ZESO_2-2015_ganz
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SKOS CSIAS COSAS<br />
Schweizerische Konferenz für Sozialhilfe<br />
Conférence suisse des institutions d’action sociale<br />
Conferenza svizzera delle istituzioni dell’azione sociale<br />
Conferenza svizra da l’agid sozial<br />
ZeSo<br />
Zeitschrift für Sozialhilfe<br />
02/15<br />
Flüchtlinge und Sozialhilfe steigende zahlen, wachsender<br />
problemlösungsbedarf richtlinienrevision eckpunkte und weiteres vorgehen<br />
umfrage wie die mitglieder das dienstleistungsangebot der skos beurteilen
SKOS CSIAS COSAS<br />
Schweizerische Konferenz für Sozialhilfe<br />
Conférence suisse des institutions d’action sociale<br />
Conferenza svizzera delle istituzioni dell’azione sociale<br />
Conferenza svizra da l’agid sozial<br />
SKOS-WEITERBILDUNG<br />
Einführung in die öffentliche Sozialhilfe<br />
Montag, 9. November <strong>2015</strong> , 13 Uhr bis 18 Uhr<br />
Hotel Arte in Olten<br />
In der Praxis stellen sich Fachleuten und Behördenmitgliedern komplexe Fragen. Rechtliches Wissen ist<br />
ebenso gefragt wie methodisches Handeln und Kenntnisse des Systems der sozialen Sicherheit. Die<br />
Weiterbildung der SKOS nimmt diese Themen auf. Es werden Grundlagen zur Armutsproblematik und<br />
zur Ausgestaltung der Sozialhilfe vermittelt, Verfahrensgrundsätze thematisiert und das Prinzip der<br />
Subsidiarität erläutert. Die Veranstaltung richtet sich an Mitglieder von Sozialbehörden, Fachleute der<br />
Sozialen Arbeit und Sachbearbeitende von Sozialdiensten, die neu in der Sozialhilfe tätig sind.<br />
Programm und Anmeldung: www.skos.ch Veranstaltungen<br />
Soziale Arbeit<br />
Weiterbildung<br />
Machen Sie mehr aus sich.<br />
Und aus unserer Gesellschaft.<br />
Egal, in welchem Handlungsfeld Sie tätig sind: Eine<br />
Weiterbildung in Sozialer Arbeit an der ZHAW bringt<br />
Sie gezielt vorwärts. Mit CAS, DAS, MAS und Kursen<br />
zu allen relevanten Schwerpunktthemen:<br />
• Kindheit, Jugend und Familie<br />
• Delinquenz und Kriminalprävention<br />
• Community Development und Migration<br />
• Soziale Gerontologie<br />
• Sozialmanagement<br />
• Supervision, Coaching und Mediation<br />
• Sozialrecht<br />
Zürcher Fachhochschule<br />
Neu: CAS Sozialversicherungsrecht in Zürich<br />
Im August 2016 wird dieser CAS am Standort Zürich<br />
angeboten, im neuen Hochschulcampus Toni-Areal. Er<br />
gibt einen Überblick über das geltende Recht. Die einzelnen<br />
Sozialversicherungen werden anhand vielfältiger<br />
Unterrichtsmaterialien übersichtlich dargestellt und<br />
mittels Fallbeispielen aus der Praxis vertieft erläutert.<br />
www.sozialearbeit.zhaw.ch<br />
ZHAW Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften<br />
Departement Soziale Arbeit, Hochschulcampus Toni-Areal<br />
Pfingstweidstrasse 96, 8005 Zürich, Telefon +41 58 934 86 36<br />
Inserat_<strong>ZESO</strong>_05.indd 1 04.05.<strong>2015</strong> 09:35:31
Michael Fritschi<br />
Verantwortlicher Redaktor<br />
im interesse des <strong>ganz</strong>en<br />
Unsere Alltagssprache saugt geschliffene Ausdrücke aus der<br />
Welt der Opinion Leader gerne auf. Hier ein paar Beispiele:<br />
Das Tempo, mit dem die SKOS die Teilrevision der Sozialhilfe-<br />
Richtlinien in den vergangenen Monaten vorangetrieben hat,<br />
ist «sportlich». Dies umso mehr, als die Inhalte der Teilrevision<br />
einem föderalen Meinungsfindungsprozess unterliegen.<br />
Dank, dass dies möglich ist, gebührt den siebzig Prozent<br />
der SKOS-Mitglieder, die sich Anfang Jahr trotz Termindruck<br />
an der Vernehmlassung beteiligt haben, und den Vorstandsmitgliedern,<br />
die sich trotz teilweise unterschiedlichen<br />
Haltungen «in the greater interest» auf eine gemeinsame<br />
Stossrichtung verständigt haben. Dank gebührt auch der<br />
Sozialdirektorenkonferenz SODK, die die politische Verantwortung<br />
für die SKOS-Richtlinien geschlossen mitträgt, für<br />
ihr «Commitment». Der Revisionsprozess ist allerdings<br />
noch nicht abgeschlossen, es handelt sich derzeit noch um<br />
«work in progress» (vgl. Berichte auf Seiten 4 und 8-9). Die<br />
«Updates» zu den weiteren Entwicklungen können Sie in<br />
den nächsten <strong>ZESO</strong>-Nummern und – um einiges aktueller! –<br />
auf der SKOS-Website und im Newsletter lesen. Darüber, wie<br />
die SKOS-Mitglieder diese Informationskanäle und die diversen<br />
anderen Produkte der SKOS einschätzen und nutzen,<br />
orientiert ein Bericht über die kürzlich durchgeführte «User»-<br />
Befragung zu den SKOS-Dienstleistungen (S. 26 ff.).<br />
Ebenfalls im Interesse des Ganzen müssen der Bund, die<br />
Kantone und die Gemeinden möglichst rasch jene Hürden<br />
wieder abbauen, die aufgebaut wurden, um zu verhindern,<br />
dass Flüchtlinge in der Schweiz arbeiten können. Andernfalls<br />
werden diese fast zwangsläufig zu Sozialhilfefällen.<br />
Diese grundsätzliche Einsicht ist vorhanden (Seiten 14 ff.).<br />
Damit die Integrationsbemühungen effektiv fruchten, müssen<br />
aber alle «Stakeholder», auch die Arbeitgeber und die<br />
tonangebenden politischen Parteien, mitziehen. Es bleibt zu<br />
hoffen, dass die mittlerweile zahlreichen guten Absichtserklärungen<br />
Wirkung entfalten.<br />
Ich wünsche Ihnen eine anregende Lektüre.<br />
editorial 2/15 ZeSo<br />
1
SCHWERPUNKT14–25<br />
flüchtlinge und sozialhilfe<br />
Der Schwerpunkt beleuchtet die zahlreichen<br />
Herausforderungen, mit denen die Sozialhilfe<br />
durch die steigende Zahl von Flüchtlingen, die in<br />
der Schweiz bleiben, konfrontiert ist. Das Credo<br />
der Fachpersonen zur Abfederung der sich<br />
stellenden Probleme lautet Arbeitsintegration.<br />
Doch das ist um einiges einfacher gesagt als<br />
umgesetzt, wie zwei Berichte zur Ausbildungssituation<br />
und Integrationspraxis zeigen.<br />
<strong>ZESO</strong> zeitschrift für sozialhilfe<br />
Herausgeberin Schweizerische Konferenz für Sozialhilfe SKOS,<br />
www.skos.ch Redaktionsadresse Redaktion <strong>ZESO</strong>, SKOS,<br />
Monbijoustrasse 22, Postfach, CH-3000 Bern 14, zeso@skos.ch,<br />
Tel. 031 326 19 19 Redaktion Michael Fritschi, Regine Gerber<br />
Redaktionelle begleitung Dorothee Guggisberg Autorinnen<br />
und Autoren in dieser Ausgabe Monika Bachmann, Brigitte<br />
Basler, Heinrich Dubacher, Reiner Eichenberger, Therese Frösch,<br />
Adrian Gerber, Dorothee Guggisberg, Mirjam Hauser, Ruedi<br />
Hofstetter, Anna Maria Koukal, Paula Lanfranconi, Judith<br />
Nydegger, Marie-Christine Pasche, Monique Portner-Helfer,<br />
Claudio Spadarotto, Felix Wolffers Titelbild Rudolf Steiner<br />
layout Marco Bernet, mbdesign Zürich Korrektorat Carsten<br />
Zuege Druck und Aboverwaltung Rub Media AG, Postfach,<br />
3001 Bern, zeso@rubmedia.ch, Tel. 031 740 97 86 preise<br />
Jahresabonnement CHF 82.– (für SKOS-Mitglieder CHF 69.–),<br />
Einzelnummer CHF 25.–. Jahresabonnement ausland CHF 120.–.<br />
© SKOS. Nachdruck nur mit genehmigung der Herausgeberin.<br />
Die <strong>ZESO</strong> erscheint viermal jährlich.<br />
ISSN 1422-0636 / 112. Jahrgang<br />
Bild: Daniel Desborough<br />
Erscheinungsdatum: 8. Juni <strong>2015</strong><br />
Die nächste Ausgabe erscheint im September <strong>2015</strong>.<br />
2 ZeSo 2/15 inhalt
INHALT<br />
5 Die Schweiz braucht die SKOS.<br />
Kommentar von Felix Wolffers<br />
6 13 Fragen an Mirjam Hauser<br />
8 Teilrevision der SKOS-Richtlinien:<br />
Die Weichen sind gestellt<br />
10 «Die klassische Fürsorge ist eine<br />
Gemeindeaufgabe»<br />
Interview mit Hannes Germann<br />
14 SCHWERPUNKT:<br />
FLüchtlinge und Sozialhilfe<br />
16 Gemeinsam Flüchtlinge rasch und<br />
nachhaltig integrieren<br />
18 Die Integration durch Erwerbsbeteiligung<br />
braucht bessere<br />
Rahmenbedingungen<br />
20 Ein Tor zum Arbeitsmarkt<br />
22 Zwischen Hoffnung und Desillusion<br />
24 Die Herausforderungen aus der Sicht<br />
der Sozialhilfe<br />
26 Die SKOS als Dienstleisterin für die<br />
öffentliche Hand: Die Arbeit der SKOS<br />
im Urteil ihrer Mitglieder<br />
30 Für Sozialhilfebeziehende braucht es<br />
neue Arbeitsmodelle. Reportage über<br />
das Projekt Human Profit<br />
32 Plattform: Stiftung Sucht Schweiz<br />
34 Forum: «Die beste Sozialhilfe: Das<br />
Grundkapital»<br />
35 Veranstaltungen und Lesetipps<br />
36 Porträt: Daniel König beschäftigt<br />
ehemalige Drogenabhängige<br />
Stimme der GEMEINDEn<br />
Gute NOTEN Für Die SKOS<br />
ArbeitsmodelL eigenmotivation<br />
DER QUARTIERLADENcoach<br />
Die SKOS ist eine Plattform, die die<br />
Interessen von Bund, Kantonen und<br />
kommunaler Ebene zusammenbringen<br />
kann, sagt Hannes Germann, Präsident<br />
des Schweizerischen Gemeindeverbands.<br />
Gleichzeitig betont er im Gespräch mit der<br />
<strong>ZESO</strong> die Relevanz des kommunalen Wissens<br />
für die Sozialhilfe.<br />
10<br />
Die SKOS-Mitglieder können von vielfältigen<br />
Dienstleistungen profitieren, die ihnen<br />
der Fachverband zur Verfügung stellt.<br />
Eine bei den Mitgliedern durchgeführte<br />
Umfrage zur Nutzung und Qualität der<br />
Angebote bescheinigt der SKOS eine<br />
gute Kundenorientierung und eine hohe<br />
Zufriedenheit mit den Dienstleistungen.<br />
26<br />
Die Genossenschaft Overall in Basel bietet<br />
Sozialhilfebeziehenden, die keine Stelle<br />
mehr finden, ein neues Arbeitsprojekt<br />
an: Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer<br />
entwickeln ein eigenes Produkt oder eine<br />
Dienstleistung – und setzen ihre Idee<br />
innerhalb von zwei Jahren um.<br />
30<br />
Daniel König ist Betriebsleiter im Berner<br />
Lorraineladen und jongliert in dieser Position<br />
mit verschiedenen Hüten: Er sorgt nicht nur<br />
für gut assortierte Regale im Quartierladen,<br />
er führt und betreut auch ehemalige<br />
Drogenabhängige als Angestellte.<br />
36<br />
inhalt 2/15 ZeSo<br />
3
NACHRICHTEN<br />
Hohe Gesundheitskosten<br />
in der Sozialhilfe<br />
Personen in der Sozialhilfe beanspruchen<br />
häufiger medizinische Leistungen als nicht<br />
unterstützte Personen und verursachen<br />
höhere Gesundheitskosten. Dies zeigt eine<br />
Studie des Sozialamts der Stadt Bern und<br />
der Krankenversicherung Helsana, die in<br />
der Zeitschrift «Soziale Sicherheit CHSS»<br />
(2/<strong>2015</strong>) vorgestellt wurde. Eine wichtige<br />
Ursache für die häufigeren Behandlungen<br />
sind chronische Erkrankungen, an denen<br />
Sozialhilfebeziehende deutlich öfter leiden<br />
als nicht unterstützte Personen. Der grösste<br />
Unterschied zwischen Sozialhilfebeziehenden<br />
und Nichtbeziehenden besteht bei<br />
Schmerzerkrankungen, aber auch rheumatische<br />
und psychische Erkrankungen sowie<br />
Magenprobleme sind besonders verbreitet.<br />
Den möglichen Einfluss des Sozialhilfebezugs<br />
auf die Gesundheit hat die Studie nicht<br />
untersucht. Die Autoren vermuten aber eine<br />
Wechselwirkung zwischen schlechter sozialer<br />
Situation, fehlender beruflicher Integration<br />
und angeschlagener Gesundheit.<br />
Ältere Arbeitnehmende<br />
Ende April wurden an der 1. nationalen<br />
Konferenz zum Thema ältere Arbeitnehmende<br />
Massnahmen in vier Bereichen<br />
beschlossen. Die Instrumente der Arbeitslosenversicherung<br />
sollen gezielter auf die<br />
Bedürfnisse arbeitsloser Personen über<br />
50 ausgerichtet werden und die berufliche<br />
Weiterbildung soll unabhängig von Alter,<br />
Geschlecht und Qualifikationsstufe gefördert<br />
werden. Weiter sind Massnahmen zur<br />
Sensibilisierung von Arbeitgebern und der<br />
Öffentlichkeit vorgesehen. Und bezüglich<br />
der Altersvorsorge soll geprüft werden, wie<br />
ältere Arbeitslose ihre Freizügigkeitsguthaben<br />
sichern können.<br />
Korrigendum<br />
Der Beitrag «Aktuelle Praktiken bei der Ausrichtung<br />
des Grundbedarfs» in <strong>ZESO</strong> 1/15<br />
(Seite 9) enthielt zwei missverständliche<br />
Formulierungen. Korrekt müsste es heissen:<br />
«Jungen Erwachsenen steht in 13<br />
Kantonen ein reduzierter Grundbedarf von<br />
zwischen 47 bis 88 Prozent des allgemeinen<br />
Grundbedarfs zu. Die SKOS-Richtlinien<br />
empfehlen (...) Dies entspricht einer Kürzung<br />
um 24 Prozent.» Die korrigierte Seite<br />
mit korrekter Grafik wurde auf der SKOS-<br />
Website als PDF-Datei publiziert.<br />
«Die SKOS hat gute Arbeit geleistet.» SODK-Präsident Peter Gomm (r.) orientierte gemeinsam mit<br />
dem SKOS-Präsidium (im Bild Felix Wolffers) an einer Medienkonferenz über die beschlossene<br />
Stossrichtung der Richtlinienrevision. <br />
Bild: Keystone<br />
Die Kantone bekennen sich zu einer<br />
kohärenten Sozialhilfe<br />
Die Konferenz der Sozialdirektorinnen und<br />
Sozialdirektoren (SODK) hat an der Sozialkonferenz<br />
vom 21. Mai gemeinsam mit<br />
Vertreterinnen und Vertretern der SKOS, des<br />
Schweizerischen Gemeindeverbands und der<br />
Städteinitiative Sozialpolitik die Ergebnisse<br />
der Vernehmlassung zur Teilrevision der<br />
SKOS-Richtlinien zur Kenntnis genommen<br />
und die Stossrichtung der Revision beschlossen:<br />
Der Grundbedarf in der Sozialhilfe soll<br />
für Grossfamilien ab sechs Personen reduziert<br />
werden. Weiter wurde – entsprechend<br />
den Ergebnissen der SKOS-Vernehmlassung –<br />
eine Verschärfung der Sanktionsmöglichkeiten<br />
und eine Reduktion des Grundbedarfs für<br />
junge Erwachsene beschlossen. Änderungen<br />
gibt es auch bei den Leistungen mit Anreizcharakter:<br />
Die minimale Integrationszulage<br />
(MIZ) soll in die Integrationszulage (IZU) integriert<br />
und die Voraussetzungen für deren<br />
Bezug präzisiert werden. Der Einkommensfreibetrag<br />
soll in der aktuellen Form und Höhe<br />
beibehalten werden. Die Richtlinienkommission<br />
der SKOS wird die beschlossenen<br />
Änderungen nun im Detail ausformulieren.<br />
Im September wird eine zweite Sozialkonferenz<br />
die konkreten Richtlinienänderungen<br />
beschliessen und per 1. Januar 2016 in Kraft<br />
setzen. Bis 1. Januar 2017 sollen zudem eine<br />
Überarbeitung der situationsbedingten Leistungen<br />
(SIL) erfolgen sowie Empfehlungen<br />
zur Verminderung von Schwelleneffekten<br />
und die Definition der Grenzlinie zwischen<br />
der Sozialhilfe und der Nothilfe in die Richtlinien<br />
aufgenommen werden. Weiter sollen<br />
Empfehlungen für Mietzinsmaxima erarbeitet<br />
werden. Mehr zur internen Vernehmlassung<br />
der Revision auf Seiten 8 und 9. •<br />
Spannende Referate, gute Stimmung<br />
Rund 150 Personen haben am 28. Mai die<br />
Mitgliederversammlung der SKOS in Olten<br />
besucht. Walter Leimgruber, Leiter des Seminars<br />
für Kulturwissenschaft in Basel und<br />
Präsident der Eidgenössischen Kommission<br />
für Migrationsfragen, regte in seinem Referat<br />
«Sozialhilfe im Zeitalter der Globalisierung»<br />
zu Gedanken an, die weit über die Diskussion<br />
von Beitragshöhen und Sanktionsmöglichkeiten<br />
hinausreichen. Markus Mugglin,<br />
langjähriger Mitarbeiter des «Echo der Zeit»,<br />
diskutierte wirtschaftliche Perspektiven und<br />
deren Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt.<br />
Und Peter Gomm, Präsident der SODK, verortete<br />
die Sozialhilfe als Teil des Gesamtsystems<br />
der sozialen Sicherheit und erläuterte<br />
die Eckpunkte der Richtlinienrevision.<br />
Die Präsentationen der Redner stehen auf der<br />
SKOS-Website zur Verfügung. Peter Schmid<br />
(SZ), Jérôme Favez (VS), Annina Meinherz<br />
(Chur), Mark Wyss (Pratteln) sowie als Mitglied<br />
mit beratender Stimme Reto Lindegger,<br />
Direktor des Schweizerischen Gemeindeverbands,<br />
wurden neu in den SKOS-Vorstand<br />
gewählt. Jérôme Favez wird auch in der<br />
SKOS-Geschäftsleitung Einsitz nehmen. •<br />
4 ZeSo 2/15 aktuell
KOMMENTAR<br />
Die Schweiz braucht die SKOS<br />
Der Bundesrat hat im Februar einen Bericht<br />
zur Ausgestaltung der Sozialhilfe verabschiedet.<br />
Darin ist er der Ansicht, dass<br />
es für die Sozialhilfe gesamtschweizerisch<br />
einheitliche Rahmenbedingungen<br />
braucht. Weil sich die Kantone jedoch<br />
gegen ein Rahmengesetz des Bundes für<br />
die Sozialhilfe ausgesprochen haben, will<br />
der Bund vorläufig nicht handeln und das<br />
Feld den Kantonen überlassen. Kann das<br />
gut gehen?<br />
Seit mehr als hundert Jahren verlangt<br />
die SKOS ein Bundesrahmengesetz für<br />
die Sozialhilfe – mit guten Gründen:<br />
Die Sozialhilfe ist ein wichtiges und<br />
unverzichtbares Element im Sozialstaat.<br />
Sie ist in den letzten Jahren<br />
immer wichtiger geworden, wegen<br />
gesellschaftlichen Veränderungen,<br />
der Entwicklung des Arbeitsmarkts,<br />
der Sanierung von Sozialversicherungen<br />
und auch als Folge der Migration.<br />
Während die Sozialhilfe also für<br />
immer neue Risiken zuständig wird,<br />
während die Mobilität der Bevölkerung<br />
zunimmt und die traditionellen<br />
Kantonsgrenzen sprengt, ist<br />
der Bundesrat der Meinung, dass<br />
der Föderalismus das Problem zu<br />
lösen vermöge.<br />
Ein Blick auf die Entwicklung der<br />
letzten Monate weckt Zweifel: Viele<br />
Kantone und Gemeinden versuchen,<br />
sich in einem Negativwettbewerb für<br />
die Bedürftigen möglichst unattraktiv<br />
zu machen. Es kommt zu Abschiebungen<br />
von Mittellosen in andere<br />
Gemeinden, die Zuwanderung wird<br />
durch bürokratische Hürden erschwert.<br />
Zu diesem Bild passt, dass die Unterstützungsrichtlinien<br />
der SKOS, die<br />
seit hundert Jahren massgeblich zu<br />
einer Harmonisierung der Sozialhilfe in<br />
der Schweiz beigetragen haben, unter<br />
grossem Druck stehen und verschiedene<br />
Kantone erwägen, sich aus dem SKOS-<br />
Verbund zu verabschieden. Die SKOS hat<br />
mit ihren Richtlinien ein Regelungsvakuum<br />
in der Sozialhilfe gefüllt. Dieses System<br />
funktioniert – aller Kritik zum Trotz.<br />
Wenn es die Harmonisierung der Sozialhilfe<br />
über die SKOS-Richtlinien nicht mehr gäbe,<br />
wäre das eine immense Belastungsprobe<br />
für den Föderalismus. Die Schweiz braucht<br />
die SKOS, weil es kein Bundesrahmengesetz<br />
für die Sozialhilfe gibt und ein Konkordat<br />
hierfür nicht absehbar ist. Es sind die<br />
Kantone, die ein Interesse an verbindlichen<br />
Rahmenbedingungen für die Sozialhilfe<br />
haben und haben müssen. Die SKOS ist<br />
für sie ein Dienstleister, der massgeblich<br />
dazu beiträgt, dass soziale Sicherheit und<br />
Menschenwürde für alle in diesem Land<br />
gewährleistet sind – unabhängig vom<br />
Wohnort und von den politischen Mehrheitsverhältnissen<br />
im Wohnkanton oder<br />
in der Wohngemeinde. Dass die Richtlinien<br />
neu durch die Sozialdirektorenkonferenz<br />
SODK beschlossen werden, stärkt die Bedeutung<br />
des SKOS-Regelwerks und ist ein<br />
wichtiger Schritt zu mehr Verbindlichkeit in<br />
der Sozialhilfe.<br />
Felix Wolffers, Co-Präsident der SKOS<br />
aktuell 2/15 ZeSo<br />
5
13 Fragen an Mirjam Hauser<br />
1<br />
2<br />
3<br />
4<br />
Sind Sie eher arm oder eher reich?<br />
Glücklicherweise bin ich reich an Freunden, Familie<br />
und Erfahrungen. Zum alltäglichen Leben reicht<br />
das Einkommen gut und Besitztümer anzuhäufen,<br />
ist nicht mein Lebensziel.<br />
Was empfinden Sie als besonders ungerecht?<br />
Es gibt sehr viele und grosse Ungerechtigkeiten<br />
auf der Welt, und das kann man immer nur im Kontext<br />
verstehen. Wenn man in andere Länder reist, wie<br />
zum Beispiel Laos, merkt man, dass Ungerechtigkeit<br />
dort bis zum Anzweifeln des Existenzrechts geht.<br />
Hier ist die Schweiz dank ihrem Wohlstand und einem<br />
guten Sozialsystem, das sie nach den Weltkriegen<br />
ausbauen konnte, viel weiter. Aber ich mache mir Sorgen,<br />
wie es mit der Solidarität in Zukunft weitergeht<br />
angesichts der unsicheren Wirtschaftslage, der Alterung<br />
unserer Gesellschaft und einer zunehmenden<br />
Staatsverschuldung.<br />
Glauben Sie an die Chancengleichheit?<br />
Die Chancengleichheit ist fundamental wichtig<br />
in einer wettbewerbsorientierten Leistungsgesellschaft.<br />
Deshalb muss alles dafür getan werden,<br />
diese Chancengleichheit für alle zu ermöglichen.<br />
Die Förderung in Krippe, Kindergarten und Schule<br />
muss in Zukunft noch viel individualisierter sein,<br />
das heisst, sich an den persönlichen Fähigkeiten<br />
und Möglichkeiten jedes Einzelnen orientieren. Dafür<br />
brauchen wir innovative Unterrichtsmodelle,<br />
die das Ziel der integrativen Bildung umsetzen: Alle<br />
Kinder – solche mit besonderem Förderbedarf oder<br />
einer Behinderung, aber auch verhaltensauffällige<br />
und hochbegabte – werden wenn möglich nicht in<br />
eine Sonderklasse abgesondert, sondern mit heilpädagogischer<br />
Unterstützung in der Regelklasse<br />
unterrichtet.<br />
Was bewirken Sie mit Ihrer Arbeit?<br />
Am Gottlieb Duttweiler Institut wollen wir Veränderungen<br />
beschreiben und über verschiedene<br />
Zukunftsszenarien öffentlich diskutieren. Ende Februar<br />
haben wir eine Studie vorgestellt, die Thesen<br />
zum Alltag von Menschen mit Behinderung in der<br />
Welt 2035 entwickelt hat. Dabei ist es wichtig, die<br />
Erkenntnisse nicht nur zu beschreiben, sondern<br />
5<br />
6<br />
diese mit Personen und Unternehmen, die sich in<br />
diesem Bereich engagieren, zu debattieren. Die Zukunft<br />
kann man zwar nicht vorhersagen, aber man<br />
kann sie sich denken und ausmalen und dadurch<br />
aktiv mitgestalten. Wenn wir sehen, dass alle Entwicklungen<br />
für eine integrative Bildung sprechen,<br />
dann muss man sich auch fragen, wie eine solche<br />
Welt aussieht und welche Weichen wir heute stellen<br />
müssen, um diese Welt zu erschaffen.<br />
Für welches Ereignis oder für welche Begegnung würden<br />
Sie ans andere Ende der Welt reisen?<br />
Dazu braucht es für mich keine spezifische Begegnung<br />
oder ein Ereignis. Ich möchte immer wieder<br />
in andere Teile der Welt reisen, um anderen Kulturen<br />
zu begegnen, von ihnen zu lernen und den eigenen<br />
Horizont zu erweitern. Ich war dank Auszeiten,<br />
Studienaustausch und Praktika schon mehrmals in<br />
Asien und Südamerika, teilweise fix in einer Stadt<br />
wie Buenos Aires oder Granada, längere Zeit aber<br />
auch auf Rucksackreisen in Thailand, Kambodscha,<br />
Laos, Taiwan, auf den Philippinen, in Indonesien,<br />
Japan, Argentinien, Bolivien, Peru, Ecuador, Kanada<br />
und den USA. Das würde ich immer wieder tun, denn<br />
man wird empfänglicher für alternative Sichtweisen.<br />
Viele kulturelle Eigenheiten erschliessen sich<br />
einem, wenn man Land und Leute aufmerksam beobachtet,<br />
auch ohne dass man die Sprache spricht.<br />
Wenn Sie in der Schweiz drei Dinge verändern könnten,<br />
welche wären das?<br />
Zuerst einmal glaube ich, dass wir Schweizer<br />
mit dem Erreichten zufrieden sein können. Aber wir<br />
dürfen uns angesichts des zunehmenden globalen<br />
Wettbewerbs nicht auf unseren Lorbeeren ausruhen.<br />
Ich wünsche mir, dass die Schweiz mutig an einem<br />
zukunftsfähigen und innovativen Modell weiterarbeitet.<br />
Wir müssen auch über Jahrzehnte gewachsene<br />
Strukturen hinterfragen und allenfalls auch<br />
mit viel Aufwand umkrempeln. Die Schule ist ein<br />
gutes Beispiel: Es ist sehr schwierig sowie zeit- und<br />
kostenintensiv, das bestehende Schulsystem von<br />
Grund auf zu erneuern und den neuen Bedürfnissen<br />
einer integrativen Schule mit Chancengleichheit für<br />
alle anzupassen. Dasselbe gilt für den Aufbau von<br />
Krippenplätzen, Tagesschulen, flexiblen Arbeitszeitmodellen<br />
oder neue Wohnformen wie Multi-Generationenhäuser,<br />
wo das Zusammenleben von Studenten,<br />
Familien, Senioren, Behinderten und Ausländern gefördert<br />
und dank massgeschneiderten Pflege- und<br />
Betreuungsangeboten erleichtert wird.<br />
6 ZeSo 2/15 13 fragen
Mirjam Hauser<br />
Mirjam Hauser (Jg. 1980) ist Senior Researcher am GDI Gottlieb Duttweiler<br />
Institut, wo sie Veränderungen von Gesellschaft, Wirtschaft und Konsum<br />
analysiert. Sie studierte Sozial- und Wirtschaftspsychologie an den<br />
Universitäten Zürich und Granada. Mirjam Hauser ist Autorin der im Auftrag<br />
der Stiftung Cerebral kürzlich publizierten GDI-Studie: «Menschen mit Behinderung<br />
in der Welt 2035: Wie technologische und gesellschaftliche Trends<br />
den Alltag verändern».<br />
Die Studie ist kostenlos erhältlich unter: www.gdi.ch/behinderung2035.<br />
Bild: zvg<br />
7<br />
8<br />
9<br />
10<br />
11<br />
12<br />
13<br />
Können Sie gut verlieren, und woran merkt man das?<br />
Bei Gesellschaftsspielen wie Jassen macht es<br />
mir gar nichts aus, da halte ich mich an den Spruch<br />
«Pech im Spiel – Glück in der Liebe». Wenn ich jedoch<br />
für einen Wettkampf trainiert habe und miserabel<br />
abschneide, bin ich schon etwas enttäuscht.<br />
Es ist aber auch ein Ansporn, es das nächste Mal<br />
besser zu machen.<br />
Bügeln Sie Ihre Blusen selbst?<br />
Gerade weil ich sie selbst bügeln müsste, trage<br />
ich <strong>ganz</strong> selten Blusen.<br />
Was bedeutet Ihnen Solidarität?<br />
Solidarität finde ich eine unglaubliche Errungenschaft.<br />
Ohne Solidarität – im Privaten, in der Gesellschaft<br />
und auch in der Wirtschaft – wäre unser Leben<br />
undenkbar. Doch auch Solidarität ist immer nur<br />
im Kontext zu verstehen und sie wird durch technologische<br />
und gesellschaftliche Trends verändert.<br />
Wir müssen uns fragen, wie wir die Solidarität auch<br />
in Zukunft und mithilfe neuer Technologien wie der<br />
Digitalisierung fördern können.<br />
Haben Sie eine persönliche Vision?<br />
Ja, die gelebte gesellschaftliche Vielfalt. Wir verharren<br />
in stereotypen Bildern, statt menschliche<br />
Unterschiede, ihre Stärken und Schwächen, positiv<br />
wahrzunehmen. In dem Sinne verstehe ich Inklusion<br />
nicht einfach als ein «Behindertenthema»,<br />
es geht auch um Ausländer, Übergewichtige, Langsame,<br />
Junge, Alte und so weiter.<br />
Welcher Begriff ist für Sie ein Reizwort?<br />
Die <strong>ganz</strong>e Debatte um die «Schein-Invaliden»<br />
hat leider viel zu negativen Stereotypen beigetragen,<br />
vor allem für psychisch kranke Menschen.<br />
Gibt es Dinge, die Ihnen den Schlaf rauben?<br />
Immer wieder. Das können Alltagserlebnisse<br />
sein, aber auch Berichte in den Medien über Kriege,<br />
Terror und Ungerechtigkeiten in aller Welt.<br />
Mit wem möchten Sie gerne per Du sein?<br />
Da fällt mir niemand Konkretes ein. Aber ich freue<br />
mich auf jede Begegnung mit Menschen und finde<br />
es immer spannend, neue Perspektiven kennenzulernen<br />
– auch wenn man die letztlich vielleicht nicht<br />
teilt.<br />
13 fragen 2/15 ZeSo<br />
7
Teilrevision der SKOS-Richtlinien:<br />
Die Weichen sind gestellt<br />
Die Verschärfung der Sanktionsmöglichkeiten im Umgang mit unkooperativen Sozialhilfebeziehenden<br />
und die Reduktion des Grundbedarfs für junge Erwachsene fanden in der Vernehmlassung zur<br />
Revision der SKOS-Richtlinien grosse Zustimmung. Bei der Höhe des Grundbedarfs hat sich keine<br />
der vorgeschlagenen Varianten klar durchsetzen können. Mehr als zwei Drittel der SKOS-Mitglieder<br />
haben sich zur Ausgestaltung der SKOS-Richtlinien geäussert und so eine solide Grundlage für die<br />
Entscheide über die Stossrichtung der Revision geschaffen.<br />
Die Mitglieder der SKOS waren im Rahmen<br />
einer verbandsinternen Vernehmlassung<br />
zur zukünftigen Ausgestaltung der<br />
Sozialhilferichtlinien zwischen dem 2. Februar<br />
und dem 20. März <strong>2015</strong> eingeladen,<br />
sich zur Höhe des Grundbedarfs, zu<br />
den Anreizelementen und den Sanktionsmöglichkeiten<br />
sowie zur Problematik der<br />
Schwelleneffekte zu äussern. Rund 70 Prozent<br />
der Mitglieder haben sich an der Vernehmlassung<br />
beteiligt. Die Mitgliederbefragung<br />
ist somit repräsentativ und bildet<br />
eine gute Grundlage für die geplante Teilrevision<br />
der Richtlinien. An seiner Retraite<br />
Ende April hat sich der SKOS-Vorstand, in<br />
dem unter anderem alle 26 Kantone sowie<br />
Gemeinden und regionale Sozialdienste<br />
vertreten sind, intensiv mit den Ergebnissen<br />
der Vernehmlassung auseinandergesetzt<br />
und Empfehlungen zuhanden der<br />
Konferenz der kantonalen Sozialdirektorinnen<br />
und Sozialdirektoren SODK formuliert.<br />
Diese hat zusammen mit ihren Partnerorganisationen<br />
an der Sozialkonferenz<br />
in Thun am 21. Mai die konkrete Stossrichtung<br />
der Revision beschlossen.<br />
PRAXISBEISPIEL<br />
Auf dieser Seite werden in der Regel exemplarische<br />
Fragen aus der Sozialhilfepraxis an die «SKOS-Line»<br />
diskutiert und beantwortet. Aus aktuellem Anlass<br />
(Richtlinienrevision und Beschlüsse der SODK)<br />
wurde das an dieser Stelle vorgesehene Praxisbeispiel<br />
kurzfristig durch den oben stehenden<br />
Beitrag ersetzt. Das zurückgestellte Praxisbeispiel<br />
wird in der nächsten <strong>ZESO</strong> publiziert. – Red.<br />
Grundbedarf<br />
Auf der Basis einer Studie des Bundesamts<br />
für Statistik wurden in der Vernehmlassung<br />
vier Varianten zur Höhe des Grundbedarfs<br />
zur Diskussion gestellt, die die Beibehaltung<br />
des Status quo beinhalteten, eine<br />
generelle oder teilweise Erhöhung von<br />
Leistungen oder die Reduktion der Unterstützung<br />
für grosse Familien vorschlugen.<br />
In der Vernehmlassung hat keine dieser Varianten<br />
eine klare Mehrheit erzielt, und unter<br />
den Mitgliedergruppen zeigten sich<br />
teilweise unterschiedliche Tendenzen: So<br />
wünscht die Hälfte der Mitglieder die Beibehaltung<br />
der aktuellen Ansätze für alle<br />
Haushalte und ein Teil von ihnen deren Erhöhung.<br />
Auch die Varianten mit Reduktion<br />
der Ansätze bei grösseren Familien fanden<br />
etliche Zustimmung. Aufgrund der nicht<br />
eindeutigen Stossrichtung tendierte der<br />
Vorstand nach eingehender Diskussion für<br />
die Beibehaltung des Status quo (Variante 1).<br />
Die SODK hat an der Sozialkonferenz beschlossen,<br />
die Ansätze für Familien bis fünf<br />
Personen unverändert zu lassen, aber bei<br />
Grossfamilien ab sechs Personen die Ansätze<br />
zu reduzieren (vgl. Meldung Seite 4).<br />
Die SODK hat sich zudem, wie eine<br />
klare Mehrheit der Mitglieder (87 Prozent<br />
Zustimmung), für einen reduzierten<br />
Grundbedarf für junge Erwachsene mit<br />
eigenem Haushalt, die keine Ausbildung<br />
absolvieren, keine Kinder betreuen und<br />
nicht arbeiten, ausgesprochen.<br />
Anreizelemente<br />
Der Einkommensfreibetrag (EFB) und die<br />
Integrationszulage (IZU) sind weitgehend<br />
unbestritten. Sie stossen bei den SKOS-<br />
Mitgliedern mit 91 bzw. 83 Prozent auf<br />
grosse Zustimmung. Bei der Minimalen Integrationszulage<br />
(MIZ) ist das Ergebnis weniger<br />
deutlich. 51 Prozent der Mitglieder<br />
wollen sie beibehalten. In der Romandie,<br />
wo die MIZ in einigen Kantonen als fester<br />
Bestandteil des Grundbedarfs verstanden<br />
wird, findet die MIZ mehr Akzeptanz als in<br />
der Deutschschweiz. Der Vorstand hat sich<br />
aufgrund der Ergebnisse dafür ausgesprochen,<br />
den EFB beizubehalten und sowohl<br />
IZU wie auch MIZ zu präzisieren. Die SODK<br />
8 ZeSo 2/15 SKOS-RICHTLINIEN
geht einen Schritt weiter und hat beschlossen,<br />
die beiden Anreizelemente IZU und<br />
MIZ zusammenzuführen und die Voraussetzungen<br />
für deren Bezug klarer festzulegen.<br />
Der Einkommensfreibetrag (EFB) wird in<br />
der heutigen Form und Höhe beibehalten.<br />
Sanktionen<br />
86 Prozent der SKOS-Mitglieder befürworten<br />
im Umgang mit wiederholten und<br />
schwerwiegenden Fällen eine Verschärfung<br />
der Sanktionen respektive die Möglichkeit,<br />
den Grundbedarf bis um maximal<br />
30 Prozent zu kürzen. Sowohl der SKOS-<br />
Vorstand wie auch die SODK haben dieser<br />
Verschärfung zugestimmt.<br />
Situationsbedingte Leistungen und<br />
Schwelleneffekte<br />
77 Prozent der Mitglieder haben sich im<br />
Weiteren dafür ausgesprochen, die situationsbedingten<br />
Leistungen (SIL) in der aktuellen<br />
Form beizubehalten, wobei diverse<br />
Wünsche zur deren Überprüfung und Optimierung<br />
geäussert wurden. Empfehlungen<br />
zur Vermeidung von Schwelleneffekten<br />
sollen gemäss 71 Prozent der Mitglieder<br />
in die Richtlinien aufgenommen werden.<br />
Beide Punkte haben die Zustimmung<br />
des SKOS-Vorstands wie auch der SODK<br />
gefunden und fliessen in die Revision ein.<br />
Weiteres Vorgehen<br />
Aufgrund der Beschlüsse der SODK sollen<br />
per 1. Januar 2016 die folgenden Revisionspunkte<br />
in Kraft treten:<br />
• Reduktion des Grundbedarfs bei Grossfamilien<br />
ab 6 Personen;<br />
• Senkung der Ansätze für junge Erwachsene<br />
bis 25 Jahren beim Grundbedarf;<br />
• Möglichkeit zur Verschärfung des Sanktionsabzugs<br />
auf 30 Prozent des Grundbedarfs;<br />
• Überarbeitung des Anreizsystems: Die<br />
MIZ wird in die IZU integriert und die<br />
Voraussetzungen für den Bezug der IZU<br />
werden präzisiert.<br />
Die SKOS wird für die genannten Revisionspunkte<br />
zuhanden der SODK konkrete<br />
Vorschläge ausarbeiten. Die SODK wird<br />
im September <strong>2015</strong> die definitiven Beschlüsse<br />
zur Revision fassen. In einer zweiten<br />
Etappe sollen anschliessend folgende<br />
Neuerungen bearbeitet und per 1. Januar<br />
2017 in Kraft gesetzt werden:<br />
• Überarbeitung der Bestimmungen für<br />
den Bezug von situationsbedingten<br />
Leistungen (SIL);<br />
• Empfehlungen zur Verminderung von<br />
Schwelleneffekten;<br />
• Definition der Grenzlinie zwischen der<br />
Sozialhilfe und der Nothilfe;<br />
• Empfehlungen für Mietzinsmaxima.<br />
Des Weiteren sollen die Richtlinien mittelfristig<br />
redaktionell überarbeitet werden,<br />
mit dem Ziel, den materiellen Teil der Richtlinien<br />
und die Handlungsempfehlungen für<br />
die Praxis zu entflechten.<br />
SKOS-Richtlinien werden gestärkt<br />
Die Vernehmlassung hat gezeigt, dass die<br />
Mehrheit der SKOS-Mitglieder in verschiedenen<br />
Bereichen der Richtlinien Handlungsbedarf<br />
sieht. Mit den nun gefassten<br />
Beschlüssen der SKOS und der SODK können<br />
wichtige Reformschritte rasch erfolgen.<br />
Die geplanten Veränderungen führen zwar<br />
punktuell zu Verschärfungen in der Sozialhilfe,<br />
zugleich bleibt aber für die grosse<br />
Mehrheit der unterstützten Personen der<br />
Grundbedarf in der heutigen Höhe erhalten.<br />
Weil neu die SODK über die SKOS-<br />
Richtlinien entscheidet, werden diese politisch<br />
deutlich besser legitimiert und insgesamt<br />
gestärkt. Mit der verabschiedeten Stossrichtung<br />
ist ein wichtiger Meilenstein erfolgt.<br />
Mit den angestossenen Reformen wird<br />
die Akzeptanz der Sozialhilfe insgesamt verbessert<br />
und der in den letzten Monaten<br />
spürbare öffentliche und mediale Druck auf<br />
die sozial Schwächsten gemindert. Die Sozialhilfe<br />
ist ein wichtiges und unverzichtbares<br />
Element im Sozialstaat. Es braucht für die<br />
Sozialhilfe gesamtschweizerisch einheitliche<br />
Rahmenbedingungen. Die SKOS-Richtlinien<br />
haben sich in den letzten Jahrzehnten bewährt<br />
und sie tragen auch in Zukunft massgeblich<br />
zu mehr Verbindlichkeit und Ausgleich<br />
in der Sozialhilfe bei. Die SKOS wird<br />
den Reformprozess zielstrebig, pragmatisch<br />
und innert der gesetzten Frist umsetzen. •<br />
Therese Frösch, Co-Präsidentin SKOS<br />
Felix Wolffers, Co-Präsident SKOS<br />
Sorgen für Verbindlichkeit und Ausgleich<br />
in der Sozialhilfe: die SKOS-Richtlinien.<br />
<br />
Bild: Béatrice Devènes<br />
SKOS-RICHTLINIEN 2/15 ZeSo<br />
9
«Die klassische Fürsorge ist eine<br />
Gemeindeaufgabe»<br />
Die SKOS ist eine Plattform, die das Zusammenführen der Interessen von Bund, Kantonen und kommunaler<br />
Ebene ermöglicht, sagt Hannes Germann, Präsident des Schweizerischen Gemeindeverbands (SGV). Der<br />
SGV selbst steht im Spannungsfeld der teilweise sehr unterschiedlichen Interessen von Kernstädten und<br />
dem ländlichen Raum.<br />
Herr Germann, gibt es so etwas wie<br />
«die typische Schweizer Gemeinde»,<br />
wie würden Sie diese beschreiben?<br />
Die absolut typische Schweizer Gemeinde<br />
gibt es wohl nicht, denn keine ist gleich<br />
wie die andere. Man könnte aber sagen,<br />
dass die 2324 Gemeinden, die es noch<br />
gibt, typisch schweizerisch sind.<br />
Wo bestehen breit abgestützte gemeinsame<br />
Interessen der Gemeinden?<br />
Unter den Mitgliedern haben wir kleine<br />
Bergdörfer, ländliche Gemeinden im Mittelland,<br />
Agglomerationsgemeinden, Städte.<br />
Der Schweizerische Gemeindeverband versucht,<br />
die verschiedenen Interessen seiner<br />
Mitgliedergemeinden möglichst gut zu erfassen.<br />
Gibt es so etwas wie einen kleinsten<br />
gemeinsamen Nenner bei den Interessen<br />
dieser Gemeinden?<br />
Alle möchten eine möglichst grosse Autonomie<br />
und umfassende Entscheidungskompetenzen<br />
haben, jedenfalls in den Bereichen,<br />
für die sie zuständig sind. Es gibt<br />
viele Auflagen des Bundes und der Kantone,<br />
die den Gemeinden das Leben erschweren.<br />
Das Subsidiaritätsprinzip beispielsweise<br />
sorgt dafür, dass die Finanzströme die kommunalen<br />
Entscheidungskompetenzen zu<br />
wenig berücksichtigen. Das ist ein Schwachpunkt<br />
in unserem System, der die Gemeinden<br />
benachteiligt und uns antreibt, für<br />
Verbesserungen zu kämpfen. Diese Problematik<br />
zeigt sich auch im Sozialhilfebereich.<br />
Wo gibt es die grössten Interessenkonflikte<br />
unter den Gemeinden?<br />
Zwischen den Kernstädten und dem<br />
ländlichen Raum gibt es sehr unterschiedliche<br />
Interessen. In diesem Spannungsfeld<br />
versucht der Gemeindeverband, einen<br />
Interessenausgleich herzustellen.<br />
Bilder: Béatrice Devènes<br />
10 ZeSo 2/15 Interview
Wie bewerkstelligen Sie das?<br />
Wir unterstützen Lösungen, die nicht<br />
vom Subsidiaritätsprinzip abhängig sind.<br />
Das Motto «Wenn ich zahlen muss, dann<br />
will ich auch bestimmen» ist kein schlechter<br />
Grundsatz. Wenn mehr danach gehandelt<br />
würde, hätten es die Gemeinden und<br />
Regionen einfacher, ihren Bedürfnissen<br />
entsprechende, unterschiedliche Lösungen<br />
anzustreben.<br />
Im vergangenen Jahr sind aus der<br />
SKOS sechs Gemeinden ausgetreten.<br />
Gleichzeitig zeigen Umfragen, dass<br />
die grosse Mehrheit der Gemeinden<br />
mit der SKOS und ihrer Funktion als<br />
Herausgeberin der Sozialhilfe-<br />
Richtlinien zufrieden ist. Welche<br />
Haltung vertritt der SGV in dieser<br />
Diskussion?<br />
Wir bedauern, dass es zu den Austritten<br />
aus der SKOS gekommen ist. Die SKOS<br />
ist eine Plattform, die den Austausch und<br />
das Zusammenführen der Interessen von<br />
Bund, Kantonen und kommunaler Ebene<br />
ermöglicht. Und die SKOS-Richtlinien<br />
sind für die Sozialdienste eine wichtige<br />
Orientierungshilfe, damit sie sich im System<br />
zurechtfinden können. Sozialhilfe darf<br />
nicht willkürlich erfolgen. Das Problem,<br />
mit dem die SKOS konfrontiert ist, besteht<br />
darin, dass sie gleichzeitig die Interessen<br />
der Kernstädte und die Interessen von<br />
kleinen, ländlichen Gemeinden berücksichtigen<br />
muss. Die haben teilweise recht<br />
unterschiedliche Bedürfnisse.<br />
«Sozialhilfe darf<br />
nicht willkürlich<br />
erfolgen.»<br />
Wie zeigt sich das?<br />
Die Ansätze der SKOS sind eher auf<br />
die Situation in den Städten ausgerichtet.<br />
Für viele Gemeinden sind sie tendenziell<br />
zu hoch. Deshalb wünschen wir uns hier<br />
mehr Spielraum für die Gemeinden.<br />
Würde mehr Spielraum nicht zu<br />
einem Wettbewerb führen, der ärmere<br />
Gemeinden kaum entlasten wird?<br />
Grundsätzlich denke ich, dass eine<br />
grössere Bandbreite den schwächeren<br />
Gemeinden eher entgegenkäme. Klar<br />
muss verhindert werden, dass sich Gemeinden<br />
gegenseitig «schlechte Risiken»<br />
zuschieben. Der SGV will umgekehrt<br />
auch verhindern, dass der sogenannte<br />
Sozialhilfetourismus Schule machen kann.<br />
Trotzdem braucht es mehr Bandbreite und<br />
mehr Spielraum. In Zürich verdienen Sie<br />
ungleich mehr als beispielsweise in Chur<br />
oder im Jura. Diesen Unterschieden muss<br />
die Sozialhilfe Rechnung tragen. Wenn sie<br />
das nicht tut, dann entstehen diese Verzerrungen:<br />
Nämlich dass der Eindruck<br />
entsteht, dass Sozialhilfebeziehende mehr<br />
erhalten als jemand, der seinen Lebensunterhalt<br />
eigenständig bestreitet. Was in<br />
all diesen Diskussionen auch eine Rolle<br />
spielt, ist, dass sich die Einkommen der<br />
Sozialhilfeempfänger schlecht mit den<br />
Erwerbseinkommen vergleichen lassen.<br />
Viele der Leistungen wie beispielsweise die<br />
Wohnungsmiete sind ja bereits beglichen,<br />
wenn man vom Grundbedarf spricht.<br />
Existieren diese Verzerrungen, die<br />
Sie ansprechen, eher im ländlichen<br />
Raum?<br />
Wir wollen kein Ausspielen zwischen<br />
Stadt und Land, sondern ein sinnvolles<br />
Miteinander und Nebeneinander, das den<br />
Leuten, die sich in einer Notlage befinden,<br />
würdig bleibt. Aber es muss uns bewusst <br />
Interview 2/15 ZeSo<br />
11
sein, dass das Verhältnis zwischen Menschen,<br />
die einen materiellen Beitrag an<br />
das Gemeinwesen leisten, und solchen, die<br />
von diesem unterstützt werden müssen, in<br />
einem tragbaren Gleichgewicht gehalten<br />
werden muss.<br />
Die SKOS-Richtlinien sind seit jeher<br />
ein Instrument, das einen Ausgleich<br />
zwischen den Gemeinden schaffen<br />
soll. Sie fordern möglichst viel Bandbreite,<br />
um die regionalen Verhältnisse<br />
besser berücksichtigen zu können. Ist<br />
das nicht ein Widerspruch zur Idee<br />
des Ausgleichs?<br />
Wettbewerb findet überall statt, nicht<br />
nur bei der Sozialhilfe. In der Schweiz<br />
haben wir Niederlassungsfreiheit. Die Leute<br />
begeben sich ohnehin dorthin, wo sie<br />
wollen oder wo sie eine Wohnung finden,<br />
die ihren Bedürfnissen entspricht. Die<br />
Vorkommnisse der letzten Zeit müssen als<br />
Hilfeschrei verstanden werden, der ernst genommen<br />
werden muss. Insofern haben die<br />
Austritte aus der SKOS auch eine heilende<br />
Wirkung: Man sitzt wieder zusammen und<br />
versucht, gemeinsam gute und breit mitgetragene<br />
Lösungen zu entwickeln.<br />
In der Stellungnahme des Gemeindeverbands<br />
zum «Rahmengesetz Sozialhilfe»<br />
haben Sie geschrieben, die<br />
SKOS-Richtlinien seien «abgehoben».<br />
Was ist damit gemeint?<br />
In der Vergangenheit hatte man das<br />
Gefühl, die SKOS schaue vor allem dazu,<br />
dass Sozialhilfeempfänger möglichst gut<br />
fahren. Man hatte den Eindruck, dass die<br />
SKOS sehr weit weg war von dem, was die<br />
Gemeinden beschäftigt, und auch nicht<br />
mit den unterschiedlichsten Gemeinden<br />
oder Gemeindevertretern gesprochen hat.<br />
Immerhin werden die Richtlinien von<br />
einem Gremium von Praktikerinnen<br />
und Praktikern ausgearbeitet. Und die<br />
kommen aus den Gemeinden.<br />
Vielleicht wird die SKOS auch als zu<br />
akademisch und deshalb weit weg von der<br />
Realität in den Gemeinden wahrgenommen.<br />
Dadurch, dass die SKOS heute sich<br />
selber und ihre Entscheidungen kritisch<br />
hinterfragen muss, wurde eine gute Diskussionsbasis<br />
geschaffen.<br />
Hannes Germann<br />
Bild: zvg<br />
Hannes Germann (geb. 1956) ist seit 2008<br />
Präsident des Schweizerischen Gemeindeverbands,<br />
dem 1650 von insgesamt 2324<br />
Gemeinden angeschlossen sind. Germann<br />
war Primarlehrer, später Wirtschaftsredaktor<br />
und studierte auf dem zweiten Bildungsweg<br />
Betriebsökonomie. Von 1997 bis zur Fusion<br />
mit Thayngen Ende 2008 amtete er als<br />
Gemeindepräsident von Opfertshofen. Seit<br />
2002 vertritt er als Mitglied der SVP den<br />
Kanton Schaffhausen im Ständerat. Im Jahr<br />
2014 war er Ständeratspräsident.<br />
Was sind die Vorteile und Nachteile<br />
des bestehenden föderalen Sozialhilfesystems<br />
gegenüber einem Bundesrahmengesetz,<br />
das der Sozialhilfe<br />
einen ähnlichen Status geben würde,<br />
wie ihn die AHV oder die IV haben.<br />
Es braucht aus unserer Sicht kein nationales<br />
Rahmengesetz und auch kein<br />
Konkordat. Die AHV und die IV haben<br />
einheitliche Ansätze. Die Sozialhilfe hingegen<br />
muss die regionalen Lebenshaltungskosten<br />
und Lohnverhältnisse berücksichtigen.<br />
Ein föderales Sozialhilfesystem kann<br />
das besser gewährleisten.<br />
Die AHV operiert mit «egalitären»<br />
Ansätzen, für die Sozialhilfe soll das<br />
nicht gut sein. Weshalb?<br />
In die AHV zahlen auch alle ein. Und<br />
sie ist auch nur ein Teil des Renteneinkommens.<br />
Die zweite und die dritte Säule, die<br />
die AHV ergänzen, widerspiegeln die Einkommensverhältnisse.<br />
Dennoch gibt es auch Aspekte, die für<br />
ein Bundesgesetz sprechen ...<br />
Auf Bundesebene würden sehr schnell<br />
Minimalstandards definiert. Und diese<br />
Art Harmonisierung wollen wir nicht. Die<br />
SKOS-Richtlinien sollen als Richtschnur<br />
dienen, mehr braucht es nicht. Der Bund<br />
darf auch nicht beginnen, Sozialhilfekosten<br />
zu übernehmen. Im Moment ist<br />
aus unserer Sicht ein Rahmengesetz vom<br />
Tisch, geben wir dem laufenden Prozess<br />
eine Chance.<br />
Zielt die aktuelle Richtlinienrevision<br />
in die richtige Richtung?<br />
Wir haben uns kürzlich mit der Leitung<br />
der SKOS getroffen und aufgrund dieses<br />
Gesprächs denke ich, dass die Revision in<br />
die richtige Richtung geht.<br />
Damit die Richtlinien eine bessere politische<br />
Legitimation erhalten, werden<br />
sie neuerdings von der Konferenz der<br />
Sozialdirektorinnen und -direktoren<br />
verabschiedet. Wie beurteilen Sie<br />
diesen Schulterschluss von SKOS und<br />
SODK?<br />
Einerseits ist es richtig, dass die Kantone<br />
über die SODK stärker mitreden<br />
und die Verbindlichkeit der Richtlinien<br />
erhöhen. Amdererseits bleibe ich dabei: Es<br />
braucht unbedingt den Einbezug des kommunalen<br />
Wissens, sonst ist die Sozialhilfe<br />
ein Hors-sol-Gebilde. Die klassische Fürsorge<br />
ist eine Gemeindeaufgabe.<br />
Ein anderes Beispiel für eine Verbundaufgabe<br />
und gemeinsame Interessen besteht<br />
ja auch im Zusammenhang mit der<br />
Integration von faktisch und rechtlich<br />
definitiv aufgenommenen Personen aus<br />
dem Asylbereich. Das tangiert die Wirtschaft,<br />
den Bund, die Kantone und die<br />
Gemeinden. Auch hier gilt es, Verbundaufgaben<br />
auf volkswirtschaftlicher Ebene<br />
wahrzunehmen, um zu verhindern, dass<br />
unsere Sozialwerke durch mangelnde<br />
Arbeitsintegration noch stärker belastet<br />
werden.<br />
12 ZeSo 2/15 Interview
Bei der Integration von Asylsuchenden<br />
in den Arbeitsmarkt müssen hohe<br />
administrative Hürden überwunden<br />
werden, was dem Ziel, arbeitsfähige<br />
Flüchtlinge in den Arbeitsmarkt zu<br />
integrieren, entgegenläuft. Sollte man<br />
diese Hürden abbauen?<br />
Wenn Asylsuchende während dem Asylverfahren<br />
nicht arbeiten dürfen, damit das<br />
Verfahren schneller abgewickelt werden<br />
kann, ist das gut so. Wenn sich abzeichnet,<br />
dass die Personen in der Schweiz bleiben<br />
werden, sollten sie früher und mit wenig<br />
administrativen Hürden Zugang zum Arbeitsmarkt<br />
haben und wir sollten sie möglichst<br />
befähigen, sich im Arbeitsmarkt zu<br />
behaupten. Arbeit und Partizipation bieten<br />
gute Möglichkeiten, sich zu integrieren.<br />
Wir nehmen mit Genugtuung zur Kenntnis,<br />
dass entsprechende Bestrebungen auf<br />
Bundesebene im Gang sind.<br />
Wie ist die Stimmung gegenüber der<br />
Sozialhilfe in Ihrem Heimatkanton,<br />
dem Kanton Schaffhausen?<br />
Der Druck bewegt sich im normalen<br />
Bereich. Es gibt schon Situationen, die<br />
den Rahmen einer kleinen Gemeinde<br />
sprengen können. Um diese Problematik<br />
zu entschärfen, braucht es einen sozialen<br />
Lastenausgleich auf kantonaler Ebene.<br />
Den haben wir geschaffen, und seither<br />
verläuft die Diskussion viel weniger aufgeregt.<br />
Mit welchen Dienstleistungen kann<br />
die SKOS kleineren Gemeinden mehr<br />
Unterstützung anbieten?<br />
Eine Rechtsberatung für Gemeinden,<br />
die weniger ausgebaute Strukturen haben,<br />
wäre hilfreich. Für kleine und mittlere<br />
Gemeinden ist es oft günstiger, professionelles<br />
Know-how über Fachstellen zu<br />
erschliessen, als eigene Strukturen aufzubauen.<br />
Für eine erweiterte Rechtsberatung<br />
wäre auch eine Zusammenarbeit zwischen<br />
dem Gemeindeverband und der SKOS<br />
denkbar. Dann möchten wir die Leute ja<br />
primär wieder von der Sozialhilfe ablösen.<br />
Für die Integration in den Arbeitsmarkt<br />
sind konstruktive Ansätze gefragt. Die<br />
SKOS könnte im Rahmen ihrer Möglichkeiten<br />
mithelfen, faire Rahmenbedingungen<br />
zu schaffen.<br />
«Es braucht einen<br />
sozialen Lastenausgleich<br />
auf kantonaler<br />
Ebene.»<br />
Macht der Gemeindeverband bereits<br />
Rechtsberatungen für Gemeinden?<br />
Nein, bisher nicht. Wir sehen uns eher<br />
in einer Vermittlerrolle. Wir haben auch<br />
nicht die Kapazitäten dazu bei unseren<br />
knapp zehn Angestellten auf der Geschäftsstelle.<br />
Abgesehen von den sozialen Fragen,<br />
die wir erörtert haben: Wo ist die<br />
Belastung der Gemeinden und der<br />
Gemeindebehörden am grössten, wo<br />
drückt der Schuh sonst noch?<br />
Auch hier hängt vieles von der Grösse<br />
der Gemeinde ab. In vielen Gemeinden<br />
arbeitet die Exekutive im Milizsystem. Das<br />
ist eine Stärke, aber das Milizsystem muss<br />
so ausgestaltet sein, dass es funktionieren<br />
kann und die Gemeinderäte nicht überbelastet.<br />
Der Gemeinderat muss sich auf<br />
strategische Weichenstellungen konzentrieren<br />
können und sollte sich nicht mit<br />
operationellen Arbeiten herumschlagen<br />
müssen. Der Kanton Zürich beispielsweise<br />
hat ein System, in dem der Gemeindeschreiber<br />
eine wichtige Rolle spielt. Andere<br />
Gemeinden haben eine Art CEO-Modell.<br />
Der Gemeinderat hat dort eher die Rolle<br />
eines Verwaltungsrats. Der Gemeindeverband<br />
setzt sich dafür ein, dass die<br />
Unterstützung der Milizpolitiker durch die<br />
Verwaltung professioneller wird. In fachlicher<br />
Hinsicht sehen sich die Gemeinden<br />
in der Raumplanung vor grosse Herausforderungen<br />
gestellt.<br />
Wie stellen Sie sich zur Frage der<br />
Gemeindefusionen?<br />
Fusionen haben dann ein wirtschaftliches<br />
Potenzial, wenn sie in Ballungsräumen<br />
stattfinden, also dort, wo ohnehin gute<br />
Strukturen vorhanden sind. Aber wenn<br />
Sie beispielsweise das Kandertal zu einer<br />
einzigen Gemeinde zusammenschliessen,<br />
dann haben sie immer noch immense Weiten<br />
mit Naturgefahren und anderen geografischen<br />
Herausforderungen. Das lässt<br />
sich nicht einfach wegfusionieren. Fusionen<br />
können zu einer professionelleren<br />
Verwaltung beitragen, aber sie sind kein<br />
Allheilmittel. <br />
•<br />
Das Gespräch führte<br />
Michael Fritschi<br />
Interview 2/15 ZeSo<br />
13
14 ZeSo 2/15 SCHWERPUNKT<br />
Bild: Keystone
flüchtlinge und sozialhilfe<br />
Flüchtlinge und Sozialhilfe<br />
Die sozialpolitischen und volkswirtschaftlichen Herausforderungen,<br />
mit denen die Schweiz im Asyl- und Flüchtlingswesen konfrontiert<br />
ist, nehmen zu. Drei Experten des Bundes, der Forschung und<br />
der Sozialhilfe legen ihre Lösungsansätze und Forderungen zur<br />
Abfederung der Probleme, die damit auf die Sozialhilfe zukommen,<br />
dar. Zwei Beispiele aus der Realität der Arbeitsmarktintegration<br />
zeigen die Hürden, die – trotz viel gutem Willen der Beteiligten – bei<br />
der Integration von Flüchtlingen in der Praxis überwunden werden<br />
müssen.<br />
<strong>ZESO</strong>-SCHWERPUNKT<br />
Beiträge zum Thema Flüchtlinge und Sozialhilfe:<br />
16 Gemeinsam Flüchtlinge rasch und nachhaltig integrieren<br />
18 Die Integration durch Erwerbsbeteiligung braucht bessere Rahmenbedingungen<br />
20 Ein Tor zum Arbeitsmarkt<br />
22 Zwischen Hoffnung und Desillusion<br />
24 Die Herausforderungen aus der Sicht der Sozialhilfe<br />
SCHWERPUNKT 2/15 ZeSo<br />
Gemeinsam Flüchtlinge rasch<br />
und nachhaltig integrieren<br />
Die gesellschaftliche Integration von Flüchtlingen und vorläufig Aufgenommenen ist eine grosse<br />
Herausforderung. Damit diese Menschen ihre Potenziale einbringen können, müssen die Rahmenbedingungen<br />
für ihre Integration in den Arbeitsmarkt verbessert werden. Dies kann nur gelingen,<br />
wenn alle Beteiligten mitziehen.<br />
Aufgrund anhaltender Konflikte suchen viele schutzbedürftige<br />
Menschen in europäischen Ländern Zuflucht. Im vergangenen<br />
Jahr haben in der Schweiz 6199 Personen Asyl erhalten und bei<br />
9367 Personen wurde eine vorläufige Aufnahme verfügt. Der<br />
Anteil Asylgewährungen und vorläufige Aufnahmen lag damit<br />
annähernd doppelt so hoch wie im Vorjahr. Die wichtigsten<br />
Herkunftsländer dieser Personen sind Eritrea, Syrien, Afghanistan,<br />
Sri Lanka, China, Somalia und die Türkei. Entscheidend für<br />
die Zunahme an Flüchtlingen und vorläufig Aufgenommenen ist<br />
die Tatsache, dass sich unter den jetzigen Asylsuchenden mehr<br />
schutzbedürftige Personen aus Verfolgungs- oder Kriegssituationen<br />
befinden als in anderen Jahren.<br />
Diese Zahlen zeigen auf, dass unser Asylsystem sein primäres<br />
Ziel erfüllt – nämlich schutzbedürftigen Personen Schutz zu bieten.<br />
Gleichzeitig bedeuten sie auch, dass sich mehr Personen ein<br />
neues Leben in der Schweiz aufbauen müssen, nachdem sie alles<br />
hinter sich gelassen haben. Da sie in der Regel mittellos ankommen,<br />
sind die meisten dieser Personen auf Sozialhilfe angewiesen,<br />
bis sie eine Arbeit gefunden haben und für sich und ihre<br />
Familien sorgen können.<br />
Untersuchungen und Erfahrungen aus der Praxis zeigen, dass<br />
es diesen Personen trotz ihrem starken Wunsch zu arbeiten, oft sehr<br />
schwer fällt, sich erfolgreich in den Arbeitsmarkt zu integrieren. Sie<br />
stossen bei der Arbeitssuche auf Hindernisse, unter anderem weil<br />
ihnen die Kenntnisse der lokalen Sprache oder soziale Kontakte in<br />
der Schweiz fehlen, weil sie die Anforderungen des Schweizer Arbeitsmarkts<br />
wie Pünktlichkeit und Regelmässigkeit zum Teil noch<br />
nicht erfüllen können, weil ihre beruflichen Kompetenzen oder Diplome<br />
nicht anerkannt werden oder weil sie aufgrund ihrer Fluchterfahrung<br />
unter physischen und psychischen Belastungen leiden.<br />
Zudem treffen sie auf administrative Hürden, die sie beim Zugang<br />
zum Arbeitsmarkt gegenüber anderen Ausländerinnen und<br />
Ausländern benachteiligen. Dazu gehört die Bewilligungspflicht<br />
bei der Aufnahme der Arbeit und beim Wechsel der Stelle, die<br />
auch für längere Berufspraktika gilt. Ebenfalls ein Hindernis ist<br />
die administrativ aufwendige Sonderabgabe. Diese Hürden können<br />
sich negativ auf die Erwerbstätigkeit auswirken. Dies hat eine<br />
vom Staatssekretariat für Migration SEM in Auftrag gegebene<br />
Studie gezeigt, für die Arbeitgeber und Akteure des Integrationsbereichs<br />
befragt wurden. Die Studie hat zudem erstmals statistisch<br />
aufgezeigt, wie sich über zehn Jahre der Prozess der Erwerbsintegration<br />
von Flüchtlingen und vorläufig Aufgenommenen gestaltet.<br />
Das Ergebnis ist, dass die Integration in den Arbeitsmarkt für diese<br />
Personengruppe möglich ist und in vielen Fällen auch gelingt.<br />
Doch dieser Prozess dauert sehr lange. Viele Personen bleiben<br />
aufgrund von fehlenden Einstiegsmöglichkeiten oder nicht ausreichenden<br />
Einkommen im Niedriglohnsektor für längere Zeit<br />
sozialhilfeabhängig (mehr zur Studie auf den Seiten 18-19).<br />
Mit den höheren Flüchtlingszahlen werden in einer ersten<br />
Phase auch die Sozialhilfekosten steigen. Der Bund vergütet den<br />
Kantonen zu Beginn ihres Aufenthaltes die Sozialhilfeleistungen<br />
in Form der sogenannten Globalpauschale – für Flüchtlinge über<br />
fünf und für vorläufig Aufgenommene über sieben Jahre. Später<br />
tragen die Kantone und Gemeinden, die gemäss Verfassung in erster<br />
Linie für die Sozialhilfe zuständig sind, diese Kosten selbst. Da<br />
die Asylgesuchszahlen aufgrund andauernder Konflikte in Ländern<br />
wie Syrien oder Eritrea in absehbarer Zeit nicht abnehmen<br />
werden, sind Lösungen für eine bessere Arbeitsmarktintegration<br />
dieser Menschen umso dringender.<br />
Handlungsansätze für die Arbeitsintegration von Flüchtlingen<br />
Die Tatsache, dass ein Grossteil der heutigen Asylsuchenden langfristig<br />
als Flüchtlinge oder vorläufig Aufgenommene in der Schweiz<br />
bleiben wird, ist nur einer der Gründe, weshalb ein Umdenken in<br />
Bezug auf ihre Arbeitsintegration stattfindet. Die Diskussionen rund<br />
um die Umsetzung von Artikel 121a der Bundesverfassung («Masseneinwanderungsinitiative»)<br />
haben ebenfalls dazu beigetragen.<br />
Über die mit dem Verfassungsauftrag einhergehende Beschränkung<br />
der Einwanderung ist die Frage des Arbeits- und Fachkräftemangels<br />
in den Fokus gerückt. Flüchtlinge und vorläufig Aufgenommene<br />
werden deshalb im Rahmen der Begleitmassnahmen vom Bundesrat<br />
wie auch von den Kantonen unter dem Titel «Inländisches Potential<br />
nutzen» explizit als eine Zielgruppe genannt.<br />
Um ihre Integration in den Arbeitsmarkt zu ermöglichen, prüfen<br />
Bund und Kantone, wie Hürden abgebaut und Erwerbsanreize<br />
gesetzt werden können. Mit dem Ziel der Sensibilisierung sucht<br />
das SEM gemeinsam mit Kantonen und Gemeinden verstärkt den<br />
Dialog mit Arbeitgebern – insbesondere aus dem Baugewerbe, der<br />
Gastronomie, der Landwirtschaft oder aus dem Reinigungs- und<br />
Pflegebereich. Weiter wird geprüft, wie Flüchtlinge und vorläufig<br />
Aufgenommene besser unterstützt werden können, beispielsweise<br />
indem sie früh Zugang zu Sprachförderung erhalten und über Coaching<br />
begleitet werden. Das heutige, lange Asylverfahren stellt sich<br />
für viele Flüchtlinge und vorläufig Aufgenommene im Nachhinein<br />
als eine verlorene Zeit heraus. Erfahrungen mit Langzeitarbeitslosigkeit<br />
zeigen, dass Personen, die über längere Zeit keinen Zugang<br />
zur Arbeitswelt haben, Mühe haben, wieder Fuss zu fassen.<br />
Die Neustrukturierung des Asylbereichs und die geplante Beschleunigung<br />
der Asylverfahren, die das SEM zurzeit in Zürich<br />
testet, werden dazu führen, dass die Förderung des Integrations-<br />
16 ZeSo 2/15 SCHWERPUNKT
flüchtlinge und sozialhilfe<br />
Flüchtlinge und vorläufig Aufgenommene sind Teil des inländischen Arbeitskräftepotenzials. <br />
Bild: Hermann & Eyer<br />
prozesses früher einsetzen kann. Coachingmassnahmen sind zwar<br />
kostenintensiv, zahlen sich aber längerfristig aus. Sie gewährleisten,<br />
dass den Flüchtlingen und vorläufig aufgenommenen Personen<br />
von Beginn weg deutlich die Erwartungen des Schweizer Arbeitsmarkts<br />
vermittelt und eingefordert werden. Im Kanton Graubünden<br />
beispielsweise werden die Kompetenzen von Flüchtlingen und<br />
vorläufig Aufgenommenen über Arbeitseinsätze in verschiedenen<br />
Tätigkeitsfeldern abgeklärt. Anschliessend werden sie von einem<br />
Jobcoach bei ihrem Integrationsprozess begleitet.<br />
Auch der Zugang zu Nachholbildungen ist wichtig. Das SEM<br />
unterstützt das Projekt «Potenziale nutzen» mit dem Ziel, dass vorläufig<br />
Aufgenommene und anerkannte Flüchtlinge in der Schweiz<br />
eine ihrem Ausbildungsniveau respektive ihrer beruflichen Tätigkeit<br />
im Herkunftsland angemessene Berufstätigkeit ausüben können.<br />
So wird beispielsweise einem Architekturstudenten ein qualifizierendes<br />
Praktikum vermittelt und darüber die Einschreibung<br />
an einer Schweizer Universität ermöglicht oder ein Gipser wird bei<br />
der Stellensuche und der Anerkennung seines Diploms unterstützt.<br />
Zusammenarbeiten und Chancen nutzen<br />
Wichtigstes Instrument für die Förderung der Integration von<br />
Flüchtlingen und vorläufig Aufgenommenen sind jedoch die Massnahmen<br />
im Rahmen der kantonalen Integrationsprogramme (KIP).<br />
Seit Januar 2014 setzen alle Kantone flächendeckende Integrationsmassnahmen<br />
um, die schweizweit die gleichen Ziele verfolgen.<br />
Bund und Kantone investieren dafür insgesamt Mittel in der Höhe<br />
von rund 110 Millionen Franken jährlich. Anerkannte Flüchtlinge<br />
und vorläufig Aufgenommene sind eine wichtige spezifische Zielgruppe<br />
dieser Programme, für die der Bund im Rahmen der KIP<br />
pro Person eine einmalige Integrationspauschale beiträgt.<br />
Um die kantonalen Integrationsprogramme weiter zu stärken,<br />
prüft das SEM mit seinen Partnern verschiedene zusätzliche Massnahmen.<br />
Zur Diskussion stehen insbesondere Massnahmen, mit<br />
denen sich die interinstitutionelle Zusammenarbeit zwischen den<br />
Behörden des Asylbereichs, der Integrationsförderung und des Arbeitsmarkts<br />
sowie die berufliche Qualifizierung von Flüchtlingen<br />
und vorläufig Aufgenommenen verstärken liessen. Die Kantone<br />
und Gemeinden, die bei einer langjährigen Sozialhilfeabhängigkeit<br />
die Kosten zu tragen haben, profitieren von früh einsetzenden<br />
und koordinierten Integrationsmassnahmen. Die Beschränkung<br />
der Einwanderung von Arbeitskräften im Kontext der Umsetzung<br />
von Art. 121a BV verstärkt die Bedeutung eines gezielten Vorgehens<br />
bei der Nutzung des Arbeitskräftepotenzials dieser Personen.<br />
Es ist eine Chance, Flüchtlingen bessere Integrationsmöglichkeiten<br />
und Perspektiven zu bieten, mittelfristig die Kosten im<br />
Sozialhilfebereich zu senken, die Wirtschaft zu unterstützen und<br />
nicht zuletzt die Akzeptanz der Aufnahme von Flüchtlingen in der<br />
Gesellschaft zu stärken.<br />
•<br />
Adrian Gerber, Chef Abteilung Integration<br />
Judith Nydegger, wissenschaftliche Mitarbeiterin<br />
Staatssekretariat für Migration SEM<br />
Literatur<br />
Arbeitsmarktintegration: Die Sicht der Flüchtlinge und vorläufig Aufgenommenen<br />
in der Schweiz, UNHCR, Genf, 2014.<br />
Spadarotto, C. & Morlok, M. et al., Erwerbsbeteiligung von anerkannten<br />
Flüchtlingen und vorläufig Aufgenommenen auf dem Schweizer Arbeitsmarkt,<br />
BFM/SEM, Bern, 2014.<br />
Beide Publikationen sind auch im Internet veröffentlicht worden.<br />
SCHWERPUNKT 2/15 ZeSo<br />
Die Integration durch Erwerbsbeteiligung<br />
braucht bessere Rahmenbedingungen<br />
Die Integration von Flüchtlingen ist ein langfristiges Vorhaben, das von administrativen Hürden behindert<br />
wird. Angesichts des sich akzentuierenden Fachkräftemangels wird das Potenzial dieser Menschen<br />
zu wenig ausgeschöpft. Eine nationale Berufsbildungsinitiative könnte neue Impulse geben.<br />
In einer erwerbsorientierten Gesellschaft wie der unseren ist die<br />
Erwerbsarbeit sowohl für die wirtschaftliche Existenzsicherung als<br />
auch für die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben und die soziale<br />
Integration von grundlegender Bedeutung. Für die «chancengleiche<br />
Teilhabe der Ausländerinnen und Ausländer an der schweizerischen<br />
Gesellschaft», die in der Verordnung über die Integration<br />
von Ausländerinnen und Ausländern als Ziel formuliert ist, ist die<br />
Arbeitsmarktintegration der zugewanderten Bevölkerung deshalb<br />
ein zentrales Anliegen. Die vom Staatssekretariat für Migration publizierten<br />
Zahlen zur Erwerbsbeteiligung der anerkannten Flüchtlinge<br />
(FL) und der vorläufig aufgenommenen Personen (VA)<br />
zeigen diesbezüglich jedoch eine unbefriedigende Situation: Die<br />
Erwerbstätigenquoten verharren für FL und VA seit Jahren auf<br />
konstant tiefem Niveau, bei durchschnittlich rund 34 respektive<br />
20 Prozent, was die Schweiz im internationalen OECD-Vergleich<br />
schlecht aussehen lässt.<br />
Allerdings können diese Zahlen in der politischen Diskussion<br />
und Beurteilung des Integrationsgeschehens auch zu Fehlinterpretationen<br />
führen. Die Quoten beruhen auf quartalsweisen<br />
Bestandsmessungen, bei denen drei wichtige Aspekte nicht berücksichtigt<br />
werden. Erstens: Die Populationen der anerkannten<br />
Flüchtlinge und vorläufig aufgenommenen Personen setzen sich<br />
als Folge der beträchtlichen Fluktuation (Neuzugänge, Statuswechsel,<br />
Abgänge) an jedem Messzeitpunkt anders zusammen: Die<br />
einzelnen Messergebnisse sind nicht miteinander vergleichbar.<br />
Zweitens: Die Anwesenheitsdauer der Zielgruppen oder einzelner<br />
Teilgruppen fliesst nicht in die Bestandsmessung ein. Aussagen<br />
über das Erwerbsverhalten, die Entwicklung der Erwerbs-<br />
beteiligung oder die Nachhaltigkeit der Arbeitsmarktintegration<br />
sind nicht möglich. Drittens: Die Erhebungen auf Bundesebene<br />
können bei den anerkannten Flüchtlingen nur in den ersten fünf und<br />
bei den vorläufig aufgenommenen Personen in den ersten sieben<br />
Jahren seit ihrer Einreise durchgeführt werden. Die Beobachtungsdauer<br />
ist also beschränkt und – angesichts der Komplexität des<br />
Integrationsgeschehens und der individuell unterschiedlichen zeitlichen<br />
Verläufe – sehr kurz.<br />
Um diesen langfristigen Blickwinkel besser zu erschliessen,<br />
wurden im Rahmen der Studie «Erwerbsbeteiligung von anerkannten<br />
Flüchtlingen und vorläufig Aufgenommenen auf dem<br />
Schweizer Arbeitsmarkt» Daten der AHV und des zentralen Migrationsinformationssystems<br />
(ZEMIS) zusammengeführt. Dies ermöglicht<br />
eine rückblickende Längsschnittbetrachtung über zehn<br />
bis 13 Jahre bei rund 2650 Personen. In der Untersuchung, zu<br />
der auch fünfzig Fachleute aus verschiedenen Akteursgruppen<br />
und der Arbeitgeberschaft zu den Erfolgs- und Risikofaktoren befragt<br />
wurden, werden drei Personengruppen unterschieden: FL,<br />
VA und Personen mit einer sogenannten Härtefall-Regelung.<br />
Erkenntnisse aus der Längsschnittbetrachtung<br />
Die Längsschnittbetrachtung zeigt, dass die Arbeitsmarktintegration<br />
aller Zielgruppen nach zehn Jahren noch nicht abgeschlossen<br />
ist und dass sich die Erwerbsbeteiligung über die Beobachtungsperiode<br />
hinaus weiterentwickelt. Die Arbeitsmarktintegration ist<br />
somit ein sehr langfristiges Geschäft, wobei der Verlauf und die<br />
«Performance» durch die Geschehnisse in den ersten drei Jahren<br />
seit der Einreise massgeblich mitbestimmt werden.<br />
60%<br />
40%<br />
20%<br />
0% 0%<br />
0 2 4 6 8 10<br />
Anzahl Jahre seit Einreise<br />
Die Grafik zeigt anhand der Erwerbstätigenquoten<br />
zehn Jahre nach der Einreise den<br />
dominierenden Zusammenhang zwischen<br />
ausländerrechtlichem Status und Erwerbsbeteiligung:<br />
Vorläufig Aufgenommene<br />
(rote Kurve) 25%, anerkannte Flüchtlinge<br />
(blau) 48%, Personen mit sogenannter<br />
Härtefall-Regelung (grün) 61%. Die<br />
Arbeitsmarktintegration der vorläufig<br />
aufgenommenen Personen (F-Ausweis)<br />
ist wesentlich schlechter als jene der<br />
anerkannten Flüchtlinge und der Personen<br />
mit sogenannter Härtefall-Regelung (beide<br />
B-Ausweis).<br />
18 ZeSo 2/15 SCHWERPUNKT<br />
((Legende))<br />
Die Grafik zeigt den dominierenden Zusammenhang zwischen ausländerrechtlichem Status und
flüchtlinge und sozialhilfe<br />
Nach zehn Jahren Aufenthalt in der Schweiz weisen die vorläufig<br />
aufgenommenen Personen im Vergleich mit den anerkannten<br />
Flüchtlingen – und konträr zu den einleitend genannten Ergebnissen<br />
der Bestandsmessung! – eine markant tiefere Erwerbsbeteiligung<br />
auf. Diese generelle Feststellung gilt sowohl hinsichtlich des<br />
Vergleichs einzelner Merkmale wie Geschlecht, Alter, Herkunftsland,<br />
Kanton usw. als auch unter Berücksichtigung konjunktureller<br />
Einflüsse. Diese statistisch klar belegbaren Fakten unterstreichen<br />
den alle übrigen Einflüsse dominierenden Zusammenhang<br />
zwischen ausländerrechtlichem Status und Erwerbsbeteiligung:<br />
Vorläufig aufgenommene Personen (F-Ausweis) sind in Bezug auf<br />
die Arbeitsintegration schlechter gestellt und wesentlich weniger<br />
erfolgreich als anerkannte Flüchtlinge (B-Ausweis).<br />
Unstabile Erwerbsbeteiligung und prekäre Arbeitsverhältnisse<br />
Die Untersuchung zeigt im Weiteren, dass<br />
• nur 26 Prozent aller Personen im Verlauf der Beobachtungsperiode<br />
keinen Arbeitseinsatz aufweisen respektive kein AHVpflichtiges<br />
Einkommen erzielen.<br />
• lediglich 16 Prozent aller Personen, die den Einstieg in den<br />
Arbeitsmarkt geschafft haben, ihre Stelle behalten konnten.<br />
Alle übrigen Personen haben mindestens einen und maximal<br />
zwölf Wechsel zwischen Erwerbstätigkeit und Erwerbslosigkeit<br />
durchlaufen, wobei der Vergleich zwischen FL und VA auch<br />
diesbezüglich durchgehend schlechtere Werte für die VA ergibt.<br />
• sich bei den erzielten Monatseinkommen grosse Unterschiede<br />
zwischen den FL und den VA zeigen, sowohl hinsichtlich der<br />
Höhe als auch der Entwicklung: Die Einkommen variieren<br />
bei den FL zwischen 1600 und 3100 Franken und bei den<br />
VA zwischen 1000 und 2400 Franken. Die Medianlöhne der<br />
anerkannten Flüchtlinge nehmen – wenn auch mit grossen<br />
Schwankungen – mit zunehmender Aufenthaltsdauer in der<br />
Schweiz tendenziell zu. Bei den vorläufig aufgenommenen<br />
Personen hingegen nehmen die Löhne ab dem zweiten Aufenthaltsjahr<br />
– ebenfalls mit Schwankungen – kontinuierlich ab.<br />
Die Arbeitsmarktintegration der Zielgruppen ist unstabil und<br />
prekär. Die völlig unbefriedigende Erwerbsbeteiligung der vorläufig<br />
aufgenommenen Personen ist kongruent mit der durch die<br />
Ablehnung des Asylgesuches zum Ausdruck gebrachten Intention,<br />
dass diese Personen das Land verlassen sollen. Dies äussert sich im<br />
Begriff der «vorläufigen Aufnahme», der in weiten Teilen der Arbeitgeberschaft<br />
nach wie vor nicht adäquat verstanden und von den<br />
befragten Fachleuten einhellig als Benachteiligung auf dem (kompetitiven)<br />
Arbeitsmarkt beurteilt wird – und der in der laufenden<br />
Revision des Asylgesetzes unverzeihlicherweise trotzdem beibehalten<br />
werden soll! Die erwähnte Intention zeigt sich zudem und insbesondere<br />
in verschiedenen Restriktionen beim Zugang zum und der<br />
Mobilität innerhalb des Arbeitsmarkts und bei den hohen Hürden<br />
für die Erlangung einer Härtefall-Regelung (B-Ausweis). Es ist deshalb<br />
zu hoffen, dass die Beseitigung der Zugangshürden und der<br />
Einschränkung der geografischen Mobilität die Vernehmlassung<br />
zur laufenden Anpassung der Gesetzesvorlage zur Änderung des<br />
Ausländergesetzes (Integration) übersteht und die Bestimmungen<br />
wie geplant durch ein einfaches Meldeverfahren ersetzt werden.<br />
Schlussfolgerungen<br />
Die zu steigernde Erwerbsbeteiligung hängt allerdings nicht nur<br />
vom Abbau von Zugangshürden ab. Ein raschestmöglicher Stellenantritt<br />
ohne ausreichende Qualifizierung der Betroffenen erweist<br />
sich nicht als Garant für eine nachhaltige und existenzsichernde<br />
Arbeitsmarktintegration. Da die Zielgruppen in den meisten Kantonen<br />
klein, aber extrem heterogen und die Mittel für die das Regelsystem<br />
ergänzenden spezifischen Massnahmen knapp sind,<br />
müsste sich hier insbesondere das Berufsbildungssystem noch viel<br />
stärker engagieren. Es ist angesichts der grossen Anzahl von jungen,<br />
arbeitsfähigen Personen nicht verständlich, weshalb nicht<br />
schon längst eine national initiierte und koordinierte, überregionale<br />
Offensive im Bereich der beruflichen Grundbildung sowie der<br />
Nachholbildung für Erwachsene bis 45 Jahre am Laufen ist. Wenn<br />
ein Sek-II-Abschluss heute richtigerweise als Mindestanforderung<br />
für eine erfolgreiche Arbeitsmarktintegration erkannt und für 95<br />
Prozent der Bevölkerung angestrebt wird, dann müsste – auch im<br />
Zusammenhang mit dem heiss diskutierten und durch die Folgen<br />
der Masseneinwanderungsinitiative sich noch akzentuierenden<br />
Fachkräftemangel – das inländische Potenzial bestmöglich gefördert<br />
und ausgeschöpft werden. Anerkannte Flüchtlinge und die<br />
meisten «vorläufig» aufgenommenen Personen gehören zu diesem<br />
noch weitgehend brachliegenden Potenzial.<br />
Die Politik hat die Wahl, für die (Arbeitsmarkt-)Integration<br />
der zugewanderten und auf Dauer in der Schweiz verbleibenden<br />
Menschen viel – vermutlich sehr viel – Geld in die Hand zu nehmen<br />
und damit mittelfristig einen (möglicherweise historischen)<br />
Beitrag zur Bewältigung sich zuspitzender gesellschaftlicher und<br />
volkswirtschaftlicher Probleme zu leisten oder à la longue noch<br />
höhere Beiträge in Form von Sozialhilfekosten zu berappen und<br />
dadurch auch die polemischen und in den meisten Fällen ungerechtfertigten<br />
Diskussionen über den Missbrauch von Transferleistungen<br />
weiterhin – ob gewollt oder nicht – zuzulassen. •<br />
Claudio Spadarotto, Partner KEK-CDC Consultants<br />
Mitautor der Studie «Erwerbsbeteiligung von anerkannten<br />
Flüchtlingen und vorläufig Aufgenommenen<br />
auf dem Schweizer Arbeitsmarkt» (Hinweis S. 17)<br />
SCHWERPUNKT 2/15 ZeSo<br />
Ein Tor zum Arbeitsmarkt<br />
Leyla Retta, eine junge Flüchtlingsfrau aus Äthiopien, absolviert einen Lehrgang zur Pflegehelferin.<br />
Für sie und die anderen Teilnehmer, die sich gerne um Menschen kümmern und über die nötigen<br />
Fähigkeiten verfügen, erschliesst dieser Kurs den Zugang zur Arbeitswelt.<br />
Wer an einem Samstagmorgen die Kursräume im ersten Stock an<br />
der Rue de la Gare in Martigny betritt, wähnt sich in einem Spitalzimmer.<br />
In zwei Betten liegen Patienten, darum herum stehen<br />
Pflegerinnen und Pfleger. Unter den wachsamen Blicken ihrer<br />
Kolleginnen und der Kursleiterin führen sie nacheinander Arbeitsschritte<br />
am Krankenbett aus. Wir befinden uns im Ausbildungszentrum<br />
des Roten Kreuzes Wallis, im praktischen Unterricht des<br />
Lehrgangs «Pflegehelfer/in SRK». Rund zwanzig Kursteilnehmerinnen<br />
und ein Kursteilnehmer lernen hier zurzeit die Grundlagen<br />
der Pflegearbeit. Neben dem theoretischen Teil üben sie im<br />
praktischen Unterricht die Handgriffe ein, die sie bis zur Abschlussprüfung<br />
beherrschen müssen. Die Prüfung steht am Ende<br />
einer fast siebenmonatigen Ausbildungszeit, die mit einem fünftägigen<br />
Vorpraktikum beginnt. Die eigentlichen Kurse dauern<br />
sechs Monate und finden an ein bis zwei Tagen pro Woche statt.<br />
Darauf folgt noch einmal ein zweiwöchiges Praktikum. Wer den<br />
Lehrgang erfolgreich abschliesst, erhält ein Zertifikat des Schwei-<br />
zerischen Roten Kreuzes (SRK) und damit die Chance auf eine<br />
Tätigkeit im Pflegebereich. Eine der Kursteilnehmerinnen ist<br />
Leyla Retta, eine junge Frau aus Äthiopien, die vor drei Jahren in<br />
die Schweiz kam. Sie erhielt im September letzten Jahres die Aufenthaltsbewilligung<br />
B und lebt heute in Monthey. Beim Roten<br />
Kreuz Wallis, das sie betreute, riet man ihr, mit dem Lehrgang<br />
ihre Chancen auf dem Arbeitsmarkt zu verbessern.<br />
Keine Freiheit, keine Rechte<br />
Retta hat mit ihren 28 Jahren bereits einen langen Weg hinter<br />
sich. Dieser führte sie zunächst ins Exil im Sudan. «Um zu überleben,<br />
arbeitete ich von früh bis spät als Hausangestellte. Ich wollte<br />
studieren, einen Beruf erlernen, aber das war nicht möglich. Wir<br />
hatten überhaupt keine Freiheit, keine Rechte.» Am Sonntag,<br />
ihrem einzigen freien Tag, lernte Retta einige der vielen eritreischen<br />
Einwanderer im Sudan kennen. Sie erzählten ihr von der<br />
Schweiz, einige ihrer Freunde seien bereits dort.<br />
Leyla Retta und Kursteilnehmer: Mit Motivation und Lernbereitschaft zum Zertifikat «Pflegehelfer/in SRK». <br />
Bild: Céline Ribordy<br />
20 ZeSo 2/15 SCHWERPUNKT
flüchtlinge und sozialhilfe<br />
Retta beschloss, ihr Glück zu versuchen, und reiste mit dem<br />
Flugzeug nach Frankreich und auf dem Landweg weiter in die<br />
Schweiz. Sie reichte ein Asylgesuch ein und landete im Empfangszentrum<br />
Vallorbe, wo ihr Gesuch ein erstes Mal geprüft wurde.<br />
Sie verbrachte dort eine schwierige Woche: «Es war Winter,<br />
ich sah das erste Mal Schnee und ich habe schrecklich gefroren.<br />
Alles war so fremd. Das Essen, die Sprache, die Gewohnheiten»,<br />
erinnert sie sich. Der Entscheid fiel relativ schnell: Retta durfte<br />
in der Schweiz bleiben, während ihr Gesuch eingehender geprüft<br />
wurde. Die Behörden schickten sie ins Wallis, in ein Heim in<br />
Saint-Gingolph, wo sie drei Monate lebte. Später arbeitete sie als<br />
Babysitterin, um ein bisschen Geld zu verdienen, und zog nach<br />
Monthey in eine eigene Unterkunft.<br />
Leyla Retta, die Englisch spricht, wollte nun Französisch lernen.<br />
Sie schloss sich einer Gruppe Eritreer an, die, wie sie merkte,<br />
der französischen Sprache mächtig waren. Einer von ihnen, ein<br />
Lagerist aus Vouvry, wurde später ihr Freund. «Ich wurde sofort<br />
schwanger. Mein Sohn ist heute zwei Jahre alt. Ich lebe mit ihm in<br />
Monthey in einer grösseren Wohnung. Sein Vater kümmert sich<br />
um ihn, etwa wenn ich wie heute im Kurs bin. Er gibt mir auch<br />
Geld für unser Kind, aber er will nicht mit uns zusammenleben»,<br />
erzählt Retta.<br />
Der Wunsch, nützlich zu sein<br />
Die junge Frau wirkt zurückhaltend und sanft, ist aber auch äusserst<br />
entschlossen und willensstark. Sie will für sich und ihr Kind<br />
etwas erreichen und finanziell unabhängig werden. Sie will lernen,<br />
um voranzukommen. «Das ist klar ihr wichtigstes Ziel. Sie war mit<br />
ihrer ersten Wohnung unzufrieden, weil dort kein Platz für einen<br />
Schreibtisch war. Sie wollte unbedingt einen Tisch zum Lernen»,<br />
erinnert sich Rettas Betreuerin Delphine Délèze, Sozialarbeiterin<br />
beim Roten Kreuz Wallis. Sechs Monate lang besuchte die junge<br />
Frau einen Französischkurs – eine unabdingbare Voraussetzung<br />
für eine Ausbildung oder eine Arbeitsstelle. Damit sie zum Lernen<br />
genug Zeit hatte, liess sie ihren Sohn in einer Krippe betreuen. Die<br />
Kosten dafür wurden vom Roten Kreuz und von der Sozialhilfe der<br />
Gemeinde Monthey getragen. Da Retta sich für Gesundheitsberufe<br />
interessierte, riet man ihr, den SRK-Lehrgang zu absolvieren.<br />
«Mir gefällt es sehr gut. Ich mache mich gerne nützlich und helfe<br />
älteren Menschen. Im Praktikum war ich zuerst ein bisschen schockiert.<br />
Die Situation der Bewohner berührte mich. Am Abend<br />
weinte ich oft», erzählt Retta. «In meinem Land kümmert man sich<br />
zu Hause um die alten Menschen, nicht in einem Heim. Sie würden<br />
sich schämen und nicht wollen, dass ein Fremder sie so gebrechlich<br />
sieht und ihnen etwa beim Waschen hilft.» Die Ausbildung<br />
und die Tätigkeit gefallen ihr. Sie freut sich besonders, dass<br />
sie dadurch Leute kennenlernen und sich ein soziales Umfeld aufbauen<br />
kann. «Ich erweitere auch meinen französischen Wortschatz»,<br />
sagt sie lächelnd.<br />
Nach unserem Gespräch über ihren Lebensweg und ihre Zukunftspläne<br />
geht Retta wieder zu ihrer Gruppe zurück. Eine Teilnehmerin<br />
übt gerade den Transfer vom Rollstuhl zum Bett. Dabei<br />
muss sie die richtigen Handgriffe anwenden und darf nichts<br />
vergessen. Wenn die von einer Teilnehmerin gespielte «Patientin»<br />
sich unwohl fühlt, muss die angehende Pflegehelferin korrekt und<br />
in der richtigen Reihenfolge reagieren. Anschliessend bewertet die<br />
Gruppe die Handlung im Plenum: «Du hast die Bremsen des Rollstuhls<br />
nicht arretiert», bemerkt eine Kollegin. «Man darf den Eisbeutel<br />
nicht direkt auf die Haut legen», sagt eine andere. «Du hast<br />
sie nicht gefragt, wie stark ihr Schmerz auf einer Skala von null<br />
bis zehn ist», kritisiert eine Dritte. Die Kursleiterin stimmt zu und<br />
wiederholt noch einmal alle Schritte der Pflegehandlung. Die Kursteilnehmerin<br />
muss bis zur Prüfung noch viel üben: Sie muss wie<br />
alle anderen die richtigen Handgriffe beherrschen und Schmerzen<br />
lindern können, um den Komfort der Patienten zu gewährleisten.<br />
Sie muss ruhig kommunizieren, sich den Patienten anpassen, auf<br />
sie zugehen und ihnen zuhören können. Die gemeinsame Auswertung<br />
im Kurs hilft allen, sich in ihrer zukünftigen Tätigkeit immer<br />
wieder selber zu hinterfragen.<br />
Motivation, der Schlüssel zum Erfolg<br />
Wie alle Kursteilnehmerinnen und Kursteilnehmer hofft auch<br />
Leyla Retta, dass diese Ausbildung ihr das Tor zur Arbeitswelt<br />
öffnen wird. Diese Hoffnung ist berechtigt, meint Samuel Jacquemoud,<br />
der beim Roten Kreuz Wallis die berufliche Integration von<br />
Flüchtlingen begleitet: «Die meisten Absolventen finden eine<br />
Stelle in einem Spital, Pflegeheim oder in einem Privathaushalt,<br />
wo sie pflegende Angehörige entlasten.»<br />
Entscheiden sich viele Flüchtlinge für diesen Beruf? «Eher<br />
nicht. Ich berate sie zu allen möglichen Tätigkeitsfeldern. Wenn<br />
sie in ihrem Heimatland aber beispielsweise Arzt waren, ist der<br />
Weg in ihren früheren Beruf lang und schwierig, da sie das Studium<br />
wiederholen müssen. Einige sind sich bei ihrer Ankunft<br />
nicht bewusst, wie weit das System und die Technik hier von dem<br />
entfernt sind, was sie gelernt haben. Bei einem Praktikum wird<br />
ihnen das aber meist schnell klar. Wenn es dort gut läuft, können<br />
sie ihre Kenntnisse mit einer geeigneten Massnahme auf den nötigen<br />
Stand bringen. Manchmal ist das aber auch nicht möglich»,<br />
erklärt Jacquemoud. «Der Schlüssel zu einer erfolgreichen Integration<br />
ist die Motivation. Sie ist entscheidend. Für alles andere findet<br />
sich immer eine Lösung.» Nicht selten können die Flüchtlinge<br />
nach einiger Zeit, wenn sie die Sprache gut beherrschen, über ein<br />
Brückenangebot in eine berufliche Grundbildung einsteigen und<br />
ein «EFZ» erwerben. Das weiss auch Leyla Retta. Die lernbegierige<br />
Frau hat längst entschieden, dass sie diesen Weg eines Tages<br />
gehen möchte. <br />
•<br />
SCHWERPUNKT 2/15 ZeSo<br />
Marie-Christine Pasche<br />
Zwischen Hoffnung und<br />
Desillusion<br />
Der eritreische Flüchtling Kidane Yohannes ist mit einem universitären Abschluss in die Schweiz<br />
eingereist. Trotz grossem Engagement findet er hier keinen Job. Um seine Chancen zu verbessern,<br />
arbeitet er jetzt auf einem Bio-Bauernbetrieb mit.<br />
Kidane Yohannes schiebt eine Ladung Holzstücke in den Ofen<br />
und wischt sich den Staub von der Brust. Morgen ist Freitag. Für<br />
den Bauernbetrieb von Familie Gamp-Vogel in Kölliken ein wichtiger<br />
Tag: Der Hofladen ist dann geöffnet und es wird eine Menge<br />
frisch gebackenes Holzofenbrot über den Ladentisch gehen. Der<br />
dunkelhäutige Mann ist mit den letzten Vorbereitungen beschäftigt.<br />
Sein Chef, Betriebsleiter Christian Gamp, sagt: «Die Direktvermarktung<br />
vom Hof erfordert viel Handarbeit.» Dies sei mit ein<br />
Grund, weshalb man Kidane Yohannes angestellt habe. Der<br />
41-jährige Eritreer arbeitet seit März <strong>2015</strong> jeweils zwei Tage pro<br />
Woche auf dem Biobetrieb mit. Dorthin vermittelt hat ihn die<br />
Berufs- und Laufbahnberaterin Brigitte Basler von den Beratungsdiensten<br />
für Ausbildung und Beruf Aargau. Das Ziel ist klar:<br />
Yohannes soll die Schweizer Landwirtschaft kennenlernen. Das<br />
Metier ist ihm bereits vertraut. In seinem Heimatland hatte er<br />
Agronomie studiert und anschliessend acht Jahre lang im Landwirtschaftsministerium<br />
gearbeitet. Bis zu jenem Tag, als sein<br />
Leben eine Wende nahm.<br />
Der Gefahr entflohen<br />
Das war 2009. «Unsere Konfession wurde 2002 verboten und wir<br />
mussten mehr und mehr im Untergrund leben», sagt der gläubige<br />
Christ, der in Eritrea Mitglied einer Freikirche war. Für seine Frau<br />
und die drei kleinen Kinder eine ausweglose und gefährliche Situation.<br />
Yohannes entschloss sich zu fliehen. «Es gab für mich keine<br />
Perspektiven mehr, mir drohte das Gefängnis.» Jetzt sitzt er am<br />
Küchentisch von Familie Gamp und blickt zum Fenster hinaus.<br />
Ein Film scheint sich in seinem Kopf abzuspielen. «Von Eritrea bin<br />
ich in den Sudan geflüchtet und von dort nach Libyen.» Zwei<br />
Jahre lange habe er dort auf die Überfahrt nach Italien gewartet.<br />
Yohannes schlug sich durch, harrte aus, verdiente etwas Geld. Und<br />
er rang mit der Hoffnung, dass ein besseres Leben in Europa möglich<br />
sein würde. Schliesslich schaffte er es auf ein Schlepperboot<br />
und gelangte nach Sizilien. «Es war ein stabiles Schiff», bemerkt er<br />
– und schweigt.<br />
Danach ging alles schnell. Von Sizilien aus erreichte er die<br />
Schweiz, wo er dem Kanton Aargau zugeteilt wurde. Innerhalb<br />
von vier Monaten bekam er den Flüchtlingsstatus und damit verbunden<br />
eine Arbeitsbewilligung. Von diesem Moment an hat er<br />
nur ein Ziel: «Hier arbeiten und für meine Familie sorgen», sagt<br />
Yohannes. Seine Frau und die drei Mädchen ziehen 2012 zu ihm<br />
in die Schweiz. Der Sozialdienst der Gemeinde Birr, wo die Familie<br />
inzwischen wohnt, sorgt für die Existenzsicherung und finanziert<br />
dem Eritreer Deutschkurse. Er selbst meldet sich umgehend beim<br />
RAV an, um seinem Ziel näher zu kommen. Die involvierten Fachstellen<br />
werden auf den engagierten Flüchtling mit guten beruf-<br />
«Ich habe gehofft, dass meine Chancen nun besser sind.» Kidane Yohannes<br />
ist motiviert und spricht fliessend Deutsch.<br />
Bild: Daniel Desborough<br />
22 ZeSo 2/15 SCHWERPUNKT
flüchtlinge und sozialhilfe<br />
lichen Qualifikationen aufmerksam. «Er hat ein riesiges Potenzial»,<br />
sagt Gabriela Deiss vom zuständigen RAV. Und die Leiterin der Sozialen<br />
Dienste Birr, Dora Deppeler, erklärt: «Wir haben von Anfang<br />
an eine Stelle im ersten Arbeitsmarkt anvisiert.» Yohannes selbst<br />
sagt: «Ich bin fit, zuverlässig und motiviert. Ich habe erwartet, rasch<br />
eine Stelle zu finden.» Doch es kommt anders: Der Familienvater,<br />
der fliessend Englisch und inzwischen auch fliessend Deutsch<br />
spricht, schreibt Bewerbung um Bewerbung – ohne Erfolg.<br />
Viel Lob und wenig Chancen<br />
Ende 2013 startet der Kanton Aargau ein Pilotprojekt zur Integration<br />
von Flüchtlingen mit erweiterten Qualifikationen. Man vermittelt<br />
den Eritreer in dieses Programm, wo ihn Projektleiterin<br />
Basler begleitet. Der Weg in die Erwerbsarbeit führt über ein Praktikum,<br />
das Yohannes an der ETH absolvieren kann. Sechs Monate<br />
lang sammelt er Erfahrungen in der Forschung und stellt dabei seine<br />
Fähigkeiten unter Beweis. Zum Schluss erhält er viel Lob und<br />
ein gutes Zeugnis. «Ich habe gehofft, dass meine Chancen nun<br />
besser sind», sagt Kidane Yohannes. Doch die Ernüchterung folgt.<br />
Wiederum erhält er Absage um Absage. Brigitte Basler fragt nach<br />
einem abschlägigen Entscheid jeweils beim Arbeitgeber nach.<br />
«Ihm fehlt die Erfahrung in der Schweizer Landwirtschaft», erfährt<br />
sie dabei. Sie zieht alle Register und nutzt auch private Kontakte,<br />
um ihrem Klienten zu einer Stelle zu verhelfen. So kommt Yohannes<br />
auf den Hof von Therese und Christian Gamp, die den Eritreer<br />
befristet anstellen, um ihm eine Chance zu geben. Kidane Yohannes<br />
ist inzwischen nach draussen gegangen und widmet sich<br />
den Salatsetzlingen. Christian Gamp sagt: «Er ist überdurchschnittlich<br />
gut mit schweizerischen Verhältnissen vertraut.» In der<br />
Landwirtschaft gebe es aber vermutlich genügend junge Fachangestellte,<br />
die hier aufgewachsen und mit der Branche vertraut sind.<br />
Brigitte Basler ist sich dessen bewusst. Für eine erfolgreiche Integration<br />
seien drei Faktoren entscheidend: Die Offenheit der<br />
Arbeitgeber, die Überzeugungskraft von Kidane Yohannes – «und<br />
dann braucht es immer auch 30 Prozent Glück», ist die Projektleiterin<br />
überzeugt.<br />
•<br />
Monika Bachmann<br />
Das Projekt «FUM»<br />
Unter den anerkannten Flüchtlingen und vorläufig Aufgenommenen<br />
befinden sich auch beruflich gut qualifizierte Personen. Um ihre<br />
Kompetenzen zu validieren und ihre Chancen auf Arbeitsintegration<br />
zu verbessern, hat das Amt für Migration und Integration Aargau im<br />
Rahmen eines Pilotprojekts mit den Beratungsdiensten für Ausbildung<br />
und Beruf Aargau einen Leistungsvertrag über die Fachberatung und<br />
Umsetzungsunterstützung für Migrantinnen und Migranten mit erweiterten<br />
Qualifikationen (FUM) abgeschlossen. Ziel ist die qualifikationsadäquate<br />
Arbeitsmarktintegration der Teilnehmenden.<br />
Das Projekt setzt dafür auf die Regelstrukturen für die berufliche Integration:<br />
Die fachliche Begleitung (Information, Beratung, Umsetzungsunterstützung)<br />
erfolgt durch spezialisierte Berufs-, Studien- und<br />
Laufbahn-Beratungspersonen. Für die konkrete Stellensuche werden<br />
bei Bedarf freiwillige Mentorinnen und Mentoren beigezogen.<br />
Interessierte Personen werden durch Anlaufstellen, RAV, Sozialdienste<br />
usw. bei den Beratungsdiensten zu einer Vorabklärung angemeldet.<br />
Voraussetzung für die Teilnahme am Projekt sind ein Tertiärabschluss,<br />
qualifizierte Berufserfahrung im Heimatland sowie Deutschkenntnisse<br />
auf Niveau B1. Zudem müssen die Interessierten eine grosse<br />
Portion Motivation, Durchhaltevermögen und Eigenständigkeit mitbringen.<br />
Aufgrund der vorhandenen Unterlagen (Lebenslauf, Diplome,<br />
Sprachkurse in der Schweiz, Arbeitsbestätigungen) und persönlicher<br />
Gespräche wird die Eignung für das Programm abgeklärt. Je nach<br />
Berufs- und Ausbildungsbiografie sowie der Einschätzung der Chancen<br />
im Schweizer Arbeitsmarkt werden die Teilnehmenden in zwei<br />
Gruppen eingeteilt: Bei der Gruppe A besteht das Ziel im Erwerb eines<br />
eidgenössischen Fähigkeitszeugnisses EFZ, entweder mittels Lehrvertrag<br />
oder einer Anstellung und berufsbegleitender Nachholbildung.<br />
Die Gruppe B verfolgt als Ziel, einen Anstellungsvertrag als qualifizierte<br />
Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter auf der Ebene höhere Berufsbildung/<br />
Hochschule zu erhalten – ergänzt durch passende und notwendige<br />
Bildungsmodule. Mit allen Teilnehmenden werden konkrete Ziele und<br />
ein Aktionsplan vereinbart. Nach den Abklärungen entscheiden die<br />
Interessierten selber, ob sie mitmachen wollen. Sie werden längstens<br />
über zwei Jahre hinweg begleitet.<br />
Erfahrungen<br />
Die Nachfrage nach den zwanzig Plätzen im Pilotpojekt war gross, sodass<br />
15 zusätzliche Plätze gesprochen wurden. Doch aller Anfang ist<br />
schwer. Die grossen Hoffnungen der Teilnehmenden und ihre Anfangsmotivation<br />
waren teilweise schnell verebbt und es braucht vonseiten<br />
der Fachleute viel Frustrationstoleranz, um die vielen sich in den Weg<br />
stellenden Klippen gemeinsam mit den Teilnehmenden zu umschiffen.<br />
Denn die Wirtschaft hat trotz Fachkräftemangel nicht auf diese Menschen<br />
mit teilweise schwieriger Zuwanderungsgeschichte gewartet. Die<br />
vielen administrativen Hürden, die verschlossenen Türen im Arbeitsmarkt<br />
und die persönlichen Lebenssituationen der Teilnehmenden<br />
bedingen ein intensives Coaching, um gute Resultate zu erzielen. «Erst<br />
wenn der Boden gepflügt ist, kann ausgesätes Saatgut auch wirklich<br />
gedeihen.» Wenn ein erster Schritt in die Arbeitswelt, beispielsweise<br />
mit einem Praktikum oder einer Anstellung, geschafft ist, dann funktioniert<br />
die Integration dank guten Leistungen und positiven Erfahrungen<br />
auf beiden Seiten, vor allem auch aufseiten der Arbeitgeber.<br />
Brigitte Basler<br />
Projektleiterin, Beratungsdienste für Ausbildung und Beruf Aargau<br />
SCHWERPUNKT 2/15 ZeSo<br />
Die Herausforderungen<br />
aus der Sicht der Sozialhilfe<br />
Anerkannte Flüchtlinge, vorläufig aufgenommene Flüchtlinge und vorläufig Aufgenommene müssen<br />
schneller und besser integriert werden. Dazu müssen sie gleich wie alle anderen Sozialhilfebeziehenden<br />
behandelt werden, und die kantonalen Integrationsdelegierten müssen besser mit den<br />
Sozialhilfeorganen vernetzt werden.<br />
Die Zahl der anerkannten Flüchtlinge, vorläufig aufgenommenen<br />
Flüchtlinge und der vorläufig Aufgenommenen hat in letzter Zeit<br />
stark zugenommen. Viele verfügen über keine bis sehr geringe<br />
sprachliche und berufliche Fähigkeiten und Möglichkeiten. Die<br />
Nichterwerbsquote ist entsprechend hoch. Gleichzeitig sind Sozialhilfeorgane<br />
zunehmend stärker gefordert, die rasche berufliche<br />
und soziale Integration dieser Personen sicherzustellen. Die hohen<br />
Aufwendungen für die langsame, aufwendige und oft nicht erfolgreiche<br />
Integration belasten die Sozialhilfeausgaben der Kantone<br />
und Gemeinden. Die einschlägigen kantonalen Regelungen sind<br />
allerdings sehr unterschiedlich. In einigen Kantonen werden die<br />
vorläufig Aufgenommenen – das sind Personen, die aus der<br />
Schweiz weggewiesen wurden, bei denen sich der Vollzug der<br />
Wegweisung aber als unzulässig, unzumutbar oder unmöglich erwiesen<br />
hat – nach SKOS-Richtlinien unterstützt, in andern nach<br />
eigenen Ansätzen. Sie werden teilweise durch die Sozialhilfe, teilweise<br />
in Strukturen ausserhalb der Sozialhilfe, beispielsweise<br />
durch Hilfswerke, betreut. Vorläufig aufgenommene Flüchtlinge<br />
und anerkannte Flüchtlinge sind in der Sozialhilfe von Bundesrechts<br />
wegen den übrigen Sozialhilfebeziehenden gleichgestellt.<br />
Aber auch sie werden in verschiedenen Kantonen durch Stellen<br />
ausserhalb der Sozialhilfe unterstützt.<br />
Die zunehmende Bedeutung der anerkannten Flüchtlinge,<br />
vorläufig aufgenommenen Flüchtlinge (VaF) und der vorläufig<br />
Aufgenommenen (VA) in der Sozialhilfe führt bei den Sozialhilfeorganen<br />
zu Koordinationsproblemen mit dem Bund und den<br />
kantonalen Integrationsdelegierten. Der Bund zahlt für jeden<br />
anerkannten Flüchtling, VaF und VA für die Dauer von fünf<br />
beziehungsweise sieben Jahren eine Globalpauschale sowie eine<br />
einmalige Integrationspauschale in der Höhe von 6000 Franken.<br />
Während die Globalpauschale den für die Sozialhilfe zuständigen<br />
kantonalen Stellen zufliesst, wird die Integrationspauschale den<br />
kantonalen Integrationsdelegierten überwiesen, die vom Bund<br />
verpflichtet wurden, ein kantonales Integrationsprogramm zu<br />
erarbeiten. Je nach Kanton werden im Rahmen der kantonalen<br />
Integrationsprogramme Kurse ausschliesslich für anerkannte<br />
Flüchtlinge, VaF und VA angeboten.<br />
Gleiche Problematik, unterschiedliche Zielsetzung<br />
Die kantonalen Integrationsdelegierten haben andere Zielsetzungen<br />
im Bereich der Integration als die Sozialhilfe. Während das<br />
Ziel in der Sozialhilfe grundsätzlich erreicht ist, wenn die Betroffenen<br />
ihren Lebensunterhalt ohne staatliche Hilfe finanzieren können,<br />
setzen Integrationsdelegierte die Latte höher. Für sie ist die<br />
soziale Integration und die aktive Beteiligung am sozialen Leben<br />
in der Gesellschaft ein zentrales Anliegen. Dabei wird ausgeblendet,<br />
dass Personen mit Migrationshintergrund in der Sozialhilfe<br />
überproportional vertreten sind. Durch die Finanzierung von<br />
exklusiven Programmen für anerkannte Flüchtlinge, VaF und VA<br />
wird eine aus Sicht der Sozialhilfe privilegierte Klientschaft<br />
geschaffen. Anerkannte Flüchtlinge, VaF und VA können Angebote<br />
nutzen, die ausschliesslich für sie bestimmt sind. Personen mit<br />
einem andern Status aber gleichgelagerten Problemstellungen haben<br />
häufig keinen Zugang zu diesen Programmen. Damit werden<br />
im Bereich der Angebote der beruflichen und sozialen Integration<br />
Parallelstrukturen ausserhalb der Regelstrukturen der Sozialhilfe<br />
geschaffen. Die ungenügende Vernetzung der Integrationsdelegierten<br />
mit der Sozialhilfe lässt sich auch mit dem Hinweis illustrieren,<br />
dass die Integrationsdelegierten auf Bundesebene in die Konferenz<br />
der Kantonsregierungen (KdK) und nicht in die Konferenz der<br />
kantonalen Sozialdirektorinnen und Sozialdirektoren (SODK)<br />
integriert sind.<br />
Wenn nun Integrationsdelegierte und Sozialhilfe nicht genügend<br />
miteinander vernetzt sind, besteht die Gefahr, dass die Mittel<br />
nicht wirksam eingesetzt werden und die Zielsetzungen verpasst<br />
werden. Da die Pauschale des Bundes bei Weitem nicht ausreicht,<br />
die Integration der Flüchtlinge, vorläufig aufgenommenen Flüchtlinge<br />
und vorläufig Aufgenommenen sicherzustellen, ist letztlich<br />
dann doch die Sozialhilfe gefordert, ihre Integration sicherzustellen.<br />
Die Vorgaben des Bundes führen im Weiteren auch dazu, dass<br />
verschiedene Sozialhilfeorgane den Aufgabenbereich «Flüchtlinge»<br />
an Dritte ausgelagert haben. Dies trägt dazu bei, dass<br />
vielerorts das Verständnis darüber fehlt, dass nicht nur anerkannte<br />
Flüchtlinge und vorläufig aufgenommene Flüchtlinge, sondern<br />
auch die vorläufig Aufgenommenen Teil der Sozialhilfe sind und<br />
auch für sie entsprechende Anstrengungen seitens der Behörden<br />
notwendig sind. Nur die Gleichbehandlung der vorläufig Aufgenommenen<br />
mit anderen Sozialhilfebeziehenden macht es mög-<br />
Da die Pauschale des<br />
Bundes bei Weitem nicht<br />
ausreicht, ist letztlich die<br />
Sozialhilfe gefordert, die<br />
Integration sicherzustellen.<br />
24 ZeSo 2/15 SCHWERPUNKT
flüchtlinge und sozialhilfe<br />
Die Koordination und die Durchlässigkeit der Angebote für die Integration von Flüchtlingen müssen verbessert werden.<br />
Bild: Keystone<br />
lich, dass die Integrations- und Sanktionsinstrumente der SKOS<br />
beziehungsweise der kantonalen Sozialhilfegesetzgebungen zur<br />
Anwendung kommen können.<br />
Verbesserungsvorschläge aus Sicht der Sozialhilfe<br />
Aus Sicht der Sozialhilfeorgane besteht auf verschiedenen Ebenen<br />
Verbesserungsbedarf, damit die Integrationsbemühungen ihre<br />
Wirkung entfalten können:<br />
• Die Begriffe «vorläufig Aufgenommener» und «vorläufig aufgenommener<br />
Flüchtling» erschweren die Integration erheblich.<br />
Damit wird unterstellt, diese Personen seien nur vorübergehend<br />
in der Schweiz. Die Realität ist jedoch eine andere: Der<br />
weitaus grösste Teil der vorläufig aufgenommenen Flüchtlinge<br />
und der vorläufig Aufgenommenen bleibt für immer in der<br />
Schweiz.<br />
• Die Integration von anerkannten Flüchtlingen, vorläufig aufgenommenen<br />
Flüchtlingen und vorläufig Aufgenommenen ist<br />
langwierig und sehr schwierig. Dem muss der Bund Rechnung<br />
tragen, indem er die Integrationspauschale erheblich erhöht.<br />
Gleiches gilt für den Umstand, dass nach dem Verbrauch der<br />
Integrationspauschale die Sozialhilfe die weitere Integration<br />
finanzieren muss. Diese zusätzliche Belastung der Sozialhilfe<br />
muss der Bund mit der Ausrichtung der Globalpauschale über<br />
den Zeitraum von zehn Jahren abfedern helfen.<br />
• Der Bund muss die kantonalen Integrationsdelegierten im<br />
Bereich der anerkannten Flüchtlinge, der vorläufig aufgenommenen<br />
Flüchtlinge und der vorläufig Aufgenommenen anhalten,<br />
sich als Teil der Sozialhilfe zu verstehen und nicht als Konkurrenz<br />
dazu. Es muss verhindert werden, dass für eine kleine<br />
Zahl von Sozialhilfebeziehenden gesonderte, von der Sozialhilfe<br />
unabhängige Strukturen entstehen. Die Koordination und<br />
die Durchlässigkeit der Angebote müssen gesichert sein.<br />
• Anerkannte Flüchtlinge, vorläufig aufgenommene Flüchtlinge<br />
und vorläufig Aufgenommene sind und werden zunehmend<br />
kostenwirksamer Bestandteil der Sozialhilfe. Sozialhilfeorgane<br />
sollen die Verantwortung für die vorläufig aufgenommenen<br />
Flüchtlinge und vorläufig Aufgenommenen übernehmen und<br />
sie in ihre Strukturen mit den entsprechenden personellen und<br />
strukturellen Angeboten einbinden. Dazu gehört auch, dass<br />
nicht nur für anerkannte und vorläufig aufgenommene Flüchtlinge,<br />
sondern auch für vorläufig Aufgenommene die gleichen<br />
Sozialhilfestandards gelten wie für die übrige Bevölkerung.<br />
• Die Bemühungen des Bundes, die Arbeitsbewilligungspflicht<br />
für anerkannte Flüchtlinge, für vorläufig aufgenommene<br />
Flüchtlinge und für vorläufig Aufgenommene aufzuheben,<br />
sind zu unterstützen.<br />
•<br />
Ruedi Hofstetter,<br />
Amtschef Kantonales Sozialamt Zürich<br />
Mitglied der Geschäftsleitung der SKOS<br />
Die SKOS als Dienstleisterin für die<br />
öffentliche Hand<br />
Die SKOS nimmt als Fachverband gegenüber den Mitgliedern und einer interessierten Öffentlichkeit<br />
weitreichende und vielfältige Aufgaben wahr. Sie stellt zahlreiche Dienstleistungen zur Unterstützung<br />
der Sozialhilfepraxis und zur sozialpolitischen Diskussion zur Verfügung. Eine Umfrage bei den<br />
Verbandsmitgliedern zur Qualität der Angebote bescheinigt der SKOS eine gute Kundenorientierung<br />
und eine hohe Zufriedenheit mit ihren Dienstleistungen.<br />
Die SKOS versteht sich als Dienstleisterin<br />
gegenüber den Mitgliedern und damit für<br />
die öffentliche Hand. Sie richtet ihre Dienste<br />
auf den Bedarf der Praxis und den sozialpolitischen<br />
Nutzen aus. Um zu überprüfen,<br />
ob sie das Richtige tut und dieses auch<br />
richtig macht, hat sie das Institut MIS<br />
Trend beauftragt, bei den Verbandsmitgliedern<br />
eine Umfrage über die Nutzung<br />
und die Zufriedenheit mit den SKOS-<br />
Dienstleistungen durchzuführen. An der<br />
Umfrage haben sich 60 Prozent der rund<br />
900 SKOS-Mitglieder beteiligt.<br />
Die Mitglieder stellen der SKOS ein<br />
insgesamt gutes Zeugnis aus: Auf einer<br />
Skala von null bis zehn liegt die Gesamtzufriedenheit<br />
der Verbandsmitglieder mit<br />
den Dienstleistungen der SKOS im Bereich<br />
gut bis sehr gut. Ebenso wird die Kundenorientierung<br />
von der grossen Mehrheit der<br />
Mitglieder mit gut bis sehr gut bewertet<br />
und der SKOS attestiert, dass sie die Bedürfnisse<br />
ihrer Mitglieder in den Vordergrund<br />
stellt. Im Ganzen stimmt die Ausrichtung<br />
der Dienstleistungspalette und<br />
es ist kein grundlegender Reformbedarf<br />
angezeigt. Aber die Umfrage zeigt auch<br />
auf, wo es Verbesserungspotenzial gibt.<br />
Dieses gilt es anzugehen.<br />
die tägliche Arbeit «an der Front» erachtet<br />
werden. Erfreulicherweise gehören aber<br />
auch höhere Hierarchiestufen und Personen<br />
mit Direktionsfunktion zu den regelmässigen<br />
Nutzerinnen und Nutzern der<br />
SKOS-Dienste.<br />
Mit grossem Abstand an der Spitze<br />
in Bezug auf Bekanntheit und Nutzung<br />
stehen die SKOS-Richtlinien. 96 Prozent<br />
aller Umfrageteilnehmenden kennen und<br />
nutzen die Richtlinien. Sehr erfreulich ist<br />
der hohe Bekanntheits- und Nutzungsgrad<br />
auch bei der Grundlagenarbeit. Dies bestätigt,<br />
dass die SKOS auch eine wichtige<br />
Funktion einnimmt in Bezug auf die Erarbeitung<br />
von Fakten und wissenschaftlichen<br />
Grundlagen einerseits zur Abstützung der<br />
Richtlinien und andererseits als Beitrag<br />
zur sozialpolitischen Auseinandersetzung<br />
und zur Weiterentwicklung der Sozialhilfe.<br />
In den letzten Jahren tat sie dies beispielsweise<br />
mit Studien zur Thematik der Schwelleneffekte,<br />
zu den Ergänzungsleistungen<br />
für einkommensschwache Familien oder<br />
zur Besteuerung der Sozialhilfe.<br />
Auch praktische Hilfestellungen werden<br />
rege genutzt, beispielsweise die Praxisbeispiele,<br />
die als feste Rubrik der Verbandszeitschrift<br />
<strong>ZESO</strong> viermal im Jahr erscheinen<br />
und exemplarische Fragestellungen<br />
zur Anwendung der SKOS-Richtlinien<br />
behandeln. Die SKOS verfügt über verschiedene<br />
Kommunikationsgefässe für die<br />
Berichterstattung und die Information.<br />
Diese werden unterschiedlich eingeschätzt.<br />
Während die <strong>ZESO</strong> und der elektronische<br />
Newsletter gute Noten erhalten, ist der Mitgliederbrief<br />
als solcher wenig bekannt und<br />
wird nicht als ansprechendes Instrument<br />
wahrgenommen.<br />
Auch wenn sich die Nutzung der Angebote<br />
unterscheiden kann, so wird die SKOS<br />
doch in jedem Fall über die konkreten Leistungen<br />
wahrgenommen. So zeigt sie ihr<br />
Gesicht beispielsweise auch an den von ihr<br />
organisierten Fachtagungen und sie prägt<br />
über die Themensetzung den Fachdiskurs.<br />
Aufgrund des vielfältigen und breiten Tagungs-<br />
und Weiterbildungsangebots in der<br />
Schweiz wird vom angesprochenen Fachdie<br />
Dienstleistungen der SKOS für ihre Mitglieder<br />
Nutzung und Bekanntheit der SKOS-<br />
Dienstleistungen<br />
Dass die Dienstleistungen der SKOS rege<br />
genutzt werden, zeigt sich daran, dass gut<br />
zwei Drittel der Mitglieder angaben, im<br />
letzten Monat eine Dienstleistung der<br />
SKOS beansprucht zu haben. Kantone,<br />
Gemeinden und Zusammenschlüsse von<br />
Sozialdiensten nutzen die Angebote der<br />
SKOS annähernd gleich gut. Besonders<br />
häufig werden die Angebote von den Fachmitarbeitenden<br />
genutzt. Das Angebot der<br />
SKOS kann deshalb als sehr relevant für<br />
SKOS-Richtlinien<br />
Die SKOS-Richtlinien definieren, wie die<br />
Sozialhilfe berechnet wird. Es sind Empfehlungen<br />
zuhanden der Sozialhilfeorgane<br />
des Bundes, der Kantone, der Gemeinden<br />
sowie der Organisationen der privaten Sozialhilfe.<br />
Die Richtlinien werden durch die<br />
kantonale Gesetzgebung und die kommunale<br />
Rechtsetzung und Rechtsprechung<br />
verbindlich. Sie sind in gedruckter Form<br />
(Ordner mit Einlageblättern) und online<br />
(PDF) via SKOS-Website erhältlich.<br />
SKOS-Line und Praxisbeispiele<br />
Die SKOS-Line ist der Beratungsdienst<br />
der SKOS für Fragen aus der Anwendungspraxis<br />
der Richtlinien und der<br />
Sozialhilfe. Der Zugang zum kostenlosen<br />
Beratungsangebot für Verbandsmitglieder<br />
erfolgt über den Mitgliederbereich<br />
der Website. Fallbeispiele werden<br />
regelmässig in der Zeitschrift für Sozialhilfe<br />
und auf der Website publiziert. Neu<br />
ist die SKOS-Line in die Geschäftsstelle<br />
der SKOS eingebunden.<br />
26 ZeSo 2/15 DIENSTLEISTUNGEN DER SKOS
Mitarbeiterinnen der Geschäftsstelle der SKOS.<br />
publikum sehr genau abgewogen, was<br />
besucht wird. Die zeitlichen und finanziellen<br />
Ressourcen der Sozialdienste sind<br />
beschränkt, das macht eine Selektion im<br />
Angebot unumgänglich. Die Veranstaltungen<br />
der SKOS sind trotz der grossen<br />
Konkurrenz sehr gut besucht und auch die<br />
jährliche Weiterbildung zur Einführung in<br />
die öffentliche Sozialhilfe findet regelmässig<br />
Anklang. Im Weiterbildungsbereich ist<br />
allerdings zu berücksichtigen, dass einige<br />
Kantone eigene Angebote haben, dass die<br />
Fachhochschulen in der Thematik sehr engagiert<br />
sind und dass die SKOS den Einführungskurs<br />
bisher nur in der Deutschschweiz<br />
anbietet. In der Deutschschweiz<br />
bietet die SKOS auch massgeschneiderte<br />
Weiterbildungen an, beispielsweise für<br />
Regionen oder einzelne Institutionen, die<br />
regelmässig nachgefragt werden.<br />
Ein weiteres Kernangebot der SKOS<br />
ist die «SKOS-Line». Mitglieder erhalten<br />
zu Fragen betreffend die Anwendung der<br />
SKOS-Richtlinien über eine elektronische<br />
Bilder: Béatrice Devènes<br />
Hotline innert Wochenfrist fachkompetente<br />
Auskunft. Die SKOS-Line beantwortet<br />
jeden Monat rund 50 Anfragen.<br />
Die Nachfrage hat in den letzten Jahren<br />
stetig zugenommen. Sie wird von kleineren<br />
Gemeinden ebenso genutzt wie von Fachleuten<br />
kantonaler und städtischer Stellen<br />
oder deren Rechtsdiensten. Trotz dieser<br />
hohen Nutzungsfrequenz ist die SKOS-<br />
Line doch bei einem Teil der Mitglieder<br />
nicht bekannt und sie wird nur in der deutschen<br />
Schweiz angeboten.<br />
<br />
Grundlagendokumente und Studien<br />
Als nationaler Fachverband verfügt<br />
die SKOS über ein grosses Expertenwissen.<br />
Sie führt wissenschaftliche<br />
Untersuchungen zur Sozialhilfe und<br />
zur Existenzsicherung durch und<br />
schafft damit wichtige Grundlagen<br />
für die Ausgestaltung der Sozialhilfe<br />
und der Sozialpolitik in der Schweiz.<br />
Auf Anfrage unterstützt die SKOS<br />
ihre Mitglieder auch mit Fach-Knowhow.<br />
Stellungnahmen, Positionspapiere,<br />
Argumentarien<br />
Die SKOS beteiligt sich an sozialpolitischen<br />
Debatten. Sie verfasst<br />
Vernehmlassungsantworten und<br />
veröffentlicht zuhanden ihrer<br />
Mitglieder und weiteren Anpruchsgruppen<br />
Argumentarien und<br />
Positionspapiere.<br />
Website<br />
Die Website www.skos.ch ist die<br />
zentrale Informationsdrehscheibe<br />
und der schnellste Kommunikationskanal.<br />
Neben den «News» aus<br />
der Welt der Sozialhilfe bietet die<br />
Website Zugang zu den SKOS-Richtlinien,<br />
zur SKOS-Line, zu Grundlagendokumenten<br />
und Positionen,<br />
zu Veranstaltungshinweisen, FAQ,<br />
Online-Shop usw. sowie zum passwortgeschützten<br />
Mitgliederbereich.<br />
Newsletter<br />
Der SKOS-Newsletter informiert<br />
rund 10x im Jahr über die Verbandstätigkeit,<br />
Veranstaltungen,<br />
Produkte und Dienstleistungen der<br />
SKOS sowie über Aktualitäten aus<br />
ihrem Umfeld. Die Anmeldung zum<br />
Erhalt des Newsletters erfolgt über<br />
die Website (rechte Seite oben).<br />
<br />
DIENSTLEISTUNEN DER SKOS 2/15 ZeSo<br />
27
«Dienstleistungsorientierung<br />
und Aktualität sind zentrale<br />
Werte für die SKOS.»<br />
<br />
Schliesslich bietet die SKOS nicht nur<br />
eigene Dienstleistungen an, sondern sie<br />
ermöglicht den Mitgliedern den Zugang<br />
zu drei externen Spezialangeboten. Beim<br />
Beobachter-Beratungsdienst können SKOS-<br />
Mitglieder zu reduzierten Preisen juristische<br />
Beratungsleistungen in Anspruch<br />
nehmen. Die Datenbank «Web-Law» bietet<br />
insbesondere juristischen Fachleuten einfachen<br />
und gezielten Zugang zu Gerichtsurteilen<br />
zur Sozialhilfe. Und über den<br />
Medienbeobachtungsdienst Argus, der über<br />
die Website der SKOS einfach geöffnet<br />
werden kann, können sozialhilferelevante<br />
Artikel, die in der Schweiz erschienen sind,<br />
gelesen werden. Die Umfrage hat gezeigt,<br />
dass diese drei Angebote bei den Mitgliedern<br />
vergleichsweise wenig bekannt sind.<br />
Dies lässt sich damit erklären, dass sie sich<br />
alle an ein ausgewähltes Publikum richten.<br />
Qualität<br />
Die Qualität der SKOS-Dienstleistungen<br />
wird von den Nutzenden als gut bis sehr<br />
gut eingestuft. Sehr gut schneiden insbesondere<br />
die SKOS-Richtlinien, die SKOS-<br />
Line und die <strong>ZESO</strong> ab. Es gibt aber auch<br />
kritische Stimmen. Es werden beispielsweise<br />
die Suchmöglichkeiten bei den<br />
SKOS-Richtlinien und den Grundlagenpapieren<br />
bemängelt. Zudem wird teilweise<br />
auf die sprachliche Verständlichkeit hingewiesen,<br />
die insbesondere bei den Grund-<br />
lagendokumenten nicht immer optimal<br />
ist. Auch Kriterien wie Praxisrelevanz oder<br />
die generelle Informationsflut werden genannt.<br />
Werden die Dienstleistungen der<br />
SKOS nicht genutzt, so werden dafür in der<br />
Regel gut nachvollziehbare Gründe angeführt<br />
– Zeitmangel, Informationsflut oder<br />
andere Informationsquellen, die zur Verfügung<br />
stehen.<br />
Handlungsbedarf und Massnahmen<br />
Aus der Umfrage lässt sich also schliessen,<br />
dass die Angebote der SKOS grundsätzlich<br />
richtig und stimmig sind. In einigen Bereichen<br />
besteht aber Optimierungsbedarf. So<br />
soll beispielsweise bei den SKOS-Richtlinien<br />
die Suchfunktion sowie das Stichwortund<br />
Inhaltsregister verbessert und mittelfristig<br />
die grundlegende Neugestaltung<br />
geprüft sowie eine webgerechte Aufbereitung<br />
angestrebt werden. Auch die Grundlagen<br />
und Stellungnahmen bedürfen einer<br />
besseren Web-Struktur, um die Suche zu<br />
vereinfachen.<br />
Die SKOS will auch in Zukunft direkt<br />
mit den Mitgliedern kommunizieren. Dazu<br />
muss ein einfaches und ansprechendes<br />
Format für den Mitgliederbrief entwickelt<br />
werden. Weiter soll bei der SKOS-<br />
Line die heutige Angebotsform überprüft<br />
werden, insbesondere sollen die Antworten<br />
für alle SKOS-Mitglieder nutzbar<br />
gemacht werden.<br />
Eine neue <strong>ZESO</strong> entsteht.<br />
Ein Verband soll nicht nur Bestehendes<br />
verbessern, sondern auch über neue Angebote<br />
nachdenken. Vor dem Hintergrund<br />
der kritischen Äusserungen und Diskussionen<br />
zu Sozialhilfe in den letzten Monaten<br />
stellt sich beispielsweise die Frage, welchen<br />
Bedarf kleinere und mittlere Gemeinden<br />
haben und wie die SKOS als Fachverband<br />
<br />
die Dienstleistungen der SKOS für ihre Mitglieder<br />
Zeitschrift für Sozialhilfe <strong>ZESO</strong><br />
Die <strong>ZESO</strong> berichtet vertiefend über<br />
aktuelle Themen der Sozialhilfe und<br />
verbindet die Forschung mit der Praxis.<br />
Mit von externen Autoren verfassten<br />
Fachartikeln, mit Hintergrundberichten,<br />
Reportagen und Interviews bietet<br />
die <strong>ZESO</strong> Raum für sozialpolitische<br />
Diskussionen. In fixen Rubriken werden<br />
Praxisbeispiele publiziert, im Sozialbereich<br />
tätige Menschen porträtiert und<br />
Partnerorganisationen vorgestellt.<br />
FAQ<br />
Die Frequently Asked Questions<br />
(FAQ) richten sich an ein weitergefasstes<br />
Publikum. Sie dienen Behördenvertreterinnen<br />
und -vertretern<br />
als Grundlage für ihre Arbeit und der<br />
breiten Öffentlichkeit sowie Medienschaffenden<br />
oder Politikerinnen und<br />
Politikern zur raschen Orientierung<br />
über die Sozialhilfe. Die FAQ können<br />
auch die Einarbeitung von neuen<br />
Mitarbeitenden unterstützen.<br />
Tagungen und<br />
Weiterbildungskurse<br />
Die Fachveranstaltungen der SKOS<br />
bieten eine Plattform für thematische<br />
Auseinandersetzungen<br />
und Austausch. Sie dienen der<br />
Meinungsbildung und Vernetzung<br />
ebenso wie der Weiterentwicklung<br />
der Sozialhilfe.<br />
Mitgliederbriefe<br />
Der Mitgliederbrief dient der direkten<br />
Information der Mitglieder<br />
über spezifische und für sie als<br />
Mitglieder relevante Geschäfte. Er<br />
wird neu seit Anfang <strong>2015</strong> elektronisch<br />
verschickt.<br />
28 ZeSo 2/15 DIENSTLEISTUNGEN DER SKOS
sie unterstützen kann. Diesbezüglich wird<br />
die Entwicklung eines entsprechenden<br />
Rechtsberatungsangebots geprüft.<br />
<br />
Fazit<br />
Die SKOS versteht sich als Dienstleisterin<br />
der öffentlichen Hand. Als Fachverband<br />
unterstützt sie in erster Linie ihre Mitglieder,<br />
indem sie ihnen für ihren Arbeitsalltag<br />
Hilfestellungen bietet und indem sie auf<br />
nationaler Ebene Einfluss nimmt im Sinne<br />
der Sozialhilfe. Hierfür sind Optimierungen<br />
des Bestehenden ebenso nötig wie die<br />
stete Beobachtung des Umfelds zur Eruierung<br />
des Bedarfs an neuen Angeboten<br />
und Unterstützungsformen. Die Mitglieder<br />
müssen den Nutzen und die Vorteile ihrer<br />
Mitgliedschaft bei der SKOS kennen und<br />
direkt erfahren können. Dabei darf allerdings<br />
nicht vergessen gehen, dass die Mitgliederstruktur<br />
der SKOS insgesamt sehr<br />
heterogen ist: Kantone, Gemeinden, private<br />
Organisationen, Fachhochschulen und weitere.<br />
Darüber hinaus richtet sich die SKOS<br />
aber auch an Politikerinnen und Politiker<br />
sowie an Medienleute. Die Ausgestaltung<br />
der konkreten Dienstleistungen muss die<br />
Bedürfnisse dieser verschiedenen Zielgruppen<br />
im Auge behalten. Einige der<br />
Dienstleistungen werden heute nur in<br />
Deutsch angeboten. Die SKOS wird prüfen<br />
müssen, wie alle Sprachregionen, insbesondere<br />
die französische Schweiz, gut bedient<br />
werden können und welche Bedürfnisse<br />
sich daraus ergeben können.<br />
Sehr erfreulich lässt sich aus der Umfrage<br />
schliessen, dass die Mitglieder trotz<br />
der politischen Debatte und der Kritik ein<br />
hohes Commitment gegenüber der SKOS<br />
als Verband haben. Dies zeigen der mit<br />
60 Prozent sehr hohe Rücklauf und die<br />
insgesamt sehr positive Bewertung. Die<br />
Befragung wurde ausserdem in vielen Fällen<br />
von Personen aus höheren Hierarchiestufen<br />
ausgefüllt. Das ist auch ein Hinweis<br />
darauf, dass der SKOS und ihren Dienstleistungen<br />
eine entsprechende Wichtigkeit<br />
beigemessen wird.<br />
Die SKOS als Fachverband und im Visier<br />
der Öffentlichkeit stehend ist der Qualität<br />
verpflichtet – dabei sind Dienstleistungsorientierung<br />
und Aktualität auch in Zukunft<br />
zentrale Werte. <br />
•<br />
Dorothee Guggisberg<br />
Geschäftsführerin SKOS<br />
Beobachter-Help-Line<br />
Die SKOS bietet ihren Mitgliedern<br />
einen vergünstigten Zugang zum<br />
Beratungszentrum der Zeitschrift<br />
«Der Beobachter» an. Die Fachleute<br />
des Beobachters geben kompetent<br />
und umfassend Auskunft zu<br />
Rechtsfragen, die sich in der Praxis<br />
der Sozialarbeit stellen.<br />
Online-Datenbank Web-Law<br />
Die Online-Datenbank von Web-Law<br />
ermöglicht den Zugriff auf alle<br />
relevanten kantonalen Rechtsgrundlagen<br />
zum Thema Sozialhilfe<br />
sowie auf Gerichtsentscheide auf<br />
Kantons- und Bundesebene. SKOS-<br />
Mitglieder profitieren von Spezialpreisen.<br />
Medienbeobachtungsdienst Argus<br />
Der Suchdienst Argus beobachtet<br />
die Medienlandschaft der Schweiz<br />
und wählt im Auftrag der SKOS<br />
täglich alle Pressemeldungen aus,<br />
die über die Sozialhilfe berichten.<br />
Die Dienstleistung ist für SKOS-<br />
Mitglieder gratis, der Online-Zugang<br />
erfolgt im Mitgliederbereich.<br />
DIENSTLEISTUNGEN DER SKOS 2/15 ZeSo<br />
29
«Für gewisse Sozialhilfebeziehende<br />
braucht es neue Arbeitsmodelle»<br />
Das Arbeitsmodell «Human Profit» setzt auf Eigenmotivation: Sozialhilfebeziehende entwickeln ein<br />
Produkt oder eine Dienstleistung – so etwas wie ein Herzensprojekt. 13 Personen sind mit ihren Angeboten<br />
bereits auf dem Markt präsent. Nun braucht es weitere Gemeinden, die am Pilotprojekt teilnehmen.<br />
Viel Engagement ist zu spüren, wenn<br />
Thomas Ineichen über Human Profit redet<br />
– und Erfahrung. Seit fast 30 Jahren leitet<br />
der heute 65-Jährige die Genossenschaft<br />
Overall, eine 1976 in Basel gegründete<br />
Initiative zur Arbeitsintegration. Immer<br />
mehr Menschen, für die es keine geeigneten<br />
Stellen mehr gibt, würden eine Anstellung<br />
suchen, stellt der Integrationsfachmann<br />
fest: «Es herrscht Integrationsstau.<br />
Für gewisse Sozialhilfebeziehende braucht<br />
es dringend neue Arbeitsmodelle.»<br />
Human Profit ist ein solches alternatives<br />
Arbeitsmodell. Overall entwickelte<br />
das dreijährige Pilotprojekt gemeinsam<br />
mit der Plattform Social Enterpreneurship<br />
Initiative & Foundation. Der Grundgedanke:<br />
Statt die Klienten zu «parken» und<br />
ihre Fähigkeiten brachliegen zu lassen,<br />
setzt man auf ihre Eigenmotivation: Was<br />
möchten Sozialhilfebeziehende tun, wenn<br />
sie frei wählen könnten? Ziel von Human<br />
Profit ist, die Teilnehmenden so zu coachen,<br />
dass sie innerhalb von zwei Jahren<br />
ein eigenes Produkt oder eine Dienstleistung<br />
entwickeln und umsetzen können.<br />
Doch gibt es überhaupt genügend Sozialhilfebeziehende,<br />
die das nötige Potenzial<br />
mitbringen? Dies lasse sich oft erst im<br />
Einzelgespräch einschätzen, sagt Projektleiterin<br />
Monica Lonoce. Viele Interessierte<br />
seien traumatisiert, es brauche Zeit, um an<br />
ihre Fähigkeiten heranzukommen. «Empowerment<br />
ist meine wichtigste Aufgabe»,<br />
erzählt die engagierte Frau mit den italienischen<br />
Wurzeln.<br />
Auf das neue Arbeitsmodell aufmerksam<br />
gemacht werden die potenziellen<br />
Teilnehmerinnen und Teilnehmer von<br />
der Sozialberatung ihrer Gemeinde. Nach<br />
einem unverbindlichen zweistündigen<br />
Erstgespräch mit dem Jobcoach von Human<br />
Profit folgt eine Standortbestimmung.<br />
An fünf Nachmittagen analysieren<br />
die Teilnehmenden ihre Ressourcen und<br />
Computer-Self-Helpers<br />
Urs Hess, 62, hat langjährige Erfahrung als PC-Supporter bei Grossfirmen. Nach<br />
einem privaten Schicksalsschlag und Gesundheitsproblemen fand er keine<br />
Stelle mehr. Herumsitzen indes ist seine Sache nicht: Tauchten im Kollegenkreis<br />
Computerprobleme auf, war er jeweils zur Stelle. Doch wenn nach einem fünfstündigen<br />
Einsatz gerade mal ein Zehnernötli herausschaute, kam sich der IT-Profi<br />
ausgenutzt vor. Noch mehr zu schaffen machte ihm die Stigmatisierung als<br />
Sozialschmarotzer.<br />
Als ihn seine Sozialberaterin über Human Profit informierte, fühlte er sich angesprochen.<br />
Gecoacht von Human Profit entwickelte er das Projekt Computer-Self-<br />
Helpers: Menschen in bescheidenen Verhältnissen treffen sich jeden Dienstag<br />
von 14 bis 16 Uhr in einem von Human Profit organisierten Lokal in Basel und<br />
erhalten Hilfe zur Selbsthilfe bei Computerproblemen. Für seine Treffleitung erhält<br />
Urs Hess eine monatliche Anerkennung von 100 Franken. Mehr als das Geld freut<br />
ihn, dass viele Besucher aufblühen: «Sie sehen: Ich bin nicht allein.» Wenn es mit<br />
seiner Frühpensionierung klappt, wird Urs Hess das Projekt selbstständig und<br />
ehrenamtlich weiterführen.<br />
www.urshess.magix.net<br />
30 ZeSo 2/15 reportage
Lucys Nähwerkstatt<br />
Bilder: Ursula Markus<br />
Lucy Unternährer ist 42 und alleinerziehend. Sie stammt aus Kenia. «Ich will nur<br />
eines: Nähen! Aber hier finde ich keine Stelle, in Kenia näht man anders», stellte<br />
sie enttäuscht fest. Während der Standortbestimmung bei Human Profit entwickelte<br />
sie die Idee, bei sich zuhause eine Nähwerkstatt zu betreiben. Tops und<br />
Kleider aus afrikanischen Stoffen für hiesige Frauen und Mädchen.<br />
Nun folgten viele kleine Schritte – Nähmaschinentraining, Deutschkurse. Noch<br />
wichtiger war, dass sie an ihr Projekt glaubte. Dazu brauchte es Ermutigung und<br />
viel Coaching durch Projektleiterin Monica Lonoce. «Wir fokussieren auf eine<br />
kleine, standardisierte Kollektion, damit das Preis-Leistungs-Verhältnis stimmt»,<br />
sagt Lonoce. Heute, ein Jahr später, sind die ersten Prototypen genäht. Das Spezielle:<br />
Jedes Kleidungsstück ist mit einem afrikanischen Sprichwort geschmückt.<br />
Das Feedback einer hiesigen Schneiderin ist ermutigend. Und es gibt erste Bestellungen.<br />
Als Nächstes ist der Aufbau einer eigenen Website geplant. Bis September<br />
sollen die ersten 100 Kleider fertig sein: Auf einem Markt wird Lucy Unternährer<br />
ihre Produkte erstmals einer breiteren Öffentlichkeit präsentieren. «Endlich kann<br />
ich tun, was ich gelernt habe», sagt sie und strahlt.<br />
entwickeln Ideen für eine künftige Tätigkeit.<br />
Gibt die Sozialbehörde grünes Licht,<br />
haben sie sechs bis zwölf Monate Zeit, um<br />
zusammen mit dem Jobcoach ihr Produkt<br />
zu entwickeln. Während der abschliessenden<br />
sechs- bis zwölfmonatigen Umsetzungsphase<br />
hilft ihnen Human Profit,<br />
Kundschaft zu finden.<br />
Bisher haben zwanzig Personen aus den<br />
Kantonen Basel-Landschaft, Basel-Stadt<br />
und Solothurn die Standortbestimmung<br />
vorgenommen. 13 haben bereits ein Produkt<br />
oder eine Dienstleistung entwickelt.<br />
«Den meisten ist es zum Herzensanliegen<br />
geworden», sagt Monica Lonoce. Das Büro<br />
BASS für arbeits- und sozialpolitische Studien<br />
begleitet das Projekt wissenschaftlich<br />
mit dem Ziel, über den «SROI-Ansatz»<br />
(Social Return On Investment) dessen<br />
gesellschaftlichen Nutzen zu berechnen.<br />
Entscheidend, dass die Teilnehmenden<br />
am Projekt dran bleiben, sei das Coaching,<br />
stellt BASS fest. Neben den vierzehntäglichen<br />
Einzel- und den monatlichen<br />
Gruppencoachings treffen sich die Teilnehmenden<br />
auch in selbst organisierten<br />
Entwicklungsgruppen.<br />
Die Pilotphase des Projekts läuft noch<br />
bis Ende 2016. Damit es fundiert dokumentiert<br />
werden kann, werden weitere<br />
Gemeinden gesucht, die am Projekt teilnehmen.<br />
Die Kosten seien günstig für ein so<br />
hoch individualisiertes Förderprojekt, sagt<br />
Thomas Ineichen. Es sind 600 Franken<br />
pro Monat und Teilnehmenden; maximal<br />
15 600 Franken für 26 Monate.<br />
Human Profit leistet auch einen Beitrag<br />
zur Entstigmatisierung: «Die Teilnehmenden<br />
machen eine erstaunliche<br />
Entwicklung durch und spielen wieder<br />
einen aktiven Part in der Gesellschaft», sagt<br />
Monica Lonoce und erwähnt das Beispiel<br />
einer ehemaligen Pflegehelferin. Während<br />
der fünf Standortnachmittage wirkte<br />
die Frau wie blockiert. Doch im Einzelgespräch<br />
habe sie dann förmlich um ihre<br />
Projektteilnahme gekämpft. Inzwischen<br />
qualifiziert sie sich als Familienhelferin<br />
und will an zwei Nachmittagen pro Woche<br />
junge Mütter unterstützen. «Sie ist heute<br />
ein <strong>ganz</strong> anderer Mensch», sagt Lonoce.•<br />
Paula Lanfranconi<br />
Mehr zum Projekt: www.overall.ch/humanprofit<br />
reportage 2/15 ZeSo<br />
31
Prävention als Daueraufgabe<br />
Als nationales Kompetenzzentrum engagiert sich Sucht Schweiz in der Prävention und Erforschung<br />
von Alkohol-, Drogen- und anderen Suchtproblemen. Die Stiftung trägt damit zur öffentlichen Debatte<br />
bei und schafft Brücken zwischen der Forschung und der Praxis.<br />
Der Grundauftrag von Sucht Schweiz ist<br />
seit der Gründung im Jahr 1902 der<br />
Gleiche geblieben: Probleme zu verhüten<br />
oder zu vermindern, die aus dem Konsum<br />
von Alkohol und anderen psychoaktiven<br />
Substanzen hervorgehen. Die Stiftung beschäftigt<br />
sich auch mit Verhaltenssüchten,<br />
beispielsweise bei Glücksspiel oder elektronischen<br />
Medien. Die Konsummuster haben<br />
sich im Laufe der Jahrzehnte zwar<br />
verändert, doch die Problemlast ist hoch<br />
geblieben.<br />
Dies zeigen etwa die Fakten zum<br />
Alkoholkonsum der Schweizer Bevölkerung.<br />
Dass sich der Konsum pro Kopf von<br />
reinem Alkohol von 17 Litern im Jahr<br />
1900 auf heute 8,3 Liter reduziert hat,<br />
liegt vor allem daran, dass sich die Trinkgewohnheiten<br />
enorm gewandelt haben.<br />
Hauptsächlich ist der tägliche Konsum aus<br />
der Mode gekommen. Etwa zehn Prozent<br />
der Bevölkerung über 15 Jahre trinken<br />
heute noch täglich Alkohol. 22 Prozent<br />
konsumieren aber regelmässig zu viel oder<br />
wenigstens einmal pro Monat zu viel auf<br />
einmal. Geschätzte 250 000 Personen in<br />
der Schweiz sind alkoholabhängig.<br />
Auch beim Rauchen ist ein Rückgang<br />
festzustellen. Rauchverbote und der Wandel<br />
von gesellschaftlichen Normen haben<br />
dazu beigetragen. Heute raucht noch gut<br />
ein Viertel der Bevölkerung, wobei sich<br />
nun eine Stagnation des Rückgangs abzeichnet.<br />
Der dritte wichtige Abwärtstrend<br />
betrifft den Konsum von Heroin. Hier hat<br />
unter anderem die bessere Behandlung<br />
und Betreuung der Betroffenen zum Rückgang<br />
beigetragen. Allerdings konsumieren<br />
heute mindestens 40 000 meist jüngere<br />
Menschen täglich Cannabis.<br />
Auch wenn bei manchen Suchtmitteln<br />
ein rückläufiger Konsum zu beobachten ist,<br />
führen sie immer noch zu Problemen, die<br />
die Betroffenen, Nahestehende und die Gesellschaft<br />
stark belasten. Tabak ist die wichtigste<br />
Ursache für frühzeitige Todesfälle in<br />
der Schweiz und Alkohol folgt auf dritter<br />
Position. Insgesamt hängen psychoaktive<br />
Substanzen und Glücksspiel jedes Jahr mit<br />
insgesamt mehr als 10 000 Todesfällen<br />
zusammen und verursachen soziale Kosten,<br />
die 10 Milliarden Franken übersteigen.<br />
Hinzu kommt das Leid der mehreren Hunderttausend<br />
abhängigen Menschen sowie<br />
der ihnen Nahestehenden.<br />
Widersprüchliche Politik<br />
Trotz dieser grossen Problemlast finden<br />
die neuen Ansätze und Erkenntnisse der<br />
Suchtprävention und Suchtforschung<br />
kaum Berücksichtigung in der Suchtpolitik.<br />
Gleichzeitig werden grundlegende<br />
Werte wie Solidarität mit suchtgefährdeten<br />
und suchtkranken Menschen zunehmend<br />
infrage gestellt. Die heutige Suchtpolitik<br />
ist von wirtschaftlichen Interessen und Ideologien<br />
dominiert und von diversen Widersprüchen<br />
durchzogen. So wird beispielsweise<br />
der Alkoholkonsum im öffentlichen<br />
Raum zwar als Problem wahrgenommen,<br />
der Alkoholmarkt aber weiter liberalisiert.<br />
Die gegenwärtige Totalrevision des Alkoholgesetzes<br />
verdeutlicht dies: Das Gesetz,<br />
das ursprünglich zum Zweck hatte, den<br />
problematischen Konsum zu vermindern<br />
und die Jugend zu schützen, scheint zur<br />
Absatzförderung zu verkommen.<br />
Zurzeit prüfen die beiden Parlamentskammern<br />
auch die Gesetzgebungen zu<br />
Tabakerzeugnissen und Glücksspiel.<br />
Dies wäre eine Chance für die Prävention,<br />
Suchtprobleme mit einer besseren<br />
Regulierung zu vermindern. Massnahmen,<br />
die beim Preis, bei der Erhältlichkeit<br />
und der Werbung ansetzen, sind<br />
erwiesenermassen wirksam, haben aber in<br />
der aktuellen politischen Debatte einen<br />
äusserst schweren Stand.<br />
Wissensaustausch fördern<br />
Vor diesem Hintergrund ist das langjährige<br />
Engagement von Sucht Schweiz<br />
wichtiger denn je: Das Anliegen ist, die gesellschaftliche<br />
und politische Debatte mit<br />
wissenschaftsbasierten Daten anzuregen<br />
und zu versachlichen. Verlässliche Informationen<br />
aufzubereiten, ist eine Kernkom-<br />
PLATTFORM<br />
Die <strong>ZESO</strong> bietet ihren Partnerorganisationen<br />
diese Rubrik als Plattform an, auf der sie sich<br />
und ihre Tätigkeit vorstellen können. In dieser<br />
Ausgabe dem Dachverband Schweizer Jugendparlamente.<br />
Der Alkoholmarkt wird trotz<br />
grosser Problemlast weiter<br />
liberalisiert.<br />
Bild: Keystone<br />
32 ZeSo 2/15 plattform
petenz von Sucht Schweiz. Die Stiftung<br />
entwickelt Materialien für verschiedene<br />
Zielgruppen: für Suchtfachleute, Eltern,<br />
Jugendliche, Schulen, Personen, die von<br />
einer Suchtproblematik betroffen sind, Angehörige<br />
und Medienschaffende. Auch<br />
Menschen, die bisher nur schwer erreicht<br />
wurden, beispielsweise die Migrationsbevölkerung,<br />
sollen angesprochen werden.<br />
Für sie sind mittlerweile Informationen<br />
und Materialien in mehreren Sprachen<br />
verfügbar. Und für Kinder aus suchtbelasteten<br />
Familien entwickelte Sucht Schweiz<br />
unter anderem eine zweisprachige Website<br />
mit hilfreichen Informationen. Als national<br />
agierende Präventionsfachstelle hat<br />
Sucht Schweiz im Auftrag von zehn Kantonen<br />
der Nordwest- und Zentralschweiz<br />
auch ein Programm zur Prävention der<br />
Glücksspielsucht realisiert.<br />
Kantonale Partner auf nationaler Ebene<br />
zu vernetzen und den Wissensaustausch zu<br />
fördern, ermöglicht Sucht Schweiz auch in<br />
weiteren Themenbereichen. So wird jährlich<br />
eine Plattform zu den Themen Kinder<br />
aus suchtbelasteten Familien und familienbasierte<br />
Prävention organisiert.<br />
Sucht Schweiz forscht und bereitet<br />
wissenschaftliches Wissen sowohl für<br />
die Fachwelt als auch für die breite Bevölkerung<br />
und die Politik auf. So liefert<br />
beispielsweise das alle vier Jahre durchgeführte<br />
internationale Projekt «Health Behaviour<br />
in School-Aged Children» (HBSC)<br />
repräsentative Daten zum Gesundheitsverhalten<br />
11- bis 15-Jähriger. Das im Auftrag<br />
des Bundesamts für Gesundheit gemeinsam<br />
mit Partnern durchgeführte Forschungsprojekt<br />
«Suchtmonitoring» erlaubt<br />
es, Trends im Konsum von Alkohol und<br />
anderen Drogen sowie im Bereich potenziell<br />
suchterzeugender Verhaltensweisen in<br />
der Schweizer Bevölkerung zu verfolgen.<br />
Auch der Monitoringbericht über Aktivitäten<br />
aus Politik und Forschung, die Website-Rubrik<br />
«Infos und Fakten» sowie der<br />
Forschungsspiegel in der Fachzeitschrift<br />
Suchtmagazin fördern nebst anderen Aktivitäten<br />
den Wissenstransfer. •<br />
Monique Portner-Helfer<br />
Mediensprecherin<br />
Sucht Schweiz<br />
Die Stiftung hat ihren Sitz in Lausanne und beschäftigt<br />
gut 50 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.<br />
Mehr als die Hälfte ihrer Aktivitäten werden<br />
durch private Spenden finanziert. Je ein Fünftel<br />
der Einnahmen stammt aus Forschungsaufträgen,<br />
vor allem des Bundes und der Kantone,<br />
sowie aus dem Verkauf von Materialien und Beratungshonoraren.<br />
Die restlichen knapp 10 Prozent<br />
sind durch kantonale und Bundesbeiträge abgedeckt.<br />
Nebst der Beantwortung individueller Anfragen<br />
bietet Sucht Schweiz Kurzberatungen per<br />
Telefon und E-Mail für Menschen an, die selbst<br />
ein Konsumproblem haben oder die einer Person<br />
nahestehen, deren Konsum Sorge bereitet.<br />
www.suchtschweiz.ch; www.suchtmonitoring.ch<br />
www.mamatrinkt.ch; www.papatrinkt.ch<br />
www.sos-spielsucht.ch; www.tinatoni.ch<br />
www.alkoholkonsum.ch<br />
www.alkoholamarbeitsplatz.ch<br />
plattform 2/15 ZeSo<br />
33
FORUM<br />
denjenigen, die eine prekäre Situation<br />
überwunden haben, mit steuerlichen<br />
Sparanreizen, ihr Grundkapitalkonto<br />
wieder aufzufüllen. Was vom Grundkapital<br />
bis zur Pension nicht verwendet<br />
wird, fliesst verzinst in das individuelle<br />
Altersguthaben der zweiten Säule.<br />
Die beste Sozialhilfe: Das Grundkapital<br />
Reiner Eichenberger<br />
Leiter Seminar für<br />
Finanzwissenschaft,<br />
Universität Fribourg<br />
Anna Maria Koukal<br />
Assistentin, Seminar für<br />
Finanzwissenschaft,<br />
Universität Fribourg<br />
Die heutige Sozialhilfe hebt die finanziellen<br />
Arbeitsanreize von Personen mit<br />
tiefem Einkommenspotenzial praktisch<br />
auf. Deshalb bleibt sie nur finanzierbar,<br />
solange viele potenziell Bezugsberechtigte<br />
intrinsisch motiviert sind, finanziell<br />
selbstständig zu bleiben, und nicht alle<br />
Leistungen beziehen, die ihnen rechtlich<br />
zustehen. Folglich müssen heute Sozialarbeiter<br />
die Bezüger nicht nur eng kontrollieren<br />
und zur Arbeit anhalten, sondern<br />
zugleich ihre innere oder intrinsische<br />
Motivation zur Selbstständigkeit unterstützen.<br />
Das wird aber immer schwieriger:<br />
Erstens zeigt die neuere Forschung, dass<br />
Kontrolle und falsch gesetzte Anreize<br />
die intrinsische Motivation untergraben<br />
können. Namentlich die heutigen Steuerungsmechanismen<br />
drohen die intrinsische<br />
Arbeitsmotivation zu zerstören, da<br />
sie das Verhalten der Klienten nur sehr<br />
punktuell belohnen oder bestrafen.<br />
Zweitens ist die Motivation der Bezüger<br />
höchst unterschiedlich: Manche streben<br />
nach der maximalen Unterstützung, andere<br />
wollen unbedingt unabhängig bleiben.<br />
So wird die Nichtbezugsquote von<br />
Sozialhilfe auf 60 Prozent geschätzt. Da<br />
die verschiedenen Motive schwer zu unterscheiden<br />
sind, werden häufig falsche<br />
Massnahmen angewandt, die dann die<br />
intrinsische Motivation mindern. Drittens<br />
nimmt mit abnehmender sozialer Einbettung<br />
die intrinsische Motivation zur<br />
Selbstständigkeit tendenziell ab und die<br />
Anreizproblematik zu. Wird deshalb die<br />
Kontrolle intensiviert, wird die intrinsische<br />
Motivation noch weiter geschwächt.<br />
Angesichts der misslichen Situation ist es<br />
verständlich, wenn Sozialarbeiter ihre unterstützende<br />
Funktion immer schlechter<br />
wahrnehmen können und ihren Klienten<br />
einfach Leistungen zusprechen. Das aber<br />
bläht das Sozialsystem weiter auf.<br />
Wir schlagen vor, die Sozialhilfe auf eine<br />
neue Basis zu stellen. Jeder langjährige<br />
Einwohner, der volljährig wird, erhält ein<br />
Grundkapital von 100 000 Franken.<br />
Wir schlagen vor,<br />
die Sozialhilfe auf<br />
eine neue Basis zu<br />
stellen. Jeder langjährige<br />
Einwohner,<br />
der volljährig wird,<br />
erhält ein Grundkapital<br />
von<br />
100 000 Franken.<br />
Damit kann er – unter gewissen Auflagen<br />
– in seine Bildung investieren und<br />
in prekären Lebenssituationen, die über<br />
den Fall der versicherten Arbeitslosigkeit<br />
hinausgehen oder andere Ursachen<br />
als Arbeitslosigkeit haben, davon einen<br />
monatlichen Höchstbetrag von 2000<br />
Franken beziehen. Zugleich hilft der Staat<br />
Die Vorteile sind gross: Erstens werden<br />
die Arbeitsanreize massiv gestärkt, weil<br />
die Hilfszahlungen neu auf Kosten<br />
des eigenen Grundkapitals gehen und<br />
Erwerbseinkommen nicht mehr zu<br />
Leistungskürzungen führt. Zweitens wird<br />
die intrinsische Motivation von Personen<br />
zur Selbstständigkeit gestärkt, da das<br />
Grundkapital allen eine faire Chance<br />
gibt, selbstständig zu bleiben. Drittens<br />
erhalten Sozialarbeiter eine viel positivere<br />
Rolle. Sie müssen ihre Klienten nicht<br />
mehr kontrollieren, sondern werden deren<br />
Selbstständigkeitscoaches und helfen<br />
ihnen, ihr Grundkapital möglichst zu bewahren<br />
und klug zu verwenden. Viertens<br />
schafft das Grundkapital Bildungsanreize<br />
und steigert dadurch die Arbeitsmarktchancen.<br />
Fünftens leidet der Ansatz nicht<br />
an den Nachteilen anderer Reformvorschläge<br />
wie etwa Lohnsubventionen, die<br />
stets neue Schwelleneffekte schaffen und<br />
den freien Arbeitsmarkt unterlaufen.<br />
Ältere Personen können mit Übergangslösungen<br />
ins neue System überführt werden.<br />
Die wenigen Bürger, die ihr Grundkapital<br />
trotz idealer Anreize und Motivationsförderung<br />
aufbrauchen, sowie jene Personen,<br />
die kein Grundkapital erhalten, werden<br />
durch eine reduzierte Sozialhilfe heutiger<br />
Art unterstützt. Das Grundkapital ist gut<br />
finanzierbar. Die tatsächlichen Unterstützungs-<br />
und Betreuungskosten sinken dank<br />
höherer Arbeitsanreize und -motivation.<br />
Die Kosten der Kapitalbildung werden<br />
dadurch kompensiert, dass die Alterssparkonten<br />
der 2. Säule stark anwachsen und<br />
deshalb die entsprechenden Beitragssätze<br />
gesenkt werden können. So oder so:<br />
Vom Grundkapital profitieren alle. Die<br />
Leistungsbezüger, die Zahler und auch die<br />
Sozialarbeiter.<br />
•<br />
In dieser Rubrik schafft die <strong>ZESO</strong> Raum für Debatten<br />
und Meinungen. Der Inhalt gibt die Meinung des<br />
Autors resp. der Autorin wieder.<br />
34 ZeSo 2/15 FORUM
lesetipps<br />
Kritische Sozialarbeit<br />
in der Schweiz<br />
Die Geschichte der Sozialarbeit wird oft als<br />
eine Geschichte der Professionalisierung und<br />
anhand der Hauptströmungen von Sozialarbeit<br />
und Sozialpädagogik dargestellt. An deren<br />
Rand gibt es aber immer auch Ansätze einer<br />
kritischen und politischen Sozialarbeit. Dieses<br />
Buch stellt sie an Beispielen wie der Settlement-Bewegung,<br />
der Konferenz für sozialistische Wohlfahrtspflege<br />
und des «Solothurner Frühlings» vor. Mit der Unterstützungsarbeit für<br />
Sans-Papiers und Asylsuchende kommen auch aktuelle Formen einer<br />
kritischen Sozialarbeit zur Sprache.<br />
Ruedi Epple, Eva Schär, Spuren einer anderen Sozialen Arbeit, Kritische und politische<br />
Sozialarbeit in der Schweiz 1900−2000, Seismo, <strong>2015</strong>, 424 Seiten, CHF 48.−<br />
ISBN 978-3-03777-146-4<br />
Wirkungsanalyse der<br />
Gleichstellungspolitik<br />
Alle politischen Akteure in der Schweiz bekennen<br />
sich rhetorisch zur Norm der Gleichstellung<br />
von Frau und Mann. Doch politische Massnahmen<br />
zur Gleichstellung sind umstritten, auch<br />
weil ihnen der nachhaltige Erfolg fehlt. Die<br />
Autorin richtet das Augenmerk auf das Zusammenspiel<br />
der einzelnen Massnahmen und auf<br />
die Entwicklung der schweizerischen Gleichstellungspolitik seit Mitte<br />
der 1990er-Jahre. Dabei konzentriert sie sich auf zwei entscheidende<br />
Bereiche: auf das Erwerbsleben und die institutionalisierten staatlichen<br />
Gleichstellungsstrukturen.<br />
Gesine Fuchs, Gleichstellungspolitik in der Schweiz, Entstehung und Steuerung<br />
eines umstrittenen Politikfeldes, Budrich, <strong>2015</strong>, 150 Seiten, CHF 28.−<br />
ISBN 978-3-8474-0654-9<br />
Begegnungen mit den<br />
Integrierten<br />
Sie heissen Nevenka, Nasser und Gasim, stammen<br />
aus Kroatien, Iran und Aserbeidschan und<br />
arbeiten im Durchgangszentrum, Flüchtlingsheim<br />
oder in der Notunterkunft. Was ihnen<br />
gemeinsam ist, ist ihr Bemühen um die Integration<br />
derer, die sie betreuen: Asylsuchende,<br />
Flüchtlinge, vorübergehend Gestrandete. Den<br />
Kampf um die Verbindung von Tradition und Neuidentifikation kennen<br />
sie aus eigener Erfahrung. In 14 Porträts wird ihr Alltag an den Scharnierfunktionen<br />
gezeigt und davon erzählt, wie es möglich ist, Neues<br />
anzunehmen und gleichzeitig an der eigenen kulturellen Identität<br />
festzuhalten.<br />
Michèle Minelli, Die Integrierten, Begegnungen im Asylland Schweiz, Orell Füssli,<br />
2011, 216 Seiten, CHF 40.−<br />
ISBN 978-3-7193-1576-4<br />
Vielfältige Diagnosen zur<br />
Prekarisierung<br />
Prekarisierung ist zum Schlüsselbegriff soziologischer<br />
Zeitdiagnostik und Gesellschaftskritik<br />
avanciert. Eng gefasst zielt der Begriff auf die<br />
Erosion von Normalarbeit. In einem erweiterten<br />
Verständnis bezeichnet er grundlegende Verwundbarkeiten<br />
durch ungesicherte Arbeits- und<br />
Lebensverhältnisse. Doch was genau ist prekär<br />
geworden? Und wer ist von Prekarisierung betroffen? Diese Fragen sind<br />
in sozialen Bewegungen, Politik und Wissenschaft umstritten. Das Buch<br />
stellt die Vielfalt der Diagnosen zu Prekarisierung vor und verbindet<br />
Ansätze der Arbeits- und Industriesoziologie, der Geschlechterforschung/<br />
Queer Studies und des Postoperaismus.<br />
Mona Motakef, Prekarisierung, Transcript, <strong>2015</strong>, 184 Seiten, CHF 17.−<br />
ISBN 978-3-8376-2566-0<br />
veranstaltungen<br />
Europäische Konferenz des<br />
Sozialwesens<br />
Der Aufbau von Partnerschaften zwischen verschiedenen<br />
Trägern und Sektoren des Sozialwesens<br />
kann für Betroffene mit Bedürfnissen in<br />
den Bereichen Betreuung, Gesundheit, Bildung<br />
und Arbeit von Nutzen sein. Die diesjährige europäische<br />
Konferenz des Sozialwesens in Lissabon<br />
thematisiert Organisationsformen und Finanzierungsmethoden<br />
der Zusammenarbeit. Zudem<br />
gibt die Tagung Einblick in aktuelle Diskussionen<br />
in europäischen Ländern.<br />
European Social Network<br />
Montag, 6. Juli bis Mittwoch, 8. Juli <strong>2015</strong>, Lissabon<br />
www.conference.esn-eu.org<br />
Herausforderung psychische<br />
Beeinträchtigung<br />
Fachleute der sozialen Arbeit sind immer häufiger<br />
mit Klientinnen und Klienten konfrontiert, die<br />
psychische Probleme haben. Die Tagung thematisiert,<br />
wie die Kompetenzen dieser Menschen<br />
gestärkt werden können und welche Strategien<br />
und Programme für ihre soziale und berufliche<br />
Integration Erfolg versprechend sind. Weiter<br />
werden die Herausforderungen beleuchtet, die<br />
sich bei der Thematik im System der sozialen<br />
Sicherheit ergeben.<br />
Tagung BFH – Soziale Arbeit<br />
Dienstag, 25. August <strong>2015</strong>, Bern<br />
www.soziale-arbeit.bfh.ch<br />
Entschuldung auch<br />
für Arme?<br />
In der Schweiz haben rund 570 000 Haushalte<br />
ein überzogenes Konto oder im Verhältnis zu<br />
ihrem Haushaltseinkommen viel zu hohe<br />
Zahlungsverpflichtungen. Die Fachtagung<br />
beschäftigt sich mit den Fragen, wie Armut durch<br />
Schuldenberatung bekämpft werden kann, ob<br />
eine gerichtliche Restschuldbefreiung für armutsbetroffene<br />
Menschen die Lösung ist und wie<br />
ein solches Verfahren in der Schweiz sozialpolitisch<br />
umgesetzt werden könnte.<br />
Nationale Tagung Schuldenberatung<br />
Donnerstag, 1. Oktober <strong>2015</strong>, FHNW Olten<br />
www.forum-schulden.ch/<br />
service 2/15 ZeSo<br />
35
Eigentlich wollte er nur zwei Jahre bleiben − nun leitet Daniel König den Lorraineladen schon seit 15 Jahren. <br />
Bild: Béatrice Devènes<br />
Der Quartierladencoach<br />
Daniel König leitet einen alternativen Quartierladen, wo er ehemalige Drogenabhängige beschäftigt.<br />
Die anspruchsvolle Doppelrolle hat auch dazu beigetragen, dass er selber sesshaft geworden ist.<br />
Auf einem restaurierten Motorrad kommt<br />
er angebraust und stoppt vor dem «Lola»,<br />
dem Quartierladen in der Berner Lorraine.<br />
Sein Vater habe immer von einer solchen<br />
Maschine geträumt, erzählt Daniel König<br />
später. «Ich habe unseren Traum verwirklicht.»<br />
Der Mann mit den feinen Gesichtszügen<br />
ist einer, der Projekte anpackt und<br />
gerne neue Ideen verfolgt. Wohl auch deshalb<br />
hat er als Leiter des Lorraineladens<br />
Erfolg. Er setzt auf hochwertige und<br />
fair produzierte Alltagsprodukte und auf<br />
Nischen: Ein selbst gemachtes Bärner-<br />
Fondue, holländische Schokolade, die<br />
sonst nirgends in der Schweiz verkauft<br />
wird, oder die «Lola-Cola», eine Limonade<br />
mit eigens gestalteter Grafik, die seit Kurzem<br />
in den Regalen zu finden ist.<br />
Der «Lola» ist aber nicht nur Quartiertreffpunkt<br />
und gut assortierter Bioladen,<br />
sondern auch ein Betrieb der Stiftung<br />
Contact, die im Kanton Bern Angebote<br />
zur ambulanten Suchthilfe unterhält.<br />
Ehemalige Drogenabhängige und mit Ersatzstoffen<br />
substituierte Personen stehen<br />
hinter der Käsetheke, bedienen die Kasse<br />
oder füllen die Regale auf. Auch wenn<br />
König seine momentan zehn Klienten in<br />
erster Linie als normale Mitarbeitende<br />
sieht, musste er in die Aufgabe hineinwachsen.<br />
«Ich musste herausfinden, wie<br />
Drogenabhängige ticken», sagt er.<br />
Den sozialen Auftrag erfüllen und<br />
gleichzeitig den Laden rentabel führen −<br />
dieser Spagat gelingt nicht immer ohne<br />
Konflikte, ist aber auch das, was König<br />
reizt. Denn sowohl das Interesse am<br />
unternehmerischen Handeln wie auch<br />
am Sozialen haben den Berufsweg des<br />
43-Jährigen geprägt.<br />
Verantwortung als grosser Bruder<br />
Ursprünglich lernte König Hochbauzeichner.<br />
«Bereits in der ersten Woche merkte<br />
ich, das bleibt nicht mein Beruf. Viel zu statisch!»<br />
Er jobbte in der Gastronomie,<br />
machte Erfahrungen im Buchhandel und<br />
Gemüseverkauf. Aber auch das Soziale<br />
spielte in seinem Leben schon immer eine<br />
Rolle. Vielleicht, weil er als ältestes von vier<br />
Kindern viel Verantwortung für seine geistig<br />
behinderte Schwester übernommen<br />
habe, sagt er. «Beim Wandern schaute ich<br />
immer: Kann sie hier gehen oder besteht<br />
die Gefahr, dass sie abstürzen könnte?»<br />
Der junge Mann engagierte sich in der<br />
Gassenküche, arbeitete in der Notschlafstelle<br />
und im Flüchtlingszentrum. Trotz<br />
des Interesses an der sozialen Arbeit entschied<br />
sich König für keine solche Ausbildung<br />
und konnte sich längerfristig nicht<br />
vorstellen, ausschliesslich im Sozialbereich<br />
zu arbeiten. «Ich merkte, da würde ich an<br />
meine Grenzen kommen, das geht mir zu<br />
nahe.» Seiner grossen Klappe verdankte<br />
er es, erzählt König schmunzelnd, dass<br />
ihm, trotz der fehlenden Ausbildung und<br />
noch nicht 30 geworden, die Leitung eines<br />
Flüchtlingszentrums übertragen wurde.<br />
Nach einem halben Jahr wurde dieses mit<br />
dem Ende des Kosovokriegs 1999 aber<br />
bereits wieder geschlossen. König wurde<br />
wieder arbeitslos, war aber nicht ohne<br />
Ideen: Er schnappte sich ein Velo und fuhr<br />
von Bern nach Benin. «Im Dezember kam<br />
ich in Marokko an und realisierte: In Afrika<br />
gibts ja Schnee!»<br />
Länger geblieben als geplant<br />
Nach seiner Rückkehr aus Afrika war die<br />
Stelle als Betriebsleiter des «Lolas» ausgeschrieben:<br />
Eine Stelle, die seine verschiedenen<br />
Kompetenzen zusammenbrachte<br />
und wie geschaffen für ihn schien. König,<br />
der vorher nie länger als ein, zwei Jahre irgendwo<br />
gearbeitet hatte, wurde beim Vorstellungsgespräch<br />
gefragt, wie lange er gedenke<br />
zu bleiben. Er sagte: «Ungefähr drei<br />
Jahre.» Und dachte für sich: «Höchstens<br />
zwei!» Unterdessen führt Daniel König den<br />
Laden seit 15 Jahren. Das Bleiben hat auch<br />
mit seiner privaten Situation zu tun gehabt:<br />
mit seiner Frau und zwei mittlerweile erwachsenen<br />
Kindern. Aber es war nicht nur<br />
das. «Ich habe hier so viele Freiheiten, Ideen<br />
umzusetzen.» Sagts und erzählt schon vom<br />
nächsten Projekt: Lola-Taschen, die beim<br />
Einkauf im Lorraineladen gelocht werden.<br />
Fünf Löcher geben Rabatt. «Eine Art Cumulus-Karte<br />
mit ökologischem Aspekt.» •<br />
Regine Gerber<br />
36 ZeSo 2/15 porträt
Gute Perspektiven<br />
für Fachleute der Sozialen Arbeit<br />
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Vertiefungsrichtungen<br />
Gesellschaftlicher Wandel und die Organisation Sozialer Arbeit<br />
Sozialpolitik und Sozialökonomie<br />
Professions- und Methodenentwicklung<br />
Soziale Probleme, soziale Konflikte und Lebensführung<br />
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Hochschule für Soziale Arbeit FHNW | Riggenbachstrasse 16 | 4600 Olten |<br />
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Weiterbildung, die wirkt!<br />
Weiter<br />
Kommen<br />
Tagung: Menschen mit psychischen<br />
Problemen im System der<br />
Sozialen Sicherheit<br />
Dienstag, 25. August <strong>2015</strong>,<br />
Web-Code: T-SOZ-11<br />
Fachkurs Methodisches Handeln<br />
mit spezifischen Klientengruppen<br />
in der Sozialhilfe<br />
8 Kurstage, August bis November<br />
<strong>2015</strong>, Web-Code: K-SOZ-26<br />
Fachkurs Sozialhilfe<br />
4 Kurstage und 3 Online-<br />
Lern einheiten, November<br />
bis Dezember <strong>2015</strong>,<br />
Web-Code: K-SOZ-22<br />
CAS Soziale Arbeit im sozialen<br />
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25 Studientage, modular aufgebaut,<br />
Start jederzeit möglich,<br />
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3./4. und 24./25. November <strong>2015</strong>,<br />
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