzt in<br />

den Herrschaftsbereich des Sohnes seiner Liebe;<br />

dadurch haben wir auch die Erlösung von den<br />

Verfehlungen unserer Sünden im Beipack.“ 4<br />

Paulus selbst hat seinen eigenen Auftrag so<br />

beschrieben: „… den Menschen die Augen zu öffnen,<br />

dass sie sich von der Finsternis zum Licht<br />

und von der Macht des Satans zu Gott bekehren,<br />

damit sie Vergebung der Sünden empfangen und<br />

ein Erbe im Reich Gottes.“ 5<br />

Die oberste Priorität<br />

Jesus sprach ständig von dem Evangelium des<br />

Reiches Gottes. Im „Vaterunser“ spiegelt sich<br />

das deutlich wider – wir rufen aus: „Dein Reich<br />

komme!“ Wir sprechen das vielleicht gewohnheitsmäßig<br />

und haben dabei aus den Augen verloren,<br />

welche Tragweite das beinhaltet – ein echter Verlust,<br />

aber kein irreversibler. „Sucht als Erstes das<br />

Reich Gottes!“ 6 – als Erstes! Das ist im Evangelium<br />

oberste Priorität. Wie kriegen wir das hin?<br />

Paulus fordert uns auf: Seid nicht gleichförmig<br />

dieser Welt. Seid nicht systemabhängig vom „Fürsten<br />

dieser Welt“, sondern werdet verändert durch<br />

die Erneuerung eures Denkens. Genehmigt euch<br />

ein Update! Das atheistisch-humanistische Denkkonzept<br />

soll gegen die „Gesinnung Christi“ ausgetauscht<br />

werden – damit wir überhaupt in der Lage<br />

sind, all das zu prüfen, was auf uns einströmt, und<br />

zu erkennen, was eigentlich der Wille Gottes ist,<br />

und damit wir nicht weiterhin den Manipulationen<br />

des Systems dieser Welt ausgesetzt sind. 7<br />

Wir wechseln sozusagen den Provider, sind nicht<br />

länger in einem Vertragsverhältnis mit dem Fürsten<br />

dieser Welt; dann können auch wir sagen: „Wenn<br />

dieser kommt, hat er gar nichts in uns.“ 2 Denn<br />

überall dort, wo ihm die Kooperation versagt wird,<br />

verliert er seinen Regierungsanspruch. Und überall<br />

dort, wo der Wille Gottes geschieht, da breitet sich<br />

das Reich Gottes aus: „Dein Reich komme!“<br />

Jesus Christus, Erlöser und Sieger<br />

Es fällt uns nicht leicht zu begreifen, wie umfassend<br />

das war, was Jesus Christus in Tod und Auferstehung<br />

erreicht hat. Zu sehr sind wir geprägt<br />

von einem verkürzten Evangelium der Erlösung.<br />

„Alle sind abgewichen, da ist kein Gerechter,<br />

auch nicht einer; da ist keiner, der verständig ist;<br />

da ist keiner, der Gott sucht. Alle sind abgewichen,<br />

sie sind allesamt untauglich geworden; da ist keiner,<br />

der Gutes tut, da ist auch nicht einer.“ 8<br />

„Gottes Gerechtigkeit aber durch Glauben an<br />

Jesus Christus gilt für alle, die glauben. Denn es<br />

ist kein Unterschied: Alle haben gesündigt und<br />

erlangen nicht die Herrlichkeit Gottes und werden<br />

umsonst gerechtfertigt durch seine Gnade,<br />

durch die Erlösung, die in Christus Jesus ist.“ 9<br />

Das war die Schlüsselerkenntnis von Martin<br />

Luther – und sie ist von hoher Bedeutung für<br />

jeden Einzelnen, der die Vergebung der Sünden<br />

zu erlangen sucht und die Rechtfertigung vor<br />

Gott. Wohlgemerkt: ohne Gegenleistung!<br />

So weit, so gut, und jedes Wort ist wahr. Aber<br />

die Auswirkung des am Kreuz vollbrachten Erlösungswerks<br />

Jesu Christi ist weit umfassender, ja<br />

„universell“, ganz und gar systemverändernd.<br />

Jesus Christus hat nämlich nicht nur den<br />

Schuldschein gelöscht, der gegen uns gerichtet<br />

war, und ihn aus unserer Mitte fortgeschafft,<br />

indem er ihn ans Kreuz nagelte; sondern er hat<br />

vor allem die Gewalten und die Mächte (des Fürsten<br />

dieser Welt) völlig entwaffnet und sie öffentlich<br />

zur Schau gestellt. In Christus hat Gott den<br />

Triumph über diese Mächte voll ausgedrückt. 10<br />

Urteil und Vollstreckung<br />

Wenn wir uns nun die Lage in dieser Welt<br />

anschauen, kommen wir in einen Konflikt; alles<br />

sieht schlimmer aus denn je, und man hat gar<br />

nicht den Eindruck, dass das Böse völlig entwaffnet<br />

wäre. Korruption und Terror scheinen sich<br />

auszubreiten. Hat Jesus Christus den Fürsten dieser<br />

Welt nun hinausgeworfen oder nicht?<br />

Der Autor des Hebräerbriefes gibt darüber Aufschluss:<br />

„Indem Gott Christus alles unterwarf, ließ<br />

er nichts übrig, was ihm nicht unterworfen wäre.<br />

Jetzt aber sehen wir ihm noch nicht alles unter-<br />

106<br />

Z für Zukunft


Visionär<br />

worfen.“ 11 An anderer Stelle heißt es: „Fortan wartet<br />

Christus, bis seine Feinde als Schemel seiner<br />

Füße hingelegt sind.“ 12<br />

Das könnte man vergleichen mit dem Richter-<br />

Henker-Prinzip: Der Richter fällt ein Urteil, aber<br />

dieses bedarf der Vollstreckung. In der Zwischenzeit<br />

ändert sich für den Verurteilten nicht viel,<br />

besonders wenn er von dem Urteil noch nichts<br />

weiß, und auch nicht für die Geschädigten, die<br />

auf Gerechtigkeit hoffen.<br />

Daher ist es wichtig, dass das umfassende Evangelium<br />

verkündigt wird: Die Frohe Botschaft ist<br />

zunächst für jeden persönlich die Vergebung der<br />

Sünden und die Rechtfertigung aus Glauben; aber<br />

darüber hinaus und übergeordnet verkündet sie,<br />

dass der Fürst dieser Welt alles Recht an der Welt<br />

verloren hat und per Gerichtsurteil entmachtet ist.<br />

Unsere Rolle<br />

Gott will das Herrschaftsverhältnis, das im Schöpfungskonzept<br />

ursprünglich vorgesehen war, auf der<br />

Erde wiederherstellen: „Christus muss freilich im<br />

Himmel aufgenommen werden bis zu den Zeiten<br />

der Wiederherstellung aller Dinge, von denen Gott<br />

durch seine Propheten von jeher geredet hat.“ 13<br />

Jeder einzelne Mensch, der das Erlösungswerk<br />

Jesu im Glauben für sich in Anspruch nimmt und<br />

diese Veränderung der Herrschaftsverhältnisse<br />

erkennt, nimmt sozusagen eine neue Staatsbürgerschaft<br />

an, die des Reiches Gottes. Wer „von<br />

Neuem“, also aus dem Geist Gottes geboren ist,<br />

der überwindet die Welt und wechselt das Reich<br />

– er ist also nicht mehr gleichförmig mit diesem<br />

Weltsystem. Diese „Wiedergeborenen“ können<br />

über sich und Christus sagen: „Wir haben die Welt<br />

überwunden. Denn der, der in uns ist, ist größer<br />

als der, der in der Welt ist.“ 14<br />

Jesu Worte an Gott, seinen Vater, machen das<br />

noch deutlicher: „Ich habe ihnen dein Wort weitergegeben;<br />

dafür hasst sie die Welt, weil sie ihr nicht<br />

gleichförmig sind, so wie auch ich nicht zur Welt<br />

gehöre. Ich bitte dich nicht, sie aus der Welt herauszunehmen;<br />

aber ich bitte dich, sie vor dem Bösen zu<br />

bewahren. Sie gehören so wenig zur Welt, wie ich<br />

zur Welt gehöre. So wie du mich aus deinem Reich<br />

in die Welt gesandt hast, habe auch ich sie als Vertreter<br />

meines Reiches in die Welt gesandt.“ 15<br />

Und hier schließt sich der Kreis: „Wer überwindet,<br />

der wird mit mir auf dem Thron sitzen,<br />

wie auch ich überwunden und mich mit meinem<br />

Vater auf seinen Thron gesetzt habe.“ 16 Wer sitzt<br />

auf dem Thron? Üblicherweise der, der regiert.<br />

Der Mensch als Überwinder wäre dann wieder<br />

in derselben Position wie bei der ursprünglichen<br />

Auftragserteilung: „Sie sollen herrschen über die<br />

ganze Erde und über alle Lebewesen.“<br />

Inkompatibel<br />

Aber alles, was gleichförmig ist mit dieser Welt,<br />

ist absolut inkompatibel mit dem Reich Gottes –<br />

und umgekehrt. Deshalb der energische Aufruf:<br />

„Seid nicht gleichförmig mit dieser Welt!“ Jede<br />

Gleichförmigkeit bedeutet Kooperation mit dem<br />

Fürsten dieser Welt und nährt seine unrechtmäßigen<br />

Herrschaftsansprüche. Er hat nämlich nur<br />

die Macht, die ihm dummerweise eingeräumt<br />

wird von den Christen, die nur das halbe Evangelium<br />

kennen; wo immer ihm aber widerstanden<br />

wird, entzieht ihm das seine Macht.<br />

Widerstand – wie soll das gehen? Ganz einfach.<br />

Sagen Sie jeden Tag: „Dein Reich komme.<br />

König Jesus, regiere du in meinem Leben. In mir<br />

und meinem Leben hat der Fürst dieser Welt<br />

keine Regierungsgewalt mehr! Vater, dein Wille<br />

geschehe in meinem Leben, nicht die bösen Pläne<br />

dieser Welt.“ – Und schon hat sich das Reich Gottes<br />

um ein paar Zentimeter mehr ausgebreitet.<br />

Das Evangelium spricht von Jesus, dem Erlöser,<br />

aber auch von Christus, dem König, dem alle Macht<br />

und Gewalt gegeben ist, im Himmel und auch auf<br />

Erden – jetzt schon!<br />

1 Psalm 115,16.<br />

2 Johannes 12,31; 14,13.<br />

3 Epheser 2,1–2.<br />

4 Kolosser 1,12–14.<br />

5 Apostelgeschichte 26,18.<br />

6 Matthäus 6,33.<br />

7 Römer 12,2.<br />

8 Römer 3,9–12.<br />

9 Römer 3,22–24.<br />

10 Kolosser 2,14–15.<br />

11 Hebräer 2,8.<br />

12 Hebräer 10,13.<br />

13 Apostelgeschichte 3,21.<br />

14 1. Johannes 5,4; 4,4.<br />

15 Johannes 17,14–18.<br />

16 Offenbarung 3,21.<br />

Wer diese<br />

Veränderung<br />

der Herrschaftsverhältnisse<br />

erkennt, nimmt<br />

eine neue Staatsbürgerschaft<br />

an,<br />

die des Reiches<br />

Gottes<br />

Z für Zukunft<br />

107


S u c h e n a c h d e n W u r z e l n e i n e r v e r l o r e n e n K u l t u r<br />

REFORMATION<br />

beginnt, wenn du deinen Verstand benützt,<br />

aber nicht auf ihn vertraust, weil du durchschaust,<br />

wie manipulierbar der doch ist.<br />

Dafür verlässt du dich von ganzem Herzen<br />

auf den Herrn, deinen lebendigen Gott.<br />

[Nach Sprüche 3,5]<br />

Foto: © fotolia.com<br />

Reformatio • re • formatio Etwas neu formatieren. Wenn der Computer nicht mehr ordentlich läuft,<br />

ist das die Lösung. Re – zurück zur Werkseinstellung, so wie sich das der Erfinder gedacht hat. In<br />

der christlichen Kirche haben sich viel Bugs und Viren angehäuft. Immer „neue“ Software-Pakete<br />

wurden draufgepackt. Das System erlahmte. Die Reset-Taste ist gefragt, denn der Erfinder wird<br />

seine ekklesia bauen, nicht irgendeine Kirche, und die wird in der Lage sein, auch die Pforten der<br />

Hölle zu überwinden. Diese »Z« ist wie eine Anleitung für diese Re-formatierung.<br />

108<br />

Z für Zukunft<br />

Z u k u n f t E u r o p a e . V .<br />

w w w . Z w i e Z u k u n f t . d e

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