Z19 »REFORMAFIKTION 5.0«
Die volle Ausgabe der Z 19/20 – 500 Jahre, was nun? Etliche sind froh, dass der Jubiläums-Hype vorbei ist – andere haben den tiefen Wunsch nach einer echten Erneuerung. Diese Z-Ausgabe liefert eine Fülle von Impulsen für Reformation die vor uns liegt und realisiert werden kann. Die Leseprobe liefert einen Einblick – den vollen Umfang kann man hier vorbestellen. http://www.zwiezukunft.de/z19/
Die volle Ausgabe der Z 19/20 – 500 Jahre, was nun?
Etliche sind froh, dass der Jubiläums-Hype vorbei ist – andere haben den tiefen Wunsch nach einer echten Erneuerung. Diese Z-Ausgabe liefert eine Fülle von Impulsen für Reformation die vor uns liegt und realisiert werden kann.
Die Leseprobe liefert einen Einblick – den vollen Umfang kann man hier vorbestellen. http://www.zwiezukunft.de/z19/
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f ü r Z u k u n f t<br />
REFORMA<br />
FIKTION 5.0<br />
500 JAHRE, WAS NUN?<br />
DER SCHREI NACH<br />
ECHTER ERNEUERUNG<br />
A u s g a b e # 1 9 / 2 0<br />
Z für Zukunft<br />
1<br />
w w w . Z f ü r Z u k u n f t . d e
Impressum<br />
BÜCHER, DIE BEWEGEN<br />
Herausgeber: Zukunft-Europa e.V.<br />
setzt sich für die zukunftstragenden<br />
Werte der Gesellschaft ein und weist<br />
auf wertezerstörende Trends hin.<br />
Vorstand: Peter Ischka,<br />
Dr. Martin Fontanari, Christa Meves,<br />
Sr. Dogan Hatune<br />
Redaktion: Peter Ischka<br />
Lesen Sie, was man nicht mehr sagen<br />
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• verfrühte Sex-Erziehung • der<br />
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Tel. 0171 1200 983 • www.ZwieZukunft.de<br />
info@ZwieZukunft.de<br />
Z-Kontakt in der Schweiz:<br />
Zukunft CH, Zürcherstr. 123,<br />
CH 8406 Winterthur, info@zukunft-ch.ch<br />
Z-Kontakt in Österreich:<br />
Z für Austria, Vordere Achmühle 3c,<br />
A 6850 Dornbirn, austria@ZwieZukunft.de<br />
Lektorat: Gabriele Pässler,<br />
www.g-paessler.de<br />
Satz und Gestaltung:<br />
Agentur PJI UG, Adelberg<br />
Druck: Primus GmbH, 56307 Dernbach<br />
Erscheinungsweise<br />
unregelmäßig, ca. 2 x jährlich<br />
Nr. 19/20 Januar 2018<br />
Abopreis: € 29,– für 6 Einzel-Ausgaben,<br />
inkl. Versand in Deutschland.<br />
Einzelexpl.: € 4,95 Doppelausgabe € 7,95<br />
Copyright<br />
Wenn nichts anderes vermerkt ist, liegen<br />
alle Rechte bei Zukunft-Europa e.V.,<br />
Nachdruck und weitere Veröffentlichung<br />
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2<br />
Z für Zukunft
Editorial<br />
Liebe Leserin, lieber Leser,<br />
so viel wurde in letzter Zeit über Reformation gesprochen und so wenig<br />
wurde reformiert. Besonders die Hüter der Reformation, die Lutheraner,<br />
haben sich in überheblicher Weise als ganz deformatorisch erwiesen:<br />
„Bestimmte Glaubenssätze sind modern denkenden Menschen<br />
nicht mehr zuzumuten.“ Die vier „Sola“ wurden relativiert, dafür<br />
scheint zu gelten: nulla scriptura, nullus Christus, Gnade als Schleuderware und „Wir glauben,<br />
wie es uns beliebt“.<br />
Aber Reformation ist das Natürlichste der Welt: Alles wächst und erneuert sich, siehe<br />
das Beispiel der Palme auf Seite 16. Neues kommt, Altes stirbt ab. Bis zur Erfüllung der<br />
angekündigten Wiederherstellung aller Dinge, wie Propheten von jeher gesagt haben,<br />
muss sich Jesus im Himmel noch etwas die Zeit vertreiben. 1 Keine Frage, Reformation<br />
wird geschehen und zwar im vollen Ausmaß – die Frage ist nur, ob die eine oder andere<br />
Kirche auch dabei sein wird.<br />
Das Beharrungsvermögen à la „Das haben wir doch schon immer so gemacht“ ist<br />
menschlich-allzumenschlich. Als Jesus seinen Jüngern erklärte, dass er bald am Kreuz<br />
sterben würde, reagierte Petrus spontan: „Gott behüte! Dies wird dir keinesfalls widerfahren.“<br />
Zutiefst menschlich! Aber Jesus antwortete: „Tritt hinter mich, Satan! Du sinnst<br />
nicht auf das, was Gottes, sondern auf das, was menschlich ist.“ 2<br />
Diese Ausgabe gibt visionäre Impulse für nächste Reformationen. Die werden<br />
genau diese menschlichen, humanistischen Muster angehen: Denkkonzepte, die mit<br />
Gottes Konzepten nicht übereinstimmen. Da braucht es Richtungskorrektur. Wir sollten<br />
unsere Vernunft benützen, statt sie zu überhöhen und dem Irrtum zu verfallen, der<br />
Mensch wäre das Maß aller Dinge.<br />
Aber Vorsicht! Reformation schafft Probleme; neue Reformatoren wurden schon<br />
immer erbittert bekämpft. Heute gibt es zum Glück keine Scheiterhaufen mehr, aber<br />
auch Worte können töten, und davon wird leider umso reichlicher Gebrauch gemacht.<br />
Wer diese Ausgabe liest, wird ganz sicher eine persönliche Reformation erleben. Wichtig<br />
dabei: Halten Sie das Althergebrachte locker in der Hand, etliches davon ist wertvoll<br />
und des Bewahrens würdig. Aber mehr, als wir denken, ist überholt und mit menschlichen<br />
Irrtümern behaftet – das können Sie getrost loslassen.<br />
Das Material zu dem Thema ist so reichhaltig, dass wir es auf zwei Ausgaben verteilen.<br />
Ich wünsche Ihnen, dass es Ihnen geht wie mir: Mich hat’s gepackt – ich habe eine<br />
Leidenschaft für nachhaltige Reformation.<br />
Reformation<br />
zieht sich wie<br />
ein (blut)roter<br />
Faden durch die<br />
Geschichte.<br />
Wer lebt,<br />
reformiert<br />
sich ständig!<br />
Peter Ischka<br />
Chefredakteur<br />
Diese Z-Ausgabe<br />
könnte polarisieren:<br />
Wer nicht für Erneuerung<br />
ist, ist meist dagegen.<br />
PS. Werden Sie ein Reformator! Wie zu Zeiten Luthers gilt es heute, neue Gedanken<br />
über alte Wahrheiten weiterzugeben. Nützen Sie dazu das gute alte Papier – die gedruckte<br />
»Z« –, aber auch digitale Versionen, E-Mail und das Internet: www.ZwieZukunft.de.<br />
1 Apostelgeschichte 3,21.<br />
2 Matthäus 16, 22–23.<br />
Z für Zukunft<br />
3
Inhalt<br />
Reformafiktion 6<br />
Woran krankt<br />
„Kirche“ 24<br />
Reformation neu denken 32<br />
Der rote Faden 48<br />
Ekklesia<br />
wird Humanismus überwinden,<br />
Kirche nicht 93<br />
Reformafiktion<br />
Lieben Sie Science-Fiction? Stellen wir uns vor, eine umfassende<br />
Reformation wäre möglich: In hundert Jahren geschieht etwas,<br />
das alles auf den Kopf stellt. Eine spannende Parabel 6<br />
Reformation in 3D<br />
Was bedeutet Reformation? Nach dem Jubiläum denken viele dabei<br />
an Luther. Aber Reformation ist mehr! Ein 3D-Modell hilft,<br />
Reformation besser zu verstehen. 14<br />
Luther und die Reformation – und heute<br />
Die Digitalisierung bringt einen Paradigmenwechsel wie damals die<br />
Erfindung des Buchdrucks. Auch heute steht der christliche Glaube<br />
auf dem Prüfstand. Rezension: „Ein Mensch namens Luther“ 18<br />
Zeitkritisch<br />
Woran krankt „Kirche“?<br />
Und im Speziellen die evangelische in Deutschland? Eine Antwort<br />
gibt Urich Parzany in seinem Buch „Was nun, Kirche?“ 24<br />
Reformation neu denken<br />
Zum 500-jährigen Jubiläum gab es in Berlin und Wittenberg einen<br />
speziellen Kirchentag mit inszenierter Homo-Trauung und anderen<br />
umstrittenen Aktionen. Was will uns die EKD damit mitteilen? 32<br />
Billige Gnade, Todfeind der Kirche<br />
Dietrich Bonhoeffer hat uns immer noch viel zu sagen. Ein Plädoyer<br />
aus dem Jahre 1937 für teure Gnade, so aktuell, als wäre es<br />
für heute geschrieben 38<br />
Historisch<br />
Das Vermächtnis der ersten Christen<br />
Nach einer ZDF-Doku von Petra Gerster: Auf den Spuren der<br />
Urgemeinde. Die Erfindung der Menschenrechte und eine nicht<br />
vermutete Anerkennung der Frau. Interessante Einblicke 42<br />
Der rote Faden<br />
Durch die Kirchengeschichte zieht sich ein blutgetränkter Faden.<br />
Es hat immer Reformation gegeben, von Anfang des Christentums an.<br />
Lernen Sie unbekannte, aber bedeutende Reformatoren kennen. 48<br />
Luther und „die Türken“ –<br />
500 Jahre her, veraltet oder aktuell?<br />
Wie Luther „die Türken“ erlebte: Nach der blutigen Eroberung<br />
Konstantinopels standen sie jetzt vor den Toren von Wien. 63<br />
Kommen Reformatoren in den Himmel?<br />
In einer prophetischen Vision kommt Rick Joyner mit einem Reformator<br />
im Himmel ins Gespräch. Warum hat diese Persönlichkeit der<br />
Kirchengeschichte „da oben“ keinen Platz in der ersten Reihe? 69<br />
Die 10 Schandflecke der Reformation<br />
Luther und seine „vier Solas“, wer kennt sie nicht! Zu Beginn war<br />
Luther voller Glauben und Hoffnung; am Ende wurde er bitter,<br />
müde von den politischen und religiösen Winkelzügen. 73<br />
Die Täufer – eine Provokation<br />
Wie Reformatoren die Reformation abwürgten: Lutheraner, eben<br />
noch Verfolgte, werden selbst zu den schlimmsten Verfolgern.<br />
Sie verbrennen und vertreiben alle, die einen nächsten<br />
Reformations-Schritt wagen. 77<br />
4<br />
Z für Zukunft
Inhalt<br />
Ekklesiozid<br />
mit Schwert, Scheiterhaufen und Galeere. Fakten und Zahlen 82<br />
Lernen aus der Erweckungsgeschichte<br />
Was am Anfang des 20. Jh. in Wales und auf den schottischen Hebriden<br />
geschah, hatte große Wirkung auf die ganze christliche Kirche. 83<br />
Der Weg des Buches<br />
Der Besitz und das Lesen einer Bibel in deutscher Sprache waren<br />
verboten. Auf diesen abenteuerlichen Pfaden wurden Bibeln<br />
geschmuggelt zu den Geheimprotestanten in Österreich. 90<br />
Visionär<br />
Ekklesia wird Humanismus überwinden,<br />
Kirche nicht<br />
Humanistisches Denken steht Reformation entgegen. Wie Luther seine<br />
Thesen gegen den Ablasshandel der römischen Kirche gerichtet hat, so<br />
brauchen wir heute welche gegen einen humanistischen Geist. 93<br />
Einheit – Traum oder Wirklichkeit?<br />
Was ist Einheit? Müssen alle Kirchen in einer Organisation aufgehen?<br />
Nicht überall, wo „Einheit“ draufsteht, ist auch Einheit drin.<br />
Die zentrale Frage: Einheit – aber mit wem? 99<br />
Evangelium – was ist das eigentlich?<br />
Dank Luther konnten alle die Bibel lesen. Heute geht das auf jedem<br />
Smartphone. Luther hat das Evangelium von der Erlösung wiederentdeckt,<br />
Jesus sprach ständig vom Evangelium des Reiches Gottes. 104<br />
Vorschau auf die<br />
nächste Ausgabe:<br />
95 Thesen zum Humanismus<br />
Das Denkkonzept, das mit der Reformation „ausgestreut“ wurde wie<br />
das Unkraut unter gute Saat, lässt den Menschen sich für „das Maß<br />
aller Dinge“ halten. Fatal in allen Gesellschaftsbereichen. Das zu<br />
verändern, ist wichtig für jede künftige Reformation. 6 S.<br />
Das Zentrum der Reformation<br />
Statt moralischer Berechnung – fröhlicher Austausch. Durch Bekennen<br />
Vergebung erlangen: Ohne diese anhaltende Erfahrung macht sich Kirche<br />
überflüssig. Luthers Vermächtnis anwenden. 3 S.<br />
Zeitkritisch<br />
Zurück zu Luther – ... und die Neuzeit<br />
Dr. Norbert Bolz hat sich der Herausforderung gestellt – er sieht die<br />
christlichen Religionen im Spannungsverhältnis mit dem, was die<br />
Neuzeit zur Neuzeit gemacht hat. Seine scharfsinnig-philosophischen<br />
Überlegungen regen zum Nach-denken an. 5 S.<br />
Hypergrace, die noch billigere Gnade<br />
Ein Blick auf die moderne Gnaden-Bewegung. Auf welcher Seite möchten<br />
Sie vom Pferd fallen? Auf der Seite der religiösen Gesetzlichkeit oder auf der<br />
Seite einer selbstbezogenen Hyper-Gnade? 4 S.<br />
Konstantin und Theodosius:<br />
Das Heidentum kommt zurück<br />
Am Anfang waren die ersten Christen etwas Einzigartiges: Sie hatten<br />
keine Priester, keine Tempel und kein Opfer. Spätestens nach Konstantin<br />
änderte sich das gravierend. 5 S.<br />
Luther und der Antichrist<br />
Hat seine Sicht noch Gegenwartswert? „Antichrist“, was muss man<br />
sich darunter vorstellen? 5 S.<br />
Wofür Jan Hus lebte, wofür er starb<br />
Ein Reformator macht noch keinen Sommer. Viele Vor-Reformatoren<br />
haben ein größeres Ganzes gesehen. Ist ihre Vision eine Projektion,<br />
die erst noch in Erfüllung geht? 5 S.<br />
„Reformatoren“ & IS: Gemeinsamkeiten?<br />
Ähnlichkeiten der Massaker an den Täufern mit den Gräueltaten des<br />
IS an Christen im Nahen Osten 1 S.<br />
Das Azusa-Phänomen<br />
Die Realität des Heiligen Geistes für den einzelnen Gläubigen wurde<br />
wiederentdeckt – Auslöser für viele Pfingst- und charismatische<br />
Kirchen in aller Welt. 3 S.<br />
Augenzeugen aus Azusa-Street 312<br />
Dort in Los Angeles war zwischen 1906 und 1909 wohl Gottes<br />
Bodenstation: Fehlende Gliedmaßen und Zähne wuchsen nach,<br />
Krebsgeschwüre fielen ab und Menschen wurden geheilt. 6 S.<br />
Visionär<br />
„Kirche“ wird zur ekklesia<br />
Prophetische Perspektiven zur kommenden Reformation: Wie kann<br />
die Ekklesiologie einer Kirche, die bis heute an ihren mittelalterlichen<br />
Strukturen festhält, erneuert werden? 5 S.<br />
Die Kingdom-Dimension<br />
Durch Luther kam die Errettung aus Glauben wieder in den Blick;<br />
nun muss uns die bisher vernachlässigte Reich-Gottes-Perspektive in<br />
den Fokus kommen: Stoff für eine kommende Reformation. 5 S.<br />
Jesus, der Staatsgründer<br />
Jesus ist kein Religionsstifter! Wie ist das mit der neuen Staatsbürgerschaft<br />
und dem richtigen Pass? Die vergessene Botschaft von Jesus<br />
Christus neu entdecken 4 S.<br />
Weltweite Rückrufaktion<br />
Luther hat auch wirtschaftliche Prozesse angestoßen, die haben<br />
Europa verändert. Wer macht weiter, wo Luther aufgehört hat?<br />
Was bedeutet das Konzept von Gottes Königreich heute? 3 S.<br />
Historisches<br />
Der rote Faden, Teil 2<br />
Die Reformation ging auch nach Luther und den Täufern weiter, bis<br />
heute. Viele Reformatoren, deren Namen nicht viel Beachtung<br />
gefunden haben, haben wichtige Puzzlesteine hinzugefügt. 8 S.<br />
Z für Zukunft<br />
5
Leitthema<br />
Foto: © Agentur PJI UG, Montage<br />
R e f o r m a f i k t i o n<br />
Mögen Sie Science-Fiction? Stellen wir uns einfach mal vor, eine umfassende Reformation<br />
wäre möglich. Was Reformation alles nicht ist, wurde uns ja ein ganzes Jahr lang<br />
in Form eines Jubiläums präsentiert. Versetzen wir uns in das Jahr 2117.<br />
Peter Ischka<br />
Die letzten<br />
100 Jahre<br />
hat sich die<br />
Theologie<br />
weiterentwickelt:<br />
Dem Zeitgeist<br />
entsprechend<br />
kommt Gott gar<br />
nicht mehr vor<br />
Die letzten Veteranen der Lutheraner<br />
mussten gerade alle Pläne<br />
für ein 600-Jahr-Jubiläum ad acta<br />
legen, aus finanziellen Gründen:<br />
Die Kirche hat noch 4 % Mitglieder,<br />
Durchschnittsalter 68 – hauptsächlich Rentner<br />
und Sozialhilfeempfänger, die kaum Kirchensteuer<br />
zahlen. Die Säkularisierung hat um sich<br />
gegriffen; die meisten Kirchengebäude wurden<br />
anderen Nutzungen zugeführt. Kirchenbesuche<br />
werden nur noch aus musealen Aspekten vorgenommen;<br />
sie sind Bildungsveranstaltungen in historisch<br />
bedeutenden Bauwerken.<br />
Die letzten 100 Jahre hat sich die Theologie<br />
wissenschaftlich weiterentwickelt: Dem Zeitgeist<br />
entsprechend kommt Gott gar nicht mehr vor,<br />
obwohl eine gewisse Gottessehnsucht im Menschen<br />
nie erloschen ist. Er sucht Antworten, aber<br />
es werden ihm keine gegeben. Die Pfarrer zeichnen<br />
sich aus durch Skepsis und Kritik; spätestens<br />
beim Abschluss des Theologiestudiums ist ihnen<br />
jeder Glaube ausgetrieben. Warum sollte sich<br />
jemand dann am Sonntagmorgen noch die Mühe<br />
machen, ein Kirchengebäude aufzusuchen? Gibt<br />
es doch digital ganz bequem viel interessantere<br />
Angebote!<br />
Für Plakate zum 600-jährigen Jubiläum hat es<br />
gerade noch gereicht: das Lutherporträt in Form<br />
eines Explosionsbildes, mit dem Slogan: „Luther,<br />
wie es dir beliebt.“ Die Öffentlichkeit nimmt kaum<br />
Notiz.<br />
6<br />
Z für Zukunft
Leitthema<br />
Aufregung in der Finanzwelt<br />
Deutlich mehr Resonanz erzielte die Eröffnung<br />
der von Larry Bracks (77) gegründeten HDS-Bank<br />
(„Habit Debit Save Bank“) in Frankfurt – ausgerechnet<br />
am 31. Oktober 2117, am Tag des 600-<br />
Jahr-Jubiläums. Zufall oder Kalkül? Mr. Bracks ist<br />
unvorstellbar reich; sein gesamtes Vermögen von<br />
378 Billiarden Euro hat er in diese Bank gesteckt.<br />
Sein Wirtschaftskonzept steht allem Herkömmlichen<br />
diametral entgegen; WWF, FED und EZB<br />
haben bereits Krisensitzungen einberufen. Sie<br />
befürchten, dass das Konzept der HDS-Bank nicht<br />
nur das sensible Finanzsystem weltweit erschüttern,<br />
sondern auch andere gut eingespielte Strukturen<br />
aushebeln könnte.<br />
Was hat dieser Larry Bracks vom Stapel gelassen,<br />
dass er weltweit solche Aufregung verursacht?<br />
Im Grunde genommen ist sein Konzept ganz<br />
einfach: Wer sich bei HDS als Kunde verbindlich<br />
registriert, was sich mit einem kleinen Prozedere<br />
regeln lässt, dem werden als Erstes alle<br />
seine Schulden getilgt und anschließend erhält<br />
er monatlich auf Lebenszeit einen gewissen Prozentsatz<br />
seiner Schuldsumme als Prosperitätssatz<br />
ausbezahlt; die Höhe des Satzes richtet sich nach<br />
gesellschaftlich-sozialen Parametern und wird<br />
von einem komplexen Algorithmus ermittelt.<br />
Einer der ersten Kunden, der sich registrierte,<br />
war Kuno Bretschneider in Frankfurt, 48 Jahre,<br />
verheiratet und Vater von drei Kindern. Seine<br />
127 000 Euro Schulden wurden unmittelbar<br />
nach der Akkreditierung getilgt. Aufgrund des<br />
HDS-Prosperitätsschlüssels ergab sich für Familie<br />
Bretschneider ein Satz von 4,2759 % – demzufolge<br />
werden Kuno nun bis zum Lebensende<br />
monatlich 5430 Euro ausbezahlt. Außer einer verbindlichen<br />
Registrierung bei der HDS-Bank und<br />
der Zusstimmung zu den AGB wurde von Kuno<br />
Bretschneider keine weitere Leistung gefordert.<br />
Auch der hoch verschuldete Unternehmer<br />
Hans-Joachim Fries wurde HDS-Kunde. Ihm<br />
wurde sofort der Betrag von 46 Mio. Euro überwiesen;<br />
so kann er sein Unternehmen solide<br />
weiterführen. Für ihn ergab sich ein Prosperitätsschlüssel<br />
von 6,4286 %; monatlich erhält er<br />
knapp 3 Mio. Euro, bis sein Unternehmen wieder<br />
in die Gewinnzone geführt ist und ein neuer<br />
Schlüssel definiert wird.<br />
Eine alleinerziehende Mutter, die an einer<br />
chronischen Atemwegs-Erkrankung leidet, wird<br />
HDS-Kunde; auch ihre 24 000 Euro Schulden sind<br />
nun getilgt und monatlich kann sie mit 2317 Euro<br />
rechnen.<br />
Auch Kunde werden<br />
Das sind nur drei Beispiele von vielen. Sicher kennen<br />
Sie selber HDS-Kunden in Ihrer Nähe, es sind<br />
inzwischen ja richtig viele. Selbstverständlich ist<br />
das Budget dieser Bank für Marketing und Kundenakquise<br />
praktisch gleich null – jeder, der dank<br />
HDS seine Schulden losgeworden ist, ist nicht<br />
mehr zu bremsen und erzählt allen und jedem von<br />
seiner Veränderung! Das Problem der Bank war<br />
am Anfang eher, die Kundenakkreditierung zeitnah<br />
abzuwickeln – zunächst waren es allmonatlich<br />
Tausende; bald wurde die Logistik ausgebaut<br />
und nach kurzer Zeit konnten stündlich Tausende<br />
zufriedenstellend bedient werden.<br />
Akkreditierungsdetails<br />
Sehen wir uns das Kundenakkreditierungs-Anmeldeformular<br />
der HDS-Bank im Detail an.<br />
Nach den Feldern für Name, Adresse, Geburtsdatum<br />
und Familienstand kommt die Frage nach<br />
den Schulden: „Benennen Sie Grund und Höhe<br />
Ihrer Schulden.“ Darunter eine Multiple-Choice-<br />
Auswahl zum Ankreuzen: „Ich bitte um die Tilgung<br />
meiner Schulden, die ich aus eigener Leistung<br />
nicht in den Griff bekomme.“ Eine weitere Möglichkeit:<br />
„Ich bitte um Auszahlung eines monatlichen<br />
Prosperitätssatzes, um sorgenfrei meine<br />
eigentlichen Fähigkeiten entfalten zu können.“<br />
Dann folgen die AGB der HDS-Bank, die zu<br />
unterzeichnen sind. Mit seiner Unterschrift willigt<br />
der zukünftige HDS-Kunde in folgende Bedingungen<br />
ein:<br />
• Ich erlasse meinen Schuldnern alle Schulden zu<br />
100 % und verzichte vollständig und endgültig<br />
auf alle diese Forderungen.<br />
• 25 % meines Prosperitätssatzes verwende ich<br />
dafür, die Lebensbedingungen von Menschen in<br />
meinem Umfeld zu verbessern.<br />
Die<br />
HDS-Bank<br />
braucht kein<br />
Werbe-Budget –<br />
keiner ist zu<br />
bremsen, jeder<br />
erzählt allen<br />
davon<br />
Z für Zukunft<br />
7
Leitthema<br />
Foto: © Agentur PJI UG, Montage<br />
Selbstmordattentat:<br />
Herabstürzende<br />
Hallenteile<br />
begraben<br />
Passanten<br />
unter sich.<br />
Was ist ein<br />
Menschenleben<br />
eigentlich wert?<br />
• Ich wähle eine Erwerbstätigkeit und/oder ein<br />
Ehrenamt, in dem ich mich meinen Fähigkeiten<br />
und Begabungen entsprechend weiterentwickeln<br />
kann.<br />
• Ich treffe mich regelmäßig mit zwei bis drei Personen<br />
meines Vertrauens zum Essen, um mich<br />
über Fragen des Lebens und über Probleme<br />
des Alltags auszutauschen, von den Erfahrungen<br />
der anderen zu lernen und zu einer positiven<br />
Motivation beizutragen.<br />
Das war’s! Wer dem zustimmen kann, wird<br />
per Unterschrift HDS-Kunde und der Schuldentilgung<br />
steht nichts mehr im Wege.<br />
Medienscheu<br />
Die Aufregung des internationalen Finanzwesens<br />
und der unvorstellbar große Andrang neuer Kunden<br />
hat den medienscheuen Larry Bracks für die<br />
Öffentlichkeit interessant gemacht. Alle bewegt<br />
die Frage: Warum macht ein Billiardär so etwas?<br />
Um darauf eine Antwort zu bekommen, haben<br />
Sender und Medienhäuser alles in Bewegung<br />
gesetzt. Aber Larry Bracks hat beschlossen, seine<br />
Geschichte einem kleinen Blogger zu erzählen;<br />
Mike Herswold hat sich einen Namen gemacht<br />
in Kreisen, in denen man gerne auch mal gegen<br />
den Strich denkt. Bracks hat ihn zum Essen nach<br />
Obertshausen in die „Fette Ente“ eingeladen und<br />
dort erzählt er, wie alles angefangen hat.<br />
Warum macht ein Billiardär so etwas?<br />
Bracks wurde in die „richtigen“ Kreise hineingeboren,<br />
ist also quasi auf die Speckseite gefallen. Schon<br />
in jungen Jahren lernt er, wie das System „tickt“,<br />
wie man sich Freunde macht und Feinde ausschaltet.<br />
Krisen lassen sich gut instrumentalisieren, um<br />
auf Kosten der Verlierer satte Gewinne zu machen.<br />
Er erzählt, wie man mit den Rohstoffen der ärmsten<br />
Länder superreich wird und wie man „ganz legal“<br />
Waffenembargos vergolden kann.<br />
An einem bestimmten Tag, er wechselt gerade<br />
das Flugzeug am Flughafen Schiphol, läuft er geradewegs<br />
auf eine Explosion zu: Selbstmordattentäter<br />
zerfetzen sich in Einzelteile! Herabstürzende<br />
Hallenelemente begraben ihn unter sich. Um ihn<br />
herum schreiende Verletzte, Blut überall. Über 30<br />
Passanten finden den Tod. Bracks kann sich nicht<br />
rühren, ihn packt eine entsetzliche Angst, Gedanken<br />
rasen ihm durch den Kopf: Was ist ein Menschenleben<br />
eigentlich wert? In der „Forbes-Liste“<br />
steht er an der Spitze der Reichsten dieser Welt.<br />
Und nun stellt er sich eine Frage, die ihn noch nie<br />
berührt hat: „Wenn ich heute sterben würde, was<br />
kommt dann? – Sollte es einen Gott geben, was<br />
hätte ich ihm vorzuweisen?“<br />
Wie in einem Zeitrafferfilm spulen sich einige<br />
seiner skrupellosen Entscheidungen vor seinen<br />
Augen ab: blutige Bürgerkriege, ausgelöst durch<br />
seine Deals. Rohstoffe in Billiarden-Werten den<br />
Ländern der Dritten Welt entzogen. Menschen<br />
hingeschlachtet für seine globalen Gewinne. Was<br />
ist ein Menschenleben wert? – Das will er doch<br />
gar nicht sehen! Wo ist der Aus-Knopf? –<br />
Sanitäter befreien ihn aus dieser Lage.<br />
Nach einer umfassenden Untersuchung im<br />
„University Medical Center Amsterdam“ werden<br />
keine ernstzunehmenden Verletzungen festgestellt;<br />
professionell versorgt und mit einigen Verbänden<br />
verziert wird Bracks entlassen. Im Pulitzer<br />
bezieht er eine Suite, um sich bis zum Anschlussflug<br />
etwas zu entspannen, und vor allem: er will<br />
schnell auf andere Gedanken kommen.<br />
Vorsichtig lässt er sich auf das bequeme Sofa<br />
nieder – die vielen Prellungen schmerzen höllisch –<br />
und greift nach der nächstbesten Lektüre auf dem<br />
nahen Beistelltisch.<br />
8<br />
Z für Zukunft
Leitthema<br />
Wahllos schlägt er eine Seite auf: „Da ist kein<br />
Gerechter, auch nicht einer; da ist keiner, der verständig<br />
ist. Alle sind abgewichen; da ist keiner,<br />
der Gutes tut, auch nicht einer. Ihre Worte bringen<br />
Tod und Verderben. Durch und durch verlogen<br />
ist all ihr Reden, und was über ihre Lippen<br />
kommt, ist bösartig und todbringend wie Schlangengift.<br />
Ihr Mund ist voller Flüche und Gehässigkeiten.<br />
Sie sind schnell bereit, Blut zu vergießen.<br />
Sie hinterlassen eine Spur der Verwüstung und<br />
des Elends. Den Weg zum Frieden kennen sie<br />
nicht. Keine Ehrfurcht vor Gott ist in ihnen.“<br />
„Das bin ja ich!“, wird Bracks schlagartig bewusst.<br />
Er liest weiter:<br />
„Jetzt aber ist Gottes Gerechtigkeit sichtbar<br />
geworden durch Jesus Christus für alle, die glauben.<br />
Denn es ist kein Unterschied, alle haben<br />
gesündigt und haben jeden Zugang zu Gottes<br />
Herrlichkeit vertan. Als gerecht erklärt werden,<br />
das kann man nur aus reiner Gnade; es ist ein<br />
Geschenk aufgrund der Erlösung durch Jesus<br />
Christus. Ihn hat Gott vor den Augen aller Welt<br />
zum Sühneopfer für unsere Schuld gemacht,<br />
durch den Glauben wird es uns eröffnet.“ 1<br />
Der Rat des „Spinners“<br />
Das schlägt ein wie ein Blitz! Bracks greift zum<br />
Smartphone und wählt die Nummer von Rob<br />
Berrington, des Sohnes einer Familie, mit der er<br />
schon die heißesten Geschäfte gemacht hat. Rob<br />
ist in gewissem Sinne ein Außenseiter; Bracks<br />
hat ihn immer für einen Spinner gehalten. Aber<br />
genau das, was er eben hier gelesen hat, hat Rob<br />
ihm schon einmal eindringlich gesagt: „Dank deinem<br />
Geld hast du so viel Blut an den Händen, das<br />
kannst du irgendwann nicht mehr ertragen – es<br />
wird dich innerlich zerfressen!“<br />
Rob am anderen Ende der Leitung hört sich<br />
geduldig an, was Bracks ihm erzählt von den<br />
Erlebnissen der letzten Stunden – und dann liest<br />
Rob genau das vor, was Larry selber gerade gelesen<br />
hat! Rob kann es nur bestätigen:<br />
„Larry, du bist einer der mächtigsten Männer<br />
der Welt. Du hast Kohle wie kaum ein anderer,<br />
aber du bist genau so, wie es hier beschrieben<br />
wird: Du hast keinen Zugang zu Gott und du hast<br />
dir bis heute auch noch nie richtig Gedanken darüber<br />
gemacht. Aber ich weiß, dass du dich trotz<br />
deines Reichtums nie wirklich frei gefühlt hast.<br />
Du bist unter der Herrschaft eines Systems,<br />
das über Leichen geht. Ein teuflisches System<br />
ist das, und du wurdest missbraucht und hast<br />
viel Elend verursacht. Einige haben sich vielleicht<br />
als Gewinner gefühlt, du ganz sicher auch;<br />
unzählig viele waren elendige Verlierer. Aber vor<br />
Gott bist du der Verlierer, wenn du nicht das System<br />
wechselst. ‚Denn Gott hat die Menschen so<br />
sehr geliebt, dass er seinen einzigen Sohn opferte<br />
– damit jeder, der an ihn glaubt, nicht mit diesem<br />
tödlichen System zugrunde geht, sondern das<br />
ewige Leben haben soll.‘<br />
Du hast dich ja gefragt: ‚Was ist, wenn ich<br />
jetzt sterbe?‘ Lass dich retten aus den Krallen der<br />
Finsternis und lass dich versetzen in die Beziehung<br />
zum geliebten Sohn Gottes, in dem auch du<br />
Zugang hast zu der Liebe Gottes. In diesem Gottessohn<br />
hast du dann die Erlösung, die Vergebung<br />
deiner himmelschreienden Vergehungen.“ 2<br />
Was Larry beim Lesen wie ein Blitz getroffen<br />
hat, das ist mehr als nur ein logisches Bedenken<br />
seiner Lage. Er ist innerlich zutiefst betroffen,<br />
kann es gar nicht in Worte fassen; so ist es für ihn<br />
nur folgerichtig zu beschließen: Ich will absolut<br />
das System wechseln!<br />
Noch am Telefon folgt er Robs Empfehlung –<br />
und bekennt stammelnd und unter Tränen, dass er<br />
ein unermesslich großer und grausamer Sünder<br />
ist. Unter der erdrückenden Last seiner Schuld<br />
versucht er, irgendwie um Vergebung zu bitten;<br />
die Vergebung, von der er gerade eben gelesen<br />
hat, genau die will Bracks in Anspruch nehmen.<br />
Vor Rob spricht er aus, dass er aus der Abhängigkeit<br />
von diesem System, aus der Herrschaft der<br />
Finsternis, heraus- und in den Einflussbereich des<br />
„Sohnes der Liebe“ hineinversetzt werden wolle.<br />
Bis Bracks einigermaßen begreift, welch weitreichende<br />
Entscheidung er mit diesen wenigen<br />
Worten am Telefon getroffen hat, dauert es.<br />
Eine große Hilfe sind ihm dabei Rob und seine<br />
Freunde: Wann immer er Gelegenheit findet, trifft<br />
er sich nun mit ihnen, um genauer herauszufinden,<br />
was dieser Systemwechsel für ihn bedeutet.<br />
Unter der<br />
Herrschaft<br />
eines teuflischen<br />
Systems kann<br />
einer leicht<br />
missbraucht<br />
und zur Quelle<br />
großen Elends<br />
werden<br />
In der Hotel-Suite greift er nach<br />
der nächstbesten Lektüre<br />
Foto: © Pulitzer, Amsterdam<br />
Z für Zukunft<br />
9
Leitthema<br />
Foto: © Agentur PJI UG, Montage<br />
Er gründet<br />
eine etwas<br />
andere Bank,<br />
um zu erklären,<br />
was es bedeutet,<br />
wenn einem<br />
die Schulden<br />
erlassen<br />
werden<br />
Große Reden liegen ihm nicht<br />
Zweieinhalb Jahre später ist Bracks klar, dass<br />
er seine globalen Geschäfte so nicht mehr weiterführen<br />
kann: „Wem viel vergeben wurde, der<br />
liebt viel.“ Larry Bracks ist unvorstellbar viel vergeben<br />
worden, das erkennt er von Jahr zu Jahr<br />
deutlicher, und er sieht auch immer klarer, wie<br />
unterschiedlich, ja gegensätzlich die beiden Systeme<br />
sind; deshalb sucht er nach einer Möglichkeit,<br />
den unermesslichen inneren Reichtum der<br />
Vergebung, die er selber erhalten hat, anderen<br />
mitzuteilen.<br />
Larry ist kein Mann der Öffentlichkeit, auch<br />
große Reden liegen ihm nicht, aber er versteht<br />
etwas von Geld. So gründet er eine Bank, um das<br />
auszudrücken, was zu sagen ihm nicht so leichtfällt:<br />
Was es bedeutet, wenn einem die Schulden erlassen<br />
werden und man aus den Zwängen der Armut herausgeholt<br />
wird. – So entstand die HDS-Bank.<br />
Mike Herswold ist begeistert! Was er da in der<br />
„Fetten Ente“ in Obertshausen an Land gezogen<br />
hat, das ist ja wirklich eine Exklusiv-Story vom<br />
Feinsten! Kaum merkt er, dass die gefüllte Maispoulardenbrust<br />
an Shi-Take-Pilzen inzwischen<br />
kalt geworden ist. Zum Abschluss der aufregenden<br />
Unterhaltung lässt er sich noch ein Mousse<br />
au chocolat servieren – um wieder etwas herunterzukommen<br />
und das Gehörte einigermaßen sortieren<br />
zu können. Er kommt sich vor wie im Film<br />
– einem guten Film!<br />
Erfolgsgeschichten<br />
Nach nur einem Jahr hat die HDS-Bank 2,49 Millionen<br />
Kunden, 236 Mrd. Euro an Schulden wurden<br />
getilgt. Diese Kunden wiederum haben ihren<br />
Schuldnern die Schulden erlassen – im Schnitt<br />
hatte jeder 5 Schuldner, das sind weitere 12,45<br />
Millionen Menschen. (Die Summe dieser zusätzlich<br />
getilgten Schulden konnte nicht zuverlässig<br />
eruiert werden.)<br />
Die Ergebnisse sprechen für sich: Kuno Bretschneider,<br />
dem seit seiner Schuldentilgung nun<br />
monatlich 5430 Euro ausbezahlt werden, geht es<br />
rundum besser. Die nagenden Sorgen hatten bei<br />
ihm psychosomatische Probleme ausgelöst – Hautausschläge<br />
mit starkem Juckreiz. Die Geldsorgen<br />
waren ihm sozusagen unter die Haut gegangen,<br />
man kann auch sagen: Sie kratzten ihn wirklich!<br />
Heute ist davon nichts mehr zu sehen. Lag früher<br />
im Hause Bretschneider Gereiztheit in der<br />
Luft, wurde ein falsches Wort schnell zum Zünder<br />
für explosive Auseinandersetzungen, so ist die<br />
Atmosphäre heute entspannt und man nimmt sich<br />
Zeit füreinander.<br />
Kuno hat sich ein Jahr Auszeit von seinem Job<br />
gegönnt und diese Zeit zur Weiterbildung in kreativer<br />
Kommunikation genützt. Das brachte ihm<br />
beim Wiedereinstieg nicht nur eine bessere Position,<br />
auch in der Familie hat sich die Gesprächskultur<br />
verändert. Dabei kamen immer wieder<br />
auch die Beweggründe von Larry Bracks zur<br />
Sprache: „Mann, hat der eine 180-Grad-Wende<br />
erlebt! Damit wurde er wirklich Spezialist für<br />
Schuldentilgung. In jeder Hinsicht. Ich glaube, da<br />
könnten wir einiges lernen.“<br />
Auch bei Unternehmer Hans-Joachim Fries hat<br />
sich vieles verändert. Sein Unternehmen war ja<br />
in die Krise geraten, weil er nicht Schritt halten<br />
konnte mit der Geschwindigkeit der technologischen<br />
Entwicklung in seiner Branche.<br />
Die Schuldenlast hatte ihn völlig gelähmt, er<br />
war nicht mehr in der Lage gewesen, für seine<br />
Zukunft konstruktive Entscheidungen zu treffen.<br />
Kaum war aber die Last von seinen Schultern<br />
genommen, konnte er wieder klar denken, die<br />
Kreativität kam zurück; er hat sein Unternehmen<br />
in eine Nische geführt, in der er nahezu mitbe-<br />
10 Z für Zukunft
Leitthema<br />
werberfrei ist. Und das alles, ohne einen einzigen<br />
Mitarbeiter zu entlassen!<br />
Der Passus in den HDS-Geschäftsbedingungen,<br />
den eigenen Schuldnern seien alle Schulden zu<br />
erlassen, hat ihm viele Freunde gemacht, gerade<br />
unter den Mitarbeitern – das Betriebsklima hat<br />
sich total zum Guten verändert. Etliche Mitarbeiter<br />
sind selber HDS-Kunden geworden und treffen<br />
sich zum wöchentlichen Erfahrungsaustausch-<br />
Essen. Man ruft einander zu: „Schulden erlassen,<br />
das hat was!“ Gerade weil HDS-Kunden nicht<br />
arbeiten müssten, macht ihnen die Arbeit umso<br />
mehr Spaß. Dass die Beziehungskultur von der<br />
Kraft der Vergebung geprägt ist, löst positive Verwunderung<br />
aus und bietet immer wieder Stoff für<br />
angeregte Diskussionen.<br />
Der alleinerziehenden Mutter geht es besonders<br />
gut; auch ihre chronische Atemwegs-Erkrankung<br />
dürfte mit der Schuldenlast im Zusammenhang<br />
gestanden haben. Vor allem aber: Sie ist nicht mehr<br />
alleinerziehend! Den HDS-Geschäftsbedingungen<br />
gemäß hat sie dem Vater ihres Kindes seine Schulden<br />
erlassen, die er bei ihr wegen nicht geleisteter<br />
Unterhaltszahlungen hatte, und damit wurde ein<br />
wichtiger strittiger Punkt zwischen ihnen aus der<br />
Welt geschafft. Der Vater selbst gestand ein, er habe<br />
Fehler gemacht, und bat sie um Vergebung. Auf diesem<br />
Wege hat sich offensichtlich mehr als nur ein<br />
monetäres Problem gelöst: Zurzeit suchen die beiden<br />
einen Hochzeitstermin.<br />
Schuld und Schulden –<br />
ein Menschheitsproblem<br />
Das von Mike Herswold veröffentliche Interview<br />
wurde in viele Sprachen übersetzt und ging um die<br />
Welt. Das Leserecho ist gespalten: Für die einen<br />
ist Larry Bracks der reiche Spinner, für die anderen<br />
ein außergewöhnliches Vorbild. Eines wurde<br />
deutlich: Schuld ist ein generelles Problem der<br />
Menschheit. Schulden machen unfrei! Man lebt<br />
dann nur noch, um Schulden zu tilgen, hat aber<br />
keine Aussicht, dieses Ziel jemals zu erreichen.<br />
Nicht nur in Deutschland nimmt die Zahl der<br />
Überschuldungsfälle konstant zu; die finanzielle<br />
Situation vieler Menschen verschlechtert sich spürbar.<br />
Mindestens jeder Zehnte ist überschuldet.<br />
Allein in Deutschland sind 6,7 Millionen Menschen<br />
nicht in der Lage, auf absehbare Zeit ihren<br />
Zahlungsverpflichtungen nachzukommen. Die<br />
durchschnittliche Verschuldung beträgt rund<br />
31 600 Euro pro Kopf. Aber Schulden drücken<br />
nicht nur Einzelpersonen; praktisch alle Länder<br />
sind überschuldet, zum Teil extrem.<br />
Das am höchsten verschuldete Land der Welt<br />
ist Japan; hier beträgt die Staatsverschuldung<br />
269 % des Bruttoinlandsprodukts. Das heißt: Alle<br />
Einwohner müssten 2 Jahre und 8 Monate arbeiten<br />
und Gehalt, Vergütung und Erlös vollständig<br />
an die Gläubiger des japanischen Staates abführen,<br />
um die Staatsschuld zu tilgen. Natürlich<br />
fallen während dieser Zeit weitere Zinsen und<br />
Staats-Ausgaben an. (Japans BIP beträgt 4,93 Billionen<br />
US-Dollar; die Schulden belaufen sich auf<br />
11,78 Billionen.)<br />
Das hat Folgen<br />
Zwei Jahre nach der Eröffnung ist die Zahl der<br />
HDS-Kunden bereits auf 19,64 Millionen hochgeschnellt;<br />
ihnen wurde eine Schuldenlast in Höhe<br />
von über 22,5 Billionen Euro abgenommen, von<br />
der „Umwegsrentabilität“, dem Kollateralnutzen,<br />
ganz zu schweigen. Kein Wunder, dass die HDS-<br />
Bank und ihr Gründer Larry Bracks auch weiterhin<br />
Gesprächsthema sind.<br />
Wo es bis vor Kurzem noch völlig normal war,<br />
dass jeder unter irgendeiner Schuldenlast stöhnte,<br />
ist in diesen Tagen „Entschuldung“ in aller Munde<br />
– in manchen Regionen gibt es gar keine Schuldner<br />
mehr. Die Menschen blühen auf. Man hat Zeit<br />
füreinander. Man spricht begeistert über<br />
Japan<br />
die positiven Veränderungen und man hat<br />
Libanon<br />
Zukunftsperspektiven. Man freut sich mit<br />
Italien<br />
anderen, dass es ihnen wieder gut geht. Portugal<br />
Kapverden<br />
Es gibt ja wirklich keinen Grund, verbissen<br />
Eritrea<br />
oder neidisch zu reagieren, wenn es einem Gambia<br />
selber auch besser geht als je zuvor.<br />
Mosambik<br />
Das hat auch die Kriminalitätsrate Jamaika<br />
Singapur<br />
erkennbar beeinflusst: Vor zwei Jahren<br />
Bhutan<br />
wurden in Deutschland noch 6,37 Mio. Zypern<br />
USA<br />
Straftaten registriert; nach einem Jahr<br />
Belgien<br />
sank diese Zahl bereits um 18,7 %, nach Barbados<br />
Spanien<br />
dem zweiten Jahr insgesamt um 54,2 %<br />
auf 2,32 Mio Straftaten! Bei anhaltender Belize<br />
Griechenland<br />
Republik Kongo<br />
Mauretanien<br />
Schuld ist<br />
ein generelles<br />
Problem der<br />
Menschheit.<br />
Schulden<br />
machen unfrei!<br />
Man lebt nur<br />
noch, um sie<br />
zu tilgen<br />
239,27%<br />
Die 20 Länder<br />
mit der höchsten<br />
Staatsverschuldung<br />
im<br />
Jahr 2016 in<br />
Relation zum<br />
Bruttoinlandsprodukt<br />
(BIP)<br />
© Statista 2017,<br />
Quelle: IMF<br />
Z für Zukunft<br />
11
Leitthema<br />
Foto: © Seikang<br />
Nebenwirkung: In den<br />
Krankenhäusern ist<br />
Überlastung fast zum<br />
Fremdwort geworden. Man<br />
leidet unter Bettenleerstand<br />
Es zählt nicht<br />
mehr, auf Kosten<br />
anderer zu überleben<br />
oder sich zu<br />
Ungunsten anderer<br />
Vorteile herauszuschinden<br />
Entwicklung geht man in der Kriminalitätsstatistik<br />
davon aus, dass in weiteren zwei Jahren die<br />
Zahl unter 1 Mio. sinken könnte. Wurde vor zwei<br />
Jahren noch lauthals eine massive Aufstockung<br />
der Sicherheitskräfte gefordert, muss die Politik<br />
sich inzwischen darum kümmern, wie sie die über<br />
150 000 nicht mehr benötigten Polizisten durch<br />
Umschulung im Arbeitsmarkt halten kann.<br />
Beziehungskultur und Gesundheitsboom<br />
Wer seine Schulden bezahlt bekommt, erlässt<br />
anderen die Schulden – nur ein Punkt in den<br />
HDS-Geschäftsbedingungen, aber der ändert den<br />
Lebensstil: Nicht mehr zählt es, auf Kosten anderer<br />
irgendwie überleben zu können oder sich zu<br />
Ungunsten anderer gar Vorteile herauszuschinden.<br />
Nein, der Blick hat sich völlig gewendet<br />
dank dem Impuls, einen Teil des monatlichen Prosperitätssatzes<br />
dazu zu verwenden, dass sich die<br />
Lebensqualität von Menschen im nahen Umfeld<br />
verbessert.<br />
Aus Eigennutz und Selbstbezogenheit ist eine<br />
Beziehungskultur geworden, in der Gesellschaft<br />
hat eine Transformation stattgefunden: Man<br />
genießt und sucht das immense Hochgefühl, das<br />
man verspürt, wenn es dem anderen gut geht. Es<br />
macht Spaß, Gutes zu tun! Das hat zu einer Veränderung<br />
des Denkens geführt, eine Umdeutung<br />
von Werten hat stattgefunden.<br />
Eine weitere Nebenwirkung ist der aktuelle<br />
Gesundheitsboom: Ein Großteil psychosomatisch<br />
bedingter Krankheiten, vor Kurzem noch an die<br />
80 % aller von den Gesundheitskassen erfassten<br />
Erkrankungen, ist außerordentlich stark im Rückzug<br />
begriffen. Ärzte stellen einen spürbaren Patientenschwund<br />
fest und in den Krankenhäusern<br />
ist Überlastung fast zum Fremdwort geworden.<br />
Die Pharmakonzerne klagen über dramatische<br />
Einbrüche ihrer Aktienkurse.<br />
Gottessehnsucht<br />
Jeder der HDS-Kunden hat irgendwann die<br />
Geschichte von Larry Bracks gehört oder gelesen.<br />
Da ist sozusagen ein Saulus zum Paulus geworden,<br />
und man erfreut sich an den positiven Auswirkungen<br />
von Bracks Kehrtwende für sich selbst<br />
und das Umfeld.<br />
Vielen geht die Geschichte aber tiefer: „Hat da<br />
so ein stinkreicher Ausbeuter nach Gott gefragt<br />
und tatsächlich Vergebung bekommen für die<br />
Gräueltaten, die er durch seine skrupellosen<br />
Geschäfte auf dem Gewissen hat?“ Solche und<br />
ähnliche Fragen regen die Gespräche an.<br />
„Hätte er doch nicht nötig gehabt, bei dem<br />
Reichtum!“, wirft der eine oder andere ein. Aber<br />
als der damals beim Terroranschlag Verschüttete<br />
sich dem Tode nahe sah, war ihm klar, dass er von<br />
seinen Billiarden nichts mitnehmen kann – und<br />
in diesem Moment unterschied er sich in keiner<br />
Weise von dem Afrikaner, der um einen Dollar pro<br />
Tag im Bergwerk für ihn schuften musste.<br />
So mancher erinnert sich an den alten Spruch,<br />
den er als Kind noch ab und zu gehört hat: „Vergib<br />
uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unseren<br />
Schuldigern.“ Jetzt ist er wieder aktuell – viele<br />
wählen ihn sogar zum Lebensmotto! Nicht selten<br />
folgen Zeitgenossen dem Beispiel von Bracks und<br />
reflektieren in einer beschaulichen Minute ihr<br />
Leben vor einem Gott, der ihnen fremd geworden<br />
ist, denn in der säkularen Gesellschaft ist Gott<br />
schon lange kein Thema mehr gewesen.<br />
Aber die Geschichte von Bracks und ihre<br />
Auswirkung haben geradezu eine Gottessehnsucht<br />
ausgelöst: „Unsere Geldschulden sind wir<br />
jetzt los, aber mich drückt noch mehr, was man<br />
nicht mit Geld wettmachen kann – was mache ich<br />
damit?“ Wer die Lösung auch dieser, meist viel<br />
tiefer sitzenden Schuld erlebt, kann es vor Glück<br />
nicht für sich behalten – und das nun stellt selbst<br />
12<br />
Z für Zukunft
Leitthema<br />
den HDS-Erfolg völlig in den Schatten! Vergebung<br />
kann noch viel, viel mehr. Ein neues Vergebungs-Schneeball-System<br />
wurde ausgelöst.<br />
Luther ade, HDS olé!?<br />
Die Mitgliedschaft bei der Luther-Institution ist<br />
seit 2117 in Deutschland auf 2,3 % der Gesamtbevölkerung<br />
gesunken. Rhetorisch hochbegabte<br />
und theologisch umfassend gebildete Dozenten<br />
erklären dem Häuflein der Getreuen, warum es<br />
zutiefst human ist, atheistisch-religiös zu sein.<br />
Parallel dazu sind etwa 32,5 % der Bevölkerung<br />
direkt durch die HDS-Bank oder indirekt<br />
dank HDS-Kunden ihre Schulden los, sie sind<br />
quasi „er-löst“. Die meisten haben es nicht bei<br />
der finanziellen Ebene belassen; sie haben es<br />
Larry Bracks gleichgetan und auch die Erlösung<br />
von ihrer Lebensschuld und Systemfesseln<br />
in Anspruch genommen. Wie Bracks haben sie<br />
erkannt: „… gerechtfertigt aus Glauben an Jesus<br />
Christus.“<br />
Für die 2,3 Prozent Lutheraner eigentlich<br />
nichts Neues – aber die vor 600 Jahren revolutionär<br />
gewesene Wiederentdeckung durch<br />
einen sich dem Mittelalter entwindenden Mann<br />
war eben seit Jahrzehnten in den Hintergrund<br />
gerückt. Man zeigt sich erhaben, hat sich von<br />
„veralteten“, nicht mehr in die Zeit passenden<br />
Gedanken gelöst.<br />
Zigmillionen Menschen, die die lutherische<br />
Randgruppe kaum noch wahrnehmen, haben wie<br />
Bracks so oder anders gesagt: „Ich bitte um die<br />
Vergebung meiner Schuld vor Gott und den Menschen.<br />
Ich bitte darum, aus dem System dieser<br />
Welt herausgelöst, aus diesen Klauen der Finsternis<br />
in diese Beziehung mit dem ‚Sohnes der Liebe‘<br />
zu kommen.“<br />
Sie treffen sich regelmäßig in ihrem Wohnzimmer<br />
oder machen einen Stammtisch – aber<br />
schon lange nicht mehr, weil es in den AGB der<br />
HDS-Bank steht; es gehört einfach zu ihrem<br />
neuen Lebensstil. Sie sind Freunde geworden,<br />
und sie möchten sie nicht mehr missen, diese<br />
Austauschrunde über Gott und die Welt und ihre<br />
Erlebnisse, die gelegentlich auch „nicht von dieser<br />
Welt“ sind.<br />
Systemwechsel konkret<br />
Bitten Sie Gott um Vergebung Ihrer eigenen<br />
Schuld. Jesus Christus hat definitiv die Mittel<br />
dafür bereitgestellt. (Und das unabhängig davon,<br />
ob Sie an Gott glauben oder nicht; wie so manche<br />
Tatsache, die unsere Vernunft übersteigt, ist auch<br />
diese nicht davon abhängig, ob Sie sie logisch<br />
nachvollziehen können.)<br />
Tipp: Erstellen Sie eine Liste Ihrer Vergehungen,<br />
die kann kurz oder lang sein; achten Sie darauf,<br />
dass Sie den Hauptpunkt nicht vergessen:<br />
Ihre bisherige Unabhängigkeit von Gott.<br />
Entscheiden Sie sich für den Systemwechsel:<br />
vom System der Boshaftigkeit hin zum System<br />
des „Sohnes der Liebe“, das ist Jesus Christus.<br />
Vergeben Sie all den Menschen, die an Ihnen<br />
schuldig geworden sind. Das ist oft leichter<br />
gesagt als getan; aber wer erkennt, wie viel ihm<br />
selber vergeben wurde, dem fällt es meist leichter<br />
– und je mehr davon einem bewusst wird, umso<br />
einfacher wird es mit dem Vergeben, Schritt für<br />
Schritt. Fangen Sie einfach mal an.<br />
Das befreit ungemein! Da fallen gigantische<br />
Lasten ab und so manche Krankheit löst sich<br />
in Wohlgefallen auf, weil Krankheit nicht selten<br />
unmittelbar zusammenhängt mit der Last, die wir<br />
den anderen „nach-tragen“.<br />
Treffen Sie sich regelmäßig (mindestens einmal<br />
pro Woche) mit einigen Menschen Ihres Vertrauens,<br />
die auch diesen Systemwechsel vollzogen<br />
haben. Sprechen Sie über Ihre Erfahrungen<br />
und ermutigen Sie einander, die guten Erfahrungen<br />
zu vertiefen.<br />
Wählen Sie zwei, drei Menschen aus, denen<br />
Sie aktiv helfen wollen, ihre Lebensumstände zu<br />
verbessern.<br />
Empfehlen Sie diesen<br />
Menschen auch,<br />
selber Vergebung zu<br />
empfangen und zu<br />
gewähren.<br />
1 Römer 3,10–25.<br />
2 Johannes 3,16;<br />
Kolosser 1,13–14.<br />
Man<br />
reflektiert sein<br />
Leben wieder<br />
vor einem Gott,<br />
auch wenn der<br />
vielleicht fremd<br />
geworden ist,<br />
weil er im Säkularen<br />
schon lange<br />
kein Thema<br />
mehr war<br />
Sie treffen sich regelmäßig in<br />
ihrem Wohnzimmer oder<br />
machen einen Stammtisch<br />
Foto: © SWR. Die Fallers, Michael Ciesielski<br />
Z für Zukunft<br />
13
Leitthema<br />
Aus allen<br />
Richtungen<br />
zerren Kräfte,<br />
um das Ziel<br />
zu verrücken:<br />
Vermischung mit<br />
dem Heidnischen<br />
oder der Einfluss<br />
des jeweiligen<br />
Zeitgeistes<br />
Grafik: © Agentur PJI UG<br />
Stagnationsfaktor<br />
Vermischung<br />
mit<br />
Heidnischem<br />
Zeitgeist<br />
Zeit<br />
zurzeit<br />
möglicher<br />
Top-Status<br />
Ausgangspunkt: die<br />
ersten Christen<br />
Gesetzlichkeit<br />
dogmatische<br />
Einseitigkeit<br />
Reformation in 3D<br />
Ein Jahr lang wurde dieses Wort strapaziert: „Reformation“. Wie viele haben es wahrgenommen<br />
– und wer weiß, was es bedeutet? Gut, nach einem Jahr Marketing fällt nun<br />
ein paar mehr Menschen dazu „Luther“ ein. Aber ist Luther gleich Reformation?<br />
Die Kirche<br />
heute ist in<br />
einem weit<br />
schlimmeren<br />
Zustand<br />
als die vor<br />
500 Jahren<br />
re<br />
formatio<br />
– „zurück“<br />
– „Format, Formation,<br />
gestalten“<br />
reformatio – „Wiederherstellung,<br />
Umgestaltung“<br />
Reformation will etwas in sein<br />
ursprüngliches Format zurückführen,<br />
sozusagen in die Werkseinstellung,<br />
in den Zustand, den der Erfinder<br />
beabsichtigt hat.<br />
Wenn bei einem Computer nichts mehr richtig<br />
läuft, vielleicht weil sich ein Virus eingeschlichen<br />
hat, dann wird eine Neu-Formatierung nötig.<br />
Im 16. Jh. war der Kirchen-Computer vom<br />
Virus „Mammon“ befallen: Für den exorbitanten<br />
Bau des Petersdoms in Rom wurden Unmengen<br />
von Geld benötigt; dafür kaufte man all die Seelen<br />
der gutgläubigen Schäfchen und verkaufte ihnen<br />
eine falsche Art Erlösung, während die richtige<br />
umsonst zu bekommen war (nur wie, das wurde<br />
geheim gehalten).<br />
Heute ist der Kirchen-Computer von vielen<br />
Viren befallen; der wohl gefährlichste Virus heißt<br />
„Humanismus“: Die Vernunft spielt sich als Gott<br />
auf und dem Menschen wird weisgemacht, er<br />
hätte keine Erlösung nötig. Die Kirche heute, 500<br />
Jahre nach Luther, ist in einem weit schlimmeren<br />
Zustand als damals. Damals gab man unnötig<br />
Geld aus, aber man suchte die Errettung. Heute<br />
werden die „Kirchenmitglieder“ angelogen und<br />
gehen verloren.<br />
Man hat ein Jubiläum gefeiert, aber welches?<br />
Das der Deformation? „Herr, vergib ihnen, denn<br />
sie wissen nicht, was sie tun!“<br />
14<br />
Z für Zukunft
Leitthema<br />
Reformation zum Anfassen –<br />
Der totale Kontrast<br />
„Reformation“ ist inzwischen ein ziemlich plattgeredeter<br />
Begriff; also versuchen wir es mal mit<br />
einem 3D-Modell.<br />
Frei nach Monopoly: „Gehen Sie zurück zum<br />
Start“ – es wird nicht zum Schaden sein. Zurück<br />
zur Geburt der Kirche: Jesus hat seinen verschreckten<br />
kleinen Haufen enttäuschter Nachfolger<br />
verlassen, ist in Richtung Himmel entschwunden,<br />
gab ihnen aber noch den Hinweis: „Wartet<br />
kurz, bis ihr mit der Kraft aus dem Himmel erfüllt<br />
werdet!“ Das geschah an Pfingsten, und die kleine<br />
Gruppe erweiterte sich in kurzer Zeit explosionsartig<br />
von 120 auf vielleicht 25 000.<br />
Die zwischenmenschlichen, sozialen und gesellschaftlichen<br />
Folgen waren gewaltig: Armutsproblem<br />
gelöst, die Stellung der Frau geändert. Ein<br />
tragfähiges Beziehungsnetzwerk war entstanden,<br />
wie es das zuvor so noch nie gegeben hatte. Wir<br />
können uns heute kaum vorstellen, wie revolutionär<br />
das war!<br />
Der totale Kontrast zu allen gängigen Religionen:<br />
kein Tempel (die Menschen waren nun selbst<br />
der Tempel), keine Opfer (durch Jesus war das<br />
umfassende, endgültige Opfer gebracht worden),<br />
keine Priester (alle zusammen waren die königliche<br />
Priesterschaft).<br />
Das 3D-Modell für Reformation<br />
Im 3D-Modell befindet sich der rote Ausgangspunkt<br />
in der Mitte der Grundfläche. Von dort aus<br />
auf der Zeitachse bewegt er sich auf den möglichen<br />
Top-Status zu – den Zustand der Gemeinde<br />
Jesu ohne Flecken und Runzeln. 1 „Kirche“ ist das,<br />
was intern als „Leib Christi“ bezeichnet wird: ein<br />
lebendiger Organismus, der als Braut dem Bräutigam<br />
begegnen wird. (Dort wird es sicher keine<br />
„Ehe für alle“ geben – aber das nur so nebenbei).<br />
Aus allen Richtungen zerren verschiedene<br />
Kräfte, um das Ziel zu verrücken: nach links die<br />
Vermischung mit dem Heidnischen; nach rechts<br />
einseitiger Dogmatismus; nach vorn der Einfluss<br />
des jeweiligen Zeitgeistes und nach hinten eine<br />
verbohrte Gesetzlichkeit. Der Zeitachse entgegen<br />
wirkt der Stagnations-Faktor. Alle Kräfte zusammengenommen<br />
haben dazu geführt, dass „Kirche“<br />
im Raum verteilt herumschwirrt und in den<br />
allermeisten Fällen weitab von der geraden Linie<br />
und dem Ziel irgendwo herumdümpelt.<br />
Es reicht aber nicht aus, nur rückwärtsgewandt<br />
auf den Ausgangspunkt zu starren, es muss<br />
vorangehen – und diese Vorwärtsentwicklung<br />
wird gespeist von tausenden Reformationen auf<br />
dem Weg zur „Wiederherstellung aller Dinge“ 2 .<br />
So hat auch eine Kirche, die ihren Ursprung im<br />
1. Jh. geltend machen kann, keinen Anspruch auf<br />
Sonderstellung; auch sie kann durch diesen Stagnations-Faktor<br />
ziemlich weit abgeschlagen sein.<br />
Vermischung mit dem Heidnischen<br />
Schon früh begann diese Kraft der Vermischung,<br />
Wirkung zu entfalten und die Kirche zu zersetzen:<br />
Gebäude, ähnlich heidnischen Tempeln, wurden<br />
zu „heiligen“ Stätten – bevorzugt errichtet auf<br />
den Gräbern „heiliger“ Menschen. Der allmähliche<br />
Bedeutungsverlust des „allgemeinen Priestertums“<br />
zugunsten einer Trennung in Klerus und Laien<br />
beraubte die meisten Gläubigen der Möglichkeit,<br />
ihren Glauben zu entfalten, und entmündigte sie.<br />
Dogmatische Einseitigkeit<br />
Es ist allzu leicht möglich, auf einer Seite vom<br />
Pferd zu fallen. Das Spannende an der Bibel ist,<br />
dass meist zwei scheinbare Gegensätze sich die<br />
Waage halten. In der Kirchengeschichte führte<br />
die Wiederentdeckung einer verlorengegangenen<br />
Wahrheit oft schnell zu ihrer Überbetonung<br />
– irgendwie verständlich, schließlich wollte man<br />
ihr wieder die nötige Geltung verschaffen.<br />
Oft hat sich in der zweiten Generation solch<br />
dogmatische Einseitigkeit verselbständigt; das<br />
Ergebnis war eine neue, „einzig wahre“ Denomination<br />
rund um diese eine spezielle Wahrheit,<br />
die doch nur im ausgewogenen Zusammenklang<br />
mit vielen anderen Wahrheiten fruchtbar sein und<br />
dem Reich Gottes dienen kann.<br />
Der Einfluss des Zeitgeistes<br />
Das ist ein sehr aktuelles Problem. EKD-Theologen<br />
sind der Auffassung, Gedanken wie die Jungfrauengeburt<br />
und die Auferstehung könne man<br />
Foto: © Wikipedia<br />
Aus allen<br />
Richtungen<br />
zerren Kräfte,<br />
um das Ziel<br />
zu verrücken:<br />
Heidnisches,<br />
einseitiger<br />
Dogmatismus,<br />
Einfluss des<br />
Zeitgeistes<br />
und verbohrte<br />
Gesetzlichkeit<br />
Z für Zukunft<br />
15
Leitthema<br />
Reformation<br />
ist wie eine<br />
Palme:<br />
Jedes Jahr<br />
kommen<br />
zehn neue<br />
Wedel hervor.<br />
Die alten<br />
sterben ab<br />
Foto: © Wikipedia<br />
dem vernünftig denkenden Menschen von heute<br />
nicht mehr zumuten; damit aber wird der christliche<br />
Glaube ausgehöhlt und, genau genommen,<br />
gegenstandslos. Der Humanismus macht den<br />
Menschen zum Maß aller Dinge; aber wenn der<br />
Mensch aus seiner Perspektive Gott erklären will,<br />
ist das ganz einfach zum Scheitern verurteilt.<br />
Der Zeitgeist fragt immer: „Sollte Gott gesagt<br />
haben?“, oder drängt Gott überhaupt aus dem<br />
Weltbild. Eine Kirche, die diesem Streben Raum<br />
gibt, disqualifiziert sich und macht sich überflüssig<br />
– davon zeugt die steigende Zahl von Kirchenaustritten.<br />
Verbissene Gesetzlichkeit<br />
Schwäche kompensieren wir gerne mit überbetonter<br />
Frömmigkeit – das Einhalten von Verhaltensmustern<br />
und Regelwerken soll eine Ernsthaftigkeit<br />
vortäuschen, die aber nicht gelebt wird.<br />
Test: Wie sind wir, wenn keiner zuschaut?<br />
Man kann es „religiös“ nennen oder „pharisäisch“;<br />
man versucht, etwas für Gott zu tun, um bei<br />
ihm Pluspunkte zu sammeln.<br />
Das zurechtzurücken, genau das war ja der<br />
zentrale Impuls von Martin Luthers „Gerechtfertigt<br />
aus Glauben“. Religiosität setzt Menschen<br />
unter Druck und steht im Widerspruch zu der Freiheit,<br />
die dem christlichen Glauben doch eigen ist.<br />
Der Stagnationsfaktor<br />
Der Zeitachse entgegen wirkt der Stagnationsfaktor:<br />
Jeder Reformation ging mal die Luft aus – sie stagnierte<br />
und blieb auf der Zeitachse zurück. Machtansprüche<br />
haben sich in der Geschichte immer wieder<br />
als Bremse erwiesen. Faktoren, die anfänglich einen<br />
Aufbruch ausgelöst haben, können zur Einseitigkeit<br />
führen und darin erstarren. So können gute Anfänge<br />
zu starken Blockaden werden.<br />
Der Befund<br />
Alle sind mehr oder weniger entfernt von der zentralen<br />
Achse. Alle brauchen eine Richtungsänderung:<br />
weg vom Zeitgeist, weg vom Heidnischen,<br />
weg von der Einseitigkeit, weg von der Gesetzlichkeit<br />
und gegen die Stagnation. In der Fachsprache<br />
nennt man das „Buße“ – sich abwenden von dem,<br />
was nicht gut ist.<br />
16<br />
Z für Zukunft
Buße wäre doch der optimale Einstieg in die<br />
Reformation, die nun vor uns liegt!<br />
Muslime<br />
träumen von<br />
Jesus! Lesen Sie<br />
in diesem Buch<br />
tolle Berichte<br />
davon<br />
Leitthema<br />
Reformation spaltet! Oder wer?<br />
Weltweit gibt es über 46 000 christliche Denominationen<br />
– stellen Sie sich vor, wie diese in dem<br />
3D-Modell herumschwirren. Etliche von ihnen sind<br />
der Auffassung, sie wären die „einzig Wahren“<br />
unter uns Christen (was sie damit zur Sekte macht,<br />
und wäre es eine seit Langem bestehende Großkirche).<br />
Viele davon sind absolut für Einheit – wenn<br />
der Rest sich nur an ihre Vorgaben halten würde.<br />
Wer ist schuld? Man sagt, die Reformation vor<br />
500 Jahren hätte die Kirche gespalten. Aber sind<br />
nicht jene die Spalter, die die notwendige Erneuerung<br />
oder die Wiederherstellung der Vorzüge der<br />
ersten Christen verweigern und im Status quo<br />
gefangen bleiben wollen?<br />
Von dieser Warte aus betrachtet hat vor 500<br />
Jahren die römisch katholische Kirche sich abgespalten;<br />
kurz danach haben sich die Lutheraner<br />
von den Täufern abgespalten. Und so weiter –<br />
etwas wurde wiederhergestellt, was in Vergessenheit<br />
geraten war, und das, was sich nicht<br />
weiter verändern wollte, hat den neuerlichen Aufbruch<br />
bekämpft. Das Neu-Alte wurde immer zum<br />
Feind des Neuen.<br />
Auf Teufel komm raus!<br />
Das Bild der Palme hilft, das Muster von Reformation<br />
besser zu verstehen: Jedes Jahr kommen mindestens<br />
zehn neue Palmwedel hervor. Die alten<br />
sterben ab – aber doch waren sie nötig, um den<br />
Stamm zu bilden; der ist das Ergebnis aller bisherigen<br />
Wedel.<br />
Ein spannender Bericht von Pilgerreisen auf den Spuren des Apostels Paulus. Sie<br />
werden zur Suche nach der Kraft des Glaubens und führen zu aufschlussreichen<br />
historischen Plätzen der ersten Christen in „Kleinasien“, der heutigen Türkei.<br />
Herrliche Panoramabilder begleiten den mitreißenden Text (80 Farb- und 34 s/w-Fotos).<br />
Der Leser spürt etwas von der Leidenschaft der ersten Christenheit.<br />
Geschichte und Gegenwart verschmelzen: Istanbul – Konstantinopel, das Tor zum<br />
Orient. Über Ankara geht es zu den tausend Höhlenkirchen in Kappadokien. Auch die<br />
Stätten der sieben apokalyptischen Gemeinden fehlen nicht.<br />
An der türkischen Südküste, wo die erste Reise des Paulus ihren Ausgang nahm,<br />
sollte Peter Ischka vieles selbst erleben, wovon in der Apostelgeschichte berichtet wird:<br />
Er bekommt den „Auftrag“, einen jungen Christen, der auf Grund seiner Bekehrung<br />
ins Gefängnis kam, daraus zu befreien. In diesem Buch lesen Sie, wie das Unmögliche<br />
tatsächlich geschah. Daumennagelgroße Nierensteine verschwinden nach schlichtem<br />
Gebet. Jesus begegnet Muslimen in Träumen und Visionen.<br />
Sogar ein Esel wird von dieser Kraft übernatürlich berührt.<br />
Dieses Buch liest sich wie die Fortsetzung der Apostelgeschichte<br />
und macht Mut, längst in Vergessenheit geratenes<br />
Glaubensgut wieder beim Wort zu nehmen.<br />
Gebunden, 160 S., 32 Seiten Panorama-Fotos, 17 x 25 cm, Best.-Nr. 453.103.778<br />
17,95<br />
http://shop.agentur-pji.com<br />
QR zur Leseprobe<br />
Wie bei der Palme ist Reformation ein andauernder<br />
Prozess. Alle 500 Jahren eine, das würde<br />
nicht reichen. Heute ist die Kirche wahrscheinlich<br />
in einem weit schlimmeren Zustand als die Kirche,<br />
die Luther vor sich hatte – aber wo sind heute die<br />
Luthers mit der Leidenschaft, ihr Leben zu investieren<br />
und die Kirche zu reformieren „auf Teufel komm<br />
raus“? Denn der muss raus aus der Kirche, wenn sie<br />
das sein soll, was der Erfinder sich vorgestellt hat.<br />
1 Epheser 5,27.<br />
2 Apostelgeschichte 3,21.<br />
Z für Zukunft<br />
17
Leitthema<br />
Foto: © RheinCargo<br />
Luther, die Reformation –<br />
und wir heute<br />
Barbara von Schnurbein<br />
Luther:<br />
Wie bekomme<br />
ich einen<br />
gnädigen Gott?<br />
Wie werde<br />
ich vor Gott<br />
gerecht?<br />
Kürzlich sagte jemand im Gespräch:<br />
„Die Digitalisierung bringt einen<br />
Paradigmenwechsel wie damals die<br />
Erfindung des Buchdrucks.“ Und<br />
ich dachte mir: „Ja, und wie damals<br />
wird auch heute der christliche Glaube dabei<br />
auf den Prüfstand gestellt.“ Die Erfindung des<br />
Buchdrucks hatte wesentlichen Anteil am Erfolg<br />
der Bemühungen Martin Luthers, denn dadurch<br />
wurde es möglich, nicht nur die Bibel bekannt zu<br />
machen, sondern auch seine Schriften in Windeseile<br />
zu verbreiten. Über die deutschen Grenzen<br />
hinaus wurde bekannt, dass Luther die kirchliche<br />
Ablasslehre bekämpfte und sich damit gegen den<br />
Papst und viele Landesherren stellte.<br />
Paradigmenwechsel – Luther an der<br />
Grenze zur Neuzeit<br />
Aber nicht nur seine theologischen Erkenntnisse<br />
waren revolutionierend, auch Luthers persönliches<br />
Leben spiegelt die großen Veränderungen<br />
seiner Zeit: Seine Familie war bäuerlicher Herkunft;<br />
doch als der kleine Martin am 10. November<br />
1483 in Eisleben geboren wurde, waren seine<br />
Eltern schon aus der bäuerlichen Umgebung weggezogen<br />
und ließen sich in Mansfeld nieder. Vater<br />
Hans verdiente den Lebensunterhalt nicht mehr<br />
in der Landwirtschaft, sondern als Bergmann und<br />
„Hüttenmeister“ in der aufblühenden Kupfer- und<br />
Silberindustrie.<br />
Die beginnende Industrialisierung kennzeichnet<br />
den Beginn der Neuzeit. In diesem Umbruch<br />
stellt Luther seine ganz persönliche Lebens-<br />
18<br />
Z für Zukunft
Leitthema<br />
frage, die ihn jahrelang umtrieb: Wie bekomme<br />
ich einen gnädigen Gott? Wie werde ich vor Gott<br />
gerecht?<br />
Ob die Fragen entstanden, weil sein Vater<br />
so streng war oder weil generell ein unerbittlicher<br />
Gott und Jesus als Weltenrichter das Gottesbild<br />
der Menschen damals bestimmten, sei<br />
dahingestellt. Nach seinem Eintritt in das Erfurter<br />
Augustinerkloster beherrschten diese Fragen<br />
sein Leben. Damals hatte er große Angst, trotz all<br />
seiner guten Werke, seiner selbstauferlegten Bußübungen,<br />
ja, seines ganzen Lebens als Mönch, im<br />
Jüngsten Gericht vor Gott nicht bestehen zu können<br />
und für immer verdammt zu werden. Jahrelang<br />
plagte er sich, fastete und kasteite sich, und<br />
fand keine Antwort.<br />
Allein durch Glauben<br />
an Jesus Christus – sola fide<br />
Bis – ja, bis ihm beim Bibellesen klar wurde, dass<br />
Gott von ihm diese Übungen gar nicht erwartet;<br />
dass Jesus Christus bereits „für uns gestorben ist,<br />
als wir noch Sünder waren“ 1 . Wie gut, dass er selber<br />
die Bibel lesen konnte! Anhand des Römerbriefs<br />
erkannte er, dass Gott ihn in Christus ohne<br />
jede Vorleistung, ohne Verdienst oder eigene<br />
Mühe, aus purer Liebe gerechtgesprochen hatte!<br />
Deshalb predigte Luther nun aus tiefster<br />
Überzeugung, Beichte und Buße seien zwar richtig<br />
und wichtig, aber allein der Glaube an Gottes<br />
Werk durch Jesus Christus bewirke für alle Menschen<br />
das ewige Heil. Ein höchst aktuelles Thema<br />
auch für moderne Menschen, die sich weitgehend<br />
über Leistung definieren und in einer Leistungsgesellschaft<br />
mit den eigenen Grenzen oft nicht<br />
zurechtkommen. 2<br />
Luther war überzeugt, dass Gläubige gute<br />
Taten tun sollen, aber nicht, um sich ihr ewiges<br />
Heil zu verdienen, sondern als selbstverständliche<br />
Folge ihrer Beziehung zu Jesus Christus und<br />
als Auswirkung ihres gelebten Glaubens.<br />
Als Luther am 31. Oktober, dem Vorabend des<br />
Allerheiligentages 1517 – wie es berichtet wird –<br />
seine 95 Thesen an der Schlosskirche in Wittenberg<br />
anschlug, wollte er keine neue christliche<br />
Konfession gründen. Er wollte vielmehr in seiner<br />
römisch-katholischen Kirche dem Wort Gottes –<br />
der Bibel – wieder die zentrale Bedeutung geben<br />
und dadurch seine Kirche erneuern. Deswegen<br />
hinterfragte er alle hinzugekommenen Traditionen<br />
und Lehren.<br />
Allein durch Gnade – sola gratia<br />
Weil ihm die Gnade Gottes so wichtig geworden<br />
war, bekämpfte Luther nun besonders die Ablasslehre.<br />
Mit dramatischen Worten schilderten die<br />
Ablassprediger den verängstigten Zuhörern, wie<br />
ihre Eltern und Angehörigen im Fegefeuer darum<br />
flehen, dass sie durch Almosen von ihren furchtbaren<br />
Qualen erlöst würden. Der bekannteste<br />
unter ihnen war Johann Tetzel (ca. 1460–1519),<br />
von dem einige Predigten erhalten sind. 3<br />
Zwar wurde weiterhin gelehrt, dass nach dem<br />
Sündenbekenntnis im Beichtgespräch durch die<br />
Absolution die Schuld vor Gott vergeben sei.<br />
Aber das galt nur für den Himmel; auf der Erde<br />
mussten für die gebeichteten Sünden zusätzlich<br />
bestimmte „Kirchenstrafen“ abgeleistet werden:<br />
Den Gläubigen wurden Gebete, gute Taten,<br />
Almosen auferlegt bis hin zu schweren Strafen,<br />
die der Papst – angeblich im Namen Gottes – trotz<br />
der zugesprochenen Vergebung noch über sie<br />
verhängte.<br />
Also nicht Gottes Gnade befreite von Schuld,<br />
sondern bei diesen einzeln auferlegten Strafen<br />
galt sofortige Vergebung erst, wenn der Sünder<br />
nach Beichte und Reue sein Geld in den Kasten<br />
geworfen hatte. Für die Toten wurde von<br />
den Lebenden nichts als Geld gefordert nach<br />
dem Grundsatz, den Luther in seinen Thesen<br />
anprangerte: „Wenn das Geld im Kasten klingt,<br />
die Seele aus dem Fegefeuer springt.“ 4 Für<br />
die einzelnen Vergehen waren bestimmte<br />
Mindestsummen angesetzt, 5 über die dann auch<br />
häufig – wie eine Quittung – ein Ablassbrief<br />
ausgestellt wurde.<br />
Allein Christus – solus Christus<br />
Verständlich, dass Luther sich vehement gegen<br />
diese Ablasspraxis wandte. Er betonte kämpferisch,<br />
dass Gott die bereute und bekannte Schuld<br />
in Zeit und Ewigkeit vergibt, wenn der Gläubige<br />
Foto: © Wikipedia<br />
Dramatisch<br />
schilderten die<br />
Ablassprediger<br />
den verängstigten<br />
Zuhörern, wie<br />
Angehörigen im<br />
Fegefeuer darum<br />
flehen, durch ihre<br />
Almosen von den<br />
furchtbaren<br />
Qualen erlöst<br />
zu werden<br />
Satan, der Ablässe verteilt.<br />
Aus einer tschechischen<br />
Handschrift 1490.<br />
Bereits 1412 verurteilte<br />
Ján Hus (der Hauptführer der<br />
böhmischen Reformation)<br />
den Ablasshandel<br />
Z für Zukunft<br />
19
Leitthema<br />
Luther auf dem Reichstag<br />
in Worms (kolorierter<br />
Holzschnitt, 1527)<br />
„Hier stehe<br />
ich, ich kann<br />
nicht anders,<br />
Gott helfe mir,<br />
Amen.“<br />
sich im Glauben allein auf das für ihn vergossene<br />
Blut Christi verlässt. Die Kirche dagegen<br />
verkaufe wirkungslose Ablässe nur für die vorher<br />
von ihr selbst auferlegten Strafen, die für die<br />
Ewigkeit bedeutungslos seien.<br />
Kein Wunder also, dass sich Luthers Argumente<br />
gegen die Ablasszahlungen wie ein Lauffeuer<br />
verbreiteten und der Thesenanschlag viele<br />
Geistliche gegen Luther aufbrachte. Es entstand<br />
eine heftige Diskussion. Man stritt darüber, dass<br />
er sich auf die Autorität der Heiligen Schrift<br />
berief. Nicht nur die Kirche, auch die deutschen<br />
Universitäten sowie ausländische Gelehrte wie<br />
Erasmus von Rotterdam und andere reformatorisch<br />
Denkende beteiligten sich an der Debatte,<br />
oft in kämpferischem Ton.<br />
Die ursprünglich theologische Diskussion entwickelte<br />
sich zum Politikum, sodass auch Landesfürsten<br />
und Reichsstädte Stellung bezogen. Die<br />
Kirche sah in Luther ihren größten und gefährlichsten<br />
Feind und warf ihm vor, er hetze die<br />
Laien auf. Man beschuldigte ihn der Ketzerei,<br />
genau wie hundert Jahre zuvor den böhmischen<br />
Theologen und Reformator Ján Hus. Dieser war<br />
trotz der Zusicherung freien Geleits beim Konzil<br />
in Konstanz 1415 verurteilt und auf dem Scheiterhaufen<br />
verbrannt worden, weil er seine Lehre<br />
nicht widerrufen wollte.<br />
Glaube macht mutig<br />
Beim Reichstag in Worms bekam Luther noch<br />
ein letztes Mal die Gelegenheit, seine Aussagen<br />
und Schriften vor Kaiser Karl V. zu widerrufen.<br />
Obwohl er wusste, dass es seinen Tod bedeuten<br />
könnte, sagte er am 17. April 1521 nach einem<br />
Tag Bedenkzeit: Da „mein Gewissen in den Worten<br />
Gottes gefangen ist, ich kann und will nichts<br />
widerrufen, weil es gefährlich und unmöglich ist,<br />
etwas gegen das Gewissen zu tun. Gott helfe mir.<br />
Amen.“ 5 Auf einem Holzschnitt von 1527 findet<br />
sich der bekannte Satz: „Hier stehe ich, ich kann<br />
nicht anders, Gott helfe mir, Amen.“ Er ist aber<br />
vorher nicht belegt.<br />
Luther wusste, dass in Rom längst der Bann<br />
gegen ihn geplant wurde; ein Widerruf aber war<br />
ihm unmöglich. Im Gegenteil, mit einer weiteren<br />
Schrift brachte er nun auch noch die Sakramente<br />
in die Diskussion, indem er im September<br />
die Schrift „Von der babylonischen Gefangenschaft<br />
der Kirche“ veröffentlichte. Darin schrieb<br />
er, dass nur drei Sakramente von Jesus Christus<br />
eingesetzt seien, nämlich die Taufe, das Abendmahl<br />
und die Buße. Die weiteren vier Sakramente<br />
(Firmung, Ehe, Priesterweihe und Letzte Ölung)<br />
seien von Menschen eingesetzt. Die Ehe sei eine<br />
sittliche Ordnung des allgemein menschlichen<br />
Lebens, die bei Christen ebenso wie bei Nichtchristen<br />
bestehe. Bei der Salbung Kranker mit<br />
Öl, wie sie im Jakobusbrief beschrieben wird, 7<br />
handle es sich nicht um eine letzte Ölung Sterbender,<br />
sondern um den Dienst der Gabe, Kranke<br />
in Kraft des Glaubens und Gebets zu heilen. Und<br />
für das allgemeine Priestertum aller Gläubigen<br />
genügte ihm die Taufe als Weihe. Der Bann, der<br />
in Rom schon am 16. Juni erlassen worden war,<br />
erreichte die Universität Wittenberg in den ersten<br />
Oktobertagen.<br />
Luther reagierte mit einem Schreiben an den<br />
Papst, in dem er die historische Entwicklung des<br />
Streites darstellte. Dem Schreiben legte er seine<br />
Schrift „Von der Freiheit eines Christenmenschen“<br />
bei, die Summe seiner Erkenntnis darüber,<br />
welche Freiheit Jesus Christus durch seinen<br />
Tod den gläubigen Christen erworben hat.<br />
20<br />
Z für Zukunft
Leitthema<br />
Die Reformation zieht Kreise<br />
Gleichzeitig mit Luther gab es andere Theologen<br />
und Gelehrte, die sich mit diesen Themen<br />
befassten. Nicht immer kamen sie zu den gleichen<br />
Ergebnissen. Neben Sachargumenten gab<br />
es leider auch persönliche Angriffe; Luthers Formulierungen<br />
waren oft heftig, und die Gegner der<br />
Reformation antworteten entsprechend.<br />
1528 berief der Kaiser einen Reichstag nach<br />
Speyer ein für den 21. Februar 1529. Dort wurde<br />
ein Beschluss durchgesetzt, wodurch nicht nur<br />
die weitere Ausbreitung der Reformation, sondern<br />
auch der Vollzug in bereits reformierten<br />
Gebieten erschwert wurde. Die Evangelischen<br />
protestierten dagegen am 19. April 1529 und<br />
erhielten so den Namen „Protestanten“. Kaiser<br />
und Papst aber bereinigten ihre Differenzen und<br />
schlossen am 29. Juni 1529 ein Bündnis.<br />
Keine Einigung zum Abendmahl<br />
Um auch die Evangelischen zu vereinen und die<br />
Abendmahls-Streitigkeiten vor allem zwischen<br />
Luther und Zwingli beizulegen, lud Landgraf<br />
Philipp von Hessen die führenden evangelischen<br />
Gelehrten 1529 zu einem Gespräch nach Marburg<br />
ein. Das eindrucksvolle große Gemälde von<br />
August Noack 6 dokumentiert die Bedeutung des<br />
Gesprächs der Reformatoren mit Landesfürsten<br />
und Gelehrten im Fürstensaal des Marburger<br />
Schlosses auch noch 300 Jahre danach. Es blieb<br />
die einzige Begegnung von Luther und Zwingli.<br />
Am 1. Oktober 1529 trafen sich auf Anweisung<br />
des Landgrafen Luther, Zwingli, Oekolampad und<br />
Melanchthon. Über viele Punkte hatten sie sich<br />
in Vorgesprächen schon geeinigt; Hauptpunkt<br />
der Diskussion war das Abendmahlsverständnis.<br />
Beide Seiten brachten Argumente aus der Bibel,<br />
aber eine Einigung, wie Landgraf Philipp von Hessen<br />
sie wünschte, kam nicht zustande. Der entscheidende<br />
15. Punkt der „Marburger Artikel“,<br />
nämlich ob beim Abendmahl Brot und Wein der<br />
Leib und das Blut Christi „sind“ (Luther) oder den<br />
Leib und das Blut Christi „bedeuten“ (Zwingli),<br />
blieb strittig. Dennoch unterschrieben schließlich<br />
alle Theologen das Dokument. Wenn man die<br />
heftigen Auseinandersetzungen und Beschimpfungen<br />
davor vergleicht mit der Art, wie in Marburg<br />
miteinander gesprochen und umgegangen<br />
wurde, dann hatte die Einladung des Landgrafen<br />
dennoch weitreichende Auswirkungen auf den<br />
weiteren Verlauf der Reformation.<br />
Das außerordentliche Verdienst Luthers ist,<br />
dass er durch seine deutsche Bibel dem Volk<br />
ermöglichte, selber das Wort Gottes zu lesen und<br />
sich eine eigene Meinung zu bilden. Begünstigt<br />
durch die Erfindung des Buchdrucks bekamen<br />
das Lesenlernen und der Schulbesuch erstmals<br />
in der deutschen Geschichte eine herausragende<br />
Bedeutung. Luthers Bibel prägte nicht nur die<br />
weitere Entwicklung der deutschen Sprache, sondern<br />
das gesamte damalige Bildungswesen.<br />
Auch Luther erkannte „stückweise“<br />
Umso problematischer ist es, dass Luther die bleibende<br />
Bedeutung des Volkes Israel in den zeitgenössischen<br />
Juden nicht wirklich erkannte. Seine<br />
heftigen Thesen gegen die Juden von 1543 sollen<br />
deshalb hier erwähnt werden. So entschieden wie<br />
er die Erkenntnis vom Heil für jeden Menschen<br />
allein durch die Gnade Gottes und den Tod Jesu<br />
Christi vertrat, so wenig verstand er die eindeutigen<br />
Aussagen der Bibel zu Gottes Volk Israel, den<br />
Juden. Vielleicht war er auch enttäuscht, dass sie<br />
Jesus nicht als ihren Messias annahmen, nachdem<br />
sie doch nun auch das Neue Testament in Deutsch<br />
lesen konnten! Ob der auch in seiner Zeit übliche<br />
Antijudaismus ihn beeinflusste? Es bleiben ein<br />
dunkler Fleck in seinem Leben und die Aufforderung<br />
an alle Christen, es besser zu machen und<br />
das Volk Israel zu segnen und zu schützen.<br />
Seit der Reformationszeit haben sich die evangelische<br />
und die katholische Kirche in manchen<br />
Fragen verständigt. Oft waren es die Laien, die<br />
wichtige gemeinsame Entwicklungen umsetzten.<br />
Auch das in beiden Kirchen und in Freikirchen<br />
erlebte Wirken des Heiligen Geistes verbindet<br />
Kirchen und Gemeinschaften über konfessionelle<br />
Grenzen hinweg. Überall dort, wo Gottes Wort und<br />
Gebet das Zentrum des Gemeindelebens bilden<br />
und wo die Beziehung zu Gott und zu Jesus Christus<br />
gepflegt wird, kann durch diese Gemeinschaft<br />
auch Unterschiedlichkeit akzeptiert werden. Auf<br />
Inzwischen<br />
haben sich die<br />
evangelische und<br />
die katholische<br />
Kirche in manchen<br />
Fragen<br />
verständigt.<br />
Oft waren es<br />
die Laien, die<br />
gemeinsame<br />
Entwicklungen<br />
umsetzten<br />
Das Abendmahl ist ein strittiges<br />
Thema – bis heute.<br />
Foto: © Church Stock Photos<br />
Z für Zukunft<br />
21
Leitthema<br />
Foto: © Agentur PJI UG, Montage<br />
In der<br />
Präambel der<br />
EU-Charta war<br />
kein Platz<br />
für Gott.<br />
Damit<br />
verleugneten<br />
wir, was Europa<br />
geprägt hat<br />
der Basis der Heiligen Schrift sind Versöhnung<br />
und gegenseitige Annahme möglich. Wo biblische<br />
Lehre in Liebe gelebt und weitergegeben wird,<br />
wird sie christliche Gemeinschaft beleben und<br />
stärken. So kann der Auftrag Jesu erfüllt werden,<br />
wie er von Matthäus aufgeschrieben wurde. 9 Und<br />
es könnte sich auch die Einheit erfüllen, über die<br />
Jesus im Johannesevangelium gesprochen hat. 10<br />
Paradigmenwechsel heute:<br />
Die Bibel – sola scriptura<br />
Bestimmt fehlt die klare Überzeugung – vielfach<br />
auch in der Kirche –, dass die Bibel als Gottes<br />
Wort gültiger Maßstab für ein Leben mit Christus<br />
ist. Dass es nicht in unser Belieben gestellt<br />
ist, welche Verse der Bibel wir akzeptieren wollen<br />
und welche wir ablehnen. Die Erfahrung von<br />
Christen durch die Jahrhunderte zeigt: Wer sich<br />
auf Gottes Wort verlässt, erlebt seine befreiende,<br />
verändernde Kraft.<br />
Vielen suchenden Menschen fehlt der Hinweis,<br />
dass die Bibel Gottes Plan mit der Welt für alle<br />
Menschen aufzeigt; dass Jesus für jeden Einzelnen<br />
persönlich gestorben ist. Dass er gerade für<br />
unsere Nöte, Probleme und Fragen persönliche<br />
Antworten hat und nicht nur der unnahbare mittelalterliche<br />
Weltenrichter ist.<br />
Oft fehlt auch die Botschaft, dass Erlösung<br />
nicht aus uns selbst geschehen kann. Der Blick<br />
nach innen kann vielleicht zeitweilig erleichternd<br />
sein, aber wirkliche Befreiung kann nur von<br />
außen, von Jesus, vom Kreuz her kommen.<br />
Und es gilt heute erneut, für Israel als Gottes<br />
Volk einzutreten und jeder Art von Antisemitismus<br />
– leider auch in Deutschland – entschieden zu<br />
begegnen. Nicht weil die Juden besser wären als<br />
andere Menschen, sondern weil Gott sie erwählt<br />
hat, ob uns das passt oder nicht, und mit ihnen<br />
Weltgeschichte schreibt.<br />
Der Paradigmenwechsel durch Digitalisierung<br />
und Globalisierung fordert uns Christen heraus,<br />
beides auch zu nutzen, um den Auftrag Jesu zu<br />
erfüllen: allen Menschen die Frohe Botschaft zu<br />
bringen. Denn wohin die Welt kommt, wenn sie<br />
Gott ins Abseits stellt und meint, ohne ihn auszukommen,<br />
das erleben wir ja tagtäglich! In der<br />
Präambel der EU-Charta war kein Platz für Gott.<br />
Nicht „schade“, sondern eine Katastrophe, denn<br />
damit verleugneten wir, was Europa geprägt hat:<br />
die Bibel als Wertekodex, aus dem sich unsere<br />
politischen, wirtschaftlichen und sozialen Strukturen<br />
entwickeln konnten. Und die Gnade, mit der<br />
Gott sich nach dem Krieg und bei der Wiedervereinigung<br />
über Deutschland erbarmte.<br />
500 Jahre Thesenanschlag sind Grund genug,<br />
dem Wort Gottes wieder seine zentrale Bedeutung<br />
als Richtschnur für alle Lebensbereiche<br />
zukommen zu lassen. Wenn es also im Jahr 2017<br />
etwas zu feiern gab, dann doch das Wort Gottes,<br />
Gottes Gnade und Treue, seine Liebe und Macht<br />
und Jesu Sieg über Sünde, Tod und Teufel, wie<br />
Luther gern zu sagen pflegte.<br />
Ein Hinweis: Wer sich eingehend mit Luther<br />
und seiner Zeit befassen möchte, dem sei das in<br />
neuer Auflage erschienene Buch von Dr. Georg<br />
Gremels empfohlen. Als Naturwissenschaftler<br />
und Theologe beantwortet er kompetent die häufigsten<br />
Argumente und Fragen.<br />
In 49 Briefen will der Schreiber Markus seinem<br />
naturwissenschaftlich orientierten Mediziner-Freund<br />
Christian den Glauben Martin<br />
Luthers und die Bedeutung der Bibel erklären.<br />
Der Autor hat Chemie studiert und ist promovierter<br />
Theologe mit viel Praxiserfahrung. Er kennt<br />
die üblichen Vorbehalte gegen die Bibel. Und er<br />
kennt Luther und seine Zeit! Sachkundig beant-<br />
22<br />
Z für Zukunft
wortet er alle Fragen seines interessierten Briefpartners.<br />
Dabei erweist sich die Bibel als höchst<br />
aktuelles Lebenshandbuch. So erfahren die Leser<br />
nicht nur etwas über Luthers Spiritualität, sondern<br />
auch über den Weg zu einem persönlich<br />
erfahrbaren Glauben.<br />
Ein hervorragendes Buch für alle, die sich auf<br />
biblischer Basis mit Luther befassen wollen. Und<br />
für die, die sich fragen, was die rasanten Veränderungen<br />
unserer Zeit und die Erkenntnisse der<br />
Wissenschaft für den Glauben bedeuten. Spannend,<br />
wenn auch nicht immer ganz einfach zu<br />
lesen. Aber Durchhalten lohnt sich! Gerade die<br />
letzten zehn Briefe sind besonders aufschlussreich.<br />
Oberkirchenrat i.R. Klaus Baschang empfahl<br />
das Buch als „bislang wichtigsten Beitrag<br />
zum Reformationsjubiläum 2017“.<br />
Georg Gremels<br />
Ein Mensch namens Luther<br />
Francke-Buchhandlung GmbH, Marburg 2016<br />
320 Seiten, 9,95 €, ISBN 978-3-86827-567-4<br />
Nach einer Rezension von Klaus Baschang,<br />
idea-spezial Nr. 2, 2016, S. 4.<br />
1 Römer 5,8.<br />
2 Georg Gremels, Ein Mensch namens Luther: Vom Geheimnis der<br />
Wandlung, Marburg: Francke 2016, S. 206.<br />
3 s. Julius Köstlin, Luthers Leben, Leipzig: Fues‘s Verlag 1882, S. 97.<br />
4 https://de.wikipedia.org/wiki/Johann_Tetzel, (Zugriff am 02.03.2016).<br />
Auch: Luthers These Nr. 27 in: „Die 95 Ablassthesen Luthers“: Weimarer<br />
Ausgabe, WA1, S. 233 ff; vgl. auch: Gremels, S. 199.<br />
5 Nachweis: Köstlin, S. 93.<br />
Auch: Egon Friedell, Kulturgeschichte der Neuzeit I–III, München 1927,<br />
1928, 1931, hrsg. in einem Band bei C.H. Beck, München, o. J., S. 282.<br />
6 Martin Treu, Martin Luther in Wittenberg: Ein biografischer<br />
Rundgang, Hrsg: Stiftung Luthergedenkstätten in Sachsen-<br />
Anhalt, 2. Aufl. 2006, S. 49 f.<br />
7 Jakobus 5,14–18.<br />
8 August Noack, 1822–1905, deutscher Maler, vor allem Porträtist<br />
und Historienmaler, schuf 1869 das 2,50 x 3,05 m große<br />
Ölgemälde zum Reformationsgespräch von 1529. Es hängt im<br />
Marburger Schloss.<br />
9 Matthäus 28,18–20.<br />
10 Johannes 17,22–23.<br />
Leitthema<br />
Möchten Sie mit uns<br />
zusammenarbeiten?<br />
2018 beginnen wir in den Unternehmen des deutschsprachigen<br />
Raumes „LEUCHTTÜRME“ zu pflanzen<br />
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® “ und „Umdenk-Trainer ® “ hat bereits in den letzten<br />
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und über 100 in einer mindestens 10-tägigen Intensiv-Ausbildung<br />
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der Umdenk-Akademie ® in Wirtschaft und Gesellschaft<br />
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Ja, das sagen viele. Aber was tun wir dafür, dass diese Wahrheit<br />
immer mehr Unternehmen und Führungskräften zur<br />
bewussten Realität wird in ihrem täglichen Handeln?<br />
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Talente und Fähigkeiten zum Nutzen der Menschen mit<br />
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Z für Zukunft<br />
23
Zeitkritisch<br />
Woran krankt „Kirche“?<br />
Und im Speziellen die evangelische in<br />
Deutschland? Eine Antwort gibt<br />
Urich Parzany in seinem Buch<br />
„Was nun, Kirche?“<br />
Valentine Godé-Darel<br />
am Tag vor ihrem Tod,<br />
Ferdinand Hodler 1915<br />
Will man<br />
überhaupt<br />
Veränderungen?<br />
Man hat die<br />
Mehrheiten<br />
und das Geld<br />
der Kirchensteuerzahler.<br />
Man nützt<br />
diese Macht<br />
rücksichtslos<br />
Wenn ich hier über Nöte und<br />
Fehlentwicklungen in den Kirchen<br />
schreibe, will ich keinen<br />
Augenblick vergessen, wie<br />
sehr ich auf der anderen Seite<br />
die Kirche als Wunder Gottes sehe.<br />
Ich will Fehlentwicklungen und Konflikte<br />
beschreiben. Ich will nicht um den heißen Brei<br />
herumreden. Ich schreibe gegen Resignation.<br />
Auch gegen meine eigene. Ich weiß, wir sind uns<br />
unter den Evangelikalen – Angela Merkel hat sie<br />
„intensiv evangelisch“ genannt – nicht einig darüber,<br />
ob und wie wir öffentlich Kritik üben sollen<br />
an Kirchenleitungen und Synodenbeschlüssen.<br />
Ich weiß aber: Wer schweigt, fördert, was<br />
im Gange ist.<br />
Es fehlt an deutlichem Widerstand gegen Entscheidungen,<br />
die Bibel und Bekenntnis eindeutig<br />
widersprechen.<br />
Ich bin allerdings ziemlich skeptisch, ob Kirchenleitungen<br />
und Synoden sich für Veränderungen<br />
nach Maßgabe der Bibel gewinnen lassen.<br />
Sie haben die Mehrheiten und sie haben das Geld<br />
der Kirchensteuerzahler. Diese Macht nutzen sie<br />
ziemlich rücksichtslos.<br />
In allen Teilen der Welt wächst die Kirche, nur in<br />
Westeuropa nicht. Woran liegt das? Nirgendwo in<br />
der Welt sind Kirchen materiell so reich wie in einigen<br />
Teilen Europas – vor allem in Deutschland – und<br />
in Nordamerika. Allerdings sind die meisten Gottesdienste<br />
in Deutschland sehr schlecht besucht.<br />
Kirchenmitgliedschaft<br />
und Gottesdienstbesuch<br />
1990 hatten die evangelischen Kirchen in<br />
Deutschland 29 422 000 Mitglieder. Das waren<br />
36,9 % der deutschen Bevölkerung. 2015 waren<br />
es nur noch 21 933 000 (26,7 %). 1<br />
24<br />
Z für Zukunft
Zeitkritisch<br />
In einer Statistik der Evangelischen Kirche<br />
in Deutschland (EKD) ist zu lesen:<br />
„Die Teilnahme am Gemeindegottesdienst ist<br />
ein wesentlicher Ausdruck christlicher Frömmigkeit.<br />
Im Laufe eines Jahres werden in Deutschland<br />
an Sonn- und Feiertagen 1,1 Millionen Gottesdienste<br />
gefeiert.“ 2<br />
4 % der Mitglieder evangelischer Kirchen gehen<br />
sonntags in einen Gottesdienst. „Von den 16- bis<br />
29-jährigen Evangelischen besucht nur 1 % regelmäßig<br />
den Gottesdienst.“ 3<br />
Wenn also die „Teilnahme am Gemeindegottesdienst<br />
ein wesentlicher Ausdruck christlicher<br />
Frömmigkeit“ ist, müsste das zu denken geben.<br />
Was ist mit den anderen 96 %? Das sind doch gut<br />
21 Millionen Mitglieder. Die 28 Millionen Konfessionslosen<br />
würden sich vielleicht auch interessieren,<br />
wenn wir in der Bibel lesen: Gott „will, dass<br />
alle Menschen gerettet werden und zur Erkenntnis<br />
der Wahrheit kommen“. 4<br />
Zu Zeiten der Staatsreligion wurden hierzulande<br />
die Menschen mehr oder weniger gezwungen,<br />
in Gottesdienste zu gehen. Nachdem der<br />
Zwang weggefallen ist, kam die Realität zum Vorschein.<br />
Historische Tatsache ist, dass Deutschland<br />
in den meisten Teilen von oben her christianisiert<br />
wurde: Die Herrscher entschieden, ob sie den<br />
christlichen Glauben annahmen; die Untertanen<br />
mussten folgen. Den meisten wurde das Evangelium<br />
nicht vor der Taufe gesagt. Sie wurden auch<br />
nicht gefragt, ob sie es annehmen wollten.<br />
„Nach einer eigenen Prognose der EKD ergibt<br />
sich, wenn man den Trend zurückliegender Jahre<br />
fortschreibt, für den Zeitraum bis 2030 folgende<br />
Konsequenz: Die Zahl der Mitglieder der evangelischen<br />
Kirche würde dann von 26 Millionen<br />
(2003) um ein Drittel auf etwa 17 Millionen<br />
(67 %) zurückgehen. […] Zugleich sinkt die Zahl<br />
der Mitglieder im erwerbsfähigen Alter auf etwa<br />
58 % des heutigen Standes – und zwar auch dann,<br />
wenn das Renteneintrittsalter auf 68 oder 70<br />
Jahre steigen sollte.“ 5<br />
„Die Diagnose: Bei sinkender Mitgliederzahl<br />
um etwa ein Drittel geht die finanzielle Leistungsfähigkeit<br />
nahezu um die Hälfte zurück.“ 6<br />
Die Zeiten von Volkskirche sind längst vorbei.<br />
Die christliche Gemeinde ist eine Minderheit<br />
in einer Mehrheitsgesellschaft, die sich für die<br />
Inhalte des christlichen Glaubens nicht interessiert<br />
und sie teilweise bewusst ablehnt.<br />
Nicht erst seit der Reformation gilt in der Kirche<br />
der Satz ecclesia semper reformanda – „Die Kirche<br />
muss immer erneuert werden“. Dies sollte eine<br />
selbstverständliche Lebensregel sein; aber wehe,<br />
wenn jemand es wagt, die Arbeit der Pfarrer zu<br />
kritisieren! Da die evangelischen Kirchen nach der<br />
Reformation das Priestertum aller Gläubigen zwar<br />
theologisch-theoretisch entdeckt, es aber nicht in<br />
die Praxis umgesetzt haben, sind sie Pastorenkirchen<br />
geblieben und leider nicht Gemeindekirchen<br />
geworden. Darum müssen sich die Pfarrer auch<br />
Kritik gefallen lassen, weil vor allem sie die Erneuerung<br />
der Kirchen verhindern.<br />
Das Problem liegt nicht zuerst bei den Formen<br />
und Methoden, sondern es ist der theologische<br />
Inhalt. Die Mitte des evangelischen Gottesdienstes<br />
ist die Predigt. Die Verkündigung des Wortes<br />
Gottes steht seit der Reformation wieder im Zentrum<br />
des Gottesdienstes. Wie es am Anfang war:<br />
„Sie blieben beständig in der Lehre der Apostel,<br />
im Brotbrechen und im Gebet.“ Die Krise der Kirchen<br />
ist eine Krise der Verkündigung, weil das<br />
Vertrauen in die Autorität der Bibel verschwunden<br />
ist. Darüber zu sprechen, scheint in den Kirchen<br />
heute ein Tabu zu sein.<br />
Das Tabu in den<br />
evangelischen Kirchen<br />
Prof. Klaus-Peter Jörns 7 hat untersucht, was die<br />
Pfarrerschaft glaubt oder nicht mehr glaubt. Er<br />
fand heraus, dass ein großer Teil von ihnen wichtige<br />
Teile der christlichen Lehre nicht mehr für<br />
wahr und wichtig hält. Er wundert sich, dass das<br />
für Kirchenleitungen und Synoden kein Grund<br />
zur Aufregung ist. Er zitiert eine Schlagzeile aus<br />
dem „Focus“ (24/1997) als Kommentar zu seinen<br />
Umfrageergebnissen: „Schock für die Kirchen:<br />
Nicht nur Laien, auch Pfarrer haben sich von vielen<br />
offiziellen Glaubensinhalten verabschiedet.“<br />
Sie sind<br />
Pastorenkirchen<br />
geblieben und<br />
leider nicht<br />
Gemeindekirchen<br />
geworden.<br />
Darum müssen<br />
sich Pfarrer Kritik<br />
gefallen lassen,<br />
weil vor allem sie<br />
Erneuerung<br />
verhindern<br />
Z für Zukunft<br />
25
Zeitkritisch<br />
Wenn ich die<br />
Aussagen der<br />
Bibel nicht als<br />
hilfreich ansehe,<br />
dann gilt sie<br />
nicht! – ?<br />
Ich bin der<br />
Maßstab?<br />
Bin ich<br />
Gott?<br />
Es wird so getan, als ob man sich über die<br />
Inhalte des Evangeliums und der Verkündigung<br />
einig wäre. Das ist aber überhaupt nicht der Fall.<br />
Die Pfarrer scheuen sich, über die Qualität, sprich<br />
Inhalt ihrer Predigt miteinander zu reden.<br />
Ich behaupte, es besteht keine Einigkeit in der<br />
Pfarrerschaft über die Grundaussagen des christlichen<br />
Glaubens: Wer ist Jesus Christus? Wurde<br />
er von der Jungfrau Maria geboren? Hat er den<br />
Anspruch erhoben, Messias, Sohn Gottes und<br />
Menschensohn-Weltrichter zu sein?<br />
Ist er vom Tod auferstanden? Ist der Auferstandene<br />
seinen Jüngern tatsächlich begegnet? Worin<br />
besteht das Heil? Was heißt Rettung? Haben<br />
Kreuzigung und Auferweckung Jesu versöhnende<br />
Wirkung? Ist die Bibel Gottes Wort, also<br />
das Dokument der Offenbarung Gottes und damit<br />
Maßstab für Glauben und Leben? Diese Fragen<br />
werden nicht gestellt. Wenn die Diagnose nicht<br />
die Ursachen der Krankheit aufdeckt, wird die<br />
Therapie bestenfalls Symptome überdecken.<br />
Dürfen Pfarrer alles und auch das Gegenteil<br />
von allem verkündigen – Hauptsache in rhetorischer<br />
Qualität und in ansprechendem liturgischem<br />
Rahmen? Man könnte die Vermutung<br />
haben, das käme durch den Einfluss des Postmodernismus.<br />
Der bestreitet, dass die Diskussion<br />
über die Wahrheitsfrage überhaupt Sinn ergibt:<br />
Jeder hat seine Wahrheit. Hauptsache, jeder ist<br />
authentisch. Ich hingegen meine, dass es einfach<br />
um Macht geht.<br />
Kirchenleiter reden zwar oft und gern davon,<br />
dass man im Gespräch bleiben sollte. Aber in den<br />
letzten Jahren haben wir beobachten müssen,<br />
dass Vorhaben wie die gottesdienstliche Segnung<br />
oder Trauung gleichgeschlechtlicher Paare ohne<br />
Rücksicht auf Verluste durchgesetzt werden. Kirchenleitungen<br />
haben mögliche Opponenten in<br />
den eigenen Gremien längst aussortiert.<br />
Bibelkritik –<br />
das Krebsgeschwür der Kirche<br />
Ja, es geht um die Frage: Ist die Bibel Gottes<br />
Wort? Die Christenheit war fest überzeugt, dass<br />
Gott sich dem Volk Israel und durch Jesus Christus<br />
der ganzen Welt offenbart hat und dass die<br />
Bibel die Urkunde dieser Offenbarung und darum<br />
Gottes Wort ist.<br />
In dem Grundlagentext des Rates der EKD<br />
„Rechtfertigung und Freiheit – 500 Jahre Reformation<br />
2017“ lesen wir: „Seit dem siebzehnten<br />
Jahrhundert werden die biblischen Texte historisch-kritisch<br />
erforscht. Deshalb können sie nicht<br />
mehr so wie zur Zeit der Reformatoren als ‚Wort<br />
Gottes‘ verstanden werden. Die Reformatoren<br />
waren ja grundsätzlich davon ausgegangen, dass<br />
die biblischen Texte wirklich von Gott selbst gegeben<br />
waren. Angesichts von unterschiedlichen Versionen<br />
eines Textabschnitts oder der Entdeckung<br />
verschiedener Textschichten lässt sich diese Vorstellung<br />
so nicht mehr halten. Damit aber ergibt<br />
sich die Frage, ob, wie und warum sola scriptura<br />
auch heute gelten kann.“ 8<br />
Lesen wir, was Landesbischof Ralf Meister<br />
schreibt, der die Evangelisch-lutherische Kirche<br />
Hannovers leitet. Er hat in einem Vortrag bei<br />
der Arbeitsgemeinschaft Missionarische Dienste<br />
(AMD) am 20. Mai 2014 über „Die Bibel als<br />
Grundlage von Glauben und Theologie“ erklärt: 9<br />
„Die Bibel ist nicht einfach Autorität, weil es<br />
konventionell so ist oder weil sie einfach Gottes<br />
Wort ‚enthält‘. Hier haben die modernen Säkularisierungsprozesse<br />
zu einer grundsätzlichen<br />
Infragestellung nicht nur der biblischen Autorität<br />
geführt. Autorität muss heute notwendigerweise<br />
eine sich legitimierende Autorität sein. In diesem<br />
Sinne kann die Bibel nur noch dann als Autorität<br />
anerkannt werden, wenn sie in der individuellen<br />
Lebensführung als hilfreich, sinn- und lebenserschließend<br />
erfahren wird.“<br />
Beliebiger und unverbindlicher geht es nicht<br />
mehr. Wenn ich die Aussagen der Bibel nicht als<br />
hilfreich ansehe, dann gilt sie nicht. Ich bin der<br />
Maßstab? Bin ich Gott?<br />
Bischof Meister weiter: „Dazu – so paradox es<br />
klingt – muss ich zuerst damit ernst machen, dass<br />
die Bibel ein ganz normales Stück Literatur ist.<br />
Dass das immer wieder gesagt werden muss, mag<br />
überraschen. Aber faktisch wird auf den Kanzeln<br />
häufig vergessen, was im exegetischen Prosemi-<br />
26<br />
Z für Zukunft
Zeitkritisch<br />
nar einmal gelernt wurde. Bei so mancher Predigt,<br />
die ich höre, bekomme ich den Eindruck,<br />
dass das, was jetzt gesagt wird, deshalb relevant<br />
ist, weil es in der Bibel steht. Und was in der Bibel<br />
steht, beanspruche zeitlose Relevanz.“<br />
Es gibt wohl doch noch den einen oder anderen<br />
Prediger, der sich an sein Ordinationsgelübde<br />
erinnert, was den Bischof überrascht.<br />
Da möchte ich doch an die grundlegende<br />
Bekenntnisschrift der lutherischen Kirchen, das<br />
Augsburgische Bekenntnis, erinnern. Auf dieses<br />
Bekenntnis werden alle Pfarrer ordiniert. Es<br />
wurde nicht widerrufen oder abgeschafft. Der Artikel<br />
28 hat die Überschrift „Von den Bischöfen“.<br />
Darin lesen wir: „Man soll auch den Bischöfen, so<br />
ordentlich gewählet, nicht folgen, wo sie irren oder<br />
etwas wider die heilige göttliche Schrift lehren und<br />
ordnen“. Wir haben heute allen Grund, an diesen<br />
Artikel zu erinnern. Warum wird eigentlich gegen<br />
einen Bischof, der wie Landesbischof Meister so<br />
offensichtlich die Autorität der Bibel infrage stellt,<br />
kein Lehrbeanstandungsverfahren eröffnet?<br />
Es ist nicht neu, dass die Autorität der Bibel als<br />
Wort Gottes bestritten wird. Neu ist der Versuch<br />
des Rates der EKD, diese Herabwürdigung der<br />
Bibel in ihrem Grundlagentext zum Reformationsjubiläum<br />
quasi kirchenamtlich zu verkünden.<br />
Weltanschauliche Vorurteile<br />
contra Bibel<br />
Seit der philosophischen Aufklärung 10 stellte die<br />
menschliche Vernunft die Offenbarung Gottes<br />
infrage. Die Bibel enthält viele Berichte über historische<br />
Ereignisse. Um sie zu verstehen, ist historische<br />
Erforschung also wichtig. Was ich kritisiere,<br />
ist eine historische Erforschung und Auslegung<br />
der Bibel, die durch weltanschauliche Vorurteile<br />
bestimmt ist.<br />
Damit wurde der Rahmen für eine Wirklichkeit<br />
abgesteckt, in dem das Reden und Handeln<br />
Gottes, seine Menschwerdung mit allen Folgewirkungen,<br />
die Wunder, das versöhnende Handeln<br />
Gottes durch den Kreuzestod Jesu und die Auferweckung<br />
Jesu natürlich keinen Raum mehr hatten.<br />
Hier geht es eben nicht um Geschehnisse, wie sie<br />
auch sonst immer passieren und die wir im Ursache-Wirkungs-Zusammenhang<br />
erklären können.<br />
Als historisch konnte höchstens gelten, dass Menschen<br />
solche religiösen Auffassungen vertreten<br />
haben. Was nicht in die Schublade von Analogie<br />
und Kausalität passte, durfte also nicht als historisch<br />
tatsächlich geschehen gelten.<br />
Der Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland<br />
hat aus Anlass des Reformationsgedenkens<br />
2017 in dem bereits zitierten „Grundlagentext“<br />
die Autorität der Bibel als Wort Gottes infrage<br />
gestellt. Hat die Bibel damit ihre Bedeutung als<br />
verbindlicher Maßstab für Glauben und Leben<br />
verloren? Ja, jedenfalls für diese Kirchenleiter.<br />
Die Autorität der Bibel ist damit zumindest der<br />
höchst subjektiven Erfahrung der Einzelnen ausgeliefert.<br />
Eine verbindliche Lehre von der Autorität<br />
der Bibel erscheint deshalb nicht möglich – „kein<br />
abstraktes Urteil, sondern eine Beschreibung von<br />
Erfahrungen mit diesen Texten“. Wenn es um konkrete<br />
Fragen und Entscheidungen geht, spielen<br />
die Worte der Bibel keine bestimmende, schon gar<br />
Ulrich Parzany:<br />
Mit Leidenschaft für<br />
das Evangelium<br />
Foto: © Sven Lorenz<br />
Was ich<br />
kritisiere, ist<br />
eine historische<br />
Erforschung und<br />
Auslegung der<br />
Bibel, die durch<br />
weltanschauliche<br />
Vorurteile<br />
bestimmt ist<br />
Z für Zukunft<br />
27
Zeitkritisch<br />
Foto: © Wikipedia<br />
Wenn also das<br />
reformatorische<br />
Prinzip „Allein<br />
die Bibel“ nicht<br />
mehr gilt, dann<br />
verliert auch das<br />
„Allein durch<br />
Jesus Christus“<br />
seinen Inhalt.<br />
Was bleibt<br />
dann noch?<br />
keine verbindliche Rolle. Das hat sich in letzter Zeit<br />
besonders klar gezeigt in der Debatte um die Segnung<br />
und Trauung gleichgeschlechtlicher Paare.<br />
Aber wie ist das nun, wenn jeder Bibelkritiker<br />
entscheidet, welche Worte von Jesus echt sind und<br />
welche ihm später in den Mund gelegt wurden,<br />
welche Berichte der Evangelien von tatsächlich<br />
Geschehenem handeln und welche aus dem Glauben<br />
der ersten Christen gebildete Legenden sind?<br />
Dieser selbst konstruierte Jesus wird dann gegen<br />
die konkreten Aussagen der Bibel ausgespielt. Zum<br />
Beispiel: Jesus sei für die Nächstenliebe und gegen<br />
jede Ausgrenzung gewesen. Deshalb sei auch die<br />
evangelische Kirche inklusiv unterwegs. Darum<br />
könne man sich über die kritischen Aussagen der<br />
Bibel gegen praktizierte Homosexualität hinwegsetzen.<br />
So argumentierte zum Beispiel die Kirchenleitung<br />
der Evangelischen Kirche von Baden, als<br />
sie von ihrer Landessynode die Trauung gleichgeschlechtlicher<br />
Paare beschließen ließ.<br />
Im Grunde wird „Jesus Christus“ so zur Leerformel,<br />
die jeder nach seinen Vorstellungen füllt<br />
und benutzt. Wenn also das reformatorische<br />
Prinzip „Allein die Bibel“ nicht mehr gilt, dann<br />
verliert auch das „Allein durch Jesus Christus“<br />
seinen Inhalt. Die beiden daraus folgenden reformatorischen<br />
Grundsätze „Allein durch die Gnade“<br />
und „Allein durch den Glauben“ lösen sich dann<br />
in Philosophie und Psychologie auf.<br />
Die Bibel legt sich selber aus<br />
Ein wichtiger Grundsatz der Reformation hieß:<br />
Die Bibel legt sich selber aus. Alle Bibeltexte<br />
müssen im Zusammenhang gelesen werden. Drei<br />
Beispiele:<br />
Erstens: Es ist wichtig, das Verhältnis von Altem<br />
und Neuem Testament zu beachten. Das Alte Testament<br />
läuft auf Jesus zu und muss von Jesus her<br />
verstanden werden. Gebote, die Gott nach dem<br />
Gericht der Sintflut im Bund mit Noah als Ordnungen<br />
gegen die Eskalation des Bösen einsetzte, werden<br />
von Jesus auf den ursprünglichen Willen Gottes<br />
zurückgeführt. Er hat in der Bergpredigt gesagt:<br />
„Ihr habt gehört, dass zu den Alten gesagt ist …<br />
Ich aber sage euch …“ An die Stelle des Gesetzes<br />
der Vergeltung tritt das Gebot der Feindesliebe. 11<br />
Auch verstärkt Jesus die Unverbrüchlichkeit der<br />
Ehe. Er bestätigt, dass die Zuordnung von Mann<br />
und Frau zur Gott-Ebenbildlichkeit des Menschen<br />
gehört. 12 Deshalb geht es bei der Ehe nicht nur um<br />
eine Lebensform neben anderen, wie evangelische<br />
Kirchen neuerdings lehren. Das christliche Menschenbild<br />
orientiert sich an der Bibel.<br />
Zweitens: Im Alten Testament gab es Kriege nach<br />
Gottes Willen. Nach dem Neuen Testament aber<br />
kann niemand sich auf Jesus berufen, wenn er<br />
Krieg führt. Jesus verwehrt seinen Jüngern das<br />
Schwert, um ihn zu verteidigen. 13 Nach dem, was<br />
Jesus gesagt hat, darf jedenfalls niemand mehr<br />
einen Krieg im Namen Gottes führen. Wir dürfen<br />
in dieser Sache nicht das Alte Testament zitieren,<br />
als wäre Jesus nicht gekommen.<br />
Drittens: Die Welt von heute ist nicht die Schöpfung,<br />
von der es heißt: „Und Gott sah an alles, was<br />
er gemacht hatte, und siehe, es war sehr gut.“ 14<br />
Die Rebellion des Menschen gegen Gott, der<br />
sogenannte Sündenfall 15 , beeinträchtigte sie. Der<br />
Mensch will sein wie Gott. Er zerstört durch seine<br />
Vermessenheit die gute Schöpfung Gottes. Dieser<br />
28<br />
Z für Zukunft
Zeitkritisch<br />
Bruch geht bis in die Natur. Gottes gute Gaben –<br />
zum Beispiel Intelligenz und Sexualität – können<br />
verkehrt und missbraucht werden. Wer beispielsweise<br />
Homosexualität als Schöpfungsvariante<br />
bezeichnet, ignoriert diese biblischen Grundaussagen<br />
und erklärt sie für ungültig.<br />
Auslegungen der Bibel im Einzelnen können<br />
strittig bleiben. Unser Wissen ist Stückwerk.<br />
Aber die Grundfrage nach der Autorität der Heiligen<br />
Schrift muss geklärt sein: Die Bibel ist Gottes<br />
Wort, sie ist die Urkunde der Offenbarung Gottes.<br />
Eine Kirche, die das nicht mehr bekennt, erledigt<br />
sich selber. – Nach meiner Überzeugung ist das<br />
die Hauptursache für die Demontage der Kirche.<br />
Ein nicht so involvierter Mensch kommt dann<br />
leicht zu dem Schluss: Wenn die historische Forschung<br />
herausfindet, dass Personen und Ereignisse,<br />
über die die Bibel berichtet, gar nicht<br />
gelebt oder stattgefunden haben, wird dem<br />
christlichen Glauben der Boden unter den Füßen<br />
weggezogen. Wenn Jesus nicht vom Tod auferstanden<br />
ist, wenn die Worte und Taten Jesu von<br />
seinen Anhängern erfunden wurden, wenn sein<br />
Kreuzestod kein stellvertretender Sühnetod war,<br />
dann ist der christliche Glaube ein Irrtum.<br />
So scharf hat Paulus die möglichen Konsequenzen<br />
gesehen und beschrieben: „Wenn aber<br />
Christus gepredigt wird, dass er von den Toten<br />
auferweckt ist, wie sagen dann einige unter euch:<br />
Es gibt keine Auferstehung der Toten? Gibt es<br />
keine Auferstehung der Toten, so ist auch Christus<br />
nicht auferweckt worden. Ist aber Christus<br />
nicht auferweckt worden, so ist unsre Predigt<br />
vergeblich, so ist auch euer Glaube vergeblich.<br />
Wir würden dann auch als falsche Zeugen Gottes<br />
befunden, weil wir gegen Gott bezeugt hätten,<br />
er habe Christus auferweckt, den er nicht auferweckt<br />
hätte. Ist Christus aber nicht auferstanden,<br />
so ist euer Glaube nichtig, so seid ihr noch<br />
in euren Sünden; dann sind auch die, die in Christus<br />
entschlafen sind, verloren. Hoffen wir allein in<br />
diesem Leben auf Christus, so sind wir die elendesten<br />
unter allen Menschen.“ 16<br />
Von der tatsächlich geschehenen Auferweckung<br />
hängt alles ab: „Nun aber ist Christus auferweckt<br />
von den Toten als Erstling unter denen, die entschlafen<br />
sind.“ 17 Diese Logik gilt in den evangelischen<br />
Kirchen aber schon lange nicht mehr.<br />
Das Evangelium von Jesus Christus<br />
im interreligiösen Dialog<br />
Im Grundlagentext der EKD zum Reformationsjubiläum<br />
„Rechtfertigung und Freiheit“ heißt es<br />
zum interreligiösen Dialog: „Die Herausforderung<br />
besteht darin, von Christus zu sprechen,<br />
aber so, dass dabei nicht der Glaube des anderen<br />
abgewertet oder für unwahr erklärt wird. So wie<br />
für den Christen das Gehören zu Christus der einzige<br />
Trost im Leben und im Sterben ist, so ja auch<br />
für den Anhänger der anderen Religion sein spezifischer<br />
Glaube. Dies darf auf beiden Seiten des<br />
Gespräches anerkannt werden.“ 18<br />
Im Koran, Sure 4,157 f, lesen wir:<br />
„Und [weil sie] sagten: ‚Wir haben Christus<br />
Jesus, den Sohn der Maria und Gesandten Gottes<br />
getötet‘. – Aber sie haben ihn [in Wirklichkeit]<br />
nicht getötet und auch nicht gekreuzigt.<br />
Vielmehr erschien ihnen [ein anderer] ähnlich<br />
[sodass sie ihn mit Jesus verwechselten und töteten].<br />
Und diejenigen, die über ihn uneins sind,<br />
sind im Zweifel über ihn. Sie haben kein Wissen<br />
über ihn, gehen vielmehr Vermutungen nach. Und<br />
sie haben ihn nicht mit Gewissheit getötet. Nein,<br />
Gott hat ihn zu sich [in den Himmel] erhoben.<br />
Gott ist mächtig und weise.“ 19<br />
Der Koran leugnet, dass Jesus gekreuzigt<br />
wurde. Die Begründung ist theologisch: Gott ist<br />
allmächtig und weise. Die Allmacht und Weisheit<br />
Gottes wäre widerlegt, wenn er die Tötung seines<br />
Propheten zulassen würde. Demgegenüber<br />
ist das Sterben Jesu am Kreuz nach der Bibel die<br />
Offenbarung und der Beweis der Liebe Gottes:<br />
„So sehr hat Gott die Welt geliebt.“ 20 Kann beides<br />
wahr sein? Kann man beides nebeneinander<br />
stehenlassen?<br />
Die Evangelische Kirche in Deutschland lässt<br />
aus Anlass des Reformationsjubiläums verlauten,<br />
dass sie das Alleinstellungsmerkmal des<br />
christlichen Glaubens nicht mehr vertreten will.<br />
Die Apostel haben vor Gericht in Jerusalem über<br />
Z für Zukunft<br />
29
Zeitkritisch<br />
Jesus gesagt: „Und in keinem andern ist das Heil,<br />
auch ist kein andrer Name unter dem Himmel den<br />
Menschen gegeben, durch den wir sollen gerettet<br />
werden.“ 21<br />
die scharfen Worte von Paulus in Galater 1,7:<br />
„Kein anderes Evangelium!“, und sogar das „Anathema!“<br />
– Gottes Gericht über jeden, der ein<br />
anderes Evangelium verkündigt.<br />
Bild: © Buchcover, Orac-Verlag<br />
Nicht der<br />
Mensch sucht<br />
Gott, sondern<br />
Gott sucht den<br />
Menschen.<br />
Gott fragt:<br />
Adam, wo<br />
bist du?<br />
In den Diskussionen über den interreligiösen<br />
Dialog kommt mehr und mehr zum Vorschein,<br />
dass es kirchenleitenden Personen vor allem<br />
darum zu gehen scheint, das Christentum als<br />
Zivilreligion zu platzieren. Platt gesagt: religiöser<br />
Kitt für die zerfallende Gesellschaft. Nur nicht<br />
polarisieren und spalten! – Was ist eine Zivilreligion?<br />
„So nennt man die Schwundstufe eines Christentums,<br />
das nicht mehr in seinem Wahrheitsanspruch,<br />
sondern nur noch wegen seiner ethisch<br />
und politisch stabilisierenden Funktion ernst<br />
genommen wird. […] Man könnte die ‚Grundwerte‘<br />
als das Dogma der Zivilreligion bezeichnen.<br />
[…] Es geht in der Zivilreligion also um das<br />
Glaubensminimum, das wir zur Geltung bringen<br />
müssen, damit die moderne Gesellschaft funktioniert.<br />
[…] Als Zivilreligion hat der Protestantismus<br />
die großen Themen wie Kreuz, Erlösung<br />
und Gnade aufgegeben und durch einen diffusen<br />
Humanismus ersetzt.“ 22<br />
Angeblich sucht der Mensch nicht mehr nach<br />
dem gnädigen Gott, sondern nach dem gnädigen<br />
Nächsten. Aber genau da liegt das Problem: Wenn<br />
der Mensch sich selbst zu Gott macht, wird der<br />
Mensch für den Menschen zum Wolf. Darum flehen<br />
wir jetzt um den gnädigen Nächsten. Allerdings<br />
vergeblich, wie die Geschichte beweist.<br />
Auch das ist nicht neu: Nicht der Mensch sucht<br />
Gott, sondern Gott sucht den Menschen. Gott<br />
fragt: Adam, wo bist du?<br />
Rezension aus: Ulrich Parzany, „Was nun, Kirche?“;<br />
ISBN: 978-3-7751-5792-6<br />
http://shop.agentur-pji.com/was-nun-kirche.html<br />
1 https://de.wikipedia.org/wiki/Mitgliederentwicklung_in_den_<br />
Religionsgemeinschaften. (Zugriff am 28.12.2017).<br />
2 https://www.ekd.de/download/zahlen_und_fakten_2016.pdf<br />
(Zugriff 28.12.2017).<br />
3 Johannes Zimmermann, „Gemeinde unter Gottes Verheißung“;<br />
in: Lebendige Gemeinde, Das Magazin der ChristusBewegung<br />
4, 2016, S. 4. Er bezieht sich auf Detlef Pollack, „Was wird aus<br />
der Kirche?“ DtPfBl 116,446; Quelle: Allensbacher Institut für<br />
Demoskopie.<br />
4 1. Timotheus 2,3.<br />
5 Kirche der Freiheit, Impulspapier des Rates der EKD 2006, S. 21 f.<br />
6 a. a. O. S. 22.<br />
7 Ehemals Professor für Praktische Theologie an der Berliner Humboldt-Universität,<br />
hat in seinem Buch Die neuen Gesichter Gottes<br />
– Was die Menschen heute wirklich glauben seine Untersuchungen<br />
veröffentlicht.<br />
8 Rechtfertigung und Freiheit, Grundlagentext der EKD, S. 83 f.<br />
9 Der Vortrag war lange Zeit in voller Länge auf www.a-m-d.de<br />
und wurde inzwischen von der Seite genommen. Teile finden<br />
sich noch unter: www.idea-pressedienst.de/pdf/ausgabe/009/<br />
jahr/2015/code/hpJ4P7B2/user/ (Zugriff am 29.03.2016).<br />
10 Eine ausgezeichnete Darstellung der Entwicklung der Bibelkritik<br />
bietet Ron Kubsch in Sollte Gott gesagt haben? – Was<br />
steckt hinter der Bibelkritik? https://www.evangelium21.net/<br />
downloads/pdf/R.Kubsch_Sollte_Gott_gesagt_haben_(Edition-<br />
E21).pdf (Zugriff am 28.12.2017).<br />
11 vgl. Matthäus 5,38–48.<br />
12 vgl. Matthäus 5,27–32; 19,4–6; 1. Mose 1,27.<br />
13 vgl. Matthäus 26,52–53.<br />
14 1. Mose 1,33.<br />
15 1. Mose 3.<br />
16 1. Korinther 15,12–19.<br />
17 1. Korinther 15,20.<br />
18 Rechtfertigung und Freiheit, S 58.<br />
19 Der Koran, Übersetzung von Rudi Paret, Stuttgart 1966, S. 83 f.<br />
20 Johannes 3,16.<br />
21 Apostelgeschichte 4,12.<br />
22 Norbert Bolz, „Zurück zu Luther, Die Evangelische Kirche in der<br />
Modernitätsfalle“; in: CA, Das lutherische Magazin für Religion,<br />
Gesellschaft und Kutur II, 2016, S. 21 f.<br />
Buch bestellen<br />
Es gilt: Christus allein! Und weil allein Gott<br />
in Christus die Erlösung schafft, können wir sie<br />
nur geschenkt bekommen. Ganz geschenkt! Wir<br />
können sie auch nicht kaufen. Wir bekommen sie<br />
geschenkt oder wir bekommen sie nicht. Darum<br />
auch: „Gnade allein!“ Gott hat in Christus die<br />
Welt versöhnt – zu 100 Prozent, daher dürfen wir<br />
uns auch 100 Prozent schenken lassen.<br />
Wie Paulus will auch ich, dass Menschen durch<br />
Jesus gerechtfertigt und gerettet werden. Darum<br />
30<br />
Z für Zukunft
Public Relation<br />
Krankenversicherung<br />
ab 0,85 pro Tag<br />
Brückenbauer zwischen den Kulturen:<br />
Internationale Krankenversicherung<br />
Die Care Concept AG (CCAG) versichert Deutsche<br />
im Ausland, Ausländer in Deutschland und Reisende<br />
weltweit für kurz-, mittel und langfristige Aufenthaltsdauern.<br />
Die Produkte erfüllen die Voraussetzungen<br />
der nationalen Gesetzgeber, so sind sie beispielsweise<br />
Schengenkonform. Die Prämien betragen<br />
0,85 € pro Tag z. B. für den Care Visa Protect oder<br />
ab 28 EUR mtl. für die Krankenversicherung von<br />
Sprachschüler und Studenten Care College.<br />
Schwerpunkt der Unternehmenstätigkeit ist<br />
die Internationale Krankenversicherung.<br />
Die Produkte können ergänzt werden durch<br />
Unfall-, Haftpflicht-, Krankentagegeld- oder<br />
Reiserücktritts-Versicherungen.<br />
Die CCAG zeichnet sich aus durch:<br />
- faire, kompetent kalkulierte und langfristig stabile<br />
Preise<br />
- Mehrsprachigkeit : Die Homepage ist in 7 Sprachen<br />
übersetzt. Die Mitarbeiter sprechen 19<br />
Sprachen.<br />
- schlanke Online–Verfahren mit kürzesten Bearbeitungs-<br />
und Reaktionszeiten<br />
Die christliche Prägung der CCAG:<br />
- Beratung der Kunden u. Kooperationspartner unter<br />
Nennung der Vor- und Nachteile der Produkte<br />
- Tatsache, dass sich die CCAG der Entwicklung von<br />
CSR-Projekten verpflichtet fühlt (Corporate Social<br />
Responsibility), wie zum Beispiel der Mikrokrankenversicherungen<br />
für die Ärmsten der Armen<br />
- Kooperation der CCAG mit Entraide Missionaire<br />
(EMS), einem an den Vatikan angegliederten<br />
Versorgungswerk. Im Rahmen dieser Kooperation<br />
können konfessionsübergreifend Christen<br />
im Ausland eine sehr kostengünstige und unbefristete<br />
Krankenversorgung erhalten.<br />
Selbstverständlich stehen die Produkte der<br />
CCAG Angehörigen aller kulturellen und religiösen<br />
Gruppen zur Verfügung.<br />
Weitere Informationen<br />
- zur christlichen Prägung des Unternehmens finden<br />
Sie unter www.care-concept.de/ichthys.<br />
- zu allgemeinen Fragen oder Vertragsabschlüssen<br />
über das Internet unter www.care-concept.de<br />
- persönliche Beratung: Frank Brandenberg (Leiter<br />
Vertrieb), f.brandenberg@care-concept.de<br />
Z für Zukunft<br />
31
Zeitkritisch<br />
Reformation neu denken<br />
Foto: © Agentur PJI UG, Montage<br />
Zum 500-jährigen Reformationsjubiläum gab es in Berlin und Wittenberg einen<br />
besonderen Kirchentag. Was will die EKD dem Rest der Welt damit sagen?<br />
Peter Ischka<br />
Geht Gewalt<br />
primär von<br />
Männern aus?<br />
Ist der politische<br />
Feminismus<br />
jemals friedlich<br />
gewesen?<br />
Die EKD ist bekannt für „neu denken“.<br />
So ist sie dabei, Kirche neu<br />
zu denken, und „erfreut“ sich weiter<br />
steigender Austrittszahlen. Mit<br />
dem Kirchentag von 24.–28. Mai<br />
2017 hat sie offensichtlich versucht, „Reformation“<br />
neu zu denken. So angestrengt hat man<br />
nachgedacht, dass sogar ein Rauchwölkchen aufstieg,<br />
ja ein regelrechtes Rauchzeichen mit einer<br />
ganz speziellen Botschaft.<br />
Ein Interview von Karsten Huhn in der idea Nr.<br />
20/2017 mit der Kirchentagspräsidentin Christina<br />
Aus der Au zeigt, in welche Richtung der EKD-<br />
Wind bläst. Wir kommentieren einige Zitate.<br />
FRAGE: Kirchentage sind leicht mit Parteiveranstaltungen<br />
der Grünen zu verwechseln.<br />
ANTWORT: Das nehme ich als Kompliment, wir nehmen<br />
die Verantwortung für die Schöpfung ernst.<br />
KOMMENTAR: (Die Frage betraf wohl eher die linksliberale,<br />
neomarxistische Richtung; das wurde<br />
aber geflissentlich überhört – und von wegen<br />
„Schöpfung ernst nehmen“: Der Kirchentag ist<br />
sowas von durchgegendert! Wo bleibt da das<br />
Schöpfungskonzept des Menschen als Mann und<br />
Frau?)<br />
Barack Hussein Obama diskutiert mit Angela<br />
Merkel am Kirchentag?<br />
Mit Barack Obama konnten wir einen Menschen<br />
gewinnen, der aus protestantischer Verantwortung<br />
heraus eine bedeutende Position<br />
innehatte.<br />
(In seiner Amtszeit hat Obama mehr den Einfluss<br />
von Muslimen gestärkt als den der Christen;<br />
eine Reihe christlicher Werte hat er an den Rand<br />
gedrängt.)<br />
Brauchen Marsmenschen Erlösung? Womit sich<br />
eine Veranstaltung auf dem Kirchentag befasst.<br />
Ich bin begeisterte Science-Fiction-Leserin<br />
und mit einem Theologen befreundet, der sich<br />
mit Leben fern der Erde beschäftigt. Wenn Gott<br />
die Welt erschaffen hat und in Christus Mensch<br />
32<br />
Z für Zukunft
Zeitkritisch<br />
geworden ist: Was bedeutet das für das Leben<br />
außerhalb der Erde, etwa für Marsmenschen?<br />
Gibt es Spezies, die keine Erlösung brauchen,<br />
weil sie nicht unter dem Sündenfall stehen?<br />
(Als ob wir keine Menschen mehr hätten, die<br />
Erlösung brauchen – und wenn das so wäre, wie<br />
Frau Aus der Au meint, dann wäre Christus sicher<br />
als Marsmännchen auf den Mars gekommen …<br />
Eine viel sinnvollere Frage wäre: „Brauchen EKDler,<br />
die wesentliche Teile des Wortes Gottes relativieren,<br />
auch Erlösung?“)<br />
„Feminist*innen aller Religionen vereinigt<br />
euch!“ Strategien gegen Fundamentalismus?<br />
Religionen sind nicht zu Unrecht unter<br />
Beschuss – als eine Kraft, die für Gewalt verantwortlich<br />
sein kann. Dieses Gewaltpotenzial wird<br />
im Moment besonders dem Islam zugeschoben.<br />
Das hat auch mit unserer Geschichte und Gegenwart<br />
etwas zu tun. Leider geht Gewalt nun mal<br />
häufig von Männern aus. Es ist ein Hoffnungszeichen,<br />
wenn Frauen nach dem Friedenspotenzial<br />
ihrer Religion suchen und den interreligiösen Dialog<br />
stärken.<br />
(Als wäre der politische Feminismus in seinem<br />
Grundmuster jemals friedlich gewesen …<br />
als könnte der Fundamentalismus im Feminismus<br />
uns da helfen! Ein Tipp für jeden, der nach<br />
wirklichem Friedenspotenzial sucht: Komm zu<br />
Jesus höchstpersönlich – „Meinen Frieden gebe<br />
ich euch; der ist nicht zu vergleichen mit dem,<br />
was die Welt euch zu bieten hat. Die Weltsysteme<br />
erzeugen Angst. Aber seid guten Mutes, ich habe<br />
die Welt und ihre ‚Ismen‘ überwunden“. 1 )<br />
Es gibt auch Kabarett: „Dschihad in Wittenberg.<br />
Martin Luther – sein Kampf“<br />
Satire darf viel. Das wird einiges bissig und<br />
witzig zur Sprache bringen, so dass einem das<br />
Lachen im Halse steckenbleibt.<br />
(Da mag sie wohl recht haben … Hoffentlich<br />
erstickt keiner daran!)<br />
Im Zentrum für Kinder werden „Märchen<br />
der Völker“ und „Die Abenteuer des Butattino“<br />
geboten.<br />
Zu unserem eigenen Nutzen ist es sinnvoll,<br />
sich auch mit Texten anderer Traditionen zu<br />
beschäftigen. Und die Märchenforschung zeigt,<br />
dass auch Märchen Botschaften vermitteln, die<br />
helfen können.<br />
(Aber welche Botschaft – und Hilfe wofür? Kinder<br />
kennen die Botschaften der Bibel nicht mehr,<br />
weil ihnen alles andere vermittelt wird, nur nicht<br />
das Wort Gottes. Damit „erzieht“ die EKD ihre<br />
zukünftigen Kirchenaustreter – also gut, dann<br />
lieber gleich Mitglied in einem ordentlichen Märchen-Erzähl-Club<br />
werden!)<br />
„Gottesdienst für Lesben und andere Frauen“<br />
im „Zentrum Regenbogen“: Was ist das?<br />
Das ist in erster Linie ein farbiger, fröhlicher<br />
Gottesdienst. Frauen haben sich jahrhundertelang<br />
als „Brüder“ mit eingeschlossen fühlen müssen.<br />
Gott wird auch nicht nur als Herr, sondern<br />
auch als Weisheit und Geistes-Kraft angesprochen.<br />
Von dieser Art Gottesdienst kann ich mich<br />
befruchten und inspirieren lassen.<br />
(… das muss dann wohl eine künstliche Befruchtung<br />
sein, denn Männer fehlen da ja. [Scherz.] Aber<br />
mal ernsthaft: Ob da die Weisheit und die Kraft des<br />
Heiligen Geistes gegenwärtig sein kann? Ich habe<br />
noch nie eine ernsthaft gläubige Frau getroffen, die<br />
Probleme gehabt hätte mit Stellen in der Bibel, die<br />
„Brüder“ ansprechen. Aber ich habe etliche Frauen<br />
getroffen, die gar nicht glauben – und das als Ausrede<br />
nutzten. Was viele nicht wissen: Wir alle, so wir<br />
glauben, sind dazu berufen, Söhne Gottes zu werden,<br />
männliche und weibliche. Das ist der Trick, um<br />
nicht aus der göttlichen Erbberechtigung herauszufallen.<br />
2<br />
Brauchen<br />
Marsmenschen<br />
Erlösung?<br />
Z für Zukunft<br />
33
Zeitkritisch<br />
Foto: © Wikipedia, Sandro Halank<br />
„Juden<br />
müssen nicht<br />
erst über den<br />
christlichen<br />
Weg zu<br />
Gott finden,<br />
sie sind bereits<br />
Gottes Volk“<br />
Bibelarbeiten<br />
von Muslimen?<br />
„Ich entdecke dabei<br />
etwas über meine<br />
blinden Flecke“<br />
Foto: © flickr, Die Linke<br />
Dann wird es „Impulse für die Gender-Debatte“<br />
geben. Luther schuf eine verständliche Sprache.<br />
Genderianer sind sich untereinander nicht<br />
einig, ob sie Feminist*innen mit Sternchen,<br />
großem Binnen-I, unterstrichen oder mit<br />
X schreiben wollen.<br />
Die wirkliche Diskussion beginnt aber einen<br />
Schritt früher: Können wir weiterhin Frau und<br />
Mann schreiben? Es gibt gute Argumente von<br />
Menschen, die sich nicht diesen zwei Kategorien<br />
zuordnen lassen wollen und darunter leiden. Wer<br />
bin ich, dass ich mit meiner Sprache festlege, wo<br />
sie sich einzuordnen haben? Das ist nicht feinfühlig<br />
und achtsam.<br />
(Die Achtsamkeit wird sehr aufwändig werden,<br />
wenn wir nur an die über 60 Geschlechter<br />
denken, die Facebook seinen Usern anbietet. Die<br />
wirkliche Diskussion beginnt einige Schritte früher:<br />
beim Sündenfall, der die Ursache für jedes<br />
Chaos ist, auch für die Genderideologie. „Bekennt<br />
nun einander die Sünden und betet füreinander,<br />
damit ihr geheilt werdet!“ 3 Feinfühlig und achtsam<br />
wäre, wenn wir jedem helfen, aus Gnade,<br />
sola gratia, Vergebung seiner Sünden zu erfahren<br />
– das wäre reformatorisch.)<br />
Warum bleiben messianische Juden ausgeladen<br />
– Sie pflegen doch mit allen den Dialog?<br />
Wir wollen Menschen jüdischen Glaubens<br />
in ihrer Eigenheit stehenlassen. Theologisch<br />
gesprochen: Der alte Bund Gottes mit seinem<br />
Volk ist mit dem neuen Bund nicht aufgehoben.<br />
Juden müssen nicht erst über den christlichen<br />
Weg zu Gott finden, sondern sind bereits Gottes<br />
Volk – und bleiben es auch. Es ist also nicht nötig,<br />
Juden zu missionieren.<br />
(Da sollte man zum einen das Verständnis der<br />
Bedeutung der Worte alt und neu vertiefen und<br />
sich mal näher ansehen, was der Jude Paulus dazu<br />
zu sagen hat: „Denn ich schäme mich des Evangeliums<br />
nicht, ist es doch Gottes Kraft zum Heil<br />
jedem Glaubenden, sowohl dem Juden zuerst als<br />
auch dem Griechen.“ 4 Oder die Meldung an die<br />
Hebräer: „Denn wenn jener erste Bund tadellos<br />
wäre, so wäre kein neuer nötig geworden: ‚Siehe,<br />
es kommen Tage, spricht der Herr, da werde ich<br />
mit dem Haus Israel und mit dem Haus Juda<br />
einen neuen Bund schließen, nicht nach der Art<br />
des alten Bundes mit ihren Vätern‘ …“. 5 Wenn die<br />
EKD-Leute es doch einfach Luther nachmachen<br />
würden – nur mal in der Bibel lesen –, da steht<br />
schließlich alles drin: Auch Juden brauchen Jesus<br />
und müssen „missioniert“ werden!)<br />
Warum haben messianische Juden keinen<br />
Zugang zum Kirchentag?<br />
Das berührt den Kern des Selbstverständnisses<br />
des Kirchentags, das aus dem Zweiten<br />
Weltkrieg stammt. Judenmission hat etwas von<br />
Ignoranz und Überheblichkeit, die mit dem Kirchentag<br />
unvereinbar ist.<br />
34<br />
Z für Zukunft
Zeitkritisch<br />
(Eine besondere „Geistesgabe“ haben wichtige<br />
EKD-Führungskräfte: Sie können sich hervorragend<br />
herausreden, haben immer eine tiefsinnige<br />
und kluge, rhetorisch perfekte, geschliffene<br />
Antwort, zu der der Unwissende nur begeistert<br />
nicken kann, weil ihm die Worte fehlen.)<br />
Sind Menschen ohne Christus verloren?<br />
Ich halte es mit dem reformierten Theologen<br />
Karl Barth: Christus ist Mensch geworden, um<br />
die Menschheit in seiner Person selig zu machen.<br />
Wenn wir Gnade ernst nehmen, darf die Rettung<br />
nicht am Glauben des Einzelnen hängen, sondern<br />
ist Gnade für die ganze Welt.<br />
(Aha! Daher braucht es auch keine Mission<br />
und es macht nichts, wenn so viele aus der Kirche<br />
austreten [höchstens der Kirchensteuer-Rückgang<br />
könnte noch Anreiz für Mitgliederwerbung<br />
sein]. Und so nebenbei: Wenn Gnade so billig<br />
wäre, dann könnte man bei der nächsten Bibelrevision<br />
viele Stellen streichen – das würde eine<br />
Menge Papier sparen. Jedenfalls „evangelisch“ ist<br />
diese Ansicht nicht mehr.) [Siehe den folgenden<br />
Artikel „Billige Gnade“.]<br />
Bibelarbeiten von Atheisten und Muslimen<br />
gehalten?<br />
Ich bin überzeugt, dass man aus mehreren Perspektiven<br />
heraus die Bibel besser verstehen kann<br />
als nur aus der eigenen. Ich lerne dabei etwas über<br />
meinen eigenen Glauben und entdecke dabei etwas<br />
über meine blinden Flecke. Auch für die Zuhörer<br />
wird der Dialog mit Juden, Muslimen, Agnostikern<br />
und Atheisten eine Bereicherung sein.<br />
(Bisher hatte ich immer gedacht, der Heilige<br />
Geist wäre dafür zuständig, dass ich die Bibel<br />
besser verstehen kann … „Wenn aber jener, der<br />
Geist der Wahrheit, gekommen ist [das ist seit<br />
Pfingsten erledigt], wird er euch in die ganze<br />
Wahrheit einführen.“ Möglicherweise ist die EKD<br />
inzwischen so „verweltlicht“, dass sie mit dem<br />
Geist der Wahrheit nichts mehr anfangen kann,<br />
„denn die Welt kann ihn nicht empfangen, weil sie<br />
ihn nicht sieht noch ihn kennt“ 6 . Deshalb muss<br />
die EKD nun Muslime und Atheisten fragen, wie<br />
man die Bibel verstehen solle.)<br />
Z für Zukunft<br />
35
Zeitkritisch<br />
„Die Gottlosigkeit<br />
der<br />
Menschen, die<br />
die Wahrheit auf<br />
den Kopf stellen,<br />
lassen Gott<br />
nicht kalt“<br />
Innovation Homo-Trauung: Erstmals werden<br />
auf dem Kirchentag gleichgeschlechtliche<br />
Paare getraut. Für Katholiken und Orthodoxe<br />
wäre das Irrlehre.<br />
Die gastgebende Landeskirche bekennt sich<br />
dazu, dass die verantwortungsbewusste, nachhaltige<br />
Liebe zwischen zwei Menschen von Gott<br />
gesegnet ist – unabhängig davon, ob diese zwei<br />
dasselbe oder verschiedene Geschlechter haben.<br />
Das ist auch meine Position.<br />
Bibelstellen, die sich kritisch zur Homosexualität<br />
äußern, hatten vor allem eine machtpolitische<br />
Aussage und richteten sich zudem nur gegen die<br />
Knabenliebe. Zwei Menschen, die sich lieben und<br />
vor Gott einen Bund beschließen wollen, kann ich<br />
mich nicht entgegenstellen. Ich kann in dieser<br />
Liebesbeziehung keine Sünde sehen.<br />
(Die EKD hat damit der „Ehe für alle“ den<br />
roten Teppich ausgerollt; das wurde jahrelang<br />
vorbereitet. Am Freitag, den 30. Juni 2017, wurde<br />
diese dann auch politisch mehrheitsfähig; nach<br />
der Abstimmung im Parlament hat der Bundesrat<br />
dieses Gesetz durchgewunken.<br />
Für den Unionsfraktionsvorsitzenden Volker<br />
Kauder, der die unterschiedlichen Standpunkte<br />
respektiert, ist die Ehe eine Verbindung von<br />
Mann und Frau.<br />
Der SPD-Fraktionsvorsitzende Thomas Oppermann<br />
argumentierte, die Ehe würde dadurch nicht<br />
geschmälert, sondern gestärkt: „Vielen wird etwas<br />
gegeben, niemandem aber etwas genommen.“ 7 )<br />
Wirklich nichts genommen?<br />
Wenn ein einzelner Mensch tut, was Gott missfällt,<br />
dann entzieht er sich dem Segen Gottes –<br />
das ist sein privates Problem. Wenn aber eine Kirche<br />
sich dem Segen Gottes entzieht oder gar ein<br />
ganzes Land, dann ist das fatal: Die Abwesenheit<br />
von Segen schafft Raum für Fluch.<br />
Oppermanns Spruch wurde vielfach aufgegriffen<br />
und wie ein Mantra wiederholt: „Vielen wird<br />
etwas gegeben, niemandem aber etwas genommen.“<br />
Das klang fast schon weise, ist aber trotzdem<br />
nicht wahr. Man hat dem Land Segen genommen!<br />
Das ist, wie wenn einem im Regen plötzlich<br />
der Schirm entrissen wird. Wen wundert es, wenn<br />
man nun nass wird? Vor allem sollte man dann<br />
nicht einfältig fragen: „Warum lässt Gott das zu?“<br />
Wenn der Schutz weg ist, sind wir dem Übel<br />
dieser Zeit viel, viel stärker ausgesetzt.<br />
„Ein solches Maß an Gewalt und eine derartige<br />
Intensität der Brutalität kannten wir bisher noch<br />
nicht. Das ist neu und gefährlich“, sagte Herbert<br />
Reul (Nordrhein-Westfalens neuer Innenminister,<br />
CDU) Anfang Juli 2017 den „Ruhr Nachrichten“<br />
zu den Ausschreitungen linker Gewalt beim G20-<br />
Gipfel in Hamburg.<br />
Die Bibel neu gedacht? –<br />
Nulla scriptura?<br />
Wir versuchen immer noch, das Ansinnen der<br />
EKD zu verstehen, und fragen uns, warum sie<br />
zum 500-jährigen Reformationsjubiläum diese<br />
Botschaften sendet: „Weg von der Schrift“ – nulla<br />
scriptura. Die Bibel muss wohl auch neu gedacht<br />
werden …<br />
Kommentare von Paulus und Salomo<br />
Hören wir Paulus „zur Lage der Nation“: „Die Gottlosigkeit<br />
und Ungerechtigkeit der Menschen, die<br />
die Wahrheit auf den Kopf stellen, lassen Gott nicht<br />
kalt. Obwohl der unsichtbare Gott sich und seine<br />
ewige Kraft im Erschaffenen erkennbar gemacht<br />
hat, damit sich keiner herausreden kann, haben<br />
sie ihn trotzdem nicht geehrt noch ihm gedankt,<br />
sondern sind ihrer Torheit verfallen und haben ihr<br />
unverständiges Herz verfinstert. Sie haben sich<br />
für besonders clever gehalten, sind aber zu Narren<br />
geworden. Darum hat Gott sie im Befolgen der<br />
Begierden ihres Herzens aus dem Schirm seines<br />
Segens heraustreten lassen, jene, die die Wahrheit<br />
Gottes in Lüge verdrehten und dem Geschöpf Ver-<br />
36<br />
Z für Zukunft
Zeitkritisch<br />
ehrung dargebracht haben anstatt dem Schöpfer.<br />
Aus diesem Grund hat Gott sie ihrer eigenen<br />
schändlichen Leidenschaft ausgeliefert: Frauen<br />
vertauschten den natürlichen Geschlechtsverkehr<br />
mit dem widernatürlichen, genauso die Männer.<br />
Sie wurden von wildem Verlangen zueinander<br />
gepackt; Männer ließen sich in schamlosem Treiben<br />
mit anderen Männern ein. Das rächte sich in<br />
Verirrung an ihnen selbst. Wie sie es auch nicht<br />
nötig fanden, Gott und seine Ordnung anzuerkennen,<br />
hat Gott sie ihrem verworrenen Sinn preisgegeben,<br />
sodass sie Dinge tun, die nicht recht sind“ 8<br />
(und daher nicht gesegnet werden können).<br />
Wer aber weiterhin zu Gottes Ordnung in allen<br />
Lebensbereichen stehen möchte, auch wenn dies<br />
hierzulande nicht mehrheitsfähig scheint, der sei<br />
ermutigt und gestärkt. Denn die sind es, die Jesus<br />
wirklich lieben, die den Willen seines Vaters tun 9<br />
– die werden dann aber trotz allem gesegnet sein,<br />
inmitten des Desasters.<br />
Der wirklich weise Salomo hat das in seinen<br />
Sprüchen gut zusammengefasst:<br />
„Hänge meine Gebote an deinen Hals und<br />
schreibe sie auf die Tafel deines Herzens, so<br />
wirst du Freundlichkeit und Klugheit erlangen,<br />
die Gott und den Menschen gefallen.<br />
Verlass dich nicht auf deinen Verstand, sondern<br />
verlass dich von ganzem Herzen auf den Herrn, deinen<br />
Gott, und gedenke an ihn in allen deinen Wegen,<br />
so wird er dich recht führen. Halte dich nicht für<br />
weise, sondern habe Ehrfurcht vor dem Herrn<br />
und meide das Böse.“ 10<br />
Interview: idea Nr. 20/2017;<br />
http://www.idea.de/spektrum/detail/was-ist-evangelisch-amevangelischen-kirchentag-100970.html<br />
(Zugriff am 28.12.2017).<br />
1 Johannes 14,27; 16,33.<br />
2 Galater 4,5; Epheser 1,5.<br />
3 Jakobus 5,16.<br />
4 Römer 1,6.<br />
5 Hebräer 8,7–9.<br />
6 Johannes 16,13; 14,17.<br />
7 https://www.bundestag.de/dokumente/textarchiv/2017/kw26-deehe-fuer-alle/513682<br />
(Zugriff am 24.10.2017).<br />
8 Römer 1,18–28.<br />
9 Johannes 14,23.<br />
10 Sprüche 3,3–7.<br />
Warum ist Europa wohlhabend<br />
und frei? Was hat Europa in die<br />
Orientierungslosigkeit geführt?<br />
Jedes Volk gestaltet seine Gesellschaft nach dem, was und an<br />
wen es glaubt. Aus dem Kult wächst jene Kultur, die den Aufbau<br />
einer Zivilisation prägt – und Geschichte gestaltet.<br />
Stückelberger weist nach, wie das christliche Gottes- und Menschenbild<br />
den Aufstieg Europas begründet, Wissenschaft und Forschung<br />
begünstigt und die Freiheit des Individuums gefördert hat.<br />
Der Abstieg Europas wurde eingeleitet mit dem Verrat an fundamentalen<br />
Werten; dem folgten in der Überhöhung der Vernunft<br />
Ideologien, denen über 100 Mio. Menschen zum Opfer gefallen sind.<br />
Ein Blick in die Zukunft rundet das umfassende Werk ab.<br />
„Das vorliegende Buch gibt eine völlig neue Sicht auf die Geschichte<br />
Europas. Es lässt sich sehr leicht und flüssig lesen, regt aber zu intensivem<br />
Nachdenken an.“ P. Fröstl in Amazon<br />
„»Europas Aufstieg und Verrat« ist eine Reise durch die Jahrhunderte<br />
… Es hat mein Weltbild und insbesondere mein Geschichtsbewusstsein<br />
nachhaltig beeinflusst.“ C. Rühle in Amazon<br />
„Dieses Buch hilft zu verstehen, warum das gängige Weltbild vielfach<br />
im Widerspruch zu biblischen Prinzipien steht. Ein<br />
lesenswerter Augenöffner.“ Dr. Mark Gabriel, Bestseller-Autor<br />
Gebunden, 432 S., 21,5 x 14,5 cm,<br />
ISBN 978-3-944764-05-4 19,95<br />
http://shop.agentur-pji.com<br />
B E S O N D E R S<br />
empfehlenswert<br />
QR zur Leseprobe<br />
Z für Zukunft<br />
37
Zeitkritisch<br />
Foto: © Agentur PJI-UG, Montage<br />
Billige Gnade, Todfeind der Kirche<br />
Der evangelische Theologe und Märtyrer Dietrich Bonhoeffer hat uns bis heute eine Menge zu<br />
sagen. Hier ein Auszug aus seinem Buch „Nachfolge“ von 1937; dieses Zeugnis christlichen Glaubens<br />
ist zugleich eine Kampfschrift gegen die NS-Unrechtsherrschaft – und gegen die „Gießkannengnade“<br />
á la „Ich bin getauft und zahle meine Kirchensteuer, lass mich gefälligst in Ruhe“.<br />
Billige Gnade<br />
leugnet das<br />
lebendige<br />
Wort Gottes,<br />
die Menschwerdung<br />
des<br />
Wortes Gottes<br />
„Unser Kampf heute<br />
geht um die teure Gnade.“<br />
Das schrieb Bonhoeffer vor über 80 Jahren, und<br />
es ist so aktuell! „Billige Gnade“ heißt: Gnade als<br />
Schleuderware, verramschte Vergebung, wertloser<br />
Trost; Gnade als unerschöpfliche Vorratskammer<br />
der Kirche, aus der mit leichtfertigen Händen<br />
bedenkenlos und grenzenlos ausgeschüttet wird:<br />
Gnade ohne „Preis“, Gnade, deren Wert wir nicht<br />
mehr zu schätzen wissen. Bonhoeffer schreibt:<br />
„Billige Gnade“<br />
Billige Gnade heißt Gnade als Lehre, als Prinzip,<br />
als etabliertes System: das bedeutet Sündenvergebung<br />
als allgemeine Wahrheit, das heißt Liebe<br />
Gottes als christliche Gottesidee: Wer sie nur<br />
bejaht, der hat schon Vergebung der Sünden. Die<br />
Kirche dieser Gnadenlehre ist durch diese Gottesidee<br />
schon der Gnade teilhaftig. In dieser Kirche<br />
findet die Welt billige Bedeckung ihrer Sünden, die<br />
sie nicht bereut und von denen frei zu werden sie<br />
erst recht nicht wünscht. Billige Gnade ist darum<br />
Leugnung des lebendigen Wortes Gottes, Leugnung<br />
der Menschwerdung des Wortes Gottes.<br />
Billige Gnade heißt Rechtfertigung der Sünde<br />
und nicht des Sünders. Billige Gnade ist Predigt<br />
der Vergebung ohne Buße, ist Abendmahl ohne<br />
Bekenntnis der Sünden, ist Absolution ohne persönliche<br />
Beichte. Billige Gnade ist Gnade ohne<br />
Nachfolge, Gnade ohne Kreuz, Gnade ohne den<br />
lebendigen, Mensch gewordenen Jesus Christus.<br />
Gnade ist teuer<br />
Dagegen ist teure Gnade der verborgene Schatz<br />
im Acker, um dessentwillen der Mensch hingeht<br />
und mit Freuden alles verkauft, was er hatte; die<br />
38<br />
Z für Zukunft
Zeitkritisch<br />
köstliche Perle, für deren Preis der Kaufmann alle<br />
seine Güter hingibt; die Königsherrschaft Christi,<br />
um derentwillen sich der Mensch das Auge ausreißt,<br />
das ihn ärgert; der Ruf Jesu Christi, auf den<br />
hin der Jünger seine Netze verlässt und ihm nachfolgt.<br />
Teure Gnade ist das Evangelium, das immer<br />
wieder gesucht, die Gabe, um die gebeten, die<br />
Tür, an die geklopft werden muss.<br />
Teuer ist sie, weil sie den Menschen das Leben<br />
kostet, Gnade ist es, weil sie ihm so erst das<br />
Leben schenkt.<br />
Teuer ist die Gnade vor allem darum, weil sie<br />
Gott teuer gewesen ist, weil sie Gott das Leben<br />
seines Sohnes gekostet hat („Ihr seid teuer<br />
erkauft“ 1 ), und weil uns nicht billig sein kann, was<br />
Gott teuer ist.<br />
Teure Gnade ist die Menschwerdung Gottes:<br />
Teuer ist die Gnade, weil sie den Menschen<br />
unter das Joch der Nachfolge Jesu Christi zwingt,<br />
Gnade ist es, dass Jesus sagt: „Mein Joch ist sanft<br />
und meine Last ist leicht.“ 2<br />
Ist nun Gnade das von Christus selbst geschenkte<br />
„Resultat“ christlichen Lebens, so ist dieses Leben<br />
keinen Augenblick dispensiert von der Nachfolge.<br />
Ist aber Gnade prinzipielle Voraussetzung meines<br />
christlichen Lebens, so habe ich damit [das folgert<br />
der bloße Namenschrist bequemerweise] im Voraus<br />
die Rechtfertigung meiner Sünden, die ich im<br />
Leben in der Welt tue. Ich kann nun auf diese Gnade<br />
hin sündigen, die Welt ist ja im Prinzip durch Gnade<br />
gerechtfertigt. Ich bleibe daher in meiner bürgerlich-weltlichen<br />
Existenz wie bisher, alles bleibt<br />
beim Alten, und ich darf sicher sein, dass mich die<br />
Gnade Gottes bedeckt. Die ganze Welt ist unter dieser<br />
Gnade „christlich“ geworden, das Christentum<br />
aber ist unter diesem Verständnis von „Gnade“ in<br />
nie dagewesener Weise zur Welt geworden.<br />
„Sündige tapfer“?<br />
Was bedeutet es, wenn Luther sagen kann: „Pecca<br />
fortiter, sed fortius fide et gaude in Christo“ –<br />
„Sündige tapfer, aber glaube und freue dich in<br />
Christo umso tapferer!“ Also, du bist nun einmal<br />
ein Sünder, und kommst doch nie aus der Sünde<br />
heraus; ob du ein Mönch bist oder ein Weltlicher,<br />
ob du fromm sein willst oder böse, du entfliehst<br />
dem Stricke der Welt nicht, du sündigst. So sündige<br />
denn tapfer – und zwar gerade auf die geschehene<br />
Gnade hin! [Diese Schlussfolgerung zieht der<br />
zur Nachfolge unwillige Namenschrist nur allzu<br />
bereitwillig; das aus dem Zusammenhang gerissene<br />
Luther-Zitat wird nur zu gern missverstanden.<br />
3 ] Diese unverhüllte Proklamation der „billigen<br />
Gnade“ ist Freibrief zum Sündigen und Aufhebung<br />
der Nachfolge, lästerliche Aufforderung zum mutwilligen<br />
„Sündigen auf Gnade hin“. Gibt es eine<br />
teuflischere Schmähung der Gnade, als auf die<br />
geschenkte Gnade Gottes hin zu sündigen?<br />
[Diese Überlegungen sind absolut nichts<br />
Neues. Schon zu Paulus’ Zeiten wurde Gottes<br />
Gnade missverstanden: „Wie bisher die Sünde<br />
über alle Menschen herrschte und ihnen den<br />
Tod brachte, so herrscht jetzt Gottes Gnade: Gott<br />
spricht uns von unserer Schuld frei und schenkt<br />
uns ewiges Leben durch Jesus Christus, unseren<br />
Herrn. Was heißt das praktisch? Sollen wir<br />
etwa nun fröhlich drauflossündigen, damit Gott<br />
zeigen kann, wie groß seine Gnade an uns ist?<br />
Absolut Nein! Als Christen sind wir für die Sünde<br />
doch tot. Wie könnten wir da noch länger mit ihr<br />
leben?“ 4 ]<br />
Zum Verständnis muss hier die Unterscheidung<br />
von Resultat und Voraussetzung in Anwendung<br />
gebracht werden. Wird Luthers Satz zur<br />
Voraussetzung einer Gnadentheologie, so ist die<br />
billige Gnade ausgerufen. Aber eben nicht als<br />
Anfang, sondern ganz ausschließlich als Ende,<br />
als Resultat, als Schlussstein, als allerletztes<br />
Wort ist Luthers Satz recht zu verstehen. Es soll<br />
allerletzter Zuspruch sein für den, der auf seinem<br />
Wege der Nachfolge erkennt, dass er nicht<br />
sündlos werden kann, der in der Furcht vor der<br />
Sünde verzweifelt an Gottes Gnade. Für ihn ist<br />
das „Sündige tapfer“ nicht etwa eine grundsätzliche<br />
Bestätigung eines ungehorsamen Lebens,<br />
sondern es ist das Evangelium von der Gnade<br />
Gottes, vor dem wir immer und in jedem Stande<br />
Sünder sind und das uns gerade als Sünder sucht<br />
und rechtfertigt. Bekenne dich tapfer zu deiner<br />
Das Christentum<br />
aber ist unter<br />
„billiger Gnade“<br />
in nie dagewesener<br />
Weise zur<br />
Welt geworden<br />
Z für Zukunft<br />
39
Zeitkritisch<br />
Foto: © Wikipedia, Sandro Halank<br />
Ist der<br />
Zusammenbruch<br />
der organisierten<br />
Kirchen nicht<br />
eine notwendige<br />
Folge der zu<br />
billig erworbenen<br />
Gnade?<br />
Sünde, versuche ihr nicht zu entfliehen, aber<br />
„glaube noch viel tapferer“.<br />
Zu wem aber darf das gesagt sein als zu dem,<br />
der täglich von Herzen der Sünde absagt, der täglich<br />
allem absagt, was ihn an der Nachfolge Jesu<br />
hindert, und der doch untröstlich ist über seine<br />
tägliche Untreue und Sünde? Wer anders kann<br />
das ohne Gefahr für seinen Glauben hören, als<br />
der, der sich durch solchen Trost erneut in die<br />
Nachfolge Christi gerufen weiß? So wird Luthers<br />
Satz, als Resultat verstanden, zur teuren Gnade,<br />
die allein Gnade ist.<br />
Letzten Endes unbarmherzig<br />
Aber wissen wir auch, dass diese billige Gnade in<br />
höchstem Maße unbarmherzig gegen uns gewesen<br />
ist? Ist der Preis, den wir heute [geschrieben<br />
vor über 80 Jahren!] mit dem Zusammenbruch<br />
der organisierten Kirchen zu zahlen haben, etwas<br />
anderes als eine notwendige Folge der zu billig<br />
erworbenen Gnade? Man gab die Verkündigung<br />
und die Sakramente billig, man taufte, man konfirmierte,<br />
man absolvierte ein ganzes Volk, ungefragt<br />
und bedingungslos, man gab das Heiligtum<br />
aus menschlicher Liebe den Spöttern und Ungläubigen,<br />
man spendete Gnadenströme ohne Ende,<br />
aber der Ruf in die Nachfolge Christi wurde seltener<br />
gehört. Wo blieben die Erkenntnisse der alten<br />
Kirche, die sorgsam über der Grenze zwischen Kirche<br />
und Welt, über der teuren Gnade wachte? Wo<br />
blieben die Warnungen Luthers vor einer Evangeliumsverkündigung,<br />
die die Menschen sicher<br />
machte in ihrem gottlosen Leben? Wann wurde die<br />
Welt grauenvoller und heilloser christianisiert als<br />
hier? Was sind die 3000 von Karl dem Großen am<br />
Leibe getöteten Sachsen gegenüber den Millionen<br />
getöteter Seelen heute? Es ist an uns wahr geworden,<br />
dass die Sünde der Väter an den Kindern<br />
heimgesucht wird bis ins dritte und vierte Glied.<br />
Es muss um der Wahrhaftigkeit willen für die<br />
unter uns gesprochen werden, die bekennen, dass<br />
sie mit der billigen Gnade die Nachfolge Christi<br />
verloren haben und mit der Nachfolge Christi wiederum<br />
das Verständnis der teuren Gnade suchen.<br />
Einfach, weil wir es nicht leugnen wollen, dass wir<br />
nicht mehr in der rechten Nachfolge Christi stehen,<br />
nicht mehr Glieder einer nachfolgenden Kirche<br />
sind. Es muss der Versuch gemacht werden,<br />
Gnade und Nachfolge wieder in ihrem rechten Verhältnis<br />
zueinander zu verstehen. Hier dürfen wir<br />
heute nicht mehr ausweichen. Immer deutlicher<br />
erweist sich die Not unserer Kirche als die eine<br />
Frage, wie wir heute als Christen leben können.<br />
Wohl denen, die schon am Ende des Weges,<br />
den wir gehen wollen, stehen und staunend<br />
begreifen, was wahrhaftig nicht begreiflich<br />
erscheint: dass Gnade teuer ist, gerade weil sie<br />
reine Gnade, weil sie Gnade Gottes in Jesus Christus<br />
ist. Wohl denen, die in einfältiger Nachfolge<br />
Jesu Christi von dieser Gnade überwunden sind,<br />
dass sie mit demütigem Geist die alleinwirksame<br />
Gnade Christi loben dürfen. Wohl denen, die in<br />
der Erkenntnis solcher Gnade wahrhaft frei sind<br />
für das Leben in dieser Welt, ohne sich an sie<br />
zu verlieren. Wohl ihnen, für die Nachfolge Jesu<br />
Christi nichts heißt, als Leben aus der Gnade, und<br />
für die Gnade nichts heißt, als Nachfolge. Wohl<br />
ihnen, die in diesem Sinne Christen geworden<br />
sind, denen das Wort der Gnade barmherzig war.<br />
„Laufe hinter mir her!“ Das ist alles<br />
Der Ruf Jesu ergeht, und ohne jede weitere Vermittlung<br />
folgt die gehorsame Tat des Gerufenen.<br />
Die Antwort des Jüngers ist nicht ein gesprochenes<br />
Bekenntnis des Glaubens an Jesus, sondern<br />
das gehorsame Tun ...<br />
40<br />
Z für Zukunft
Zeitkritisch<br />
„Und als er vorüberging, sah er Levi am Zollhaus<br />
sitzen. Und er spricht zu ihm: Folge mir<br />
nach! Und er stand auf und folgte ihm nach.“ 5<br />
Hat der Zöllner Jesus schon vorher gekannt<br />
und war daher bereit, auf seinen Ruf hin zu folgen?<br />
Hierüber schweigt der Text hartnäckig, es<br />
liegt ihm ja gerade alles an dem unvermittelten<br />
Gegenüber von Ruf und Tat. Die einzige gültige<br />
Begründung für dieses Gegenüber von Ruf und<br />
Tat: Jesus Christus selbst. Er ist es, der ruft.<br />
Jesus ruft in die Nachfolge nicht als Lehrer und<br />
Vorbild, sondern als der Christus, der Sohn Gottes.<br />
So wird in diesem kurzen Text Jesus Christus<br />
und sein Anspruch auf den Menschen verkündigt,<br />
sonst nichts.<br />
Was wird über den Inhalt der Nachfolge<br />
gesagt? Folge mir nach, laufe hinter mir her!<br />
Das ist alles. Hinter ihm hergehen, das ist etwas<br />
schlechthin Inhaltloses. Es ist wahrhaftig kein<br />
Lebensprogramm, dessen Verwirklichung sinnvoll<br />
erscheinen könnte, kein Ziel, kein Ideal, dem<br />
nachgestrebt werden sollte. Es ist keine Sache,<br />
für die es sich nach menschlicher Meinung<br />
lohnte, irgendetwas oder gar sich selbst einzusetzen.<br />
Und was geschieht? Der Gerufene verlässt<br />
alles, was er hat, nicht, um damit etwas besonders<br />
Wertvolles zu tun, sondern einfach um des Rufes<br />
willen, weil er sonst nicht hinter Jesus hergehen<br />
kann. Diesem Tun ist an sich nicht der geringste<br />
Wert beigemessen. Es bleibt in sich selbst etwas<br />
völlig Bedeutungsloses, Unbeachtliches.<br />
Nur der Gehorsame glaubt<br />
Ein Christentum ohne den lebendigen Jesus Christus<br />
bleibt ein Christentum ohne Nachfolge, und ein<br />
Christentum ohne Nachfolge ist immer ein Christentum<br />
ohne Jesus Christus; es ist Idee, Mythos. Allein<br />
weil der Sohn Gottes Mensch wurde, weil er Mittler<br />
ist, ist Nachfolge das rechte Verhältnis zu ihm.<br />
Aber die Unterscheidung von Glaube und<br />
Gehorsam darf niemals die Einheit beider aufheben,<br />
die darin liegt, dass Glaube nur im Gehorsam<br />
existiert, niemals ohne Gehorsam ist, dass Glaube<br />
nur in der Tat des Gehorsams Glaube ist.<br />
Nur der Gehorsame glaubt. Es muss Gehorsam<br />
geleistet werden einen konkreten Befehl, damit<br />
geglaubt werden kann. Es muss ein erster Schritt<br />
des Gehorsams gegangen werden, damit Glaube<br />
nicht frommer Selbstbetrug, billige Gnade werde.<br />
Du beklagst dich darüber, dass du nicht glauben<br />
kannst? Es darf sich keiner wundern, wenn<br />
er nicht zum Glauben kommt, solange er sich an<br />
irgendeiner Stelle in wissentlichem Ungehorsam<br />
dem Gebot Jesu widersetzt oder entzieht. Du willst<br />
irgendeine sündige Leidenschaft, eine Feindschaft,<br />
eine Hoffnung, deine Lebenspläne, deine Vernunft<br />
nicht dem Gebot Jesu unterwerfen? Wundere dich<br />
nicht, dass du den Heiligen Geist nicht empfängst,<br />
dass du nicht beten kannst, dass dein Gebet um<br />
den Glauben leer bleibt! Gehe vielmehr hin und<br />
versöhne dich mit deinem Bruder, lass von der<br />
Sünde, die dich gefangen hält, und du wirst wieder<br />
glauben können! Willst du Gottes gebietendes<br />
Wort ausschlagen, so wirst du auch sein gnädiges<br />
Wort nicht empfangen. Wie solltest du die Gemeinschaft<br />
dessen finden, dem du dich wissentlich an<br />
irgendeiner Stelle entziehst? Der Ungehorsame<br />
kann nicht glauben, nur der Gehorsame glaubt.<br />
Der Mensch hat sich vergiftet mit der billigen<br />
Gnade: Er bleibt im Ungehorsam und tröstet sich<br />
mit einer Vergebung, die er sich selbst zuspricht,<br />
und verschließt sich damit dem Wort Gottes. Der<br />
Einbruch in die Festung misslingt, solange ihm<br />
allein der Satz wiederholt wird, hinter dem er<br />
sich versteckt. Es muss die Wendung eintreten,<br />
der Andere muss zum Gehorsam gerufen werden:<br />
Nur der Gehorsame glaubt!<br />
Wird einer damit auf den Weg der eigenen<br />
Werke verführt? Nein, vielmehr wird er darauf<br />
verwiesen, dass sein Glaube kein Glaube ist, er<br />
wird aus der Verstrickung in sich selbst befreit.<br />
Er muss in die freie Luft der Entscheidung und<br />
des Tuns. So wird ihm der Ruf Jesu zum Glauben<br />
und zur Nachfolge neu hörbar gemacht.<br />
Auszug aus: „Nachfolge“. Dietrich Bonhoeffer, Martin Kuske<br />
(Hrsg.), Ilse Tödt (Hrsg.), ISBN 978-3-579-07136-7, redaktionell<br />
bearbeitet; http://shop.agentur-pji.com/nachfolge.html.<br />
1 1. Korinther 6,20.<br />
2 Matthäus 11,30.<br />
3 Eine gute Erklärung gibt Uwe Siemon-Netto in Luther – Lehrmeister<br />
des Widerstands, Fontis Basel 2016, S. 95–97.191.<br />
4 Römer 5,21–6,2.<br />
5 Markus 2,14.<br />
Willst du<br />
Gottes<br />
gebietendes<br />
Wort ausschlagen,<br />
so wirst<br />
du auch sein<br />
gnädiges Wort<br />
nicht empfangen<br />
Z für Zukunft<br />
41
Historisch<br />
Das Vermächtnis der ersten Christen<br />
Eine Rezension der Dokumentation von Petra Gerster – Auf den Spuren der<br />
Urgemeinde … Eine Produktion im Auftrag des ZDF 2013<br />
Alle Fotos in diesem Artikel: © Screenshot, ZDF-Doku<br />
Anfangs<br />
ist es noch eine<br />
kleine Gruppe;<br />
aber diese<br />
„Urgemeinde“<br />
wächst stetig<br />
Vor 2000 Jahren entdeckt die Menschheit<br />
einen neuen Glauben: Männer<br />
und Frauen bekennen sich zu Jesus<br />
Christus. Was als kleine Bewegung<br />
beginnt, soll die Welt für immer verändern.<br />
Bedroht, verfolgt und am Ende dennoch<br />
siegreich, verbreitet sich der neue Glaube über<br />
die ganze Welt. Welches Geheimnis verbirgt sich<br />
hinter dem unaufhaltsamen Aufstieg?<br />
Sie glauben, das Christentum sei dort entstanden,<br />
wo Jesus gekreuzigt und begraben wurde: in<br />
Jerusalem? Die Antwort ist: Nein! Entscheidende<br />
Ideen der neuen Religion kamen in Kleinasien auf<br />
die Welt, in der heutigen Türkei. Hier und nicht<br />
in Jerusalem wurden die Weichen gestellt für den<br />
neuen Glauben, der seinen Siegeszug durch das<br />
ganze Römische Reich antrat.<br />
Aber wie fing alles an? Was passierte eigentlich<br />
nach der Kreuzigung<br />
Jesu? Wie konnte aus einer<br />
Handvoll Männer und Frauen<br />
eine Bewegung entstehen,<br />
die sich gegen alle anderen<br />
Religionen durchsetzte – und<br />
was ist das Geheimnis ihres<br />
Erfolgs?<br />
Diesen Fragen will die<br />
Doku nachgehen.<br />
Der Ausgangspunkt<br />
Unsere Spurensuche führt uns in das Jahr 30, nur<br />
wenige Monate nach der Hinrichtung Jesu. Hier in<br />
Jerusalem soll sich die erste christliche Gemeinde<br />
gebildet haben – so erzählt es der Evangelist Lukas<br />
in seinem Werk, das wir im Deutschen „Apostelgeschichte“<br />
nennen. Regelmäßig kommt die kleine<br />
Schar der Jerusalemer Gemeinde zusammen als<br />
Glaubensgemeinschaft, sie ist aber auch Lebensgemeinschaft.<br />
Ein Dutzend Apostel, der engste<br />
Kreis der Nachfolger Jesu zu seinen Lebzeiten, bilden<br />
den inneren Kern der Bewegung.<br />
Anfangs ist es wohl noch eine sehr kleine<br />
Gruppe; aber diese „Urgemeinde“ wächst stetig:<br />
Immer mehr Männer und auch Frauen begeistern<br />
sich für die Botschaft der Liebe, die Jesus ihnen<br />
gepredigt hatte.<br />
Es ist das Ursprungsrätsel des Christentums<br />
– denn nachdem Jesus am Kreuz gestorben war,<br />
stand die Bewegung faktisch vor dem Aus. Doch<br />
nur wenige Monate später wächst und gedeiht<br />
sie! Wie war das möglich? Nach all dem, was wir<br />
heute wissen, muss die Kreuzigung Jesu auf die<br />
Jünger wie ein Schock gewirkt haben. Jesus war<br />
überzeugt, mit ihm sei das Reich Gottes auf die<br />
Erden gekommen; schon seine ersten Anhänger<br />
hatte er mit diesem Versprechen fasziniert, und<br />
nun endet der lang erwartete Messias jämmerlich<br />
am Kreuz! Die Bewegung war am Tiefpunkt.<br />
42<br />
Z für Zukunft
Historisch<br />
Die meisten Wissenschaftler sind sich einig:<br />
Die Grabeskirche in Jerusalem markiert die<br />
Stelle, an der Jesus gestorben ist. Über dem Eingang<br />
zum Heiligen Grab verkündet eine griechische<br />
Inschrift, was auch der Evangelist Lukas<br />
überliefert: „Was sucht ihr den Lebenden bei den<br />
Toten? Er ist nicht hier, er ist auferstanden.“<br />
Als Jesus auf der Richtstätte Golgatha am<br />
Kreuz hing, reichte sein Ruf allenfalls in die<br />
Region hinaus; im Römischen Reich war er ein<br />
Niemand. Doch die Auferstehung Jesu von den<br />
Toten, von der die Jünger berichten, markiert den<br />
Wendepunkt in der noch jungen Geschichte der<br />
Bewegung:<br />
Jesus ist den Jüngern erschienen, leibhaftig<br />
erschienen! Das heißt: Er muss auferstanden<br />
sein! Da begreifen die Jünger: Jesus ist mit seiner<br />
Botschaft nicht gescheitert. Und jetzt erst verstehen<br />
sie seine Botschaft in der Tiefe: Mit dem Tod<br />
ist eben nicht alles aus! Über das Leben hat der<br />
Tod keine Macht, und Jesus hat den Tod besiegt!<br />
Das war die Stunde, in der das Christentum seinen<br />
Ursprung nahm.<br />
Angeführt wird diese Keimzelle der neuen<br />
Bewegung von einer Doppelspitze: Jakobus, ein<br />
leiblicher Bruder Jesu, und Petrus, dem der Auferstandene<br />
als Erstem erschienen sein soll. Sie gelten<br />
als die Säulen der Urgemeinde. Auch Maria,<br />
die Mutter Jesu, soll von Anfang an dazugehört<br />
haben.<br />
Für das, was nach der Kreuzigung Jesu<br />
geschah, finden wir in der Bibel präzise Zeitangaben:<br />
Am dritten Tag ist Jesus von den Toten<br />
auferstanden; das feiern wir am Ostersonntag.<br />
Am 40. Tag nach Ostern ging er zu seinem Vater<br />
zurück, fuhr in den Himmel auf – „Christi Himmelfahrt“<br />
[auch als „Vatertag“ bekannt]. Am 50.<br />
Tag nach seiner Auferstehung, also 10 Tage nach<br />
Himmelfahrt, was geschah da?<br />
Die Apostelgeschichte erzählt, dass an diesem<br />
„50. Tag“ [übrigens kommt über den Umweg des<br />
Griechischen von daher der Name „Pfingsten“] –<br />
also dass an diesem 50. Tag der Heilige Geist auf<br />
die Jünger herabkam. Sie hatten sich zum jüdischen<br />
Erntefest „Schawuot“ versammelt; und mit<br />
feurigen Zungen, die vom Himmel herabloderten,<br />
soll der Heilige Geist bewirkt haben, dass jeder<br />
Mensch, egal welcher Sprache und Herkunft, die<br />
Worte der Jünger hören und verstehen(!) konnte.<br />
Revolutionär<br />
Für die Gläubigen ist der Fall klar: Gott hat am<br />
Pfingsttag etwas unternommen, um seine Bewegung<br />
anzuschieben. Was immer damals passierte,<br />
Tatsache ist: Was Jesu Anhänger jetzt verkünden,<br />
das ist nicht nur neu, es ist revolutionär: Ein hingerichteter<br />
Gott, ein Verlierer, wird zum Sieger!<br />
Solch ein Gottesbild kannte die Welt noch nicht.<br />
Man kann es sich heute fast nicht mehr vorstellen,<br />
angesichts gewaltiger Gotteshäuser. Denn<br />
unter den ersten Christen war irdischer Besitz<br />
regelrecht verpönt; so wenigstens erzählt es<br />
Lukas in der Apostelgeschichte.<br />
Laut Lukas hatten sie uneingeschränkte Gütergemeinschaft<br />
und pflegten eine grenzenlose Solidarität:<br />
Die Menge der Gläubigen war ein Herz<br />
und eine Seele; auch nicht einer von ihnen sagte<br />
von seinen Gütern, dass sie sein wären. Es war<br />
ihnen alles gemeinsam. Es war auch keiner unter<br />
ihnen, der Mangel hatte; denn wer von ihnen<br />
Äcker und Häuser besaß, verkaufte sie und<br />
brachte das Geld den Aposteln – und davon gab<br />
man einem jeden, was er nötig hatte.<br />
Lukas berichtet von einem Mann namens<br />
Simon, der von Petrus etwas kaufen will: die Gabe<br />
Gottes, Wunder zu wirken. Ohne Erfolg. Später<br />
benennt man nach diesem Simon die Käuflichkeit<br />
geistlicher Ämter – „Simonie“. Gottes Gnade kann<br />
man nämlich nicht kaufen, sie ist unverkäuflich.<br />
[Sowieso ist sie unbezahlbar, aber sie ist bereits<br />
bezahlt.] Das war die Botschaft.<br />
Die Gütergemeinschaft folgte dem Ideal der<br />
Nächstenliebe: Wer mehr hat, gibt dem, der weniger<br />
hat. – So handelten und dachten die ersten<br />
Christen.<br />
Rasantes Wachstum<br />
Die Apostelgeschichte berichtet von einem stürmischen<br />
Anwachsen der jungen Gemeinde: An<br />
Himmelfahrt waren es erst 120, nach Pfingsten<br />
bereits 3000, und dann wurden es Tag für<br />
Tag immer mehr. Eines Tages waren es um die<br />
5000, und irgendwann ist von vielen Tausenden<br />
Der Gekreuzigte<br />
mit Eselskopf. Dieses<br />
Spottkruzifix gilt heute als<br />
die älteste Darstellung von<br />
Christus am Kreuz<br />
Ein hingerichteter<br />
Gott,<br />
ein Verlierer,<br />
wird zum Sieger!<br />
Solch ein Gottesbild<br />
kannte die<br />
Welt noch nicht<br />
Z für Zukunft<br />
43
Historisch<br />
Foto: © Screenshot, ZDF-Doku<br />
Pfingsten:<br />
Der Heilige<br />
Geist kam auf<br />
die Jünger; und<br />
feurige Zungen<br />
loderten vom<br />
Himmel herab<br />
die Rede, von „Myriaden“ – Zehntausenden 1 . Die<br />
Zahl der Jünger in Jerusalem wurde immer größer.<br />
Fakt ist: die Christen wurden immer mehr.<br />
Aber woher kamen sie und wie erfuhren sie<br />
von dem neuen Glauben? Wichtige Anlaufstelle<br />
für die ersten Christen war der Tempel von Jerusalem.<br />
Die Apostelgeschichte berichtet, dass die<br />
Urgemeinde sich regelmäßig traf in der „Halle<br />
Salomos“ am Rand des Tempelplatzes. Besonders<br />
an den hohen jüdischen Festtagen, wenn Pilger<br />
aus aller Welt in die Stadt kamen, schien die Gelegenheit<br />
günstig, neue Anhänger zu gewinnen.<br />
In den Synagogen predigten die Anhänger<br />
Christi, mit ihrem Jesus sei der Messias, der Erlöser<br />
gekommen. Und viele schenkten ihren Worten<br />
Glauben – nicht nur in Jerusalem stießen die Predigten<br />
der Apostel, wie die Jünger Jesu nach seinem<br />
Tod genannt wurden, auf offene Ohren, sondern<br />
auch in der näheren und weiteren Umgebung<br />
bis hin nach Kleinasien, der heutigen Türkei.<br />
Die Geschichten vom Leben und Sterben Jesu,<br />
wie sie später in den Evangelien aufgeschrieben<br />
wurden, sind ein wesentlicher Baustein für den<br />
Erfolg des Christentums.<br />
Spektakuläre Kehrtwende<br />
„Gehet hin in alle Welt und lehret alle Völker“, hat<br />
Jesus seinen Jüngern mit auf den Weg gegeben.<br />
Sollten sie sich wirklich auch an Nichtjuden wenden?<br />
Auf die Idee, das Christentum auch den griechischen<br />
Heiden zu verkünden, kamen die Anhänger<br />
Jesu in Jerusalem wohl kaum – und so wären<br />
die ersten Christen vermutlich in die Geschichte<br />
eingegangen als eine der vielen jüdischen Sekten<br />
des Altertums, wenn, ja wenn da nicht plötzlich in<br />
Kleinasien ein Mann aufgetaucht wäre, der alles<br />
wendete. Hier, in der heutigen Türkei, stellte er<br />
die Frage aller Fragen: „Warum dürfen eigentlich<br />
nur Juden Christen werden? Ist Jesus nicht für<br />
alle Menschen gestorben?“<br />
Die Bibel berichtet von einer spektakulären<br />
Kehrtwende: Der griechisch sprechende Saulus,<br />
strenggläubiger Jude und hartnäckiger Gegner<br />
der Christen, soll eine Vision gehabt haben, in der<br />
ihm Jesus höchstselbst erschienen sei.<br />
Auf dem Pferderücken leuchtete ihm plötzlich<br />
ein Licht vom Himmel, er stürzte zu Boden<br />
und hörte eine Stimme: „Saul, Saul, warum verfolgst<br />
du mich?“ Unglaublich, aber wahr: Der<br />
Christenverfolger Saulus steht nun auf der Seite<br />
des neuen Glaubens! Die Wandlung vom blutigen<br />
Christenverfolger zum Vorreiter des Christentums<br />
ist also Fakt.<br />
Antiochia in Kleinasien, hinter Rom und Alexandria<br />
in Ägypten drittgrößte Stadt im Römischen<br />
Reich: Hier kommt es zum Richtungsstreit im jungen<br />
Christentum, und mittendrin der griechische<br />
Jude Paulus, so nennt Saulus sich inzwischen. „Nur<br />
beschnittene Juden haben Zugang zum christlichen<br />
Abendmahl!“, sagen die Hardliner unter den<br />
Christen. Paulus steht an der Spitze einer Gruppe,<br />
die eintritt für radikale Öffnung und konsequente<br />
Antidiskriminierung: Alle Menschen sollen Christen<br />
werden können und sind in die Gemeinschaft<br />
aufzunehmen, nicht nur Juden.<br />
Es kommt zum Bruch zwischen Petrus und<br />
Paulus: Paulus geht zu den Heiden, Petrus zu den<br />
Juden.<br />
Im Jahr 49 nach Christus kommt es zur Krisensitzung<br />
in Jerusalem. Noch sieht man sich als<br />
innerjüdische Gruppierung, aber jetzt gibt es<br />
zwei Lager: Die Strenggläubigen beharren auf<br />
den Riten des Judentums; Paulus hält mit seinen<br />
Getreuen dagegen. Die Öffnung setzt sich durch,<br />
somit ist der Weg frei für die Bekehrung aller<br />
Menschen. Damit sind die Weichen gestellt, das<br />
Christentum wird zur weltweiten Bewegung.<br />
44<br />
Z für Zukunft
Historisch<br />
Patent aufs Missionieren<br />
Unglaubliche 16 000 Kilometer [also ein Drittel des<br />
Erdumfangs] legte der Apostel Paulus auf seinen<br />
Reisen zurück, weite Strecken zu Fuß – Missionsarbeit<br />
war auch eine körperliche Herausforderung!<br />
An seiner Seite sehen wir oft Glaubensbrüder,<br />
junge Christen, die sich wie er die Ausbreitung des<br />
Christentums zur Lebensaufgabe gemacht haben.<br />
Die Christen tun das, was Juden bis heute nicht<br />
machen: sie missionieren; sie versuchen, andere<br />
Menschen von ihrem Glauben zu überzeugen, weil<br />
sie sicher sind, dass sie die beste Info aller Zeiten<br />
haben. Christliche Missionare schwärmen aus in<br />
alle Ecken und Enden des Römischen Reiches,<br />
Paulus immer vorneweg; aufs Missionieren hätten<br />
die Urchristen ein Patent anmelden können.<br />
Selbst in den entlegensten Winkeln des Römischen<br />
Reiches sind bis heute Spuren der Urchristen<br />
zu finden.<br />
Das unwegsame Kappadokien im Herzen der<br />
Türkei entwickelt sich zu einem wichtigen christlichen<br />
Zentrum; Hunderte von Höhlenkirchen<br />
zeugen von den frühen Anfängen: Hier lebten die<br />
ersten Christen, beteten gemeinsam und feierten<br />
das Abendmahl. Leuchtend bunte Wandmalereien<br />
erinnern bis heute daran.<br />
Es gab in der Antike keine Religion, die Missionierung<br />
kannte. Der Isis-Kult zum Beispiel – seine<br />
Anhänger sind nicht irgendwo hingegangen und<br />
haben gefragt: „Wollt ihr Anhänger der Isis werden?“<br />
In 13 Briefen hat Paulus seine Mission beschrieben;<br />
wir kennen sie aus dem Neuen Testament.<br />
Seine Briefe sind Rundschreiben, Flugschriften an<br />
die ersten Christen-Gemeinden. Das war damals<br />
das modernste Kommunikationsmittel, und keine<br />
anderen Texte wurden häufiger abgeschrieben und<br />
weitergereicht als ebendiese Briefe des Paulus.<br />
Der Trumpf des Christentums<br />
Manche nennen Paulus den Erfinder des Christentums,<br />
denn ohne den Theologen, den Briefeschreiber,<br />
den Missionar ist der Aufstieg des<br />
Christentums zur Weltreligion praktisch undenkbar.<br />
Bis dahin glaubten viele, der Tod sei ein<br />
Nichts, ein ewiger Schlaf. Ohne Hoffnung auf ein<br />
Leben danach. Das Christentum aber hatte noch<br />
einen Trumpf im Ärmel.<br />
Den ersten Christen wurde ja vorgeworfen, sie<br />
würden einen Verbrecher anbeten: „Verflucht ist,<br />
wer am Holz hängt“, sagt das jüdische Gesetz.<br />
Und auch bei Römern und Griechen, die das<br />
Schöne, Starke und Gesunde verehrten, konnte<br />
ein hingerichteter Gott nur für ungläubiges Kopfschütteln<br />
sorgen. Eine Kritzelei aus dem dritten<br />
Jahrhundert zeigt das Bild eines Gekreuzigten mit<br />
Eselskopf. Dieses Spottkruzifix gilt heute als die<br />
älteste Darstellung von Christus am Kreuz.<br />
Das Römische Reich kennt große Toleranz<br />
gegenüber anderen Religionen und Kulten. Der<br />
Pantheon, der Tempel aller Götter, ist offen für<br />
alte wie neue Angebote. Aber gilt das auch für die<br />
Jesus-Bewegung?<br />
Es ist auffällig, dass die Urgemeinde ungeheure<br />
Risiken eingeht. Man hat den Eindruck:<br />
Die sind ungeheuer motiviert; eine große Kraft ist<br />
zu spüren – offensichtlich die Wirkung der Auferstehung<br />
von Jesus. Dass man in kürzester Zeit aus<br />
einem Haufen von verstörten, deprimierten Menschen<br />
heraus eine solche Kraft erleben kann, das<br />
hängt damit zusammen, dass diese Leute überzeugt<br />
sind: Unser Heiland lebt!<br />
Die junge Gemeinde glaubt fest auch daran,<br />
dass sie selber nach dem Tod ebenfalls zu einem<br />
neuen Leben auferstehen wird.<br />
Schon für die ersten Christen gilt: Manchmal<br />
ist es sinnvoller, von der Bildfläche zu verschwinden.<br />
So sehr sie sich auch über Zulauf freuen<br />
mögen, noch sind die Anhänger Jesu eine kleine<br />
und radikale Minderheit.<br />
Ihren Anspruch, auserwählt zu sein und den<br />
einzig wahren Gott anzubeten, finden viele Nichtchristen<br />
anmaßend, beleidigend und sogar bedrohlich.<br />
So beschließen sie nicht selten, mit diesen<br />
Christen „kurzen Prozess“ zu machen.<br />
Schon kurz nach dem Tod Jesu<br />
wird das Gemeindemitglied<br />
Stefanus<br />
zum ersten Opfer<br />
Bis dahin<br />
glaubten viele,<br />
der Tod sei ein<br />
Nichts, ein ewiger<br />
Schlaf. Ohne<br />
Hoffnung auf ein<br />
Leben danach.<br />
Die Christen<br />
waren überzeugt:<br />
Unser Heiland<br />
lebt!<br />
Z für Zukunft<br />
45
Historisch<br />
Foto: © Screenshot, ZDF-Doku<br />
Wer gläubig<br />
wurde, ließ<br />
sich taufen.<br />
Es waren<br />
viele!<br />
Ein Taufbecken aus der<br />
Zeit der ersten Christen.<br />
Hier wurde untergetaucht<br />
in den Reihen der jungen Bewegung; und nach ihm<br />
gehen noch viele Männer und Frauen für ihre Überzeugung<br />
bis zum Äußersten: Sie werden zum Märtyrer.<br />
[Bis vor Kurzem war dieser Ehrentitel denen<br />
vorbehalten, die bereit waren, sich von ihren Gegnern<br />
für ihren Glauben ohne Gegenwehr einsperren,<br />
foltern, umbringen zu lassen.]<br />
Die Überzeugung, Jesus von Nazareth sei der<br />
Messias, der Christus, der Gesalbte Gottes, muss<br />
übermenschliche Kraft entfaltet haben; es heißt,<br />
jeder dieser Märtyrer – jeder, der wegen seines<br />
Glaubens umgebracht wurde, ohne selber Gewalt<br />
anzuwenden –, habe der christlichen Gemeinde<br />
hundert neue Mitglieder verschafft. Die Christen<br />
litten und starben für ihren Glauben.<br />
Besonders attraktiv für Frauen<br />
Was war am Christentum so attraktiv, warum ließen<br />
sich so viele taufen? Es gab doch auch andere<br />
Kulte, die von der Politik genehmigt und in der<br />
Gesellschaft viel angesehener waren. Und dann<br />
die große Konkurrenz am Götterhimmel!<br />
Lukas berichtet, dass die Taufe schon sehr früh<br />
praktiziert wurde – der Apostel Petrus soll seine<br />
Zuhörer bereits zu Pfingsten, also keine zwei<br />
Monate nach der Auferstehung Jesu, öffentlich dazu<br />
aufgefordert haben: „Tut Buße und<br />
ein jeder von euch lasse sich taufen<br />
auf den Namen Jesu Christi<br />
zur Vergebung eurer Sünden,<br />
so werdet ihr empfangen<br />
die Gabe des Heiligen<br />
Geistes.“ Durch das Eintauchen<br />
des ganzen Körpers werden alle Sünden<br />
vergeben, die dieser Mensch begangen hat, und<br />
ein neues Leben kann beginnen, ein Leben in der<br />
Gemeinschaft mit Jesus Christus und mit allen, die<br />
an ihn glauben. Ohne jegliche Vorleistung! Revolutionär!<br />
Durch die Taufe und den Glauben an Jesus<br />
Christus kann jedermann und jede Frau die Zugehörigkeit<br />
zum Volk Gottes erlangen.<br />
Was war am Christentum so unwiderstehlich?<br />
Warum schworen so viele den alten Göttern ab und<br />
bekannten sich zu dem einen Gott der Christen?<br />
Vielleicht finden wir hier eine Antwort, in<br />
Silifke im Süden der heutigen Türkei; hier<br />
bewahrt man das Andenken an die heilige Thekla.<br />
Sie wurde für ihren Glauben verfolgt und mit dem<br />
Tode bedroht; zum Christentum bekehrt hatte sie<br />
sich durch Paulus. Thekla gilt als die erste weibliche<br />
Heilige der noch jungen Kirche. Haben Sie<br />
das gewusst?<br />
Welche Rolle spielten Frauen überhaupt im<br />
Urchristentum? Von Paulus wissen wir, dass er<br />
Frauen sehr geschätzt und ausdrücklich gefördert<br />
hat, wenngleich er selbst zeitlebens unverheiratet<br />
blieb. Die anderen Apostel wie Petrus<br />
und die Brüder Jesu hingegen waren verheiratet<br />
und wurden auf ihren Missionsreisen stets<br />
von ihrer Frau und den Kindern begleitet. Ein<br />
Umstand, der heute wohl etwas in Vergessenheit<br />
geraten ist.<br />
Für Frauen war es besonders attraktiv, Christ<br />
zu werden, weil das Christentum die soziale Stellung<br />
der Frau eindeutig verbesserte. Damals wur-<br />
46<br />
Z für Zukunft
Historisch<br />
den viele Frauen mit 12, 14 Jahren verheiratet und<br />
kamen damit aus der Hand ihres patriarchalischen<br />
Vaters in die Hand eines oft gewalttätigen Mannes,<br />
obwohl sie oft gebildeter waren als die Männer;<br />
so kann man sich vorstellen, dass das Christentum<br />
eine Religion der Befreiung für sie war.<br />
Und erwähnt die Bibel nicht auch eine Frau<br />
unter den Aposteln? Die Briefe des Paulus berichten<br />
nicht nur von Gemeindeleiterinnen, Missionarinnen<br />
und Prophetinnen – in seinem Römerbrief<br />
erwähnt er auch die Apostelin Junia. Eine<br />
Frau als Apostel! Bis ins 13. Jahrhundert hinein<br />
war das ganz einfach Fakt; dann unterzogen<br />
die Männer der Kirche sie einer nachträglichen<br />
Geschlechtsumwandlung: Aus der weiblichen<br />
Junia wurde ein männlicher Junias. Offensichtlich<br />
kein Einzelfall in der Geschichte; es lässt sich<br />
beobachten, dass die bedeutenden Frauen unter<br />
den ersten Christen einfach nicht mehr beachtet<br />
wurden. Das geht zurück auf Machtinteressen<br />
innerhalb der Kirche: Machtpositionen sollten<br />
Männern vorbehalten bleiben. Und da störte eine<br />
Apostelin Junia gewaltig!<br />
Für die ersten Christen gab es keinen Unterschied<br />
der Geschlechter, der Herkunft und<br />
des Standes. Alle Menschen sind Gottes Kinder,<br />
also musste auch allen geholfen werden.<br />
Sie kümmerten sich um Witwen und Waisen und<br />
um die Ausgestoßenen. Das mag uns heute selbstverständlich<br />
scheinen, aber damals war auch das<br />
revolutionär! Über die sozialen Schranken hinweg<br />
hat man Netze geknüpft und sich um die Einzelnen<br />
gekümmert, unabhängig davon, zu welcher<br />
Gesellschaftsschicht jemand gehörte – ganz<br />
so, wie Jesus es ihnen geraten hatte: „Was ihr für<br />
einen meiner geringsten Brüder getan habt, das<br />
habt ihr mir getan.“<br />
Für die Griechen und die Römer waren ja die<br />
meisten Menschen von Natur aus Sklaven; da sah<br />
man gar nichts Verwerfliches dabei. Für die Christen<br />
kam das aber nicht in die Tüte! Jeder Einzelne<br />
hat seinen Wert und seine Würde, weil Gott ihn<br />
geschaffen hat und weil Jesus für ihn gestorben<br />
ist. Das gilt für alle Menschen ohne Ansehen der<br />
Person: Alle waren gleich.<br />
Eigentlich war es also Jesus,<br />
der die Menschenwürde erfunden hat,<br />
und die Christen sagen:<br />
Alle Menschen sind gleich, und allen muss geholfen<br />
werden! Das ist die revolutionäre Botschaft<br />
des Christentums. Das Christentum hatte die<br />
attraktivsten Angebote.<br />
Des Supermissionars letztes Privileg<br />
Im Jahr 58 erreicht auch Paulus die Hauptstadt<br />
des Reiches. Als Gefangener; er wurde mit dem<br />
Schwert enthauptet. Diese Todesart war ein letztes<br />
Privileg – nur weil er das römische Bürgerrecht<br />
hatte, blieb ihm ein qualvoller Tod erspart.<br />
Paulus, der Mann, der für den Aufstieg des<br />
Christentums wohl mehr getan hat als jeder<br />
andere: Für seine Überzeugung ist er bis zum<br />
Äußersten gegangen, am Ende bis zum Tod. Auch<br />
dem Apostel Petrus soll es so ergangen sein, kopfüber<br />
sollen sie ihn gekreuzigt haben. Aber stimmt<br />
das denn auch? Bis heute streiten sich Theologen<br />
und Historiker, ob Petrus überhaupt in Rom war.<br />
Von allem etwas: Nächstenliebe und Menschenwürde,<br />
Vernunft, Aufgehobensein in der Gemeinschaft,<br />
und das Wichtigste: die Zuversicht, wie<br />
Jesus von den Toten aufzustehen und das ewige<br />
Leben zu erlangen. Und jeder, ob Mann oder Frau,<br />
Herr oder Sklave: Jeder war willkommen.<br />
Keine andere Religion war so modern, so fortschrittlich<br />
wie das Christentum. Keine andere<br />
Religion sprach die Menschen so an, gab ihnen<br />
so viel Hoffnung und Zuversicht. Das war ihr<br />
Erfolgsgeheimnis – und ist es bis heute.<br />
https://www.zdf.de/dokumentation/dokumentation-sonstige/<br />
das-vermaechtnis-der-ersten-christen-100.html<br />
1 Apostelgeschichte 21,2: wtl. myriaden – „Zehntausende“,<br />
siehe Elberfelder Anmerkung.<br />
Für Frauen<br />
war es besonders<br />
attraktiv, Christ<br />
zu werden, weil<br />
das Christentum<br />
ihre soziale Stellung<br />
eindeutig<br />
verbesserte<br />
Petra Gerster<br />
hat diese Doku<br />
zusammengestellt<br />
Zur ZDF-Doku:<br />
Z für Zukunft<br />
47
Historisch<br />
Der rote Faden<br />
... blutgetränkt zieht er sich durch die Kirchengeschichte<br />
Von ersten Jahrhundert an zieht sich ein roter, ein blutroter Faden durch die Kirchengeschichte. Unzählige<br />
Reformatoren, man nannte sie „Ketzer“, wurden geköpft, ertränkt oder verbrannt, weil sie sich wider<br />
die herrschende Kirche einsetzten für die Wiederherstellung ursprünglichen Glaubensgutes. Welches<br />
Zeugnis kann die Geschichte einer Kirche ausstellen, die auf Korrektur nur mit gnadenlosem Töten antworten<br />
kann und ein Buch, das sagt, dass man sogar seine Feinde zu lieben habe, dem Volk vorenthält?<br />
Nach Edmund Hamer Broadbent 1<br />
Die Geschichte<br />
wurde immer von<br />
den „Siegern“<br />
geschrieben.<br />
In der Kirchengeschichte<br />
waren<br />
die Bewahrer<br />
des Glaubens nie<br />
bei den vermeintlichen<br />
Siegern<br />
Eben erst hat man Martin Luther<br />
gefeiert als den Reformator; doch<br />
er selbst sagte: „Wir alle sind Hussiten.“<br />
Damit ehrte er einen seiner<br />
Vorläufer, der ihm den Blick<br />
geschärft hatte. Reformatoren gab es die ganze<br />
Kirchengeschichte hindurch; viele sind unbekannt<br />
geblieben, aber sie haben wichtige Impulse<br />
gesetzt, die andere weitergebracht haben. Wir<br />
verdanken ihnen viel.<br />
Wer hat die Kirchengeschichte geschrieben?<br />
Das Gros der Informationen stammt aus der Feder<br />
einer mächtigen Kirche, in der alle, die manches<br />
anders sahen, als Ketzer, Irrlehrer, Abtrünnige<br />
bezeichnet wurden. Nicht nur die Welt-, auch<br />
die Kirchengeschichte wurde meist von den Siegern<br />
geschrieben; oft wurde Wichtiges ausgeblendet.<br />
Jesus Christus hat gesagt: „Ich baue meine<br />
Gemeinde.“ Im Lauf der Jahrhunderte<br />
haben Machtmenschen<br />
ihre eigenen Institutionen gebaut; die Reformatoren<br />
wollten zurückfinden zu der Art von Gemeinde,<br />
von der Jesus gesagt hat, dass sie seine ist.<br />
E. H. Broadbent hat uns einen besonderen<br />
Blickwinkel auf die Kirchengeschichte hinterlassen.<br />
Hier ein paar Blitzlichter.<br />
Die Anfänge (29‒313)<br />
Das Neue Testament ist die Erfüllung dessen, was<br />
die Propheten im Alten Testament angekündigt<br />
haben. Die ersten Gemeinden stehen in direkter<br />
Beziehung zu ihrem Herrn, erhalten von ihm<br />
Autorität und sind nur ihm verantwortlich. Es gibt<br />
keine Andeutung, dass eine Gemeinde eine andere<br />
beaufsichtigen sollte oder dass eine übergeordnete<br />
Organisation vorgesehen wäre; vielmehr sind die<br />
Gemeinden durch innige persönliche Beziehungen<br />
verbunden. 2 Ihre Hauptaufgabe sahen die ersten<br />
Christen darin, die ganze Welt mit dem Evangelium<br />
des Reiches Gottes bekannt zu machen.<br />
48<br />
Z für Zukunft
Historisch<br />
Sie trafen sich in Privathäusern, in Schulen<br />
oder unter freiem Himmel; besondere Gebäude<br />
brauchten sie nicht. Diese Beweglichkeit und<br />
autarke Einheit ließ Verschiedenheit zu, und sie<br />
befähigte die Gemeinden, auch Verfolgung zu<br />
überstehen.<br />
Die jüdische Religion wollte die junge Gemeinde<br />
der Christen unter ihr Gesetz bringen. Deshalb<br />
betonte Paulus: „Der Mensch wird nicht aus Gesetzeswerken<br />
gerechtfertigt, sondern nur durch<br />
den Glauben an Jesus Christus!“ 3 Das hat Martin<br />
Luther wiederentdeckt und der römisch-katholischen<br />
Lehre entgegengehalten. Die „Freiheit eines<br />
Christenmenschen“ – so der Titel eines Buchs des<br />
Reformators – war also von Anfang an bedroht.<br />
Angriffe kamen auch von den heidnischen Philosophien,<br />
die damals in Griechenland, in Rom, in<br />
Afrika und in Asien populär waren. In ihrem Windschatten<br />
entwickelten sich bischöfliche Macht<br />
und klerikale Systeme; die veränderten nach und<br />
nach den Charakter der Gemeinde – in der hehren<br />
Absicht, die „reine Lehre“ zu schützen.<br />
Bald waren Dienste, die bis dahin grundsätzlich<br />
jeder Gläubige versehen konnte, den Priestern<br />
vorbehalten, was zur Unterscheidung zwischen<br />
Geistlichen und Laien führte und die<br />
Position von Gemeindeleitern und Bischöfen<br />
überhöhte: Menschliche Organisation und religiöse<br />
Form traten an die Stelle des Wirkens des<br />
Heiligen Geistes.<br />
Origenes (185‒254)<br />
Der Sohn christlicher Eltern in Alexandria erlebte<br />
schon als kleines Kind das Wirken des Heiligen<br />
Geistes. Sein Vater wurde wegen seines Glaubens<br />
hingerichtet. Origenes’ ungewöhnliche Befähigung<br />
als Lehrer brachte den „Laien“ bald zu<br />
Ansehen, auch Bischöfe folgten seiner Schriftauslegung.<br />
Das erzürnte den Bischof von Alexandria<br />
so sehr, dass er ihn mit dem Bann belegte.<br />
Für Origenes war die Gemeinde die Versammlung<br />
derer, die die Kraft des Evangeliums erfahren<br />
haben; die einzelne Gemeinde vor Ort muss<br />
nicht immer einer Meinung sein mit denen, die in<br />
der „Kirche“ das Sagen haben.<br />
Wo die „offizielle“<br />
Geschichtsschreibung schweigt<br />
Als die Kirche größer wurde, ermattete der erste<br />
Eifer; die Gleichförmigkeit mit „der Welt“ nahm<br />
zu, und die Organisation der „katholischen“ (allgemeinen,<br />
Mainstream-)Kirchen, die sich durch<br />
diese Bezeichnung von den „falschen“ abgrenzen<br />
wollten, schritt fort.<br />
Doch in ihr bildeten sich Kreise, die Reformen<br />
anstrebten; einige Gemeinden trennten<br />
sich, wollten zurück zu den ursprünglichen Lehren<br />
und Praktiken. Auch hier gilt: Die „offizielle“<br />
Geschichtsschreibung wird von den Siegern<br />
besorgt, das Schrifttum der „Abweichler“ hingegen<br />
unterdrückt; deshalb kennen wir im Wesentlichen<br />
nur die Schriften, die gegen die Reformer<br />
verfasst wurden. Man könnte daher irrtümlich<br />
meinen, in den ersten drei Jahrhunderten habe es<br />
eine einheitliche katholische Kirche gegeben.<br />
Die Christen waren gute Untertanen; aber ihr<br />
Glaube verbot ihnen, dem Kaiser oder den Götzenbildern<br />
zu opfern. Damit versagten sie dem<br />
Römischen Reich die geforderte Treuebezeugung,<br />
und die Christen wurden auch deshalb<br />
gehasst, weil sie sich von der Kultur des Götterkults<br />
absonderten. Am Ende des 1. Jh. galt es als<br />
gesetzeswidrig, Christ zu sein. Es kam zur systematischen<br />
Verfolgung.<br />
Konstantin der Große (270/288‒337)<br />
Mit Konstantin wurde der langen und furchtbaren<br />
Verfolgung ein jähes Ende gesetzt. Im Jahre 312<br />
errang er die Macht, zog in Rom ein und erließ<br />
unverzüglich ein Edikt, das die Christenverfolgung<br />
beendete. Konstantin, der die alte kaiserliche<br />
Würde des Oberpriesters (Pontifex Maximus)<br />
der heidnischen Religion beibehielt, machte sich<br />
zum Schiedsrichter auch der christlichen Kirchen.<br />
Kirche und Staat wurden eng verbunden,<br />
und es dauerte nicht lange, da standen die Machtmittel<br />
des Staates auch den Kirchenführern zur<br />
Verfügung. So wurden die eben noch Verfolgten<br />
bald selbst zu Verfolgern.<br />
Fotos: © Wikipedia<br />
Der Apostel Paulus betonte<br />
die Freiheit vom jüdischen<br />
Gesetz<br />
Origenes: Als „Laie“<br />
legte er den Bischöfen<br />
die Bibel aus<br />
Konstantin I. behielt als<br />
Kaiser die Würde des<br />
heidnischen Oberpriesters<br />
„Pontifex Maximus“ bei<br />
Tempel, um Kaiser wie<br />
Götter zu verehren:<br />
Hadrian-Tempel, Ephesus<br />
Z für Zukunft<br />
49
Historisch<br />
Das Konzil von Nizäa. In der<br />
Mitte Kaiser Konstantin I.,<br />
er hatte die Kontrolle<br />
Athanasius hielt das Zeugnis<br />
von der Göttlichkeit<br />
Jesu hoch<br />
Fotos: © Wikipedia<br />
Augustinus erklärt das<br />
Sichtbare für böse und<br />
nur das Geistige als<br />
von Gott kommend<br />
Das Mönchtum erwies sich<br />
nicht als Lösung.<br />
Es verweltlichte selbst<br />
Priszillian löste in Spanien,<br />
Portugal und Andalusien eine<br />
Erneuerungsbewegung aus<br />
Konzil von Nizäa (325)<br />
Dieses Konzil wurde von Konstantin einberufen;<br />
es ging um die Lehre des Arius, des Bischofs von<br />
Alexandrien: Jesus Christus, der Sohn Gottes, sei<br />
ein erschaffenes Wesen, mit Gott dem Vater nicht<br />
wesensgleich. Das Nizänische Glaubensbekenntnis<br />
hingegen zementierte die unbedingt göttliche<br />
Natur des Sohnes und seine Gleichheit mit Gott<br />
dem Vater.<br />
Zwei Jahre nach dem Konzil rief Konstantin den<br />
Arius aus dem Exil zurück; unter der Regierung<br />
seines Sohnes wurden alle Bischofsstühle mit Arianern<br />
besetzt. Die verfolgten nun die Katholiken,<br />
wie diese zuvor die Arianer verfolgt hatten.<br />
Athanasius (300‒373)<br />
Er war Teilnehmer am Konzil zu Nizäa und wurde<br />
später Bischof von Alexandria. Nahezu 50 Jahre<br />
lang hielt er das Zeugnis von der göttlichen Natur<br />
Jesu hoch. Er wurde verleumdet, vor Gerichte<br />
geschleppt und mit dem Bann belegt, aber nichts<br />
konnte ihn von seinem Standpunkt abbringen.<br />
Der Arianismus hielt sich fast 300 Jahre als<br />
Staatsreligion. Die unklare Einstellung zu Jesus<br />
Christus, dem Sohn Gottes, könnte dem islamischen<br />
Denken den Weg bereitet haben.<br />
Augustinus (354‒430)<br />
Seine Lehren, besser sein Irrtum, haben der folgenden<br />
Zeit einen unauslöschlichen leidvollen<br />
Stempel aufgedrückt. Unter anderem stellte er<br />
fest, Heil gebe es allein durch die Sakramente<br />
der Kirche; der Priester nehme das Heil aus den<br />
Händen des Heilands und gebe es den Menschen.<br />
Diese machtaffine Mittlerrolle schiebt sich zwischen<br />
die Gläubigen und Christus, der gesagt hat:<br />
„Kommt zu mir“ – von Priester, Kirche und Heiligen<br />
als Mittler war da nicht die Rede.<br />
Vor seiner Bekehrung war Augustinus Manichäer<br />
gewesen; der Manichäismus 4 erklärt das Sichtbare<br />
und Körperliche zum Werk böser Mächte, nur das<br />
Geistige wurde als von Gott kommend gesehen.<br />
Damit bekam Gottes Schöpfung ein „böses“ Image,<br />
obwohl Gott über seine Schöpfung gesagt hatte,<br />
dass sie „sehr gut“ war. 5 Die Konsequenz: Askese<br />
und Leibfeindlichkeit; das verstellte den unmittelbaren<br />
Weg zur Erlösung durch den Sohn Gottes.<br />
Dass Jesus Christus, Gott, offenbart im Fleisch, zur<br />
Sühnung für die Sünden der Welt Mensch geworden<br />
ist, wurde dadurch verzerrt; das nährte auch den<br />
Arianismus, der die Gottheit Christi leugnete.<br />
Das Mönchtum<br />
Der geistliche Niedergang der Kirche, ihr Abweichen<br />
vom Vorbild des Neuen Testaments und<br />
die zunehmende Verweltlichung und Duldung<br />
von Sünde, all das rief bereits früh nach einer<br />
Reformation der Kirche; die, die nach Heiligkeit<br />
und nach Gemeinschaft mit Gott strebten, sahen<br />
sich genötigt, sich aus der Welt zurückzuziehen.<br />
Im 4. Jh. wurde der Eremit Antonios in Ägypten<br />
bekannt; viele wollten es seiner Frömmigkeit<br />
gleichtun und ließen sich in seiner Nähe nieder.<br />
Anfang des 6. Jh. gab der Mönch Benedikt<br />
in Italien andere Lebensregeln heraus – nicht<br />
Askese war für ihn die Hauptsache, er betonte<br />
religiöse Zeremonien und den Dienst am Nächsten.<br />
So lernten im 7. und 8. Jh. die germanischen<br />
Völker das Christentum kennen. Das Mönchtum<br />
erwies sich aber nicht als die Lösung; es konnte<br />
der Gemeinde Jesu nicht die nötige Stütze bieten,<br />
hingegen verweltlichte es selbst.<br />
Priszillian 350‒385<br />
Der Spanier löste eine Erneuerungsbewegung aus,<br />
die weite Teile Spaniens sowie Portugal und Andalusien<br />
erfasste; sogar in Rom war sie spürbar. Priszillian<br />
war wohlhabend und belesen; weder heidnische<br />
Religionen noch das gängige Christentum zogen ihn<br />
an, er befasste sich lieber mit Philosophie. Durch<br />
das Lesen der Bibel kam er zum Glauben an Christus<br />
und wählte ein Leben der Hinwendung zu Gott<br />
und der Trennung von der Welt.<br />
Als Laie predigte er eifrig, und besonders<br />
die gebildeten Kreise hörten ihn in Scharen; so<br />
wurde Priszillian zum Bischof von Ávila ernannt.<br />
Bald bekam er die Feindschaft des Klerus zu spüren.<br />
Die Anklage wegen Ketzerei hatte keinen<br />
Erfolg; aber eine spätere wegen Zauberei und<br />
Unsittlichkeit führte zur Verurteilung: Priszillian<br />
und sechs andere wurden enthauptet.<br />
50<br />
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52<br />
Z für Zukunft
Historisch<br />
Dies war der erste Fall, dass Christen wegen<br />
ihres Glaubens durch die Kirche hingerichtet<br />
wurden. Ein ungutes Vorbild, dem<br />
erschreckend viele weitere folgen sollten.<br />
1886 entdeckte man in der Universitätsbibliothek<br />
zu Würzburg elf Schriften Priszillians.<br />
Darin zitiert er die Bibel, und zwar in einer Übersetzung,<br />
die älter ist als die Vulgata des Hieronymus.<br />
Er lehnt es ab, über die Dreieinigkeit zu<br />
diskutieren; ihm genügt es zu wissen, dass in<br />
Jesus durch den Heiligen Geist der eine wahre<br />
Gott erschienen ist. Er lehrte, Erlösung geschehe<br />
durch unsere Bekehrung zu Gott. Eine ernsthafte<br />
Abkehr von der Welt sei erforderlich, damit nichts<br />
die Gemeinschaft mit Gott hindere. Die Errettung<br />
sei kein magisches, durch Sakramente ermöglichtes<br />
Geschehen, sondern ein geistlicher Vorgang.<br />
Wenn die Gemeinschaft mit Christus unterbrochen<br />
sei, habe der Einzelne sie durch seine Reue<br />
wiederherzustellen. Für Priszillian gibt es kein<br />
besonderes klerikales Amt, Laien haben den Geist<br />
Gottes so gut wie Priester. – Damit war er eindeutig<br />
im Widerspruch zur römischen Kirche.<br />
Mohammed (570/573‒632)<br />
Seit dem Tod Mohammeds 632 hat sich die Religion<br />
des Islams in kurzer Zeit über den größten<br />
Teil Arabiens ausgebreitet. In weniger als 100<br />
Jahren dehnte sich ihr Herrschaftsbereich von<br />
Indien bis Spanien aus; man konnte wählen:<br />
Unterwerfung oder Tod. Unzählige starben lieber,<br />
als Christus zu verleugnen. Vor allem in Nordafrika<br />
war die Gemeinde Jesu zahlreich; sie hatte<br />
in den Verfolgungen durch das heidnische Rom<br />
über Jahrhunderte Treue gehalten. In der Ausbreitung<br />
des Islams sah man das Gericht Gottes<br />
wegen der Bilderverehrung im Christentum und<br />
über die Vermischung mit dem Heidentum.<br />
Constantinus Silvanus (620‒684)<br />
Etwa im Jahr 653 traf ein Armenier, der gerade<br />
aus der Gefangenschaft der (islamischen) Sarazenen<br />
freigekommen war, auf Constantinus, der<br />
ihn freundlich aufnahm. Als kostbares Geschenk<br />
überreichte er dem Gastgeber eine Handschrift<br />
der vier Evangelien und der Paulus-Briefe.<br />
Das Studium dieser Schriften nahm Constantinus<br />
ganz gefangen und führte bei ihm zu einer<br />
radikalen Lebensveränderung. Er nahm einen<br />
neuen Namen an und nannte sich hinfort „Silvanus“<br />
nach dem Begleiter des Apostels Paulus;<br />
dazu schloss er sich Gläubigen an, die die nicht<br />
schriftgemäßen Traditionen der byzantinischen<br />
Kirche ablehnten.<br />
Von Armenien aus wirkte Silvanus über 30<br />
Jahre lang. Viele Katholiken und Heiden bekehrten<br />
sich. Sein Einfluss reichte vom Euphrat bis zum<br />
Taurusgebirge in das westliche Kleinasien hinein,<br />
wo auch der byzantinische Kaisers Constantinus<br />
Pogonatos auf ihn aufmerksam wurde.<br />
Die irischen Missionare (800‒850)<br />
Unter dem Iren Columban wurden Missionare aus<br />
Irland zu den Heiden gesandt – nach Schottland und<br />
auf das Festland. Ihre Methode war, mit zwölf Mönchen<br />
ein kleines Dorf mit Schulräumen und Wohnhäusern<br />
zu errichten; in der Mitte stand die Holzkirche.<br />
Sie halfen den Bauern, die Erträge zu steigern,<br />
und verbesserten das Gesundheitswesen.<br />
Sobald sie der Landessprache mächtig waren,<br />
übersetzten sie Teile der Bibel, schrieben sie ab<br />
und brachten sie ihren Schülern bei. Bekehrte<br />
sich jemand zum Glauben an Christus, brachten<br />
sie ihm bei, auch anderen die Bibel zu erklären.<br />
Getauft wurde nur, wer seinen Glauben unter<br />
Beweis gestellt hatte.<br />
Die Missionare aus Irland predigten nicht<br />
gegen die jeweilige Religion ihres Gastvolkes; sie<br />
verkündeten lediglich die Aussagen des Neuen<br />
Testaments und die Rechtfertigung aus Glauben.<br />
Die Benediktinermönche bekämpften die Arbeit<br />
der irischen Missionare: Entweder sie unterstellten<br />
sich Rom oder sie wurden vertrieben. Die<br />
Fotos: © Wikipedia<br />
Mohammed leugnete die<br />
Gottessohnschaft Jesu<br />
und war damit in der<br />
Linie der Arianer<br />
Unter dem Iren Columban<br />
wurden Missionare zu den<br />
Heiden nach Schottland<br />
und auf das Festland<br />
gesandt<br />
Z für Zukunft<br />
53
Historisch<br />
Handschriftliches Evangelium<br />
in der Landessprache (9. Jh.)<br />
Kaiser Ludwig der Fromme<br />
war einer der Hauptförderer<br />
von Claudius<br />
Unter Kaiserin Theodora II.<br />
fanden Hunderttausende<br />
den Tod<br />
Kyrill von Saloniki,<br />
der Slawen-Apostel<br />
Kaiser Alexius Comnenes<br />
stellte Basillius eine Falle, um<br />
ihn hinrichten zu lassen<br />
Staatsmacht stellte sich hinter die Benediktiner;<br />
die Missionstätigkeit der Iren kam zum Erliegen.<br />
Doch ihr Einfluss blieb und stärkte spätere Reformationsbewegungen.<br />
Um 830 erschien eine Evangelienharmonie als<br />
Stabreim-Dichtung in altsächsischer Sprache –<br />
„Der Heiland“ (Heliandlied). Zweifellos ein Werk<br />
der irischen Missionare! Beachtung verdient,<br />
dass es weder Marien- noch Heiligenverehrung<br />
kennt und frei ist von den typischen Zügen der<br />
römischen Kirche jener Zeit.<br />
Claudius von Turin (810‒um 827)<br />
Ludwig, der dritte Sohn Karls des Großen, folgte<br />
813 seinem Vater auf den Kaiserthron. Er war ein<br />
Bewunderer des Spaniers Claudius, jenes eifrigen<br />
Schriftforschers und Bibelkommentators. Als Kaiser<br />
ernannte Ludwig den Claudius zum Bischof<br />
von Turin.<br />
Claudius lehrte, das Apostelamt des heiligen<br />
Petrus habe mit dessen Tod aufgehört, die<br />
„Schlüsselgewalt“ sei auf den gesamten Episkopat<br />
übergegangen; der Bischof von Rom habe<br />
apostolische Gewalt – aber nur, wenn er auch ein<br />
apostolisches Leben führe.<br />
Sergius (800‒834)<br />
Von Armenien „bin ich von Ost nach West und<br />
von Nord nach Süden gezogen, um das Evangelium<br />
von Christus zu predigen, bis meine Knie<br />
müde wurden“. – Mit großer Vollmacht beseitigte<br />
Sergius Trennungen und lehrte die Gläubigen.<br />
Obwohl er als Zimmermann arbeitete, besuchte<br />
er doch fast alle Teile des Hochlands von Kleinasien,<br />
der heutigen Türkei.<br />
Zu seiner Bekehrung ist überliefert: Eine gläubige<br />
Frau soll ihn gefragt haben, warum er nicht<br />
Gottes Evangelium lese. Sergius erklärte, dies sei<br />
doch nur Priestern gestattet. Die Frau entgegnete,<br />
Gott sehe nicht die Person an, sondern wünsche,<br />
dass jeder errettet würde und die Wahrheit<br />
erkenne, 6 und es sei ein Übel, dass die Priester das<br />
Volk ihres Anteils am Evangelium beraubten. So<br />
begann Sergius, die Bibel zu lesen. – Sergius’ Briefe<br />
fanden weite Verbreitung. Seine Verfolger zerstückelten<br />
ihn bei lebendigem Leibe mit der Axt.<br />
„Der Schlüssel der Wahrheit“<br />
Systematisches Niedermetzeln, Enthauptung,<br />
Verbrennen, Ertränken – dieser Mittel bediente<br />
sich Kaiserin Theodora II. in den Jahren 842–856.<br />
Etwa hunderttausend fanden den Tod, doch das<br />
konnte die Standhaftigkeit der Gläubigen nicht<br />
erschüttern.<br />
In dieser Zeit könnte das armenische Buch<br />
„Der Schlüssel der Wahrheit“ verfasst worden<br />
sein. Es schildert Glauben und Leben der sogenannten<br />
Paulizianer 7 jener Tage. Der unbekannte<br />
Autor beschreibt überzeugend das Leben der<br />
„neugeborenen Kinder“ der „allgemeinen und<br />
apostolischen Kirche unseres Herrn Jesus Christus“.<br />
So schrieb er: „Unser Herr fordert zunächst<br />
Buße und Glauben, und dann tauft er; so müssen<br />
wir ihm nachfolgen und nicht den trügerischen<br />
Beweisführungen anderer, welche Ungläubige<br />
taufen. Ist ein Kind geboren, sollen die Eltern es<br />
in Frömmigkeit und im Glauben erziehen. Getauft<br />
werden soll es erst, wenn es das wirklich will.“<br />
Im Blick auf Bilder und Reliquien sagt der<br />
Schreiber: „Was die Mittlerschaft betrifft, so gibt<br />
es nur die unseres Herrn Jesus Christus, nicht die<br />
anderer Heiliger und Toter und schon gar nicht<br />
die von Steinen, Kreuzen oder Bildern.“<br />
Mitte des 8. Jh. wurde Bulgarien von der russischen<br />
Fremdherrschaft befreit und dem Reich<br />
des Befreiers zugeschlagen; die Paulizianer wurden<br />
auf den Balkan umgesiedelt. Mitte des 9. Jh.<br />
waren dort die byzantinischen Missionare Kyrill<br />
und Methodius tätig; viele Einheimische wurden<br />
Christen und gründeten Gemeinden. Diese Gläubigen<br />
nannte man „Bogomilen“ 8 ; das slawische<br />
Wort bedeutet „Gottesfreunde“.<br />
Basilius (1070‒1111)<br />
Basilius war Bulgare und Arzt; nebenbei war er<br />
unermüdlich tätig als Prediger und Lehrer. Kaiser<br />
Alexius Comnenes sprach ihm seine Bewunderung<br />
aus, er sei an seiner Lehre interessiert, wolle sich<br />
gerne bekehren, und lud ihn nach Konstantinopel<br />
ein. Am Tisch des Kaisers entspann sich ein lebhaftes<br />
Gespräch; Basilius antwortete freimütig auf<br />
alle Fragen. Plötzlich zog der Kaiser einen Vorhang<br />
54<br />
Z für Zukunft
Historisch<br />
zur Seite und ließ den Schnellschreiber sehen, der<br />
das ganze Gespräch als Beweismittel festzuhalten<br />
hatte; den Dienern befahl er, seinen Gast in Ketten<br />
zu legen und in den Kerker zu werfen. Basilius verweigerte<br />
den Widerruf und wurde im Hippodrom<br />
zu Konstantinopel öffentlich verbrannt. In dieser<br />
Zeit wurden viele „Gottesfreunde“ aufgespürt und<br />
verbrannt oder lebenslang eingekerkert.<br />
Ein bulgarischer Bischof beschrieb Ende des<br />
10. Jh. die Bogomilen so: „Sie verehren weder<br />
die Muttergottes noch das Kreuz, behaupten,<br />
das Brot beim Abendmahl sei nicht Christi Leib,<br />
sondern gewöhnliches Brot. Wenn die Leute ihr<br />
demütiges Verhalten sehen, meinen sie, sie hätten<br />
den rechten Glauben, deshalb holen sich viele<br />
Rat bei ihnen wegen des Seelenheils. Sie geben<br />
freundliche Antwort und tun, als wüssten sie, wie<br />
es im Himmel zugeht.“<br />
Der Kirchenvater Gregor sagte von den Paulizianern,<br />
wie die Bogomilen auch genannt wurden,<br />
man klage sie nicht bösen Lebenswandels wegen<br />
an, sondern weil sie zu frei dächten und die Obrigkeit<br />
nicht anerkennten. Sogar ihre Gegner gaben<br />
zu, dass ihr Lebenswandel, ihre Sittlichkeit, ihr<br />
Fleiß weit über das hinausragten, was sonst dort<br />
zu finden war. Auch das zog viele an.<br />
Die von Byzanz ausgehende Verfolgung vertrieb<br />
viele Gläubige nordwestwärts nach Serbien;<br />
von dort wichen sie vor der serbisch-orthodoxen<br />
Kirche nach Bosnien aus.<br />
Die Bogomilen am Balkan (10.‒15. Jh.)<br />
Die bosnischen Herrscher führten den Titel „Ban“,<br />
der bedeutendste von ihnen war Kulin Ban. 1180<br />
wurde er vom Papst als treuer Anhänger der Kirche<br />
geehrt, aber 1199 wandten sich seine Frau,<br />
seine Familie und zehntausende Bosniaken den<br />
Bogomilen zu. Das Land war nun nicht mehr<br />
katholisch – und erlebte eine Blütezeit, die sprichwörtlich<br />
wurde (und blieb). Es gab keine Priester<br />
mehr; vielmehr wurde das allgemeine Priestertum<br />
aller Gläubigen gelebt.<br />
Papst Innozenz III. brachte mithilfe des<br />
Königs von Ungarn 1203 Kulin Ban durch Kriegsdrohung<br />
in Bedrängnis, so stimmte dieser der Forderung<br />
zu, dass allein der Klerus geistliche Ämter<br />
versehen dürfe. Doch das Volk lehnte es einmütig<br />
ab, sich bevormunden zu lassen. Die Gläubigen<br />
in Bosnien hatten Verbindung mit Gleichgesinnten<br />
in Italien, in Südfrankreich, in Böhmen, am<br />
Rhein, ja bis Flandern und England. Als der Papst<br />
zum Kreuzzug gegen die Albigenser aufrief und<br />
die Provence verwüstet wurde, fanden Flüchtige<br />
in Bosnien herzliche Aufnahme.<br />
1216 ernannte der Papst einen römisch-katholischen<br />
Ban und sandte Missionare, um die Bosniaken<br />
zu rekatholisieren, aber die nichtrömische<br />
Christengemeinde im Land wuchs umso mehr,<br />
dehnte sich aus nach Kroatien, Dalmatien, Istrien,<br />
Kärnten und Slowenien.<br />
Sechs Jahre später beschloss<br />
der Papst, die Bosniaken mit<br />
Gewalt zu „bekehren“, und das<br />
Land wurde verwüstet. Doch<br />
sobald sich das Heer zurückgezogen<br />
hatte, stellte sich heraus,<br />
dass die Glaubensgemeinden<br />
noch bestanden, und der<br />
Fleiß des Volkes stellte den<br />
Wohlstand schnell wieder her.<br />
Nach der Eroberung von<br />
Konstantinopel 1453 durch<br />
Mehmet II. kam es schnell zur<br />
Unterwerfung von Griechenland,<br />
Albanien und Serbien.<br />
Ausdehnung der Bogomilen 10.–15. Jh.<br />
Am Ende des 12. Jh. waren christliche Gemeinschaften<br />
in Europa (im Osten die Bogomilen und im Westen die<br />
Katharer) durch gute Vernetzung vom Schwarzen Meer<br />
bis zum Atlantik miteinander verbunden.<br />
Die Eroberung von<br />
Konstantinopel überlebten<br />
nur wenige der 8000, die<br />
sich hinter den Mauern<br />
verschanzt hatten<br />
Fotos: © Wikipedia<br />
Z für Zukunft<br />
55
Historisch<br />
Die Waldenser hatten sich<br />
in den Bergtälern der Macht<br />
Roms entziehen können<br />
Mehrere Albigenserkreuzzüge<br />
richteten großes<br />
Leid an. Hier: Vertreibung<br />
aus Carcassonne<br />
Als die<br />
Waldenser von<br />
der Reformation<br />
hörten:<br />
„Unsere Vorfahren<br />
haben<br />
uns erzählt, wir<br />
bestehen seit<br />
den Tagen der<br />
Apostel. Wir denken<br />
wie ihr und<br />
sind in diesem<br />
Glauben immer<br />
fest geblieben.“<br />
Sie führten ihren Ursprung auf<br />
die Zeit der ersten Gemeinden<br />
in Kleinasien zurück, also nicht<br />
auf eine „Reformation“<br />
Rom erkannte die Gefahr nicht, sondern machte<br />
weiterhin jede Hilfe für Bosnien von der Verfolgung<br />
der Bogomilen abhängig. 1463, als die Türken<br />
wieder auf Bosnien vorrückten, verweigerte<br />
das Volk seinem König den Gehorsam. Es zog<br />
die Türken der Bedrückung durch Rom vor und<br />
setzte dem Eroberer keinen Widerstand entgegen;<br />
innerhalb einer Woche konnten so 70 Städte<br />
eingenommen werden.<br />
Diese „Freunde Gottes“ in Bosnien haben nur<br />
wenig Schriftliches hinterlassen. Fest steht: Sie<br />
wehrten sich damals heftig gegen die Zersetzung<br />
des christlichen Glaubens und hielten an den Lehren<br />
und Vorbildern der Urgemeinde fest. Ihre<br />
Beziehung zu den älteren Kirchen in Armenien und<br />
Kleinasien, zu den Albigensern in Frankreich, zu<br />
den Waldensern und anderen in Italien sowie zu<br />
den Hussiten in Böhmen zeigten, dass eine gemeinsame<br />
Grundlage des Glaubens sie alle einte.<br />
Waldenser und Albigenser<br />
Die aus den Balkanländern Geflohenen kamen<br />
bis nach Südfrankreich – und überall fanden sie<br />
Gleichgesinnte.<br />
Die Bezeichnung „Albigenser“ tauchte nach<br />
dem Konzil auf, das 1165 nahe Albi abgehalten<br />
wurde. Die Leute, die vor Gericht gestellt wurden,<br />
legten zwar ein nahezu „römisches“ Glaubensbekenntnis<br />
ab; da sie aber gewissenshalber<br />
den Eid verweigerten, wurden sie trotzdem<br />
verurteilt. Der Volksmund nannte sie „die guten<br />
Leute“ wegen ihrer vorbildlichen Lebensweise,<br />
die in klarem Gegensatz stand zu der Zügellosigkeit<br />
des Klerus.<br />
In den Alpentälern Piemonts gab es 16 Jahrhunderte<br />
lang (70–1700) Gemeinschaften von<br />
Gläubigen, die als „Waldenser“ bekannt wurden<br />
(nach Petrus Valdes, einem Kaufmann in Lyon,<br />
12. Jh.). Sie führten ihren Ursprung auf die Zeit<br />
der ersten Gemeinden in Kleinasien zurück, also<br />
nicht auf eine „Reformation“.<br />
Von einer Generation zur nächsten hatten sie<br />
ununterbrochen am Gemeinde-Modell des Neuen<br />
Testaments festgehalten; sie kannten die Bibel,<br />
aber weder Bilderverehrung noch andere Abweichungen.<br />
In ihren schwer zugänglichen Bergtälern<br />
hatten sie sich der Macht Roms entziehen<br />
können; als sie im 16. Jh. von der Reformation<br />
hörten, sagten sie: „Unsere Vorfahren haben uns<br />
erzählt, dass wir seit den Tagen der Apostel bestehen.<br />
Nichtsdestoweniger stimmen wir in allem<br />
mit euch überein, wir denken wie ihr und sind in<br />
diesem Glauben immer fest geblieben.“<br />
1163 untersagte ein von Papst Alexander III.<br />
einberufenes Konzil jeden Verkehr mit den Waldensern,<br />
weil sie „eine verdammungswürdige<br />
Ketzerei lehren, die lange zuvor in diesem Gebiet<br />
entstand“.<br />
Bis dahin gab es in Metz starke Waldensergemeinden;<br />
auch die Gemeinde in Köln hatte schon<br />
lange bestanden, als 1150 eine Anzahl ihrer Glieder<br />
hingerichtet wurden. Der Richter sagte von<br />
ihnen: „Sie gingen nicht nur mit Geduld, sondern<br />
mit Leidenschaft in den Tod.“ In Straßburg hatten<br />
die Dominikaner 1212 fünfhundert(!) Waldenser<br />
eingekerkert.<br />
Die Waldenser hatten bereits eigene Bibelübersetzungen.<br />
Sie bewerteten die Worte Christi<br />
in den Evangelien als die höchste Offenbarung;<br />
Christus nachzufolgen, sein Vorbild nachzuahmen,<br />
das war ihr höchstes Ziel. In ihren Augen<br />
schenkte allein Christus die Fähigkeit, sein Wort<br />
zu verstehen. In der Bergpredigt sahen sie ihre<br />
Lebensregel. Blutvergießen und Todesstrafe<br />
lehnten sie ab, auch jede Gewaltanwendung in<br />
Glaubensfragen. Vergeltungswünschen gegenüber<br />
jenen, die sie beleidigten und verfolgten, gaben<br />
sie keinen Raum; die meisten in den Bergdörfern<br />
erlaubten jedoch bewaffneten Widerstand und<br />
verteidigten sich und ihre Familien gegen die<br />
Angriffe aus Rom.<br />
Die Waldenser glaubten nicht, dass das Heil<br />
durch Sakramente zu erlangen sei oder durch<br />
irgendetwas anderes außer durch den Glauben<br />
an Christus – und dieser Glaube zeige sich in Werken<br />
der Liebe.<br />
Apostel spielten bei ihnen eine wichtige Rolle.<br />
Die Ältesten und Aufseher blieben zu Hause, in<br />
ihrer Gemeinde; die Apostel zogen umher und<br />
besuchten die Gemeinden. Die waldensischen<br />
Apostel besaßen nichts. Sie wanderten von Ort<br />
zu Ort ohne Geld, ohne einen zweiten Rock. Ihre<br />
56<br />
Z für Zukunft
Historisch<br />
Bedürfnisse wurden gedeckt von den Gläubigen,<br />
denen sie das Wort verkündeten. Sie zogen immer<br />
zu zweit, ein älterer und ein jüngerer Bruder. Ihre<br />
Besuche waren sehr geschätzt, man brachte ihnen<br />
große Ehrfurcht und Liebe entgegen. Zum Schutz<br />
waren sie als Handelsleute unterwegs; meist trug<br />
der Jüngere leichte Waren zum Verkauf mit sich –<br />
Messer, Nadeln und ähnliches. Niemals baten sie<br />
um etwas. Einige waren medizinisch ausgebildet<br />
und wurden auch dafür sehr geschätzt.<br />
Bewegungen am Ausgang<br />
des Mittelalters (1300‒1500)<br />
1302 erließ Papst Bonifatius VIII. eine Bulle, die<br />
erklärte, dass jeder Mensch sich dem Papst unterwerfen<br />
müsse, wolle er sein Seelenheil nicht verscherzen<br />
(und überhaupt: In der Welt sei keine<br />
von Gott gegebene Autorität, die sich nicht vom<br />
Papst herleite). An der Spitze derer, die gegen<br />
solcherlei Ansinnen Protest erhoben, stand Kaiser<br />
Ludwig von Bayern.<br />
Marsiglio von Padua<br />
(1275/1290‒1342/1343)<br />
Marsiglio hatte an der Pariser Universität studiert.<br />
Der Politiker kritisierte 1324 die Beziehung<br />
zwischen Staat und Kirche: „Es ist üblich geworden,<br />
die Bezeichnung ‚Kirche‘ den Dienern der<br />
Kirche beizulegen – Bischöfen, Priestern und Diakonen.<br />
Dies steht im Widerspruch zu dem apostolischen<br />
Gebrauch des Wortes, wonach die Kirche<br />
die Versammlung ist oder die Gemeinschaft der<br />
an Christus Gläubigen. Es ist nicht ein Versehen,<br />
dass sich der unrichtige Gebrauch des Wortes<br />
eingebürgert hat, sondern das geschah aus wohlüberlegten<br />
Gründen, die für die Priesterschaft<br />
große Bedeutung haben, für die Christenheit<br />
dagegen verheerende Folgen.“<br />
Johannes Tauler (um 1300‒1361)<br />
In der Auseinandersetzung zwischen Kaiser Ludwig<br />
von Bayern und dem Papst stellte sich der<br />
Dominikaner-Pater Dr. Johannes Tauler kühn auf<br />
die Seite des Kaisers. In seinen jungen Jahren in<br />
Köln hatten die verbotenen Schriften des Meister<br />
Eckhart großen Einfluss auf ihn ausgeübt.<br />
1338 in Straßburg zogen Taulers Predigten<br />
große Scharen an; sein Ruf drang auch in andere<br />
Länder. Als zehn Jahre später die Pest Straßburg<br />
verheerte, diente Tauler zusammen mit einem<br />
Augustiner- und einem Karthäuser-Mönch der<br />
leidenden Bevölkerung. In offenen Briefen rechtfertigten<br />
die drei ihren Dienst an den unter dem<br />
Bann stehenden Erkrankten damit, dass „Christus<br />
für alle gestorben ist, deshalb kann der Papst<br />
keinem den Weg des Heils verschließen, nur weil<br />
sie seine Autorität bestreiten und ihrem rechtmäßigen<br />
König die Treue halten“.<br />
Er erklärte auch: „Die Geistlichkeit denkt zu<br />
hoch von sich. Dabei handelt sie wie die Pharisäer<br />
und bringt die ‚Gottesfreunde‘ um.“ Papst<br />
Sixtus V. setzte 1590 Taulers Reden auf den Index<br />
der verbotenen Schriften.<br />
John Wyclif (1330‒1384)<br />
In England herrschte unter dem Klerus eine ähnliche<br />
Verderbtheit wie auf dem Festland. Ernstgesinnte,<br />
die von einem besseren Weg sprachen,<br />
erhielten den Spottnamen „Lollarden“ – Schwätzer.<br />
Anfang des 15. Jh. waren die Lollarden so zahlreich<br />
geworden, dass Heinrich IV., um die Kirche<br />
gewogen zu stimmen, darauf den Feuertod setzte.<br />
John Wyclif, Professor in Oxford, prangerte die<br />
Verderbtheit der Kirche an. Er stand für die Rückkehr<br />
zur Heiligen Schrift und in die Nachfolge<br />
Christi. In seiner Abhandlung „Das Reich Gottes“<br />
wies er nach, dass das Evangelium von Jesus<br />
Christus die einzige Quelle echten Glaubens sei,<br />
die Schrift allein sei wahr; alle Autorität stamme<br />
von Gott und die, die Autorität ausübten, müssten<br />
Fotos: © Wikipedia<br />
„Der Weg von Wyclif“, 1377.<br />
Wandgemälde von Ford<br />
Madox Brown in der<br />
Manchester Town Hall<br />
Papst Bonifatius VIII. erließ:<br />
Zum Seelenheil müsse sich<br />
jeder dem Papst unterwerfen<br />
Marsiglio von Padua kritisierte<br />
die enge Beziehung zwischen<br />
Staat und Kirche<br />
Pater Dr. Johannes Tauler<br />
stellte sich kühn auf die<br />
Seite des Kaisers, gegen<br />
den Papst<br />
Z für Zukunft<br />
57
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vor Gott Rechenschaft ablegen darüber, wie sie<br />
die Macht ausgeübt haben, die er ihnen anvertraut<br />
habe. Damit bestritt Wyclif die unumschränkte<br />
Autorität von Papst und König, die damals niemand<br />
zur Verantwortung ziehen konnte, und auch die<br />
Notwendigkeit des priesterlichen Mittleramts. Kein<br />
Wunder, dass er auf heftigen Widerstand stieß!<br />
Seine Bibelübersetzung bewirkte einen<br />
Umsturz im Denken der Engländer. Durch Traktate<br />
und Wanderprediger wurde Wyclifs Einfluss<br />
so stark, dass auch seine erbittertsten Gegner<br />
nur eine Strafversetzung erwirken konnten. Wyclif<br />
unterstrich die Autorität der Heiligen Schrift<br />
als Quelle der Wahrheit: „Die Schrift nicht kennen<br />
heißt, Ihn nicht kennen.“<br />
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Ján Hus (1370‒1415)<br />
Einer der ausländischen Studenten in Oxford,<br />
die Wyclif hörten, war Hieronymus von Prag. Voll<br />
Eifers für die Wahrheit, die er in England kennengelernt<br />
hatte, kehrte er in seine Heimatstadt<br />
zurück. Kühn lehrte er, die römische Kirche sei<br />
von Christus abgewichen, und jeder, der das Heil<br />
suche, müsse zu den Lehren des Evangeliums<br />
zurückkehren. Diese Worte drangen auch in das<br />
Herz von Ján Hus, Doktor der Theologie, Prediger<br />
in Prag und Beichtvater der Königin von Böhmen.<br />
Sein ernster Glaube und seine hervorragenden<br />
Fähigkeiten, verbunden mit Beredsamkeit und<br />
gutem Benehmen, wirkten stark unter dem Volk,<br />
das durch die Waldenser schon vorbereitet war.<br />
Er sprach und schrieb auf Tschechisch.<br />
Die Rivalität zwischen Germanen und Slawen<br />
in Böhmen gab der Bewegung ein politisches<br />
Gesicht: der deutsche Teil hielt sich an Rom, der<br />
tschechische an die Lehren Wyclifs. Der Papst<br />
exkommunizierte Hus und ließ Wyclifs Schriften<br />
öffentlich verbrennen; der böhmische König, die<br />
Universität und die Mehrheit des Volkes hielten<br />
zu Hus und seiner Lehre.<br />
Konzil zu Konstanz (1414)<br />
Dieses Konzil dauerte dreieinhalb Jahre und<br />
brachte eine Unzahl von kirchlichen Würdenträgern,<br />
Fürsten und Herrschern vieler Länder<br />
sowie eine riesige Volksmenge zusammen. Die
Historisch<br />
Stadt wurde Schauplatz ausgesuchter Vergnügen<br />
und schamloser Schlechtigkeit. Es galt die drei<br />
rivalisierenden Päpste abzusetzen und an ihrer<br />
Stelle einen anderen, Martin V., zu wählen.<br />
Ein weiteres Ziel war, die Lehre von Wyclif<br />
und Hus zu bekämpfen. Hus wurde unter Zusage<br />
sicheren Geleits von Kaiser Sigismund zur Teilnahme<br />
eingeladen; doch in Konstanz wurde er<br />
ergriffen und in ein schmutziges Gefängnis auf<br />
einer Bodensee-Insel geworfen. Um diese Tat zu<br />
rechtfertigen, verkündete das Konzil sie als Entscheidung<br />
des Heiligen Geistes und damit als<br />
unfehlbar; die Kirche sei nicht verpflichtet, einem<br />
Ketzer das Wort zu halten. Mit allen erdenklichen<br />
Mitteln – durch Überredungskunst und<br />
üble Behandlung bis hin zur Folter – versuchte<br />
man nun, Hus zum Widerruf zu bewegen. Sein<br />
Standpunkt: Das Heil wird uns aus Gnade zuteil<br />
ohne Gesetzeswerke, und weder Titel noch Stellung<br />
können einen Menschen für Gott annehmbar<br />
machen, wenn sein Lebenswandel nicht gottgefällig<br />
ist. In Demut, mit außergewöhnlichem Mut<br />
und hoher Beredsamkeit erklärte Hus sich bereit,<br />
alles zu widerrufen, was er gelehrt habe, vorausgesetzt,<br />
man könne ihm aus der Heiligen Schrift<br />
nachweisen, dass er irre. Er werde aber nichts<br />
zurücknehmen von dem, was Gottes Wort lehrt.<br />
Am Nachmittag des 6. Juli 1415 wurde Ján<br />
Hus verbrannt, zusammen mit seinen Schriften.<br />
Wenige Tage zuvor hatte er geschrieben: „Ich bin<br />
sehr getröstet durch Christi Wort: ‚Glückselig<br />
seid ihr, wenn die Menschen euch hassen‘ … ein<br />
guter, nein, der beste Gruß, aber schwer – ich will<br />
nicht sagen zu verstehen, aber auszuleben, denn<br />
er befiehlt uns Freude in diesen Trübsalen … Er<br />
ist leicht vorzulesen und zu erklären, aber schwer<br />
zu verwirklichen. Sogar jener tapfere Krieger<br />
war, obwohl er wusste, dass er nach drei Tagen<br />
auferstehen werde, nach dem Abendmahl in seinem<br />
Geist beschwert.“<br />
Hieronymus von Prag ging bald den gleichen<br />
schrecklichen Weg. Die böhmischen Hussiten teilten<br />
sich in drei Hauptströmungen: Die einen<br />
kämpften; die anderen suchten einen Vergleich zu<br />
erwirken; und es gab auch die, die bereit waren,<br />
für die Wahrheit zu leiden und zu sterben.<br />
Während des Konzils<br />
sorgten in den Bordellen<br />
700 Prostituierte für das<br />
„leibliche Wohl“<br />
der Gäste<br />
Zunehmende Verfolgung<br />
Nach Kaiser Ludwig hatte 1355 Karl IV. den Kaiserthron<br />
bestiegen; der neue Kaiser stand ganz unter<br />
dem Einfluss des Papstes und leitete eine für die<br />
bibeltreuen Gemeinschaften unheilvolle Änderung<br />
ein: Jede abweichende Meinung sollte verstummen.<br />
Während der ersten Hälfte des 14. Jh. hatten die<br />
von Rom unabhängigen Glaubensgemeinschaften<br />
stark zugenommen; das änderte sich nun: In großer<br />
Zahl wurden Inquisitoren ins Reich gesandt und<br />
der Kaiser gab ihnen freie Hand, wie es der Papst<br />
verlangte. Ganz Europa wurde Schauplatz der grausamen<br />
Hinrichtung vieler seiner besten Einwohner.<br />
Papst Bonifatius IX. ordnete in einem Edikt an, „die<br />
übrige ketzerische Pest“ (Ungeziefer) sei mit allen<br />
geeigneten Mitteln auszurotten. 1395, also knapp<br />
zwei Jahrzehnte vor dem Märtyrertod von Ján Hus,<br />
prahlte der Inquisitor Peter Pilichdorf, es sei gelungen,<br />
der Ketzerei Herr zu werden. Böhmen und England<br />
waren für viele zur Zufluchtsstätte geworden;<br />
Wyclif in England sowie Hieronymus und Hus in<br />
Böhmen hatten diese Länder sehr geprägt.<br />
Jan Hus wurde wegen<br />
seiner „Glaubensfreiheit“<br />
verbrannt. Er schrieb:<br />
„Glückselig seid ihr,<br />
wenn die Menschen<br />
euch hassen“<br />
Ján Hus lehrte 100 Jahre<br />
vor Luther die Rechtfertigung<br />
aus Glauben<br />
Konzil von Konstanz mit<br />
Gegenpapst Johannes XXIII.<br />
im Konstanzer Münster<br />
Hieronymus von Prag<br />
brachte Wyclifs Gedanken<br />
nach Böhmen<br />
Fotos: © Wikipedia<br />
Z für Zukunft<br />
59
Historisch<br />
Erasmus von Rotterdam<br />
veröffentlichte das griechische<br />
Neue Testament in neuer<br />
lateinischer Übersetzung<br />
Johann von Staupitz<br />
entdeckte den jungen<br />
Mönch Martin Luther<br />
Hans Denck war sehr<br />
einflussreich unter den<br />
Wiedertäufern. Er fragte:<br />
Was fehlt der Lehre Luthers?<br />
Alte Schätze und neue Erkenntnisse<br />
Die Eroberung Konstantinopels 1453 löste die<br />
Flucht vieler gelehrter Griechen aus; sie brachten<br />
wertvolle alte griechische Manuskripte in den<br />
Westen. An den Universitäten lehrten griechische<br />
Professoren die Sprache, die den Schlüssel zu<br />
diesen Schätzen bot, und seit 1516 lag das griechische<br />
Neue Testament mit lateinischer Übersetzung<br />
gedruckt vor.<br />
Die Erfindung des Buchdrucks verhalf den neuen<br />
Erkenntnissen zu größerer Verbreitung – und die<br />
Reformationszeit war wirklich eine Zeit neuer<br />
Erkenntnisse, man denke nur an die Entdeckung<br />
Amerikas durch Kolumbus und die des Sonnensystems<br />
durch Kopernikus, und auch die Bibel gab es<br />
gedruckt auf Deutsch. Ihr Deutsch war vor Luther<br />
zwar noch holprig, aber man konnte bereits erkennen,<br />
welch ungeheurer Gegensatz bestand zwischen<br />
Christus und seiner Lehre einerseits und dem<br />
machthungrigen, verderbten Klerus andererseits.<br />
1486 verbot der Erzbischof von Mainz Verbreitung<br />
und Besitz deutscher Bibeln.<br />
Erasmus von Rotterdam (1467‒1535)<br />
und das griechische Neue Testament<br />
Erasmus war ein armes Waisenkind, aber seine<br />
großen Fähigkeiten verschafften ihm Anerkennung<br />
in gelehrten Kreisen und an den Höfen von<br />
London bis Rom. Sein größtes Werk war die Veröffentlichung<br />
des griechischen Neuen Testaments<br />
mit einer neuen lateinischen Übersetzung, versehen<br />
mit vielen Erklärungen. In Frankreich wurden<br />
in kurzer Zeit 100 000 Exemplare verkauft,<br />
und nun konnten auch Nicht-Theologen die Worte<br />
des Heils lesen. Sie lernten Christus und die<br />
Apostel kennen; sie sahen, dass religiöse Tyrannei<br />
nicht Gottes Wille war.<br />
Erasmus gehörte zu den vielen, die auf eine<br />
friedliche Reformation der Christenheit hofften;<br />
die Zeit schien günstig: Auf den blutrünstigen<br />
Papst Julius folgte Leo X. aus der berühmten<br />
Familie der Medici, gottlos, aber ein Freund der<br />
Kunst und der Literatur. Er genehmigte Erasmus’<br />
griechisches Neues Testament.<br />
Staupitz entdeckt Luther (1505)<br />
Johann von Staupitz war Generalvikar der Augustiner.<br />
1505 fand er auf einer Inspektionsreise durch<br />
die Häuser des Ordens in Erfurt den jungen Mönch<br />
Martin Luther, der zutiefst bekümmert war um sein<br />
Seelenheil. Staupitz riet ihm, die Heilige Schrift zu<br />
studieren sowie Augustinus und die Schriften von<br />
Tauler zu lesen. Luther folgte diesem Rat und die<br />
Lehre von der Rechtfertigung aus Glauben wurde<br />
ihm zur lebendigen Erfahrung.<br />
1520 schrieb Luther an Spalatin 9 : „Bis jetzt<br />
habe ich, wenn auch unwissend, alles verkündigt,<br />
was Hus gepredigt und festgehalten hat; Johann<br />
Staupitz tat unbewusst dasselbe – mit einem<br />
Wort: Ich habe bisher unbewusst den ganzen<br />
Johann Hus gelehrt und gehalten … Kurz, wir alle<br />
sind unbewusst Hussiten. Ja, Paulus und Augustin<br />
sind aufs Wort Hussiten. – Siehe, ich bitte dich, in<br />
was für Ungeheuerlichkeiten sind wir ohne den<br />
böhmischen Führer und Lehrer geraten.“<br />
Hans Denck, Wiedertäufer<br />
(um 1498‒1527)<br />
Denck war einer der einflussreichsten Brüder der<br />
Wiedertäufer-Gemeinden in der Reformationszeit.<br />
In Bayern geboren, in Basel promoviert, muss er<br />
dort mit Erasmus und einem Kreis von Gelehrten<br />
und Druckern in Berührung gekommen sein.<br />
1523 wurde Denck an die Schule in Nürnberg<br />
berufen; dort hatte die lutherische Bewegung<br />
bereits vor einem Jahr Oberhand gewonnen.<br />
Sicher hatte der neue Glaube im Volk Gottesfurcht<br />
und einen ehrbaren Lebenswandel bewirkt, freute<br />
sich Denck, aber zu seiner Enttäuschung fand er<br />
gerade das Gegenteil!<br />
Warum? Was fehlte der Lehre Luthers? Das<br />
Volk hatte sie so verstanden: Allein aus Glauben,<br />
das genügt; gute Werke sind unnütz. Ja, Luther<br />
schaffte viele Missstände ab, die in der katholischen<br />
Kirche herrschten, doch er wies zu wenig<br />
hin auf Gehorsam, Selbstverleugnung und die<br />
Nachfolge Christi.<br />
Denck zeigte 1524, die Erfahrung beweise,<br />
dass die Lehre aus Wittenberg die Leute „sicher<br />
60<br />
Z für Zukunft
Historisch<br />
und sorglos“ mache: „Die meisten Menschen sind<br />
gegen Lehren, die ihnen strenge sittliche Ordnung<br />
zur Dämpfung ihrer natürlichen Begierden<br />
auferlegen. Aber sie wünschen, als Christen<br />
angesehen werden, und lauschen willig den<br />
Heuchlern, die lehren, dass unsere Gerechtigkeit<br />
allein darin besteht, dass Gott uns für gerecht<br />
hält, auch wenn wir schlechte Menschen sind,<br />
und dass unsere Gerechtigkeit außerhalb von<br />
uns, nicht in uns liegt. Wehe denen, die verkündigen,<br />
dass Menschen sündigen Wandels nicht als<br />
fromm angesehen werden können – die meisten<br />
werden wütend, wenn sie das hören. Am liebsten<br />
hätten sie es, wenn solche Prediger verjagt oder<br />
gar umgebracht würden.“<br />
Dencks Ansichten wurden als furchtbare Irrlehre<br />
abgestempelt, aber er konnte seine Überzeugung<br />
so klar darstellen, dass den Gegnern die<br />
Argumente ausgingen; deshalb wurde er 1525<br />
aufgefordert, Nürnberg noch vor Nacht zu verlassen<br />
und zehn Meilen Abstand zu halten.<br />
Dencks Bekenntnis<br />
Er habe bemerkt, dass sich etwas in ihm gegen<br />
Sünde gewandt und das Verlangen nach Leben<br />
und Seligkeit geweckt habe. Er habe bemerkt,<br />
dass Glauben mehr sei als die bloße Annahme<br />
dessen, was er gehört oder gelesen habe, und<br />
gefunden, dass der Christus der Heiligen Schrift<br />
dem entsprach, was von ihm in seinem eigenen<br />
Herzen offenbart gewesen sei. Er habe festgestellt,<br />
dass er die Schrift nicht durch bloßes äußeres<br />
Lesen verstehen könne, sondern nur, wenn<br />
der Heilige Geist sie seinem Herzen und Gewissen<br />
offenbare.<br />
Denck war einige Zeit in St. Gallen; dann fand<br />
er eine Lehrerstelle in Augsburg. Dort herrschte<br />
Streit zwischen Katholiken und Evangelischen,<br />
dazu zwischen Lutheranern und Zwinglianern<br />
– und ein allgemeiner, schon bedrohlicher Sittenverfall.<br />
Denck empfand Mitleid und sammelte jene<br />
um sich, die im Alltag Jesus nachfolgen wollten; in<br />
Augsburg tat er damit, was er in St. Gallen genau<br />
beobachtet hatte. Der Besuch des einstigen Theologieprofessors<br />
Dr. Balthasar Hubmayr brachte ihn<br />
zu dem Entschluss, sich taufen zu lassen und so<br />
zum „Wiedertäufer“ zu werden; bis 1527 wuchs<br />
deren Zahl in und um Augsburg auf über 1100 an.<br />
Als Verfolgung entstand, besonders gegen<br />
Denck, suchte dieser in Straßburg Zuflucht;<br />
auch dort gab es viele getaufte Gläubige. Wenige<br />
Wochen nach seiner Ankunft musste Denck wieder<br />
den Wanderstab nehmen. In Worms, wo er<br />
eine große Gemeinschaft von Wiedertäufern vorfand,<br />
hielt er sich einige Zeit auf und ließ 1527,<br />
Jahre vor der ersten Lutherbibel, eine Übersetzung<br />
der Propheten drucken – in 3 Jahren erlebte<br />
dieses Werk 13 Auflagen! Angesichts der zunehmenden<br />
Verfolgung hätten manche Täufer gerne<br />
zu den Waffen gegriffen; Denck trat dagegen auf.<br />
Wiedertäufer auf dem Scheiterhaufen<br />
Dr. Hubmayr, der Denck getauft hatte, ging<br />
danach nach Nikolsburg in Mähren, und in kurzer<br />
Zeit ließen sich dort etwa 6000 Leute taufen;<br />
die Zahl der getauften Gemeindeglieder stieg auf<br />
über 15 000.<br />
1527 zwang König Ferdinand die Behörden,<br />
Hubmayr auszuliefern. Einige Monate nach seiner<br />
Ankunft in Wien wurde er zum Scheiterhaufen<br />
geführt. Mit lauter Stimme betete er: „O<br />
mein gnädiger Gott, gib mir Ausharren in meinem<br />
Martyrium! O mein Vater, ich danke dir, dass du<br />
mich heute aus diesem Jammertal hinwegnehmen<br />
willst! O Lamm, Lamm, das die Sünde der Welt<br />
wegnimmt! O mein Gott, in deine Hände befehle<br />
ich meinen Geist!“ Aus den Flammen hörte man<br />
Öffentliche Hinrichtung<br />
von Wiedertäufern in<br />
Münster 1563<br />
Fotos: © Wikipedia<br />
Dr. Balthasar Hubmayr<br />
brachte Hans Denck dazu,<br />
sich taufen zu lassen<br />
Die Lamberti-Körbe zieren<br />
heute noch den Kirchturm<br />
St. Lamberti in Münster.<br />
In ihnen wurden 1536<br />
die Leichname von drei<br />
hingerichteten Anführern<br />
der Wiedertäufer zur Schau<br />
gestellt, nachdem sie vor der<br />
Kirche öffentlich gefoltert<br />
und getötet worden waren<br />
Foto: © Wikipedia, Rüdiger Wölk<br />
Z für Zukunft<br />
61
Historisch<br />
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ihn laut „Jesus, Jesus!“ rufen. Drei Tage später<br />
wurde seine Frau in der Donau ertränkt.<br />
In dieser Zeit starb auch Hans Denck, noch<br />
nicht dreißigjährig. Die vielen Wanderungen und<br />
Entbehrungen hatten seine Gesundheit gebrochen;<br />
bei einem Freund in Basel, dem Reformator<br />
Hüßgen (Oekolampadius), fand er einen sicheren<br />
letzten Aufenthalt. Kurz vor seinem Tod schrieb<br />
Denck: „Was mich so bedrückt: dass mein Streben<br />
so wenig Frucht gebracht hat. Gott weiß, dass mir<br />
keine andere Frucht etwas gilt, als dass viele mit<br />
einem Herzen und in einem Sinn den Vater unseres<br />
Herrn Jesus Christus verherrlichen, ob sie<br />
nun beschnitten sind oder getauft oder keines<br />
von beiden. Ich denke ganz anders als jene, die<br />
das Königreich Gottes zu sehr an Zeremonien<br />
oder die Elemente der Welt binden.“<br />
1600 Jahre im Zeitraffer<br />
Das war nur ein kleiner Einblick in die Zeit bis<br />
Luther; dieser blutrote Faden ist bis heute nicht<br />
abgerissen. – Wo stehen Sie? Heute werden<br />
abweichende Standpunkte nicht mehr geahndet<br />
durch Köpfen, Ertränken oder Verbrennen; man<br />
hat subtilere Formen. Aber es gibt sie immer<br />
noch, die bis in den Tod Getreuen, die wenn nötig<br />
mit ihrem Leben den roten Faden fortsetzen bis<br />
zur „Wiederherstellung aller Dinge“, die durch<br />
den Apostel Petrus angekündigt ist. 10<br />
Eine Rezension mit Auszügen aus „2000 Jahre Gemeinde Jesu<br />
– eine spannende Kirchengeschichte besonderer Art“ von E.H.<br />
Broadbent, CV Dillenburg, ISBN 978-3-86353-362-5 (redaktionell<br />
bearbeitet).<br />
http://shop.agentur-pji.com/2000-jahre-gemeinde-jesu-3.html<br />
1 Edmund Hamer Broadbent (1861–1945) war Missionar und Autor.<br />
Laut John Bjorlie war er ein gut aussehender englischer Gentleman wie<br />
aus dem Bilderbuch; Broadbent fand Wege in Länder, wo andere nur<br />
verschlossene Türen sahen. Er wurde im englischen Lancashire geboren<br />
und arbeitete unter der Schirmherrschaft der Plymouth-Brüder-<br />
Bewegung. Sein Buch „2000 Jahre Gemeinde Jesu“ ist eine Kirchengeschichte<br />
besonderer Art – Päpste sind für ihn nur Randfiguren.<br />
2 Apostelgeschichte 15,36.<br />
3 Galater 2,16.<br />
4 Der Manichäismus (so benannt nach seinem Gründer, dem Perser<br />
Mani, 216–276/277) war eine stark vom Gedankengut der Gnosis<br />
beeinflusste Religion in der Spätantike und im frühen Mittelalter.<br />
Von seinen Anhängern verlangte Mani Askese und das Bemühen um<br />
Reinheit als Voraussetzung für die angestrebte Erlösung.<br />
5 1. Mose 1,31.<br />
6 1. Timotheus 2,4.<br />
7 Die Paulizianer waren christliche „Häretiker“ (ein denunzierender<br />
Sammelbegriff für Christen, die von der offiziellen Lehre abwichen).<br />
Sie traten auf im 7. Jh. im Einzugsbereich der byzantinisch-orthodoxen<br />
sowie der armenisch-apostolischen Kirche. Die Paulizianer lehnten<br />
religiösen Kult, Bilder- und Reliquienverehrung sowie kirchliche<br />
Zeremonien und Hierarchien ab.<br />
8 Die Bogomilen (slawisch: „Gottesfreunde“) waren eine asketisch<br />
lebende Gemeinschaft mit einem dualistischen Lehrsystem. Der Name<br />
der Bewegung ist möglicherweise auf einen bulgarischen Dorfpfarrer<br />
namens Bogomil zurückzuführen („Gottlieb“), vielleicht auch auf den<br />
Gebetsruf Bog milui – „Gott, erbarme dich!“ Die Bewegung der Bogomilen<br />
breitete sich von Bulgarien her im Byzantinischen Kaiserreich aus<br />
sowie in den anderen Balkanländern und in Russland. Dank regem<br />
Austausch durch Kaufleute und Wanderprediger im 12. Jh. kamen sie<br />
mit ähnlichen Gruppen in West- und Mitteleuropa in Kontakt.<br />
9 Georg Burkhardt, später Spalatin (1484–1545), war Humanist, Theologe,<br />
Reformator und Historiker. Er war Beichtvater des Kurfürsten<br />
Friedrichs des Weisen und dessen vertrautester Diener, begleitete ihn<br />
zu fast allen Reichstagen und vermittelte Friedrichs Beziehung zu<br />
Martin Luther fast ausschließlich. Nach der Reichsacht gegen Luther<br />
(Wormser Edikt 1521) veranlasste Georg Spalatin dessen Rettung vor<br />
seinen Verfolgern auf die Wartburg.<br />
10 Apostelgeschichte 3,21.<br />
Man sollte etwas über<br />
den Islam wissen, um sich<br />
eine Meinung zu bilden.<br />
Hier lernen Sie das Wichtigste<br />
kompakt kennen. – Impulse,<br />
wie wir als Christen Muslimen<br />
begegnen können.<br />
Aus dem Inhalt:<br />
Islam in Deutschland?<br />
Angst vor Islamisierung?<br />
Multikulti führt zur<br />
Katastrophe<br />
Dekadenz des Westens ‒ Ursache<br />
für die Ausbreitung des Islams?<br />
Wunsch oder Wirklichkeit:<br />
Toleranter Euro-Islam?<br />
Keine Jungfrauen im Paradies<br />
Deutschland – Erfinder des<br />
politischen Dschihad?<br />
Muslime träumen von Jesus<br />
Frauen im Islam<br />
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62<br />
Z für Zukunft
Historisch<br />
Luther und<br />
„die Türken“<br />
Bild: © Wikipedia<br />
Nach 500 Jahren veraltet oder hochaktuell? Die Zeit Luthers –<br />
der geschichtliche Hintergrund seiner Empfehlungen zu „den Türken“<br />
Die Türken vor Wien<br />
Zeitgenössisches Gemälde<br />
von Frans Geffels, 1683<br />
Will man Luthers Standpunkt zu<br />
den Türken verstehen, sollte<br />
man etwas über ihre Geschichte<br />
wissen. Die Türken hatten<br />
zunächst einen kleinen Staat<br />
gegründet, und zwar in Anatolien in der heutigen<br />
Türkei. 1 Im Jahr 551 armenischer Zeitrechnung,<br />
um 1103 n. Chr., richteten sie unter der christlichen<br />
Bevölkerung ein Blutbad an – sie überfielen<br />
den Distrikt von Baghin in Armenia und plünderten<br />
ihn. Von dort zogen sie in angrenzende Distrikte,<br />
wo sie ebenfalls die Christen umbrachten.<br />
Als die Türken später in den Ländern Syrien<br />
und Palästina herrschten, überhäuften sie Christen,<br />
die zum Beten nach Jerusalem kamen, mit<br />
Beleidigungen, schlugen sie, raubten sie aus und<br />
erhoben Kopfsteuer am Stadttor, auf Golgatha<br />
und am Heiligen Grab. „Darüber hinaus zerbrachen<br />
sie sich jedes Mal den Kopf, wenn sie eine<br />
Karawane von Christen sahen, besonders solcher<br />
aus Rom und den Ländern Italiens, wie sie diese<br />
auf verschiedene Art und Weise umbringen könnten.“<br />
2 1453 überwältigten osmanische Elitesoldaten<br />
mit Kanonen nach zweimonatiger Belagerung<br />
die Stadt Konstantinopel, was in einem schrecklichen<br />
Blutbad mündete. Das tausend Jahre alte<br />
europäische Römisch-Byzantinische Reich wurde<br />
so vom Osmanischen Reich annektiert. Von da an<br />
regierten die Türken von Konstantinopel aus, dem<br />
heutigen Istanbul.<br />
Zu Lebzeiten Luthers (1483–1546) hatte das<br />
türkische Osmanenreich (1301–1921) also einen<br />
Höhepunkt gewaltsamer Islamisierung andersgläubiger<br />
Gebiete; bald konnte es seinen Einfluss<br />
auf den größten Teil der islamischen Welt ausdehnen<br />
und durch blutige Expansionskriege weit ins<br />
christliche Europa eindringen. Das Reich, das im<br />
Osten so große Erfolge errungen hatte, wollte<br />
nun auch Mittel- und Westeuropa erobern.<br />
Auch in dem auf Toleranz ausgerichteten Impulspapier<br />
der EKD-„Konferenz für Islamfragen“ zum<br />
500. Jahrestag mit dem Titel „Reformation und<br />
Islam“ 3 heißt es: „Zur Zeit Luthers sah Europa<br />
sich militärisch und politisch vom expandierenden<br />
Osmanischen Reich bedrängt. Konstantinopel<br />
war 1453 gefallen. Seither waren‚ die Türken‘, wie<br />
Mit einem<br />
schrecklichen<br />
Blutbad wurde<br />
1453 die Stadt<br />
Konstantinopel<br />
von den<br />
Osmanen<br />
eingenommen;<br />
das war das<br />
Ende des<br />
Römisch-<br />
Byzantinischen<br />
Reiches<br />
Z für Zukunft<br />
63
Historisch<br />
Bild: © Wikipedia<br />
Luther<br />
kritisiert den<br />
fleischlichen<br />
Charakter der<br />
Seligkeit der<br />
Muslime im<br />
Paradies<br />
Persische Miniaturmalerei<br />
aus dem 16. Jahrhundert:<br />
Mohammed im Himmel<br />
man zur Zeit der Reformation meist sagte, auf dem<br />
Vormarsch nach Nordwesten. Man nahm sie wahr<br />
als die Anderen und Fremden, als die bedrohliche<br />
Macht aus dem Südosten. […] Die Muslime nannte<br />
man vor allem ‚Türken‘, ‚Sarazenen‘ … oder schlicht<br />
‚Heiden‘. ‚Türckischer Glaub‘, das hieß seinerzeit<br />
vor allem anderen: ‚Türkengefahr‘. Der osmanische<br />
Sultan Suleiman hatte im Jahr 1521 Belgrad erobert,<br />
1526 fiel das ungarische Mohács.“<br />
Als 1529 „die Türken“ vor Wien standen und<br />
dessen Bürger in größter Lebensgefahr waren,<br />
arbeitete Luther an den Hauptschriften „widder<br />
den Tuercken“. Würde auch Wien bald fallen?<br />
Würden „die Türken“ dann ganz Mitteleuropa<br />
grausam erobern?<br />
Luther und „die Türken“:<br />
12 Empfehlungen an Christen<br />
Die „Heerpredigt widder den Tuercken“ 4 empfiehlt<br />
allen Christen dringlichst, [1.] das Vaterunser,<br />
[2.] die Zehn Gebote und [3.] das evangelische<br />
Glaubensbekenntnis auswendig zu lernen<br />
und im Alltag immer wieder leise aufzusagen,<br />
insbesondere „wo du etwa wirst ein Turckisch<br />
ergernis sehen odder anfechtung haben“. Der<br />
wichtigste Glaubensartikel lautet nach Luther:<br />
„[Ich glaube] an Jhesum Christ seinen [Gottes]<br />
einigen Son unsern Herrn, der empfangen ist<br />
vom heiligen geist, geborn von der iungfrawen<br />
Maria, gelitten hat unter Pontio Pilato, gecreutzigt,<br />
gestorben und begraben, Nidder gefaren<br />
zur hellen, Am dritten tag aufferstanden von den<br />
todten, auffgefaren gen hymel, sitzend zur rechten<br />
Gottes des allmechtigen Vaters, von dannen<br />
er komen wird zu richten die lebendigen und die<br />
todten. [...] Denn an dem artickel ligt dein leben<br />
und seligkeit.“ 5 Damit der „gemeine Mann“ und<br />
seine Kinder [4.] wissen und verstehen, was es<br />
heißt, ein Christ zu sein, schrieb Luther in diesem<br />
Jahr den Kleinen Katechismus.<br />
Laut Luther war der Islam „Gottes Rute“ für<br />
eine von Gott abgefallene, „verlotterte“ Christenheit.<br />
Gott wolle durch „des Teufels Diener“, der als<br />
Gericht auf die Christen losgelassen sei, vor allem<br />
die Papstkirche strafen, die sich dem rechten<br />
Evangelium verweigere. Deshalb lehnte er einen<br />
Kreuzzug gegen die durch eigene Sünde verursachte<br />
Invasion der Türken ab. Vielmehr sei es<br />
Aufgabe der Christen, „… [5.] Buße zu tun, [6.] zu<br />
beten und [7.] sich auf das wahre Evangelium zu<br />
besinnen“ – nur so könne der Türkengefahr begegnet<br />
werden. Für einen [8.] militärischen Überlebens-<br />
und Abwehrkampf ohne Gebietserweiterung<br />
schreibt er aber später – vor dem Hintergrund<br />
möglicher eigener Vernichtung –, der christliche<br />
Soldat sollte, sofern ihn die „Obrigkeit“ rufe, als<br />
Verteidiger gegen den todbringenden Eindringling<br />
„die Faust regen und getrost dreinschlagen,<br />
morden, rauben und Schaden tun, so viel sie<br />
immer vermögen“. 6 „Denn er [der Tuercke] streit<br />
nicht aus not odder sein land ym fride zu schutzen,<br />
als ein ordenlich Obirkeit thut, sondern er suecht<br />
ander land zu rauben und zubeschedigen, die yhm<br />
doch nichts thun odder gethan haben, wie ein<br />
meer reuber odder strassen reuber.“ 7<br />
Im Frühjahr 1542 las Luther einen lateinischen<br />
Koran und beschloss [9a.], ihn ins Deutsche zu<br />
übersetzen, „Das doch bey uns deudschen auch<br />
erkand werde, wie ein schendlicher Glaube des<br />
Mahmets Glaube ist, Da mit wir gesterckt werden<br />
in unserm Christlichen Glauben“. 8 Die Übersetzung<br />
seines Freundes Bibliander durfte aber<br />
nicht gedruckt werden, denn die Baseler Stadtväter<br />
fürchteten mögliche Verführung durch den<br />
Koran. Erst nachdem Luther dazu ein [9b.] Vorwort<br />
mit Widerlegungen des Korans geschrieben<br />
hatte, durfte das Werk erscheinen. Zudem editierte<br />
Luther [10.] die „Widerlegung des Koran“<br />
des Ricoldus (um 1243–1320) und übertrug sie<br />
64<br />
Z für Zukunft
Historisch<br />
ins Deutsche. „Im Koran möge vieles nach christlicher<br />
Lehre klingen, aber es fehle alles, was wichtig<br />
sei, oder es werde grotesk verzerrt: die Lehre von<br />
Christus, dem Sohn Gottes, von der Trinität, von<br />
der Sünde, vom Kreuz, von der Auferstehung, von<br />
der Vergebung allein aus Gnade.“ 9 Markant ist das<br />
Fehlen von Beglaubigungswundern der Sendung<br />
des Propheten Muhammad und der fleischliche<br />
Charakter der Seligkeit der Muslime im Paradies.<br />
All das zeige, wie falsch die islamische Offenbarung<br />
sei. Der Koran habe keine Bestätigung durch das<br />
Alte und Neue Testament, in ihm seien wahre und<br />
falsche Aussagen vermischt. 10 „Er sei ein ‚Moerdisch,<br />
Tyrannisch und wuetig‘ Gesetz, das ‚nicht<br />
Gottes Gesetz sein kann […], Denn es ist kurtz zu<br />
reden ein Gesetz des todes und wuetens‘.“ 11<br />
Luthers Brief nach Basel zeigt, dass einige Elemente<br />
im Islam ihn beeindruckten: der strenge<br />
Monotheismus, das Leben ihrer „‚Priester‘, ohne<br />
Wein und Saufen und Fressen, die Disziplin und<br />
Stille des Gebets, samt Geschlechtertrennung<br />
[und] ordentlicher Kleidung der Frauen.“ 12 Doch<br />
das, so Luther, sei alles nur [11] „äußerlich, ein<br />
Blendwerk, vor dessen Wirkung sich der Christ in<br />
Acht zu nehmen habe. In der Sache und im Kern<br />
sei der Islam falsch, die ‚Türken‘ ehrten ‚den teuffel<br />
an Gottes stat‘.“ 13<br />
Luther hatte in seinen jungen Jahren noch die<br />
Hoffnung gehabt, einige [12] Türken zum christlichen,<br />
evangelischen Glauben zu bringen, was er<br />
später aufgab, „denn sie sind ‚so hart verstockt,<br />
dass sie fast alle unsere Glaubensartikel spotten<br />
und höhnisch verlachen‘.“ 14<br />
Wenn Luther heute „die Türken“<br />
beobachten würde …<br />
… er hätte hunderttausende Muslime über die Türkei<br />
nach Europa und vor allem nach Deutschland<br />
strömen sehen. Von den USA angeführte Kriege<br />
in aller Welt, mangelhafte Hilfe in kriegsnahen<br />
Flüchtlingslagern, die Weigerung reicher muslimischer<br />
Golfländer, Flüchtlinge aufzunehmen, der<br />
Wunsch vieler Menschen nach hohem Komfort,<br />
Lockrufe der deutschen Regierung und krimineller<br />
Schlepperbanden ins verheißene Paradies, Aufrufe<br />
des „Islamischen Staates“ zum totalen Krieg<br />
in Europa 15 – all das verfehlt seine Wirkung nicht.<br />
Mehr Islam in Europa sowie Entvölkerung und<br />
verstärkte Verelendung der Herkunftsregionen<br />
sind die Folge.<br />
Luther wäre entsetzt, dass gerade Deutschland<br />
und die EU dem islamistischen, Völkermord leugnenden,<br />
Kurden unterdrückenden, Folter begünstigenden,<br />
die Meinungsfreiheit mit Füßen tretenden<br />
Präsidenten und Neu-Sultan Recep Tayyip Erdoğan<br />
eine neue Schlüsselrolle und Macht geben. Gewaltige<br />
Geldsummen (6000 x 1 Mio. Euro) sollen fließen,<br />
wenn die Türkei vorübergehend Notunterbringung,<br />
Auswahl und Zuordnung von Menschenströmen<br />
nach Deutschland und Europa übernimmt – wohlgemerkt:<br />
ohne wirkliche Nachweispflicht aufseiten<br />
der Türkei. Türkische Politik wird so die Entwicklung<br />
deutscher Regionen mitbestimmen.<br />
Würde Luther verstehen, dass die Ditib, der<br />
deutsche Arm des türkischen Religionsministeriums,<br />
seine Imame als bezahlte türkische Staatsbeamte<br />
in knapp tausend deutsche Moscheen<br />
sendet? 16 Das Religionsministerium hat in Ankara<br />
mehr Mitarbeiter als das dortige Innen- und das<br />
Außenministerium. Es bringt türkische Politik in<br />
deutsche Moscheen und fordert Islamunterricht<br />
in Deutschland, um auch in den Schulen Einfluss<br />
zu bekommen. Manche Bundesländer wollen<br />
Staatsverträge schließen!<br />
Wie schon Luther bekannt, sind Nationalgefühl<br />
und Nationalismus im Türkischen eng verknüpft<br />
mit der islamischen Identität. 17 Regierungschef<br />
Recep Tayyip Erdoğan zitierte in einer politischen<br />
Rede – damals noch als Oberbürgermeister von<br />
Istanbul – 1997 in der Stadt Siirt: „Die Moscheen<br />
sind unsere Baracken, die Minarette unsere Bajonette,<br />
die Kuppeln unsere Helme, die Gläubigen<br />
unsere Soldaten.“ Diese im Balkankrieg 1913<br />
veröffentlichten gotteskriegerischen Verse aus<br />
dem Gedicht „Asker Duasi“ (Gebet eines Soldaten)<br />
stammen von Ziya Gökalp (1876–1924),<br />
dem Chefideologen der Partei „Einheit und Fortschritt“,<br />
die den Völkermord an den Armeniern,<br />
aramäischsprachigen Christen und kleinasiatischen<br />
Griechen auf dem Gewissen hat, eben den<br />
Völkermord, den Erdoğan bis heute leugnet und<br />
Fotos: © Wikipedia<br />
Für Luther war der Koran ein<br />
„Moerdisch, Tyrannisch und<br />
wuetig“ Gesetz, das nicht<br />
Gottes Gesetz sein kann<br />
Regierungschef Recep Tayyip<br />
Erdoğan ist bekannt für<br />
markige Sprüche<br />
Völkermord an Albanern.<br />
Offizielles russisches Foto,<br />
herausgeber von Droschks<br />
unter Kommandant Bikoff<br />
Einige Elemente<br />
im Islam beeindruckten<br />
Luther<br />
aber auch: Das<br />
Leben ihrer<br />
‚Priester‘, ohne<br />
Wein und Saufen<br />
und Fressen. Im<br />
Gegensatz zu seinen<br />
Kollegen<br />
Z für Zukunft<br />
65
Historisch<br />
Sultan Selim I. der Grausame<br />
(1470–1520). Als erster<br />
osmanischer Herrscher führte<br />
er den Titel des Kalifen und war<br />
Hüter der heiligen Stätten.<br />
Oben: Yavuz-Sultan-Selim-Brücke.<br />
2164 m Länge, 322 m hoch.<br />
Foto: © Wikipedia, U.S. Naval<br />
Forces Europe-Africa<br />
von dem auch bei uns nur wenig bekannt ist.<br />
1988 wurde die zweite Bosporus-Brücke nach<br />
Sultan Mehmet Fatih benannt, dem grausamen<br />
Eroberer Konstantinopels. 2013 wurde am 660.<br />
Jahrestag jener Eroberung der Grundstein zur<br />
dritten Bosporus-Brücke gelegt. Benannt wird<br />
sie nach Sultan Selim I., der in Luthers Zeit von<br />
1512 bis 1520 das Osmanische Reich regierte.<br />
Seinen Beinamen Yavuz, „der Grausame“, verdankt<br />
er dem gnadenlosen Vorgehen gegen seine<br />
Gegner – kein Herrscher hat so viele liberale Aleviten<br />
abschlachten lassen wie er. 18 Unter dem<br />
Neusultan unserer Tage, der für seinen Sohn das<br />
Kalifat muslimischer Weltherrschaft vorbereiten<br />
will, wird die Hagia Sophia in Istanbul Schritt für<br />
Schritt wieder zur Moschee: 19 Erstmals seit 85<br />
Jahren hat 2016 ein Imam vom Inneren des riesigen<br />
Allah-Hauses zum Morgengebet aufgerufen,<br />
live übertragen vom türkischen Staatsfernsehen.<br />
Luther würde die Wahlrede Erdoğans 2015<br />
anlässlich des 562. Jahrestags der Eroberung<br />
Konstantinopels ernst nehmen: „Eroberung heißt<br />
Mekka. Eroberung heißt Sultan Saladin, heißt, in<br />
Jerusalem wieder die Fahne des Islams wehen zu<br />
lassen.“ Eroberung bedeutet, „das Erbe Sultan<br />
Fatih Mehmeds zu wahren“. „Eroberung bedeutet,<br />
die Türkei wieder auf die Beine zu bringen. Eroberung<br />
ist 1994 (Wahl Erdoğans zum Oberbürgermeister<br />
von Istanbul). Eroberung ist der 7. Juni<br />
(Wiederwahl seiner Partei und Person)“ 20 – und<br />
etwas später: „Alle, die behaupten, Jerusalem sei<br />
die heilige Stadt der Juden, sollen sich noch einmal<br />
dafür schämen. Sie sollen sich schämen! Wir<br />
haben den Namen Saladin gewählt, um mit Gottes<br />
Hilfe diese Botschaft zu senden: Jerusalem gehört<br />
für immer den Kurden, den Türken, den Arabern,<br />
den Muslimen!“ ‒ „Ihr seid die Generation, die<br />
Damaskus und Jerusalem erobern wird“, hatte<br />
ein Einpeitscher vor Beginn der Menge zugerufen.<br />
Nach Angaben von GFP 21 hat die Türkei<br />
inzwischen die weltweit achtstärkste Armee aufgebaut<br />
(2017 das stärkste muslimische Heer der<br />
Welt). Sie hat 382 850 aktive Soldaten! Deutschland<br />
liegt mit nur 180 000 aktiven Soldaten auf<br />
Rang neun.<br />
„Die Demokratie ist nur der Zug, auf den<br />
wir aufspringen, bis wir am Ziel sind“, 22 hatte<br />
Erdoğan zu Beginn seiner Karriere gesagt. Er<br />
ist gut vorangekommen. „Human Rights Watch“<br />
bestätigt, dass Ankara den Behörden im Ausnahmezustand<br />
einen „Blankoscheck“ 23 für Folter<br />
gegeben habe. Hört man einen 2016 in Istanbul<br />
gefolterten Insassen, dann ist das Mittelalter in<br />
die Türkei zurückgekehrt: „Sie drohten mir, während<br />
sie meine Sexualorgane quetschten, und<br />
schlugen mich auf widerwärtige Weise. Einer<br />
sagte: ‚Ich habe deine Mutter hierhergebracht<br />
und vergewaltige sie vor dir, wenn du nicht<br />
redest.‘“ Aus der Erdoğan-Hochburg Deutschland<br />
erhielt dieser 2017 63 % der Stimmen deutscher<br />
Türken zu Veränderungen hin zu einem noch diktatorischeren,<br />
islamistischen Regime – bald soll<br />
visafreier Zugang nach Deutschland gewährt<br />
werden. Luther würde den „deutschen Fürsten“<br />
persönlich gegenübertreten und ihnen gewaltig<br />
ins Gewissen reden. Doch wie sollen wir „normalen“<br />
Christen uns verhalten?<br />
66<br />
Z für Zukunft
Historisch<br />
Luther und „die Türken“:<br />
Übereinstimmungen und Ergänzungen<br />
aus heutiger Sicht<br />
Zunächst kann es für Christen nur gut sein, nach<br />
Luther [1.] das Vaterunser, [2.] die Zehn Gebote und<br />
[3.] das apostolische Glaubensbekenntnis auswendig<br />
zu lernen und im Alltag zur Glaubensstärkung<br />
wie Josua sich immer wieder leise vorzusagen. 24<br />
[4.] Die Aneignung eines Kleinen Katechismus<br />
reformatorischen Bekenntnisses z. B. durch Glaubensgrundkurse<br />
ist absolut sinnvoll. Ebenso, ihn<br />
den Kindern weiterzugeben, statt sich auf den<br />
bibelkritischen Religionsunterricht der Schulen<br />
zu verlassen.<br />
Luther sah den Islam als „Gottes Rute“ für eine<br />
von Gott abgefallene Christenheit. Seine Sicht<br />
des Islams als „des Teufels Diener“ führt in die<br />
Betrachtung des Paulusworts: „Seid stark in dem<br />
Herrn [Jesus] und in der Macht seiner Stärke.<br />
Zieht an die Waffenrüstung Gottes, damit ihr<br />
bestehen könnt gegen die listigen Anschläge des<br />
Teufels. Denn wir haben nicht mit Fleisch und Blut<br />
zu kämpfen, sondern mit Mächtigen und Gewaltigen,<br />
nämlich mit den Herren der Welt, die in dieser<br />
Finsternis herrschen, mit den bösen Geistern unter<br />
dem Himmel.“ 25 Unsere Feinde sind zuerst finstere<br />
Mächte, die durch unsere Sünden Macht gegen<br />
uns erlangen, und nicht Menschen aus Fleisch und<br />
Blut. So können wir mit Luther sagen, dass wir als<br />
Christen auf eventuelle muslimische Bedrohungen<br />
nicht reagieren durch die Teilnahme an Expansionskriegen<br />
außerhalb der deutschen Grenzen,<br />
sondern dass es wichtig ist, [5.] tiefe Buße zu tun<br />
über den Abfall von Gott und seinem Wort im eigenen<br />
Leben, in Gemeinde und Gesellschaft, [6.] zu<br />
beten auch für die Obrigkeit 26 und [7.] sich auf das<br />
wahre Evangelium zu besinnen. So kann der Islamisierung<br />
ernsthaft begegnet werden.<br />
[8.] Bei militärischen Abwehrkämpfen gegen<br />
islamistische Staaten oder Terrorakte in Deutschland<br />
und Europa muss uns das von Gottes Wort<br />
geprägte Gewissen leiten: „Liebe Gott von ganzem<br />
Herzen und deinen Nächsten wie dich selbst“ –<br />
hierin ist ganz sicher auch ein Schutzauftrag des<br />
Lebens eingebettet. Der Überlebenskampf wird<br />
sich bei Fortsetzung der Einwanderung, insbesondere<br />
ohne sichere Identitätsprüfung und bei<br />
lapidarem Strafmaß in voller Dramatik abspielen.<br />
Bei Gefahr kann der Staat als „Obrigkeit“ in den<br />
bewaffneten Kampf rufen – bei freier Zustimmung<br />
des Bürgers mit gutem Gewissen. Der Christ, ob<br />
als Soldat, Polizist oder Bürger, soll sich in alledem<br />
angemessen verhalten und sich Jesu Christi<br />
würdig erweisen. Er ist an die Bibel, an Gewissen,<br />
Recht und Gesetz gebunden. Hier könnte die<br />
mittelalterliche Ausdrucksweise Luthers missverstanden<br />
werden im Sinne von „gleicher Reaktion<br />
auf brutale Aktionen des Feindes“. Aber Christen<br />
dürfen sich nie auf das Niveau religiös-fanatischer<br />
Verbrecher begeben. Die Feindes-Retterliebe<br />
Christi und das Gedenken an Hitlers<br />
Schreckensjahre müssen uns hiervor bewahren.<br />
[9.] Unverfälschte Übersetzungen des Korans,<br />
denen biblische Widerlegungen seiner vielen<br />
antichristlichen Aussagen beigegeben sind, sollten<br />
Teil des Lehrdienstes werden, samt Hilfen,<br />
um Muslimen den Weg der Rettung allein in Jesus<br />
Christus zu zeigen. Das trifft natürlich auch zu<br />
auf [10.] umfassendere Auslegungen des Korans<br />
samt Widerlegungen und biblisch begründete<br />
Kommentare zum Leben Mohammeds.<br />
[11.] Die Retterliebe des Herrn Jesus gebietet,<br />
jedem Menschen einschließlich aller Muslime als<br />
Geschöpfen Gottes in Offenheit zu begegnen. Es<br />
ist aber auch der Hinweis Luthers richtig, sich<br />
nicht von äußerlichen Formen, Kleidung, Menge<br />
der Menschen, anderem „Blendwerk“, Manipulation,<br />
Verharmlosung oder Druck und Gewalt<br />
beeindrucken zu lassen. Das Heil, die ewige Rettung<br />
liegt allein in Jesus Christus, dem sündlosen<br />
Sohn Gottes, der am Kreuz auf Golgatha stellvertretend<br />
für die Sünder sein Blut und Leben<br />
opferte, für sie in den Tod ging und für sie von den<br />
Toten auferstand. Jeder, der dieses Opfer für sich<br />
persönlich in Anspruch nimmt, Buße tut und als<br />
Jünger des Herrn Jesus an ihn glaubt, wird nicht<br />
verloren gehen, sondern das ewige Leben haben.<br />
[12.] Wir geben nicht wie Luther die Hoffnung<br />
auf, Türken und andere Muslime in Retterliebe<br />
zum christlichen evangelischen Glauben zu<br />
führen, auch wenn das viel Geduld und Langmut<br />
erfordert. Wir haben den evangelistischen Auftrag<br />
Luther sah den<br />
Islam als „Gottes<br />
Rute“ für eine von<br />
Gott abgefallene<br />
Christenheit.<br />
Er empfahl, „tiefe<br />
Buße zu tun über<br />
die Abkehr von<br />
Gottes Wort im<br />
eigenen Leben,<br />
in Gemeinde und<br />
Gesellschaft“<br />
Z für Zukunft<br />
67
Historisch<br />
Wir sind herausgefordert,<br />
auch<br />
entgegen dem<br />
Mainstream, für<br />
verfolgte Christen<br />
in der muslimischen<br />
Welt und<br />
im eigenen Land<br />
öffentlich<br />
einzutreten<br />
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in Deutschland und den missionarischen Auftrag<br />
für alle muslimischen Völker bis an die Enden der<br />
Erde! In den letzten 25 Jahren haben sich mehr<br />
Muslime dafür entschieden, Jesus nachzufolgen,<br />
als in den gesamten 14 Jahrhunderten davor.<br />
[13.] Der prophetische Auftrag verlangt öffentliches<br />
Eintreten, auch entgegen dem Mainstream:<br />
für verfolgte Christen in der muslimischen Welt<br />
und dem eigenen Land, das Warnen vor Wegen,<br />
die in unserem Land den Frieden, freie Religionsausübung<br />
und freien Religionswechsel zunehmend<br />
gefährden, das Aufzeigen realer Gefahren und ihrer<br />
Ursachen in Islam, Islamisierung, Terrorismus und<br />
muslimischen Großreichen wie dem Osmanischen.<br />
[14.] Der uns anbefohlene Hirtendienst samt<br />
Diakonie öffnet die Türen zur Hilfestellung für<br />
alle notleidenden, kranken, verführten oder armen<br />
Menschen. Er betrifft natürlich auch die neuen Einwanderer.<br />
Der soziale christliche Liebesdienst verbunden<br />
mit dem Wort Gottes ist gleichzeitig Ausdruck<br />
von Barmherzigkeit und Retterliebe. Möge<br />
noch vielen Muslimen nach dem Maß unserer Kraft<br />
geholfen werden zur Rettung für ihre Seelen und<br />
zum Aufbau ihres Lebens nach dem Willen Gottes.<br />
Martin Luther hat uns „zu den Türken“<br />
noch heute sehr viel Wichtiges zu<br />
sagen. Seinem Konzept sind<br />
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► Gender-Ideologie<br />
Nr. 15/16,<br />
164 S. Best.-Nr: 453.104.015<br />
► Postfaktisch –<br />
Meinungsbildung<br />
Nr. 17/18, 120 S.<br />
Best.-Nr: 453.104.017<br />
je ¤ 7,95<br />
ab 5 Expl. je Nr. 7,50<br />
ab 10 Expl. je Nr. 6,95<br />
ab 20 Expl. je Nr. 6,50<br />
neben den genannten Korrekturen vor allem<br />
Evangelisation, Mission und Liebesdienste hinzuzufügen.<br />
Eine Reformation heute kann alle 14<br />
Elemente in das Glaubens- und Gemeindeleben<br />
integrieren. Packen wir es an!<br />
(redaktionell bearbeitet, Hervorhebungen hinzugefügt)<br />
1 Maurer, Andreas. Basiswissen Islam, „Das Osmanenreich“. Holzgerlingen:<br />
SCM Hänssler 2008, S. 40–41.<br />
2 Yeór, Bat. Der Niedergang des orientalischen Christentums unter<br />
dem Islam. Gräfelfing: Resch, 2. Auflage 2005, S. 316.<br />
3 Geschäftsführender Ausschuss der Konferenz für Islamfragen der<br />
EKD. Impulspapier Reformation und Islam 2015, S. 7, 11.<br />
4 Ebenda, S. 12.<br />
5 Ebenda.<br />
6 Ihle, Marc P. „Luthers Türkenschriften“, http://www.blauenarzisse.de<br />
(Stand 25.10.2016).<br />
7 Impulspapier, S. 13.<br />
8 Ebenda.<br />
9 Ebenda, S. 15.<br />
10 Paulus, Christiane. Islam und Reformation – Martin Luther im muslimischen<br />
Diskurs. Herausgeber © Museum der Weltkulturen, Frankfurt<br />
a. M. 2008.<br />
11 Impulspapier, S. 15.<br />
12 Ebenda, S. 14.<br />
13 Ebenda.<br />
14 Paulus, 2008.<br />
15 Diehl, Jörg, in „Spiegel Online“: „Sicherheitslage – Zahl der Hinweise<br />
auf mutmaßliche Terroristen unter Flüchtlingen steigt“ (10.02.2016).<br />
Flückiger, Jan, in der NZZ: „Internationaler Terrorismus – Der IS nutzt<br />
Flüchtlingsströme gezielt“ (05.08.2016).<br />
16 Dittrich, Monika; Pick, Ulrich, im Deutschlandfunk: „Die Kritik an<br />
Ditib ist berechtigt“ (04.08.2016).<br />
17 Internationale Gesellschaft für Menschenrechte. Wer in der Türkei<br />
Christ ist, zahlt einen Preis dafür – Auf dem Weg nach Europa: Eine<br />
Schlussfolgerung. IGFM 2007.<br />
18 Hermann, Rainer, in der FAZ: „Istanbul – Brooklyn Bridge über den<br />
Bosporus“ (26.08.2016).<br />
19 Bernath, Markus, in „Der Tagesspiegel“: „Erdogan und die zweite<br />
Eroberung Konstantinopels“ (03.07.2016).<br />
20 Yücel, Denis, in „Die Welt“: „Erdogan schwärmt von der Eroberung<br />
Jerusalems“ (16.10.2015).<br />
21 „Global Fire Power – Countries Ranked by Military Strength“<br />
(17.08.2017).<br />
22 Yücel, Denis, in „Die Welt“: „Erdogan – der Kalif, der aus der Volksneurose<br />
kam“ (03.04.2016).<br />
23 kgp in „Der Stern“: „Nach dem Putsch – Menschenrechtler: Ankara<br />
gibt ‚Blankoscheck‘ für Folter“ (26.10.2016).<br />
24 Josua 1,9.<br />
25 Epheser 6,10–12.<br />
26 1. Timotheus 2,2.<br />
Z 17/18 »Postfaktisch«<br />
Wie ist das mit der Wahrheit, wo kommen Fakten her?<br />
Diese »Z« lässt hier ein Licht aufgehen!<br />
• Was macht Globalisierung mit uns? •<br />
Ernten wir, was wir einst gesät? • Lüge<br />
regiert die Welt • Attraktive Geisterbeschwörer<br />
– lächerliche Christen?<br />
QR zur Leseprobe<br />
68<br />
Z für Zukunft
Historisch<br />
Kommen Reformatoren<br />
in den Himmel?<br />
Bild: © Wikipedia, Genter Altar<br />
In einer Trilogie beschreibt Rick Joyner prophetische Visionen, die ihn mit dem Geschehen<br />
im himmlischen Bereich in Berührung gebracht haben. Dabei begegneten ihm<br />
bedeutende Persönlichkeiten der Kirchengeschichte, darunter auch ein Reformator.<br />
Erstaunlicherweise befand sich dieser im äußersten Bereich, bei den „Geringsten“.<br />
Was ist von solchen Visionen<br />
zu halten? Sind das Träume,<br />
Ergebnis blühender Fantasie?<br />
Rick Joyner antwortet auf die<br />
Frage, wie er diese empfangen<br />
hat: „Da Gott immer noch derselbe ist, spricht er<br />
zu Menschen auch heute wie in biblischen Zeiten.<br />
Das können wir die ganze Kirchengeschichte hindurch<br />
verfolgen. Am Ende eines Zeitabschnittes<br />
verdichtet sich die Intensität von Visionen und<br />
Prophetien, wie Petrus in seiner Pfingstpredigt<br />
erklärt. Ganz offensichtlich nähern wir uns dem<br />
Ende eines Zeitalters.“<br />
Es gibt viele Ebenen prophetischer Erfahrungen:<br />
bildhafte Eindrücke, bewusste Wahrnehmung<br />
der Gegenwart Gottes, Visionen und<br />
Träume. Die Visionen, die Rick Joyner hier<br />
beschreibt, begannen mit einem Traum. „Aber<br />
ich blieb immer handlungsfähig und nahm meine<br />
Umgebung bewusst wahr. Ich konnte zum Beispiel<br />
Anrufe entgegennehmen. Wurde eine Vision<br />
dadurch unterbrochen, konnte ich sie danach<br />
genau an dem Punkt fortsetzen, wo sie aufgehört<br />
hatte. Dabei machte ich Erfahrungen, die<br />
ich als eine starke Form der Gabe der Unterscheidung<br />
und des Wortes der Erkenntnis bezeichnen<br />
möchte“, erklärt Rick Joyner.<br />
Foto: © Morningstar Ministries<br />
Z für Zukunft<br />
69
Historisch<br />
Zwischen sieben Leuchtern<br />
steht eine Gestalt mit langem<br />
Gewand, feurigen Augen, sieben<br />
Sternen in der Rechten und<br />
einem Schwert aus dem Mund<br />
Holzschnitt zur Offenbarung<br />
in der „Biblia“ 1545<br />
Solche<br />
Prophetien<br />
werden gegeben,<br />
um Gottes<br />
Strategien zu<br />
erkennen,<br />
aber auch, um<br />
Aussagen der<br />
Bibel klarer zu<br />
beleuchten<br />
Rick Joyner,<br />
„Der letzte Aufbruch“<br />
Buch bestellen<br />
Er betont ausdrücklich:<br />
„Ich glaube nicht, dass<br />
irgend eine Form prophetischer<br />
Offenbarung dazu<br />
dienen soll, daraus eine<br />
Theologie zu entwickeln.<br />
Dafür haben wir die Heilige<br />
Schrift. Solche Prophetien<br />
werden gegeben, um eine<br />
gegenwärtige oder zukünftige<br />
Strategie Gottes zu erkennen, aber auch, um<br />
Aussagen der Bibel klarer zu beleuchten.“<br />
Ein kurzer Einblick<br />
in diese Vison:<br />
Bei den „törichten Jungfrauen“<br />
Bald mündete der Weg in eine Halle, die so groß<br />
war, dass ich dachte, auf der ganzen Erde sei kein<br />
Platz für sie. Ihre Schönheit war mit Begriffen<br />
menschlicher Architektur nicht zu erfassen. Sie<br />
übertraf alles, was ich je erlebt hatte. Am anderen<br />
Ende war die Quelle der Herrlichkeit, die alles in<br />
diesem Raum überstrahlte: der Richterstuhl Christi,<br />
Ursprung größter Geborgenheit und zugleich<br />
Quelle einer tieferen, aber reineren Furcht.<br />
Ich bemerkte, dass meine Gedanken hier<br />
bedauerlicherweise genauso dumm waren wie auf<br />
der Erde – nur: Hier konnte jeder sie lesen! Einer<br />
antwortete auf meine Gedanken: „Unser Verstand<br />
ist nicht mehr länger von Sünde getrübt, deshalb<br />
sind wir fähig, ein Vielfaches von dem zu begreifen,<br />
was selbst der größte Denker auf Erden nicht<br />
ergründen kann. Unsere Fähigkeit, zu verstehen,<br />
wird die ganze Ewigkeit hindurch zunehmen. Auf<br />
der Erde kannst du nicht ansatzweise verstehen,<br />
was der Geringste hier weiß – und wir sind die<br />
Geringsten von allen hier!“<br />
„Wie könnt ihr die Geringsten sein? Bei dieser<br />
Herrlichkeit?“, fragte ich ungläubig.<br />
„Der Lohn für unser irdisches Leben ist unsere<br />
Stellung, die wir hier für immer einnehmen. Wir<br />
hier sind diejenigen, die Jesus als die ‚törichten<br />
Jungfrauen‘ bezeichnete. Wir haben zwar das<br />
Kreuz als das Mittel unserer Erlösung gewählt,<br />
aber nicht für Christus gelebt, sondern für uns<br />
selbst. Es gibt keine größere Torheit, als die Erlösung<br />
Gottes zu kennen und doch weiter für sich<br />
selbst zu leben.“<br />
Ich fing an, über all die Zeit nachzudenken,<br />
die ich in meinem Leben vergeudet hatte. Das<br />
überwältigte mich. Bestimmte Dinge des Lebens<br />
zogen an mir vorüber, und ich empfand schrecklichen<br />
Schmerz über verschiedene Sünden. „Auch<br />
ich gehöre zu diesen törichten Jungfrauen“,<br />
dachte ich.<br />
Ich erkannte einige, die als die größten geistlichen<br />
Leiter ihrer Zeit gelten; sie waren hier unter<br />
den „törichten Jungfrauen“.<br />
Zerstörerischer Stolz<br />
Ein Mann sprach mich an, den ich immer für den<br />
größten geistlichen Leiter aller Zeiten gehalten<br />
hatte: „Gegen Ende seines Lebens sagte der<br />
Apostel Paulus, dass er der Geringste aller Heiligen<br />
sei. Kurz vor seinem Tod nannte er sich sogar<br />
den Größten aller Sünder. Hätte er das nicht während<br />
seines Lebens auf der Erde gelernt, wäre<br />
auch er in Gefahr gewesen, im Himmel einer<br />
der geringsten Heiligen zu sein. Aber weil er es<br />
gelernt hat, kann er Christus nun ganz nahe sein<br />
und in Ewigkeit einen der höchsten Ränge im<br />
Himmel einnehmen.“<br />
Diesen Mann unter den törichten Jungfrauen<br />
zu sehen, war eine große Überraschung für mich.<br />
„Warum sind Sie hier?“<br />
„Ich bin hier, weil ich einen der schwersten<br />
Fehler begangen habe, den man begehen kann,<br />
wenn einem das herrliche Evangelium anvertraut<br />
ist. Der Apostel Paulus hielt sich zuerst den großen<br />
Aposteln gegenüber für gleichrangig; am<br />
Ende aber hielt er sich für einen der größten Sünder.<br />
Ich habe es umgekehrt gemacht: Ich fing an<br />
in dem Bewusstsein, einer der größten Sünder zu<br />
sein, der Gnade gefunden hat, hielt mich aber am<br />
Ende für einen der größten Apostel. Aus großem<br />
Stolz, nicht aus Unsicherheit, fing ich an jeden<br />
anzugreifen, der etwas anders sah als ich.<br />
Denen, die mir folgten, raubte ich ihre Berufung,<br />
ja sogar ihre Persönlichkeit, und setzte sie<br />
unter Druck, so zu werden wie ich. Niemanden<br />
ließ ich ihn selber sein. Niemand wagte, mich zu<br />
hinterfragen, denn ich hätte ihn zermalmt. Ich<br />
dachte, ich könnte mich größer machen, indem<br />
70<br />
Z für Zukunft
Historisch<br />
ich andere erniedrige. Von außen sah mein Dienst<br />
aus wie eine perfekt funktionierende Maschine;<br />
aber es war eine Zuchthaus-Ordnung: Ich machte<br />
aus den Kindern des Herrn Roboter, sie wurden<br />
zu meinem Ebenbild anstatt zu seinem.<br />
Am Ende dienten sie nicht mehr dem Herrn,<br />
sondern dem Götzen, den ich aus mir gemacht<br />
hatte. Am Ende meines Lebens war ich in Wirklichkeit<br />
ein Feind des Evangeliums, wenn auch meine<br />
Lehren und Schriften unanfechtbar schienen.“<br />
„Wenn Sie ein Feind des wahren Evangeliums<br />
geworden sind, warum sind Sie dann trotzdem<br />
hier?“, wollte ich wissen.<br />
„Es war Gottes Gnade, dass ich dem Kreuz vertraute,<br />
wenn es um meine eigene Errettung ging.<br />
Andere hielt ich davon ab, indem ich sie zu mir<br />
selbst und nicht zu ihm führte. Aber auch da ist<br />
der Herr treu, selbst wenn wir untreu werden. Es<br />
war seine Gnade, dass er mich früher als geplant<br />
von der Erde nahm, damit die Menschen unter<br />
mir zu ihm finden und ihn erkennen konnten!“<br />
„Bei Gott sieht Geschichte<br />
ganz anders aus“<br />
Das von diesem Mann zu hören, erschütterte<br />
mich zutiefst; die Geschichte hat uns ein ganz<br />
anderes Bild von ihm vermittelt!<br />
Er konnte lesen, was in meinem Herzen vor<br />
sich ging: „Bei Gott sieht Geschichte ganz anders<br />
aus. Irdische Geschichte wird vergehen, aber die<br />
Bücher, die hier geschrieben werden, bleiben für<br />
immer. Wenn du dich darüber freuen kannst, was<br />
der Himmel über dein Leben berichtet, dann bist<br />
du wirklich gesegnet.<br />
Menschen sehen wie durch ein dunkles Glas,<br />
immer verzerrt, und manchmal sogar völlig falsch.“<br />
„Kann ich, wieder auf der Erde, die Geschichte<br />
richtig beurteilen, weil ich hier war?“<br />
„Du bist hier, weil du gebetet hast, dass der<br />
Herr dich richten und ohne Rücksicht zurechtweisen<br />
möge, damit du ihm noch besser dienen<br />
kannst. Das war eine deiner weisesten Bitten<br />
überhaupt. Der Weise richtet sich selbst, damit<br />
er nicht gerichtet wird. Die noch Weiseren bitten<br />
um das Gericht des Herrn, denn sie erkennen,<br />
dass nicht einmal sie selber sich recht beurteilen<br />
können. Mir wurde<br />
erlaubt, mit dir zu reden,<br />
denn in einem gewissen<br />
Sinne habe ich dich durch<br />
meine Bücher unterrichtet“,<br />
schloss der berühmte<br />
Reformator.<br />
„Nur mit einer<br />
reinen Seele“<br />
Eine Frau kam hinzu, ich kannte sie nicht. Ihre<br />
Schönheit war atemberaubend, aber nicht auf<br />
eine sinnliche Weise.<br />
„Auf Erden war ich seine Frau; vieles, was du<br />
über ihn weißt, stammt eigentlich von mir, deshalb<br />
geht es nicht nur um ihn, sondern um uns beide. Du<br />
kannst die Kirche reformieren, ohne deine eigene<br />
Seele zu reformieren. Du kannst den Lauf der<br />
Geschichte prägen und doch nicht den Willen des<br />
Vaters tun, nicht seinen Sohn verherrlichen.“<br />
Ich entgegnete: „Aber Ihr Werk hatte einen<br />
starken und guten Einfluss auf die nachfolgenden<br />
Generationen. Wie dunkel wäre die Welt, hätte es<br />
Sie nicht gegeben!“<br />
„Du kannst die ganze Welt gewinnen und doch<br />
deine eigene Seele verlieren. Nur mit einer reinen<br />
Seele kannst du die Welt prägen mit dem ewigen<br />
Anliegen Gottes. Mein Mann hat seine Seele<br />
an mich verloren; vieles, was er tat, tat er mehr<br />
für mich als für den Herrn. Ich setzte ihn unter<br />
Druck und vermittelte ihm sogar viele der Einsichten,<br />
die er lehrte. Ich benutzte ihn als Fortsetzung<br />
meines Egos, denn als Frau durfte ich<br />
damals kein geistliches Amt ausüben. Ich nahm<br />
sein Leben in meine Hand, damit ich mich durch<br />
ihn ausleben konnte. Bald tat er alles, um mir<br />
wohlgefällig zu sein.“<br />
„Sie müssen sie sehr geliebt haben“, sagte ich<br />
zu ihm.<br />
„Nein. Ich habe sie überhaupt nicht geliebt,<br />
und ich habe auch mich nicht geliebt. Nach einigen<br />
Jahren Ehe konnten wir uns nicht einmal<br />
mehr leiden. Aber wir brauchten einander und<br />
so fanden wir einen Weg, miteinander zu arbeiten.<br />
Unsere Ehe war ein Joch der Gebundenheit.<br />
Je erfolgreicher wir wurden, umso unglücklicher<br />
waren wir, und wir betrogen diejenigen, die uns<br />
In der Mitte thront eine<br />
Blitze aussendende, vom<br />
Regenbogen und vier Tieren<br />
umgebene Gestalt, die dem<br />
„Lamm“ ein Buch übergibt<br />
Holzschnitt zur Offenbarung<br />
in der „Biblia“ 1545<br />
„Du kannst<br />
eine Kirche<br />
reformieren,<br />
ohne deine<br />
eigene Seele<br />
zu reformieren.<br />
Du kannst<br />
den Lauf der<br />
Geschichte<br />
prägen und doch<br />
nicht den Willen<br />
des Vaters tun“<br />
Z für Zukunft<br />
71
Historisch<br />
Die vier Reiter: Der erste als Türke<br />
mit dem Krummschwert, der<br />
zweite als „Krieg und Blut“, der<br />
dritte mit der Waage als „teure<br />
Zeit und Hunger“ und der vierte<br />
mit der Sense als „Pestilenz“ mit<br />
dem Höllenrachen hinter ihm<br />
Holzschnitt zur Offenbarung<br />
in der „Biblia“ 1545<br />
Wahre<br />
Reformation<br />
geschieht nur,<br />
wenn man mit<br />
seinem Erlöser<br />
eins wird<br />
folgten. Am Ende unseres<br />
Lebens waren wir arme,<br />
elende Narren.<br />
Je größer der Einfluss,<br />
den man sich selbst verschafft,<br />
umso mehr muss<br />
man kämpfen, um diesen<br />
auch zu erhalten, und umso<br />
dunkler und grausamer wird<br />
das Leben. Könige fürchteten<br />
uns, aber wir fürchteten jeden, vom König bis<br />
zum Bauern. Wir konnten niemandem vertrauen,<br />
wir trauten ja nicht einmal einander. Wenn man<br />
die größten Wahrheiten predigt, selber aber nicht<br />
danach lebt, dann ist man der größte Heuchler.“<br />
Ich konnte sehen, dass mein Leben auch schon<br />
in diese Richtung ging: Was tat ich nicht alles, um<br />
mich groß zu machen anstatt Christus!<br />
Ich betrachtete dieses Ehepaar. Sie legten um<br />
meinetwillen ihre geheimsten Sünden offen und<br />
freuten sich noch darüber.<br />
Dann gab mir der berühmte Reformator eine<br />
letzte Ermahnung mit auf meinen Weg:<br />
„Reformation ist nicht nur eine Lehre“<br />
„Versuche nicht, andere dazu zu bringen, das zu<br />
tun, was du selber nicht tust. Reformation ist nicht<br />
nur eine Lehre. Wahre Reformation geschieht nur,<br />
wenn man mit seinem Erlöser eins wird.<br />
Wenn du mit ihm an einem Strang ziehst und<br />
die Lasten trägst, die er dir gibt, dann wird er auch<br />
bei dir sein und sie für dich tragen. Du kannst sein<br />
Werk nur tun, wenn du es mit ihm zusammen tust,<br />
anstatt es für ihn zu tun.<br />
Nur der Geist kann hervorbringen, was Geist<br />
ist. Wenn du dich mit ihm zusammentust, wirst du<br />
nichts mehr aus reiner Taktik unternehmen oder<br />
um einen Platz in der Geschichte zu bekommen.<br />
Wenn du nicht lebst, was du anderen predigst,<br />
disqualifiziert du dich selber für Gottes hohe<br />
Berufung, so wie wir es taten.<br />
Alles, was du tust, um dich selbst groß zu<br />
machen, wird dir eines Tages die schlimmste<br />
Demütigung bringen. Alles, was du aus echter<br />
Liebe zu dem Erlöser tust, alles, was du tust, um<br />
seinen Namen zu verherrlichen, wird die Grenzen<br />
seines ewigen Reiches erweitern und dir letztlich<br />
einen höheren Platz einbringen. Kümmere dich<br />
nicht darum, was man auf Erden sagt.“<br />
Dann verabschiedeten sich die beiden mit<br />
einer fröhlichen Umarmung. Ich allerdings fühlte<br />
mich alles andere als fröhlich. Erneut wurde ich<br />
von meinen eigenen Sünden überwältigt – die<br />
Erinnerung an Situationen, in denen ich Menschen<br />
ausgenützt hatte, um meinen Ehrgeiz zu<br />
befriedigen, oder den Namen Jesu benutzte, um<br />
mein Ansehen zu verbessern.<br />
„Schau auf den Sohn!“, rief mir die Frau des<br />
Reformators nach.<br />
Gekürzte Auszüge aus: Rick Joyner, „Der letzte Aufbruch“, Schleife<br />
Verlag, Winterthur 1998, 4. Aufl. 1999, S. 15; 16; 88; 90–92; 94;<br />
97–104 (redaktionell bearbeitet, Hervorhebungen hinzugefügt).<br />
Der Autor hat bewusst keine Namen genannt.<br />
http://shop.agentur-pji.com/der-letzte-aufbruch.html<br />
Über Einheit wird<br />
viel geredet, aber was<br />
das sein soll, darüber<br />
gibt es Uneinheit<br />
Nicht überall, wo „Einheit“ draufsteht, ist<br />
auch Einheit drin. Aber was ist Einheit? Eines<br />
ist sicher: Der Feind tut alles, um sie zu verhindern.<br />
Wo ihm das nicht gelingt, erzeugt er die<br />
schillerndsten Imitationen.<br />
In dem Buch wollen wir herausfinden, was<br />
Jesus meint, wenn er von Einheit spricht. Um<br />
was hat er in Johannes 17 wirklich gebetet?<br />
– Um Einheit jedenfalls nicht.<br />
PETER ISCHKA<br />
Hier findest WIE GEHT du die EINHEIT? Anleitung für dein<br />
persönliches Nicht überall, „Einheits-Entwicklungs-Labor“<br />
und ist sicher: konkrete Der Feind tut alles, Hinweise, um sie zu verhindern. wo Wo Einheit<br />
ihm<br />
wo „Einheit“ draufsteht, ist auch drin. Ein Thema, über das große Uneinheit besteht. Eines<br />
das nicht gelingt, erzeugt er die schillernsten Imitationen.<br />
anfängt und wie Einheit in deiner Stadt<br />
In dem Buch wollen wir herausfinden, was Jesus meint,<br />
praktisch wenn werden von Einheit spricht. kann. Um was Du hat selbst er in Johannes spielst<br />
17<br />
eigentlich gebetet? – Um Einheit jedenfalls nicht.<br />
dabei eine Hier findest Schlüsselrolle!<br />
du eine Anleitung für dein persönliches<br />
„Einheits-Entwicklungs-Labor“ und ganz konkrete Hinweise,<br />
Bei der wo Einheit, anfängt die und wie Jesus Einheit in deiner meint, Stadt geht. würde<br />
die Welt<br />
Du selbst<br />
erkennen<br />
spielst dabei eine<br />
und<br />
Schlüsselrolle!<br />
nicht über die<br />
Christen spotten.<br />
Pb, 96 S., 21 x 14,8 cm,<br />
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Staffelpreise:<br />
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ab 10 Expl. à 7,95<br />
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ISBN 978-3-944764-14-6<br />
W I E G E H T E I N H E I T<br />
PETER ISCHKA<br />
WIE GEHT<br />
EINHEIT<br />
Nicht überall, wo´s draufsteht, ist Einheit drin<br />
72<br />
Z für Zukunft
Historisch<br />
Fotos: © Wikipedia<br />
10 Schandflecke der Reformation<br />
Martin Luther und seine „vier Soli“, wer kennt sie nicht: sola scriptura, sola fide, sola gratia, solus<br />
Christus – allein die Bibel; allein durch Glauben; allein aus Gnade; allein Christus. Luther war eine<br />
apostolische Figur, durch die viel Licht in eine von monopolisierter Religion verdunkelte Welt kam.<br />
Wolfgang Simson<br />
Sein Leben kann grob in zwei Phasen<br />
dargestellt werden: Zu Beginn seiner<br />
reformatorischen Arbeit war Luther<br />
voller Glauben, Revolution und Hoffnung;<br />
gegen Ende seines Lebens<br />
wurde er bitter, verärgert und müde von den vielen<br />
politischen und religiösen Winkelzügen. Es ist<br />
nicht zu übersehen, dass seine Reformation entweder<br />
nicht weit oder nicht tief genug ging; sie<br />
blieb stecken.<br />
„Die Kirche Luthers kämpft mit ungelösten<br />
Herausforderungen“, sagt der Lutheraner Prof.<br />
Gerhard Maier, ein früherer Bischof in Deutschland.<br />
Es gab wenigstens zehn unvollendete oder<br />
gar konträre Bereiche in Luthers Reformation.<br />
Sie sind inzwischen, 500 Jahre danach, zu schwelenden<br />
Krebsherden geworden, die alle betreffen,<br />
die im Protestantismus ihre Wurzel haben.<br />
Die zehn Übel in Luthers Reformation<br />
1) Personenkult. Es liegt in der Natur des religiösen<br />
Menschen, Führungspersonen zu glorifizieren,<br />
ja zu vergöttern. Das geschah auch mit<br />
Luther. (Auch wenn er das selber vielleicht nicht<br />
wollte: „Zum Ersten bitte ich, man solle meines<br />
Namens schweigen und sich nicht lutherisch, sondern<br />
Christen heißen. Was ist Luther?“ – Aber es<br />
geschah doch.)<br />
Die Überhöhung Luthers mit all seinen Stärken<br />
und Schwächen ist das Zentralübel des Protestantismus.<br />
Der Freiraum für Personenkult lenkte<br />
nicht nur von der Zentralität Christi ab, sondern<br />
schuf Raum für ein Heer von Luther-Imitatoren<br />
und Mega-Persönlichkeiten mit Guru-Status, die<br />
sich am Jubel ihrer Anhänger laben.<br />
Anfangs<br />
war Luther<br />
voller Glauben,<br />
Revolution und<br />
Hoffnung; gegen<br />
Ende wurde er<br />
bitter, verärgert<br />
und müde von<br />
den vielen<br />
politischen und<br />
religiösen<br />
Winkelzügen<br />
Z für Zukunft<br />
73
Historisch<br />
Luthers<br />
Theologie von<br />
Kirche nahm<br />
sich nicht die<br />
ersten Christen<br />
zum Vorbild,<br />
sondern blieb<br />
substanziell<br />
katholisch<br />
Foto: © Wikipedia, MathKnight<br />
2) Ein riesiges Defizit an Ethik und biblischer<br />
Rechtsstaatlichkeit. Martin Luther war<br />
zunächst ein asketischer Mönch und wurde später<br />
zum freiheitsliebenden Genuss-Menschen.<br />
Doch das Pendel schlug etwas zu weit ins Gegenteil<br />
– in seinem Versuch, die Gesetzlichkeit des<br />
Katholizismus zu überwinden, verwarf er nicht<br />
nur das Gesetz des Mose, sondern auch die<br />
Rechtsstaatlichkeit in Gottes Königreich, die<br />
darin besteht, dass man die Anordnungen Christi<br />
ernst nimmt und befolgt. Diese bilden die Verfassung,<br />
den grundlegenden Rechtskodex des Königreichs<br />
Gottes. Damit hat Luther das Kind mit<br />
dem Bade ausgeschüttet, mit der Gesetzlichkeit<br />
zugleich die Rechtsstaatlichkeit verworfen.<br />
Dadurch wurde das Luthertum derart lax und<br />
gesetzlos, dass es viele inner-kirchliche Reformbestrebungen<br />
gab, die (leider erfolglos) nach<br />
mehr praxis pietatis riefen, nach mehr biblischer<br />
Ethik, um diesen Punkt zu korrigieren. „Durch<br />
den Einfluss des Liberalismus und der Bibelkritik<br />
ist heute im Luthertum grundsätzlich alles<br />
erlaubt, solange es nicht in der Bibel steht“, sagte<br />
Prof. Georg Huntemann (1929–2014), evangelischer<br />
Professor für Ethik.<br />
Eine späte Frucht der praktischen Gesetzlosigkeit<br />
im Protestantismus ist das<br />
willkommene Missverständnis<br />
von der „billigen Gnade“, auch<br />
hyper-grace genannt: Wenn<br />
alles Gnade ist, dann werden<br />
Regeln, Gesetze und Ethik<br />
nicht nur irrelevant, sondern<br />
sie sind ein ärgerliches Hindernis<br />
für denjenigen, dem<br />
es hauptsächlich darum geht,<br />
Spaß zu haben und seinen<br />
persönlichen Launen und Lüsten<br />
nachzujagen.<br />
3) Ekklesiologie. Luther<br />
wollte nicht eine neue Kirche<br />
gründen, sondern „seine“<br />
römisch-katholische Kirche<br />
reformieren. Seine Ekklesiologie,<br />
also die Theologie von<br />
Kirche, war im Kern nicht aufgebaut<br />
auf dem Königreich, von dem Jesus Christus<br />
andauernd sprach, sondern auf der katholischen<br />
Kirche. Dadurch wurde seine Kirche zur<br />
lutherischen Version der katholischen Kirche.<br />
Für Luther war die Kirche „die Versammlung<br />
aller Gläubigen, bei welchen das Evangelium<br />
rein gepredigt und die heiligen Sakramente dem<br />
Evangelium gemäß gereicht werden“ (Confessio<br />
Augustana).<br />
Im Kern blieb Luther ein Sakramentalist und<br />
ein Veranstaltungs-Prediger, der religiöse Riten<br />
und Liturgien feierte (einschließlich die fälschlich<br />
als heilsbringend verstandene Kinder-Taufe),<br />
und das alles in sakralen Gebäuden. Das typische<br />
evangelische bzw. protestantische Kirchengebäude<br />
ist bis heute eine event location, ein Veranstaltungsort,<br />
und nicht ein Ort, wo das Leben des<br />
Königreichs Gottes als Organismus stattfindet.<br />
4) Verwirrtes Bibelverständnis. Wenn man<br />
Lutheraner fragt: a) Ist die Bibel Gottes Wort, oder<br />
b) enthält sie Gottes Wort?, so ist die Antwort eindeutig:<br />
b! Luther hatte schon immer zu kämpfen<br />
mit für ihn schwierigen Bibelstellen wie etwa dem<br />
Jakobus-Brief und dessen Aufforderung zu Taten<br />
des Glaubensgehorsams. Er nannte den Jakobusbrief<br />
eine „stroherne Epistel“ und bezweifelte gar,<br />
dass er von einem Apostel geschrieben wurde.<br />
Luther unterschied zwischen wichtigen, weniger<br />
wichtigen und problematischen Teilen der<br />
Bibel. Damit legte er Stolpersteine für die Zukunft.<br />
Es ist deshalb kein Zufall, dass die wichtigsten Vertreter<br />
der bibelkritisch-liberalen Theologie aus<br />
dem Luthertum stammen. Nachdem die Bibel im<br />
Luthertum jahrhundertelang der zersetzenden<br />
Bibelkritik ausgeliefert war, ist sie heute in der<br />
Praxis vieler evangelischen Kirchen so belanglos,<br />
dass sie dort nicht viel mehr ist als ein religiöses<br />
literarisches Werk voller Mythen.<br />
5) Die Juden. Luther hoffte, durch sein „evangelisches<br />
Evangelium“ die Juden zu bekehren. Als<br />
sie ihm diesen Gefallen nicht taten, verteufelte er<br />
sie und verstieg sich mit Worten wie: „Verbrennt<br />
sie in ihren Synagogen. Ein solch verzweifeltes,<br />
durchböstes, durchgiftetes, durchteufeltes Ding<br />
ist’s um diese Juden, so diese 1400 Jahre unser<br />
74<br />
Z für Zukunft
Historisch<br />
Plage, Pestilenz und alles Unglück gewesen sind<br />
und noch sind. Summa, wir haben rechte Teufel<br />
an ihnen.“<br />
Der Hass Luthers auf die Juden war so groß,<br />
dass die anti-judaistischen Schmähschriften, die er<br />
verfasste, bis in die Nazizeit wirksam waren; die<br />
Brücken zwischen Protestantismus und Judentum<br />
waren dadurch auf Dauer verbrannt. Es ist kaum<br />
denkbar, dass ein Jude jemals auf einen Protestanten<br />
eifersüchtig werden würde, wie es Paulus<br />
wünscht: „… ob ich vielleicht meine Stammverwandten<br />
zum Nacheifern reizen und einige von<br />
ihnen retten könnte“. 1<br />
6) Mission. Luther war nicht sehr erfolgreich in<br />
dem, was wir heute Mission nennen. Luther hat<br />
missionarisch aber nicht nur bei den Juden versagt,<br />
sondern auch bei den Türken. Luther sah sie<br />
nicht als Missionsfeld, sondern als die „Erzfeinde<br />
Gottes und Plage, Diener des Teufels“. Es ist<br />
schon fast ein Treppenwitz der Geschichte, dass<br />
ausgerechnet diejenigen, die Luther als „Schwärmer“<br />
verdammte, später zur Speerspitze protestantischer<br />
Mission wurden.<br />
7) Hauskirchen. Die „Gemeinde im Haus“ ist<br />
eindeutig die Urform der Kirche; erst im Laufe<br />
der Zeit wurde aus der Hauskirche das Kirchenhaus.<br />
Durch die spätere Vermischung von Staat<br />
und Kirche wurden die Hauskirchen zum Feindbild,<br />
verfolgt vom kontrollierenden Staat und seiner<br />
„Staatskirche“.<br />
Luther hatte zunächst durchaus mit der Idee<br />
von Hauskirchen geliebäugelt; er nannte sie die<br />
„dritte Form der Messe“, meinte aber, er habe<br />
„nicht die Leute dazu“. Später, in seinem Ärger<br />
über den Kontrollverlust und im Zorn auf freie<br />
Prediger und Wiedertäufer, die sich zumeist in<br />
Häusern trafen, wurde er sogar zu einem blutigen<br />
Verfolger dieser Hauskirchen. Im Jahr 1531<br />
unterzeichnete er, gemeinsam mit Melanchthon,<br />
ein Dokument für den Kurfürsten, das für Wiedertäufer<br />
die Todesstrafe forderte. Er nannte sie<br />
eine „Sekte des Teufels, die das Ziel hat, die<br />
wahre Lehre zu zerstören“.<br />
8) Dolchstoß für die Bauern. Die Situation der<br />
Armen war in den Tagen der Feudalherrschaft<br />
Bild: © Wikipedia<br />
dramatisch schlecht. Die katholische Kirche hatte<br />
den sozialen Status zementiert; durch die Reformation<br />
wurden „vor-kommunistische“ Bauern-<br />
Erhebungen ausgelöst wie etwa der Bundschuh-<br />
Aufstand (Lörrach 1517). Das waren Proteste<br />
gegen die Unterdrückung.<br />
Als das Neue Testament im Jahre 1522 auf<br />
Deutsch vorlag, konnten die Bauern und andere<br />
verarmte Bevölkerungsgruppen zentrale Wahrheiten<br />
selber lesen, die ihnen die Kirche lange<br />
vorenthalten hatte: Gläubige teilen ihre Güter;<br />
auch die Reichen mit den Armen, sodass es keine<br />
Bedürftigen mehr unter ihnen gab. 2 Sie erkannten,<br />
dass dieser neutestamentliche Standard der<br />
Gütergemeinschaft revolutionäre Konsequenzen<br />
für sie alle haben würde.<br />
In Memmingen im Allgäu verfassten einige<br />
Bauernführer im Jahr 1525 die berühmt gewordenen<br />
„Zwölf Artikel“ darüber, wie sich das<br />
Leben im Einklang mit Gottes Wort nun ändern<br />
würde. Die Zwölf Artikel gelten als die erste Niederschrift<br />
der allgemeinen Menschenrechte in<br />
Europa, entstanden aus der ersten verfassungsgebenden<br />
Versammlung von Bauerngruppen auf<br />
deutschem Boden.<br />
Luther stimmte diesen Forderungen zunächst<br />
schriftlich zu; später, unter dem Druck der Kurfürsten<br />
und Feudalherren, machte er einen Rückzieher.<br />
So war die Kirche weiterhin nicht bereit,<br />
„Die 12 Artikel“.<br />
Lea Grundig 1955, Blatt 4<br />
aus „Deutscher Bauernkrieg“<br />
Als im<br />
Jahre 1522<br />
Bibeltexte auf<br />
Deutsch vorlagen,<br />
konnten die<br />
Bauern die<br />
zentralen Wahrheiten<br />
selber<br />
lesen, die ihnen<br />
die Kirche lange<br />
vorenthalten<br />
hatte<br />
Z für Zukunft<br />
75
Historisch<br />
Das<br />
Problem<br />
mit der Ich-<br />
Zentriertheit:<br />
Wie entkomme<br />
ich der Hölle?<br />
Wie blühe ich<br />
auf? Wie werde<br />
ich erfolgreich?<br />
Was springt für<br />
mich dabei<br />
heraus?<br />
mit den Armen zu teilen, obwohl das in der frisch<br />
übersetzten Bibel nun jeder lesen konnte. Luther<br />
rief die Bauern zur Geduld und Diplomatie auf;<br />
doch diese hatten bereits zu lange auf Veränderungen<br />
gewartet und hatten das Stillhalten satt.<br />
Manche pöbelten, polterten, einige mordeten.<br />
Daraufhin wechselte Luther die Seiten und<br />
erklärte die Bauern zu Feinden seiner Reformation.<br />
In einer regelrecht dämonischen Schrift mit<br />
dem Titel „Wider die räuberischen und mörderischen<br />
Rotten der Bauern“ rief Luther dazu auf,<br />
man solle die Bauern, die „Teufelswerk treiben“,<br />
„zuschmeißen, würgen und stechen, heimlich<br />
oder öffentlich, wer da kann, und gedenken, dass<br />
nichts Giftigers, Schädlichers, Teuflischers sein<br />
kann denn ein aufrührischer Mensch, gleich als<br />
wenn man einen tollen Hund totschlagen muss“.<br />
Damit gab er den Heeren der Adligen die theologische<br />
Genehmigung für einen der blutigsten<br />
Kriege der Geschichte, den Bauernkrieg (1524–<br />
1526), in dem über hunderttausend Arme brutal<br />
umgebracht wurden.<br />
Wer diesen Krieg überlebte, wähnte sich<br />
nicht nur vom Klerus, von Luther oder der<br />
Bibel verlassen, sondern auch von Gott<br />
selbst. In der Folge schworen viele aus der armen<br />
Bevölkerung, nach außen hin jeder Religion zu<br />
huldigen, die man ihnen aufdrängte – im Herzen<br />
aber würden sie Heiden bleiben! Das ist einer der<br />
Gründe, weshalb bis heute der Aberglaube und<br />
heidnische Feste wie Fasnacht, Sonnenwenden<br />
oder neuerdings Halloween die eigentliche Religion<br />
des Volkes geblieben ist.<br />
Das war ein traumatischer Moment für den<br />
Protestantismus: Er verlor hier nicht nur seinen<br />
ansatzweise revolutionären Geist, sondern vor<br />
allem das Vertrauen der Armen. Der Protestantismus<br />
wurde mehr und mehr zum Bewahrer der<br />
alten Ordnung. Er erhebt als Kirche zwar ab und<br />
an den moralischen Zeigefinger und macht halbherzige<br />
(und in aller Regel folgenlose) Einwürfe,<br />
nimmt aber weiterhin fleißig den Armen Kirchensteuern<br />
oder „den Zehnten“ ab.<br />
9) „Wie finde ich?“ Eine der großen Fragen<br />
Luthers war: „Wie finde ich einen gnädigen Gott?“<br />
Doch das blieb nicht die einzige Ich-Frage im Protestantismus.<br />
Weitere folgten: Wie entkomme<br />
ich der Hölle? Wie blühe ich auf? Wie werde ich<br />
erfolgreich? Was springt für mich dabei heraus?<br />
Bis heute hat der Protestantismus diese eingebaute<br />
Ich-Zentriertheit nicht abgelegt. Wer eine<br />
anthropozentrische Sicht (der Mensch steht im<br />
Mittelpunkt) vertritt, hat es nicht leicht, zu einer<br />
theozentrischen Sichtweise (Gott steht im Mittelpunkt)<br />
zu finden. Und genau das ist einer der neuralgischen<br />
Punkte: Denn in Wahrheit stehen nicht<br />
der Mensch und „seine Kirchen“ im Mittelpunkt,<br />
sondern Gott und sein Reich.<br />
10) Billiger Protest. Protestieren war schon<br />
immer billiger, als das alternative Modell zu leben.<br />
Viele Protest-Gruppen haben eines gemeinsam:<br />
Sie schießen sich ein auf die Verantwortlichen<br />
in Politik, Kirche, Wirtschaft und Gesellschaft,<br />
ohne dass sie bereit wären, selber dauerhaft Verantwortung<br />
zu übernehmen. Der protestantische<br />
Urschrei war: „Wir wollen die Kirche reformieren,<br />
aber nicht die alternative Kirche sein.“<br />
Heute flirtet der Protestantismus mit Rom<br />
und gibt sich „ökumenisch“. Längst hat er seine<br />
Motivation verloren, sich selbst – oder andere<br />
– zu reformieren. Eine Reihe lutherischer Theologen<br />
kommt zu der Einsicht, dass die evangelische<br />
Kirche nichts anderes als eine religiöse Bürgerrechts-Bewegung<br />
geworden ist, die sich die<br />
sozialen und politischen Themen anderer auf die<br />
Fahnen schreibt, weil sie ihren ureigenen protestantischen<br />
Impuls (von einem prophetischen ganz<br />
zu schweigen) längst verloren hat. Das Luthertum<br />
reagiert nur noch, weil es die Fähigkeit verloren<br />
hat, pro-aktiv zu sein.<br />
Wolfgang Simson ist Autor und Innovatoren-Coach für Menschen<br />
mit bahnbrechenden Erfindungen in allen Bereichen des<br />
Lebens. Er ist auch der Verfasser des „Kingdom Manifests“, das als<br />
Ergänzung zu diesem Artikel kostenlos abgerufen werden kann<br />
auf: www.simsonmedia.com.<br />
1 Römer 11,14.<br />
2 Apostelgeschichte 2,44.45; 4,32–5,4.<br />
76<br />
Z für Zukunft
Historisch<br />
Die Täufer – eine Provokation<br />
Wie Reformatoren die Reformation blutig niederschlugen<br />
Eine Reformation<br />
des Glaubens<br />
genügte ihnen nicht,<br />
sie wollten eine<br />
Reformation<br />
des Lebens –<br />
und zogen den<br />
Tod vor<br />
Verbrennung von Salzburger<br />
Täufern 1528<br />
Jan Luyken<br />
Mitten in der Reformation, 1525,<br />
lebten die Täufer ihren Glauben<br />
gewaltfrei in einer Gesellschaft,<br />
die sich im Umbruch befand.<br />
Sie strebten nach einer Kirche,<br />
die vom Staat unabhängig war, und trafen<br />
sich in ihren Häusern oder im Freien. Sie tauften<br />
nur Menschen, die sich bewusst für den Glauben<br />
entschieden hatten. Auf dieses Vergehen stand im<br />
16. Jahrhundert die Todesstrafe.<br />
In kurzer Zeit entstanden überall im ganzen<br />
deutschsprachigen Raum Täufer-Gemeinden.<br />
Trotz mancher Auswüchse mit eindeutigen Irrwegen<br />
und massiven Fehlern ist ihr Zeugnis für<br />
das Christentum heute immer noch Vorbild und<br />
Herausforderung.<br />
Die etablierten Kirchen damals und die Landesfürsten,<br />
die, sofern evangelisch, in ihrem<br />
Gebiet ja Oberhaupt der „Landeskirche“ waren,<br />
sahen in den Täufern jedoch eine Gefahr für die<br />
öffentliche Ordnung: Sie wagten es, eine andere<br />
Kirche aufzumachen, eine Kirche, zu der man<br />
gehören konnte oder auch nicht! Die Fürsten<br />
witterten Kontrollverlust – und mussten feststellen,<br />
dass diese Menschen Gott mehr gehorchen<br />
als den Menschen. Das war für die Obrigkeit<br />
unerträglich! So wurden sie blutig verfolgt und<br />
viele erlitten die „Feuertaufe“ – den Tod auf dem<br />
Scheiterhaufen, sie wurden ertränkt oder gnädigerweise<br />
nur geköpft.<br />
So wurden in Mitteleuropa im Namen der Kirche<br />
und der Obrigkeit Tausende von Christen enteignet,<br />
ihrer Kinder beraubt und ermordet. Es<br />
ist tief bewegend, wie die Täufer die Nachfolge<br />
Jesu verstanden haben: Eine Reformation des<br />
Glaubens genügte ihnen nicht, sie wollten eine<br />
Reformation des Lebens. Das ist auch für uns<br />
heute eine Herausforderung, wie damals, so auch<br />
heute: eine Provokation im ursprünglichen Wortsinn<br />
– es will etwas hervorrufen.<br />
Z für Zukunft<br />
77
Historisch<br />
Der Täufer Dirk Willem rettet<br />
seinen Verfolger. In der Folge<br />
kann er selbst nicht mehr<br />
fliehen und wird verbrannt.<br />
Jan Luyken (1685)<br />
Die Täufer, eine<br />
Bewegung, die<br />
die Verbindung<br />
von Staat und<br />
Kirche ablehnte<br />
und den Glauben<br />
leben wollte ohne<br />
Bevormundung<br />
durch den Staat<br />
Wofür es sich zu leben<br />
und zu sterben lohnt<br />
Tausende von Täufern bezahlten für ihre Überzeugung<br />
mit dem Leben. Was gab ihnen die Kraft,<br />
all das auszuhalten – Verfolgung, Enteignung, Folter<br />
und Tod – und dabei Unvorstellbares auf sich<br />
zu nehmen? Darunter liegt die eigentliche Frage:<br />
„Wofür lohnt es sich zu leben und zu sterben?“<br />
Die Täufer hatten eine Antwort gefunden.<br />
Jahrhundertelang hatten Kirche und Staat eine<br />
symbiotische Einheit gebildet; mal hatte der eine<br />
Oberhand, mal der andere. Und niemand wagte,<br />
dieses Gleichgewicht zu stören – bis die Täufer<br />
kamen.<br />
Die Täufer waren die erste überregionale<br />
Bewegung, die die Verbindung von Staat und Kirche<br />
ablehnte und den Glauben leben wollte ohne<br />
den Schutz und die Bevormundung durch den<br />
Staat. Eine unabhängige Kirche war für sie die<br />
logische Konsequenz des Rufes Jesu.<br />
Doch damit gerieten sie in direkte Konfrontation<br />
mit dem Denken und der Tradition ihrer Zeit<br />
und wurden zur Provokation für politische und<br />
kirchliche Machthaber. Die Täufer sahen die<br />
Urchristenheit als ihr Vorbild an, die Christenheit<br />
vor der „Verstaatlichung“ unter Konstantin<br />
und Theodosius.<br />
„Tod oder Taufe!“<br />
Zwischen den ersten Christen und den Täufern<br />
liegen über tausend Jahre; in dieser Zeit<br />
hat sich das Christentum immer weiter von seinen<br />
Ursprüngen entfernt. Die Christen der ersten<br />
Jahrhunderte mussten für ihren Glauben oft<br />
auch einen hohen Preis bezahlen – viele wurden<br />
zu Märtyrern. Das änderte sich nach der konstantinischen<br />
Wende, und noch im selben Jahrhundert<br />
wurde das Christentum Staatsreligion. Im „Heiligen<br />
Römischen Reich Deutscher Nation“ wurde<br />
die Verbindung von Kirche und Staat noch enger.<br />
Ganze germanische Volksstämme traten geschlossen<br />
zum Christentum über; der Einzelne durfte<br />
nicht von der herrschenden Überzeugung abweichen.<br />
Massenbekehrungen, oder besser: die<br />
Zwangsbekehrung von Stämmen, die nicht selten<br />
wählen mussten: „Tod oder Taufe!“, führten<br />
häufig zu einer nur äußerlichen Hinwendung<br />
zum christlichen Glauben. Die meisten hatten nie<br />
erfahren, was Nachfolge Jesu eigentlich bedeutet;<br />
auch deshalb hat sich das Christentum mit Volksglauben<br />
und heidnischen Elementen vermischt.<br />
Auch der Tod<br />
brachte sie nicht zum Schweigen<br />
Im 16. Jahrhundert wurden immer mehr Stimmen<br />
laut, die eine Erneuerung der Kirche forderten.<br />
Viele Mönche und Priester, wie Luther, von Witmarsum,<br />
Zwingli, Hubmaier, Denck, Sattler oder<br />
Marpeck, wollten die Worte Christi und der Apostel<br />
ganz neu lesen und verstehen. Nachdem dank<br />
Buchdruck und Übersetzung das Wort Gottes in die<br />
Hände des Volkes gelangt war, ließ sich die neue<br />
Bewegung nicht mehr aufhalten – weder von der<br />
römisch-katholischen Kirche noch vom Kaiser.<br />
Luthers Reformation blieb jedoch auf halbem<br />
Weg stehen, ebenso wie die von Zwingli. Beide<br />
wollten zwar eine Erneuerung der Kirche, scheuten<br />
sich aber, ihr Bündnis mit dem Staat infrage zu stellen;<br />
andere sahen genau darin ein mit dem Glauben<br />
unvereinbares Zugeständnis, und bald folgten Tausende<br />
dem Ruf zur Kompromisslosigkeit. Sie sahen<br />
in den ersten Jüngern Jesu Vorbilder, die erwachsene<br />
Menschen zur Umkehr riefen und sie daraufhin<br />
tauften – und wurden deshalb von ihren Feinden<br />
„Wiedertäufer“ genannt, von jenen, die an der<br />
Zwangsbesprengung von Säuglingen festhielten.<br />
Konrad Grebel in Zürich, anfänglich ein Mitarbeiter<br />
Zwinglis, oder Hans Denck, der noch vor<br />
Luther die alttestamentlichen Propheten aus dem<br />
78<br />
Z für Zukunft
Historisch<br />
Hebräischen übersetzte, und andere Täufer konnten<br />
nicht schweigen. Sie erhoben ihre Stimme,<br />
sie verfassten Schriften. Vieles davon wurde im<br />
Gefängnis geschrieben, dort standen keine Nachschlagewerke<br />
zur Verfügung, Schriftstellen wurden<br />
oft aus dem Gedächtnis zitiert. Die Texte wimmelten<br />
von Schreib- und Formfehlern. Aber die Täufer<br />
wussten um die Macht des Wortes – und ihre Schriften<br />
erschütterten halb Europa und verbreiteten sich<br />
rasch über den deutschsprachigen Raum hinaus.<br />
Katholiken verbrannten die Schriften, Luther<br />
verfluchte sie, Zwingli und Bucer verfassten scharfe<br />
Entgegnungen. Europäische Fürsten erklärten<br />
Verbreitung und Besitz von Täuferschriften zu<br />
einem todeswürdigen Verbrechen.<br />
Ein Fläschchen mit Zaubertrank?<br />
Schon bald fragte man sich, wo die noch junge<br />
Täuferbewegung ihre Kraft hernahm.<br />
Irgendwo im Inntal wurde eine merkwürdige<br />
Geschichte in die Welt gesetzt: Die Täufer hätten<br />
ein Fläschchen, von dessen zauberkräftigem<br />
Inhalt selbst der Teufel keine Ahnung habe; ein<br />
winziger Schluck genüge, um jemanden völlig<br />
unter ihren Einfluss zu bringen. Kein Geld der<br />
Welt und keine Verlockung des Lebens könne<br />
solch einen Menschen wieder zu dem machen,<br />
der er gewesen war.<br />
Leonhard Schiemer ergriff 1527 die Gelegenheit,<br />
auf dieses Gerücht zu antworten. Er war<br />
bereits im Gefängnis und wurde kurz darauf in<br />
Rattenberg am Inn hingerichtet.<br />
„Ich gebe es zu. Lass es uns ein Fläschchen<br />
nennen. Und wie du sagst, weiß nicht einmal der<br />
Teufel, was darinnen ist. … Es ist wahr, wer daraus<br />
trinkt, aus dem wird ein anderer Mensch. Der<br />
Trank in diesem Fläschchen ist nichts anderes als<br />
ein gestoßenes, zu Pulver zerriebenes und betrübtes<br />
Herz, zerstoßen mit dem Mörser des Kreuzes.<br />
… Aus diesem Fläschlein trank unser lieber Bruder<br />
und Freund Christus am Kreuz. In diesem<br />
Fläschchen ist eine so wirksame Flüssigkeit, dass<br />
jemand sogleich ein anderer Mensch wird, dass<br />
sogar seine Nachbarn es merken. Wenn einer<br />
davon kostet, so verlässt er alles, was er hat. …<br />
Niemand weiß es, als der es empfängt.“<br />
Christus folgen bis in den Tod<br />
Christus nachfolgen hieß für die Täufer mehr als<br />
seine Gebote halten, mehr als ein öffentliches<br />
Bekenntnis – es war für sie auch die Bereitschaft,<br />
für ihren Herrn in den Tod zu gehen. Sie wollten<br />
Jesus Christus kennen und wie die ersten Jünger<br />
in Gemeinschaft mit ihm leben. Dazu gehörten<br />
auch Transparenz und Offenheit untereinander:<br />
„Wenn wir aber im Licht wandeln, wie er im Licht<br />
ist, haben wir Gemeinschaft miteinander, und das<br />
Blut Jesu reinigt uns von jeder Sünde.“ 1 Sie sprachen<br />
lieber von „Gemeinschaft“ als von „Kirche“.<br />
Die Täufer beteten freimütig zu Christus direkt;<br />
es lag ihnen fern, auf die Vermittlung durch Heilige<br />
oder Maria zu setzen. Sie gebrauchten auch<br />
keine Anbetungsformeln wie „Allmächtiger Gott!“,<br />
wie sie die „korrekte“ Lehre der Reformatoren<br />
hervorgebracht hatte. Sie beteten einfach zu Gott,<br />
dem Vater, oder zu Christus, ihrem Bruder.<br />
Wolfgang Brandhuber, ein „Diener am Wort“<br />
– so bezeichneten die Täufer ihre Prediger und<br />
unterstrichen damit ihre antiklerikale Überzeugung,<br />
dass es in der Gemeinde keine hierarchische<br />
Struktur geben solle –, Brandhuber also<br />
schrieb 1529: „Wer Gott fürchtet, sieht auch<br />
all seine Gedanken und Werke in anderem<br />
Licht. Das Licht ist Christus, der Wille des<br />
Vaters ist durch ihn offenbart. Seine wahre<br />
Menschlichkeit hat uns den Weg bereitet, damit<br />
am letzten Tag niemand eine Ausrede habe. Seinem<br />
Willen soll all unser inneres und äußeres<br />
Handeln folgen. Ich und der Vater sind eins,<br />
spricht der Herr.“<br />
Kurz danach wurde Wolfgang Brandhuber mit<br />
siebzig anderen Täufern zum Tode durch „Feuer,<br />
Wasser und Schwert“ verurteilt.<br />
Gelassenheit<br />
Die Täufer gebrauchten das Wort „Gelassenheit“<br />
anders, als wir es gewohnt sind – sie meinten<br />
damit, alles loszulassen. Hans Haffner schrieb<br />
im Passauer Festungsturm ein Traktat: „Wahre<br />
Gelassenheit beinhaltet zweierlei: Verfolgung<br />
erdulden, sich selbst überwinden. Wenn sie uns<br />
auf die Backe schlagen, bieten wir ihnen auch die<br />
andere an. … Wir müssen uns von der Art unserer<br />
Foto: © Wikipedia<br />
Die Täufer<br />
waren bereit,<br />
für ihren Herrn<br />
in den Tod<br />
zu gehen.<br />
Sie wollten<br />
Jesus Christus<br />
kennen und wie<br />
die ersten Jünger<br />
in Gemeinschaft<br />
mit ihm leben<br />
Z für Zukunft<br />
79
Historisch<br />
Foto: © Wikipedia<br />
Luther fand<br />
die Schrift<br />
und die<br />
„reine Lehre“;<br />
die Täufer<br />
fanden in der<br />
Schrift Christus.<br />
Zwei unterschiedliche<br />
Richtungen<br />
Die Taufe Christi war den<br />
Täufern Vorbild.<br />
Miniatur aus dem<br />
Hitdar-Evangeliar, um 1020<br />
menschlichen Natur entwöhnen, wie ein Kind von<br />
der Mutterbrust entwöhnt werden muss. Wir müssen<br />
bereit sein, Frau und Kind, Vater und Mutter,<br />
Land und Besitz, ja unser Leben … aufzugeben …<br />
für Christus.“<br />
Die Täufer suchten nicht nach Ausgewogenheit.<br />
Sie hatten genug von Jesus verstanden, um<br />
ihm radikal nachzufolgen.<br />
Klaus Felbinger, ein junger Missionar der Täufer,<br />
schrieb aus einem Turmverlies im bayerischen<br />
Landshut kurz vor seiner Hinrichtung 1560:<br />
„Die Welt ist zur Wildnis geworden, versunken<br />
in Sünde, sie weiß kaum etwas oder nichts<br />
von Gott. Und nun ist die Lehre des Evangeliums<br />
selbst zu einer neuen ketzerischen Lehre geworden,<br />
eine Irrlehre in den Augen der Welt.“<br />
Das war die Reaktion der Reformierten auf die<br />
Täufer: Sie nannten sie Irrlehrer, Verrückte oder<br />
Narren. – Wo haben sich die Wege Luthers und<br />
die der Täufer getrennt? Luther fand die Schrift<br />
und die „reine Lehre“; Täufer fanden Christus.<br />
Ihre Entdeckungen führten sie in völlig verschiedene<br />
Richtungen.<br />
Das Augsburger Bekenntnis<br />
Auf dem Augsburger Reichstag 1530 legten die<br />
protestantischen Reichsstände Kaiser Karl V.<br />
das von Philipp Melanchthon zusammengestellte<br />
„Augsburger Bekenntnis“ vor. Dieses in den lutherischen<br />
Kirchen bis heute gültige Bekenntnis will<br />
eine „ausgewogene und vernünftige“ Position einnehmen.<br />
Unter anderem heißt es darin:<br />
„Von der Staatsordnung wird gelehrt, dass<br />
alle Obrigkeit in der Welt und Gesetze gute Ordnung<br />
sind, die von Gott geschaffen und eingesetzt<br />
sind, und dass Christen ohne Sünde in Obrigkeit<br />
und Richteramt tätig sein können, nach kaiserlichen<br />
und anderen geltenden Rechten Urteile und<br />
Recht sprechen, Übeltäter mit dem Schwert strafen,<br />
rechtmäßig Kriege führen.<br />
Hiermit werden die [Wiedertäufer] verdammt,<br />
die lehren, dass das oben Angezeigte unchristlich<br />
sei. Auch werden diejenigen verdammt, die<br />
lehren, dass es christliche Vollkommenheit sei,<br />
Haus und Hof, Weib und Kind leiblich verlassen<br />
und dies alles aufzugeben, wo doch allein das die<br />
rechte Vollkommenheit ist: rechte Furcht Gottes<br />
und rechter Glaube an Gott.“<br />
Das Augsburger Bekenntnis enthält vier Verdammungen<br />
der „Wiedertäufer“. Melanchthon<br />
wollte damit eine Brücke schlagen zur altgläubigen<br />
römisch-katholischen Kirche und die Reformation<br />
als vereinbar mit Staat und Herrschaft<br />
darstellen.<br />
In den reformierten Gebieten der Schweiz<br />
fragten sich Zwingli und Calvin, wie mit der „täuferischen<br />
Pest“ umzugehen sei. „Man könnte den<br />
Untergang der Welt nicht besser in Gang setzen<br />
… als mit dem Versuch, die zivile Ordnung und die<br />
Staatsgewalt niederzureißen.“<br />
Paulus: Theologe ‒ oder<br />
Narr um Christi willen?<br />
Für die Reformatoren war die Bibel höchste Autorität.<br />
Da sie meinten, die „rechte“ Auslegung<br />
gefunden zu haben, galt ihre fromme Verehrung<br />
dem Buch; aber die Menschen, die<br />
Jesus nachfolgen wollten, verfolgten sie, ja,<br />
sie führten Kriege zur Verteidigung der Bibel und<br />
ihrer, der Reformatoren Lehre.<br />
Für die Täufer hingegen war die Bibel einfach<br />
das Buch, das sie zu Jesus brachte. Die Reformatoren<br />
fanden den „Schlüssel“ zur Auslegung der<br />
Bibel in den Briefen des Apostel Paulus; die Täufer<br />
hingegen fanden diesen Schlüssel in Jesus und<br />
in seiner Bergpredigt. Die Reformatoren sahen in<br />
Paulus den großen Theologen, die Täufer einen<br />
Mann, der alles aufgab und „ein Narr um Christi<br />
willen“ wurde. Sie fanden Gemeinschaft mit ihm<br />
in seinem Märtyrertod. Die Reformatoren lebten<br />
im Gehorsam gegenüber der Obrigkeit, die Täufer<br />
im Gehorsam gegenüber Christus.<br />
Ein Beispiel von Hunderten<br />
1528 tauchte in der Reichsstadt Schwäbisch<br />
Gmünd ein junger Mann namens Martin Zehetmayer<br />
auf. Er zog als Sänger von Haus zu Haus;<br />
seine Lieder riefen zur Nachfolge Jesu. Seine<br />
Ernsthaftigkeit und Echtheit beeindruckte vor<br />
allem junge Menschen, und noch bevor der Stadtrat<br />
begriff, was geschah, hatte Martin schon über<br />
hundert Menschen getauft. Sie trafen sich in ihren<br />
Häusern und feierten heimlich das Abendmahl.<br />
80<br />
Z für Zukunft
Historisch<br />
Nach einer dieser Versammlungen wurde<br />
Zehetmayer festgenommen. Die Anklage lautete,<br />
er habe die Armen, die einfachen Leute und die<br />
Jugend der Stadt verführt. Mit ihm wurden 40<br />
weitere gefangen genommen, darunter 19 Mädchen<br />
und Frauen.<br />
Sie folterten Martin auf der Streckbank und warfen<br />
ihm sexuelle Vergehen vor. Doch er hatte nichts<br />
zu bekennen, als dass er Jesus nachfolgen und mit<br />
den Gläubigen auch alle Güter teilen wollte.<br />
Im Dezember 1529 holte man sieben „Verstockte“<br />
aus ihren Zellen und machte ihnen „zum<br />
Wohl der Stadt“ öffentlich den Prozess; unter<br />
ihnen waren auch eine junge Frau und der Sohn<br />
eines Müllers. Die sieben blieben bei ihrer „Sturheit“;<br />
so überführte das Gericht sie der Ketzerei<br />
und fällte das Todesurteil. Drei Tage später wurden<br />
sie in Ketten auf ein gefrorenes abgeerntetes<br />
Feld vor der Stadt geführt. Die Vornehmen der<br />
Stadt folgten auf Pferden, das Volk zog in großen<br />
Scharen hinterher. Der Lärm der Trommler<br />
machte jede Unterhaltung unmöglich.<br />
Doch was war das? Der jüngste der Sieben, der<br />
Sohn des Müllers, schrie aus Leibeskräften. Er<br />
übertönte die Trommeln und viele konnten seine<br />
Worte verstehen: „Lasst ab von euren Sünden und<br />
eurer Ungerechtigkeit! Kehrt um zu Gott! Es ist<br />
kein anderer Weg ins Himmelreich als der Herr<br />
Jesus Christus, der für eure Befreiung am Kreuz<br />
gestorben ist!“<br />
Einer der berittenen Edelleute konnte es nicht<br />
ertragen, dass der Junge getötet werden sollte.<br />
Er bat um Erlaubnis, mit ihm zu sprechen: „Mein<br />
Sohn, lass ab von deiner Verführung und widerrufe.<br />
Schone dein junges Leben! Ich will dich<br />
in mein Haus aufnehmen und dich stets bei mir<br />
behalten. Wenn du mir folgst, sollst du dein Leben<br />
lang gute Tage bei mir haben.“<br />
Doch der junge Mann antwortete: „Das wolle<br />
Gott niemals zulassen, dass ich das irdische<br />
Leben behalte und das ewige verliere. Da würde<br />
ich töricht handeln. Nein, ich will das nicht tun.<br />
Dein Gut kann weder dir noch mir helfen, ich will<br />
meinen Geist Gott übergeben und Christus anbefehlen,<br />
damit sein bitteres Leiden am Kreuz an<br />
mir nicht umsonst war.“<br />
Alle sieben wurden geköpft und ein Schrecken<br />
erfasste das Volk. Es wurde erzählt, in jener<br />
Nacht sei ein Leuchten über der Stadt und ein<br />
Gesang von Engeln zu hören gewesen.<br />
Die Urteilsfindung<br />
Die sieben Gefangenen waren zum Tode verurteilt<br />
worden. Aber starben sie aufgrund dieses Urteils?<br />
Nein, sie starben, weil sie selbst zu einer unendlich<br />
höheren Urteilsfindung gekommen waren:<br />
dass sie recht handelten, wenn sie Jesus in allem<br />
nachfolgten. Ihr inneres Urteil machte sie stärker<br />
als alle äußeren Verurteilungen.<br />
Sie folgten Jesus in Taufe, Brotbrechen, Gewaltfreiheit<br />
– und auch in eine neue, völlig andere<br />
Herrschaftsordnung. Und sie waren bereit, ihm<br />
nachzufolgen auch in Leiden, ja bis in den Tod.<br />
Ihre Verfolger spürten das und es erfüllte sie<br />
mit Schrecken. Sie ahnten, dass gegen solch<br />
innere Urteilskraft nicht anzukommen war.<br />
Was sollten sie ausrichten gegen Leute, die<br />
die Todesstrafe lieber wollten als ein Leben in<br />
Reichtum und Wohlstand im Haus eines Edelmannes?<br />
Weder Tradition noch Gesetz, keine Familie,<br />
nicht Kaiser, Schwert, Papst oder Kirche konnten<br />
etwas ausrichten gegen ein solches inneres Urteil.<br />
Dieser Artikel ist ein kurzer Ausschnitt der ersten 60 Seiten des<br />
330-seitigen Buches „Feuertaufe – das radikale Leben der Täufer –<br />
eine Provokation“. Peter Hoover, erschienen bei „Down to Earth“.<br />
ISBN 3-935992-23- 8 (redaktionell bearbeitet).<br />
http://shop.agentur-pji.com/feuertaufe.html<br />
1 1. Johannes 1,7.<br />
Täufergericht 1529 in<br />
Schwäbisch Gmünd.<br />
Jan Luyken (1685)<br />
Die<br />
Reformatoren<br />
lebten im<br />
Gehorsam<br />
gegenüber<br />
der Obrigkeit,<br />
die Täufer im<br />
Gehorsam<br />
gegenüber<br />
Christus<br />
Z für Zukunft<br />
81
Historisch<br />
Ekklesiozid<br />
mit Schwert, Scheiterhaufen und Galeere<br />
Hinrichtung von Jan van<br />
Leiden in Münster 1536;<br />
Stich, Hermann von<br />
Kerrsenbroick, 1771<br />
An den<br />
Verfolgungen<br />
waren neben<br />
den staatlichen<br />
Behörden auch<br />
die römischkatholische,<br />
die<br />
lutherische und<br />
die reformierte<br />
Geistlichkeit<br />
beteiligt<br />
Etwa 1000 namentlich erfasste Täufer<br />
ließen im 16. und 17. Jahrhundert<br />
aufgrund ihrer Glaubensüberzeugungen<br />
ihr Leben. Davon sind etwa 800<br />
Namen im mennonitischen Märtyrerspiegel<br />
erfasst. Das Geschichtsbuch der Hutterischen<br />
Brüder beschreibt auf rund 670 Seiten viele<br />
Einzelschicksale täuferischer Märtyrer. Die Täuferforschung<br />
geht davon aus, dass die dokumentierte<br />
Zahl der Opfer mindestens verdoppelt werden muss;<br />
aber auch das wird dem ganzen Ausmaß der Verfolgung<br />
nicht gerecht: Täufer wurden ihres Besitzes<br />
beraubt, des Landes verwiesen und in die Sklaverei<br />
verkauft. An den Verfolgungen waren neben den<br />
staatlichen Behörden auch die römisch-katholische<br />
Kirche, die lutherische und die reformierte Geistlichkeit<br />
beteiligt.<br />
Besonders lang anhaltend war die Verfolgung<br />
der Täufer in der Schweiz. Die reformierten Städte<br />
Zürich und Bern verhängten noch im 17. Jahrhundert<br />
die in den meisten Fällen tödlich endende<br />
Galeerenstrafe. Die Stadt Bern richtete 1699 eine<br />
besondere „Täuferkammer“ ein, die die Verfolgung<br />
koordinieren und die Güter der geflohenen oder<br />
vertriebenen Täufer verwalten sollte; es gab sogar<br />
„Täuferjäger“! Allein 1709 sollen mit Hilfe der Täuferkammer<br />
etwa 500 Personen aus der Schweiz<br />
vertrieben worden sein. Nahezu 25 Prozent der<br />
Hinrichtungen in protestantischen Gebieten des<br />
Deutschen Reiches fanden in Kursachsen statt;<br />
hier hatte sich bereits 1531 Philipp Melanchthon in<br />
einem Gutachten für die Todesstrafe für aufrührerische<br />
Täufer ausgesprochen. Auch in den Niederlanden<br />
endeten viele Täufer auf dem Scheiterhaufen.<br />
Im Erzbistum Salzburg wurde im April 1523<br />
bekannt, dass sich in Salzburg neben Anhängern<br />
Luthers auch Wiedertäufer befänden; als ihr<br />
Anführer wurde Hans Hut vermutet (daher kommt<br />
die Bezeichnung „Hutterer“). Man spürte eine Versammlung<br />
von 32 Täufern auf; von ihnen wurden<br />
drei verbrannt, fünf durch das Schwert hingerichtet,<br />
eine Frau und ein sechzehnjähriges Mädchen<br />
wurden ertränkt. Vier Tage später wurden wieder<br />
vier Täufer zum Scheiterhaufen geführt, vier<br />
Widerrufende enthauptet und fünf mitsamt dem<br />
Versammlungshaus verbrannt. Die überlebenden<br />
Täufer gingen nach Tirol.<br />
Im Weinviertel wurden 1538 in den Verliesen<br />
der Burg Falkenstein zahlreiche aus Mähren vertriebene<br />
Täufer inhaftiert. Die Frauen und Kinder<br />
wurden bald wieder freigelassen, die Männer<br />
kamen in Triest auf habsburgische Galeeren.<br />
Der Täuferforscher Wolfgang Krauss spricht<br />
im Blick auf das Ausmaß des Martyriums, das die<br />
Täufer durchlitten haben, von „Ekklesiozid“.<br />
In manchen Territorien fanden die Gesetze<br />
gegen die Täufer keine strikte Anwendung. Man<br />
verwies die Angehörigen der Täufergemeinden,<br />
die nicht „abschwören“ wollten, des Landes oder<br />
sprach eine Duldung aus, sofern sich die Täufer in<br />
aller Stille versammelten und auf Missionierung<br />
verzichteten. Unter dem hessischen Landgrafen<br />
Philipp I., einem Lutheraner, kam die Todesstrafe<br />
trotz Androhungen nicht zur Anwendung.<br />
Anlässlich des „Täuferjahres 2007“ baten Vertreter<br />
der Reformierten Kirche der Schweiz die<br />
Nachfahren der Täuferbewegung um Vergebung.<br />
Bei einem Bußgottesdienst in Stuttgart (Juli 2010)<br />
legte auch der Lutherische Weltbund gegenüber<br />
Vertretern der reformatorischen Täuferbewegung<br />
ein umfassendes Schuldbekenntnis ab.<br />
Quelle: https://de.wikipedia.org/wiki/Täufer (Zugriff am 3.11.2017).<br />
82<br />
Z für Zukunft
Historisch<br />
Lernen aus der<br />
Erweckungsgeschichte<br />
Erweckungen im 20. Jahrhundert in Wales und auf den schottischen Hebriden<br />
Hanspeter Nüesch<br />
Foto: © Postkarte aus jener Zeit<br />
Von der Erweckungsgeschichte können<br />
wir für unsere Zeit eine Menge<br />
lernen, um auch für einen neuen<br />
geistlichen Aufbruch in Europa vorbereitet<br />
zu sein. Ich habe insbesondere<br />
die zwei Erweckungen des 20. Jahrhunderts<br />
in Europa studiert, die in Wales (1904–1906) und<br />
die auf den schottischen Hebriden (1949–1952),<br />
um Merkmale und Voraussetzungen zu verifizieren<br />
– und zu erkennen, was das für uns heute<br />
bedeuten könnte.<br />
Eine persönliche Erweckung erleben<br />
1972, während meines Sprachaufenthaltes in<br />
England, erfuhr mein oberflächlicher Glaube eine<br />
dramatische Wende. In einer tiefen persönlichen<br />
Krise erkannte ich meinen innerlichen Zustand<br />
schonungslos deutlich. Zum ersten Mal wurde<br />
mir klar: Ohne die Erfüllung durch den Heiligen<br />
Geist kann ich kein glaubwürdiger Christ sein.<br />
Im Gebet übergab ich Jesus Christus die Leitung<br />
über mein ganzes Leben, und was ich daraufhin<br />
erlebte, war eine gewaltige persönliche<br />
Erweckung, ein geistliches Wachwerden, eine<br />
Bevollmächtigung durch den Heiligen Geist, eine<br />
grundlegende Veränderung.<br />
Nach diesem Tag fanden Menschen um mich<br />
herum zum Glauben. Eine depressive Schweizerin,<br />
der ich seit Wochen von Jesus erzählt hatte, verlor<br />
ihren Argwohn mir gegenüber, wie sie sagte, und<br />
nahm Jesus Christus als Erlöser und Herrn auf.<br />
Eine griechische Studentin, die im selben Haus<br />
wohnte, wollte noch auf dem Weg zur Schule mitten<br />
auf dem Weg Gott in ihr Leben einladen.<br />
Ohne mein Zutun wurden sich Menschen ihrer<br />
Sündhaftigkeit bewusst und wollten mit Gott ins<br />
Reine kommen. Gottes Gegenwart war manchmal<br />
so stark, dass in einem Fall zwei buddhistisch<br />
erzogene Japaner ausriefen: „Jetzt erleben<br />
wir den Gott, von dem du sprichst“, während<br />
gleichzeitig ein Mann aus Panama zum<br />
Restaurant hinausrannte, weil er diese<br />
Atmosphäre offensichtlich nicht mehr<br />
aushielt.<br />
Ein italienischer Playboy, der sich<br />
über die wachsende Bibelgruppe in der<br />
Es kamen so viele Menschen<br />
zu den öffentlichen Predigten,<br />
dass man Veranstaltungen ins<br />
Freie verlegen musste<br />
Foto: Postkarte 1905<br />
Hanspeter und Vreni Nüesch<br />
haben sich eingehend mit<br />
„Erweckung“ befasst<br />
Z für Zukunft<br />
83
Historisch<br />
Gleichzeitig begriff ich, dass Erweckung untrennbar<br />
mit Evangelisation zusammenhängt: Erweckung<br />
macht die Menschen Gottes bewusst, und<br />
Evangelisation zeigt auf, wie sie Vergebung ihrer<br />
Sünden erhalten können. Bei meinem eigenen<br />
Aufbruch erlebte ich zum ersten Mal, was Erweckung<br />
ist und welch entscheidende Rolle der Heilige<br />
Geist spielt, aber auch das ernsthafte Gebet,<br />
damit Menschen zu einem lebendigen Glauben<br />
gelangen und zu echter Lebensveränderung.<br />
Bei meinem Studium der Erweckungsgeschichte<br />
ist mir aufgefallen, wie stark das eine<br />
das andere fördert: Die evangelistische Verkündigung<br />
war gerade dort um ein Vielfaches<br />
effektiver, wo Christen als Antwort auf außerordentliches<br />
Gebet zuvor selbst Erweckung<br />
erlebt hatten und neu mit dem Heiligen Geist<br />
erfüllt worden waren.<br />
Im Jahr 1906 wurde über die<br />
Erweckung in Wales auch<br />
in Deutschlands berichtet.<br />
Das Interesse am Evanglium<br />
nahm deutlich zu. Die Zelte<br />
der Deutschen Zeltmission<br />
konnten die Interessierten<br />
nicht mehr fassen,<br />
wie hier in Elberfeld.<br />
Foto: Postkarte aus jener Zeit<br />
Cafeteria lustig gemacht hatte, kam zu uns mit<br />
den Worten: „Mich interessiert nicht, was ihr<br />
da lest, mich interessiert nur, wie ich mit Gott<br />
ins Reine kommen kann.“ Und eine lebenslustige<br />
Sprachlehrerin, die ich an den Tanzabenden<br />
der Schule als gute Tänzerin kennengelernt<br />
hatte, fragte eines Morgens: „Ich konnte<br />
die ganze Nacht nicht schlafen, weil ich Angst<br />
hatte um meine Seele. Habt ihr so etwas auch<br />
schon erlebt?“ Auf meine Antwort: „Sie müssen<br />
Ihr Leben Jesus Christus unterwerfen (surrender)!“,<br />
korrigierte sie mich, ganz Lehrerin: „Nein,<br />
Sie müssen Ihr Leben Jesus Christus anvertrauen<br />
(commit)!“, worauf ich meinte: „Ja, das ist es, was<br />
Sie tun müssen!“<br />
Erweckung und Evangelisation<br />
1906 lud man den Evangelisten Reuben Archer<br />
Torrey an die Tersteegen-Ruh-Konferenz in Mühlheim<br />
an der Ruhr ein, um von ihm Näheres über<br />
die Erweckung in Wales zu erfahren. Seine Botschaft<br />
von der vollständigen Hingabe und dem<br />
Erfülltsein mit dem Heiligen Geist schlug bei den<br />
anwesenden Leitern ein wie eine Bombe. Eine<br />
direkte Folge war, dass evangelistische Aktivitäten<br />
ihre Wirkung vervielfachten und die drei Zelte<br />
der Deutschen Zeltmission die Menschen, die mit<br />
Gott ins Reine kommen wollten, kaum noch fassen<br />
konnten. Wenn solche Aufbruchsströme aber<br />
nicht einfach über das Land hinwegfließen, sondern<br />
eine tiefgreifende Veränderung bewirken<br />
sollen, sind konstante Evangelisation und Anleitung<br />
in der Nachfolge Jesu unabdingbar.<br />
Sehen wir uns hier insbesondere die beiden<br />
Erweckungen des 20. Jahrhunderts in Europa an,<br />
die in Wales (1904–1906) und die auf den schottischen<br />
Hebriden (1949–1952), um herauszufinden,<br />
was das für uns heute bedeuten könnte.<br />
Merkmale einer Erweckung<br />
Duncan Campbell (1898–1972), der die Erweckung<br />
auf den Hebriden maßgeblich prägte, hat<br />
sie so definiert: „Das Hauptmerkmal einer Erweckung<br />
ist ein Gottesbewusstsein, das sich über<br />
eine ganze Gegend legt, sodass es für alle Teile<br />
sichtbar ist.“ Alle Erweckungen zeichnen sich<br />
durch eine machtvolle Gegenwart Gottes aus,<br />
die zu Gottesfurcht und Sündenerkenntnis führt.<br />
In Erweckungszeiten sind es nicht die Evangelisten,<br />
die auf der Suche nach bußwilligen Sündern<br />
sind, sondern die bußwilligen Sünder sind auf der<br />
Suche nach Evangelisten, um ihre Lasten loszuwerden<br />
und Frieden mit Gott zu erlangen.<br />
1. Gottes Gegenwart bewirkt<br />
Gottesfurcht und Sündenerkenntnis<br />
Diese beiden Eigenschaften sind sicher das Kennzeichen<br />
der Gegenwart Gottes. In Erweckungszeiten<br />
wird den Menschen ihre Sündhaftigkeit<br />
84<br />
Z für Zukunft
Historisch<br />
zutiefst bewusst. In einem Bericht über einen der<br />
letzten Aufbrüche in Europa liest man:<br />
„Im April 1957 kamen vier hübsche Evangelistinnen<br />
der ‚Edinburgh Faith Mission‘ zwischen<br />
zwanzig und dreißig nach North Uist, einer Insel<br />
der Äußeren Hebriden in Schottland. In Lochmaddy<br />
wiesen die Pastoren die Bewohner an, den<br />
Frauen keine Unterkunft anzubieten; so besorgten<br />
sich diese selber eine ärmliche Wohnung.<br />
Zwei Wochen hielten die Evangelistinnen Gott<br />
seine Verheißung vor, er wolle ‚Wasser gießen auf<br />
das dürre Land‘ (Jesaja 44,3), bis sie Gewissheit<br />
erhielten, dass die Erweckung kommen würde.<br />
Eine von ihnen predigte über den reichen<br />
Mann und den armen Lazarus und zitierte dabei<br />
John Bunyan: ‚Hört auf die Seufzer der Hölle.‘<br />
Von diesem Moment an brach auf der Insel die<br />
Erweckung aus. Eine Person schrie in ihrer Sündenerkenntnis<br />
laut auf, und andere begannen am<br />
ganzen Körper zu zittern. Noch um Mitternacht<br />
wurden die jungen Frauen in ihrer Hütte von dreißig<br />
bußfertigen Personen besucht. Am nächsten<br />
Morgen war die Kirche überfüllt. Die Furcht Gottes<br />
erfüllte in der Folge die ganze Insel.“<br />
2. Menschen werden<br />
tiefgreifend verändert<br />
Bei der Erweckung in Wales (1904–1906) wurden<br />
aus Spielern und Alkoholikern fürsorgliche<br />
Ehemänner und Väter, aus Taugenichtsen disziplinierte<br />
Arbeiter und aus schüchternen Frauen<br />
mutige Verkündiger für Jesus, die kraftvoll den<br />
Menschen den Weg wiesen. Herkunft und Ausbildung<br />
spielten nur noch eine Nebenrolle. Die<br />
bestimmenden Wesenszüge waren Freude am<br />
Herrn Jesus und der tiefe Wunsch, dass ihre Mitmenschen<br />
diese Freude auch erleben mögen.<br />
William Stead sah in der Tatsache, „dass aus<br />
Christen Evangelisten wurden“, das wichtigste<br />
Merkmal der Erweckung in Wales. Und David<br />
Matthews fasste es so zusammen: „Schwächlinge<br />
wurden zu Giganten. Junge, gut gekleidete<br />
Frauen knieten mit Vagabunden. Sie baten<br />
diese eindringlich, den verkehrten Weg zu verlassen<br />
und ihr Leben Christus anzuvertrauen, dem<br />
neuen und lebendigen Weg.“<br />
3. Die Atmosphäre<br />
ist geprägt von Liebe und Freude<br />
Colin Peckham beschrieb die Atmosphäre zur Zeit<br />
der Erweckung auf den Hebriden anhand zweier<br />
herausragender Merkmale: „Ein Geist der Liebe<br />
durchwehte alles. Die Einheit untereinander<br />
war unbeschreiblich. Man muss es erlebt haben,<br />
um es zu glauben. Die ganze Atmosphäre war<br />
geprägt von einer tiefen Freude.“<br />
Evan Roberts, der Kohlenarbeiter, der zur<br />
Schlüsselperson der Erweckung in Wales wurde,<br />
betonte, dass die Gläubiggewordenen sich als<br />
eine große Familie empfanden: „Es gibt keine<br />
Spaltungen mehr. Lange genug haben wir einander<br />
bekämpft; von nun an haben wir mehr Zeit,<br />
den Teufel zu bekämpfen.“<br />
4. Alter und Geschlecht<br />
werden zweitrangig<br />
In einem Rückblick betonte William Edwards in<br />
der Zeitschrift „The Sunday Strand“ den starken<br />
Einfluss der Erweckung auf die Rolle der Frau in<br />
Kirche und Gesellschaft: „Die Frauen erhielten<br />
einen starken Ruf, sich voll im christlichen Dienst<br />
zu engagieren. Es gab revolutionäre Veränderungen<br />
in der Rolle der Schwestern.“<br />
William Stead sah sogar die Möglichkeit, dass<br />
die Frauen als Folge der Erweckung im Staat<br />
mehr Rechte bekommen würden: „In der jetzigen<br />
Erweckung sind die Frauen überall an der Front,<br />
indem sie singen, Zeugnis geben, beten und predigen<br />
… Die gegenwärtige Erweckung könnte damit<br />
gekrönt werden, dass die Frauen die staatliche<br />
Anerkennung der vollen Bürgerrechte erhalten.“<br />
David Matthews zeigte sich vor allem beeindruckt<br />
von der Rolle, die Kinder in der Erweckung<br />
einnahmen: „Sie drückten ihre Gedanken in Gebet<br />
und Zeugnis intelligent und schriftgemäß aus, wie<br />
sie durch den Geist Gottes geführt wurden.“<br />
5. Sämtliche Gesellschaftsbereiche<br />
verändert<br />
Ein Artikel in der Tageszeitung „Western Mail“ vom<br />
31. Januar 1905 berichtete von gewaltigen Veränderungen:<br />
„Eine Erweckung dieser Dimension ist<br />
geradezu eine Revolution. Das soziale und politi-<br />
Foto: © Hanspeter Nüesch<br />
Aus<br />
Spielern und<br />
Alkoholikern<br />
wurden<br />
fürsorgliche<br />
Ehemänner<br />
und Väter, aus<br />
Taugenichtsen<br />
disziplinierte<br />
Arbeiter und aus<br />
schüchternen<br />
Frauen mutige<br />
Verkündiger<br />
für Jesus<br />
Duncan Campbell<br />
(1898–1972) hat die<br />
Erweckung auf den Hebriden<br />
maßgeblich geprägt<br />
Z für Zukunft<br />
85
Historisch<br />
Flüche hörte<br />
man keine mehr,<br />
sodass die Pferde<br />
den Bergleute in<br />
den Minen nicht<br />
mehr gehorchten,<br />
da diese zuvor<br />
ihre Tiere nur<br />
mit Flüchen<br />
antrieben<br />
sche Leben in Wales hat eine weitreichende Veränderung<br />
erfahren, und aller Wahrscheinlichkeit nach<br />
steht uns ein noch größerer Wandel bevor. Zuweilen<br />
wurden aus Fußballspielen Gebetsstunden!<br />
Manche Konzerte änderten ihr Programm<br />
und führen stattdessen Kantaten und geistliche<br />
Lieder auf. Man kann den Zuhörern keine weltliche<br />
Musik mehr vorsetzen … Aus großen Politikern<br />
wurden Erweckungsprediger … Tausende<br />
von Männern und Frauen freuen sich zum ersten<br />
Mal darauf, nach Hause zu kommen und mit der<br />
Familie zusammen zu sein. Ihre Kinder erhalten<br />
Kleidung und Nahrung und liebevolle Erziehung<br />
wie nie zuvor. Arbeiter sind mit ihrem Lohn und<br />
ihrem Arbeitsumfeld zufrieden … Aus Kohlebergwerken<br />
wurden Andachtsräume. Nach allem, was<br />
wir heute wissen, wird Wales aus dieser gegenwärtigen<br />
Taufe gestärkt hervorgehen und besser<br />
zugerüstet für die Aufgaben, die vor uns stehen.“<br />
James Stewart fasste im Rückblick die gesellschaftlichen<br />
Veränderungen in Wales so zusammen:<br />
„Langjährige Schulden wurden bezahlt,<br />
gestohlene Güter retourniert, Trinktavernen verlassen,<br />
Flüche hörte man keine mehr, sodass man<br />
sagte, dass deswegen in den Minen die Pferde die<br />
Bergleute nicht mehr verstanden, die zuvor ihre<br />
Tiere nur mit Flüchen antrieben.<br />
Politische Versammlungen mussten verschoben<br />
werden, da die Abgeordneten an Erweckungstreffen<br />
teilnahmen. Die Gefängnisse waren leer.“<br />
Kein Wunder, dass Jahre nach der Erweckung<br />
sogar weltliche Geschäftsleute sagten: „Wir wollen<br />
mehr von dieser Erweckung; es wurden so<br />
viele Altschulden zurückgezahlt und die Ehrlichkeit<br />
hat zugenommen.“<br />
Voraussetzungen für Erweckung<br />
Solchen Aufbrüchen gehen immer Zeiten voraus,<br />
in denen den Gläubigen schmerzlich bewusst<br />
wird, wie schlimm es um Kirche und Gesellschaft<br />
bestellt ist. Berichte von früheren Aufbrüchen<br />
machen den momentanen Zustand deutlich und<br />
erzeugen gleichzeitig Hoffnung, dass Gott wieder<br />
eingreifen würde. Noch während der Erweckung<br />
in Wales wurden darüber mehrere Bücher<br />
geschrieben, so auch von Solomon Benjamin Shaw<br />
„The Great Revival in Wales“. Überall in den USA<br />
seien daraufhin Gebetsgruppen entstanden, die<br />
aus tiefer Betroffenheit, aber auch mit gestärktem<br />
Glauben um Ähnliches beteten. Kirchenhistoriker<br />
führen die pfingstliche Azusa-Street-Erweckung<br />
von 1906 direkt darauf zurück.<br />
1. Heilige Unzufriedenheit<br />
Das tiefe Empfinden des Fehlens geistlicher<br />
Kraft gilt auch für die Erweckung auf den Hebriden.<br />
Duncan Campbell, der sich nach innerem<br />
Zerbruch mit 57 Jahren Gott neu zur Verfügung<br />
stellte, sein Pfarramt aufgab und in die „Faith<br />
Mission“ eintrat, schrieb: „Ich weiß von keiner<br />
größeren Tragödie, als das Bewusstsein der<br />
unmittelbaren Gegenwart Gottes zu verlieren.“<br />
Auf meine Frage, was seinen Vater ausgezeichnet<br />
habe, meinte seine Tochter Sheena Vischer-<br />
Campbell, er sei geprägt gewesen von einer heiligen<br />
Unzufriedenheit, aber auch von einer tiefen<br />
Liebe zu den Menschen – im Wissen, dass Erweckung<br />
immer bei einem selbst beginne.<br />
2. Weg von toter Religiosität ‒ hin zur<br />
Verkündigung des Wortes Gottes<br />
In seinem Augenzeugenbericht „I Saw the Welsh<br />
Revival“ schreibt David Matthews: „Erweckung<br />
versetzt aller künstlichen religiösen Feierlichkeit<br />
den Todesstoß. Kühle Formen und Regeln,<br />
die in anderen Lebensbereichen von Nutzen sein<br />
mögen, sind das erste Opfer jeder geistlichen<br />
Bewegung.“ Und Duncan Campbell folgert aus 23<br />
Jahren Dienst im Pfarramt: „Wir haben zu viel Zeit<br />
verbracht mit Methoden, kirchlicher Maschinerie<br />
und Ressourcen und zu wenig Zeit mit der Frage,<br />
wo die Quelle der Kraft liegt. Die ersten Christen<br />
breiteten sich gigantisch aus, weil Gottes Gegenwart<br />
ihre Verkündigung bestätigte durch übernatürliche<br />
Zeichen und Offenbarung … O dass die<br />
heutige Kirche … zurückfinden möge zur Gegenwart<br />
Gottes, zur Kraft … Macht nie unbiblische<br />
Kompromisse, um den Teufel zu besänftigen!“<br />
86<br />
Z für Zukunft
Historisch<br />
Noch deutlicher äußerte sich der Erweckungsprediger<br />
Charles Finney: „Hört auf mit euren<br />
Milch-und-Wasser-Predigten über die Liebe Christi,<br />
wenn sie nicht zu einem heiligen Lebensstil und zur<br />
Abwendung von Unmoral führen.“<br />
3. Außerordentliches,<br />
verzweifeltes Gebet<br />
Man hat jegliche menschlichen Lösungsversuche<br />
als nichtig erachtet und nur mehr von Gott allein<br />
Veränderung erwartet. Unsere eigene Stärke ist<br />
oft das größte Hindernis für Gottes Eingreifen. Das<br />
erklärt auch die Tatsache, dass diese Aufbrüche oft<br />
dort geschehen, wo man es nicht erwarten würde.<br />
Es waren vor allem zwei hochbetagte Schwestern<br />
in der Gemeinde Barvas auf der Hebriden-<br />
Insel Lewis, die eine taub, die andere halb blind,<br />
die 1949 verzweifelt Gott anflehten, er möge<br />
eingreifen und insbesondere die Jugend zu ihm<br />
zurückführen. Schließlich gab Gott ihnen Gewissheit,<br />
dass er als menschliches Werkzeug Duncan<br />
Campbell dazu brauchen würde. Dieser war aber<br />
anderswo im Einsatz.<br />
Sie hielten an der Verheißung Gottes fest, bis<br />
er kam und mit ihm die Erweckung. Bekannt ist<br />
das verzweifelte Gebet von John Knox, einem<br />
Schüler von Johannes Calvin: „Gib mir Schottland,<br />
oder ich sterbe!“ Zweihundert Jahre später<br />
betete John Wesley, Vater der methodistischen<br />
Erweckung, in England: „O dass Gott mir die<br />
Dinge geben würde, nach denen ich mich sehne:<br />
dass ich ein Volk sehen möge, das ganz Gott hingegeben<br />
lebt, der Welt gekreuzigt.“ Und nochmals<br />
zweihundert Jahre später zeigte Edwin Orr,<br />
der Erweckungshistoriker schlechthin, Billy Graham<br />
den Schlafraum von John Wesley im Lincoln<br />
College in Oxford, dort, wo mit dem „Holy Club“<br />
unter den Studenten alles begann.<br />
Billy Graham zu Edwin Orr: „Heißt das, dass<br />
alles mit einer Gruppe von Studenten begann?“<br />
Spontan knieten die beiden nieder. Billy Graham<br />
betete: „O Herr, tue es noch einmal!“ – und wenig<br />
später erlebte Billy Graham den Durchbruch in<br />
seinem evangelistischen Dienst.<br />
Foto: © Hanspeter Nüesch<br />
Für Evan Roberts gehörten Gebet und Erweckung<br />
untrennbar zusammen: „Es gibt nur einen<br />
Weg, Erweckung zu erlangen, und das ist durch<br />
Gebet, durch einmütiges Gebet. Die Kraft der<br />
Erweckung liegt im Gebet.“<br />
4. Reinigung<br />
Evan Roberts, der über zehn Jahre um eine Erweckung<br />
in Wales gebetet hatte, musste erst zu der<br />
Einsicht kommen, dass noch einiges in seinem<br />
Leben nicht dafür bereit war. Ein Wort aus einem<br />
Gebet von Seth Josua blieb bei ihm haften: „Herr,<br />
beuge mich!“ Er wusste: Das galt ihm. Fortan bat<br />
er Gott inständig, alles aus seinem Leben wegzunehmen,<br />
was Gottes Wirken hinderlich sein<br />
könnte.<br />
Auch Duncan Campbell erlebte eine tiefe Überführung,<br />
bevor er für einen Aufbruch brauchbar<br />
Evan Roberts predigt<br />
vor einer großen<br />
Menschenmenge in Felinfoel,<br />
Llanelli, Wales, 1905<br />
Z für Zukunft<br />
87
Historisch<br />
Evan Roberts gab nie<br />
Interviews, aber in<br />
zahlreichen Briefen<br />
inspirierte er andere,<br />
ähnliches Wirken des<br />
Heiligen Geistes zu<br />
erbitten. So war er<br />
im Briefkontakt mit<br />
Frank Bartleman, einer<br />
Schlüsselperson der<br />
Erweckung in der Azusa<br />
Street, Los Angeles<br />
Foto: © Hanspeter Nüesch<br />
Das Problem<br />
Europas sei nicht<br />
der Unglaube der<br />
Heiden, sondern<br />
der Kleinglaube<br />
der Gläubigen –<br />
sie vertrauen<br />
nicht mehr<br />
Gottes Wort<br />
wurde: Er war ein gefragter Konferenzredner und<br />
stolz darauf; aber tief im Inneren fühlte er eine<br />
große Leere. Gebet war für ihn eine Last und das<br />
Wort Gottes toter Buchstabe, und er wollte den<br />
Dienst quittieren. Später wies Duncan Campbell<br />
immer darauf hin, dass seine Rolle bei der Erweckung<br />
auf den Hebriden nur klein gewesen sei.<br />
Die meisten Menschen seien vom Heiligen Geist<br />
überführt worden, noch bevor sie über die Kirchenschwelle<br />
getreten seien, berichtete er. Wenn<br />
schon, dann sei es das verzweifelte Gebet der einfachen<br />
Gläubigen gewesen, das den Boden vorbereitet<br />
habe. In Erweckungszeiten leben die Gläubigen<br />
in einer andauernden Abhängigkeit von<br />
Gott, die sich im Gehorsam auch in ganz banalen<br />
Dingen äußert.<br />
Charles Thomas Studd, der Gründer des WEC<br />
(„Weltweiter Einsatz für Christus“), formulierte<br />
es so: „Erweckung ist in Tat und Wahrheit Gehorsam<br />
gegenüber dem Heiligen Geist … Lasst uns<br />
gehorchen, und wir werden unmittelbar Gottes<br />
Wirken erleben in unserem eigenen Leben und in<br />
unserem Umfeld.“<br />
5. Gottes Wort in der Kraft<br />
des Heiligen Geistes<br />
Durch das Studium der Erweckungsliteratur ist<br />
bei mir die Erwartung gewachsen, dass Gott auch<br />
heute übernatürlich wirken will; doch empfinde<br />
ich gleichzeitig Trauer, dass es zurzeit so wenig<br />
Glauben gibt, besonders in Europa. Ein Inder hat<br />
mir einmal gesagt, das geistliche Problem Europas<br />
sei nicht der Unglaube der Heiden, sondern<br />
der Kleinglaube der Gläubigen – dass sie Gott und<br />
seinem Wort nicht mehr vertrauen.<br />
Wir passen die biblischen Wahrheiten an<br />
unsere beschränkten Erfahrungen an, anstatt<br />
mit der Erfüllung der Verheißungen der Bibel zu<br />
rechnen.<br />
Ich bin überzeugt: Wir brauchen eine neue<br />
Erfüllung mit dem Heiligen Geist, gleichgültig,<br />
ob unser Glaube charismatisch geprägt ist<br />
oder nicht. Dazu der Erweckungsprediger Evan<br />
Roberts: „Die Taufe mit dem Heiligen Geist ist<br />
die Essenz der Erweckung – einer Zusammenarbeit<br />
mit dem Heiligen Geist, die Gott ermöglicht,<br />
in Kraft zu wirken.“ Duncan Campbell beschrieb<br />
seine Veränderung so: „Die Taufe im Heiligen<br />
Geist kam zu mir in einer mächtigen, reinigenden,<br />
bevollmächtigenden Kraft … Ich ging hinaus<br />
und predigte die gleiche Predigt, die ich siebzehn<br />
Jahre lang gepredigt hatte – mit dem Unterschied,<br />
dass ich nun erlebte, dass Hunderte die Erlösung<br />
durch Christus ergriffen.“ Laut Apostelgeschichte<br />
5,32 bekommen jene den Heiligen Geist, die<br />
ihm gehorchen. Das betonte auch Evan Roberts<br />
gegenüber Edwin Orr: „Das völlige Sich-Gott-<br />
Überlassen stellt sicher, dass Gott uns während<br />
des ganzen Tages leitet; deshalb besteht unsere<br />
Aufgabe ganz einfach darin, auf Gottes Stimme zu<br />
hören und ihr zu gehorchen.“<br />
6. Für Nachhaltigkeit sorgen<br />
Auf die Frage, warum der mächtige Aufbruch auf<br />
den Hebriden so nachhaltig war, dass als Folge<br />
viele Menschen in den geistlichen Dienst traten<br />
oder gar in die Mission gingen, meinte Duncan<br />
Campbell: „Wir haben hier ein Volk, das sich<br />
der Autorität und Inspiration des Wortes Gottes<br />
nicht berauben ließ. Die Autorität und Inspiration<br />
der Bibel wurde nicht infrage gestellt.“ Das<br />
scheint mir für unsere Zeit ein Schlüssel zu sein:<br />
Heute gibt es kein biblisches Grundwissen mehr,<br />
88<br />
Z für Zukunft
Historisch<br />
auf dem aufgebaut werden könnte. Die Gefahr<br />
besteht, dass eine Erweckung über das Land hinwegströmt,<br />
ohne nachhaltige Veränderung bewirken<br />
zu können.<br />
Nach dem 11. September wollte ich in New<br />
York lernen, wie wir als Gemeinde Jesu uns optimal<br />
auf Katastrophen vorbereiten können, und<br />
suchte zahlreiche geistliche Leiter unterschiedlicher<br />
Denominationen auf. Die wichtigste Lektion<br />
daraus: Unmittelbar nach 9/11 hatten die<br />
Menschen ein großes Bedürfnis, sich mit jemandem<br />
über die traumatischen Erlebnisse auszutauschen.<br />
Aber nur jene Kirchen mit Erfahrung in<br />
Nachbarschaftsevangelisation und die, die Kleingruppen<br />
hatten, waren darauf vorbereitet. Der<br />
Gottesdienstbesuch bei der großen Mehrheit der<br />
Kirchen veränderte sich hingegen kaum.<br />
Dieses Muster wird sich auch bei uns wiederholen,<br />
wenn wir nicht alles unternehmen, um<br />
in jedem Christen die „Basics“ des christlichen<br />
Glaubens wieder zu verankern, also alles rund um<br />
den Kreuzestod Christi und wie jeder den Heiligen<br />
Geistes empfangen kann.<br />
Alpha-Kurse oder ähnliches sind sicher gute<br />
Mittel dafür. Zusätzlich gilt es, Beziehungsgruppen<br />
zu bilden, in denen das Wort Gottes gemeinsam<br />
bewegt wird. Kirchen sollten Kurse anbieten,<br />
um Nachfolger Jesu auszubilden, die im Ernstfall<br />
die vielen suchenden Menschen begleiten und im<br />
Glauben festigen können. Angenommen, wir hätten<br />
plötzlich zehnmal so viele am Glauben interessierte<br />
Menschen wie heute, was müssten wir<br />
tun? Wären wir darauf vorbereitet?<br />
Lektionen aus der<br />
Erweckungsgeschichte für heute<br />
Was können wir also aus früheren Erweckungen<br />
lernen? Wie können wir uns auf einen großen<br />
geistlichen Aufbruch am besten vorbereiten?<br />
Kurz zusammenfasst:<br />
Jede Erweckung sieht anders aus. Wir dür-<br />
uns nicht festlegen auf etwas, was frü-<br />
01fen<br />
her funktioniert hat.<br />
Selbstzufriedenheit muss Platz machen für<br />
02einen Hunger nach Gottes mächtigem, veränderndem<br />
Wirken.<br />
In einer Haltung tiefgreifender Umkehr<br />
03müssen wir auch solche Dinge vor Gott<br />
bekennen und dafür um Vergebung bitten, die<br />
Sünde sind, aber jetzt nicht mehr als Sünde<br />
gelten.<br />
Unsere eigene Vorstellung von Stärke<br />
04und Schwäche muss Platz machen für die<br />
Abhängigkeit vom Heiligen Geist.<br />
05<br />
In ernsthaftem Flehen müssen wir Gottes<br />
Gegenwart suchen mit außerordentlichem<br />
Gebet, auch im Gottesdienst.<br />
Zielloser Aktivismus muss einem Leben<br />
06Platz machen, das vom Wort Gottes und der<br />
Leitung des Heiligen Geistes geprägt ist.<br />
Wir müssen lernen, unser Denken, Beten<br />
07und Handeln nicht an unseren beschränkten<br />
Erfahrungen auszurichten, sondern an den<br />
Verheißungen der Bibel.<br />
Auf alle Weise müssen wir das ABC des<br />
08Glaubens weitergeben, verbunden mit persönlichem<br />
Glaubenszeugnis, um eine biblische<br />
Grundlage für Erweckung zu legen.<br />
Jeder Christ muss zum Dienst ausgerüstet<br />
09 werden, damit der kommende Aufbruch in<br />
gute Bahnen gelenkt werden und von Dauer<br />
sein kann.<br />
Wir müssen lernen, der Verständnislosig-<br />
und der Kritik der Umwelt zu begeg-<br />
10keit<br />
nen in Liebe und mit Segnen.<br />
Hanspeter Nüesch, bis 2013 Leiter von Campus für Christus<br />
Schweiz, Integrationsfigur für Christustag-International<br />
(redaktionell bearbeitet)<br />
Angenommen,<br />
es würden sich<br />
plötzlich zehnmal<br />
so viele für den<br />
Glauben interessieren<br />
wie heute:<br />
Wären wir darauf<br />
vorbereitet?<br />
Z für Zukunft<br />
89
Historisch<br />
Der Weg des Buches<br />
Werner Bartl<br />
Foto: © Werner Bartl<br />
Kaiserin Maria Theresia von Österreich<br />
war überzeugte Katholikin<br />
und keineswegs tolerant. Noch<br />
1776 – also im Jahr der Unabhängigkeitserklärung<br />
Amerikas und 13<br />
Jahre vor der Französischen Revolution – ließ sie<br />
über viertausend „Geheimprotestanten“ auf der<br />
Donau nach Siebenbürgen schaffen.<br />
Das hatte Tradition: Ein halbes Jahrhundert<br />
zuvor, 1730/31, mussten über 22 000 Salzburger<br />
Protestanten binnen acht Tagen das Land verlassen;<br />
ein Fünftel der Bevölkerung wurde zwangs-<br />
deportiert. Zwar brannten keine Scheiterhaufen<br />
mehr, aber die Evangelischen mussten für ihren<br />
Glauben trotzdem teuer bezahlen.<br />
Bibellesen streng verboten!<br />
Kinder unter 14 wurden den Eltern entrissen<br />
und ins Kloster gesteckt, wo sie mit aller Gewalt<br />
zwangskatholisiert wurden. Viele der Deportierten<br />
starben schon auf dem Transport oder im<br />
ersten Jahr in der Fremde; andere wurden ins<br />
Gefängnis geworfen und gingen dort jämmerlich<br />
zugrunde. Was hatten sie verbrochen?<br />
90<br />
Z für Zukunft
Historisch<br />
Zum Gedenken an die Zeit, zu der Bibellesen streng verboten war und auf diesen<br />
abenteuerlichen Pfaden jahrhundertelang Bibeln geschmuggelt wurden, um so die<br />
„Geheimprotestanten“ mit dem Wort Gottes zu versorgen<br />
Es genügte bereits, wenn man beim Bibellesen<br />
erwischt wurde. Das widerfuhr auch dem Altbauern<br />
Jakob Schenner im Salzkammergut: Er hatte<br />
nachts in seiner Stube heimlich in der Bibel gelesen<br />
und starb – wie viele andere auch – hinter<br />
modrigen Gefängnismauern.<br />
Bibelschmuggel in Mitteleuropa<br />
Der Besitz und das Lesen der Bibel in deutscher<br />
Sprache waren in Österreich bis zum Erlass des<br />
Toleranzpatents (1781, Joseph II.) verboten. Zum<br />
Gedenken an diese Zeiten eröffnete die Evangelische<br />
Kirche in Österreich 2008 den „Weg des<br />
Buches“ – auf diesen abenteuerlichen Pfaden<br />
wurden jahrhundertelang Bibeln geschmuggelt,<br />
um die „Geheimprotestanten“ mit dem Wort Gottes<br />
zu versorgen.<br />
Wegen (und trotz!) der Verfolgung trafen sich<br />
die Evangelischen heimlich in Wäldern und Höhlen;<br />
sie hatten sogar verborgene Friedhöfe. Der<br />
600 Kilometer lange „Weg des Buches“ führt zu<br />
vielen dieser Höhlen, Felsformationen, Waldlichtungen<br />
und Anhöhen.<br />
Z für Zukunft<br />
91
Historisch<br />
DE<br />
Salzburg<br />
Italien<br />
Passau<br />
Gmunden<br />
Schladming<br />
Österreich<br />
Buch bestellen<br />
Villach<br />
Slovenien<br />
Triest<br />
Bild oben: Der Autor Werner Bartl an einem<br />
geheimen Treffpunkt der Christen im Wald<br />
Wegbeschreibung und Karte:<br />
http://www.wegdesbuches.eu<br />
An den einzelnen Stationen<br />
und durch viele Erzählungen<br />
wird verständlich, warum<br />
diese „Abtrünnigen und Widerspenstigen“<br />
den Mächtigen<br />
Linz<br />
jener Zeit so gefährlich schienen,<br />
dass sie sie ins Gefängnis<br />
warfen und zur Auswanderung<br />
zwangen. Viele der „Ketzer“<br />
wurden auch zum Tod auf dem<br />
Scheiterhaufen verurteilt oder<br />
mit einem Stein um den Hals<br />
ertränkt. Diese Auswüchse<br />
der Intoleranz erschüttern<br />
– und zeigen, wie notwendig<br />
die Reformation war, der Protest<br />
gegen die Bevormundung<br />
durch die Kirche.<br />
Nachdenken<br />
Der Blick in die Vergangenheit<br />
macht uns auch der Verantwortung<br />
bewusst, jeglicher aggressiven<br />
Intoleranz gegen Andersdenkende<br />
und Andersgläubige<br />
entgegenzutreten. Vor allem<br />
aber bringt er uns hoffentlich<br />
zum Nachdenken: Diese Menschen<br />
waren bereit, für ihren<br />
Glauben an ein rettendes Evangelium<br />
in den Tod zu gehen!<br />
Sie waren überzeugt, dass sie<br />
sich das ewige Leben nicht verdienen<br />
konnten, weder durch<br />
gute Werke noch durch religiöse<br />
Rituale, auch nicht durch<br />
das Märtyrerschicksal. Für<br />
ihren Glauben brauchten sie<br />
weder Gebäude noch Organisation.<br />
Seit 236 Jahren dürfen sich<br />
Evangelische in Österreich wieder<br />
versammeln, anfangs nur in<br />
Gebäuden ohne Turm und Glocken,<br />
und alle mussten „durch<br />
die Hintertür“: die evangelischen<br />
Gotteshäuser durften auf der Straßenseite<br />
keinen Eingang haben. Viele Jahrzehnte warnten<br />
katholische Pfarrer in Österreich vor der „Sekte der<br />
Evangelischen“, meine Großmutter hat das noch<br />
selber erlebt. Das ist vorbei und das ist gut so.<br />
Das Begonnene zu Ende führen<br />
Sollen wir uns darüber freuen, dass heute erlaubt<br />
ist, was vor 500 Jahren als heftig bekämpfte Reformation<br />
begann? Ja. Aber das war damals nur der<br />
Anfang; Martin Luther startete eine Reformation,<br />
aber sie muss noch zu Ende geführt werden. Er<br />
ging den ersten Schritt; in den fünf Jahrhunderten<br />
seither haben andere die nächsten Schritte getan.<br />
Auch heute werden Nachfolger Jesu, die ihre<br />
Stimme erheben gegen die etablierten Kirchen<br />
und Freikirchen, weil sie Menschen wiederum<br />
oder noch immer in Abhängigkeit halten von Ritualen,<br />
Kirchenzugehörigkeit und Amtsverständnis<br />
– auch heute werden diese Nachfolger Jesu oft ins<br />
„Sekteneck“ gestellt.<br />
Der Kampf um die von Gott geschenkte Freiheit<br />
in Christus ist noch nicht zu Ende. Es ist der<br />
„Weg des Geistes Gottes“, der uns am „Weg des<br />
Buches“ dem Ziel entgegen führt: Erneuerung,<br />
aber ohne das Bewährte zu verlieren; Wahrheit<br />
behalten und bisher verdeckte Wahrheit finden;<br />
und natürlich ein Leben in der Liebe zu Gott und<br />
dem Nächsten.<br />
Werner Bartl ist Österreicher und als Fernsehjournalist und -<br />
korrespondent tätig. Er ist den „Weg des Buches“ als Erster von<br />
Anfang bis Ende gegangen. Seine Wegbeschreibung „Auf<br />
Schmugglerpfaden von Passau zum Dreiländereck pilgern“ ist im<br />
Conrad Stein Verlag erhältlich. ISBN 978-3-86686-299-9.<br />
92<br />
Z für Zukunft
Visionär<br />
Bild: © Leonardo da Vinci<br />
Ekklesia<br />
wird Humanismus überwinden,<br />
Kirche nicht<br />
George Markakis<br />
Reformation<br />
lässt sich nicht<br />
stoppen. Jedoch<br />
werden Reformer<br />
aufs Erbittertste<br />
bekämpft von<br />
denen, die<br />
aus deren Mitte<br />
sie hervorkommen<br />
Was verhindert, dass „Kirche“<br />
zur ekklesia wird? Luthers<br />
Thesen wandten sich gegen<br />
den Ablasshandel der römischkatholischen<br />
Kirche; gegen<br />
was oder wen müssten sich „Thesen“ heute richten?<br />
Eine ekklesia als oikos-Familie Gottes, ein<br />
Organismus, eine allgemeine königliche Priesterschaft,<br />
die auf der Erde die Autorität Jesu<br />
Christi ausübt – das hätte doch was; es wäre in<br />
der Lage, einem atheistisch-humanistischen Denksystem<br />
gegenüberzutreten. Warum Humanismus<br />
mit Atheismus so eng verbunden ist, wird in der<br />
zweiten Hälfte des Artikels deutlicher.<br />
Gottes Reich komme, Gottes Wille geschehe –<br />
auf Erden genauso, wie es im Himmel geschieht!<br />
Vor 500 Jahren wurde die Wahrheit in Sachen<br />
Glauben verdunkelt durch die römisch-katholi-<br />
sche Kirche, die Seelenheil verkaufte, um den<br />
Bau prunkvoller Tempel zu finanzieren. Wer ist<br />
es heute, der Verdunkelung betreibt? Welcher<br />
Art ist die Finsternis unserer Tage? Sie hat mit<br />
einem Denkkonzept zu tun. Die Evangelische Kirche<br />
Deutschlands (EKD) maßt sich an, mit „vernünftiger“<br />
Theologie Gott beibringen zu wollen,<br />
wie er sein Wort zu verstehen hat. Damit hat sie<br />
ihr lutherisches Erbe, die Reformation, gründlich<br />
„deformiert“ und sich in einen Zustand begeben,<br />
der wohl noch finsterer ist als die römisch-katholische<br />
Kirche zur Zeit Luthers.<br />
Doch Reformation lässt sich nicht stoppen; die<br />
Wiederentdeckung der ursprünglichen, der biblischen<br />
Wahrheit hat nie aufgehört – auch wenn<br />
die Geschichte zeigt: Die Reformer werden aufs<br />
Erbittertste bekämpft von denen, aus deren Mitte<br />
sie hervorkommen. Und noch ein Prinzip: Wenn<br />
Z für Zukunft<br />
93
Visionär<br />
Das „Gemasolar“ – ein<br />
Solarkraftwerk bei Sevilla<br />
in Spanien<br />
Foto: © Torresol Energie<br />
Die ekklesia Jesu<br />
soll dieser<br />
verfinsterten<br />
Welt zur<br />
Beleuchtung<br />
dienen<br />
ein Erneuerungsprozess in einer Denomination<br />
zum Stillstand kam, wurde er in einer anderen<br />
weitergeführt – wie beim Stafettenlauf. Das hört<br />
sich allerdings leichter an, als es war; schon so<br />
mancher hat dafür mit dem Leben bezahlt.<br />
In den letzten hundert Jahren wurden die<br />
Reformationszyklen immer kürzer; überall auf<br />
der Welt geschah Erweckung und man erlebte<br />
wieder Realitäten, die für die ersten Christen normal<br />
gewesen waren. Die Wiederentdeckung der<br />
Kraft des Heiligen Geistes führte in vielen Ländern<br />
zu einer explosionsartigen Ausbreitung des<br />
christlichen Glaubens.<br />
Wir sind dankbar für jeden Fortschritt, aber<br />
noch ist nicht alles perfekt im „Hause Gottes“.<br />
Der Reformationsprozess der Wiederherstellung<br />
verschütteter Wahrheiten ist immer noch im<br />
Gange; jetzt steht er vor einer neuen Phase.<br />
Etwa hundert Jahre nach der „Azusa-Street-<br />
Erweckung“, durch die unzählige neue Denominationen<br />
entstanden, ist es Zeit für eine weitere<br />
Ebene, denn noch sind bei Weitem nicht alle<br />
Ankündigungen der Bibel erfüllt. Ein wichtiger<br />
Teil von Gottes Plan ist, dass wir Christen zusammenwachsen<br />
zu einem lebendigen Organismus,<br />
der auf der Erde den Himmel vertritt als Spiegel<br />
der Autorität und Herrlichkeit Gottes. Das hat<br />
Gott gemeint, als er die ekklesia ins Leben rief.<br />
Der Unterschied zwischen „Kirche“ und<br />
ekklesia – drei Hauptpunkte<br />
1. „Kirche“, wie Gott sie gedacht hat, ist weder<br />
ein Tempelgebäude noch eine Organisation und<br />
auch keine bloße Versammlung von geretteten<br />
Sündern, sondern eine oikos-Familie Gottes,<br />
eine Lebensgemeinschaft. Hier zählen Gemeinsamkeit<br />
statt Individualität, Liebe statt Selbstzentriertheit.<br />
So wird Gott sichtbar und spürbar<br />
und seine Herrlichkeit zeigt sich durch ganz<br />
normale Menschen.<br />
2. „Kirche“, wie Gott sie gedacht hat, also ekklesia,<br />
ist von Gott berufen, auf der Erde die königliche<br />
Priesterschaft Jesu Christi zu sein. Jesus<br />
Christus ist der Hohepriester Gottes; er sitzt zur<br />
Rechten Gottes des Vaters und wird als König<br />
wiederkommen. (Das kennen wir aus dem Glaubensbekenntnis<br />
und sprechen es brav nach; ist<br />
uns aber auch klar, was das bedeutet?)<br />
3. „Kirche“, wie Gott sie gedacht hat, wurde<br />
durch das Blut Jesu erkauft und gebildet, und<br />
zwar nicht nur zum Zwecke der Erlösung von<br />
Sünde und Gottesferne, sondern auch, um uns<br />
aus einem tödlichen Machtbereich herauszuretten.<br />
Die so Erlösten und Erretteten werden zur<br />
ekklesia Jesu, die in dieser verfinsterten Welt<br />
zur Beleuchtung dienen soll, um etwas bislang<br />
Unsichtbares sichtbar zu machen – das Reich<br />
Gottes.<br />
Diese oikos-Gemeinschaft Gottes soll als<br />
ekklesia die juristische Autorität ausüben, die<br />
Gott an seinen Organismus delegiert hat – sie<br />
soll also richten und regieren:<br />
damit das Reich Gottes auf Erden sichtbar werden<br />
kann (Vaterunser: „Dein Reich komme!“);<br />
damit die Pforten der Hölle nicht herrschen<br />
können, weil die ekklesia proklamierend betet;<br />
sodass das Licht Gottes auf Erden leuchtet,<br />
damit alle Menschen es sehen können.<br />
In der nächsten Phase der Reformation soll<br />
dieser lebendige Organismus sichtbar werden<br />
und an die Stelle von Organisationen treten.<br />
94<br />
Z für Zukunft
Visionär<br />
Ist „Kirche“, wenngleich protestantisch-reformiert,<br />
dennoch in der mittelalterlichen Variante<br />
von „Kirche“ steckengeblieben (das heißt, sie ist<br />
immer noch „religiöse Versammlung“ und kaum<br />
mehr), so soll jetzt eine Veränderung erfolgen hin<br />
zu einer königlichen Priesterschaft Jesu Christi,<br />
die als ekklesia auf dieser Welt in Gottes Kraft<br />
und Autorität ihren Ausdruck findet.<br />
Es ist an der Zeit, der Finsternis im „Hause<br />
Gottes“ mit Licht zu begegnen; so wird der atheistische<br />
Humanismus samt seiner spirituellen Kraft<br />
entlarvt und vom Sockel gestoßen.<br />
Zur Verdeutlichung<br />
Die „Kirche“ begnügt sich damit, dass Sünder<br />
selig werden; die ekklesia aber soll Gottes Herrschaft<br />
verkünden und sichtbar machen!<br />
Wer sich auf das „Evangelium der Errettung“<br />
beschränkt, verhindert das „Evangelium des Reiches<br />
Gottes“ und macht sich damit letztlich –<br />
sicher ohne es zu wollen – zum Agenten Satans.<br />
Das sind harte Worte, doch mit dieser Einschränkung<br />
wird Gottes ursprünglicher Plan behindert;<br />
der umfassende Zweck, für den Jesus am<br />
Kreuz gestorben ist, wird nur sehr eingeschränkt<br />
erfüllt.<br />
Der humanistische Geist hat schon Petrus dazu<br />
veranlasst, Jesus von seinem Auftrag abzuhalten;<br />
als Jesus von seinem bevorstehenden Kreuzestod<br />
sprach, rief der Jünger aus: „O nein, Herr! Das<br />
wird dir niemals passieren!“ Was erwiderte Jesus<br />
auf diesen sicher gut gemeinten Ausruf? „Geh<br />
hinter mich, Satan! Du bist mir ein Ärgernis, eine<br />
Versuchung, Du willst mich zu Fall bringen, denn<br />
du denkst nicht im Sinne, was Gottes Absichten<br />
sind, sondern was menschlich ist“. 1 Menschlich<br />
– humanistisch.<br />
Die Gesinnung des Humanismus fährt im<br />
„Hause Gottes“ zurzeit äußerst listige Angriffe.<br />
In dem Gespräch, das Jesus und seine Jünger in<br />
Cäsarea Philippi führten, sehen wir: Satan reagierte<br />
unverzüglich auf die Erklärung Jesu, dass<br />
er seine ekklesia aufbauen werde. Durch genau<br />
den Petrus, der eben noch eine grundlegende<br />
Offenbarung ausgesprochen und dem Jesus „die<br />
Schlüssel des Himmelreiches“ zugesagt hatte,<br />
durch genau diesen Petrus widerspricht Satan<br />
nun und versucht damit, die ekklesia Gottes zu<br />
vereiteln.<br />
Dieses Denkmuster des Humanismus betrog<br />
Petrus und missbrauchte dessen menschliches<br />
Denken und Fühlen zum Widerstand gegen Gottes<br />
Vorhaben. Diesen Versuch setzt Satan bis heute<br />
fort – immer noch will er verhindern, dass Jesus<br />
seinen Auftrag auf Erden vollständig ausführt. Das<br />
Muster ist immer gleich: Er kapert Leitungspersönlichkeiten<br />
in der „Kirche“, um Gottes Plan zu<br />
sabotieren, der durch seine ekklesia seine Herrschaft<br />
sichtbar machen will.<br />
Natürlich kann Satan Gott nicht wirklich<br />
davon abhalten, sich den Menschen zu offenbaren<br />
und sie aus dem Reich des Todes zu erretten.<br />
Aber durch Täuschung und Sünde kann er verzögern<br />
oder verhindern, dass die ekklesia ausrichtet,<br />
wozu sie beauftragt ist.<br />
Die „Kirche“ propagiert das Evangelium der<br />
Errettung; die ekklesia verkündet das Evangelium<br />
des Reiches Gottes und macht es sichtbar.<br />
Das „Evangelium der Errettung“ (Rettung<br />
des Einzelnen) sowie die anderen ichbezogenen<br />
„Evangelien“ (z. B. das „Wohlstands-Evangelium“)<br />
sind Täuschungen Satans. Er benutzt das humanistische<br />
Denken und die menschliche Weisheit<br />
der „Kirchen“führer, um zu verhindern, dass die<br />
ekklesia in vollem Umfang ihrer Berufung nachkommt:<br />
auf Erden das Reich Gottes aufzurichten.<br />
Petrus verkündigte am Pfingsttag, welchen<br />
Zweck Gott mit der ekklesia verfolgt:<br />
„Der Herr sprach zu meinem Herrn: Setze<br />
dich zu meiner Rechten, bis ich deine Feinde zum<br />
Schemel deiner Füße gemacht habe! Den Stab<br />
deiner Macht wird der Herr aus Zion ausstrecken.<br />
Herrsche inmitten deiner Feinde!“ 2<br />
Warum erleben wir davon so wenig?<br />
Kurz gesagt: Weil der „Geist des Humanismus“<br />
alles ignoriert oder unterdrückt, was aus<br />
dem Übernatürlichen hervorgeht; er leugnet<br />
jede Form göttlichen Wirkens und bestreitet,<br />
dass Gott die höchste Autorität ist.<br />
Bild: © Wikipedia<br />
Die „Kirche“<br />
propagiert das<br />
Evangelium der<br />
Errettung;<br />
die ekklesia<br />
verkündet das<br />
Evangelium des<br />
Reiches Gottes<br />
und macht es<br />
sichtbar<br />
Wie ist das nun zu<br />
verstehen mit den Schlüsseln<br />
des Himmelreichs?<br />
Bildtafel des Apostels Petrus,<br />
St. Jakobus-Kapelle, Nonnenhorn<br />
Z für Zukunft<br />
95
Visionär<br />
Oben: Tempel von Cäsarea<br />
Philippi (Banias). Das Loch<br />
links wurde „die Pforten<br />
der Hölle“ genannt; daran<br />
erklärte Jesus seinen<br />
Freunden etwas Essenzielles.<br />
Der Fels im Hintergrund:<br />
griech. petra<br />
Unten: Der Banias-<br />
Tempelbezirk heute<br />
Gemälde: © Experiencing Israel<br />
Foto: © Wikipedia, Avraham Graicer<br />
Vielmehr betrachtet der Humanismus den<br />
Menschen als das Maß aller Dinge und stellt<br />
seine Vernunft, seine Wünsche, Bedürfnisse und<br />
Entscheidungen in den Mittelpunkt.<br />
Dazu gehört auch, dass seine moralischen<br />
Werte eine von Gott definierte absolute Wahrheit<br />
leugnen. Denn für den Humanismus sind die<br />
Werte des Menschen einziges Maß für Recht<br />
und Unrecht; „Wahrheit“ wird relativ und den<br />
Vorlieben und Entscheidungen des Menschen<br />
untergeordnet.<br />
Das betrifft besonders die Wahrheiten der<br />
Bibel. Wo der Geist des Humanismus dominiert, ist<br />
es nicht mehr wichtig, was in der Bibel geschrieben<br />
steht – interessant ist dann nur noch, wie die<br />
Theologen sie interpretieren und was sie daraus<br />
ableiten. Alles wird daraufhin ausgerichtet,<br />
dass es dem „Humanisten-Evangelium“ entspricht<br />
und für „alle“ akzeptabel wird.<br />
Das Ergebnis dieses intellektuellen Prozesses<br />
ist klar: Das Wort Gottes als absolute Wahrheit<br />
wird ersetzt durch die „Weisheit“ der Menschen,<br />
die es (um)interpretieren und andere Werte und<br />
Normen festlegen. Nicht Gott regiert; die „Götter“<br />
dieser Welt haben das Ruder übernommen.<br />
Praktische Beispiele<br />
Die Bibel spricht von Gaben und Wirkungsweisen<br />
des Geistes Gottes – übernatürliche Heilungen,<br />
verschiedene Kraftwirkungen: Durch seinen<br />
Geist wirkt Gott unter den Menschen; und es gibt<br />
keinen Hinweis darauf, dass dies zeitlich begrenzt<br />
wäre. Dennoch negieren „Kirchen“führer das mittels<br />
intellektuellen, „theologischen“ Erklärungen.<br />
Dieselben Leute, die behaupten, die Bibel sei<br />
für sie ultimative Autorität, die vertreten eigene<br />
Interpretationen, wenn eine Aussage der Bibel<br />
nicht in ihr Vernunftkonzept passt.<br />
Statt dass Jesus seinen Leib aufbauen und entfalten<br />
könnte durch die von ihm berufenen und<br />
ausgerüsteten geistlichen Leiter (vgl. fünf Dienstämter<br />
3 ), wird die „Kirche“ von Leuten geführt,<br />
die dank ihrer politischen Fähigkeiten Positionen<br />
erlangen und nach akademischem Titel ausgewählt<br />
werden (was aber nicht heißen soll, dass<br />
Bildung verkehrt wäre!). Auf diesem Weg hat der<br />
Geist des Menschen den Geist Gottes ersetzt, und<br />
das ist Humanismus, ja Atheismus.<br />
Jakobus schreibt: „Dies ist nicht die Weisheit,<br />
die von oben herabkommt, sondern eine irdische,<br />
seelische, dämonische“. 4<br />
Der Humanismus in der „Kirche“ leugnet Gottes<br />
übernatürliche, spirituelle Aktivität, die jede<br />
menschliche Fähigkeit übersteigt, sowie Gottes<br />
Recht, zu tun, was immer ihm gefällt. „Dein Wille<br />
geschehe“ müsste demnach aus dem Vaterunser<br />
gestrichen werden. Das humanistische Denken<br />
anerkennt nur den Intellekt des Menschen und<br />
definiert anhand seiner Meinungen, Bedürfnisse<br />
und Wünsche, was „Kirche“ und was „biblische<br />
Wahrheit“ ist.<br />
Wenn „Kirchen“führer von der Denkweise des<br />
Humanismus geprägt sind (wie es Petrus passierte),<br />
dann ist ihre Wahrnehmung von „Gott“<br />
bestimmt durch die Sichtweise dieser Welt.<br />
96<br />
Z für Zukunft
Visionär<br />
Der Geist des Humanismus hat inzwischen<br />
die „Kirche“ stark durchdrungen; kein<br />
Wunder, dass an die Stelle des gottzentrierten<br />
Evangeliums vom Reich Gottes ein Ichzentriertes,<br />
humanistisches Evangelium der Rettung des Einzelnen<br />
und des privaten Wohlstands getreten ist.<br />
Damit beschränkt sich „Kirche“ auf die individuellen<br />
Bedürfnisse und Wünsche des Menschen<br />
und dient den Prinzipien des Zeitgeists.<br />
Gottes Version und Zweck der Errettung<br />
Gott rettet Sünder aus dem Griff des Todes, um<br />
auf Erden seine Familie (oikos) zu bauen. Diese<br />
ist sein königliches Priestertum, das ihm dient<br />
und auf Erden sein Reich vertritt – und als ekklesia<br />
agiert, die ihr von Gott verliehene Autorität<br />
ausübt. Die ekklesia ist also eine „Körperschaft“;<br />
der Einzelne ist Teil eines Gesamtleibes, der<br />
oikos-Familie Gottes. Dieser Leib, diese Körperschaft<br />
ist geistlich vereint mit Christus, dem<br />
Haupt, und übt gemeinsam die ihr vom Himmel<br />
verliehene (delegierte) Autorität aus.<br />
Satans fauler Trick:<br />
Das Ich-zentrierte „Seelenheil“<br />
Der Geist des Humanismus hat den Menschen<br />
glauben gemacht, dass Jesus für mich starb, um<br />
mich vor dem Bösen und der Finsternis dieser<br />
Welt zu retten, weil er mich so sehr liebte, damit<br />
er mich dieser Welt entreißen konnte, damit ich<br />
einmal in den Himmel komme. Man achte auf<br />
die Betonung: „Ich, mich, meiner, mir – Herr,<br />
segne du uns vier!“<br />
Dieses individualistische „Evangelium“ kennt<br />
weder Auftrag noch Pflicht. Es macht mich zum<br />
Mittelpunkt des Wirkens Gottes, ohne Reich-Gottes-Perspektive:<br />
„Jesus starb, um mich zu retten“<br />
– und jetzt, wo ich errettet bin, kann ich Gott<br />
benutzen, um mich zu segnen? Das ist eine völlig<br />
verzerrte Sicht. Richtig ist: Gott hat mich gerettet,<br />
um mich in seinen oikos einzufügen: „Trachtet<br />
als Erstes nach dem Reich Gottes!“<br />
Ja, es kommt eine Zeit, da wird Jesus sein Volk<br />
aus dieser Welt nehmen; aber bis dahin hat er für<br />
uns auf dieser Erde einen Auftrag, einen Zweck,<br />
den es zu erfüllen gilt. Der Humanismus jedoch<br />
verdreht dem „Kirchen“volk den Verstand, sodass<br />
es weder Gottes Pläne noch seine Rolle als königliche<br />
Priesterschaft erkennt.<br />
Durch das Werk Jesu werde ich für Gott aus<br />
den Klauen der Finsternis erkauft, damit ich ein<br />
Mitglied seines oikos werde und als Teil seiner<br />
königlichen Priesterschaft seinen Willen ausführen<br />
kann: „Dein Wille geschehe, dein Reich<br />
komme auf Erden wie im Himmel.“ Ja, wer<br />
glaubt, der wird errettet; und ja, wir sind gesegnet<br />
– aber vor allem, um auf Erden Gottes Willen<br />
auszuführen, damit sein Reich „kommt“ und<br />
sichtbar wird, und zwar hier und jetzt!<br />
Aber die momentane Realität?<br />
Die „Kirche“ interessiert sich nicht dafür, oder sie<br />
weiß es nicht, wie sie zur ekklesia Gottes werden<br />
kann oder wie man die Schlüssel des Reiches<br />
Gottes gebraucht, um damit etwas zu bewirken,<br />
das auf Erden Veränderung bringt.<br />
Infolgedessen nährt die „Kirche“ den Individualismus<br />
ihrer Mitglieder: „Hauptsache gerettet!“,<br />
statt sie zu einem mündigen, lebendigen Organismus<br />
werden zu lassen.<br />
Die Perspektive der<br />
nächsten Reformation<br />
Die ekklesia Christi baut Gottes Reich auf Erden<br />
und zwar in kleinen oikos-Familien vor Ort, in<br />
denen Gottes gegenwärtig ist und die durch<br />
seine Autorität Einfluss auf das Geschehen um<br />
sich herum nehmen.<br />
Es ist Zeit, dass Reformation in eine neue<br />
Phase tritt und „Kirche“ zur ekklesia wird. Das<br />
geht Hand in Hand mit der „Lösung“ der Denominationen<br />
und Gemeinden, der Pfarrer und<br />
Pastoren sowie Bibelschulen und theologischen<br />
Hochschulen von der Bevormundung durch<br />
Denkmuster des Humanismus.<br />
Andernfalls bleiben sie lediglich gerettete Sünder,<br />
die, isoliert und kraftlos, sich in religiösen<br />
Versammlungen aufpäppeln lassen, bis Jesus sie<br />
heimholt von dieser ach so bösen Erde …<br />
Errettung und<br />
Seelenheil sind<br />
wichtig, aber das<br />
ist nur eine Seite<br />
der Medaille<br />
Ohne Auszug aus „Ägypten“<br />
kommt man nicht in das<br />
Land der Verheißung!<br />
Werk von Léon Gruel, Paris.<br />
Walters Art Gallery, Baltimore.<br />
Wikipedia<br />
Z für Zukunft<br />
97
Visionär<br />
Aus dem Inhalt:<br />
Leitthema<br />
Gender für Anfänger <br />
Affenjungen spielen mit Autos … <br />
Weniger Menschen, dafür mehr Sex <br />
Entmännlichung der Gesellschaft <br />
Gender-Taktik<br />
Von Herren Professorinnen <br />
Gender-Blüten<br />
Freie Fahrt ins Irrenhaus <br />
Die 60 Geschlechter von Facebook <br />
Europa<br />
Verschlungene Wege der EU <br />
Historisch<br />
Gehirnwäsche missglückt <br />
Politik<br />
Gender – eine totalitäre Bedrohung <br />
Sexualpädagogik<br />
Wie viel Wissenschaft steckt drin? <br />
Wie das „Gehirn“ der sexuellen<br />
Vielfalt tickt <br />
Unsere Kinder<br />
Identität zerbrechen?<br />
Staatlich verordneter Kindesmissbrauch<br />
<br />
Die „Vielfalts“-Indoktrinierung <br />
Homosexualität<br />
Der Homosexuelle als Spezies <br />
Pädophilie<br />
Pädophilie <br />
Spiritualität<br />
SEX: Beliebigkeit oder höhere Spiritualität? <br />
Was ist schon gerecht? <br />
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98<br />
Z für Zukunft<br />
Das<br />
kompakte<br />
Nachschlagewerk<br />
für Zusammenhänge<br />
über<br />
Gender<br />
»Z« 15/16:<br />
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zum Thema<br />
Gender<br />
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Errettung und Seelenheil sind wichtig,<br />
aber das ist nur eine Seite der Medaille<br />
Es ist absolut genial, wenn man Vergebung erfahren<br />
hat und vom Sünder zu einem Kind Gottes<br />
geworden ist!<br />
Es ist Grund zur Freude, wenn ein Kind geboren<br />
wird; aber niemand ist glücklich, wenn das<br />
Kind ewig ein Baby bleibt. Oder wie damals,<br />
als die Israeliten beim Auszug aus Ägypten das<br />
Blut des einjährigen Schafbocks an die Türpfosten<br />
ihrer Häuser strichen und daraufhin vor dem<br />
Todesengel geschützt waren: Sinn und Zweck der<br />
Übung war, dass sie sich auf den Weg machten<br />
und das verheißene Land in Besitz nahmen. Das<br />
Blut Jesu rettet uns aus dem Griff des Todes – und<br />
es ermöglicht uns, aus der Sklaverei hinaus- und<br />
weiter in die Freiheit zu gelangen, um Verheißenes<br />
in Besitz zu nehmen.<br />
Gott rettet Sünder, um sie aus dem Griff des<br />
Todes zu befreien und damit sie zu seinen Söhnen,<br />
zu Brüdern Jesu Christi werden. Aber das<br />
ist nur der Anfang des Weges hin zu einem sehr<br />
konkreten Ziel: dem verheißenen Land – wo die<br />
ekklesia das Reich Gottes auf Erden sichtbar<br />
werden lässt, indem sie in engster Verbindung<br />
mit dem auferstandenen Jesus Christus die von<br />
ihm an sie delegierte Autorität gebraucht.<br />
Wenn Christen aber in ihrem eigenen „Ägypten“<br />
steckenbleiben und Kirche spielen, ist das fast, als<br />
wäre das Blut Jesu für sie vergeudet worden!<br />
Durch den Humanismus will Satan die „Kirche“<br />
in Ägypten gefangen halten; sie soll sich in<br />
religiöser Bescheidenheit und Selbstgefälligkeit<br />
damit zufriedengeben, eines Tages im Himmel<br />
aufzuwachen …<br />
Das Evangelium des Reiches Gottes hat eine<br />
andere Botschaft! Aber um sie hören zu können,<br />
müssen wir den Geist des Humanismus überwinden.<br />
George Markakis, Athen, ist prophetischer Visionär, vertraut<br />
mit den griechischen Wurzeln europäischer Philosophien, internationaler<br />
Referent.<br />
1 Matthäus 16,22–23.<br />
2 Apostelgeschichte 2,32–36; Psalm 110,1.<br />
3 Epheser 4,11.<br />
4 Jakobus 3,15.
Visionär<br />
Einheit – Traum oder Wirklichkeit?<br />
Über Einheit wird viel gesprochen und geschrieben; aber was das bedeutet, darüber<br />
besteht weitgehend Uneinigkeit. Auch ist nicht überall, wo „Einheit“ draufsteht, tatsächlich<br />
auch Einheit drin. Und vor allem sollten wir uns fragen: Einheit – mit wem?<br />
Peter Ischka<br />
Foto: © Agentur PJI UG, Montage<br />
Einheit unter Christen – die Einheit,<br />
von der das Johannes-Evangelium<br />
in Kapitel 17 handelt, die wird auf<br />
jeden Fall kommen. Die Frage ist<br />
nur: Sind wir dabei oder nicht?<br />
Auch dieser Spruch von Jesus schwebt im<br />
Raum: „Viele sagen: ‚Herr, Herr!‘, aber ich kenne<br />
sie nicht.“ Wie viele rufen „Einheit, Einheit!“, sind<br />
aber selber meilenweit davon entfernt?<br />
Mit dem Traum von Einheit ist es ein wenig<br />
wie mit dem Traum vom Fliegen: Wir wollen hoch<br />
hinaus und malen uns aus, wie das wohl wäre,<br />
wenn alle Christen eins wären.<br />
Was Einheit nicht ist<br />
Wer sich mit Einheit befasst, sollte aber auch ein<br />
wenig Bescheid wissen, was Einheit nicht ist.<br />
So denkt man unter dem Begriff „Petrusdienst“<br />
laut darüber nach, die weltweite Christenheit<br />
unter dem Vorsitz einer Integrationsfigur<br />
zu vereinen – gemeint ist der Papst. Dafür soll<br />
dessen Amt teilweise abgespeckt werden; nur<br />
in dem römisch-katholischen Teil soll die ganze<br />
Amtsgewalt Anwendung finden. – Kirchenpolitische<br />
Überlegungen gibt es viele, aber die müssen<br />
nicht unbedingt Einheit bewirken.<br />
Heute finden wir weltweit über 46 000 christliche<br />
Denominationen, christliche Kirchenarten<br />
sozusagen, und täglich werden es mehr. Ein Teil<br />
davon ist der Sprachenvielfalt zu verdanken, aber<br />
etliche Denominationen sind deshalb entstanden,<br />
weil ein paar Leute entdeckt haben, dass sie „die<br />
einzig Wahren“ unter uns Christen sind. Viele<br />
davon sind absolut für Einheit – wenn sich der<br />
Rest nur an ihre Vorgaben halten würde …<br />
Einheit im Sinne des Erfinders<br />
Um aus der Verwirrung um das Thema „Einheit“<br />
auszusteigen und zu verdeutlichen, was der Erfinder<br />
von Kirche – Jesus – gemeint hat, wenn er von<br />
Einheit sprach, nennen wir diese Einheit „Gleichwie-Einheit“.<br />
Wie kann ein Gerichtsmediziner herausfinden,<br />
ob eine einzelne Hand oder ein separierter Fuß<br />
zum selben Körper gehören? Er macht einen DNA-<br />
Test. – Haben die einzelnen Teile dieselbe DNA wie<br />
Um aus der<br />
Verwirrung um<br />
das Thema<br />
„Einheit“ auszusteigen<br />
und uns<br />
dem nähern,<br />
was Jesus<br />
gemeint hat,<br />
nennen wir sie<br />
„Gleichwie-<br />
Einheit“<br />
Z für Zukunft<br />
99
Visionär<br />
Foto: © Wikipedia, Ailura<br />
Die Latte ist<br />
gelegt!<br />
So wie Jesus eins<br />
war mit dem<br />
Vater, so sollen<br />
wir eins mit ihm<br />
sein. Und nur<br />
jene, die so eins<br />
sind mit ihm,<br />
können diese<br />
„Gleichwie-<br />
Einheit“ untereinander<br />
erleben<br />
das Haupt, dann kann man von ein und demselben<br />
Leib sprechen: Einheit! Daher ist es gut, ja notwendig,<br />
die DNA des Hauptes zu kennen.<br />
Verwirklichte Einheit<br />
ist jemandes Super-GAU<br />
Da ist einer darauf spezialisiert, echte Einheit in<br />
der Christenheit zu verhindern und dafür Ersatzformen<br />
in Umlauf zu bringen – und vieles, was<br />
heute als „Einheit“ verkauft wird, ist bei Lichte<br />
betrachtet nur ein miserables Imitat.<br />
Übrigens: Jesus hat gar nicht<br />
um Einheit gebetet<br />
Gebetet hat Jesus um drei elementare Voraussetzungen<br />
für Einheit; man muss nur genau hinschauen,<br />
was in Johannes 17 tatsächlich steht,<br />
und nicht nur nachsprechen, was viele vermutet<br />
oder in diesen Text hineininterpretiert haben.<br />
1. Bewahre sie in der Autorität deines Namens,<br />
den du mir gegeben hast (V. 11b): also in seinem,<br />
Jesu, Namen und nicht im Namen der<br />
evangelischen, katholischen, baptistischen,<br />
pfingstlichen oder einer der anderen 46 000<br />
Denominationen.<br />
2. Bewahre sie vor dem Bösen (V. 15b). Der geht<br />
nämlich umher wie ein brüllender Löwe und<br />
sucht, wen er verschlingen kann. Und was der<br />
ganz sicher nicht leiden kann, ist die Einheit<br />
unter den Leuten von Jesus! Die zu verhindern,<br />
darin ist er seit Jahrtausenden Profi. Die Vermischung<br />
mit Heidnischem, der Einzug des humanistischen<br />
Geistes oder dogmatische Einseitigkeiten<br />
sind solche Wirkungen des Bösen, und<br />
vor denen will uns dieses Gebet bewahren.<br />
3. Heilige sie durch die Wahrheit, dein Wort ist die<br />
Wahrheit (V. 17). Wenn in einer Denomination<br />
die unumschränkte Autorität des Wortes Gottes<br />
relativiert wird, dann erübrigt sich alles Weitere.<br />
Denn Christus selbst ist das Wort Gottes,<br />
und der Geist Gottes leitet in die ganze Wahrheit.<br />
„Aber was ist Wahrheit?“, fragt sich so<br />
mancher aufgeklärte Christ.<br />
Bewahre sie in deinem Namen, bewahre sie<br />
vor dem Bösen, heilige sie durch die Wahrheit:<br />
Diese drei Bitten müssen in Erfüllung gehen,<br />
damit Einheit möglich wird. Rührende Lieder wie<br />
„Vater, mach uns eins“ verleiten eher zum Fatalismus<br />
und vernebeln den realistischen Blick auf<br />
diese drei entscheidenden Voraussetzungen für<br />
Einheit: die Autorität seines Namens, das Überwinden<br />
des Bösen und gefestigt zu sein in der<br />
Wahrheit. Was immer wir davon relativieren,<br />
wird nur ein weiteres schlaffes Imitat von Einheit<br />
zustande bringen.<br />
Das Schlüsselwort in Johannes 17:<br />
„gleichwie“<br />
Mit „gleichwie“ ist die Latte gelegt; das stellt<br />
alle unsere Vorstellungen von Einheit sowie all<br />
die Ersatzformen bloß. So wie Jesus eins war mit<br />
dem Vater, so sollen wir eins sein mit ihm. Und<br />
nur jene, die so eins sind mit ihm, können diese<br />
„Gleichwie-Einheit“ untereinander erleben.<br />
Wenn wir uns Einheit wünschen, geht es nicht<br />
in erster Linie um die Frage nach Unterschieden<br />
in Lehrmeinungen oder des Frömmigkeitsstils<br />
oder um Projekte, die man gemeinsam durchführen<br />
könnte. Die netten Bemühungen, nur das<br />
Gemeinsame zu suchen und das Trennende unter<br />
den Teppich zu kehren, haben auf lange Sicht<br />
noch nie gefruchtet. Nein, im Zentrum steht einzig<br />
und allein die Frage nach der Einheit mit Christus,<br />
dem Auferstandenen, dem alle Macht im Himmel<br />
und auf Erden gehört.<br />
100<br />
Z für Zukunft
Visionär<br />
Also: Wer eins ist mit Jesus Christus, der kann ‒<br />
oder besser: wird ‒ eins sein mit jemand anderem,<br />
der ebenfalls mit Jesus Christus eins ist.<br />
Wir würden alle gerne fliegen können. Aber<br />
wie beim Fliegen, so ist auch bei der Einheit der<br />
Christen nicht der Traum ausschlaggebend, sondern<br />
die Wirklichkeit: Nur wo wir im Kleinen treu<br />
sind, werden wir auch im Größeren in dieser Realität<br />
leben können. Wir träumen von einer großen<br />
Einheit, auf nationaler Ebene oder gar auf<br />
einer europäischen. Aber mit unseren nächsten<br />
Brüdern und Schwestern eins zu sein, das fällt<br />
uns gelegentlich schwer. Fast wie in der Ehe – je<br />
näher wir einander kommen, umso genauer lernen<br />
wir auch die Problemzonen kennen.<br />
In diesem Metier kennt sich der Einheits-<br />
Verhinderer besonders gut aus. Er hat ein ausgefeiltes<br />
Know-how darin, Einheit zu sabotieren und<br />
Zwist und Spaltung zu produzieren. Am effektivsten<br />
gelingt es ihm im Kleinen, also zwischen dem<br />
einen Nächsten und dem anderen.<br />
Das Super-Werkzeug<br />
Nicht-Vergeben-Wollen – „Unvergebenheit“ gehört<br />
zu einen besten Werkzeugen. Immerhin ist einer<br />
seiner „Ehren“-Titel „Verkläger der Brüder“ 1 !<br />
„Wenn ihr nicht vergebt, kann euch nicht vergeben<br />
werden“, sagte Jesus, und schon sind wir aus der<br />
Gnade gefallen und machen das Werk vom Kreuz<br />
für uns zunichte.<br />
„Wenn du bemerkst, dass ein Bruder, eine<br />
Schwester etwas gegen dich hat, denn gehe du<br />
hin und versöhne dich. Anbetung kannst du dir<br />
bis dahin sparen.“ 2<br />
„Das Gebet eines Gerechten vermag viel.“ 3<br />
Das Gebet eines Nichtgerechten hingegen kann<br />
man in der Pfeife rauchen … Wer unversöhnlich<br />
ist und so des Teufels Handwerk betreibt, der ist<br />
in dieser Hinsicht nicht gerecht. Denn wenn aus<br />
diesem Grund Gott einem nicht vergeben kann,<br />
ist man in diesen Bereichen nicht gerechtfertigt,<br />
also ist man auch kein Gerechter!<br />
Diese in der Christenheit weit verbreitete<br />
Unart – Unversöhnlichkeit – disqualifiziert uns, sie<br />
entzieht uns der Gnade und sie verhindert die Einheit,<br />
von der Jesus gesprochen hat.<br />
Es kann durchaus sein, dass wir in unserem<br />
abgeschlossenen christlich-denominationellen System<br />
so etwas wie Einheit verspüren, weil wir zu verhüten<br />
gelernt haben, dass diese für unseren Herrn<br />
abscheulichen Punkte angetastet werden. Aber das<br />
ist nicht die Einheit, die Jesus will; vielmehr machen<br />
wir damit den Teufel zum Untermieter, und das<br />
im Hause Gottes! Ja, Nicht-Vergeben-Wollen und<br />
Unversöhnlichkeit sind die Spielwiesen des Teufels;<br />
besonders gefällt es ihm, wenn wir dann auch noch<br />
über andere Geschwister herziehen.<br />
Wo immer wir nicht konkret Vergebung gesucht<br />
und unseren Vorwürfen den Rücken gekehrt haben<br />
(und, wo möglich, Versöhnungswege gegangen<br />
sind), an diesen Stellen sind die Triggerpunkte, die<br />
„roten Knöpfe“ in uns. Wenn wir dann einen ernsthaften<br />
Schritt in Richtung Einheit gehen wollen,<br />
dann ist das wie der rote Auslöserknopf, der eine<br />
Dynamitladung zur Explosion bringt. Das kann ein<br />
Eheproblem sein, ein finanzieller Absturz, Krankheit<br />
… Unversöhnlichkeit gibt dem Einheitsverhinderer<br />
das Recht, uns massive Knüppel in den Weg<br />
zu legen.<br />
Wenn wir wirklich Einheit wollen, müssen wir<br />
zuerst diese Trigger unwirksam machen – Eifersucht,<br />
Neid, üble Nachrede, Streit und so weiter,<br />
Paulus zählt sie in den Briefen auf; eben die üblichen<br />
Instrumente, mit denen im ganz „normalen“<br />
Leben operiert wird, um Einzelpersonen und<br />
Familien, Gruppen und Kirchen zu entzweien.<br />
Etwas so Erstrebenswertes wie Einheit herbeizusehnen,<br />
hat durchaus seinen Platz; solange<br />
aber diese Hindernisse so reichlich vorhanden<br />
sind, können wir von der „Gleichwie-Einheit“<br />
nur träumen – und das nun ist jedenfalls nicht im<br />
Sinne des Erfinders!<br />
„Ich halte mich zu Paulus, ich aber zu Apollos,<br />
ich aber bin Kephas-Fan“ – ich bin von der Bewegung<br />
ABC, ich vom Netzwerk XYZ … „Ist denn der<br />
Christus zerteilt?“ Man spricht ja von einem „Leib“<br />
Christi. Sicher haben (neben den Gründen, die einfach<br />
nur traurig sind) die verschiedenen Denominationen<br />
gute theologische Erklärungen und Begründungen,<br />
und doch: „Wir sind für Einheit [… also am<br />
besten, Sie treten unserem Netzwerk bei]!“<br />
Und was der<br />
Verhinderer sicher<br />
nicht leiden kann,<br />
ist Einheit unter den<br />
Leuten von Jesus!<br />
Er streut seine<br />
Ingredienzen:<br />
die Vermischung<br />
mit Heidnischem,<br />
der Einzug des<br />
humanistischen<br />
Geistes oder<br />
dogmatische<br />
Einseitigkeit<br />
Nicht-Vergeben-Wollen ist<br />
einer der „roten Knöpfe“, die<br />
eine Ladung Dynamit zur<br />
Explosion bringen<br />
Foto: © 123RF, Tomasz Wyszolmirski<br />
Z für Zukunft<br />
101
978-3-944764-14-6<br />
Visionär<br />
inheit<br />
t. Eines<br />
n. Wo ihm<br />
tationen.<br />
meint,<br />
hannes 17<br />
es<br />
Hinweise,<br />
t geht.<br />
W I E G E H T E I N H E I T<br />
Foto: © Agentur PJI UG, Montage von Wikipedia-Bildern<br />
„Ich bin für<br />
Paulus,<br />
ich aber für<br />
FC-Bayern,<br />
ich aber bin<br />
Kephas-Fan“,<br />
ich für Borussia,<br />
ich für Werder<br />
Bremen …<br />
PETER ISCHKA<br />
WIE GEHT<br />
EINHEIT<br />
Nicht überall, wo´s draufsteht, ist Einheit drin<br />
QR zur Leseprobe<br />
Der Größte unter euch<br />
soll der größere Diener sein<br />
Aber was ist das eigentlich, der Leib Christi? Und<br />
dann ist da ja auch noch die „Braut Christi“, der<br />
er begegnen möchte – wer sagt uns, was was<br />
bedeutet? Und wer sind die Ersten und die Großen<br />
im Reich Gottes?<br />
„Ich bin ‚first‘ – Ich bin Förster –<br />
Aber ich bin Oberförster!“?<br />
Man könnte es als „Schneeball-System“ bezeichnen:<br />
Im Reich Gottes übt man sich im gegenseitigen<br />
Übertreffen beim Einander-höher-Achten –<br />
also darin, dem anderen das Doppelte des Segens<br />
zu wünschen, den man selber abbekommen hat.<br />
(Keine Angst, das ist nur theoretisch gedacht, es<br />
besteht kein Anlass zur Sorge. Oder haben Sie<br />
schon einmal erlebt, dass dieses Ansinnen von<br />
Jesus konkret und praktisch umgesetzt wird?)<br />
Scherz beiseite – stellen Sie sich diese Dynamik<br />
vor: Was würde passieren, wenn jeder darauf<br />
aus wäre, seinen Nächsten auf eine bessere<br />
Ebene zu hieven, die vielleicht sogar herrlicher<br />
ist als die eigene? Ein Pastor wünscht sich, dass<br />
seine Mitarbeiter geistlich über ihn hinauswachsen<br />
– und weil er so damit beschäftigt ist, andere<br />
zu segnen und voranzubringen, bemerkt er gar<br />
nicht, wie er selber dabei nach oben gehoben<br />
wird. Fast wie beim Fliegen! (Wir lassen einfach<br />
mal der Fantasie freien Lauf.)<br />
Ein Team von Alphatieren<br />
Da gibt es ja diese fünf wirklich großen Dienste:<br />
Apostel, Propheten, Evangelisten, Hirten und Lehrer.<br />
Jeder von denen ist in der Regel eine Leiterpersönlichkeit,<br />
man könnte auch sagen: ein „Alphatier“;<br />
jeder Einzelne könnte locker eine Kirche, ein Missionswerk,<br />
einen Lehrdienst am Laufen halten. Aber<br />
was, wenn man zwei oder drei von ihnen in einen<br />
Raum sperren würde? Wie lange würde es wohl dauern,<br />
bis es zur Explosion kommt? Denn sie sind so<br />
grundverschieden in ihrer Dienstprägung, ihrer Persönlichkeit<br />
und der Art, etwas anzupacken.<br />
Daher sind die meisten Bewegungen und Kirchen<br />
entweder prophetisch oder evangelistisch<br />
oder aber pastoral oder lehrorientiert geprägt.<br />
Wer in die jeweilige Prägung hineinpasst, der<br />
fühlt sich dort wohl; wer nicht, der empfindet sich<br />
als fehl am Platz und wird sich früher oder später<br />
die zu ihm passende Prägung suchen.<br />
Aber ist das im Sinne des Erfinders? Nun, der<br />
hat ja deutlich erklärt, was er will: dass diese fünf in<br />
ihrer unterschiedlichen und vielfältigen Ausführung<br />
eins sind! Ein Team von Alphatieren – für uns Menschen<br />
offensichtlich eine Überforderung; aber gut,<br />
wenn Jesus das im Blick hat, sollte es möglich sein!<br />
Deshalb stehen die Chancen gut, dass die Einheit<br />
des Leibes Christi doch zustande kommt, übernatürlich<br />
natürlich, so wie auch die „Gleichwie-<br />
Einheit“ nur etwas Übernatürliches sein kann.<br />
Christus ist der Chef-Apostel, er ist der Überprophet,<br />
er ist der Mega-Evangelist, er ist der<br />
Oberhirte und er ist der Ultimativ-Lehrer. Das<br />
Bodenpersonal kann nur dann ein würdiges Pendant<br />
des Königs der Könige sein, wenn diese fünf<br />
Dienste im Sinne des Erfinders „in die Puschen“<br />
kommen – und wie ein Mann (eine Frau) funktionierende<br />
Teams bilden.<br />
Lehre über die fünf Dienste gibt es inzwischen<br />
zur Genüge, aber es gibt die fünf Dienste kaum in<br />
Aktion. Es gibt viele Star-Apostel und Power-Propheten,<br />
jeder hat seinen eigenen „Ministry“ (und seine<br />
Gefolgschaft). Aber wo sind die Teams mit jeweils<br />
mehreren Aposteln, mehreren Propheten und einer<br />
Schar von Evangelisten, Hirten und Lehrern, die<br />
trotz aller spürbaren Unterschiede wie ein Mann<br />
(Frauen eingeschlossen) mit einer Stimme wirken?<br />
102<br />
Z für Zukunft
Visionär<br />
Solange die Einheit dieser „Fünf“ nicht wenigstens<br />
ansatzweise zum Durchbruch kommt, wird die<br />
„Gleichwie-Einheit“ des Leibes Christi wohl weiter<br />
ein Traum bleiben. Dabei sind die Fünf – Apostel,<br />
Propheten, Evangelisten, Hirten, Lehrer – so etwas<br />
wie der Schlüssel zur Ausbreitung des Reiches Gottes<br />
auf Erden („Dein Reich komme!“, sagen wir im<br />
Vaterunser) und zur Formierung des Leibes Christi.<br />
Diese Qualität von Einheit ist für uns Menschen<br />
aber nicht machbar; wir erleben sie nur, wenn wir<br />
in der Kraft Gottes die Einheits-Hindernisse überwinden.<br />
Was Gott den Überwindern verheißt, das<br />
können wir in den Briefen lesen, die Jesus an seine<br />
Gemeinde geschrieben hat, zu finden am Anfang<br />
der Johannes-Offenbarung.<br />
Die Fünf sind der Schlüssel …<br />
… damit Gottes Bodenpersonal ausgerüstet wird<br />
zum Dienst.<br />
… damit das Volk Gottes zur Einheit des Glaubens<br />
kommt.<br />
… damit die Gläubigen den Sohn Gottes erkennen,<br />
wie er wirklich ist („Gleichwie“-Erkenntnis).<br />
… damit wir alle zur vollen Reife gelangen, zum<br />
Vollmaß der Erfüllung in Christus.<br />
… damit wir nicht weiter als Unmündige umgeworfen<br />
werden von jeder neuen Welle der Lehre.<br />
… damit der ganze „Leib“ durch diese Dienst-<br />
Gelenke zusammengehalten und bewegungsfähig<br />
wird.<br />
… damit das eine Haupt seinen Platz auf dem Leib<br />
einnimmt und dieser aufhört, ein vielköpfiges<br />
Monster zu sein.<br />
… damit jeder Teil am Leib in seiner Funktion<br />
(Berufung) agieren kann, und zwar nach dem<br />
Maß, das ihm in Gottes Plan zugeteilt ist – und<br />
das ist meist größer, als wir denken.<br />
Wenn die Fünf nicht in Einheit zusammenwirken,<br />
dann bleiben die Ergebnisse aus, die ihnen<br />
zugedacht sind: Die Ausrüstung zum Dienst wird<br />
grobe Mängel aufweisen; es fehlt an Einheit des<br />
Glaubens, an Reife und am Sichtbarwerden der<br />
Erfüllung in Christus.<br />
Doch wenn die Fünf „in Einheit zusammen<br />
sind“, wie es Psalm 133 besingt, dann offenbaren<br />
sie damit das Haupt samt dem Leib als eine Einheit,<br />
und es wird der sichtbar, der die Fülle dessen<br />
ist, der alles in allem erfüllt – Christus, der<br />
König der Könige.<br />
Klein anfangen und<br />
eine große Rolle spielen<br />
Legen wir also unsere Kronen nieder und entscheiden<br />
wir uns dazu, die „größeren Diener“<br />
zu sein, damit Jesus Christus der König und das<br />
Haupt seines Leibes sein kann. Dann werden wir<br />
ihn erkennen, wie er ist, und wir werden umgewandelt<br />
in sein Bild – und das führt ziemlich automatisch<br />
zur Einheit mit Ihm.<br />
Die schöne und höchst erwünschte Nebenwirkung:<br />
Wer eins ist mit dem Haupt, Christus, der<br />
kann auch eins sein mit denen, die ebenfalls eins<br />
sind mit ihm – und das ganz ohne Anstrengung.<br />
Wer im Kleinen treu ist, der wird das auch auf<br />
höherer Ebene realisieren können. Sie als Einzelner<br />
spielen eine große Rolle<br />
in der Verwirklichung dieses<br />
Traumes! Denn die eigentliche<br />
Herausforderung liegt<br />
in der Einheit von zwei, drei<br />
Menschen in einem anhaltend<br />
aktiven Prozess. „Wo zwei<br />
oder drei ‚gleichwie-eins‘<br />
sind in der Autorität meines<br />
Namens, da bin ich mitten<br />
unter ihnen, und worum sie<br />
in dieser Einheit bitten, das<br />
wird ihnen widerfahren.“ 4<br />
Das wäre doch eine attraktive<br />
Perspektive, nicht wahr?<br />
Ausführlicher wird dieses Thema behandelt in<br />
dem Buch „Wie geht Einheit?“; dort finden Sie auch<br />
eine Erläuterung für Ihr persönliches „Einheits-Entwicklungs-Labor“.<br />
Ein Handbuch, wie Sie mit zwei,<br />
drei anderen schrittweise in diese übernatürliche<br />
„Gleichwie-Einheit“ kommen können.<br />
Leseprobe: http://shop.agentur-pji.com<br />
Siehe auch Kurzvideo „Höhere Mathematik für einfache Christen“,<br />
www.youtube.com/watch?v=FigVB1p-2-0<br />
1 Offenbarung 12,10.<br />
2 Matthäus 5,23–24.<br />
3 Jakobus 5,14.<br />
4 Matthäus 18,19–20.<br />
5 Hesekiel 37,4–5.<br />
Die Glieder des<br />
„Leibes“ – noch<br />
sind sie kaltgestellt<br />
und warten auf die<br />
eigentliche<br />
Reformation.<br />
„Weissage über diesen<br />
Körperteilen:<br />
Ihr vertrockneten<br />
Glieder, hört das<br />
Wort des HERRN:<br />
Siehe, ich bringe<br />
Odem in euch, dass<br />
ihr wieder lebendig<br />
werdet!“ 5<br />
QR zum Video<br />
„Höhere Mathematik<br />
für einfache<br />
Christen“<br />
Foto: © Agentur PJI UG, Montage<br />
Z für Zukunft<br />
103
Visionär<br />
Evangelium –<br />
was ist das eigentlich?<br />
Dank Luther konnten plötzlich alle die Bibel lesen. Heute geht das auf jedem Smartphone,<br />
aber wer tut es noch? Was das Evangelium, die Frohe Botschaft, sein soll, wissen daher<br />
nur noch wenige. Meist sind gekürzte Versionen im Umlauf – oft im Format einer „überlieferten“<br />
Meinung. Doch „Selber lesen!“ war immer schon der Schlüssel jeder Reformation<br />
Peter Ischka<br />
Welches Bild verkündigt<br />
welches Evangelium? Eine<br />
königliche Maria mit einem<br />
Kindlein auf dem Schoß – Der<br />
leidende Jesus gemartert am<br />
Kreuz – Jesus Christus, der<br />
Pantokrator, sitzend<br />
auf dem Thron<br />
Madonna im Rosenhag,<br />
Stefan Lochner um 1450.<br />
Isenheimer Altar,<br />
Matthias Grünewald 1523–25.<br />
Basilika San Miniato al Monte<br />
Jesus sprach<br />
immer von einem<br />
Evangelium des<br />
Reiches Gottes.<br />
Wie konnten<br />
wir das nur<br />
übersehen?<br />
„Evangelium“ – das war ursprünglich<br />
ein militärischer Begriff: Wenn an der Front der<br />
Feind besiegt war, brachte ein Eilbote die erfreuliche<br />
und ersehnte Nachricht ins Kernland. Auch<br />
die Thronbesteigung eines neuen Kaisers wurde<br />
als „Evangelium“ verkündigt.<br />
Wussten Sie das? Nun, mich hat es auch überrascht,<br />
dieses Wort ist inzwischen doch sehr<br />
„christlich“ konnotiert. Doch in der Tat – das Evangelium<br />
der Christen ist die Frohe Botschaft, dass<br />
Jesus Christus durch sein Leiden und Sterben am<br />
Kreuz die Schuld der ganzen Menschheit beglichen<br />
und uns somit Sündenvergebung erwirkt hat.<br />
Zur Zeit Luthers wurde das Schuldbewusstsein,<br />
das jeder nur zu gut kennt, von der römisch-katholischen<br />
Kirche extrem missbraucht; der Ablasshandel<br />
war ein willkommenes Geschäftsmodell,<br />
um die hohen Summen für den Bau des Petersdoms<br />
zu generieren: „Sobald das Geld im Kasten<br />
klingt, die Seele in den Himmel springt!“<br />
Damit hat Luther aufgeräumt; er hielt dagegen:<br />
„Gerechtfertigt aus Gnade“. Das war ein<br />
gigantisch großer Schritt, aber das ganze Evangelium<br />
bietet deutlich mehr! Nach Zeiten gnadenloser<br />
religiöser Unterdrückung schlägt das<br />
Pendel meist in ein anderes Extrem – man könnte<br />
auch sagen: Aus einer (durchaus notwendigen)<br />
Betonung wird Einseitigkeit. So wurde Gottes<br />
Gnade in den Augen vieler zur „billigen Gnade“:<br />
„Komm zu Jesus, du kriegst Freibier“; „Hauptsache,<br />
ich bin errettet, mir geht es gut, mein Jesus<br />
wird es schon richten …“<br />
„Evangelium“ nannte man auch, wenn verkündet<br />
wurde, dass ein neuer Herrscher den Thron<br />
bestiegen hatte (dann gab es oft Geschenke bis<br />
hin zur Generalamnestie). Jesus hat sich zur<br />
Rechten Gottes des Vaters gesetzt!<br />
Wie hat Jesus es wirklich gemeint? Die ganze<br />
Zeit seines Wirkens auf dieser Erde sprach Jesus<br />
von einem Evangelium des Reiches Gottes;<br />
104<br />
Z für Zukunft
Visionär<br />
besonders nach seiner Auferstehung nützte er<br />
die verbleibenden 40 Tage, um mit seinen Freunden<br />
über all das zu sprechen, „was das Reich<br />
Gottes betrifft“. Eine Videoaufzeichnung davon<br />
wäre sicher interessant!<br />
Adam, Eva und der „linke Deal“<br />
Foto: © wallpapervortex.com<br />
Evangelium von der Errettung – Evangelium des<br />
Reiches Gottes – was ist der Unterschied? Ist das<br />
nicht nur eine theologische Spitzfindigkeit?<br />
Könnte man meinen; deshalb beginnen wir<br />
auch gleich bei Adam und Eva: „‚Lasst uns Menschen<br />
nach unserem Bild machen, uns ähnlich!<br />
Sie sollen herrschen über die ganze Erde und<br />
über alle Lebewesen.‘ Und Gott schuf den Menschen<br />
nach seinem Bilde, als Mann und Frau.“ So<br />
lesen wir es in 1. Mose 1,26; der Psalmist unterstreicht<br />
den Herrschaftsauftrag: „Der Himmel ist<br />
der Himmel des Herrn, die Erde aber hat er den<br />
Menschenkindern gegeben.“ 1<br />
Das war der Ausgangspunkt. Die Erde war<br />
also ursprünglich das Herrschaftsgebiet des<br />
Menschen; der Mensch regierte über die Erde,<br />
die war ihm übergeben. Genau das sagen die<br />
Begriffe, die am Anfang der Bibel stehen. Aber<br />
wir wissen es aus dem Geschichtsunterricht:<br />
Herrschaftsansprüche sind nicht „in Stein gemeißelt“,<br />
Regierungsautorität kann in andere Hände<br />
gelangen – durch Heirat, durch Siege oder auch<br />
durch Betrug.<br />
In der Anfangszeit war es für den Menschen<br />
ganz normal, Gott zu begegnen und mit ihm<br />
einige Worte zu wechseln. Es gab eine unmittelbare<br />
Beziehung.<br />
Aber dann schlich sich ein Etwas ein und<br />
stellte die verfängliche Frage: „Sollte Gott gesagt<br />
haben?“ Eine Frage, die aus atheistisch-humanistischer<br />
Perspektive auch heute jeden Tag gestellt<br />
wird. Wir kennen sie ja, die Geschichte vom<br />
Sündenfall, die auf den ersten Seiten der Bibel<br />
erzählt wird.<br />
Wer steckte hinter diesem Etwas? Zu gern<br />
hätte Satan die Herrschaft über die Erde gehabt,<br />
aber die war schon vergeben. Was tun? Er schlug<br />
den aktuellen Herren der Erde einen äußerst linken<br />
Deal vor: verbotene Frucht essen gegen eine<br />
Art Neuprogrammierung mit Bewusstseinserweiterung<br />
(was diese doch gar nicht nötig gehabt<br />
hätten!). Der Mensch hat sich übel austricksen<br />
lassen – und sein Erbrecht für ein „Linsengericht“<br />
verkauft, hat die Herrschaft über die Erde eingetauscht<br />
gegen den Genuss einer ominösen Frucht.<br />
So wurde Satan zum „Fürsten dieser Welt“.<br />
Wie aus dem Deal herauskommen?<br />
Großer Sprung: Was hat nun Jesus, der auch „der<br />
letzte Adam“ genannt wird, tatsächlich bewirkt<br />
durch seinen Tod am Kreuz und die Auferstehung?<br />
In einer Ankündigung seines nahen Todes<br />
zeigt Jesus, wie sehr dieser gegen den Fürsten<br />
dieser Welt gerichtet war: „Jetzt ist das Gericht<br />
dieser Welt, jetzt wird der Fürst dieser Welt<br />
hinausgeworfen werden. Ich werde nicht mehr<br />
viel mit euch reden, denn der Fürst dieser Welt<br />
kommt, aber in mir hat er gar nichts.“ 2<br />
Was hatte er nicht, dieser „Fürst dieser Welt“?<br />
Er hatte keinen Deal mit Jesus, es gab kein Vertragsverhältnis,<br />
worauf der „Fürst dieser Welt“<br />
einen Anspruch hätte geltend machen können.<br />
Durch diesen ursprünglichen „linken Deal“ waren<br />
zunächst die ersten Menschen, „der erste Adam“,<br />
und anschließend die ganze Menschheit in einer<br />
Vertragsabhängigkeit gefangen. Jesus als „der<br />
letzte Adam“ aber war, weil er nie gesündigt<br />
hatte, davon frei und konnte deshalb nicht korrumpiert<br />
werden. Dadurch hatte Jesus Christus<br />
das volle Recht und die Möglichkeit, die Menschheit<br />
aus dieser tödlichen Abhängigkeit herauszukaufen<br />
und ihr ursprüngliches Recht, über die<br />
Erde zu herrschen, wieder zurückerlangen.<br />
Paulus hat das zutiefst erkannt: „Ihr wart tot<br />
in euren Verfehlungen, in denen ihr gemäß dem<br />
Zeitgeist dieser Welt, gemäß seinem Fürsten, als<br />
Söhne des Ungehorsams unterwegs wart.“ 3 Das<br />
Das Eigentliche<br />
des Evangeliums<br />
ist nicht die<br />
Erlösung von<br />
Sünden, es geht<br />
um Veränderung<br />
von Machtverhältnissen!<br />
Sündenvergebung<br />
ist „lediglich“<br />
eine gute Begleiterscheinung<br />
Z für Zukunft<br />
105
Visionär<br />
Es fällt<br />
uns nicht leicht<br />
zu begreifen,<br />
wie umfassend<br />
das war, was<br />
Jesus Christus<br />
in Tod und<br />
Auferstehung<br />
erreicht hat.<br />
Zu sehr sind<br />
wir von einem<br />
verkürzten<br />
Evangelium<br />
geprägt<br />
Hauptanliegen des Evangeliums ist nicht primär<br />
die Erlösung von Sünden, es geht um die Veränderung<br />
von Machtverhältnissen; Sündenvergebung<br />
ist sozusagen „lediglich“ eine gute Nebenwirkung!<br />
„Er hat uns errettet aus den Machtverhältnissen<br />
der Finsternis und uns versetzt in<br />
den Herrschaftsbereich des Sohnes seiner Liebe;<br />
dadurch haben wir auch die Erlösung von den<br />
Verfehlungen unserer Sünden im Beipack.“ 4<br />
Paulus selbst hat seinen eigenen Auftrag so<br />
beschrieben: „… den Menschen die Augen zu öffnen,<br />
dass sie sich von der Finsternis zum Licht<br />
und von der Macht des Satans zu Gott bekehren,<br />
damit sie Vergebung der Sünden empfangen und<br />
ein Erbe im Reich Gottes.“ 5<br />
Die oberste Priorität<br />
Jesus sprach ständig von dem Evangelium des<br />
Reiches Gottes. Im „Vaterunser“ spiegelt sich<br />
das deutlich wider – wir rufen aus: „Dein Reich<br />
komme!“ Wir sprechen das vielleicht gewohnheitsmäßig<br />
und haben dabei aus den Augen verloren,<br />
welche Tragweite das beinhaltet – ein echter Verlust,<br />
aber kein irreversibler. „Sucht als Erstes das<br />
Reich Gottes!“ 6 – als Erstes! Das ist im Evangelium<br />
oberste Priorität. Wie kriegen wir das hin?<br />
Paulus fordert uns auf: Seid nicht gleichförmig<br />
dieser Welt. Seid nicht systemabhängig vom „Fürsten<br />
dieser Welt“, sondern werdet verändert durch<br />
die Erneuerung eures Denkens. Genehmigt euch<br />
ein Update! Das atheistisch-humanistische Denkkonzept<br />
soll gegen die „Gesinnung Christi“ ausgetauscht<br />
werden – damit wir überhaupt in der Lage<br />
sind, all das zu prüfen, was auf uns einströmt, und<br />
zu erkennen, was eigentlich der Wille Gottes ist,<br />
und damit wir nicht weiterhin den Manipulationen<br />
des Systems dieser Welt ausgesetzt sind. 7<br />
Wir wechseln sozusagen den Provider, sind nicht<br />
länger in einem Vertragsverhältnis mit dem Fürsten<br />
dieser Welt; dann können auch wir sagen: „Wenn<br />
dieser kommt, hat er gar nichts in uns.“ 2 Denn<br />
überall dort, wo ihm die Kooperation versagt wird,<br />
verliert er seinen Regierungsanspruch. Und überall<br />
dort, wo der Wille Gottes geschieht, da breitet sich<br />
das Reich Gottes aus: „Dein Reich komme!“<br />
Jesus Christus, Erlöser und Sieger<br />
Es fällt uns nicht leicht zu begreifen, wie umfassend<br />
das war, was Jesus Christus in Tod und Auferstehung<br />
erreicht hat. Zu sehr sind wir geprägt<br />
von einem verkürzten Evangelium der Erlösung.<br />
„Alle sind abgewichen, da ist kein Gerechter,<br />
auch nicht einer; da ist keiner, der verständig ist;<br />
da ist keiner, der Gott sucht. Alle sind abgewichen,<br />
sie sind allesamt untauglich geworden; da ist keiner,<br />
der Gutes tut, da ist auch nicht einer.“ 8<br />
„Gottes Gerechtigkeit aber durch Glauben an<br />
Jesus Christus gilt für alle, die glauben. Denn es<br />
ist kein Unterschied: Alle haben gesündigt und<br />
erlangen nicht die Herrlichkeit Gottes und werden<br />
umsonst gerechtfertigt durch seine Gnade,<br />
durch die Erlösung, die in Christus Jesus ist.“ 9<br />
Das war die Schlüsselerkenntnis von Martin<br />
Luther – und sie ist von hoher Bedeutung für<br />
jeden Einzelnen, der die Vergebung der Sünden<br />
zu erlangen sucht und die Rechtfertigung vor<br />
Gott. Wohlgemerkt: ohne Gegenleistung!<br />
So weit, so gut, und jedes Wort ist wahr. Aber<br />
die Auswirkung des am Kreuz vollbrachten Erlösungswerks<br />
Jesu Christi ist weit umfassender, ja<br />
„universell“, ganz und gar systemverändernd.<br />
Jesus Christus hat nämlich nicht nur den<br />
Schuldschein gelöscht, der gegen uns gerichtet<br />
war, und ihn aus unserer Mitte fortgeschafft,<br />
indem er ihn ans Kreuz nagelte; sondern er hat<br />
vor allem die Gewalten und die Mächte (des Fürsten<br />
dieser Welt) völlig entwaffnet und sie öffentlich<br />
zur Schau gestellt. In Christus hat Gott den<br />
Triumph über diese Mächte voll ausgedrückt. 10<br />
Urteil und Vollstreckung<br />
Wenn wir uns nun die Lage in dieser Welt<br />
anschauen, kommen wir in einen Konflikt; alles<br />
sieht schlimmer aus denn je, und man hat gar<br />
nicht den Eindruck, dass das Böse völlig entwaffnet<br />
wäre. Korruption und Terror scheinen sich<br />
auszubreiten. Hat Jesus Christus den Fürsten dieser<br />
Welt nun hinausgeworfen oder nicht?<br />
Der Autor des Hebräerbriefes gibt darüber Aufschluss:<br />
„Indem Gott Christus alles unterwarf, ließ<br />
er nichts übrig, was ihm nicht unterworfen wäre.<br />
Jetzt aber sehen wir ihm noch nicht alles unter-<br />
106<br />
Z für Zukunft
Visionär<br />
worfen.“ 11 An anderer Stelle heißt es: „Fortan wartet<br />
Christus, bis seine Feinde als Schemel seiner<br />
Füße hingelegt sind.“ 12<br />
Das könnte man vergleichen mit dem Richter-<br />
Henker-Prinzip: Der Richter fällt ein Urteil, aber<br />
dieses bedarf der Vollstreckung. In der Zwischenzeit<br />
ändert sich für den Verurteilten nicht viel,<br />
besonders wenn er von dem Urteil noch nichts<br />
weiß, und auch nicht für die Geschädigten, die<br />
auf Gerechtigkeit hoffen.<br />
Daher ist es wichtig, dass das umfassende Evangelium<br />
verkündigt wird: Die Frohe Botschaft ist<br />
zunächst für jeden persönlich die Vergebung der<br />
Sünden und die Rechtfertigung aus Glauben; aber<br />
darüber hinaus und übergeordnet verkündet sie,<br />
dass der Fürst dieser Welt alles Recht an der Welt<br />
verloren hat und per Gerichtsurteil entmachtet ist.<br />
Unsere Rolle<br />
Gott will das Herrschaftsverhältnis, das im Schöpfungskonzept<br />
ursprünglich vorgesehen war, auf der<br />
Erde wiederherstellen: „Christus muss freilich im<br />
Himmel aufgenommen werden bis zu den Zeiten<br />
der Wiederherstellung aller Dinge, von denen Gott<br />
durch seine Propheten von jeher geredet hat.“ 13<br />
Jeder einzelne Mensch, der das Erlösungswerk<br />
Jesu im Glauben für sich in Anspruch nimmt und<br />
diese Veränderung der Herrschaftsverhältnisse<br />
erkennt, nimmt sozusagen eine neue Staatsbürgerschaft<br />
an, die des Reiches Gottes. Wer „von<br />
Neuem“, also aus dem Geist Gottes geboren ist,<br />
der überwindet die Welt und wechselt das Reich<br />
– er ist also nicht mehr gleichförmig mit diesem<br />
Weltsystem. Diese „Wiedergeborenen“ können<br />
über sich und Christus sagen: „Wir haben die Welt<br />
überwunden. Denn der, der in uns ist, ist größer<br />
als der, der in der Welt ist.“ 14<br />
Jesu Worte an Gott, seinen Vater, machen das<br />
noch deutlicher: „Ich habe ihnen dein Wort weitergegeben;<br />
dafür hasst sie die Welt, weil sie ihr nicht<br />
gleichförmig sind, so wie auch ich nicht zur Welt<br />
gehöre. Ich bitte dich nicht, sie aus der Welt herauszunehmen;<br />
aber ich bitte dich, sie vor dem Bösen zu<br />
bewahren. Sie gehören so wenig zur Welt, wie ich<br />
zur Welt gehöre. So wie du mich aus deinem Reich<br />
in die Welt gesandt hast, habe auch ich sie als Vertreter<br />
meines Reiches in die Welt gesandt.“ 15<br />
Und hier schließt sich der Kreis: „Wer überwindet,<br />
der wird mit mir auf dem Thron sitzen,<br />
wie auch ich überwunden und mich mit meinem<br />
Vater auf seinen Thron gesetzt habe.“ 16 Wer sitzt<br />
auf dem Thron? Üblicherweise der, der regiert.<br />
Der Mensch als Überwinder wäre dann wieder<br />
in derselben Position wie bei der ursprünglichen<br />
Auftragserteilung: „Sie sollen herrschen über die<br />
ganze Erde und über alle Lebewesen.“<br />
Inkompatibel<br />
Aber alles, was gleichförmig ist mit dieser Welt,<br />
ist absolut inkompatibel mit dem Reich Gottes –<br />
und umgekehrt. Deshalb der energische Aufruf:<br />
„Seid nicht gleichförmig mit dieser Welt!“ Jede<br />
Gleichförmigkeit bedeutet Kooperation mit dem<br />
Fürsten dieser Welt und nährt seine unrechtmäßigen<br />
Herrschaftsansprüche. Er hat nämlich nur<br />
die Macht, die ihm dummerweise eingeräumt<br />
wird von den Christen, die nur das halbe Evangelium<br />
kennen; wo immer ihm aber widerstanden<br />
wird, entzieht ihm das seine Macht.<br />
Widerstand – wie soll das gehen? Ganz einfach.<br />
Sagen Sie jeden Tag: „Dein Reich komme.<br />
König Jesus, regiere du in meinem Leben. In mir<br />
und meinem Leben hat der Fürst dieser Welt<br />
keine Regierungsgewalt mehr! Vater, dein Wille<br />
geschehe in meinem Leben, nicht die bösen Pläne<br />
dieser Welt.“ – Und schon hat sich das Reich Gottes<br />
um ein paar Zentimeter mehr ausgebreitet.<br />
Das Evangelium spricht von Jesus, dem Erlöser,<br />
aber auch von Christus, dem König, dem alle Macht<br />
und Gewalt gegeben ist, im Himmel und auch auf<br />
Erden – jetzt schon!<br />
1 Psalm 115,16.<br />
2 Johannes 12,31; 14,13.<br />
3 Epheser 2,1–2.<br />
4 Kolosser 1,12–14.<br />
5 Apostelgeschichte 26,18.<br />
6 Matthäus 6,33.<br />
7 Römer 12,2.<br />
8 Römer 3,9–12.<br />
9 Römer 3,22–24.<br />
10 Kolosser 2,14–15.<br />
11 Hebräer 2,8.<br />
12 Hebräer 10,13.<br />
13 Apostelgeschichte 3,21.<br />
14 1. Johannes 5,4; 4,4.<br />
15 Johannes 17,14–18.<br />
16 Offenbarung 3,21.<br />
Wer diese<br />
Veränderung<br />
der Herrschaftsverhältnisse<br />
erkennt, nimmt<br />
eine neue Staatsbürgerschaft<br />
an,<br />
die des Reiches<br />
Gottes<br />
Z für Zukunft<br />
107
S u c h e n a c h d e n W u r z e l n e i n e r v e r l o r e n e n K u l t u r<br />
REFORMATION<br />
beginnt, wenn du deinen Verstand benützt,<br />
aber nicht auf ihn vertraust, weil du durchschaust,<br />
wie manipulierbar der doch ist.<br />
Dafür verlässt du dich von ganzem Herzen<br />
auf den Herrn, deinen lebendigen Gott.<br />
[Nach Sprüche 3,5]<br />
Foto: © fotolia.com<br />
Reformatio • re • formatio Etwas neu formatieren. Wenn der Computer nicht mehr ordentlich läuft,<br />
ist das die Lösung. Re – zurück zur Werkseinstellung, so wie sich das der Erfinder gedacht hat. In<br />
der christlichen Kirche haben sich viel Bugs und Viren angehäuft. Immer „neue“ Software-Pakete<br />
wurden draufgepackt. Das System erlahmte. Die Reset-Taste ist gefragt, denn der Erfinder wird<br />
seine ekklesia bauen, nicht irgendeine Kirche, und die wird in der Lage sein, auch die Pforten der<br />
Hölle zu überwinden. Diese »Z« ist wie eine Anleitung für diese Re-formatierung.<br />
108<br />
Z für Zukunft<br />
Z u k u n f t E u r o p a e . V .<br />
w w w . Z w i e Z u k u n f t . d e