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ZESO_1-2015_ganz

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SKOS CSIAS COSAS<br />

Schweizerische Konferenz für Sozialhilfe<br />

Conférence suisse des institutions d’action sociale<br />

Conferenza svizzera delle istituzioni dell’azione sociale<br />

Conferenza svizra da l’agid sozial<br />

ZeSo<br />

Zeitschrift für Sozialhilfe<br />

01/15<br />

SOZIALSTAAT sozialstaatliche modelle im vergleich grundbedarf<br />

aktuelle praktiken der kantone Grundrechte und Sozialhilfe Leitfaden mit<br />

praxisbeispielen medienkritik journalist daniel Binswanger im <strong>ZESO</strong>-Interview


SKOS CSIAS COSAS<br />

Schweizerische Konferenz für Sozialhilfe<br />

Conférence suisse des institutions d’action sociale<br />

Conferenza svizzera delle istituzioni dell’azione sociale<br />

Conferenza svizra da l’agid sozial<br />

MITGLIEDERVERSAMMLUNG<br />

SOZIALHILFE – QUO VADIS?<br />

Donnerstag, 28. Mai <strong>2015</strong><br />

FHNW Olten<br />

Die soziale Sicherung und die Sozialhilfe im Besonderen stehen infolge wirtschaftlicher und gesellschaftlicher<br />

Veränderungen auf dem Prüfstand. Die Globalisierung und universelle Mobilität prägen die<br />

Diskussion über die Ausgestaltung der Sozialhilfe ebenso wie die öffentliche und politische Diskussion.<br />

Die Mitgliederversammlung der SKOS beleuchtet die Bedingungen, innerhalb derer die Sozialhilfe zum<br />

Tragen kommt, aus kulturwissenschaftlicher, wirtschaftlicher und politischer Perspektive und liefert<br />

Orientierungspunkte für ihre Weiterentwicklung. In Ergänzung zu diesem Aussenblick werden die<br />

Eckpunkte der laufenden Richtlinienrevision erörtert.<br />

Programm und Anmeldung: www.skos.ch Veranstaltungen<br />

SKOS CSIAS COSAS<br />

Schweizerische Konferenz für Sozialhilfe<br />

Conférence suisse des institutions d’action sociale<br />

Conferenza svizzera delle istituzioni dell’azione sociale<br />

Conferenza svizra da l’agid sozial<br />

Rechtsberatung für SKOS-Mitglieder<br />

Sozialarbeit ist stark auf juristisches Wissen angewiesen. Viele Fragen können nur von Expertinnen und<br />

Experten beantwortet werden. Die SKOS ermöglicht ihren Mitgliedern einen privilegierten Zugang zum<br />

Beratungszentrum der Zeitschrift «Beobachter», das kompetent und umfassend Auskunft zu Rechtsfragen<br />

gibt, die sich in der Praxis der sozialen Arbeit stellen.<br />

SKOS-Mitgliedern stehen folgende Dienstleistungen des «Beobachters» zur Verfügung:<br />

- Rechtsberatung per E-Mail und Telefon (Montag bis Freitag)<br />

- Dossierstudium<br />

- Zugriff auf die Beratungsplattform HelpOnline.ch rund um die Uhr<br />

- Abonnement der Zeitschriften «Beobachter» und «Beobachter Natur»<br />

Ab 660 Franken pro Jahr. Der Preis orientiert sich an der Anzahl Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und an<br />

den gewünschten Beratungsleistungen.<br />

Jetzt bestellen: www.skos.ch Sozialhilfe und Praxis Dienstleistungen


Michael Fritschi<br />

Verantwortlicher Redaktor<br />

ausbalancieren. verbessern!<br />

IV-Revision, ALV-Revision, Altersvorsorge und Ausgestaltung<br />

der Sozialhilfe: das Gesamtwerk der sozialen Sicherung<br />

muss gepflegt und unterhalten werden. Im aktuellen<br />

Schwerpunkt haben wir uns dem Thema Sozialstaat aus<br />

einer übergeordneten Perspektive angenähert, indem wir<br />

über die Landesgrenzen hinaus nach Deutschland, Frankreich<br />

und den USA blicken. Die vor Ort entstandenen Fachbeiträge<br />

illustrieren die Anfänge dieser Sozialstaaten und<br />

deren Weiterentwicklung bis in die heutige Zeit. Es zeigt<br />

sich, dass diese Staaten ähnliche Entwicklungen wie die<br />

Schweiz durchlaufen haben und dass sie stärker noch als<br />

die Schweiz mit steigenden Kosten und Finanzierungsengpässen<br />

konfrontiert sind.<br />

Was sich auch zeigt ist, dass ein stetiges Ausbalancieren<br />

zwischen dem Nötigen und dem Möglichen als ein gesetzmässiger<br />

Prozess verstanden werden muss und dass die<br />

öffentliche Debatte über die Ausgestaltung des Sozialstaats<br />

immer auch geprägt ist von politischen Meinungen, die den<br />

Umfang, den Sinn und die Wirkung des Sozialstaats unterschiedlich<br />

gewichten. Nationalratspräsident Stéphane<br />

Rossini, ein ausgewiesener Spezialist für Themen der Sozialpolitik<br />

und Sozialarbeit, ruft im einleitenden Beitrag aber<br />

auch in Erinnerung, dass Reformen bei den Sozialwerken<br />

nicht auf Einsparungen reduziert werden dürfen, sondern<br />

immer auf Verbesserungen zielen müssen. Wie diese auf die<br />

Sozialhilfe bezogen aussehen könnten, legen zwei Sozialamtsvorsteherinnen<br />

dar.<br />

Auch die <strong>ZESO</strong> will sich inhaltlich weiterentwickeln. Mit der<br />

neuen Rubrik «Forum» haben wir einen Raum geschaffen<br />

für Meinungen und Diskussionen (Seite 34). Der erste Beitrag<br />

stammt vom Sozialhilfekritiker und Könizer Gemeindepräsident<br />

Ueli Studer.<br />

Ich wünsche Ihnen eine anregende Lektüre.<br />

editorial 1/15 ZeSo<br />

1


SCHWERPUNKT14–25<br />

sozialstaat<br />

Der Schwerpunkt stellt die Ausgestaltung des<br />

Sozialstaats im Allgemeinen und der Sozialhilfe<br />

im Speziellen in ein «internationales» Licht.<br />

Welche Errungenschaften bewähren sich und<br />

welche systemrelevanten Probleme zeigen sich<br />

in anderen industriell hochentwickelten Staaten?<br />

Ergänzend dazu ein Plädoyer von Nationalratspräsident<br />

Stéphane Rossini für eine dynamische<br />

Anpassung der Sozialwerke und Einschätzungen<br />

von zwei Sozialamtsleiterinnen.<br />

<strong>ZESO</strong> zeitschrift für sozialhilfe<br />

Herausgeberin Schweizerische Konferenz für Sozialhilfe SKOS,<br />

www.skos.ch Redaktionsadresse Redaktion <strong>ZESO</strong>, SKOS,<br />

Monbijoustrasse 22, Postfach, CH-3000 Bern 14, zeso@skos.ch,<br />

Tel. 031 326 19 19 Redaktion Michael Fritschi, Regine Gerber<br />

Redaktionelle begleitung Dorothee Guggisberg Autorinnen<br />

und Autoren in dieser Ausgabe Gülcan Akkaya, Sabine Boss,<br />

Dominik Grillmayer, Christin Kehrli, Paula Lanfranconi,<br />

Marie-Christine Mousson, Paul Rechsteiner, Stéphane Rossini,<br />

Renzo Ruf, Mario Stübi, Ueli Studer, Ruth Ziörjen Titelbild Rudolf<br />

Steiner layout Marco Bernet, mbdesign Zürich Korrektorat<br />

Karin Meier Druck und Aboverwaltung Rub Media AG, Postfach,<br />

3001 Bern, zeso@rubmedia.ch, Tel. 031 740 97 86 preise<br />

Jahresabonnement CHF 82.– (für SKOS-Mitglieder CHF 69.–), Einzelnummer<br />

CHF 25.–. Jahresabonnement ausland CHF 120.–.<br />

© SKOS. Nachdruck nur mit Genehmigung der Herausgeberin.<br />

Die <strong>ZESO</strong> erscheint viermal jährlich.<br />

ISSN 1422-0636 / 112. Jahrgang<br />

Bild: Rudolf Steiner<br />

Erscheinungsdatum: 9. März <strong>2015</strong><br />

Die nächste Ausgabe erscheint im Juni <strong>2015</strong>.<br />

2 ZeSo 1/15 inhalt


INHALT<br />

5 Steuerfreiheit des Existenzminimums<br />

statt Sozialhilfe<br />

besteuern.<br />

Kommentar von Paul Rechsteiner<br />

6 13 Fragen an Sabine Boss<br />

8 Praxis: Leben in einer WG – wie<br />

berechnet sich der Grundbedarf?<br />

9 Serie «Monitoring Sozialhilfe»:<br />

Aktuelle Praktiken bei der<br />

Ausrichtung des Grundbedarfs<br />

10 «Die Medien sind aggressiver und<br />

ruchloser geworden»<br />

Interview mit Daniel Binswanger<br />

14 SCHWERPUNKT: sozialstaat<br />

16 Die Bedeutung des Sozialstaats<br />

und der Beitrag der Sozialpolitik zur<br />

Gesellschaft<br />

18 Sozialer Schutz in Deutschland und<br />

in Frankreich<br />

21 Der US-amerikanische Sozialstaat ist<br />

sehr dezentral organisiert<br />

23 «Das grösste Problem sind<br />

Personen ohne Berufsausbildung»<br />

Die ERFOLGSREGISSEURIN<br />

Der Kolumnist<br />

GRUNDRECHTE und SOZIALHILFE<br />

Regisseurin Sabine Boss will mit ihren<br />

Filmen einen Beitrag für eine tolerante<br />

Gesellschaft leisten. Für «Der Goalie bin ig»<br />

gewann sie den Schweizer Filmpreis in zwei<br />

Kategorien.<br />

6<br />

Wirtschaftsjournalist und Politik-Beobachter<br />

Daniel Binswanger reflektiert im <strong>ZESO</strong>-<br />

Interview die öffentliche Debatte über die<br />

Sozialhilfe und die schwindende Fähigkeit<br />

der Medien, mit emotionsgeladenen Themen<br />

umzugehen. Und er erklärt, wo er bei der<br />

Sozialhilfe Handlungsbedarf sieht.<br />

10<br />

Die Wahrung von Grund- und<br />

Menschenrechten ist in der Sozialhilfe<br />

grundsätzlich unbestritten. Ihre<br />

konkrete Ausgestaltung und mögliche<br />

Einschränkungen geben in der Praxis aber<br />

immer wieder Anlass zu Diskussionen.<br />

26 Grund- und Menschenrechte in der<br />

Sozialhilfe<br />

28 Drei Praxisbeispiele zum Umgang mit<br />

Grundrechten<br />

30 Was Google nützt, hilft auch<br />

behinderten Usern. Reportage über<br />

die Stiftung «Zugang für alle»<br />

32 Plattform: Dachverband der<br />

Schweizer Jugendparlamente<br />

34 Forum: «Freibeträge für selbstverständliche<br />

Leistungen stehen<br />

quer in der Landschaft»<br />

34 Service: Veranstaltungen und<br />

Lesetipps<br />

36 Porträt: Diane Baatard macht als<br />

Märchchenfee Krankenbesuche<br />

Märchen für Kranke Kinder<br />

26<br />

Die pädiatrische Onko-Hämatologie des<br />

Universitätsspitals Genf ist eine Station,<br />

die man nur mit Schutzkleidung betreten<br />

darf. Mit Geschichten holt Diane Baatard die<br />

jungen Patientinnen und Patienten für einen<br />

Moment aus ihrer Isolation.<br />

36<br />

inhalt 1/15 ZeSo<br />

3


NACHRICHTEN<br />

Engere Zusammenarbeit<br />

von SKOS und SODK<br />

Die Konferenz der Sozialdirektorinnen und<br />

Sozialdirektoren (SODK) und die SKOS haben<br />

vereinbart, die Zusammenarbeit im<br />

Bereich der Sozialhilfe zu optimieren. Zweck<br />

der Vereinbarung ist, die fachliche und politische<br />

Verantwortung klarer zu trennen und<br />

die politische Legitimation der Richtlinien<br />

zu stärken. Die SKOS wird die Richtlinien<br />

weiterhin unter fachlichen Gesichtspunkten<br />

erarbeiten. Zukünftige Richtlinienrevisionen<br />

wird die SKOS der SODK vorlegen und die<br />

SODK wird diese verabschieden.<br />

Moderate Zunahme<br />

der Fallzahlen<br />

Die Sozialhilfestatistik 2013 des BFS zeigt<br />

eine beinahe unveränderte Sozialhilfequote<br />

von 3,2 Prozent (Vorjahr: 3,1 Prozent). Die<br />

Fallzahlen sind hingegen erneut moderat<br />

angestiegen. 2013 wurden in der Schweiz<br />

rund 257 000 Personen mit Sozialhilfeleistungen<br />

unterstützt, das sind 7000<br />

mehr als im Vorjahr. Die Zunahme ist unter<br />

anderem auf das Bevölkerungswachstum<br />

zurückzuführen. Es zeigt sich aber auch,<br />

dass die Fallzahlen unabhängig von der<br />

Konjunkturlage steigen und auch in Veränderungen<br />

im Arbeitsmarkt, steigenden Lebenshaltungskosten<br />

sowie in Restriktionen<br />

bei den vorgelagerten Leistungssystemen<br />

begründet sind. Weiterhin sind rund ein<br />

Drittel aller Sozialhilfebeziehenden Kinder<br />

und Jugendliche. Daneben sind eine Zunahme<br />

von Einpersonen- und Langzeitfällen<br />

sowie mehr ältere Sozialhilfebeziehende zu<br />

verzeichnen.<br />

Grundlagenpapier zu<br />

Schulden und Sozialhilfe<br />

Schulden und Sozialhilfe sind eng miteinander<br />

verknüpft. Überschuldete Personen<br />

leben oft am oder unter dem Existenzminimum.<br />

Ein Abgleiten in die Sozialhilfe kann<br />

eine Folge davon sein. Der Anreiz, sich wieder<br />

aus der Sozialhilfe abzulösen, ist für verschuldete<br />

Sozialhilfebeziehende gering, da<br />

bei der Wiederaufnahme einer Erwerbstätigkeit<br />

eine Lohnpfändung droht. Ein SKOS-<br />

Grundlagenpapier beleuchtet Ursachen und<br />

Folgen der Überschuldung bei Sozialhilfebeziehenden,<br />

zeigt Praxiserfahrungen zum<br />

Umgang mit Betroffenen auf und skizziert<br />

Lösungsansätze für die Praxis.<br />

Das SKOS-Co-Präsidium Therese Frösch und Felix Wolffers lancieren gemeinsam mit SODK-<br />

Präsident Peter Gomm (links) die Vernehmlassung zu den SKOS-Richtlinien. Bild: Béatrice Devènes<br />

Die Vernehmlassung der Richtlinien läuft<br />

Die SKOS hat am 30. Januar <strong>2015</strong> im<br />

Beisein von Peter Gomm, Präsident der kantonalen<br />

Konferenz der Sozialdirektorinnen<br />

und Sozialdirektoren (SODK), über die verbandsinterne<br />

Vernehmlassung zu den SKOS-<br />

Richtlinien orientiert. Die Vernehmlassung,<br />

die bis Mitte März läuft, bildet den Auftakt<br />

zur geplanten Teilrevision der Richtlinien<br />

auf Anfang 2016. Mit der Vernehmlassung<br />

erhalten die SKOS-Mitglieder die Gelegenheit,<br />

sich zum im Jahr 2005 anlässlich der<br />

letzten Totalrevision eingeführten Anreizsystem<br />

und zur Höhe des Grundbedarfs zu<br />

äussern, der damals um sieben Prozent gesenkt<br />

wurde. Die in der Vernehmlassung<br />

formulierten Fragen basieren auf den Resultaten<br />

zweier Studien (s. unten). Gleichzeitig<br />

nimmt die SKOS in der Vernehmlassung die<br />

von einzelnen Mitgliedern öffentlich geäusserte<br />

Kritik an den Richtlinien auf. So werden<br />

namentlich auch die Sanktionsmöglichkeiten<br />

bei schwerwiegenden Fällen von<br />

Nicht-Kooperation zur Diskussion gestellt.<br />

Nach Abschluss der Vernehmlassung wird<br />

die SKOS Revisionsvorschläge erarbeiten.<br />

Diese werden im Herbst <strong>2015</strong> an einer<br />

Sozialkonferenz diskutiert, zu der die SODK<br />

einladen wird und an der auch der Schweizerische<br />

Gemeindeverband und die Städteinitiative<br />

Sozialpolitik teilnehmen werden.<br />

Anschliessend wird die SODK die Richtlinienänderungen<br />

verabschieden und den<br />

Kantonen zur Umsetzung auf den 1. Januar<br />

2016 empfehlen. •<br />

Studienergebnisse zum Grundbedarf<br />

und zum Anreizsystem liegen vor<br />

Die SKOS hat Anfang 2014 zwei Studien in<br />

Auftrag gegeben, um die Höhe des Grundbedarfs<br />

und das im Jahr 2005 eingeführte<br />

Anreizsystem überprüfen zu lassen. Die<br />

erste Studie hat überprüft, ob der Betrag des<br />

Grundbedarfs noch dem Konsumverhalten<br />

der einkommensschwächsten zehn Prozent<br />

der Schweizer Haushalte entsprechen. Sie<br />

zeigt, dass der Grundbedarf für Haushalte<br />

mit ein oder zwei Personen aktuell rund<br />

hundert Franken zu tief angesetzt ist. In der<br />

zweiten Studie wurden die Anwendung und<br />

Wirkung der Leistungen mit Anreizcharakter<br />

(Einkommensfreibetrag, Zulagen) analysiert.<br />

Diese Studie zeigt, dass die Anreize in<br />

den Kantonen ein breit akzeptiertes Instrument<br />

sind, um Leistungen zu honorieren<br />

oder mangelnde Kooperation zu sanktionieren,<br />

und dass die Anreizelemente sehr differenziert<br />

angewendet werden. Die Wirkung<br />

der Anreizleistungen lässt sich hingegen<br />

nicht eindeutig beurteilen, da sie in hohem<br />

Mass von den Rahmenbedingungen abhängig<br />

ist, beispielsweise vom real vorhandenen<br />

Arbeitsangebot und den Ressourcen<br />

der Betroffenen. Insgesamt zeigen die Ergebnisse<br />

der beiden Studien, dass das Zusammenspiel<br />

von bedarfsbezogenen Leistungen<br />

und den Anreizelementen grundsätzlich<br />

gut funktioniert. <br />

•<br />

4 ZeSo 1/15 aktuell


KOMMENTAR<br />

Steuerfreiheit des Existenzminimums statt<br />

Ergänzungsleistungen und Sozialhilfe besteuern<br />

In der abgelaufenen Wintersession hat der<br />

Ständerat einen Vorstoss überwiesen, der<br />

in Zukunft die Sozialhilfe und die Ergänzungsleistungen<br />

besteuern möchte. Es<br />

lohnt sich, die Folgen zu bedenken, falls<br />

das Vorhaben dereinst umgesetzt würde.<br />

Die Steuerfreiheit des Existenzminimums<br />

ist ein altes Anliegen der Armutsbekämpfung.<br />

Wer nicht mehr verdient als das<br />

strikte Minimum, das zum Leben benötigt<br />

wird, soll darauf nicht noch Steuern<br />

bezahlen müssen. Während das Anliegen<br />

auf Bundesebene bei der Bundessteuer<br />

realisiert ist, gibt es noch immer eine Reihe<br />

von Kantonen, die mit dem Steuertarif tief<br />

ins Existenzminimum eingreifen. Allen<br />

voran der Kanton Schwyz, der Einkommen<br />

ab 400 Franken monatlich besteuert.<br />

Vor diesem Hintergrund gibt es schwer zu<br />

denken, wenn politisch jetzt statt der Steuerfreiheit<br />

des Existenzminimums plötzlich<br />

die Besteuerung der Sozialhilfe und der<br />

Ergänzungsleistungen gefordert wird.<br />

Dass Leute, die arbeiten, steuerlich nicht<br />

schlechter gestellt sein sollen als Menschen,<br />

die auf Ergänzungsleistungen oder<br />

Sozialhilfe angewiesen sind, ist gewiss<br />

ein hehres Anliegen. Aber es hilft keinem<br />

sogenannten Working Poor, wenn neu auch<br />

auf der Sozialhilfe und auf den Ergänzungsleistungen<br />

Steuern bezahlt werden sollen.<br />

Vielmehr besteht die Gefahr, dass auf<br />

diesem Weg das soziale Existenzminimum<br />

für alle noch stärker heruntergefahren wird.<br />

Dass die Steuern künftig in die Berechnung<br />

des Grundbedarfs einbezogen werden,<br />

ist unrealistisch. Und ist es wirklich der<br />

Weisheit letzter Schluss, mit den ohnehin<br />

knappen Mitteln der öffentlichen Sozialhilfe<br />

neu auch noch kantonale Steuern zu<br />

finanzieren?<br />

Statt fragwürdigen Experimenten auf dem<br />

Buckel der Armen wäre es an der Zeit, die<br />

Steuerbefreiung des Existenzminimums<br />

wieder ernsthaft zum Thema zu machen.<br />

Erst zehn Jahre ist es her, seit dieses Anliegen<br />

im seinerzeitigen Steuerpaket auch ins<br />

Steuerharmonisierungsgesetz Eingang fand,<br />

damals mit ausdrücklicher Zustimmung der<br />

Kantone. Gescheitert ist dieses Steuerpaket<br />

2004 in der Volksabstimmung aus <strong>ganz</strong><br />

anderen Gründen. Die Argumente für die<br />

Steuerbefreiung des Existenzminimums<br />

sind aber seither nicht schlechter geworden.<br />

Dass nun neu die Besteuerung der<br />

Sozialhilfe und der Ergänzungsleistungen<br />

gefordert wird, hat weniger mit Sachargumenten,<br />

sondern vielmehr mit dem verstärkten<br />

Druck auf die Sozialhilfe und die<br />

Ergänzungsleistungen zu tun. Die zuständigen<br />

Organisationen wären gut beraten,<br />

diesem Druck nicht einfach nachzugeben,<br />

sondern auf der berechtigten Forderung<br />

nach Steuerfreiheit des Existenzminimums<br />

zu bestehen.<br />

Paul Rechsteiner<br />

Ständerat SP, Kanton St. Gallen<br />

aktuell 1/15 ZeSo<br />

5


13 Fragen an Sabine Boss<br />

1<br />

2<br />

3<br />

4<br />

Sind Sie eher arm oder eher reich?<br />

Ich bin weder reich geboren, noch werde ich je<br />

ein grosses Vermögen erben. Und auch meine bisherigen<br />

Einkünfte machen mich nicht reich. Aber ich<br />

verdiene anständig, so dass ich mir ab und zu auch<br />

ein schönes Kleid oder ein Möbelstück kaufen kann.<br />

Allerdings leiste ich als Regisseurin ja eigentlich Managerdienste<br />

und führe ein Team von über dreissig<br />

Menschen, dafür ist der Lohn dann doch eher niedrig.<br />

Was empfinden Sie als besonders ungerecht?<br />

Die Schere zwischen Arm und Reich klafft immer<br />

mehr auseinander. Der Mittelstand schrumpft, und<br />

ich habe das Gefühl, dass die verschiedenen Gesellschaftsschichten<br />

nicht mehr im Dialog miteinander<br />

stehen. Das ist langfristig eine katastrophale Entwicklung.<br />

Glauben Sie an die Chancengleichheit?<br />

Leider nein, aber ich denke, dass ein Land wie die<br />

Schweiz alles dafür tun muss. Reich und privilegiert<br />

Geborene haben mehr Chancen auf Bildung als Kinder<br />

aus ärmeren Verhältnissen. Dem muss man entgegen<br />

wirken. Hier finde ich die Entwicklung, dass<br />

reiche Kinder immer weniger öffentliche Schulen<br />

besuchen und stattdessen in Privatschulen gehen,<br />

sehr bedenklich.<br />

Was bewirken Sie mit Ihrer Arbeit?<br />

Ich unterhalte in erster Linie. Ich erzähle Geschichten,<br />

die die Zuschauer in eine andere Welt entführen<br />

und die sie im besten Fall die Zeit vergessen<br />

lassen. Es ist eine sehr interessante und vielschichtige<br />

Arbeit, und ich sage immer wieder, dass ich den<br />

schönsten Beruf der Welt ausüben darf. Ich habe<br />

natürlich im weitesten Sinne auch ein politisches<br />

Anliegen: Meine Filme erzählen von Menschen und<br />

ihren Problemen. Damit will ich meinen Beitrag für<br />

eine tolerante Gesellschaft leisten, in der man sich<br />

für die Belange der anderen interessiert.<br />

5<br />

6<br />

7<br />

8<br />

9<br />

Für welches Ereignis oder für welche Begegnung würden<br />

Sie ans andere Ende der Welt reisen?<br />

Ich reise eigentlich sehr gern, aber trotzdem<br />

komme ich kaum dazu und verbringe meine Ferien<br />

dann doch eher in der Schweiz. Ich kann mir ehrlich<br />

gesagt kein Treffen oder Ereignis vorstellen, für das<br />

ich ans andere Ende der Welt reisen würde. Ausser<br />

es ginge darum, jemandem zu Hilfe zu eilen, den ich<br />

liebe.<br />

Wenn Sie in der Schweiz drei Dinge verändern könnten,<br />

welche wären das?<br />

Da ich in meiner Familie miterlebe, wie schwierig<br />

es ist, Freizeitangebote für geistig behinderte Kinder<br />

zu finden, wünsche ich mir mehr Angebote in diesem<br />

Bereich. Ausserdem sind wir Schweizer Weltmeister<br />

im Kritischsein. Ich wünsche uns mehr Offenheit,<br />

mehr Neugierde, mehr Mut, aber auch mehr Selbstbewusstsein.<br />

Wir führen hier ein total privilegiertes,<br />

wunderbares Leben mit unglaublich vielen Möglichkeiten.<br />

Dafür sollten wir dankbar sein und nicht immer<br />

über Kleinkram herumstänkern. Drittens würde<br />

ich den herrschenden Regulierungswahn eindämmen<br />

wollen. Es gibt im Alltag bald kaum mehr einen<br />

Bereich, der nicht normiert und geregelt ist.<br />

Können Sie gut verlieren, und woran merkt man das?<br />

Ich kann eigentlich recht gut verlieren. Ich bin<br />

zwar ehrgeizig, schätze mich aber selber nicht so<br />

hoch ein. Deshalb ist für mich jeder Erfolg eine freudige<br />

Überraschung und keine Selbstverständlichkeit.<br />

Mit Niederlagen muss man umzugehen lernen,<br />

sonst wird man ein verbitterter Mensch. Und für<br />

mich gibt es nichts Traurigeres und Abschreckenderes<br />

als Verbitterung.<br />

Bügeln Sie Ihre Blusen selbst?<br />

Das kommt höchstens einmal im Jahr vor. Ich<br />

trage in der Regel ungebügelte Sachen. Ich besitze<br />

aber ein Bügeleisen und ein Brett, die auf ihren Einsatz<br />

warten. Mein Freund ist darin besser.<br />

Was bedeutet Ihnen Solidarität?<br />

Solidarität bedeutet für mich, dass man eine Einschätzung<br />

dessen hat, über welche Privilegien man<br />

eigentlich in diesem reichen Land verfügt und dass<br />

man versucht, diese im Rahmen der eigenen Möglichkeiten<br />

weiterzugeben. Solidarität ist aber auch<br />

das, was in Frankreich nach dem schrecklichen Attentat<br />

auf Charlie Hebdo passiert ist, dass man in<br />

Krisenzeiten zusammensteht und Mitgefühl, aber<br />

auch eine klare politische Haltung zeigt.<br />

6 ZeSo 1/15 13 fragen


sabine boss<br />

Bild: zvg<br />

Sabine Boss (49) wurde in Aarau geboren. Sie absolvierte das Fachstudium<br />

Film/Video an der Hochschule der Künste in Zürich. Danach arbeitete sie<br />

als Regieassistentin am Deutschen Schauspielhaus in Hamburg. Seit 2000<br />

ist sie als freie Autorin und Regisseurin für Film, Fernsehen und Theater<br />

tätig. 2014 erhielt sie für «Der Goalie bin ig» den Schweizer Filmpreis in den<br />

Kategorien «Bester Spielfilm» und «Bestes Drehbuch». Der Film basiert auf<br />

dem gleichnamigen Roman des Schriftstellers Pedro Lenz. Sabine Boss lebt<br />

in Zürich.<br />

10<br />

11<br />

12<br />

13<br />

Haben Sie eine persönliche Vision?<br />

Ich möchte natürlich noch viele Filme machen,<br />

die die Menschen ansprechen und berühren. Zurzeit<br />

habe ich zwei Kinoprojekte auf dem Tisch, mal<br />

schauen, wo sie mich hinführen. Nach dem nationalen<br />

Erfolg von «Der Goalie bin ig» würde ich sehr<br />

gerne einmal eine europäische Koproduktion realisieren,<br />

das wäre mein Traum.<br />

Welcher Begriff ist für Sie ein Reizwort?<br />

Entschleunigung. Das Wort tönt grossartig, aber<br />

gleichzeitig ist es total überheblich. Entschleunigen<br />

können nur Leute, die nicht ihrem Lohn nachrennen<br />

müssen. Ein anderes Reizwort ist für mich der Begriff<br />

«andenken», der oft im pädagogischen, aber<br />

auch im künstlerischen Umfeld verwendet wird.<br />

Statt etwas anzudenken, sollte man doch einfach<br />

denken − denke ich dann jeweils.<br />

Gibt es Dinge, die Ihnen den Schlaf rauben?<br />

Oh ja, in den letzten Jahren wurde das Durchschlafen<br />

immer schwieriger. Und ich habe auch heftige<br />

Träume. Gerade während Dreharbeiten verarbeite<br />

ich im Schlaf ziemlich viele Ängste. Das kann<br />

sehr unangenehm sein, denn in diesen Träumen<br />

verliere ich komplett die Kontrolle und bin angesichts<br />

einer Katastrophe völlig hilflos. Meistens versagt<br />

meine Stimme oder ich kann meine Beine nicht<br />

bewegen. Das Schöne ist aber, am Morgen aufzuwachen<br />

und zu merken, dass nichts so unlösbar und<br />

schwierig ist, wie es in der Nacht schien.<br />

Mit wem möchten Sie gerne per Du sein?<br />

Mit der Modeschöpferin Vivienne Westwood. Sie<br />

war und ist eine Pionierin auf <strong>ganz</strong> vielen verschiedenen<br />

Gebieten, nicht nur im Bereich der Mode. Sie<br />

hat sich als ehemalige Lehrerin das Schneidern selber<br />

beigebracht, sich eine riesige Karriere erarbeitet<br />

und <strong>ganz</strong> nebenbei den Punk erfunden. Ausserdem<br />

hat sie mit weit über 70 Jahren immer noch eine<br />

umwerfende modische Frechheit, mischt sich mit<br />

viel Humor in gesellschaftliche Fragen ein, und man<br />

hat das Gefühl, dass sie sich für niemanden und<br />

nichts verbiegt.<br />

13 fragen 1/15 ZeSo<br />

7


Leben in einer Wohngemeinschaft:<br />

Wie berechnet sich der Grundbedarf?<br />

Martin R. lebt in einer Wohngemeinschaft. Wie sein Grundbedarf berechnet wird, hängt davon<br />

ab, ob es sich um eine familienähnliche Wohn- und Lebensgemeinschaft oder um eine Zweck-<br />

Wohngemeinschaft handelt.<br />

Frage<br />

Martin R. hatte bis vor kurzem Anspruch<br />

auf Taggelder der Arbeitslosenversicherung.<br />

Mit den monatlichen Leistungen der<br />

Versicherung konnte er seine finanzielle<br />

Existenz sichern. Als die Taggelder der Arbeitslosenversicherung<br />

ausgeschöpft waren,<br />

musste Martin R. einen Antrag auf Sozialhilfe<br />

stellen. Von der zuständigen Sozialbehörde<br />

erhielt er die Weisung, für eine<br />

günstigere Wohnsituation besorgt zu sein.<br />

Martin R. schloss einen Untermietvertrag<br />

in einer Wohngemeinschaft mit insgesamt<br />

drei Personen ab. Er erklärt seiner Sozialarbeiterin,<br />

dass jede Person über ein<br />

eigenes Zimmer verfüge und ein gemeinsames<br />

Wohnzimmer bestehe. Dem Untermietvertrag<br />

lässt sich zudem entnehmen,<br />

dass Küche, Bad, Waschküche und Keller<br />

gemeinschaftlich genutzt werden. Weiter<br />

führt Martin R. aus, dass die Mieter getrennt<br />

einkaufen und kaum je gemeinsame<br />

Mahlzeiten einnehmen würden. Wie berechnet<br />

sich in diesem Fall der Grundbedarf für<br />

den Lebensunterhalt für Martin R.?<br />

Grundlagen<br />

Vorab ist festzustellen, dass ein (Unter-)<br />

Mietvertag nicht für eine abschliessende<br />

Qualifizierung des gemeinschaftlichen Zusammenlebens<br />

herbeigezogen werden<br />

PRAXIS<br />

In dieser Rubrik werden exemplarische Fragen aus<br />

der Sozialhilfe praxis an die «SKOS-Line» publiziert<br />

und beantwortet. Die «SKOS-Line» ist ein webbasiertes<br />

Beratungsangebot für SKOS-Mitglieder.<br />

Der Zugang erfolgt über www.skos.ch Mitgliederbereich<br />

(einloggen) SKOS-Line.<br />

kann. Es muss geprüft werden, ob Martin<br />

R. mit seinen Mitbewohnerinnen und Mitbewohnern<br />

eine familienähnliche Wohnund<br />

Lebensgemeinschaft bildet oder ob es<br />

sich um eine Zweck-Wohngemeinschaft<br />

handelt.<br />

Als familienähnliche Wohn- und Lebensgemeinschaft<br />

gelten Paare oder Gruppen,<br />

die die Haushaltführung wie Wohnen,<br />

Essen, Waschen und Reinigen gemeinsam<br />

ausüben oder finanzieren. Sie leben zusammen,<br />

bilden aber im Gegensatz zu<br />

Konkubinaten, Geschwistern oder Eltern<br />

mit ihren erwachsenen Kindern keine<br />

Unterstützungseinheit (vgl. SKOS-Richtlinien<br />

B.2.3).<br />

Es geht in erster Linie um ein Zusammenleben<br />

im gleichen Haushalt, wobei<br />

eine geschlechtliche Beziehung oder<br />

eine längerfristige gemeinsame Lebensplanung<br />

keine Voraussetzungen darstellen<br />

(vgl. Claudia Hänzi, Leistungen der<br />

Sozialhilfe in den Kantonen, in Christoph<br />

Häfeli (Hrsg.), Das Schweizerische Sozialhilferecht,<br />

2008, S. 143 f.). Bei einer<br />

Zweck-Wohngemeinschaft handelt es sich<br />

um Personen, die mit dem Zweck zusammenwohnen,<br />

die Miet- und Nebenkosten<br />

gering zu halten. Die Ausübung und die<br />

Finanzierung der Haushaltsfunktionen wie<br />

Wohnen, Essen, Waschen und Reinigen<br />

erfolgen vorwiegend getrennt. Durch das<br />

gemeinsame Wohnen werden neben der<br />

Miete weitere Kosten, die im Grundbedarf<br />

enthalten sind, geteilt und somit verringert;<br />

beispielsweise die Kosten für die<br />

Abfallentsorgung, den Energieverbrauch,<br />

das Festnetz, Internet, TV-Gebühren oder<br />

Zeitungen (SKOS-Richtlinien B.2.4).<br />

Die Grenzziehung zwischen einer familienähnlichen<br />

Wohn- und Lebensgemeinschaft<br />

und einer Zweck-Wohngemeinschaft<br />

ist mitunter schwierig und muss in<br />

jedem Fall auf die konkreten Verhältnisse<br />

abgestellt werden (vgl. Hänzi, Leistungen<br />

der Sozialhilfe in den Kantonen, S. 144).<br />

Es muss im Einzelfall entschieden werden,<br />

ob sich durch das Zusammenleben in einer<br />

Wohngemeinschaft die für eine familienähnliche<br />

Wohn- und Lebensgemeinschaft<br />

typischen wirtschaftlichen Vorteile<br />

ergeben. Das zentrale Kriterium, ob eine<br />

Wohngemeinschaft als familienähnliche<br />

Wohn- und Lebensgemeinschaft und damit<br />

als Mehrpersonenhaushalt zu behandeln<br />

ist, ist die gemeinsame Ausübung<br />

und Finanzierung aller oder mindestens<br />

wichtiger Haushaltsfunktionen wie Essen,<br />

Waschen und Reinigen.<br />

Antwort<br />

Aufgrund der Schilderung von Martin R.<br />

ist nicht davon auszugehen, dass die entscheidenden<br />

Haushaltsfunktionen gemeinsam<br />

ausgeübt oder finanziert werden.<br />

Zudem lässt sich unter den Wohnpartnern<br />

keine besondere persönliche Verbundenheit<br />

feststellen, die für ein gemeinschaftliches<br />

Zusammenleben sprechen würden.<br />

Martin R. zieht aus dem Zusammenwohnen<br />

mit seinen beiden Mitbewohnern keinen<br />

erheblichen wirtschaftlichen Vorteil.<br />

Der Spareffekt beim Grundbedarf beschränkt<br />

sich auf den Energieverbrauch<br />

und die laufende Haushaltsführung, beispielsweise<br />

Abfallentsorgung und Putzmittel<br />

sowie Internet und Zeitungsabonnement.<br />

Somit ist der Grundbedarf für den<br />

Lebensunterhalt von Martin R. unabhängig<br />

von der gesamten Haushaltsgrösse festzulegen.<br />

Er bemisst sich nach der Anzahl<br />

Personen der Unterstützungseinheit minus<br />

10 Prozent. Im Budget von Martin R.<br />

werden demnach 887 Franken für den<br />

Grundbedarf berücksichtigt, das entspricht<br />

der Rechnung 986 Franken minus<br />

10 Prozent (= 887 Fr.). •<br />

Ruth Ziörjen<br />

Kommission Richtlinien und Praxis der SKOS<br />

8 ZeSo 1/15 praxis


Aktuelle Praktiken bei der<br />

Ausrichtung des Grundbedarfs<br />

Im Rahmen des Projekts «Monitoring Sozialhilfe» erhebt die SKOS regelmässig Informationen<br />

über die Umsetzung und Ausgestaltung der Sozialhilfe in den Kantonen. Mit Blick auf die laufende<br />

Richtlinien-Vernehmlassung und die Diskussionen über die Höhe der Grundsicherung erscheint die<br />

Auslegeordnung zur kantonalen Anwendung des Grundbedarfs besonders interessant.<br />

Die SKOS hat im vergangenen Jahr begonnen,<br />

eigene Daten zur Umsetzung der Sozialhilfe<br />

in der Schweiz zu erheben, um<br />

Vergleiche über die Ausgestaltung der<br />

Sozialhilfe in den Kantonen und Gemeinden<br />

anstellen zu können. Die folgenden<br />

Informationen basieren auf den Antworten<br />

der kantonalen Sozialämter anlässlich<br />

der ersten Befragungsrunde vom Mai 2014.<br />

Die SKOS empfiehlt in den Richtlinien<br />

einen pauschalen Betrag für den Grundbedarf<br />

in der Höhe von 986 Franken. In der<br />

konkreten Praxis der Kantone existierte im<br />

Jahr 2014 eine Bandbreite von 977 bis<br />

1110 Franken für den Grundbedarf. 16<br />

Kantone operierten mit dem von der SKOS<br />

empfohlenen Betrag, sechs Kantone waren<br />

2013 der Teuerungsanpassung nicht gefolgt<br />

und gewähren einen leicht tieferen<br />

Grundbedarf von 977 Franken. In drei<br />

Kantonen liegt der Grundbedarf über tausend<br />

Franken, wobei zwei dieser Kantone<br />

das in den SKOS-Richtlinien empfohlene<br />

Anreizsystem nur beschränkt umsetzen.<br />

Durch den höheren Grundbedarf kompensieren<br />

diese Kantone den Teil der Unterstützung,<br />

den die meisten Kantone mittels<br />

Anreizleistungen auszahlen.<br />

Fr. 1100<br />

Fr. 1000<br />

Fr. 900<br />

Fr. 800<br />

Fr. 700<br />

Fr. 600<br />

Fr. 500<br />

Fr. 400<br />

GE<br />

SG<br />

TG<br />

SO<br />

BS<br />

LU<br />

NW<br />

SH<br />

AG<br />

BL<br />

Für junge Erwachsene sieht die Sozialhilfegesetzgebung<br />

in zwölf Kantonen einen<br />

um 47 bis 88 Prozent tieferen Ansatz vor.<br />

Die SKOS-Richtlinien empfehlen für die<br />

Unterstützung von Personen zwischen dem<br />

18. und dem 25. Altersjahr, die in einer<br />

Wohngemeinschaft leben, die nicht gleichzeitig<br />

auch eine Wirtschaftsgemeinschaft<br />

ist, einen Grundbedarf in der Höhe zu gewähren,<br />

wie ihn eine in einem Zweipersonenhaushalt<br />

lebende Person erhalten würde.<br />

Konkret heisst das, 1509 Franken dividiert<br />

durch zwei respektive 754 Franken und<br />

50 Rappen statt 986 Franken. Dies entspricht<br />

einer Kürzung um 76 Prozent.<br />

Sonderregelungen<br />

Einige der kantonalen Gesetzgebungen<br />

beschränken den reduzierten Ansatz auf<br />

besondere Situationen, beispielsweise der<br />

Kanton Aargau auf «unerlaubtes» Alleinwohnen.<br />

Drei Kantone dehnen die Gültigkeit<br />

des reduzierten Ansatzes auf weitere<br />

Personengruppen aus: Der Kanton Thurgau<br />

wendet diesen auf Personen bis 30<br />

Jahre an, der Kanton Genf auf über 25-Jährige<br />

in Erstausbildung, und der Kanton<br />

Basel-Stadt auf Obdachlose. Eine weitere<br />

Höhe des 2014 gültigen Grundbedarfs für Einzelpersonen (blau) und für junge Erwachsene (rot).<br />

NE<br />

BE<br />

FR<br />

TI<br />

VD<br />

AR<br />

GL<br />

JU<br />

OW<br />

SZ<br />

UR<br />

VS<br />

ZG<br />

«Monitoring Sozialhilfe»<br />

Dieser Text ist der zweite im Rahmen einer Serie<br />

von Beiträgen zur konkreten Umsetzung der<br />

Sozialhilfe in den Kantonen. Die Artikelserie<br />

gewährt Einblicke in die Vielfalt der Sozialhilfe in<br />

der Schweiz.<br />

Abweichung, die nicht spezifisch die jungen<br />

Erwachsenen betrifft, hat der Kanton<br />

Luzern eingeführt. Bei Personen, die weniger<br />

als 18 Monate in der Schweiz gearbeitet<br />

haben, wird der Grundbedarf um<br />

15 Prozent bei Einzelpersonen und um<br />

zehn Prozent bei einem Mehrpersonenhaushalt<br />

gekürzt. Unter gewissen Bedingungen<br />

sind Familien und Haushalte von<br />

Erwerbstätigen von dieser Regelung allerdings<br />

wieder ausgenommen.<br />

Die Erhebung hat gezeigt, dass die Kantone<br />

bei der Ausrichtung des Grundbedarfs<br />

die Empfehlungen der Richtlinien nachvollziehen<br />

oder sich in einer an die Empfehlungen<br />

angelehnten Bandbreite bewegen.<br />

Trotz der dargestellten kantonalen Unterschiede<br />

besteht eine grundsätzliche Einheitlichkeit.<br />

Bei jungen Erwachsenen kommt in<br />

zwölf Kantonen ein tieferer<br />

Ansatz zur Anwendung.<br />

Ferner lässt sich aus den<br />

Umfrageergebnissen folgern,<br />

dass der Grundbedarf,<br />

die situationsbedingten<br />

Leistungen und<br />

das Anreizsystem von den<br />

Kantonen zusammenhängend<br />

gehandhabt werden.<br />

<br />

•<br />

ZH<br />

GR<br />

AI<br />

Christin Kehrli<br />

Leiterin Fachbereich<br />

Grundlagen ad interim<br />

MONITORING SOZIALHILFE 1/15 ZeSo<br />

9


«Die Medien sind aggressiver<br />

und ruchloser geworden»<br />

Differenzierte Diskussionen über die Sozialhilfe und andere sozialstaatliche Themen finden in den Medien<br />

immer seltener statt. Wirtschaftsjournalist und Politik-Beobachter Daniel Binswanger reflektiert im<br />

Gespräch die Wirkung von Klickraten auf publizistische Grundsätze und das Muster politischer Strategien<br />

gegen soziale Errungenschaften. Und er erklärt, was er bei der Sozialhilfe verändern würde.<br />

Herr Binswanger, Sie kommentieren<br />

regelmässig das politische Geschehen<br />

in der Schweiz. Wie geht es der<br />

Schweiz zu Beginn des Jahres <strong>2015</strong> mit<br />

Blick auf kommende gesellschaftspolitische<br />

Herausforderungen?<br />

Der Schweiz geht es sehr gut. Die Frage<br />

ist, wie stark dieser Zustand durch politische<br />

und wirtschaftliche Risiken bedroht<br />

ist. Einerseits stehen das Verhältnis zu Europa<br />

und die Zukunft der Personenfreizügigkeit<br />

auf dem Spiel, anderseits steckt die<br />

Eurozone weiterhin in einer tiefen Krise.<br />

Wir Schweizer haben ja immer ein wenig<br />

den Reflex zu denken, dass wir nicht zur<br />

EU gehören und deshalb nicht betroffen<br />

sind von dem, was um uns herum geschieht.<br />

Das ist natürlich eine Illusion. Insbesondere<br />

falls es in Deutschland zu einer<br />

Rezession kommt, wird uns das sehr direkt<br />

betreffen.<br />

Was erwartet uns innenpolitisch?<br />

Gute, tragfähige Lösungen bedingen<br />

einen nationalen Konsens. Die<br />

Debatten zielen aber immer seltener<br />

auf eine gemeinsame Lösungssuche,<br />

dafür werden umso häufiger Eigeninteressen<br />

verfolgt. Verträgt die<br />

Schweiz auf Dauer diese «Amerikanisierung»<br />

der politischen Kultur?<br />

Das Institutionengefüge in Amerika ist<br />

seit dem Erstarken der Tea Party praktisch<br />

nicht mehr funktionsfähig. Diese Entwicklung<br />

lässt sich auf die Schweiz bezogen ein<br />

Stück weit mit dem Aufstieg der Schweizerischen<br />

Volkspartei und mit der Inflation<br />

von Initiativen, die immer radikaler werden,<br />

vergleichen. Die SVP hat sich stark<br />

nach rechts entwickelt und setzt den Bürgerblock<br />

unter Druck. Die Mitte scheint<br />

dadurch desorientiert, und das macht die<br />

Lösungsfindung schwieriger. Aber auch<br />

die SP ist weniger kompromissbereit geworden,<br />

seit sie sich als Anti-Blocher-Partei<br />

profilieren kann.<br />

Ehemalige «Wortführer» wie Economiesuisse,<br />

Gewerbeverband oder<br />

Gewerkschaften spielen heute eher in<br />

Nebenrollen. Wer kämpft hier eigentlich<br />

gegen wen?<br />

Die klassische Links-Rechts-Konfrontation<br />

hat effektiv an Relevanz eingebüsst.<br />

Die entscheidende Auseinandersetzung<br />

findet zwischen Öffnungsbefürwortern<br />

und Öffnungsskeptikern statt. Das sieht<br />

man auch daran, dass sich sowohl links wie<br />

rechts innerhalb der politischen Stammmilieus<br />

immer wieder erstaunliche Widersprüche<br />

auftun. Die Interessenvertreter<br />

der Wirtschaft waren noch nie so uneinig<br />

wie heute, und die Gewerkschaften hätten<br />

beispielsweise auch ein grosses Problem,<br />

wenn die Schweiz mit der EU ein Rahmenabkommen<br />

abschliessen würde, das<br />

vorsieht, arbeitsrechtliche Konflikte vor europäischen<br />

Gerichtshöfen zu entscheiden.<br />

Vor dem Hintergrund der Globalisierung<br />

und erhöhter Mobilität werden<br />

gesellschaftliche Errungenschaften<br />

vermehrt in Frage gestellt. Armut<br />

beispielsweise scheint weniger als<br />

Problem erkannt zu werden, das uns<br />

alle betrifft.<br />

Solidarität als gesellschaftlicher Grundwert<br />

hat an Ansehen eingebüsst. Dazu<br />

hat der aggressive Marktliberalismus beigetragen.<br />

Das zeigt sich etwa daran, dass<br />

die Steuern laufend gesenkt werden. Der<br />

Lebensstandard der Schweizer hat in den<br />

letzten zehn Jahren zwar zugenommen,<br />

aber hauptsächlich nur deshalb, weil pro<br />

Kopf mehr gearbeitet wird. Das bedeutet<br />

mehr Konkurrenz und mehr Druck, und<br />

das überträgt sich auf die Bereitschaft zu<br />

sozialem Ausgleich.<br />

Eine zweite Ursache sind die Angriffe<br />

auf die Sozialversicherungen und auf die<br />

Sozialhilfe. Sie laufen oft über Ausländerthemen.<br />

Zurzeit schiesst sich die SVP<br />

für ihren Wahlkampf ein, indem sie den<br />

Sozialhilfebezug von Eritreern thematisiert.<br />

Dieses Muster wird immer wieder<br />

angewendet: Man aktiviert Kräfte, die die<br />

Zuwanderung ablehnen, um den sozialen<br />

Ausgleich zu torpedieren. Diese politische<br />

Strategie ist sehr effizient.<br />

In der Bundesverfassung steht, «die<br />

Stärke des Volkes misst sich am Wohl<br />

der Schwachen». Ist das eher ein<br />

sozialethischer Grundsatz oder eher<br />

eine ökonomische Weisheit?<br />

Der Gedanke, dass man die Schwachen<br />

unterstützt, ist ein christlicher Wert und in<br />

unserer Gesellschaft tief verankert. Auch<br />

rechtsbürgerliche Kreise würden nie sagen,<br />

dass das falsch sei. Die Frage, wie ein Staat<br />

sein Verhältnis zu den sozial Schwachen gestalten<br />

soll, hat aber auch eine ökonomische<br />

Komponente. Wenn wenig Verdienende<br />

auch konsumieren können, profitiert die<br />

Volkswirtschaft. Eine zu grosse Einkommensungleichheit<br />

richtet ökonomischen<br />

Schaden an. Darauf weist beispielsweise<br />

auch der Internationale Währungsfonds<br />

hin. So betrachtet ist ein vernünftiger Ausgleich<br />

der Einkommensniveaus auch eine<br />

Empfehlung im volkswirtschaftlichen Sinn.<br />

Hat der Staat die Pflicht, für jene zu<br />

sorgen, die nicht arbeiten können?<br />

Eindeutig. Die Debatte wird ja auch<br />

nicht so geführt. Wer findet, dass Leute, die<br />

nicht genug verdienen, selber schuld sind<br />

an ihrer Lage, wird das nicht laut sagen.<br />

Stattdessen werden andere Debatten vorgeschoben,<br />

beispielsweise über «Betrug».<br />

Es mussten «Scheininvalide» herbeigeredet<br />

werden, mit dem Ziel, die Kosten der IV<br />

10 ZeSo 1/15 Interview


Bilder: Meinrad Schade<br />

zu senken. Bei der Sozialhilfe läuft es<br />

ähnlich. Ein paar Betrugsfälle haben es<br />

diesen Kräften ermöglicht, die Sozialhilfe<br />

über eine Missbrauchsdebatte in Misskredit<br />

zu bringen. Aktuell wird mit dem<br />

Argument angegriffen, Sozialhilfe sei zu<br />

luxuriös, insbesondere für Asylsuchende.<br />

Und der nächste Kampfbegriff wurde<br />

mit dem Begriff «Sozial-Industrie» eben<br />

erst lanciert. Er impliziert, dass Geld verschwendet<br />

wird und dass Sozialarbeiter<br />

nur daran interessiert sind, sich gegenseitig<br />

Pöstchen zuzuschieben. Auch darin<br />

schwingt der Vorwurf von unmoralischem<br />

Verhalten bis hin zum Betrug mit. Nur mit<br />

solchen Taktiken lässt sich eine Institution<br />

wie die Sozialhilfe angreifen, von der<br />

niemand ernsthaft sagen kann, dass sie<br />

grundsätzlich schlecht ist.<br />

Die Medien tragen viel dazu bei, dass<br />

die öffentliche Diskussion so prominent<br />

und oft zugespitzt geführt werden<br />

kann. Was läuft falsch in der Berichterstattung,<br />

die diese Art Auseinandersetzungen<br />

mitträgt und verstärkt?<br />

Die Medien sind insgesamt aggressiver<br />

und ruchloser geworden. Klickraten geben<br />

ihnen pausenlos ein direktes Feedback,<br />

was dazu geführt hat, dass sich die publizistischen<br />

Leitziele verändert haben. Es<br />

besteht ein grosser Beschleunigungsdruck,<br />

gleichzeitig steht weniger Personal zur Verfügung,<br />

und es herrscht eine verschärfte<br />

«Die Medien haben<br />

an Fähigkeit<br />

eingebüsst, mit<br />

emotionsgeladenen<br />

Themen vernünftig<br />

umzugehen.»<br />

Konkurrenzsituation. Dadurch haben die<br />

Medien an Fähigkeit eingebüsst, mit emotionsgeladenen<br />

Themen vernünftig umzugehen.<br />

Sind die Medien ein Teil der angesprochenen<br />

Polit-Malaise?<br />

Die Versuchung, laute und unseriöse<br />

Geschichten mit Skandalisierungspotenzial<br />

herauszuhauen, wird nicht kleiner. Kürzlich<br />

wurden im «Fall Hagenbuch» wochenlang<br />

falsche Informationen und Zahlen<br />

herumgeboten, nicht nur vom Blick, sondern<br />

auch von der NZZ am Sonntag und<br />

dem Tagesanzeiger, bevor ein Journalist<br />

nachgeforscht und die Fakten richtigstellt<br />

hat. Und auch danach wurden sie von gewissen<br />

Medien weiter ignoriert. Auch der<br />

«Carlos-Skandal» war insgesamt eine unsägliche<br />

publizistische Fehlleistung. Dem<br />

ist hinzuzufügen, dass innerhalb der Medien<br />

ideologische Kräfte wieder an Einfluss<br />

gewonnen haben.<br />

<br />

Interview 1/15 ZeSo<br />

11


Daniel Binswanger<br />

Daniel Binswanger (Jg. 1969) ist Redaktor beim<br />

Tages-Anzeiger. In seiner Kolumne in der Wochenendbeilage<br />

«Das Magazin» kommentiert er das<br />

aktuelle wirtschafts- und gesellschaftspolitische<br />

Geschehen. Daniel Binswanger hat Philosophie<br />

und Literaturwissenschaften studiert und lebt in<br />

Zürich und Paris.<br />

Was läuft aus Ihrer Sicht falsch und<br />

was läuft gut in der Sozialhilfe?<br />

Über alles betrachtet macht die Sozialhilfe<br />

einen sehr guten Job. Das liegt zum<br />

einen an der Arbeit, die in den Sozialdiensten<br />

geleistet wird, zum andern an den<br />

stabilen wirtschaftlichen Verhältnissen.<br />

Unsere sozialen Probleme sind im internationalen<br />

Vergleich klein. Vor diesem Hintergrund<br />

haben wir die Möglichkeit, eine<br />

sehr solide Sozialhilfe zu finanzieren.<br />

Kostet die Sozialhilfe zu viel?<br />

Die Kosten für die Sozialhilfe sind im<br />

Vergleich zu den Summen, um die es bei<br />

den Sozialversicherungen geht, ein kleiner<br />

Posten. Bei der Belastung des Mittelstands<br />

durch die Krankenversicherung oder der<br />

Finanzierbarkeit der Altersvorsorge sehe<br />

ich viel ernsthaftere Probleme.<br />

Sind die Unterstützungsansätze zu<br />

hoch?<br />

Zu den Standards, was die Sozialhilfe<br />

alles finanzieren soll, kann ich mich<br />

nicht im Detail äussern. Aber ich finde es<br />

eine gute Sache, dass wir den Sozialhilfebeziehenden<br />

einen guten Lebensstandard<br />

ermöglichen. Wenn Sie in andern Ländern<br />

unterwegs sind, begegnen Ihnen regelmässig<br />

Obdachlose, Strassenkinder, Alkoholiker.<br />

Jeden Winter erfrieren einige von<br />

ihnen. Und das notabene nicht in Staaten<br />

ohne Sozialsystem. Ich spreche von westlichen<br />

Staaten mit einem Sozialsystem auf<br />

niedrigem Niveau. Analoge Überlegungen<br />

gelten für die Kriminalitätsraten bei uns<br />

und in anderen Ländern. Unsere Sozialhilfe<br />

ist eine Errungenschaft, auf die wir stolz<br />

sein können.<br />

Trotzdem wird die Sozialhilfe immer<br />

wieder kritisiert.<br />

Ich sehe drei Problembereiche, wo<br />

Handlungsbedarf besteht: Bei den Unterstützungsleistungen<br />

für kinderreiche<br />

Familien, bei den Ansätzen für junge Erwachsene<br />

und beim Problem der Schwelleneffekte.<br />

Können Sie das ein wenig ausführen?<br />

Wenn kinderreiche Familien Nettoleistungen<br />

erhalten, die einem Mittelschichtseinkommen<br />

entsprechen, finde<br />

ich das auch stossend. Aber deswegen muss<br />

man die Unterstützungssätze nicht gleich<br />

halbieren. Die SKOS sollte sich überlegen,<br />

wie sich hier vertretbare Reduktionen vornehmen<br />

lassen können, beispielsweise mit<br />

günstigeren Betreuungsstrukturen. Sonst<br />

hat die SKOS ein Akzeptanzproblem, weil<br />

das Gerechtigkeitsempfinden der Bevölkerung<br />

tangiert ist.<br />

Was schlagen Sie für junge erwachsene<br />

Sozialhilfebeziehende vor?<br />

Es sollten Instrumente geschaffen werden,<br />

mit denen man renitente junge Sozialhilfebezüger<br />

zwingen kann, eine Arbeit<br />

zu suchen. Für diese Gruppe sind die Ansätze<br />

zu hoch, respektive die Anreize, sich<br />

abzulösen, sind nicht wirksam. Natürlich<br />

gibt es immer Menschen, die nicht arbeitsfähig<br />

sind, beispielsweise wegen psychischen<br />

Problemen. Man muss das von Fall<br />

zu Fall genau abklären.<br />

Zum Problem der Schwelleneffekte:<br />

Es wurden Strukturen geschaffen, die die<br />

Leute dazu verleiten, in der Sozialhilfe zu<br />

bleiben. Damit ist niemandem gedient.<br />

Das Problem hier ist, dass die Einstiegswerte<br />

extrem tief angesetzt werden müssen,<br />

um die existierenden Schwelleneffekte<br />

zu eliminieren.<br />

Das Problem bei den Schwelleneffekten<br />

sind eher die Umsysteme. Wenn<br />

man die Problematik wirklich lösen<br />

will, müssten die Mechanismen für die<br />

Besteuerung, das Prämienverbilligungssystem,<br />

die Kriterien für<br />

Stipendien und so weiter angepasst<br />

werden.<br />

Man müsste Möglichkeiten finden,<br />

Steuererlasse zu gewähren oder bei der<br />

Prämienverbilligung nach einem anderen<br />

Modus vorzugehen. Die Prämienverbilligung<br />

ist sowieso eine der grössten sozialpolitischen<br />

Baustellen in unserem Land.<br />

Hier gibt es sehr grosse Ungerechtigkeiten.<br />

Welche?<br />

Dass im Grundsatz alle gleich viel zahlen,<br />

trifft vor allem Einkommensschwache.<br />

Daran ändert die Möglichkeit, sich einen<br />

Teil der Prämie rückerstatten zu lassen, zu<br />

wenig. Für Personen mit tiefem Einkommen<br />

sind auch die reduzierten Prämien<br />

eine gewaltige Belastung. Und Familien<br />

der Mittelschicht, die keinen Anspruch auf<br />

eine Prämienverbilligung haben, zahlen<br />

für die Krankenversicherung schnell einmal<br />

10 000 Franken im Jahr. Das ist ein<br />

happiger Batzen, den nur gut Verdienende<br />

«Ich sehe drei<br />

Problembereiche:<br />

kinderreiche<br />

Familien, junge<br />

Erwachsene und<br />

Schwelleneffekte.»<br />

12 ZeSo 1/15 Interview


locker wegstecken können. Der degressive<br />

Effekt der Pro-Kopf-Prämie führt zu einer<br />

direkten Umverteilung von unten nach<br />

oben.<br />

Wie bringt man Leute, die arbeiten<br />

möchten, denen aber der Einstieg<br />

nicht mehr gelingt, zurück in den<br />

Arbeitsmarkt?<br />

In unserem wirtschaftlichen Umfeld<br />

müsste es für diese Leute möglich sein,<br />

eine Arbeit zu finden. Aber die Bereitschaft,<br />

jemanden einzustellen, der möglicherweise<br />

ein wenig «schwieriger» ist als<br />

andere, ist eher gering. Und dann spielt<br />

hier wohl auch die Personenfreizügigkeit<br />

eine erschwerende Rolle.<br />

Was halten Sie von Anreizen für die<br />

Wirtschaft, diese Leute vermehrt anzustellen?<br />

Braucht es Quoten?<br />

Quoten sind politisch sehr schwierig<br />

durchzusetzen, also ist das unrealistisch.<br />

Ein Anreizsystem für Unternehmen hingegen<br />

wäre zu prüfen. Die öffentliche Hand<br />

könnte einen Teil der Lohnnebenkosten<br />

übernehmen. Das hätte aufgrund der derzeitigen<br />

Sensibilisierung vielleicht sogar<br />

gute Chancen.<br />

Was verstehen Sie persönlich unter<br />

sozialer Gerechtigkeit?<br />

Ich sehe drei Hauptelemente, die soziale<br />

Gerechtigkeit ausmachen: Erstens,<br />

eine Gesellschaft muss sich so organisieren,<br />

dass alle Mitglieder ein menschenwürdiges<br />

Auskommen haben. Zweitens:<br />

Chancengleichheit. Zu ihrer realen Herstellung<br />

muss materiell sehr viel mehr<br />

getan werden, als das in der Regel der Fall<br />

ist. Chancengleichheit beschränkt sich nicht<br />

darauf, den besten Schülern aus einfachen<br />

Verhältnissen mit Stipendien eine Karriere<br />

zu ermöglichen. Chancengleichheit heisst,<br />

dass auch Leute aus bildungsfernen Familien<br />

eine echte Chance erhalten, sich<br />

zu entwickeln. Drittens: Innerhalb einer<br />

Gesellschaft darf es grosse Einkommensdifferenzen<br />

geben. Soziale Gerechtigkeit<br />

orientiert sich nicht am Ideal materieller<br />

Gleichheit. Aber wenn die Differenzen zu<br />

gross werden, wenn sich eine völlig abgehobene<br />

Schicht von Superreichen ausbildet,<br />

ist das kaum mehr gerecht.<br />

Wie kann ein Sozialstaat nach westlichem<br />

Muster trotz globalisierter<br />

Wirtschaftsentwicklung überleben?<br />

Ich hoffe, dass die Staatengemeinschaft<br />

sich zusammenraufen wird und international<br />

gültige Standards durchsetzt, damit<br />

die Standortkonkurrenz abnimmt und die<br />

Staaten weiterhin genügend Einnahmen<br />

generieren können, um solid finanzierte Sozialsysteme<br />

unterhalten zu können. Es wäre<br />

eine Katastrophe, wenn das kaputt ginge. •<br />

Das Gespräch führte<br />

Michael Fritschi<br />

Interview 1/15 ZeSo<br />

13


14 ZeSo 1/15 SCHWERPUNKT<br />

Bild: Rudolf Steiner


Die Bedeutung des Sozialstaats und der<br />

Beitrag der Sozialpolitik zur Gesellschaft<br />

Im Zug der regelmässigen Anpassungen bei den Sozialwerken muss darauf geachtet werden, dass<br />

«Reformen» nicht mit «Einsparungen» verwechselt werden. Diese Verwechslung ist gefährlich, weil<br />

sie nicht zur Verbesserung und Neugestaltung, sondern eher zur Abschaffung des Sozialstaats führt.<br />

Das öffentliche Leben ist ein gemeinschaftliches Werk und Gebilde,<br />

das nur im Hinblick auf das Zusammenleben einen Sinn erhält. In<br />

einer Welt, die immer stärker von einem an Profit und Einzelinteressen<br />

orientierten Individualismus geprägt ist, ist das keineswegs<br />

selbstverständlich. Deshalb hat unsere Gesellschaft seit Ende des<br />

19. Jahrhunderts verschiedene Instrumente geschaffen, um die<br />

Solidarität zu organisieren und zu strukturieren. Instrumente, die<br />

gefährdete Bevölkerungsgruppen vor Risiken schützen sollen, die<br />

gesellschaftlich relevant und von allgemeinem Interesse sind.<br />

Dank politischer Entscheide und einer engen Zusammenarbeit<br />

der Sozialpartner, also der Arbeitnehmer und Arbeitgeber, traten<br />

Sozialversicherungen und Sozialhilfe teilweise oder <strong>ganz</strong> an die<br />

Stelle der einstigen Wohltätigkeit und Sicherheits- und Gesundheitsmassnahmen.<br />

Der Verstand, das Verantwortungsbewusstsein<br />

gegenüber den Schwächsten und die Vorteile des sozialen Friedens<br />

haben zu diesem grossen Fortschritt beigetragen.<br />

In Übereinstimmung mit den jeweiligen Anforderungen der<br />

Zivilgesellschaft, politischen Impulsen und Kräfteverhältnissen<br />

entwickelte die Schweiz ein weitreichendes und qualitativ hochstehendes<br />

soziales Sicherungssystem. Heute werden die Folgen von<br />

Krankheit, Unfall, Invalidität, Arbeitslosigkeit oder Erwerbsausfall<br />

im Alter sowie die Unterstützung von Familien und Mittellosen gemeinsam<br />

von Bund, Kantonen, Gemeinden und über dreitausend<br />

gemeinnützigen Sozialwerken getragen.<br />

Sozialer Zusammenhalt<br />

Als untrennbare Einheit verschaffen Wirtschaft und Gesellschaft<br />

damit der breiten Bevölkerung Zugang zu Wohlstand. Dieses Netz<br />

aus unterschiedlichen Solidaritäten bildet das sogenannte «soziale<br />

Sicherungssystem», das einen unbestrittenen Beitrag zum Wohlergehen<br />

der Bevölkerung leistet. Es ist keine Last, es ist eine Investition<br />

in die Gemeinschaft. Nichts daran ist selbstverständlich oder<br />

gegeben, alles ist errungen. Denn der Sozialstaat, dieses grossartige<br />

Werk im Dienste des Zusammenlebens, wird seit seiner Entstehung<br />

immer wieder in Frage gestellt. Die Grundsätze, Ziele und<br />

Funktionsweisen dieses Werks werden unter dem Einfluss sich<br />

ändernder Lebensweisen und Erwartungen und der jeweiligen<br />

Wirtschaftskraft von Privathaushalten und Unternehmen immer<br />

wieder neu gestaltet. Auch die politischen Akteure beeinflussen<br />

das Werk mit ihren gesellschaftlichen Visionen, Ideologien, Sichtweisen<br />

und ihrer (Un-)Fähigkeit, zu erkennen, welch grosse Bedeutung<br />

die Gesundheits-, Sozial- und Bildungspolitik für den gesellschaftlichen<br />

und nationalen Zusammenhalt haben.<br />

Die Gesundheits-, Alters-, Familien-, Beschäftigungs- und<br />

Integrationspolitik, die Sozialversicherungen und die Sozialhilfe,<br />

die öffentlichen Akteure, die das Funktionieren der föderalisti-<br />

schen Schweiz garantieren, im Zusammenspiel mit den privaten<br />

Akteuren, die mit der Umsetzung sozialpolitischer Entscheide<br />

betraut sind – sie alle befinden sich im Zentrum eines deutlich<br />

spürbaren Wandels. Man denke nur an die neuen Technologien<br />

und Produktionsweisen oder die demografische Entwicklung,<br />

aber auch an die Veränderung, denen der Lebensstil, die Familie,<br />

unsere Beziehung zum Geld und Werte wie Fairness oder soziale<br />

Gerechtigkeit unterworfen sind.<br />

Wandel und Solidarität<br />

Diese Veränderungen schlagen sich unweigerlich in den Entscheidungsprozessen<br />

nieder. Sie geben die Richtung und die Modalitäten<br />

der Politik vor. Mit dem wissenschaftlichen Fortschritt und der<br />

Entwicklung von Analyseinstrumenten hielt eine dynamische<br />

Steuerung Einzug, die sich durch das Primat der Finanzpolitik<br />

auszeichnet. Geprägt durch die Schweizer Sparpolitik der letzten<br />

15 Jahre bringt sie Regelungen hervor, die selbst Hilfeleistungen<br />

an den Kriterien Wirtschaftlichkeit und Effizienz messen. Bei diesem<br />

Ansatz kann leicht etwas Wesentliches vergessen gehen, nämlich<br />

der eigentliche Kern jeder sozialpolitischen Massnahme: die<br />

Solidarität. In welcher Form auch immer sich die Solidarität in den<br />

politisch ausgehandelten institutionellen Konstrukten darstellt, sie<br />

ist und bleibt das Herzstück des Sozialstaats. Ist sie nicht vorhanden,<br />

besteht die Gefahr einer grundlegenden Verzerrung der Politik.<br />

Dennoch wird dieser entscheidende Grundsatz unterschätzt,<br />

oft missverstanden, manchmal in Zweifel gezogen. Bedenklich<br />

ist hierbei die Vermischung von Versicherungs- und Hilfsprinzip,<br />

die sowohl auf politischer Ebene als auch bei den mit der Umsetzung<br />

der Sozialgesetzgebung betrauten Akteuren um sich greift.<br />

Die fundamentalen Unterschiede bezüglich der sozialen Rechte,<br />

der Leistungsberechtigung und der Leistungshöhe werden<br />

heruntergespielt. Die Bestrebungen, die Sozialversicherungen zu<br />

schwächen, indem immer mehr Aufgaben und Kosten hin zur<br />

Sozialhilfe verlagert werden, sind Ausdruck dieses Phänomens.<br />

Die Folgen sind schwer zu bewältigen: Stigmatisierung, Demütigung,<br />

komplexe administrative Abläufe sowie die Weigerung, eine<br />

finanzielle oder moralische Schuld gegenüber der Gesellschaft<br />

«Der Sozialstaat ist eine<br />

gemeinschaftliche und<br />

solidarische Antwort auf<br />

die Risiken des Lebens.»<br />

16 ZeSo 1/15 SCHWERPUNKT


sozialstaat<br />

Die Gemeinschaft gibt dem Einzelnen Sicherheit.<br />

Bild: Keystone<br />

einzugehen, führen dazu, dass viele Menschen lieber auf die<br />

Leistungen verzichten und dadurch an den Rand gedrängt werden.<br />

Die Verlagerung zur Sozialhilfe bringt uns wieder zurück zur<br />

Wohltätigkeit, und das in einem Land, das zu den reichsten der<br />

Welt gehört und über ein qualitativ hochstehendes Sozialsystem<br />

verfügt. Was für ein Widerspruch! Hier liegt die grosse, selten<br />

angesprochene Herausforderung für die Entwicklung des schweizerischen<br />

Sozialstaats.<br />

Der Sozialstaat ist eine wirtschaftliche, soziale und politische<br />

Erfolgsgeschichte. Das Sozialsystem ist, entgegen den Behauptungen<br />

seiner Kritiker, keineswegs ein Problem. Es stützt die Konsumfähigkeit<br />

verschiedener Bevölkerungsgruppen und mildert<br />

dadurch die Unwägbarkeiten des Konjunkturverlaufs und die mit<br />

Krankheit oder Alter verbundenen Risiken. Rund 2,4 Millionen<br />

Menschen beziehen gegenwärtig eine AHV-Rente. Mehr als eine<br />

Million erhält eine zusätzliche Rente der beruflichen Vorsorge.<br />

Über 300 000 AHV- und IV-Rentnerinnen und -rentner müssen<br />

dank Ergänzungsleistungen nicht in Armut leben. Rund 32 Milliarden<br />

Franken zahlen Krankenkassen und Unfallversicherungen<br />

im Rahmen der medizinischen Versorgung der Bevölkerung aus.<br />

Etwa 150 000 Erwerbslose beziehen Leistungen von den regionalen<br />

Arbeitsvermittlungszentren, 230 000 Personen werden<br />

von der IV und 260 000 von der Sozialhilfe unterstützt. Rund<br />

155 Milliarden Franken ermöglichen der Bevölkerung ein würdevolles<br />

Leben in der Gesellschaft und tragen damit direkt zum<br />

sozialen Frieden bei, der wiederum eine der wichtigsten Voraussetzungen<br />

für den Wohlstand bildet. Das heisst auch: Investitionen<br />

in Milliardenhöhe und Hunderttausende von Arbeitsplätzen. Der<br />

Sozialstaat ist also kein Problem. Er ist eine gemeinschaftliche<br />

und solidarische Antwort auf die Risiken des Lebens. Er ist ein<br />

starker Wirtschaftssektor, der ausnahmslos allen Mitgliedern und<br />

Akteuren der Gesellschaft zugutekommt.<br />

Dreidimensionale Perspektive<br />

Der Sozialstaat muss sich weiterentwickeln und die dynamische<br />

Anpassung der Sozialwerke, aus denen er sich zusammensetzt,<br />

vorantreiben. Diese Entwicklung sollte zwei Ansätze vereinen. Der<br />

erste setzt auf eine sinnvolle Steuerung der Leistungen im Sinne<br />

des Service public, um so der demokratischen Forderung nach<br />

einer optimalen Ressourcenverteilung gerecht zu werden. Der<br />

zweite soll strukturelle Innovationsprozesse anstossen, um ein zu<br />

komplex gewordenes System zu vereinfachen, in dem verschiedene<br />

Teilentwicklungen Ungleichheiten und unerwünschte Nebeneffekte<br />

hervorgebracht haben. Es zeichnet sich folglich eine dreidimensionale<br />

Perspektive ab: sektorale Anpassung – systemische<br />

Reform – Service public. Nur so kann eine folgenschwere semantische<br />

Sackgasse überwunden werden: die Verwechslung des<br />

Begriffs «Reform» mit «Einsparungen». Diese Verwechslung ist gefährlich,<br />

denn sie führt nicht zur Verbesserung und Neugestaltung,<br />

sondern eher zur Abschaffung des Sozialstaats. Sie lässt ausser<br />

Acht, dass in der sozialen Unsicherheit bedrohliche Entwicklungen<br />

schlummern, beispielsweise die Schwächung der demokratischen<br />

und behördlichen Legitimation, die Rückkehr zu einer willkürlichen<br />

Behandlung bestimmter Bevölkerungsgruppen, die<br />

Zunahme von Fremdenfeindlichkeit und Ungleichheit sowie eine<br />

wirtschaftliche und gesellschaftliche Entsolidarisierung.<br />

Schliesslich muss eine nachhaltige Vision für den Sozialstaat<br />

junge Menschen noch stärker in Solidaritätsfragen einbinden. Die<br />

Beziehungen zwischen den Menschen, die unsere Gesellschaft<br />

bilden, haben nur einen Sinn und eine Perspektive, wenn sie (sozialen)<br />

Zusammenhalt und die Fähigkeit zum Zusammenleben<br />

hervorbringen. Eine der grössten Herausforderungen, die wir bewältigen<br />

müssen, ist der Entwurf, die Ausarbeitung und die strikte<br />

Umsetzung einer Strategie und eines generationenübergreifenden<br />

Systems für die soziale Sicherheit.<br />

•<br />

Stéphane Rossini<br />

Professor an den Universitäten Genf und Neuenburg<br />

Nationalratspräsident, SP<br />

SCHWERPUNKT 1/15 ZeSo<br />


Sozialer Schutz in Deutschland<br />

und in Frankreich<br />

Der Sozialstaat europäischer Prägung ist unter Druck. Das gilt in besonderem Masse für Frankreich<br />

und Deutschland, wo das Sozialversicherungssystem ähnlich wie in der Schweiz auf dem Boden der<br />

landesspezifischen gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Entwicklung auf- und ausgebaut wurde:<br />

Betrachtungen zur Entstehung und zu den Eigenheiten sowie zur Wirkung und den Perspektiven des<br />

deutschen und des französischen Sozialsystems.<br />

Sowohl Deutschland wie Frankreich verfügen im internationalen<br />

Vergleich über eines der höchsten Schutzniveaus. Die Summe der<br />

sozialen Leistungen – überwiegend finanziert über Beiträge von<br />

Arbeitgebern und Arbeitnehmern auf Erwerbseinkommen –<br />

macht rund jeden dritten Euro der jährlichen Wirtschaftsleistung<br />

aus: aktuell 32 Prozent in Frankreich und 28 Prozent in Deutschland.<br />

Allerdings stellen der Strukturwandel in den westlichen Industrienationen<br />

mit der Entstehung struktureller Arbeitslosigkeit<br />

und die stetig fortschreitende Globalisierung sowie der daraus resultierende<br />

Fokus auf die Wettbewerbsfähigkeit der eigenen Wirtschaft<br />

die langfristige Finanzierbarkeit des sozialen Schutzes zunehmend<br />

in Frage.<br />

Die Ursprünge staatlicher Fürsorge reichen in Deutschland in<br />

das ausgehende 19. Jahrhundert zurück, als Reichskanzler von<br />

Bismarck eine gesetzliche Sozialversicherung einführte, mit der<br />

die Risiken Krankheit (1883), Unfall (1884) und Alter (1889)<br />

abgedeckt werden sollten. Diese Antwort auf die mit der fortschreitenden<br />

Industrialisierung entstandenen sozialen Fragen sollte ein<br />

weiteres Erstarken der Sozialdemokratie verhindern. 1927 kam<br />

die Arbeitslosenversicherung hinzu, und 1995 – unter dem Eindruck<br />

des demografischen Wandels und der zunehmenden Zahl<br />

pflegebedürftiger Menschen – die Pflegeversicherung, so dass in<br />

Deutschland heute fünf Sozialversicherungszweige bestehen.<br />

Das deutsche System baut auf eine gute Konjunkturlage<br />

Da die Einnahmen der Sozialversicherung stark von der Konjunkturlage<br />

abhängen, haben das verlangsamte Wirtschaftswachstum<br />

seit den 1970er-Jahren und Phasen der Rezession die Finanzierung<br />

der einzelnen Sozialversicherungszweige erheblich beeinträchtigt.<br />

Die einfache Gleichung lautet: Weniger Wachstum bedeutet<br />

weniger Beschäftigung und damit auch weniger Einnahmen<br />

für die Sozialversicherung – und das in Zeiten, in denen die Kosten<br />

im Gesundheitswesen wegen des medizinischen Fortschritts<br />

unaufhörlich zunehmen und aufgrund der gestiegenen Lebenserwartung<br />

die Ausgaben für Renten und Pflege stark anwachsen.<br />

Um dieses Problem zu bewältigen, wurde zunächst auf der Einnahmeseite<br />

angesetzt, indem zum einen die Sozialversicherungsbeiträge<br />

erhöht wurden und zum anderen der Staat höhere<br />

Zuschüsse in die Sozialkassen einschiesst.<br />

Die Grenzen dieser Strategie treten allerdings seit den 1990er-<br />

Jahren deutlich zu Tage. Einerseits macht es der gestiegene internationale<br />

Konkurrenzdruck unmöglich, die Lohnnebenkosten<br />

noch weiter in die Höhe zu treiben, ohne die Wettbewerbsfähigkeit<br />

der Wirtschaft aufs Spiel zu setzen. Andererseits kann die<br />

Querfinanzierung aus Steuermitteln in Anbetracht der hohen<br />

Staatsverschuldung auf Dauer nicht beliebig weiter gehen. Ein<br />

dritter Faktor sind sinkende Wachstumsaussichten vor dem Hintergrund<br />

einer schrumpfenden Bevölkerung. Deshalb hat sich der<br />

Blick in den beiden letzten Jahrzehnten auf die Ausgabenseite verlagert.<br />

Die Folge sind Leistungskürzungen, die Erhöhung von Eigenbeteiligungen<br />

der Versicherten und steigender Effizienzdruck.<br />

Im Jahr 2014 verzeichnete Deutschland aufgrund der guten wirtschaftlichen<br />

Lage zwar ein Rekordhoch an sozialversicherungspflichtig<br />

beschäftigten Menschen (über 43 Millionen), was bei<br />

den verschiedenen Sozialversicherungszweigen für entsprechende<br />

Einnahmen sorgte. Gleichwohl beläuft sich der Bundeszuschuss<br />

zur Rentenversicherung mittlerweile auf über 80 Milliarden Euro<br />

jährlich, was rund einem Drittel der gesamten Rentenausgaben<br />

entspricht (für rund 20 Millionen Rentnerinnen und Rentner).<br />

Auch in den seit 2009 bestehenden Gesundheitsfonds, aus<br />

dem die Krankenkassen einheitliche Grundpauschalen für ihre<br />

Die Ausbildung von Sozialstaaten war eine Folge der Industrialisierung. <br />

18 ZeSo 1/15 SCHWERPUNKT


sozialstaat<br />

Versicherten erhalten, fliessen neben den Krankenversicherungsbeiträgen<br />

von Arbeitgebern und Arbeitnehmern jährliche Zuschüsse<br />

des Staates von 10 bis 14 Milliarden Euro ein. Da die<br />

Zahl der Beitragszahler aufgrund der demografischen Entwicklung<br />

langfristig sinkt und gleichzeitig die Ausgaben für Renten,<br />

Gesundheit und Pflege steigen werden, ist mit einer weiteren Erhöhung<br />

der staatlichen Zuschüsse aus Steuermitteln zu rechnen.<br />

Eine 2009 beschlossene Schuldenbremse verbietet dem Bund jedoch<br />

ab 2016 eine Neuverschuldung, so dass kommende Erhöhungen<br />

nur noch moderat ausfallen können.<br />

Ausbau der privaten Vorsorge<br />

Folglich wird die Verantwortung zunehmend auf die Bürgerinnen<br />

und Bürger verlagert, die auch privat vorsorgen sollen, um sich<br />

gegen Lebensrisiken abzusichern. Um hierfür Anreize zu schaffen,<br />

fördert der Staat bereits seit Anfang der 2000er-Jahre private<br />

Zusatzversicherungen und Sparpläne. Der Einstieg erfolgte mit<br />

der sogenannten «Riester-Rente». Parallel dazu wurde eine Obergrenze<br />

für die Höhe der Rentenbeiträge und damit die schrittweise<br />

Absenkung des Rentenniveaus beschlossen. Die gesetzliche<br />

Rentenversicherung wird in Zukunft daher in vielen Fällen nur<br />

noch eine Basisrente finanzieren, die durch Betriebsrenten und<br />

private Sparpläne aufgestockt werden muss.<br />

Diese Strategie zur Verhinderung drohender Altersarmut ist allerdings<br />

umstritten. Als Kritik wird zum einen ins Feld geführt,<br />

Bild: Krupp-Werk Essen, 1865 / Keystone<br />

dass gerade Geringverdiener, die am meisten auf eine private Zusatzrente<br />

angewiesen wären, nicht über die notwendigen Ressourcen<br />

verfügen, um den Eigenanteil für einen entsprechenden Sparplan<br />

aufzubringen. Zum anderen ist die Rendite vieler privater<br />

Sparpläne derzeit denkbar schlecht. Daher ist davon auszugehen,<br />

dass in Zukunft immer mehr Menschen aufgrund ihrer geringen<br />

gesetzlichen Rente staatliche Hilfe benötigen. Mit der «Grundsicherung<br />

im Alter und bei Erwerbsminderung» werden seit Januar<br />

2003 niedrige Alterseinkünfte unter Berücksichtigung von Einkommen<br />

und Vermögen aus Steuermitteln aufgestockt.<br />

Reformen haben das Armutsrisiko erhöht<br />

Mehr Eigenverantwortung wird seit den Arbeitsmarktreformen<br />

von 2003 bis 2005 auch Arbeitslosen abverlangt. Vor dem Hintergrund<br />

hoher Arbeitslosigkeit und knapper Kassen führte die Regierung<br />

Schröder strengere Regeln für die Inanspruchnahme von<br />

Sozialleistungen ein, um den Anreiz zu erhöhen, eine Beschäftigung<br />

aufzunehmen. Die Bezugsdauer des Arbeitslosengelds wurde<br />

gesenkt (auf in der Regel zwölf Monate), und die Arbeitslosenhilfe<br />

mit der Sozialhilfe zur sogenannten Grundsicherung für<br />

Arbeitssuchende («Hartz IV») verschmolzen. Deren Regelsatz liegt<br />

aktuell bei 399 Euro im Monat. Hinzu kommen die Kosten für<br />

(eine angemessene) Unterkunft und Heizung. Die Zahl der Hartz-<br />

IV-Empfänger beläuft sich derzeit trotz guter Konjunktur auf über<br />

sechs Millionen, darunter 4,3 Millionen erwerbsfähige Leistungsberechtigte<br />

sowie 1,7 Millionen Menschen, die im Haushalt eines<br />

Arbeitssuchenden leben, überwiegend Kinder unter 15.<br />

Parallel zu diesen Massnahmen wurde der Arbeitsmarkt flexibilisiert<br />

– unter anderem durch die Einführung von nicht sozialversicherungspflichtigen<br />

Minijobs mit einem monatlichen Entgelt von<br />

maximal 450 Euro und durch die Deregulierung von Temporärarbeit<br />

– um damit die Voraussetzungen zu schaffen, dass (vor allem<br />

geringqualifizierten) Arbeitssuchenden auch eine Beschäftigungsmöglichkeit<br />

angeboten werden kann. Des Weiteren wurden das System<br />

der Arbeitsvermittlung reformiert und der Weiterbildungssektor<br />

gestärkt. Auf die Resultate dieser Politik kann hier nicht näher<br />

eingegangen werden. Nur soviel: Die Reformen haben fraglos dazu<br />

beigetragen, den deutschen Arbeitsmarkt aufnahmefähiger zu machen,<br />

gleichzeitig aber das Armutsrisiko von Arbeitslosen deutlich<br />

erhöht.<br />

Da die Einnahmen der gesetzlichen Pflegeversicherung ebenfalls<br />

bei weitem nicht ausreichen, um die Ausgaben zu decken, und eine<br />

signifikante Erhöhung der Beiträge nicht in Frage kommt, werden seit<br />

2013 auch private Pflegezusatzversicherungen gefördert («Pflege-<br />

Bahr», nach dem damaligen Gesundheitsminister Daniel Bahr).<br />

Frankreich setzt stärker auf steuerfinanzierte Elemente<br />

Die Sécurité sociale, die französische Sozialversicherung, ist deutlich<br />

jünger als die deutsche. Mitte 19. Jahrhundert entwickelten<br />

sich zunächst genossenschaftliche Vereinigungen («Mutuelles»)<br />

zur gemeinschaftlichen Übernahme von Lebensrisiken der Arbeiter,<br />

während ein vom Staat geleisteter sozialer Schutz lange Zeit<br />

SCHWERPUNKT 1/15 ZeSo<br />

<br />

19<br />


nicht realisiert werden konnte. Nach mehreren Anläufen zur Einführung<br />

einer Sozialversicherung kam es erst nach Ende des Zweiten<br />

Weltkriegs zur Schaffung der Sécurité sociale, die sich einerseits<br />

an der Bismarck-Logik einer beitragsfinanzierten Sozialversicherung<br />

orientierte und gleichzeitig Elemente des vom britischen<br />

Lord Beveridge entworfenen Systems einer steuerfinanzierten sozialen<br />

Grundsicherung übernahm. Der Kraftakt, den aufgrund der<br />

berufsständischen Organisation der Mutuelles entstandenen<br />

Wildwuchs an Sozialkassen zu beseitigen, ist damals allerdings<br />

nicht gelungen. So besteht heute ein allgemeines System für die<br />

grosse Mehrheit der Arbeiter und Angestellten neben Sondersystemen<br />

für bestimmte Berufsgruppen (Landwirte, Selbständige) und<br />

Unternehmen, beispielsweise die französische Staatsbahn SNCF.<br />

Das Ziel, alle Bevölkerungsschichten unter dem Schirm der Sozialversicherung<br />

zu vereinen, wurde in den ersten Nachkriegsjahrzehnten<br />

und unter den Bedingungen der Vollbeschäftigung jedoch<br />

weitgehend erreicht. Parallel erfolgte ein kontinuierlicher<br />

Ausbau der Leistungen bis in die 1970er-Jahre.<br />

Parallelen und Besonderheiten der Systeme<br />

Die Sécurité sociale umfasst – wie in Deutschland – die Kranken-,<br />

eine Renten- und eine Unfallversicherung. Eine französische Besonderheit<br />

ist hingegen die Familienkasse, die nach dem Krieg vor<br />

allem aus bevölkerungspolitischen Motiven als Sozialversicherungszweig<br />

etabliert wurde und die einen Lastenausgleich schaffen<br />

sollte. Heute liegt der Schwerpunkt der Familienkasse auf der<br />

Armutsprävention und der Vereinbarkeit von Beruf und Familie.<br />

Die 1958 geschaffene Arbeitslosenversicherung finanziert sich<br />

zwar ebenfalls aus Sozialbeiträgen, wurde offiziell aber nicht in das<br />

System der Sécurité sociale integriert. Die Leistungen für pflegebedürftige<br />

Menschen werden aus Steuermitteln finanziert.<br />

Im Gegensatz zu Deutschland sah die französische Krankenversicherung<br />

von Anfang an eine Eigenbeteiligung der Versicherten<br />

vor («ticket modérateur»). So entstand die für Frankreich typische<br />

Kombination von gesetzlicher Basisversicherung und individuellem<br />

Zusatzschutz. 1999 erfolgte die Einführung einer steuerfinanzierten<br />

Krankenversicherung für Geringverdiener und Arbeitslose<br />

(Couverture maladie universelle, CMU), wobei das Modell<br />

von Basis- und Zusatzversicherung übernommen wurde: Bleiben<br />

die Jahreseinkünfte unter einer bestimmten Schwelle (für einen<br />

Einpersonenhaushalt knapp 8700 Euro), so werden alle Gesundheitskosten<br />

ohne Eigenbeteiligung übernommen.<br />

Im Bereich der Alterssicherung bestehen in Frankreich erhebliche<br />

Unterschiede zwischen den Rentenkassen der Privatwirtschaft<br />

und Sondersystemen des öffentlichen Sektors, die sich in<br />

abweichenden Altersgrenzen und Berechnungsformen und weiteren<br />

Sonderregelungen äussern. Anders als Deutschland setzt Frankreich<br />

nahezu exklusiv auf die gesetzliche Rentenversicherung<br />

und versucht seit etlichen Jahren, die dauerhafte Finanzierbarkeit<br />

eines gleich bleibend hohen Rentenniveaus durch eine schrittweise<br />

Erhöhung der für eine volle Rente erforderlichen Beitragsjahre<br />

und zuletzt auch durch eine Anhebung der Altersgrenzen zu gewährleisten.<br />

Die staatliche Förderung privater Vorsorge spielt entsprechend<br />

kaum eine Rolle. Die Defizite der Rentenkassen konnten<br />

aber nicht beseitigt werden, so dass weiterhin Reformbedarf<br />

besteht.<br />

Seit 1956 existiert im Weiteren ein steuerfinanziertes Mindesteinkommen<br />

für Bedürftige, das als «Minimum vieillesse» lange<br />

Zeit eine Reihe verschiedener Beihilfeformen beinhaltete, und an<br />

dessen Stelle zum 1. Januar 2006 die Allocation de solidarité aux<br />

personnes agées (ASPA) getreten ist. Wenn die Alterseinkünfte unter<br />

einer bestimmten Schwelle (rund 800 Euro) liegen, werden sie<br />

vom Staat aus Steuermitteln aufgestockt.<br />

Die Leistungen der französischen Arbeitslosenversicherung,<br />

die von den Sozialpartnern alle zwei Jahre neu verhandelt werden,<br />

sind bislang deutlich grosszügiger als in Deutschland, sowohl was<br />

die Dauer als auch die Höhe des Leistungsbezugs anbelangt. Angesichts<br />

einer seit Jahren hohen Arbeitslosigkeit ist das Defizit der<br />

Assurance chômage allerdings mittlerweile auf 21,4 Milliarden<br />

Euro angewachsen. Wenn kein Anspruch auf Arbeitslosengeld<br />

(mehr) besteht, greift die steuerfinanzierte Mindestsicherung<br />

(Revenu de solidarité active, RSA). Sie beträgt derzeit 509 Euro.<br />

Staatliche Zuschüsse zur Miete werden teilweise mit dem RSA verrechnet.<br />

Angesichts wachsender Defizite sah sich auch die französische<br />

Politik ab Mitte der 1970er-Jahre zu einer schrittweisen Transformation<br />

der Sozialsysteme gezwungen. Wie in Deutschland<br />

entschloss man sich dazu, die Einnahmeseite über Beitragserhöhungen<br />

zu verbessern und die Ausgaben über Leistungseinschränkungen<br />

zu reduzieren. In teilweiser Abkehr vom Bismarck-Prinzip<br />

wurde zu Beginn der 1990er-Jahre zudem eine neue Steuer, die<br />

Contribution sociale généralisée (CSG) eingeführt, die in die Sozialkassen<br />

fliesst und nicht nur auf Gehälter, sondern auch auf Kapitalerträge<br />

und Renten erhoben wird.<br />

Der Reformstress hält an<br />

Abschliessend lässt sich festhalten, dass Frankreich und Deutschland<br />

seit mehr als zwei Jahrzehnten faktisch unter Reformdauerstress<br />

sind: Beide wollen an den Grundprinzipien ihres Sozialstaats<br />

festhalten, müssen aber Leistungen kürzen oder begrenzen,<br />

um seine Finanzierbarkeit zu erhalten. Das schafft Unbehagen in<br />

der Bevölkerung. Für die Sozialsysteme beider Länder spielt die<br />

Konjunktur die Schlüsselrolle. Wir erleben gerade in Deutschland,<br />

wie sehr Wachstum und steigende Beschäftigung die Situation<br />

entspannen, während Frankreich seit einigen Jahren unter geringem<br />

Wachstum und einer hohen Arbeitslosigkeit leidet, wodurch<br />

sich die Finanzlage der Sozialversicherung weiter verschärft hat.<br />

Wenn es Frankreich gelingt, die strukturellen wirtschaftlichen<br />

Probleme zu überwinden, könnte die Sécurité sociale – wenngleich<br />

in etwas abgespeckter Form – aufgrund der günstigen<br />

demografischen Entwicklung (2,1 Kinder pro Frau) durchaus<br />

wieder ins Gleichgewicht kommen und langfristig stabilisiert<br />

werden. Gelingt es nicht, mittelfristig wieder auf einen stabilen<br />

Wachstumspfad zurückzukehren, muss das System hingegen<br />

grundlegend in Frage gestellt werden.<br />

In Deutschland werden – unabhängig von der wirtschaftlichen<br />

Entwicklung – der durch den demografischen Wandel bedingte<br />

Rückgang der Erwerbsbevölkerung und die Alterung der Gesellschaft<br />

die Belastung der Sozialkassen in den kommenden Jahrzehnten<br />

massiv erhöhen. Wenn dieser Rückgang nicht im Rahmen<br />

gehalten werden kann, etwa durch höhere Erwerbsquoten<br />

von Frauen und Älteren und durch qualifizierte Einwanderung,<br />

ist das System langfristig nicht mehr finanzierbar. •<br />

Dominik Grillmayer<br />

Deutsch-Französisches Institut Ludwigsburg<br />

20 ZeSo 1/15 SCHWERPUNKT


sozialstaat<br />

Der US-amerikanische Sozialstaat ist sehr<br />

dezentral organisiert<br />

Die Gliedstaaten verfügen über viel Handlungsspielraum bei der Definition der Vergabekriterien für<br />

Sozialleistungen und deren Bemessung. Nach der Machtübernahme der Republikaner im Kongress<br />

hat sich die Debatte über die Wirksamkeit von staatlichen Unterstützungsprogrammen zugespitzt.<br />

Die USA gelten als Land, in dessen Sozialnetz grosse Löcher klaffen.<br />

In den Augen der OECD (Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit<br />

und Entwicklung) hingegen gibt es zwischen dem<br />

Sozialstaat amerikanischer Prägung und dem Schweizer Modell,<br />

das in den Augen einer breiten Öffentlichkeit als eines der am besten<br />

ausgebauten gilt, keinen grossen Unterschied. Die Sozialausgaben<br />

der öffentlichen Hand beliefen sich im Jahr 2014 in beiden<br />

Ländern auf gut 19 Prozent des Bruttoinlandprodukts. Das sind<br />

Quoten, die deutlich unter dem OECD-Durchschnitt liegen.<br />

Dass das soziale System der USA einen schlechten Ruf hat, mag<br />

an der Entstehungsgeschichte des modernen amerikanischen<br />

Staates liegen: dem Sozialstaat schlägt in weiten Kreisen der Bevölkerung<br />

grosse Skepsis entgegen – aus sozialen, politischen und<br />

häufig auch aus rassischen Gründen. Eine andere Erklärung für<br />

die Diskrepanz in der öffentlichen Wahrnehmung des amerikanischen<br />

Sozialstaats kann darin gesucht werden, dass es sich um<br />

ein dezentrales Gebilde handelt. Zwar gibt «Washington» die Richtung<br />

vor und bestimmt in jeweils harzigen Budgetverhandlungen,<br />

wie viel Geld ins Sozialbudget fliesst. Abgerechnet wird aber über<br />

mehr als 125 staatliche Kassen, die in verschiedenen Ministerien<br />

angesiedelt sind. Zudem besitzen die 50 Bundesstaaten einen<br />

grossen Handlungsspielraum bei der Definition der Vergabekriterien.<br />

Zwischen einer Familie, die in Honolulu (Hawaii) auf staatliche<br />

Unterstützung angewiesen ist, und einem vergleichbaren<br />

Haushalt in Jackson (Mississippi) bestehen deshalb auffallend<br />

grosse Gegensätze. Und weil es sich bei den USA um einen zutiefst<br />

föderalistischen Staat handelt, bestimmen ungezählte lokale<br />

Programme die Ausprägungen der einzelnen Sozialsysteme mit.<br />

Die Denkfabrik Cato in Washington, die dem Sozialstaat kritisch<br />

gegenübersteht, berechnete kürzlich, dass sich die Einnahmen<br />

eines Sozialhilfebezügers auf Hawaii auf bis zu 49 200 Dollar<br />

pro Jahr summieren könnten, während der Maximalbetrag, der in<br />

Mississippi ausbezahlt wird, bei knapp 17 000 Dollar läge. Zum<br />

Vergleich: Im Mittel beläuft sich das Einkommen eines amerikanischen<br />

Haushalts gemäss der nationalen Volkszählungsbehörde<br />

auf knapp 52 000 Dollar (Stand 2013).<br />

<br />

Sozialhilfe the American way: Eine armutsbetroffene New Yorkerin beim Einkauf mit einer Electronic Benefit Transfer Card, die im Volksmund «Food<br />

Stamps» (Lebensmittelmarken) genannt werden.<br />

Bild: Keystone<br />

SCHWERPUNKT 1/15 ZeSo<br />


Das Basissystem<br />

Der amerikanische Sozialstaat baut auf mehreren stabilen Pfeilern<br />

auf. Am bekanntesten ist dabei die klassische und per Definition<br />

temporäre Sozialhilfe TANF (Temporary Assistance for Needy<br />

Families), die während maximal 60 Monaten bezogen werden<br />

kann. Eine wichtige Rolle spielt auch das Supplemental Nutrition<br />

Assistance Program (SNAP), der finanzielle Zuschuss an die Haushaltskasse,<br />

der im Volksmund immer noch Lebensmittelmarken<br />

genannt wird – obwohl die Auszahlung schon lange über Plastikkarten<br />

erfolgt. Hinzu kommen die staatlichen Krankenkassen für<br />

sozial Schwache (Medicaid), für Kinder (CHIP) und für Senioren<br />

(Medicare), die Arbeitslosenversicherung und die Altersversicherung<br />

(Social Security). Grosse Bedeutung kommen schliesslich<br />

auch den Steuergutschriften für Kleinverdiener und Familien<br />

(Earned Income Tax Credit) zu.<br />

Die genannten Programme – eine unvollständige Aufzählung<br />

– ergänzen sich, werden aber dezentral verwaltet und weisen unterschiedliche<br />

Kriterien bei der Vergabe und der Bemessung der<br />

Beiträge auf. Bei Medicaid und CHIP sind – nach der Umsetzung<br />

der Gesundheitsreform Obamacare – mehr als 68,5 Millionen<br />

Amerikanerinnen und Amerikaner eingeschrieben (Stand: Oktober<br />

2014). Damit kommen 21,4 Prozent der US-Bevölkerung in<br />

den Genuss einer (fast) kostenfreien Krankenversicherung. SNAP<br />

wiederum betreut 46,7 Millionen Menschen in 22,9 Millionen<br />

«Krieg gegen die Armut»<br />

Der vom demokratischen Präsidenten Lyndon B. Johnson am 8. Januar<br />

1964 ausgerufene «Krieg gegen die Armut» hatte einen massiven<br />

Ausbau des Sozialstaates zur Folge, oftmals allerdings dem Prinzip<br />

von «trial and error» folgend. Zahlreiche dieser Programme überlebten<br />

die vergangenen fünf Jahrzehnte deshalb nicht, andere wurden unter<br />

den Präsidenten Bill Clinton und Barack Obama angepasst. In den<br />

Augen der meisten Demokraten hat sich der Feldzug gegen die Armut<br />

gelohnt. Sie bemängeln höchstens, dass die öffentliche Hand just den<br />

<strong>ganz</strong> armen Amerikanerinnen und Amerikanern zu wenig unter die<br />

Arme greift. Konservative Amerikaner hingegen verweisen darauf, dass<br />

die öffentliche Hand nunmehr fast 1000 Milliarden Dollar pro Jahr für<br />

die Armutsbekämpfung ausgebe, dies aber nur geringen Einfluss auf<br />

die Armutsquote habe. Tatsächlich sind gemäss offizieller Statistik<br />

derzeit rund 15 Prozent aller Amerikaner arm und haben Anspruch<br />

auf staatliche Transferzahlungen – ähnlich hoch war die Quote schon<br />

Mitte der Sechzigerjahre. Allein: Dabei handelt es sich ein Stück weit<br />

auch um Zahlenakrobatik. Fachleute bemängeln schon lange, dass die<br />

Volkszählungsbehörde wichtige Pfeiler des Sozialstaates, zuvorderst<br />

Medicaid und Medicare sowie die Steuergutschriften, nicht in ihre Berechnungen<br />

einbeziehe. Alternative Berechnungen wie jene von Bruce<br />

Meyer (University of Chicago) und James Sullivan (University of Notre<br />

Dame) kommen zu anderen Ergebnissen. Gemäss ihren Zahlen ist<br />

die Armutsquote von 31,6 Prozent der Bevölkerung im Jahr 1960 auf<br />

8,2 Prozent im Jahr 2012 gesunken. Anderseits gibt es auch Anzeichen<br />

dafür, dass der Sozialstaat tatsächlich immer häufiger sein Ziel verfehlt.<br />

Im Jahr 2011 gingen bloss 29,5 Prozent aller TANF-Bezüger nach zwei<br />

Jahren wieder einer geregelten Arbeit nach. Dabei sieht das Gesetz<br />

vor, dass bei Nicht-Erfüllen solcher obligatorischen «work activities»<br />

(arbeitsähnliche Aktivitäten, die von einer Lehre über gemeinnützige<br />

bis hin zu bezahlter Arbeit reichen) Sanktionen drohen.<br />

Haushalten, an die pro Monat «Lebensmittelmarken» im Wert von<br />

durchschnittlich 260 Dollar ausbezahlt werden. Temporäre Sozialhilfe<br />

wiederum bezogen 2014 im monatlichen Durchschnitt<br />

820 000 Erwachsene und 2,7 Millionen Kinder. Und bei der<br />

nationalen Arbeitslosenversicherung waren Ende Dezember<br />

2014 2,5 Millionen Menschen registriert – obwohl gleichzeitig<br />

gemäss Statistik 8,7 Millionen Amerikanerinnen und Amerikaner<br />

keiner bezahlten Arbeit nachgingen. Hier ist allerdings anzufügen,<br />

dass die Arbeitslosenversicherung in den USA recht niedrige<br />

Beträge bezahlt. Selbst in Massachusetts, dem Bundesstaat mit der<br />

grosszügigsten Ausgestaltung, erhält ein Arbeitsloser höchstens<br />

698 Dollar pro Woche ausbezahlt.<br />

Kakofonie von Meinungen<br />

Dieses Meer von Zahlen erschwert den Durchblick. Selbst Experten<br />

streiten sich über den Nutzen der staatlichen Programme, die ihre<br />

Wurzeln im «Krieg gegen die Armut» haben, der 1964 von Präsident<br />

Johnson ausgerufen worden war (siehe Kasten). In der Kakofonie der<br />

Meinungen lassen sich dennoch zwei Konstanten festmachen: Unter<br />

den Klientinnen und Klienten des amerikanischen Sozialstaats sind<br />

Bevölkerungsminderheiten überproportional stark vertreten – weil<br />

Afroamerikaner, Latinos, aber auch Amerikanerinnen und Amerikaner<br />

asiatischer Herkunft häufiger in einer ökonomisch schwierigeren<br />

Situation leben als die meisten weissen Amerikaner. Und die Republikanische<br />

Partei, die nicht <strong>ganz</strong> zu Unrecht als die Partei der weissen<br />

Amerikaner porträtiert wird, will den Sozialstaat beschneiden oder<br />

zumindest das Ausgabenwachstum bremsen. In den Worten des<br />

konservativen Vordenkers Paul Ryan klingt dies folgendermassen:<br />

Washington habe es in den vergangenen Jahren versäumt, den bedürftigen<br />

Amerikanern einen Weg aufzuzeichnen, wie sie sich aus<br />

dem Teufelskreis der Armut befreien könnten. Stattdessen sei in der<br />

Hauptstadt «ein komplexes Netz» von Sozialhilfeprogrammen entstanden.<br />

Einige dieser Angebote seien hilfreich, räumt der Republikaner<br />

ein. Andere aber machten Familien bloss abhängig von staatlichen<br />

Zahlungen. Auf letztere hat es Ryan, Abgeordneter im<br />

Repräsentantenhaus, abgesehen. Nach dem Sieg seiner Partei bei der<br />

Parlamentswahl im letzten Herbst kündigte er eine «Welfare Reform<br />

2.0» an, eine Anspielung auf den umstrittenen Umbau des Sozialstaates<br />

unter Präsident Clinton in den Neunzigerjahren.<br />

Mit politischem Widerstand gegen dieses Programm ist zu<br />

rechnen. In den Augen der meisten Demokraten gibt es wenig<br />

Sparpotenzial – bei der massiven Aufstockung der Sozialausgaben<br />

im Nachgang zur Finanzkrise habe es sich um einen notwendigen<br />

Schritt gehandelt. So stieg das Budget für das SNAP-Programm<br />

von 34,9 Milliarden im Jahr 2007 auf 82,5 Milliarden Dollar<br />

im Jahr 2013. Auch Präsident Obama kündigte bereits an, das<br />

Veto gegen allzu radikale Sparvorschläge der Republikaner einzulegen.<br />

Angesichts der Blockade in Washington wird sich die<br />

Aufmerksamkeit wohl bald in die einzelnen Bundesstaaten verlegen.<br />

Bereits haben konservative Gouverneure wichtiger Staaten<br />

im Mittleren Westen angekündigt, den Zugang zu den staatlichen<br />

Sozialhilfeprogrammen zu begrenzen. Und der letzte Schrei unter<br />

den konservativen Reformen ist die Forderung, dass zuerst einen<br />

Drogentest bestehen muss, wer staatliche Unterstützungsgelder<br />

erhalten will. Bereits gibt es solche rechtlich und politisch höchst<br />

umstrittene Verknüpfungen in zwölf der 50 Bundesstaaten. •<br />

Renzo Ruf, Korrespondent in Washington<br />

22 ZeSo 1/15 SCHWERPUNKT


«Das grösste Problem sind Personen<br />

ohne Berufsausbildung»<br />

sozialstaat<br />

Gespräch mit Françoise Jaques, Leiterin des Sozialamts des Kantons Waadt, und Nicole Wagner,<br />

Leiterin der Sozialhilfe Basel, über den Sozialstaat, die Akzeptanz der Sozialhilfe in der Bevölkerung und<br />

die bevorstehende Richtlinienrevision.<br />

Frau Jaques, Frau Wagner, wo drückt in Ihrem Kanton<br />

der Schuh in sozialen Fragen am meisten?<br />

Françoise Jaques: Bevor ich auf Probleme zu sprechen<br />

komme, möchte ich festhalten, dass sich die Situation im Kanton<br />

Waadt im Vergleich zu vor zehn Jahren verbessert hat. Die<br />

Zahl der Sozialhilfebeziehenden hat sich stabilisiert, der Kanton<br />

hat seine Schulden abgebaut und der Wirtschaft geht es gut. Ein<br />

grosses soziales Problem ist der Zugang zu günstigem Wohnraum.<br />

Die Hälfte der Sozialhilfekosten sind Mietkosten. Für Personen,<br />

die wenig oder kein Einkommen haben, ist die Situation extrem<br />

schwierig. Ein zweites grosses Problem sind Personen ohne Berufsausbildung.<br />

Betroffen sind insbesondere junge Sozialhilfebeziehende<br />

und Working Poor.<br />

Nicole Wagner: In Basel verzeichnen wir in den letzten Jahren<br />

eine leichte, aber stetige Zunahme der Sozialhilfebeziehenden.<br />

Unser grösstes Problem dabei sind die Niedrigqualifizierten. Sie<br />

haben kaum Chancen, eine Arbeit zu finden, von der sich leben<br />

lässt. Die Ausgangslage in Basel wird dadurch erschwert, dass<br />

die ansässige Industrie vor allem mittel- und hochqualifizierte<br />

Arbeitskräfte sucht. Dass sich Niedrigqualifizierte oft weder in<br />

Deutsch noch in Französisch oder Englisch ausdrücken können,<br />

kommt erschwerend hinzu. Die Problematik auf dem Wohnungsmarkt<br />

kennen wir natürlich auch. Und auch hier gilt: Wer mehrfach<br />

benachteiligt ist, hat noch grössere Probleme.<br />

Die Leistungen des Schweizer Sozialstaats werden im<br />

aktuellen politischen Klima immer mehr hinterfragt. Wie<br />

nehmen Sie in Ihrem Kanton die Stimmung gegenüber der<br />

Sozialhilfe wahr?<br />

Wagner: Vor einem Jahr hätte ich gesagt, dass wir in Basel kein<br />

Akzeptanzproblem haben. Seit in den Medien vermehrt über die<br />

Sozialhilfe geschrieben wird, wird die Sozialhilfe und ihre Leistungen<br />

vermehrt in Frage gestellt. Durch die meist negativen Berichte<br />

scheint es heute fast ein wenig so, als ob die Sozialhilfe für alle<br />

möglichen Probleme zuständig sei.<br />

Jaques: Ich erlebe das ähnlich. Die Sensibilität gegenüber Sozialhilfethemen<br />

hat zugenommen, die Toleranz hat abgenommen.<br />

Das bedingt eine regelmässige und transparente Kommunikation<br />

über unsere Kontroll- und Integrationsprogramme – das sind<br />

die beiden wirksamsten Massnahmen in der Sozialhilfe. Aber ich <br />

Françoise Jaques (links) und Nicole Wagner im Gespräch über aktuelle sozialstaatliche Herausforderungen. <br />

SCHWERPUNKT 1/15 ZeSo<br />

Bilder: Béatrice Devènes<br />


«Ich würde einen<br />

schweizweiten<br />

Ausgleich begrüssen,<br />

der in allen<br />

Sozialsystemen<br />

zur Anwendung<br />

gelangt.»<br />

Nicole Wagner<br />

<br />

denke, die Bevölkerung ist sich nach wie vor bewusst, dass es in jeder<br />

Gesellschaft Solidarität und sozialen Zusammenhang braucht.<br />

Bei der Abstimmung über die Ergänzungsleistungen für Familien<br />

beispielsweise erzielte die Vorlage rund 65 Prozent Zustimmung.<br />

Wagner: Wir haben viele Medienanfragen. Da werden wir<br />

dahingehend gefragt, ob wir die Leute «verwöhnen». Ich erkläre<br />

dann, dass die Ursache für die steigende Sozialhilfequote nicht bei<br />

der Sozialhilfe selbst liegt. Das lässt sich beispielsweise anhand<br />

der Arbeitslosenquote zeigen. Während es vor ein paar Jahren<br />

im Durchschnitt ein Jahr dauerte, bis man eine Arbeit gefunden<br />

hatte, die der Qualifikation entspricht, dauert es heute mehr als<br />

anderthalb mal so lang. Nach zwei bis drei Jahren verlieren viele<br />

Leute aber sowohl ihre beruflichen als auch sozialen Kompetenzen.<br />

So potenzieren sich die Probleme gegenseitig, und das<br />

wirkt sich dann auf die Sozialhilfequote aus.<br />

Je komplexer die Zusammenhänge, desto schwieriger ist<br />

die Kommunikation?<br />

Jaques: Dass wir die Zusammenhänge und unsere Massnahmen<br />

immer wieder erklären, hilft, den Druck zu vermindern. Drei<br />

Massnahmen haben <strong>ganz</strong> besonders dazu beigetragen, Druck von<br />

der Sozialhilfe wegzunehmen: Die Überbrückungsleistungen für<br />

ausgesteuerte Arbeitslose kurz vor der Pensionierung. Die Massnahme<br />

zielt darauf ab, ihnen eine vorzeitige Pensionierung ohne<br />

Abstriche bei der Rente zu ermöglichen. Mit den Ergänzungsleistungen<br />

für Familien unterstützen wir Working-Poor-Familien, die<br />

nicht in die Sozialhilfe gehören. Die dritte wichtige Massnahme<br />

zielt darauf ab, jungen Sozialhilfebeziehenden eine Ausbildung<br />

oder ein Stipendium zu ermöglichen.<br />

Wagner: Bei uns bewährt sich in dem Zusammenhang, dass<br />

wir eine interinstitutionelle Strategiegruppe zur Verhinderung<br />

von Jugendarbeitslosigkeit haben. Wir versuchen, Problemfälle<br />

sehr früh zu erkennen und Jugendliche bei der Suche nach einer<br />

Ausbildung oder Lehrstelle zu begleiten. Dazu wurden viele unterschiedliche<br />

Brückenangebote für Jugendliche geschaffen, die<br />

es ihnen erlauben, sich sprachliche und schulische Kompetenzen<br />

anzueignen. Damit erzielen wir sehr gute Resultate.<br />

Mit solchen Massnahmen kann man die Sozialhilfe<br />

entlasten, dafür fallen anderswo «Sozialkosten» an. Nun<br />

herrscht in der Schweiz ein breiter Konsens darüber, dass<br />

der Staat seine Kosten im Griff haben sollte. Haben Sie<br />

eine Idee, wie sich das Dilemma zwischen sozialem und<br />

ökonomischem Handeln überwinden lässt?<br />

Jaques: Das muss kein Dilemma sein. Beides sind wichtige<br />

Kriterien, um eine stabile Situation zu erhalten. Wenn wir ein<br />

gutes System haben, das die sozialen Risiken abfedert, schafft das<br />

ein Gleichgewicht, von dem auch die Wirtschaft profitiert. Auf der<br />

anderen Seite schafft eine gesunde Wirtschaft die Voraussetzung<br />

dafür, das Funktionieren unseres sozialen Systems zu garantieren.<br />

Und die Unternehmen sind die ersten Ansprechpartner der Sozialhilfe,<br />

wenn es darum geht, Massnahmen zur Rückkehr in den Arbeitsmarkt<br />

und Berufsausbildungen zu ermöglichen.<br />

Wagner: Die Investitionen in die soziale Sicherheit sind eine Investition<br />

in das Funktionieren und den Zusammenhalt der Gesellschaft.<br />

In Basel haben wir allerdings eine spezielle Situation, weil<br />

die grossen Arbeitgeber internationale Industrieunternehmen sind.<br />

Die Möglichkeiten, mit ihnen zu verhandeln, sind beschränkt. Wir<br />

müssen deshalb auf langfristige Investitionen setzen, etwa indem<br />

wir Niedrigqualifizierten Weiter- und Nachholbildungen ermöglichen.<br />

Solche Massnahmen zeigen keine kurzfristigen Resultate. Ihr<br />

Erfolg ist deshalb schwierig zu kommunizieren.<br />

Wie beurteilen Sie die aktuelle Diskussion über die<br />

SKOS-Richtlinien?<br />

Wagner: Ich würde es sehr begrüssen, wenn die Diskussion<br />

über die Richtlinien zu mehr Akzeptanz bei den Kantonen und<br />

Gemeinden führt. Das ist enorm wichtig für unsere Arbeit.<br />

24 ZeSo 1/15 SCHWERPUNKT


sozialstaat<br />

«Für ein wirksames<br />

Anreizsystem<br />

braucht<br />

es einen Fächer<br />

von gezielten<br />

Integrationsangeboten.»<br />

Françoise Jaques<br />

In welche Richtung soll die Revision gehen?<br />

Wagner: Ich denke, die Anreizsysteme müssen reflektiert werden.<br />

Die neuste Studie kommt zum Schluss, dass die kantonalen<br />

Unterschiede gross sind und dementsprechend ihre Wirkung<br />

nicht überall und in allen Bereichen den Erwartungen entspricht.<br />

In Basel werden die Integrationszulagen sehr zurückhaltend gesprochen.<br />

Das erhöht den Anreiz, eine Arbeit zu suchen. Wenn<br />

ausserdem jeder Kanton die Anreizmöglichkeiten anders definiert,<br />

ist das der allgemeinen Akzeptanz der Richtlinien kaum<br />

zuträglich.<br />

Die Waadt hat die letzte Revision von 2005, mit der das<br />

Anreizsystem eingeführt wurde, nicht umgesetzt. Was<br />

erwarten Sie, Frau Jaques, von der aktuellen Richtlinienrevision?<br />

Jaques: Ein Grund, weshalb der Kanton Waadt das Anreizsystem<br />

nicht eingeführt hat, war, dass wir damals nicht über die nötigen<br />

Integrationsangebote verfügten. Heute sieht das anders aus:<br />

Wir haben zahlreiche Integrations- und Ausbildungsprogramme<br />

entwickelt und wir haben die Empfehlungen der SKOS im Hinblick<br />

auf die Integration junger Sozialhilfebezüger übernommen.<br />

Sie erhalten einen reduzierten Grundbedarf, und sie werden bei<br />

der Suche nach einer Anstellung oder einem Ausbildungsplatz aktiv<br />

unterstützt. Für ein wirksames Anreizsystem braucht es einen<br />

Fächer von gezielten Integrationsangeboten.<br />

Solche Programme zu unterhalten, ist die Aufgabe der<br />

Kantone, nicht der SKOS.<br />

Wagner: Man kann die Kantone nicht zu Massnahmen und<br />

Angeboten zwingen, dazu bräuchte es ein Bundesrahmengesetz.<br />

Das Wichtigste ist, dass wir die Unterwanderung des gemeinsamen<br />

Konsenses stoppen können. Die SKOS-Richtlinien sollten<br />

die gleiche Akzeptanz erlangen wie die SIA-Normen in der Architektur,<br />

über die auch nicht immer wieder diskutiert wird.<br />

Braucht es eher eine grössere oder eher eine geringere<br />

Verbindlichkeit der Richtlinien?<br />

Jaques: Ein Wettbewerb auf der Ebene der Sozialleistungen ist<br />

äusserst schädlich. Trotzdem muss jeder Kanton die Möglichkeit<br />

haben, eine Sozialpolitik zu entwickeln, die seinen wirtschaftlichen<br />

und politischen Rahmenbedingungen entspricht.<br />

Was können die Deutschschweizer vom Westschweizer<br />

Ansatz und umgekehrt die Westschweizer vom Deutschschweizer<br />

Ansatz lernen?<br />

Jaques: In den französischsprachigen Kantonen gibt es Finanzierungsmodelle<br />

für die Sozialhilfe, die zum einen auf einer Kostenteilung<br />

zwischen Kanton und Gemeinden und zum anderen<br />

auf einem Lastenausgleich unter den Gemeinden basieren. Damit<br />

wird verhindert, dass eine einzelne Gemeinde zu hohe Sozialhilfekosten<br />

tragen muss.<br />

Wagner: Als urbane Stadtgemeinde wachsen unsere Probleme<br />

stärker als an anderen Orten. Die Auswirkungen beispielsweise<br />

von ALV- und IV-Revisionen spüren wir viel stärker und schneller.<br />

Ich würde eine Kostenverteilung auf Bundesebene begrüssen,<br />

einen schweizweiten Ausgleich, der in allen Sozialsystemen zur<br />

Anwendung gelangen würde. Dass die Sozialhilfe nicht auf der<br />

gleichen Staatsebene behandelt wird, ist ein grosses Handicap.<br />

Was könnte die Romandie von den Deutschschweizer<br />

Kantonen lernen?<br />

Jaques: Mich interessieren Präventionsmassnahmen im Gesundheitsbereich<br />

und Ansätze zum interinstitutionellen Austausch<br />

zum Wohl der Klienten, die es in verschiedenen Deutschschweizer<br />

Kantonen gibt. <br />

•<br />

Gesprächsleitung<br />

Michael Fritschi<br />


Grund- und Menschenrechte<br />

in der Sozialhilfe<br />

Die Sozialhilfe sichert bedürftigen Menschen ein Überleben in Würde. Damit dient sie der Verwirklichung<br />

fundamentaler Grund- und Menschenrechte. Während diese Funktion grundsätzlich unbestritten ist,<br />

bietet die konkrete Ausgestaltung der Sozialhilfe in der Praxis Anlass zu Diskussionen.<br />

Sozialhilfe und Grundrechte eröffnen in<br />

der Praxis immer häufiger ein Spannungsfeld.<br />

Der jüngste Ruf nach Aufhebung des<br />

Datenschutzes oder nach dem «gläsernen»<br />

Klienten, die Forderung nach einem Verbot<br />

des Autobesitzes für Sozialhilfebeziehende<br />

oder drakonischen Strafen für Sozialhilfebetrug<br />

sind Beispiele dafür. Nicht<br />

wenige öffentlich erhobene Forderungen<br />

müssen als klare Absage an verfassungsmässig<br />

garantierte Grundrechte gedeutet werden<br />

und lassen jede Verhältnismässigkeit<br />

vermissen. Auch dürfen die Grundrechte<br />

von Sozialhilfebezügerinnen und -bezügern<br />

nicht aus Spargründen eingeschränkt<br />

werden: Grundrechtsschutz kostet. Dieser<br />

Grundsatz scheint von der Öffentlichkeit<br />

in anderen Bereichen wie etwa bei Massnahmen<br />

zur Gleichstellung von Menschen<br />

mit einer Behinderung oder im Strafvollzug<br />

bereitwilliger akzeptiert zu werden als<br />

in der Sozialhilfe.<br />

In der öffentlichen Sozialhilfe werden<br />

jährlich zehntausende Verfügungen erlassen,<br />

die das Leben von Menschen betreffen,<br />

die ihren Lebensunterhalt nicht aus<br />

eigener Kraft bestreiten können. Viele dieser<br />

Entscheide verbinden staatliche Leistungen<br />

mit Eingriffen in die Grundrechte.<br />

Auflagen, Weisungen und Sanktionen gehören<br />

zum sozialarbeiterischen Alltag.<br />

Für Behörden und Fachleute in der Praxis<br />

der sozialen Arbeit stellen sich damit<br />

immer wieder heikle Fragen: Wann rechtfertigt<br />

eine Massnahme den Eingriff in<br />

ein Grundrecht? Welche Voraussetzungen<br />

müssen gegeben sein? Wie steht es mit der<br />

Güterabwägung? Wie kann ein gewünschtes<br />

Verhalten eingefordert werden? Welche<br />

Sanktionen sind zulässig? Solche Fragen<br />

lassen sich nicht immer einfach beantworten<br />

und sie stellen die Verantwortlichen vor<br />

schwierige Entscheidungen.<br />

Die Sozialhilfe hat zunächst die Aufgabe,<br />

jene Menschen zu unterstützen<br />

und ihnen Hilfe zu gewähren, die sich in<br />

einer Notlage befinden und die ihren Lebensunterhalt<br />

nicht aus eigenen Kräften<br />

bestreiten können. Sie sichert ihnen ein<br />

Überleben in Würde und dient damit der<br />

Verwirklichung fundamentaler Grundund<br />

Menschenrechte. Der in diesem Zusammenhang<br />

zentrale Artikel 12 der Bundesverfassung<br />

garantiert den Anspruch auf<br />

Existenzsicherung von Menschen, die sich<br />

Ein Leitfaden für die<br />

Praxis<br />

Das auf diesen Seiten reflektierte Zusammenspiel<br />

von Grund- und Menschenrechten und<br />

Sozialhilfe gibt Inhalte des im März erscheinenden<br />

Praxis-Leitfadens «Grund- und Menschenrechte<br />

in der Sozialhilfe» wieder. Darin<br />

werden im ersten Teil die relevanten rechtlichen<br />

Grundlagen dargelegt und die Stellung<br />

des öffentlichen Interesses, Fragen der Verhältnismässigkeit,<br />

Verfahrensfragen und die materiellen<br />

Grundrechte wie die Menschenwürde,<br />

das Recht auf Hilfe in Notlagen, das Recht auf<br />

persönliche Freiheit usw. diskutiert. Im zweiten<br />

Teil werden wichtige Handlungsinstrumente<br />

der Sozialhilfe thematisiert wie Auflagen,<br />

Weisungen und Sanktionen. Anhand verschiedener<br />

Fallbeispiele werden Herausforderungen<br />

für die Praxis besprochen und Lösungsansätze<br />

aufgezeigt (siehe Seiten 28 und 29).<br />

Der gemeinsam von der SKMR und der HSLU<br />

erarbeitete Leitfaden wird den Abonnentinnen<br />

und Abonnenten des SKOS-Newsletters kostenlos<br />

und elektronisch zur Verfügung gestellt.<br />

Literatur<br />

Schweizerische Kommission für Menschenrechtsfragen,<br />

Hochschule Luzern Soziale<br />

Arbeit (Hrsg.), Grund- und Menschenrechte in<br />

der Sozialhilfe – Ein Leitfaden für die Praxis,<br />

Interact-Verlag, <strong>2015</strong>.<br />

in einer Notlage befinden und sich nicht<br />

aus eigenen Kräften helfen können. Die<br />

Wahrung der Menschenwürde (Art. 7 BV)<br />

ist das Ziel, das allen Grundrechten übergeordnet<br />

ist. Dieser Kern ist unantastbar.<br />

Die ordentliche Sozialhilfe, wie sie in<br />

den kantonalen Sozialhilfegesetzen geregelt<br />

ist, geht über diesen Kern hinaus. Sie<br />

sieht Leistungen vor, die ein soziales Existenzminimum<br />

sichern sollen. Zudem hat<br />

die Sozialhilfe auch die sozialpolitische<br />

Funktion der Armutsbekämpfung und der<br />

Integration Armutsbetroffener in die Arbeitswelt<br />

und die Gesellschaft. Nicht alle<br />

Leistungen und Standards der Sozialhilfe<br />

sind grundrechtlich begründet. Die ordentliche<br />

Sozialhilfe geht über das verfassungsmässige<br />

Minimum hinaus.<br />

Die Grundrechte sind immer zu achten<br />

Grund- und Menschenrechte haben aber<br />

auch im Bereich der ordentlichen Sozialhilfe<br />

eine grosse Bedeutung. Zunächst sind<br />

Grundrechte wie etwa die Glaubens- und<br />

Gewissensfreiheit, die Niederlassungsfreiheit,<br />

der Schutz der Persönlichkeit oder das<br />

Diskriminierungsverbot in jedem Fall zu<br />

beachten. Sie gelten unabhängig von kantonalen<br />

Regelungen oder von der Höhe der<br />

Leistungen. Sozial Tätige und Behördenmitglieder<br />

sind stets an die Grundrechte<br />

gebunden und verpflichtet, zu deren Verwirklichung<br />

beizutragen (Art. 35 Abs. 2<br />

BV). Diese Verpflichtung ist umfassend<br />

und schliesst die Pflicht mit ein, allgemeine<br />

Erlasse auf ihre Übereinstimmung mit<br />

den Grundrechten zu überprüfen.<br />

Doch auch bei den Grundrechten kann<br />

es Einschränkungen geben. So ist eine Verweigerung<br />

der Arbeitssuche unter Berufung<br />

auf die Glaubens- oder Gewissensfreiheit<br />

ebenso unmöglich wie eine Ablehnung<br />

der Auflage, eine ärztliche Untersuchung<br />

vornehmen zu lassen. Wann immer jedoch<br />

Grundrechte eingeschränkt werden, müssen<br />

gewisse Voraussetzungen – etwa die<br />

26 ZeSo 1/15 GRUNDRECHTE


ein grundrechtswidriges Verhalten. Aber<br />

ab wann liegt eine Rechtsverzögerung vor?<br />

Schon wenn ein überlasteter Sozialdienst<br />

Termine für ein Erstgespräch erst viele<br />

Wochen später anbietet? Die Missachtung<br />

des Rechts auf rechtliches Gehör kann zur<br />

Aufhebung von Entscheiden durch die<br />

Oberinstanzen führen und Frustration auslösen,<br />

da das Verfahren wiederholt werden<br />

muss.<br />

Nicht jede Sozialberatung verläuft konfliktfrei. Unter welchen Voraussetzungen rechtfertigt eine Massnahme<br />

den Eingriff in ein Grundrecht? <br />

Bild: Rudolf Steiner<br />

Achtung der formalen Grund- und Menschenrechte<br />

– gegeben sein.<br />

Vier Voraussetzungen für<br />

Einschränkungen<br />

Eine Einschränkung der Grundrechte ist<br />

nur gerechtfertigt, wenn vier Voraussetzungen<br />

erfüllt sind: Sie braucht zunächst eine<br />

gesetzliche Grundlage. In den vergangenen<br />

Jahren haben die meisten Kantone im<br />

Rahmen von Gesetzesrevisionen neue Bestimmungen<br />

eingeführt, so dass heute die<br />

rechtlichen Grundlagen zumeist gegeben<br />

sind. Als Zweites braucht es ein öffentliches<br />

Interesse an einer Massnahme. Das<br />

Kindeswohl beispielsweise zielt auf die<br />

Vermeidung von Armut oder Missbräuchen.<br />

Aber auch die öffentliche Ordnung<br />

oder Gesundheit können solche Interessen<br />

sein. Massnahmen müssen zudem notwendig<br />

und verhältnismässig sein, weil der Ermessensspielraum<br />

gross und die Gefahr<br />

von willkürlichen Entscheiden nicht unerheblich<br />

ist. Schliesslich dürfen Auflagen<br />

und Weisungen das Grundrecht nicht in<br />

seinem Kern aushöhlen.<br />

Im Sozialhilfealltag sind weitere Grundrechte<br />

von zentraler Bedeutung. Zu nennen<br />

sind etwa die Verbote der Rechtsverweigerung<br />

und der Rechtsverzögerung<br />

auf der Basis des Rechts auf rechtliches<br />

Gehör. Die Praxis, Gesuche um Sozialhilfe<br />

nicht entgegenzunehmen, sondern die<br />

Gesuchsteller informell abzuweisen, ist<br />

Besonderheit der Sozialhilfepraxis<br />

Hier sieht sich die Praxis der Sozialhilfe zudem<br />

einer Besonderheit im Verhältnis zum<br />

Recht ausgesetzt. Ein zentraler Bezugspunkt<br />

für die soziale Arbeit bleibt der Hilfsprozess.<br />

Dieser ist ständigen Veränderungen<br />

der äusseren Verhältnisse unterworfen<br />

und bedingt eine enge Interaktion von<br />

Sozialarbeitenden und Hilfesuchenden. So<br />

können sich beispielsweise Einkommensverhältnisse<br />

oder der Bedarf an Leistungen<br />

der Klienten sehr rasch verändern. Diesen<br />

Besonderheiten steht eine Rechtsordnung<br />

gegenüber, die weniger den dynamischen<br />

Prozess betrachtet als vielmehr eine statische<br />

Ordnung von Rechten und Pflichten,<br />

die es zu einem bestimmten Zeitpunkt zu<br />

beurteilen gilt.<br />

Zum Zeitpunkt der Beurteilung einer<br />

Rechtslage, beispielsweise durch eine Rechtsmittelinstanz,<br />

können sich die Verhältnisse<br />

bereits verändert haben und es kann eine<br />

Neubeurteilung der Leistungen nötig sein.<br />

Während im Sozialversicherungsrecht ein<br />

Rentenanspruch unabhängig von der Finanzlage<br />

des Antragstellers beurteilt werden<br />

kann – gegebenenfalls in einem länger<br />

dauernden Verfahren –, muss die Sozialhilfe<br />

als letztes Netz der sozialen Sicherung<br />

den grundrechtlich garantierten<br />

Lebensunterhalt Bedürftiger auch während<br />

eines strittigen Verfahrens sicherstellen<br />

und sich so jederzeit mit neu geltend gemachten<br />

Sachverhalten auseinandersetzen.<br />

Dies führt in der Praxis zu einer anspruchsvollen<br />

Wechselwirkung zwischen Sachverhalt<br />

und rechtlicher Beurteilung. •<br />

Gülcan Akkaya<br />

Institut für Soziokulturelle Entwicklung<br />

Hochschule Luzern Soziale Arbeit<br />

GRUNDRECHTE 1/15 ZeSo<br />

27


Fallbeispiel 2<br />

Kürzung des Grundbedarfs<br />

bei Familien<br />

Ein Vater hat verschiedene Termine beim regionalen Arbeitsvermittlungszentrum<br />

nicht wahrgenommen. Aufgrund der mangelnden<br />

Kooperation wird seiner Familie, zu der neben ihm seine Frau<br />

und ein Kind gehören, der Grundbedarf für den Lebensunterhalt<br />

für ein Jahr um 15 Prozent gekürzt.<br />

Fragestellungen<br />

Ist es zulässig, dass Frau und Kinder für das Fehlverhalten des<br />

Familienvaters mitbestraft werden? Handelt es sich bei einer solchen<br />

Praxis um Sippenhaft? Müssen die Interessen der minderjährigen<br />

Kinder besonders berücksichtigt werden? Müssten in einer<br />

solchen Situation die Frau und das Kind als eigene Unterstützungseinheit<br />

betrachtet werden?<br />

Rechtliche Beurteilung<br />

In der Sozialhilfe wird eine Familie als Unterstützungseinheit behandelt.<br />

Massgebend für die Leistungen ist der Bedarf der gesamten<br />

Familie. Die Grundrechte indes stehen jedem einzelnen Mitglied<br />

zu. Entsprechend ist bei Kürzungen wegen mangelnder<br />

Kooperation zunächst zu prüfen, inwiefern sie neben dem Verursacher<br />

andere Familienmitglieder treffen. Besonders zu berücksichtigen<br />

sind dabei die Interessen der Kinder (Art. 11 BV). Wenn die<br />

Familienmitglieder einer zu sanktionierenden Person mittels einer<br />

Leistungskürzung mitbestraft werden, kommt es zu einer «Sippenhaftung»,<br />

die weder im Gesetz noch in der Verfassung eine Grundlage<br />

hat. Im vorliegenden Fall geht es darum, den Vater für sein<br />

Fehlverhalten verantwortlich zu machen. Bei individuellen Pflichtverletzungen<br />

widerspricht die kollektive Sanktionierung der<br />

gesamten Familie dem verwaltungsrechtlichen Störerprinzip. Mit<br />

Blick auf das Verhältnismässigkeitsprinzip und das Störerprinzip<br />

ist sie sogar äusserst problematisch. Wie in jedem Fall einer Sanktion<br />

ist auch hier die Verhältnismässigkeit mit Blick auf die Unterstützungseinheit<br />

zu prüfen. Gemäss SKOS-Richtlinien kann unter<br />

Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismässigkeit der Grundbedarf<br />

für den Lebensunterhalt für die Dauer von zwölf Monaten<br />

um höchstens 15 Prozent gekürzt werden. Zudem können Leistungen<br />

mit Anreizcharakter, wie der Einkommensfreibetrag, die<br />

Integrationszulagen und die Minimalen Integrationszulagen<br />

gekürzt werden. Die Situation der mitbetroffenen Unterstützungseinheit<br />

ist dabei angemessen zu berücksichtigen. Auch besteht die<br />

Möglichkeit der Direktzahlung, etwa von Ausbildungsbeiträgen<br />

für die Kinder an die entsprechenden Institutionen.<br />

Handlungsempfehlungen<br />

Im konkreten Fall ist zu prüfen, wie sich die Kürzungen auf die Familie<br />

auswirken. Insbesondere sind die Interessen der Frau und<br />

des Kindes zu berücksichtigen. Für das Fehlverhalten des Vaters<br />

können sie nicht verantwortlich gemacht werden. Es stellt sich die<br />

Frage, ob gezielt dem Vater zu Gute kommende situationsbedingte<br />

Leistungen gestrichen werden können oder ob einzelne situationsbedingte<br />

Leistungen für die Frau und das Kind direkt übernommen<br />

werden. Je nach Situation könnte es erforderlich sein, die Frau<br />

und das Kind als eigene Unterstützungseinheit zu behandeln. •<br />

Fallbeispiel 3<br />

Weisung zur Teilnahme<br />

am Arbeitsabklärungsplatz<br />

Ein ausgesteuerter Mann mittleren Alters bezieht seit einigen Monaten<br />

wirtschaftliche Sozialhilfe. Alle Versuche, eine geeignete Arbeitsstelle<br />

zu finden, sind fehlgeschlagen. Es wird ihm die Auflage<br />

gemacht, an einem Arbeitsabklärungsplatz teilzunehmen, um seine<br />

Motivation und Fähigkeiten abzuklären. Der Mann weigert<br />

sich, am Programm teilzunehmen. Er brauche Arbeit, keine Abklärung.<br />

Zudem wolle er sich nicht in einem Programm, in dem er unterfordert<br />

sei, ausnutzen lassen und für ein Taschengeld arbeiten.<br />

Fragestellungen<br />

In Fällen wie diesem muss geklärt werden, welche Eingriffe in die<br />

persönliche Freiheit eines Sozialhilfeempfängers zulässig sind: Wie<br />

verhält es sich mit der Wirtschaftsfreiheit des Klienten? Wie soll der<br />

Auftrag, Menschen in Not wieder sozial und beruflich einzugliedern,<br />

mit der Massnahme erfüllt werden? Wie chancenreich ist der<br />

Besuch eines Programms wider Willen? Geht es wirklich um eine<br />

Potenzialabklärung und bestehen wirklich Chancen, dank des Programms<br />

eine Arbeit zu finden – oder soll nur die Arbeitsbereitschaft<br />

getestet werden? Ist die Anordnung eine verkappte Sanktion?<br />

Rechtliche Beurteilung<br />

Grundsätzlich dürfen Auflagen zur Teilnahme an einem Arbeitsprogramm<br />

unter folgenden Voraussetzungen gemacht werden:<br />

gesetzliche Grundlage, öffentliches Interesse, Verhältnismässigkeit<br />

und Subsidiaritätsprinzip. Zulässig sind laut Bundesgericht<br />

Verpflichtungen zur Wiederherstellung oder Stärkung der Chancen<br />

zur Erwerbsaufnahme. Mithin sind auch Qualifikationsprogramme<br />

Massnahmen, die angeordnet werden dürfen. Es kann für<br />

eine sozialhilfebedürftige Person durchaus von Nutzen sein, ausserfachliche<br />

Fähigkeiten, wie das Einfügen ins Team, Zuverlässigkeit<br />

und Pünktlichkeit, zu prüfen. Liegt der befristete Einsatz in<br />

einem Bereich, der den Sozialhilfebezüger zwar unterfordert, ihm<br />

aber ermöglicht, eine geeignete Anschlusslösung zu finden, so ist<br />

die Anordnung einer Teilnahme durchaus geeignet, die Aussichten<br />

auf berufliche Integration zu verbessern (BGE 130 I 71 und BGE<br />

139 I 218 E. 4.4).<br />

Handlungsempfehlungen<br />

Aus verschiedenen Gründen – etwa wegen psychischer oder körperlicher<br />

Beeinträchtigungen oder einer geringen beruflichen Qualifikation<br />

– können oder wollen nicht alle Menschen, die auf Sozialhilfe<br />

angewiesen sind, an Beschäftigungsprogrammen teilnehmen.<br />

Widerstände sind deshalb nicht selten. In solchen Fällen sollte die<br />

Auflage sorgfältig im Hinblick auf ihre Erforderlichkeit, Eignung<br />

und Zumutbarkeit geprüft werden. Wenn die Hilfe suchende Person<br />

trotz zahlreicher Bewerbungen die Erfahrung macht, auf dem<br />

ersten Arbeitsmarkt keine Stelle zu finden, hat dies Auswirkungen<br />

auf das Selbstvertrauen. Oft liegt ein längerer, erfolgloser Prozess<br />

der Arbeitsvermittlung und Aussteuerung hinter ihr. In solchen Fällen<br />

sollte der Fokus auf die Qualifizierungsmassnahmen gelegt und<br />

die Bildungschancen der Betroffenen verbessert werden. Möglicherweise<br />

gilt es, die Sozialkompetenz zu stärken und Vertrauen<br />

aufzubauen. Ein persönliches Coaching kann hier helfen. •<br />

GRUNDRECHTE 1/15 ZeSo<br />

29


«Was Google nützt, hilft auch<br />

behinderten Usern»<br />

98 Prozent aller Websites sind für Menschen mit Behinderung nur schwer oder gar nicht nutzbar.<br />

Die Stiftung «Zugang für alle» engagiert sich für Barrierefreiheit und beschäftigt Betroffene als<br />

Softwaretester, denn viele Barrieren können nur durch Betroffene aufgedeckt werden.<br />

Auf den ersten Blick sehen die Räume der<br />

Stiftung «Zugang für alle» aus wie viele andere<br />

Grossraumbüros. Doch die Stimmung<br />

scheint lockerer, es weht eine Art Pioniergeist.<br />

Hier, sagt Accessibility-Tester Daniele<br />

Corciulo in breitem Berndeutsch, gehe es<br />

nicht um Umsätze und Börsenkurse. Sondern:<br />

«Ich weiss, wofür ich jeden Tag aufstehe.<br />

Hier kann ich etwas weitergeben, von<br />

dem ich als Betroffener auch wieder profitiere.»<br />

Der heute 30-Jährige mit Wurzeln in<br />

Apulien ist von Geburt an blind. Trotzdem<br />

schaffte er eine vierjährige Handelsschule,<br />

hängte noch die Berufsmatura an und liess<br />

sich vor sechs Jahren bei der Stiftung<br />

«Zugang für alle» zum Accessibility-Tester<br />

ausbilden. IT interessierte den smarten Jugendlichen<br />

schon früh, weil diese Technologie<br />

für ihn die Schnittstelle zur Aussenwelt<br />

sei. «Und», fügt er mit Vehemenz bei, «es<br />

geht auch um Selbstbestimmung.»<br />

Doch Betroffene, moniert er, stossen<br />

auf zahllose Hürden. So seien viele Websites<br />

nur mit der Maus bedienbar. Und<br />

zahlreiche amtliche Formulare existierten<br />

immer noch bloss in Papierform, etwa jene<br />

für Ergänzungsleistungen oder Hilflosenentschädigungen.<br />

Aber auch bei digitalisierten<br />

Formularen kommen Betroffene<br />

oft nicht weiter: «Zum Beispiel bei Kostenaufstellungen,<br />

weil die Spalten technisch<br />

nicht definiert sind.» Corciulo benützt<br />

als Hilfsmittel einen Screenreader, eine<br />

Software, die ihm den Text in den ausgewählten<br />

Bildschirmbereichen vorliest. Der<br />

Screenreader steuert zudem die Braillezeile<br />

an – ein Gerät, das den Bildschirminhalt in<br />

Punktschrift tastbar darstellt. Man staunt,<br />

wie souverän der junge Mann über den<br />

Bildschirm navigiert. Bei 98 Prozent aller<br />

Websites deckt er mehr oder weniger hohe<br />

Barrieren auf.<br />

Corciulo geht auf die Website eines Netzwerks<br />

von wissenschaftlichen Bibliotheken<br />

und klickt das Einschreibeformular an.<br />

30 ZeSo 1/15 reportage<br />

Die Braillezeile übersetzt in Punktschrift.<br />

Zentral für die<br />

Barrierefreiheit ist,<br />

dass für jeden<br />

grafischen Inhalt<br />

eine Textalternative<br />

zur Verfügung steht.<br />

«Stern Eingabefeld», liest der Screenreader<br />

vor. Doch damit Blinde wissen, was sie<br />

hier einzutippen haben, müsste der Reader<br />

«Name Eingabefeld» lesen. «Hier fehlt die<br />

logische Verknüpfung von Beschriftung<br />

und Formularfeldern», erklärt Corciulo.<br />

Wäre die betreffende Organisation Kunde<br />

der Stiftung «Zugang für alle», bekäme<br />

sie nun Empfehlungen zur barrierefreien<br />

Gestaltung ihrer Website. «Aber es gibt<br />

auch Vorreiter», lobt der Tester und klickt<br />

auf die Website von Postfinance. Obwohl<br />

die Site recht komplex ist, aber hierarchisch<br />

klar strukturiert, finden hier auch<br />

Menschen mit Behinderung rasch die gesuchten<br />

Unterkategorien und können zum<br />

Beispiel ihre Zahlungen per E-Banking<br />

abwickeln – eine grosse Erleichterung im<br />

Alltag, die sich Daniele Corciulo auch für<br />

Onlineshops wünscht.<br />

Betroffene decken Barrieren auf<br />

Tatsächlich bietet die Informationstechnologie<br />

nie dagewesene Möglichkeiten, weil<br />

sie Inhalte sowohl optisch wie auch akustisch<br />

oder taktil vermitteln kann. Zentral<br />

für die Barrierefreiheit ist, dass für jeden<br />

grafischen Inhalt auch eine Textalternative<br />

zur Verfügung steht. «Wird dieses Potenzial<br />

nicht genutzt, wirkt sich die omnipräsente<br />

IT für behinderte oder ältere Menschen<br />

kontraproduktiv aus», sagt Bernhard<br />

Heinser, Geschäftsleiter der Stiftung. Bis<br />

zu 15 Prozent der Schweizer Bevölkerung<br />

sind laut Bundesamt für Statistik in irgendeiner<br />

Form behindert. Vielen von ihnen<br />

bleibt der barrierefreie Zugang zu Bildungsangeboten,<br />

dem Arbeitsmarkt oder<br />

Kulturangeboten verwehrt. Um diese Diskriminierung<br />

abzubauen, engagiert sich<br />

die gemeinnützige Stiftung seit 15 Jahren<br />

für behindertengerechte Technologienutzung.<br />

Sie erhält keine Subventionen und finanziert<br />

sich über Dienstleistungserträge,<br />

Forschungsbeiträge und Spenden. Inzwischen<br />

arbeiten in den Oerlikoner Büros<br />

zehn IT-Spezialistinnen und Spezialisten,<br />

darunter fünf mit Seh-, Hör oder Sinnesbehinderungen.<br />

«Viele Barrieren können nur<br />

durch Betroffene aufgedeckt werden» sagt<br />

Heinser.<br />

Firmen lassen sich zertifizieren<br />

Zu den Dienstleistungen der Stiftung gehören<br />

die Beratung von Behörden und<br />

Firmen und die Zertifizierung von barrierefreien<br />

Websites aufgrund der internationalen<br />

Web Content Accessibility


Guidelines WCAG 2.0. Auch bei amtlichen<br />

Websites bleibt in dieser Hinsicht<br />

noch viel zu tun: Obwohl das Behindertengleichstellungsgesetz<br />

die öffentliche Hand<br />

verpflichtet, ihre Webseiten barrierefrei zu<br />

gestalten, sei die grosse Mehrheit noch völlig<br />

ungenügend, gerade auf Gemeindeebene,<br />

stellte die Stiftung 2011 in ihrer<br />

Accessibility-Studie fest. Hauptgrund: Die<br />

Zahl der Menschen mit Behinderungen<br />

wird stark unterschätzt.<br />

Ein wichtiges aktuelles Projekt ist das<br />

Zugänglichmachen von Büchern, Word-<br />

Dokumenten und PDFs. «Solche Dokumente»,<br />

sagt Bernhard Heinser, «sind für<br />

Schülerinnen und Schüler mit besonderem<br />

Bildungsbedarf sehr oft nicht zugänglich.»<br />

Die Stiftung erarbeitet auch Hilfsmittel<br />

und Standards und ist Forschungspartnerin<br />

von Hochschulen und Universitäten.<br />

Ein weiterer Aufgabenbereich gilt der Ausbildung<br />

von jungen Menschen mit Behinderung.<br />

Just am Morgen unseres Besuchs<br />

beginnt Zina Indermaur ihre Ausbildung<br />

zum Accessibility Consultant. Die junge,<br />

technikaffine blinde Frau bringt schon<br />

einige Erfahrung mit. «Nun aber geht es<br />

darum, die künftige Testerin dafür zu sensibilisieren,<br />

dass punkto Barrierefreiheit<br />

noch viel mehr möglich ist, als sie bereits<br />

weiss», sagt Daniele Corciulo, der für ihre<br />

Ausbildung zuständig ist.<br />

An Grenzen gehen<br />

Das Standardargument, Barrierefreiheit<br />

sei zu teuer, ärgert Corciulo: Wenn man<br />

von Anfang an darauf achte, hielten sich<br />

die Mehrkosten in Grenzen, sagt er und<br />

schiebt ein einleuchtendes Argument nach:<br />

Barrierefreiheit bedeute auch Suchmaschinenoptimierung,<br />

denn Google gehe<br />

ähnlich vor wie ein Blinder. «Websites, die<br />

barrierefrei, also hierarchisch klar strukturiert<br />

sind, generieren mehr Suchtreffer.»<br />

Als Sehende fragt man sich, woher<br />

Menschen wie Daniele Corciulo den Mut<br />

nehmen, auch scheinbar unüberwindliche<br />

Hindernisse anzugehen. Er sei jemand, der<br />

bewusst an Grenzen gehe, denn wer sich<br />

der Technologie verweigere, nehme unnötige<br />

Einschränkungen in Kauf, antwortet<br />

der junge Mann, der sich sogar schon mal<br />

auf einen Tandem-Gleitschirmflug wagte.<br />

Angst? Im Gegenteil: «Du spürst jenen weiten<br />

Horizont, von dem Sehende auf einem<br />

Berg immer reden – die Freiheit.» Wovor<br />

er aber wirklich Angst habe, sei der Bahnübergang<br />

vor seinem Haus: «Wenn die<br />

Barriere hochgeht, stürmen die Leute los.<br />

Ohne zu schauen oder zu bremsen.» •<br />

Paula Lanfranconi<br />

www.access-for-all.ch<br />

Accessibility-Tester Daniele Corciulo mit der Auszubildenden Zina Indermaur. <br />

Bilder: Ursula Markus<br />

reportage 1/15 ZeSo<br />

31


Ein Jugendparlamentarier wurde<br />

auch schon Bundesrat<br />

In Jugendparlamenten können sich Jugendliche für ihre Anliegen politisch engagieren und so in<br />

ihrer Freizeit ein praxisnahes Demokratieverständnis entwickeln. Der Dachverband Schweizer<br />

Jugendparlamente DSJ unterstützt sie mit diversen Projekten.<br />

Das milizbasierte und direktdemokratische<br />

politische System der Schweiz kann<br />

langfristig nur funktionieren, wenn der politische<br />

Nachwuchs gefördert wird. So wie<br />

es im sportlichen und kulturellen Bereich<br />

sehr breit angelegte Fördermassnahmen<br />

für Jugendliche gibt, sollte es auch Fördermassnahmen<br />

im politischen Bereich geben.<br />

Die Freizeitaktivitäten im Jugendalter<br />

prägen einen Menschen fürs <strong>ganz</strong>e Leben.<br />

Wenn Jugendliche sich für den Gemeinsinn<br />

engagieren, wächst die Chance, dass<br />

sie dies auch später tun, beispielsweise in<br />

einem politischen Amt in ihrer Gemeinde.<br />

Diese politische Jugendförderung sollte<br />

aber nicht bloss einen gesellschaftlichen<br />

Mehrwert mit sich bringen, sondern den<br />

Jugendlichen auch wirklich die Möglichkeit<br />

geben, etwas zu bewirken.<br />

Keine inszenierte Partizipation<br />

Die rund 60 in der Schweiz bestehenden<br />

Jugendparlamente sind eine bewährte<br />

politische Partizipationsform, wo Jugendliche<br />

sich für ihre Anliegen engagieren und<br />

etwas bewirken können. Hier können sie<br />

unbürokratisch ihre Ideen und Projekte<br />

diskutieren, verhandeln und entscheiden.<br />

In Jugendfragen sind sie Ansprechpartner<br />

für Behörden und Politik und lernen dabei<br />

auch, wie es mit diesen umzugehen gilt.<br />

Jugendparlamente bieten die konkrete<br />

Möglichkeit, sehr unterschiedliche Projekte<br />

umzusetzen. Die Jugendlichen übernehmen<br />

Verantwortung und erwerben dadurch<br />

politische, soziale und organisatorische Fähigkeiten.<br />

Jugendparlamente bieten eine<br />

praxisorientierte politische Bildung und<br />

milizpolitische Ausbildung.<br />

Da Jugendparlamente auch Anliegen<br />

gegenüber Behörden und Politikern vertreten,<br />

sollten sie über rechtlich verankerte<br />

Pflichten und Rechte verfügen, wie dies<br />

bei 25 Jugendparlamenten bereits der Fall<br />

ist. Damit ist gewährleistet, dass es sich<br />

weder um eine inszenierte Partizipation<br />

handelt noch dass sie von Erwachsenen abhängig<br />

sind. Die Erfahrungen zeigen, dass<br />

Jugendparlamente dort etwas bewirken<br />

können, wo die Politik den Mut hat, dem<br />

Jugendparlament rechtlich verbindliche<br />

Kompetenzen zu geben. Dies geht von<br />

einer offenen Sporthalle am Freitagabend<br />

(Köniz) über die Einführung von Nachtbussen<br />

(Luzern) bis zur Mitwirkung bei<br />

einer Schulgesetzrevision (Kanton Waadt).<br />

Das Ziel des Dachverbands Schweizer<br />

Jugendparlamente (DSJ) ist es, neben der<br />

Unterstützung der bestehenden Jugendparlamente<br />

das Modell Jugendparlament<br />

oder Jugendrat zu fördern. Viele aktive<br />

Politikerinnen und Politiker haben ihr<br />

Rüstzeug in Jugendparlamenten erlangt,<br />

beispielsweise auch Alt-Bundesrat Moritz<br />

Leuenberger, der Genfer Regierungsrat<br />

Pierre Maudet oder Matthias Reynard,<br />

der jüngste Nationalrat in der aktuellen<br />

Legislatur. Hier haben sie eine politische<br />

Diskussionskultur erlernen können, die<br />

hart in der Sache ist, aber ohne persönliche<br />

Angriffe und Anfeindungen auskommt.<br />

Das Jugendparlament Berner Oberland<br />

Ost ist ein gutes Beispiel für die positiven<br />

Auswirkungen von Jugendparlamenten<br />

auf das politische Milizsystem der Schweiz.<br />

So sind in Interlaken, der grössten Gemeinde<br />

des Einzugsgebiets, drei ehemalige<br />

Jugendparlamentarier in der Exekutive<br />

der Gemeinde Interlaken tätig. In<br />

den letzten zehn Jahren wurden zudem<br />

zehn Ehemalige aus dem Jugendparlament<br />

in den Grossen Gemeinderat von<br />

Interlaken (Legislative) gewählt.<br />

Über psychische Krankheiten sollte mehr<br />

gesprochen werden.<br />

PLATTFORM<br />

Die <strong>ZESO</strong> bietet ihren Partnerorganisationen<br />

diese Seite als Plattform an, auf der sie sich<br />

und ihre Tätigkeit vorstellen können. In dieser<br />

Ausgabe dem Dachverband Schweizer Jugendparlamente.<br />

Jugendparlamentarierinnen<br />

und Jugendparlamentarier<br />

beim Abstimmen.<br />

Bild: zvg<br />

32 ZeSo 1/15 plattform


Abstimmungshilfe Easyvote<br />

Zum politischen Engagement von Jugendlichen<br />

in der Schweiz gibt es wenig<br />

Forschung. Bisherige Arbeiten zeigen, dass<br />

75 Prozent der Jugendlichen zwischen 18<br />

und 25 Jahren schon mindestens einmal<br />

abstimmen gegangen sind und dass rund<br />

die Hälfte an politischen Themen normal<br />

bis sehr interessiert ist. Zehn Prozent der<br />

Jugendlichen geben an, dass sie sich aktiv<br />

in einer Jungpartei oder einem Jugendparlament<br />

engagieren möchten. Diese politisch<br />

interessierten Jugendlichen müssen<br />

mit entsprechenden Massnahmen frühzeitig<br />

abgeholt und gefördert werden. Zwei<br />

Studien bilden die Grundlage für die Weiterentwicklung<br />

des Projekts «Easyvote» sowie<br />

zur Entwicklung der Webplattform<br />

«Scoop-it», mit der der DSJ eine Bürgerbeteiligungsplattform<br />

für Jugendliche aufbauen<br />

möchte. «Easyvote» wurde ins Leben<br />

gerufen, damit neben der milizpolitischen<br />

Kultur der Schweiz auch das direktdemokratische<br />

System gefördert wird. Jugendliche<br />

Stimmbürgerinnen und Stimmbürger<br />

sollen vermehrt von ihrem Stimm- und<br />

Wahlrecht Gebrauch machen, indem die<br />

Politik näher an die Jugendlichen gebracht<br />

wird. Denn nach wie vor beteiligen sich<br />

junge Erwachsene in der Schweiz weniger<br />

stark und vor allem weniger häufig an<br />

Wahlen und Abstimmungen als ihre älteren<br />

Mitbürgerinnen und Mitbürger.<br />

Eine wichtige Ursache für die tiefe<br />

Stimmbeteiligung ist, dass der Wahl- und<br />

Abstimmungsprozess sowie die Wahl- und<br />

Abstimmungsunterlagen nicht jugendgerecht<br />

sind. Dies möchte der DSJ ändern<br />

und erstellt dafür seit 2011 die Easyvote-<br />

Abstimmungshilfe, die von Jugendlichen<br />

selber produziert wird. Die Abstimmungshilfe<br />

informiert einfach, verständlich und<br />

politisch neutral über Abstimmungsvorlagen<br />

und Wahlen und kann von Gemeinden,<br />

Schulen oder Privatpersonen abonniert<br />

werden.<br />

Weiter werden durch verschiedene Sensibilisierungsmassnahmen<br />

Jugendliche<br />

mithilfe von herkömmlichen und neuen<br />

Kommunikationskanälen zum Abstimmen<br />

und Wählen mobilisiert. So produziert der<br />

DSJ seit 2013 Clips zu den nationalen<br />

Vorlagen. Zudem wurde ein «Vote-Wecker»<br />

entwickelt, der per SMS oder E-Mail an<br />

bevorstehende Abstimmungen erinnert.<br />

Für die Eidgenössischen Wahlen im kommenden<br />

Oktober sind diverse Massnahmen<br />

und Kampagnen geplant, um noch<br />

mehr Jungwählerinnen und -wähler an die<br />

Urne zu bewegen.<br />

•<br />

Mario Stübi<br />

Dachverband Schweizer Jugendparlamente DSJ<br />

Bild: Keystone<br />

Dachverband Schweizer<br />

Jugendparlamente<br />

Der Dachverband Schweizer Jugendparlamente<br />

fördert seit 1995 die politische Partizipation von<br />

Jugendlichen. Er vereinigt zurzeit 39 Jugendparlamente<br />

der Schweiz und des Fürstentums<br />

Liechtenstein. Der DSJ kümmert sich um Ausbildung,<br />

Support und Vernetzung der Jugendparlamentarier<br />

und fördert und begleitet die Gründung<br />

neuer Jugendparlamente. Bei allen Tätigkeiten<br />

des DSJ gilt das Motto «Von der Jugend für<br />

die Jugend». Das Durchschnittsalter auf der<br />

Geschäftsstelle beträgt derzeit 24 Jahre, jenes<br />

im neunköpfigen Vereinsvorstand 22 Jahre. Die<br />

Arbeit des DSJ wird durch eine Leistungsvereinbarung<br />

mit dem Bundesamt für Sozialversicherungen,<br />

durch den Verkauf eigener Produkte<br />

und Dienstleistungen sowie mit Beiträgen von<br />

öffentlichen und privaten Förderern finanziert.<br />

www.dsj.ch<br />

www.jugendparlamente.ch<br />

www.easyvote.ch<br />

plattform 1/15 ZeSo<br />

33


FORUM<br />

Freibeträge für selbstverständliche Leistungen<br />

stehen quer in der Landschaft<br />

Wer in Not gerät und nicht in der Lage ist, für<br />

sich zu sorgen, hat Anspruch auf Hilfe und<br />

Betreuung. Die Bundesverfassung garantiert<br />

die Mittel, die für ein menschwürdiges Dasein<br />

notwendig sind, das absolute Existenzminimum.<br />

Diese Garantie ist Ausgangspunkt<br />

meiner Vision. Die SKOS definiert Sozialhilfe<br />

mit dem Recht auf Existenzsicherung,<br />

gemeint ist das soziale Existenzminimum.<br />

Damit bin ich gar nicht einverstanden. In den<br />

letzten zwanzig Jahren ist daraus abgeleitet<br />

eine Haltung erwachsen, wonach auf das<br />

soziale Existenzminimum ein unbedingtes<br />

Anrecht bestehe. Dies führt nun in einem<br />

nächsten Schritt zu der für mich absolut nicht<br />

nachvollziehbaren Forderung nach bedingungslosem<br />

Grundeinkommen.<br />

Sozialhilfe ist Hilfe in Not, kein Einkommensersatz<br />

und keine Versicherung mit Leistungsansprüchen.<br />

Es darf nicht sein, dass die zwanzig<br />

Prozent einkommensschwächsten, nicht<br />

unterstützten Personen gleichviel oder gar<br />

weniger zur Verfügung haben als unterstützte<br />

Personen mit Zulagen. Sozialhilfe weiter denken<br />

beginnt für mich in diesem Spannungsfeld.<br />

Wir müssen auf viele Fragen Antworten<br />

finden, auch auf jene, wie vermieden werden<br />

kann, dass Mitmenschen in Not geraten, wie<br />

berufliche und damit wirtschaftliche (Re-)<br />

Integration in Gang gesetzt, beschleunigt<br />

sowie allenfalls erzwungen werden kann, und<br />

wie mehr Arbeits- und Erwerbsmöglichkeiten<br />

für Leistungsschwächere bereitgestellt werden<br />

können. Integrationszulagen und Einkommensfreibeträge<br />

für selbstverständliche<br />

Leistungen Unterstützter scheinen mir völlig<br />

quer in der Landschaft zu stehen. Wer nicht<br />

unterstützt wird und einkommensschwach<br />

ist, muss seinen finanziellen Verpflichtungen<br />

auch nachkommen, unbesehen davon, ob<br />

Einschränkungen bei Ferien, Wohnen usw.<br />

die Folge sind – ohne jeden finanziellen<br />

Anreiz. Wenn die Sozialhilfe beim absoluten<br />

Existenzminimum startet, ist der Anreiz weit<br />

grösser, dass die erwähnten, selbstverständlichen<br />

Anstrengungen zur Integration geleistet<br />

werden. Nachhaltige berufliche Integration<br />

setzt auch soziale, gesellschaftliche und<br />

kulturelle Integration voraus, wofür nicht das<br />

soziale Existenzminimum Voraussetzung ist,<br />

sondern Verpflichtungen wie die Erlernung<br />

der Sprache oder die Anpassung an die<br />

schweizerische Kultur. Letzteres bedingt den<br />

Wechsel vom Multikulti-Denken zu einer<br />

Leitkultur. Passen sich Migrantinnen und Migranten<br />

dieser Leitkultur nicht an, verweigern<br />

sie die Integration. Dies ist der Solidarität der<br />

Schweizer Bevölkerung ebenso abträglich wie<br />

Missbräuche und nicht nachvollziehbares<br />

Wachstum bei den Sozialkosten usw.<br />

Zu meiner Vision Sozialhilfe gehört auch, die<br />

Sozialhilfe wieder stärker in der Bevölkerung<br />

zu verankern. Die Solidarität der Bevölkerung<br />

umfasst nicht das soziale Existenzminimum,<br />

sondern Nothilfe. Weiter sind die Kompetenzen<br />

wieder hin zu den Gemeinden zu<br />

verschieben. Dort wird Hilfe in der Not am<br />

effizientesten geleistet, die Bevölkerung<br />

wird über die Sozialbehörde involviert und<br />

der Hilfeumfang der Umgebung angepasst.<br />

Akzeptanz muss in der Bevölkerung wachsen<br />

und nicht mit einem Bundesgesetz erzwungen<br />

werden. Angesichts der ungebremsten Kostenexplosion<br />

müssen Grundsätze der Sozialhilfe<br />

und wesentliche Positionen der Unterstützungsansätze<br />

– wieder – von den kantonalen<br />

Parlamenten festgelegt werden. Die Stärkung<br />

von Sozialbehörden in den Gemeinden und<br />

der Einbezug kantonaler Parlamente ist ein<br />

Gebot der Stunde.<br />

•<br />

Ueli Studer<br />

Gemeindepräsident Köniz, SVP<br />

An dieser Stelle schafft die <strong>ZESO</strong> Raum für Debatten<br />

und Meinungen. Der Inhalt gibt die Meinung des<br />

Autors resp. der Autorin wieder.<br />

veranstaltungen<br />

Instrumente im Kindes- und<br />

Erwachsenenschutz<br />

Der Fokus der Tagung ist auf Abklärungsinstrumente<br />

im Kindes- und Erwachsenenschutz gerichtet.<br />

Das Wissen über Abklärungsinstrumente<br />

ist auch in der Mandatsführung von Nutzen,<br />

beispielsweise wenn es um die Frage der Notwendigkeit<br />

oder Abänderung von Massnahmen<br />

geht. Neben Aspekten rund um Abklärung und<br />

Diagnostik werden auch Faktoren der Zusammenarbeit<br />

thematisiert sowie aktuelle Gesetzesrevisionen<br />

im Kindes- und Erwachsenenschutz<br />

beleuchtet.<br />

Tagung zum Kindes- und Erwachsenenschutz<br />

7. Mai <strong>2015</strong>, Luzern<br />

www.hslu.ch<br />

Rechtsprechung im<br />

Sozialversicherungsrecht<br />

Das Sozialversicherungsrecht befindet sich<br />

in ständiger Entwicklung. Primär steuert die<br />

Gesetzgebung diese Entwicklung, doch oft verändert<br />

die Rechtsprechung Entscheidendes. Die<br />

diesjährige Sozialversicherungsrechtstagung des<br />

Instituts für Rechtswissenschaft und Rechtspraxis<br />

der Universität St. Gallen richtet sich <strong>ganz</strong> auf die<br />

Rechtsprechung des Bundesgerichts aus. Diese<br />

wird aus unterschiedlichen Blickwinkeln thematisiert,<br />

eingeordnet und gewürdigt.<br />

Sozialversicherungsrechtstagung<br />

9. Juni <strong>2015</strong>, Luzern<br />

www.irp.unisg.ch/de/weiterbildung/tagungen<br />

Übergänge in der sozialen<br />

Arbeit<br />

Am Kongress der Schweizerischen Gesellschaft<br />

für Soziale Arbeit (SGSA) stehen theoretische<br />

und anwendungsorientierte Fragen und Zugänge<br />

zu Übergängen in der Sozialarbeit im Zentrum.<br />

Das Thema wird auf vier miteinander verschränkten<br />

Ebenen diskutiert. Beleuchtet werden gesellschaftliche<br />

Übergänge, institutionsbezogene<br />

und professionelle Übergänge sowie solche, die<br />

sich auf die Biografie der Adressaten der sozialen<br />

Arbeit beziehen.<br />

Internationaler Kongress SGSA<br />

3./4. September <strong>2015</strong>, Zürich<br />

www.sozialearbeit.zhaw.ch/kongress<br />

34 ZeSo 1/15 FORUM


lesetipps<br />

Stimmen zur<br />

Migrationspolitik<br />

Die Schweiz ist ein Einwanderungsland. Die<br />

Migrantinnen und Migranten erbringen rund<br />

einen Drittel des Arbeitsvolumens und tragen<br />

zum Wohlstand des Landes entscheidend<br />

bei. Dennoch werden sie oft für strukturelle<br />

Probleme verantwortlich gemacht: am Mangel<br />

an bezahlbarem Wohnraum, an Engpässen im<br />

Verkehrswesen oder an steigenden Sozialhilfekosten.<br />

Der Caritas-Sozialalmanach befasst<br />

sich im Schwerpunkt mit dem Thema Zuwanderung<br />

und lässt zwanzig Persönlichkeiten aus<br />

Wirtschaft, Politik, Kultur und Wissenschaft zu<br />

Wort kommen, die sich in persönlichen Beiträgen<br />

für eine offene Schweiz einsetzen.<br />

Kritik an der aktivierenden<br />

Sozialpolitik<br />

Von erwerbslosen Personen wird erwartet, dass<br />

sie hr Handeln an bestimmten Normen ausrichten,<br />

beispielsweise Leistungsorientierung,<br />

Eigenverantwortung, Funktionstüchtigkeit und<br />

Selbststeuerungskompetenz. Dem liegt die<br />

Vorstellung zugrunde, dass alle erwerbslosen<br />

Personen diesen Standard erfüllen können. Die<br />

Sozialwissenschaftlerin Bettina Wyer kritisiert<br />

in ihrer Studie, dass diese Annahme der unterschiedlichen<br />

Leistungsfähigkeit der Klienten<br />

nicht Rechnung trage und andere Faktoren wie<br />

Belastungen durch lange Arbeitslosigkeit oder<br />

biografisch bedingte Probleme vernachlässigt<br />

werden.<br />

Strategieentwicklung in der<br />

Kinder- und Jugendhilfe<br />

Am Beispiel der Stadt Zürich wird aufgezeigt,<br />

wie fachliche Trends und neue Erkenntnisse<br />

aus Theorie und Forschung in die Praxis der<br />

Kinder- und Jugendhilfe integriert werden können.<br />

Grundlage ist eine Studie, die die Sozialen<br />

Dienste Zürich für ihre Strategieentwicklung in<br />

diesem Bereich in Auftrag gegeben haben. Die<br />

Ausrichtung und Qualität der Leistungen wurden<br />

systematisch evaluiert und diskutiert. Dabei<br />

wurde der Fokus auch auf die Veränderungen im<br />

gesellschaftlichen, fachlichen und rechtlichen<br />

Umfeld gelegt.<br />

Caritas (Hrsg.), Sozialalmanach<br />

<strong>2015</strong>, Herein. Alle(s)<br />

für die Zuwanderung,<br />

Caitas-Verlag, 2014,<br />

216 Seiten, CHF 34.−<br />

ISBN: 978-3-85592-134-8<br />

Bettina Wyer, Der standardisierte<br />

Arbeitslose, Langzeitarbeitslose<br />

Klienten in der<br />

aktivierenden Sozialpolitik,<br />

UVK, 2014, 248 Seiten,<br />

CHF 50.−<br />

ISBN: 3-86764-557-4<br />

A. Jud, J. M. Fergert, M.<br />

Schlup (Hrsg.), Kinder- und<br />

Jugendhilfe im Trend,<br />

Veränderungen im Umfeld<br />

der Kinder- und Jugendhilfe<br />

am Beispiel der Stadt<br />

Zürich, Interact, 2014, 168<br />

Seiten, CHF 38.−<br />

ISBN 978-3-906036-17-5<br />

Soziale Versorgung im<br />

Ländervergleich<br />

Soziale Versorgung bedeutet, Leistungen für<br />

hilfebedürftige Menschen in einem Gemeinwesen<br />

zur Verfügung zu stellen. Ihre Gestaltung ist<br />

eng verknüpft mit gesellschaftlichen Funktionssystemen,<br />

der Steuerung von und zwischen<br />

Organisationen und methodischem Handeln.<br />

Das Buch gibt einen Überblick über die aktuelle<br />

Diskussion zum Thema im deutschsprachigen<br />

Raum. Es zeigt theoretische Entwicklungen,<br />

Forschungsergebnisse sowie praktische Anwendungen<br />

auf und ermöglicht so länderübergreifende<br />

Vergleiche.<br />

Den kompetenten Umgang mit<br />

Geld und Konsum lernen<br />

Kinder und Jugendliche wachsen heute in<br />

einer Welt des Konsums auf. Wer sich in dieser<br />

Konsumkultur zurechtfinden will, braucht einiges<br />

Rüstzeug, um nicht in die Schuldenfalle zu<br />

stolpern. Die Beiträge im Bericht der Eidgenössischen<br />

Kommission für Kinder- und Jugendfragen<br />

(EKKJ) thematisieren, wie Kinder und<br />

Jugendliche einen kompetenten Umgang mit Geld<br />

und Konsum lernen, welche Werbestrategien bei<br />

ihnen angewendet werden und welche Methoden<br />

der Schuldenprävention sich bewährt haben. Die<br />

EKKJ stellt zudem sechs politische Forderungen<br />

auf, die den Handlungsbedarf aufzeigen.<br />

Gehörlose Menschen erzählen<br />

aus ihrem Leben<br />

Menschen mit einer Hörbehinderung sind in ihrer<br />

Wahrnehmung stark visuell orientiert. Sie erleben<br />

die Welt grundlegend anders als Hörende.<br />

Und Hörende haben praktisch keine Vorstellung<br />

davon, wie gehörlose Menschen leben. Dabei<br />

gibt es viele Fragen, die es sich zu stellen lohnt:<br />

Wie lernt ein gehörloses Kind Lautsprache sprechen?<br />

Warum bleibt Deutsch für viele Gehörlose<br />

eine Fremdsprache? Und warum gibt es allein<br />

in der Schweiz drei verschiedene Gebärdensprachen?<br />

Die Autorin hat acht Menschen zu<br />

ihrem Leben mit Gehörlosigkeit befragt und ihre<br />

Geschichten aufgezeichnet.<br />

Bernadette Wüthrich, Jeremias<br />

Amstutz, Agnès Fritze<br />

(Hrsg.), Soziale Versorgung<br />

zukunftsfähig gestalten,<br />

Springer VS, <strong>2015</strong>,<br />

448 Seiten, CHF 38.−<br />

ISBN 978-3-658-04073-4<br />

EKKJ (Hrsg.), Selbstbestimmt<br />

oder manipuliert?<br />

Kinder und Jugendliche als<br />

kompetente Konsumenten,<br />

2014, 86 Seiten, kann<br />

kostenlos bestellt werden<br />

unter www.ekkj.admin.ch -><br />

Dokumentation<br />

Johanna Krapf, Augenmenschen,<br />

Gehörlose<br />

erzählen aus ihrem Leben,<br />

Rotpunktverlag, <strong>2015</strong>,<br />

220 Seiten, CHF 32.−<br />

ISBN 978-3-85869-645-8<br />

service 1/15 ZeSo<br />

35


Diane Baatard: «Eine Geschichte kann die Kinder auf eine Reise entführen.»<br />

Bild: Ruedi Flück<br />

Die Märchenfee<br />

Wochenende für Wochenende begibt sich Diane Baatard ins Universitätsspital Genf, um kranke<br />

Kinder mit Märchen aufzuheitern. Im geschlossenen Universum des Spitals kann die Fantasie der<br />

Märchenfee Gedankenfenster öffnen.<br />

Leichten Schrittes kommt Diane Baatard<br />

daher, entschuldigt sich für die Verspätung:<br />

«Hier muss man sich Zeit nehmen<br />

können», erklärt sie. «Hier», das ist die pädiatrische<br />

Onko-Hämatologie des Universitätsspitals<br />

Genf. Eine Station, die man nur<br />

mit Schutzkleidung, Maske und Handschuhen<br />

betreten darf und in der Materialien<br />

wie Papier, Holz und Karton nicht erlaubt<br />

sind, weil man sie nicht angemessen<br />

desinfizieren kann.<br />

Die jugendliche Ausstrahlung von<br />

Diane Baatard kontrastiert mit den Falten<br />

in ihrem Gesicht. In ihrem klaren,<br />

freundlichen Blick erkennt man eine<br />

spitzbübische und zugleich tiefsinnige<br />

Person. «Meine Aufgabe hier ist es, Geschichten<br />

zu erzählen, doch ich spreche<br />

mit den Kindern auch über andere Dinge,<br />

damit sie einen Augenblick ihre Isolation<br />

vergessen. Eine Geschichte kann die Kinder<br />

auf eine Reise entführen und bietet<br />

Gelegenheit, zusammen einen geselligen<br />

Moment zu verbringen», erklärt Diane<br />

Baatard. «Wenn ich ein Kind zum ersten<br />

Mal treffe, dann lasse ich es klar und deutlich<br />

wissen, dass es mir sagen darf, wenn<br />

ihm nicht nach Geschichten zumute ist.<br />

Bei der medizinischen Behandlung haben<br />

sie ja keine Wahl. Darum versuche<br />

ich, den Kindern ein bisschen Wahlfreiheit<br />

zu geben.»<br />

Die Märchenfee scheut keine Mühe, trotz<br />

der krankheitsbedingten Grenzen Träume<br />

wahr werden zu lassen. Ein junges Mädchen,<br />

das bald ein Jahr auf der Station isoliert<br />

war, träumte von einem Ausflug in den<br />

Spitalgarten. Die Ärzte konnten auf ihren<br />

Wunsch aber nicht eingehen. Also brachte<br />

Baatard bei ihrem nächsten Besuch eine<br />

CD mit Geräuschen aus der Natur und ein<br />

Plastiktischtuch mit und organisierte ein<br />

fröhliches Picknick im Krankenzimmer<br />

des Mädchens.<br />

Schläuche und piepsende Maschinen<br />

Auf die Idee, Kinder im Spital mit Geschichten<br />

aufzumuntern, kam Baatard vor<br />

15 Jahren am Krankenbett ihres Gottenkindes.<br />

Damals liess sich die professionelle<br />

Tänzerin gerade in der Kunst des Geschichtenerzählens<br />

ausbilden. «Ich habe<br />

die Spitalleitung kontaktiert, aber sie lehnten<br />

mein Angebot ab. Sie wollten keine<br />

ehrenamtlichen Mitarbeiter auf der Pädiatrie.»<br />

Doch so schnell gab Baatard nicht auf.<br />

Sie gründete die Stiftung «Au Fil de la<br />

Parole» und machte sich auf die Suche<br />

nach Geldgebern. Ihr Engagement und ihre<br />

Ausdauer zahlten sich aus: Als 2005 der<br />

Kiwanis Club Genf-Carouge dem Unispital<br />

Genf anbot, zwei Projekte zu finanzieren,<br />

entschied sich das Spital für das<br />

Projekt von Diane Baatard.<br />

Als Baatard zum ersten Mal ein steriles<br />

Spitalzimmer betrat, fühlte sie sich in<br />

Gegenwart eines todkranken Kindes, umgeben<br />

von Schläuchen und ständig piepsenden<br />

Maschinen, wie gelähmt. Doch<br />

mit der Unterstützung des medizinischen<br />

Teams fand sie schnell den nötigen Halt.<br />

Sich aufs Wesentliche konzentrieren<br />

Dank der Stiftung besitzt die Station unterdessen<br />

eine Sammlung von CDs, DVDs,<br />

Gesellschafts- und Videospielen, die die<br />

strengen Hygienestandards der speziellen<br />

Krankenhausabteilung erfüllen. Zudem<br />

wird vor den Fenstern der Station ein<br />

Garten angelegt, in dem drei Beete mit saisonalem<br />

Gemüse und Blumen den Kindern<br />

eine Idee von der aktuellen Jahreszeit<br />

geben.<br />

In diesem kleinen Park schlendert<br />

Diane Baatard an einer Eselsstatue vorbei<br />

und erzählt dabei ihre Lieblingsgeschichte<br />

«Eselshaut», die schildert, warum Tränen<br />

salzig schmecken. Das Schwierigste an<br />

dieser Arbeit sei für sie, dass sie mit dem<br />

Tod von Kindern konfrontiert ist, sagt<br />

Diane. «Statistisch gesehen überlebt eines<br />

von fünf Kindern die Krankheit nicht. Das<br />

ist hart, aber es lehrt mich auch, mich auf<br />

das Wesentliche zu konzentrieren.» •<br />

Marie-Christine Mousson<br />

36 ZeSo 1/15 porträt


Master of Advanced Studies<br />

MAS Arbeitsintegration<br />

Certificate of Advanced Studies<br />

CAS Arbeitsintegration<br />

Strukturen, Modelle und Praxis<br />

CAS Supported Employment<br />

Schwerpunkt Berufsbildung<br />

CAS Supported Employment<br />

Schwerpunkt Integration in die Arbeit<br />

Fachseminar<br />

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in der Arbeitsintegration<br />

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Die Hochschule für Soziale Arbeit FHNW bietet wissenschaftlich fundierte und praxisnahe Weiterbildungen<br />

mit hohem Qualitätsstandard an. Sie verbindet Praxisnähe und Anwendungsorientierung mit<br />

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Die inhaltlichen Schwerpunkte unserer Angebote sind vielfältig:<br />

– Behinderung und Integration – Gesundheit – Praxisausbildende in der Sozialen Arbeit<br />

– Beratung und Coaching – Joint Master – Recht<br />

– Change Management – Kinder und Jugendliche – Sozialmanagement<br />

– Eingliederungsmanagement – Methoden – Sozialplanung<br />

– Ethik – Migration – Stadtentwicklung<br />

– Forschung<br />

Kontakt und Information<br />

weiterbildung.sozialearbeit@fhnw.ch | T +41 848 821 011 | www.fhnw.ch/sozialearbeit/weiterbildung<br />

Fachhochschule Nordwestschweiz FHNW | Hochschule für Soziale Arbeit | 4053 Basel und 4600 Olten


Weiterbildung, die wirkt!<br />

Weiter<br />

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Professionelle Kindeswohlabklärungen<br />

– Einführung in<br />

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In Kooperation mit der Hochschule<br />

Luzern – Soziale Arbeit.<br />

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8 Kurstage, Mai bis Juni <strong>2015</strong>,<br />

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