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zds#54a

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DIE ZEITSCHRIFT<br />

DER STRASSE<br />

Das Bremer Straßenmagazin<br />

Ausgabe 54<br />

www.zeitschrift-der-strasse.de<br />

2,50 EURO<br />

1,30 € für den Verkäufer<br />

LINIE 1<br />

ZEIT ZUM<br />

AUFSTEHEN!<br />

SITTING, WAITING,<br />

WISHING<br />

GLAUBEN ODER<br />

NICHT GLAUBEN?<br />

GESCHOCKT NACH<br />

DEM REGENBOGEN<br />

Vier BremerInnen<br />

zeigen uns ihre<br />

zerwühlten Betten<br />

Was macht ihr da<br />

eigentlich? Warten<br />

auf die nächste Bahn<br />

Die Linie 1 ist<br />

das Verkehrsmittel<br />

zur Erlösung<br />

Eine Kneipentour<br />

von der Vahr<br />

bis in die Neustadt


EDITORIAL | 3<br />

In Betten<br />

und Kirchen<br />

Liebe Leserinnen<br />

und Leser,<br />

manchmal geben wir unser Heft aus der Hand – und dann passiert so was: Die<br />

Zeitschrift der Straße fährt mit der Straßenbahn durch die Stadt. Aus Huchting<br />

über die Neustadt rein ins Zentrum, von dort durch Schwachhausen in die<br />

Vahr, raus nach Tenever und von dort weiter bis zum Mahndorfer Bahnhof,<br />

wo Bremen schließlich wieder zu Ende ist. Die Idee dazu kommt von Benjamin<br />

Eichler, der sich schon länger für die Zeitschrift der Straße engagiert als<br />

die beiden Redaktionsleiter. Und weil der Immer-noch-Student vor allem ein<br />

Fotograf ist, hat diese – seine – Ausgabe auch viel mehr Fotos, als Sie das sonst<br />

von unserem Magazin gewohnt sind.<br />

Dafür können Sie mit ihm zusammen in anderer Leute Betten gucken,<br />

gleich morgens um acht (Seite 8). Und warten! Nein, vielmehr: diesen ja eher<br />

ungeliebten Zustand erkunden und ein paar Menschen treffen, die an den Haltestellen<br />

der Linie 1 stehen, bis die Tram kommt (Seite 10). Die wenigsten von<br />

ihnen wollen in die Kirche, dabei bietet sich genau das eigentlich an: Entlang<br />

der Linie 1 gibt es sehr viele Häuser unterschiedlicher Götter und Religionen,<br />

die Benjamin Eichler besucht hat (Seite 14). Selbstverständlich hat er sich<br />

auch die eine und andere Nacht für das Projekt um die Ohren gehauen, mit<br />

der werktätigen Bevölkerung entlang der Linie 1 (Seite 22), aber auch in all den<br />

Kneipen da, zusammen mit seinen FreundInnen (Seite 26).<br />

Viel Vergnügen beim Lesen wünschen<br />

Philipp Jarke, Jan Zier<br />

und das ganze Team der Zeitschrift der Straße<br />

Die Zeitschrift der Straße<br />

Foto Titel & Seite 2: Benjamin Eichler<br />

ist das Bremer Straßenmagazin – ein gemeinsames Projekt von<br />

Studierenden, JournalistInnen, sozial Engagierten, StreetworkerInnen,<br />

HochschullehrerInnen und von Menschen,<br />

die von Wohnungslosigkeit und Armut bedroht oder betroffen<br />

sind. Herausgegeben wird sie vom Verein für Innere Mission in<br />

Bremen. Die Zeitschrift der Straße Wird auf der Straße verkauft,<br />

die Hälfte des Verkaufserlöses geht an die VerkäuferInnen.<br />

Jede Ausgabe widmet sich einem anderen Ort in Bremen und<br />

erzählt Geschichten von der Straße.


Inhalt<br />

08 Zeit zum Aufstehen!<br />

Vier BremerInnen zeigen uns<br />

ihre zerwühlten Betten<br />

10 Sitting, waiting,<br />

wishing<br />

Was tun die Menschen,<br />

wenn sie auf die Bahn<br />

warten?<br />

08<br />

14 Glaubensfragen<br />

Die Linie 1 ist das<br />

Verkehrsmittel, das zur<br />

Erlösung führt<br />

BUCHSTABEN b e a r b e i t e n<br />

BILDER p l a t z i e r e n<br />

PAPIER v e r e d e l n<br />

WERTIGKEIT v e r m i t t e l n<br />

ACHTSAMKEIT e r z e u g e n<br />

EXCELLENT d r u c k e n<br />

22<br />

12<br />

14<br />

26<br />

20 „Das unterscheidet<br />

sich ganz krass“<br />

Benjamin Eichler über<br />

Perfektionismus, Religion<br />

und andere Fragen des<br />

Journalismus<br />

22 Nachtmenschen<br />

Ein Besuch bei Menschen,<br />

die arbeiten, während<br />

andere schlafen<br />

26 Kulturschock nach<br />

dem Regenbogen<br />

Zu fünft durch die Kneipen<br />

entlang der Linie 1<br />

31 Impressum & Vorschau<br />

30 Die Kälte lässt uns<br />

nicht kalt<br />

Die Zeitschrift der Straße und<br />

die Innere Mission helfen Obdachlosen<br />

durch den Winter<br />

Illustration:<br />

Anna-Lena Klütz ist freie Künstlerin und freut<br />

sich, wenn aus einer scheinbar nichtssagenden<br />

Straße ein Bild voller spannender Einblicke wird.<br />

DRUCKEREI AM BREMER KREUZ | BERLINDRUCK | 28832 ACHIM | WWW.BERLINDRUCK.DE


6 | zahlEN & Fakten<br />

1971<br />

LINIE 1<br />

22,5 Kilometer lange Straßenbahnlinie zwischen<br />

den Stadtteilen Huchting und Mahndorf<br />

2017<br />

Recherche & Text: Benjamin Eichler, Philipp Jarke<br />

Fotos: BSAG (1971), Benjamin Eichler (2017)<br />

Jahr, in dem der erste Straßenbahnwagen rollte:<br />

1876<br />

Antriebsleistung des ersten Wagens, in PS: 1<br />

Antriebsleistung der derzeit modernsten Bahnen<br />

in Bremen, in PS: 4 × 170<br />

Jahr der Fertigstellung der Linie 1 in ihrer<br />

heutigen Form: 2013<br />

Baukosten der Linie: nicht bezifferbar<br />

Angefahrene Haltestellen: 44<br />

Fahrgäste pro Tag: ca. 60.000<br />

Durchschnittliche Fahrgeschwindigkeit, in<br />

Kilometern pro Stunde: 20,6<br />

Fahrpreis für eine Kurzstrecke, in Euro: 1,75<br />

Fahrpreis für eine Langstrecke, in Euro: 2,75<br />

Preis für ein Tagesticket, in Euro: 7,90<br />

Preis für ein Monatsticket, gültig in Bremen,<br />

Preisstufe I, in Euro: 63,59<br />

Abfahrtstakt der Straßenbahn auf der Linie 1<br />

tagsüber, in Minuten: 10<br />

Abfahrtstakt der Straßenbahn auf der Linie 1<br />

nachts, in Minuten: 20<br />

Fahrzeit von Endhaltestelle Roland-Center bis<br />

Endhaltestelle Bahnhof Mahndorf, in Minuten: 58<br />

Abfahrtszeit der ersten Straßenbahn am Morgen<br />

von Huchting nach Mahndorf, werktags: 4:42 Uhr<br />

Abfahrtszeit der ersten Straßenbahn am Morgen<br />

von Mahndorf nach Huchting, werktags: 4:18 Uhr<br />

Abfahrtszeit der letzten Straßenbahn nachts von<br />

Huchting nach Mahndorf: 23:22 Uhr<br />

Abfahrtszeit der letzten Straßenbahn nachts von<br />

Mahndorf nach Huchting: 22:58 Uhr<br />

Länge der geplanten Streckenerweiterung vom<br />

Roland-Center bis Mittelshuchting, in Kilometern:<br />

3,7<br />

Geplante Kosten der Streckenerweiterung,<br />

in Millionen Euro: 77<br />

Errechneter Nutzen-Kosten-Faktor der<br />

Streckenerweiterung: 1,38<br />

Sandverbrauch der BSAG auf allen Stecken im<br />

Jahr 2014, in Tonnen: 377<br />

Zweck des Sandeinsatzes: Erhöhung der Reibung<br />

zwischen Rad und Schiene beim Anfahren und<br />

Bremsen<br />

Zahl der vom Hersteller ausgewiesenen Stehplätze<br />

in den derzeit modernsten Straßenbahnen der<br />

BSAG: 137<br />

Vorgesehene Anzahl von stehenden Passagieren<br />

pro Quadratmeter bei voller Belegung: 4<br />

1875 lebten 100.000 Menschen in Bremen. Wer<br />

von ihnen kein Pferd besaß, musste zu Fuß gehen,<br />

denn das Fahrrad war damals noch ein Luxusartikel<br />

und öffentliche Verkehrsmittel gab es an der<br />

Weser noch nicht. Da waren andere Großstädte<br />

weiter: In New York fuhren schon seit vier Jahrzehnten<br />

Straßenbahnen, einige Jahre später sah<br />

man sie auch in Paris, London, Chicago oder Genf.<br />

Inspiriert durch einen Aufenthalt in Chicago<br />

beantragte der Bremer Ingenieur Carl Westenfeld<br />

beim Senat eine Konzession für eine Pferdebahn<br />

zwischen Herdentor und Oberneuland. Als die<br />

Konzession erteilt und das nötige Geld über Aktienverkäufe<br />

eingesammelt war, nahm die „Bremer<br />

Pferdebahn“ am 4. Juni 1876 ihren Betrieb auf.<br />

Was die Fahrkarten damals kosteten, ist uns nicht<br />

bekannt, aber es scheint ein lukratives Geschäft<br />

gewesen zu sein: Schon drei Jahre später eröffneten<br />

Investoren aus London ein Konkurrenzunternehmen,<br />

die „Große Bremer Pferdebahn“, welche<br />

zunächst zwischen Hastedt und Walle verkehrte.<br />

Die Bremer Pferdebahn experimentierte bereits<br />

1890 mit einer elektrischen Versuchsstrecke.<br />

Kurz darauf benannte sich das Unternehmen um<br />

in Bremer Straßenbahn und setzte elektrische<br />

Bahnen auch im regulären Betrieb ein. Die von<br />

London geführte Konkurrenz hielt unterdessen an<br />

ihren Pferden fest. Sie tat dies aber nicht freiwillig:<br />

Sie hatte für die Elektrifizierung ihrer Strecken<br />

keine Lizenz erhalten. So sorgte der Protektionismus<br />

der Welthandelsstadt Bremen dafür, dass die<br />

Große Bremer Pferdebahn 1899 von der Bremer<br />

Straßenbahn aufgekauft wurde, woraufhin auch<br />

ihre Strecken zügig elektrifiziert werden konnten.<br />

Die Bremer Straßenbahn wuchs im 20. Jahrhundert<br />

kontinuierlich weiter, Oberleitungsbusse<br />

wurden eingesetzt und mit der Bremer Vorortbahnen<br />

GmbH, welche Dieselbusse betrieb, der nächste<br />

Konkurrent übernommen.<br />

Ihre größte Krise erlebte die Bremer Straßenbahn<br />

im Januar 1968, als Tausende SchülerInnen<br />

und Studierende gegen eine Preiserhöhung<br />

demonstrierten: Einzeltickets sollten statt 60 nun<br />

70 Pfennig kosten. Eine Woche lang legten die Demonstranten<br />

den Verkehr in der Innenstadt lahm<br />

und prügelten sich mit der Polizei, die später für<br />

ihren überharten Einsatz gerügt wurde. Die Preiserhöhung<br />

wurde damals zurückgenommen.<br />

Über steigende Fahrpreise ärgern sich die Bremer<br />

noch immer, auf die Straße treibt sie das aber<br />

schon längst nicht mehr. Heute kostet eine Einzelfahrt<br />

umgerechnet 5,39 Mark.


8 | Aufstehen<br />

Aufstehen | 9<br />

Zeit zum<br />

Max, 30 Jahre, Sozialarbeiter,<br />

Haltestelle „Westerstraße“<br />

„Wenn es für mich so etwas wie<br />

ein morgendliches Ritual gibt,<br />

dann ist es das Drücken des<br />

‚Snooze Buttons‘ auf meinem<br />

Wecker. Ich schlafe einfach<br />

viel lieber noch etwas länger,<br />

als Ewigkeiten morgens noch<br />

etwas zu tun. Dafür habe ich<br />

dann aber meistens nur fünf<br />

Minuten, um mich fertig zu<br />

machen, und muss dann los.“<br />

Aufstehen!<br />

Morgens ist die Bahn voller verschlafener Gesichter.<br />

Was haben die nur die ganze Nacht gemacht? Vier<br />

BremerInnen haben uns ihre zerwühlten Betten gezeigt<br />

Fotos & Protokolle: Benjamin Eichler<br />

Christina, 26 Jahre, Operationstechnische<br />

Assistentin,<br />

Haltestelle „Hochschule“<br />

„Wir haben uns vor wenigen<br />

Monaten unser neues<br />

Bett gekauft – und ich<br />

liebe es. Wenn ich, so wie<br />

heute, Spätschicht habe,<br />

gibt es nichts Schöneres,<br />

als morgens ganz entspannt<br />

in den Tag zu starten.<br />

Am liebsten mit einer<br />

Runde Yoga und danach<br />

einem guten Kaffee.“<br />

Melanie, 26 Jahre, Maschinenbau-Studentin,<br />

Haltestelle „Am Dobben“<br />

„Ohne Frühstück: ohne<br />

mich! Deswegen ist das<br />

Erste, das morgens bei<br />

mir passiert, der Weg in<br />

die Küche und an den<br />

Kühlschrank. Erst wenn<br />

ich etwas im Magen habe,<br />

kann der Tag für mich beginnen.“<br />

Tim, 23 Jahre, Student,<br />

Haltestelle „Berliner Freiheit“<br />

„Als Erstes nach dem<br />

Aufstehen mach ich das<br />

Radio an. Dann am liebsten<br />

ganz laut, damit ich<br />

wirklich wach werde.“


10 | Warten<br />

Sitting,<br />

Frau Felde<br />

Noch sechs Minuten, bis<br />

ihre Bahn kommt. Fröhlich<br />

auf ihr Handy guckend,<br />

die rechte Hand<br />

am Griff ihres Rollkoffers,<br />

steht Frau Felde an<br />

der Haltestelle Ellenerbrokstraße.<br />

Sie ist unterwegs<br />

zum Einkaufen, wie<br />

jeden Dienstag. Das geht<br />

nun schon viele Jahre so.<br />

„Weil momentan Ferien<br />

sind, fahre ich heute aber<br />

etwas später los als sonst“,<br />

sagt sie. Sie hievt den<br />

Rollkoffer in die Bahn<br />

und fährt davon.<br />

waiting,<br />

wishing<br />

Durchschnittlich 374 Tage seines Lebens<br />

verbringt ein Mensch mit Warten: an der Ampel<br />

und beim Amt, am Automaten, im Flughafen und<br />

im Stau, beim Arzt, an der Kasse oder an der<br />

Haltestelle von Bus und Bahn. Was machen die<br />

Menschen mit all dieser Zeit? Erkundung eines<br />

ungeliebten Zustandes<br />

Fotos & Protokolle: Benjamin Eichler<br />

Fabian<br />

Die großen Kopfhörer auf<br />

den Ohren, steht Fabian<br />

im warmen Sonnenlicht<br />

vor der Haltestelle und<br />

wippt mit dem Fuß im<br />

Takt. Als er die Kopfhörer<br />

abnimmt, um zu verraten,<br />

was er denn grade höre,<br />

rollt die Straßenbahn<br />

schon ein. „Grade läuft<br />

bei mir Hardstyle“, sagt er<br />

mit einem breiten Grinsen<br />

und setzt seine Kopfhörer<br />

wieder auf.<br />

Frau Kandzio<br />

„Ich bin oft mit der Straßenbahn<br />

unterwegs. Ich<br />

fahre damit, um in die<br />

Stadt zu kommen, oder<br />

für meine Besuche auf<br />

dem Friedhof“, erzählt<br />

die 64-jährige Rentnerin.<br />

Sie ist froh, wenn sie<br />

mal aus ihrem Stadtteil<br />

rauskommt. „Ich mag<br />

Osterholz nicht so gerne.<br />

Wenn ich nachmittags<br />

hier unterwegs bin, dann<br />

ist niemand auf der Straße<br />

und es gibt keine Sitzmöglichkeiten<br />

für ältere<br />

Menschen.“


12 | Warten<br />

WARTEN | 13<br />

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Lisa<br />

„Ich bin nur zu Besuch in<br />

Bremen und kenne mich<br />

nicht so gut aus. Meine<br />

BSAG-App sagt, dass ich<br />

die Linie 1 nehmen soll,<br />

also warte ich hier jetzt in<br />

der Kälte und hoffe, dass<br />

sie pünktlich ist.“<br />

Meine Versicherung<br />

gehört zu Bremen wie wir zum Stadion<br />

Sebastian<br />

Es ist ein verregneter<br />

Montagnachmittag. Sebastian<br />

steht mit seinem<br />

aufgespannten Regenschirm<br />

an der Haltestelle<br />

Norderländer Straße, sein<br />

Ziel ist das Roland-Center<br />

in Huchting. „Ich genieße<br />

das tolle Bremer Wetter<br />

beim Warten“, scherzt er.<br />

Heiner Montanus<br />

„Während des Wartens<br />

gucke ich mir gern andere<br />

Leute an. Das geht dabei<br />

am besten“, sagt Heiner<br />

Montanus und dreht sich<br />

wieder zur Fahrplananzeige<br />

an der Haltestelle an<br />

der Hochschule Bremen.<br />

Er sucht einen Weg, um<br />

zum Hauptbahnhof zu<br />

kommen.<br />

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14 | Religion<br />

Fotos & Interviews: Benjamin Eichler<br />

Glaubensfragen<br />

Gott, Allah oder Buddha – egal, bei wem<br />

du sie suchst: Die Linie 1 ist das Verkehrsmittel,<br />

das zur Erlösung führt. An keiner anderen<br />

Straßenbahnstrecke in Bremen liegen so viele<br />

Glaubenshäuser. Wir haben drei davon besucht<br />

Jüdische Gemeinde im Lande Bremen, Schwachhauser Heerstraße 117<br />

Wie viele Mitglieder hat Ihre<br />

Gemeinde? Es sind knapp 1.000<br />

Mitglieder. Damit sind wir eine<br />

der größten jüdischen Gemeinden<br />

in Deutschland.<br />

Wodurch zeichnet sich Ihre Gemeinde<br />

aus? Hier in unserem<br />

Haus passiert ganz viel: So haben<br />

wir beispielsweise einen<br />

Kindergarten, einen Seniorenclub,<br />

ein Jugendzentrum und<br />

eine Art Altersversorgung, die<br />

Krankenbesuche macht.<br />

Wie kann man Mitglied werden?<br />

Jude wird man, in dem man als<br />

Jude geboren wird oder zum Judentum<br />

konvertiert. Generell ist<br />

aber jeder bei uns willkommen.


Religion | 17<br />

Masjid-Ar-Rahma-Moschee, Frühlingstraße 7–10<br />

Ismael (Sammy Baah-Asiedu),<br />

Vorsitzender<br />

Wie viele Mitglieder hat Ihre Gemeinde?<br />

Es sind etwa 100 Mitglieder, aber zum<br />

Freitagsgebet kommen häufiger mehr<br />

Menschen.<br />

Wodurch zeichnet sich Ihre Gemeinde<br />

aus? Wir sind eine sunnitisch geprägte<br />

Moschee und trotzdem ist jeder bei uns<br />

herzlich willkommen und darf gerne<br />

vorbeikommen. Neben den klassischen<br />

Dingen, die in einer Moschee passieren,<br />

findet bei uns zum Beispiel an Samstagen<br />

und Sonntagen Koranunterricht für Kinder<br />

statt. Außerdem ist es Tradition, dass,<br />

wenn ein Kind geboren wird, wir hier Essen<br />

zur Feier servieren.<br />

Wie kann man Mitglied bei Ihnen<br />

werden? Entweder man wird als Moslem<br />

geboren oder man kann konvertieren.


Religion | 19<br />

Evangelisch-methodistische Erlöserkirche,<br />

Schwachhauser Heerstraße 179<br />

Susanne Nießner-Brose, Pastorin<br />

Seit wann besteht Ihre Gemeinde? Die Kirche<br />

wurde 1949/1959 erbaut und wird von zwei<br />

Gemeinden genutzt, den Alt-Katholiken und<br />

uns.<br />

Wie viele Mitglieder hat Ihre Gemeinde? Es<br />

sind über 100 Mitglieder, plus Angehörige.<br />

Wodurch zeichnet sich Ihre Gemeinde aus?<br />

Wir sind eine sehr bunte Gemeinde: So versuchen<br />

wir hier, viele Nationen zusammenzubringen.<br />

Insgesamt engagieren wir uns sehr stark in<br />

den Bereichen Flucht und Migration. So veranstalten<br />

wir hier regelmäßig Vorträge oder Lesungen<br />

zum Thema und bieten immer freitags<br />

von 15 bis 18 Uhr Deutschunterricht für Geflüchtete<br />

an. Wir sehen uns als Kirche in einer großen<br />

Verantwortung, deshalb haben wir bisher<br />

auch in vier Fällen Kirchenasyl gewährt.<br />

Wie kann man Mitglied werden? Bei uns<br />

wird man nicht Mitglied durch Konfirmation<br />

oder Taufe, sondern muss ein Bekenntnis ablegen<br />

und sich dazu verpflichten, aktiv in der Gemeinde<br />

teilzunehmen.


Gespräch | 21<br />

„Das unterscheidet<br />

sich<br />

ganz krass“<br />

Benjamin Eichler hat diese Ausgabe der<br />

Zeitschrift der Straße gestaltet. Ein Gespräch<br />

über Perfektionismus, Religion und andere<br />

Fragen des Journalismus<br />

Warum sollte es unbedingt die Linie 1 sein, Ben?<br />

Ich finde sie spannend, weil sie ganz viele Stadtteile<br />

miteinander verbindet, die sonst nicht viel<br />

miteinander zu tun haben. Zwischen Tenever und<br />

Schwachhausen liegen Welten – und das merkt<br />

man, wenn man aus der Bahn aussteigt. Die Linie 1<br />

ist die Verbindung zwischen diesen Kulturen.<br />

Und wo haben dir mehr Leute ihr Bett gezeigt?<br />

In der Neustadt. Aber viele von denen kannte ich<br />

Interview: Philipp Jarke, Jan Zier<br />

Foto: Christian Holtmann<br />

vorher, da war das einfacher. Ist ja doch sehr intim.<br />

Hättest du anderen dein Bett gezeigt? (überlegt)<br />

Ich glaube, ja.<br />

Hattest du das Gefühl, dass die Leute aufgeräumt<br />

hatten, eh du kamst? So gut wie alle! Nur<br />

eine Frau habe ich morgens um acht wachgeklingelt.<br />

Bei den anderen war das Bett nicht mehr im<br />

Originalzustand, als ich mit der Kamera kam. Das<br />

hast du gemerkt.<br />

Normalerweise dreht sich die Zeitschrift der<br />

Straße ja um einen einzigen, eng begrenzten Ort.<br />

Warum sollte das in dieser Ausgabe anders sein?<br />

Ich wollte mal etwas von dem Konzept abrücken,<br />

dass wir seit sechs Jahren praktizieren. Es sollte<br />

etwas sein, das heraussticht, schon auf dem Titel.<br />

Und die Zeitschrift der Straße bietet eine supertolle<br />

Spielwiese, um sich auszuprobieren.<br />

Warum passt dein Heft trotzdem zur Zeitschrift<br />

der Straße? Weil es Themen abdeckt, die auch in<br />

anderen Ausgaben des Magazins stehen könnten.<br />

Eigentlich hättest du an der Hochschule ja journalistisches<br />

Schreiben lernen sollen. Jetzt bist du<br />

trotzdem Fotograf geworden. Warum? Mein Weg<br />

in den Journalismus begann schon mit der Fotografie.<br />

Ich komme aus Achim, da hab ich mit 18 bei<br />

der Dorfpresse angefangen, einem Anzeigenblatt.<br />

Die konnten sich nicht Schreiberling und Fotograf<br />

leisten – also musste ich auch schreiben. Das war<br />

der Einstieg. Später habe ich Gefallen am Schreiben<br />

gefunden und neben dem Studium für Zeitungen<br />

und Magazine geschrieben. Trotzdem hat die<br />

Fotografie irgendwann Überhand genommen.<br />

Und jetzt ist Schreiben eine Notlösung? Nein.<br />

Aber es ist viel aufwendiger, bedarf viel mehr der<br />

Recherche. Und je länger ich wenig geschrieben<br />

habe, desto länger brauche ich, um wieder reinzukommen.<br />

Außerdem bin ich perfektionistisch,<br />

was Texte angeht, sitze lange an einzelnen Formulierungen.<br />

Fotos sind manchmal geiler, wenn sie<br />

spontaner, ungestellter und nicht so perfekt sind.<br />

Das unterscheidet sich bei mir ganz krass.<br />

Mit Fotos kannst du also schneller Geld verdienen.<br />

Das klingt so unterstellend (lacht). Aber da ist<br />

was dran.<br />

Dieses Heft beschäftigt sich auf sechs Seiten<br />

mit Religionen. Bist Du ein religiöser Mensch?<br />

Nein. Meine Art von Glauben würde ich eher Humanismus<br />

nennen. Ich finde aber das Thema spannend.<br />

Ich bin in den letzten Jahren viel gereist und<br />

war oft an religiös geprägten Orten wie Israel und<br />

Palästina. Ich denke, anhand des Glaubens kann<br />

man viel über Leute und Kulturen lernen.<br />

Was hast du bei der Arbeit am Heft zur Linie 1<br />

über Bremen gelernt? Ich war überrascht, wie offen<br />

die Leute waren! Viele haben sofort zugesagt,<br />

als ich zu ihnen kam. Das würde ich schon auch<br />

der Stadt zuschreiben – sie sind offener und leben<br />

nicht ganz so anonym wie in größeren Städten. Nur<br />

bei den Religionsgemeinschaften war es schwieriger,<br />

aufwendiger: In einer Moschee beispielsweise<br />

habe ich vier Stunden auf den Imam gewartet und<br />

am Ende trotzdem eine Absage kassiert.<br />

Fotografierst du auch privat? Gar nicht! Ich<br />

mache keine Urlaubsfotos und verstehe auch nicht,<br />

wie Handyfotos geil aussehen können.<br />

Wo siehst du dich in zehn Jahren? Ich hoffe,<br />

dass ich weiter das tun kann, was ich gerade mache<br />

und von der Fotografie leben kann. Ich würde<br />

gern längere Zeit im Ausland unterwegs sein und<br />

Reportagen machen. Nicht als Kriegsberichterstatter<br />

an der Front, aber auf Nebenschauplätzen.<br />

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Die soziale Stadtführung<br />

DIE ZEITSCHRIFT<br />

DER STRASSE<br />

Besonders geeignet für<br />

Schulklassen und Hochschulgruppen<br />

PERSPEKTIV<br />

WECHSEL<br />

Volles Engagement für Bremens Zukunft<br />

Die Förderung von Kindern und Jugendlichen liegt uns seit jeher am Herzen. Gemeinsam mit<br />

starken Partnern engagieren wir uns für Bildungs-, Sport-, Kultur- und Umwelt projekte, von denen<br />

junge Bremerinnen und Bremer profitieren. Sie sind die Zukunft unserer Stadt.<br />

Mehr unter www.sparkasse-bremen.de/foerderung<br />

Ein neuer Blick aufs Bahnhofsviertel: Zeitschrift-der-Strasse.de/PW<br />

Stark. Fair. Hanseatisch.<br />

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22 | Nachts<br />

Nachtmenschen<br />

Für die meisten Menschen ist die Nacht die Tageszeit der<br />

Stille, der Erholung und des Schlafs. Für andere beginnt<br />

mit der Dämmerung aber erst der eigentliche Tag. Ich<br />

habe mich auf die Suche nach diesen Menschen gemacht<br />

und sie gefunden. Ein Streifzug durch die Nacht<br />

Fotos & Text: Benjamin Eichler<br />

Christian Holtmann, freier<br />

Künstler, Künstlerhaus am Güterbahnhof,<br />

21:14 Uhr<br />

Vielleicht ist es das Klischee<br />

des zurückgezogenen Künstlers,<br />

aber Christian Holtmann arbeitet<br />

wirklich am Liebsten in den<br />

späten Abendstunden. Auch<br />

heute Abend ist er wieder in<br />

seinem Atelier. Bis auf das Summen<br />

der Leuchtstoffröhren und<br />

hin und wieder leise Geräusche<br />

von Stiften, die über Papier gleiten,<br />

herrscht hier absolute Stille.<br />

Isac, Kioskbesitzer, Langemarckstraße,<br />

22:53 Uhr<br />

Es gibt wohl kaum ein Produkt,<br />

das es in dem Kiosk von Isac<br />

nicht zu kaufen gibt. Zwischen<br />

Süßigkeiten, Getränken, Zigaretten<br />

und Bier stapeln sich sogar<br />

Ravioli-Dosen und Shampoo-<br />

Flaschen in den hohen Regalen<br />

des kleinen Geschäfts. Die Nächte<br />

verbringt Isac meistens am<br />

Telefon, kommt ein Kunde rein,<br />

legt er es zur Seite und ist die<br />

Freundlichkeit in Person. Nur<br />

noch knapp eine Stunde noch,<br />

dann kann er in seinen verdienten<br />

Feierabend gehen.<br />

Enjoy Pizza, Langemarckstraße,<br />

22:10 Uhr<br />

Langsam rieselt der geraspelte<br />

Käse auf den Teig mit der Tomatensoße,<br />

jetzt noch eben in<br />

den Ofen und dann ist sie fertig.<br />

Nicht nur, dass das Team um Sarah<br />

und Singh Aman Kahn eine<br />

der leckersten Pizzen überhaupt<br />

in Bremen macht – wegen ihrer<br />

langen Öffnungszeiten haben sie<br />

wohl auch schon den einen oder<br />

anderen vor einer hungrigen<br />

Nacht bewahrt.


Nachts | 25<br />

Gast, Vahrer Eck, 00:29 Uhr<br />

Schon seit Jahren kommt er hierher,<br />

ist beinahe täglich Gast. „Ich mag die<br />

Atmosphäre hier und bin mit dem<br />

Besitzer befreundet“, erzählt er. Dafür<br />

kommt er sogar extra aus einem<br />

anderen Stadtteil hierher. Er nippt<br />

an seinem Chai und nimmt sich eine<br />

neue Zigarette aus der Schachtel.<br />

Klick-Klick! Klick-Klick! Das Feuerzeug<br />

will nicht mehr. Er greift in<br />

seine Sakkotasche und holt einfach<br />

das nächste heraus.<br />

Wirt, Vahrer Eck, 00:32 Uhr<br />

Teilweise können die Nächte für ihn<br />

hier sehr lang werden. Dann, wenn<br />

mal wieder nur eine Handvoll Leute<br />

hier sitzt und nicht viel redet.<br />

Ilona Riedel, Straßenbahnfahrerin,<br />

22:58 Uhr<br />

„Ich fahre ausschließlich nachts,<br />

weil ich es mag, morgens ohne Wecker<br />

aufstehen zu können.“ Bereits<br />

seit 26 Jahren fährt sie die Busse und<br />

Straßenbahnen der BSAG. Im April<br />

2018 wird es ihre letzte Fahrt sein:<br />

Dann geht sie in den Ruhestand.


26 | Expedition<br />

Kulturschock<br />

nach dem<br />

Regenbogen<br />

Zu fünft durch die Kneipen entlang der Linie 1.<br />

Eine nächtliche Erkundung, dokumentiert<br />

mit Einwegkameras<br />

Text: Benjamin Eichler<br />

Fotos: Benjamin Eichler, Lisa Meyne, Piotr Rambowski, Kim Scholten, Sara Spiewack<br />

Ich habe meinen guten Freund Piotr eingeladen<br />

und dazu noch Lisa, Kim und Sara aus Oldenburg.<br />

Unser Ziel: in möglichst vielen Kneipen und Bars<br />

an der Linie 1 mindestens ein Bier zu trinken. Dabei<br />

immer griffbereit: ein paar analoge Einwegkameras.<br />

Angelockt wie Motten vom Licht, werden wir<br />

durch bunte Neonleuchten auf die erste Kneipe<br />

aufmerksam. Es geht los! Grell blinkende Spielautomaten,<br />

eine dunkel getäfelte Bar und Euro-Dance-Hits<br />

aus der Musikbox, hier im „Vahrer Eck“<br />

scheint die Zeit vor 20 Jahren stehen geblieben<br />

zu sein. Unsere erste Amtshandlung: ein 10-Euro-Schein,<br />

der in die Musikbox wandert. „Wir<br />

brauchen was Tanzbares“, ruft Lisa und reißt die<br />

Arme nach oben. Mit dem Musikwechsel verändert<br />

sich auch die Stimmung im Laden. Wurden<br />

wir anfangs vom Wirt und seinen beiden separat<br />

sitzenden Gästen noch misstrauisch beäugt, wirkt<br />

er beim Anblick von drei in seiner Kneipe tanzenden<br />

Mädels nun wie ausgewechselt. „Was wollt ihr<br />

denn trinken?“<br />

Die ersten beiden Runden gehen auf uns, die<br />

dritte Runde aufs Haus. Wir trinken uns durch die<br />

bunte Auswahl von Kurzen. Gelb, blau, rot – ein<br />

Regenbogen aus Schnaps, der hilft, mit einem der<br />

Gäste ins Gespräch zu kommen. Er sitzt schon den<br />

ganzen Abend direkt an der Bar, nippt im Wechsel<br />

an Zigarette und Tee. Woher er komme, mag er<br />

uns nicht verraten, nur dass er extra aus einem anderen<br />

Stadtteil hierhergekommen sei, weil er den<br />

Besitzer kenne.<br />

Vielleicht liegt es am Schnaps, aber nach einer<br />

Stunde haben wir das Gefühl, hier eine Heimat<br />

und neue, beste Freunde gefunden zu haben,<br />

trotzdem beschließen wir, weiterzuziehen. „Dann<br />

kommt doch bald mal wieder“, ruft uns der Wirt<br />

nach, während wir durch die Tür gehen zu. „Klar“,<br />

rufen wir im Chor zurück. Dass dies wohl nicht<br />

passieren wird, wissen beide Seiten.


ezeichnet sich selbst als protestierenden<br />

AfD-Anhänger. Lösungen<br />

hat er nicht zu bieten, dafür viel<br />

Hetze gegen „die Ausländer“ und<br />

„die ganze Lügenpresse“. Dass ich<br />

in seiner Logik einer von diesen<br />

„linksversifften, von Merkel manipulierten<br />

Medienaffen“ bin, verschweige<br />

ich lieber.<br />

Diesen Mann können wir uns<br />

nicht mal sympathisch trinken!<br />

Während Kim noch versucht, mit<br />

ihm zu diskutieren, tickt mich Lisa<br />

von der Seite an. Sie erträgt es hier<br />

nicht mehr und hat Angst, dass der<br />

Typ noch aggressiver als ohnehin<br />

schon wird. Wir verlassen das Lokal<br />

und nehmen die Entschuldigung<br />

der Dame hinter dem Tresen<br />

gerne an.<br />

Auf den Schreck erst mal ein<br />

Bier und dann ab an die nächste<br />

Haltestelle. Es ist mittlerweile halb<br />

vier, die Straßenbahnen fahren<br />

schon lange nicht mehr. Wir nehmen<br />

also ein Taxi und fahren in die<br />

Neustadt, wo die Welt für uns noch<br />

in Ordnung ist. Schließlich landen<br />

wir in der „Auszeit“, einer kleinen,<br />

muckeligen Rock-Kneipe, in<br />

der ich schon die ein’ oder andere<br />

Nacht verbracht habe.<br />

Beim Blick in den Spiegel auf<br />

dem Herrenklo bin ich erschrocken<br />

über die Auswirkung des Alkohols<br />

in meinem müden Gesicht. Noch<br />

eine weitere Kneipe übersteh ich<br />

heute Nacht nicht. Wir machen uns<br />

auf den Rückweg, mit der bösen<br />

Vorahnung auf die Kopfschmerzen<br />

von morgen. Danke, Linie 1, diese<br />

Nacht werden wir so schnell nicht<br />

vergessen!<br />

Expedition | 29<br />

Piotr und ich möchten unbedingt<br />

nach Tenever weiter, den<br />

Mädels aus dem eher bürgerlichen<br />

Oldenburg einen kleinen Kulturschock<br />

verpassen. An der Haltestelle<br />

„Schweizer Eck“ steigen wir aus,<br />

irren einige Zeit umher und finden<br />

keine geöffnete Kneipe. Scheinbar<br />

trinkt man hier unter der Woche<br />

nicht. Schließlich finden wir doch<br />

noch etwas. Eine alte Arbeiterkneipe<br />

mitten im Herzen des Multikulti-Stadtteils.<br />

Wir setzen uns direkt<br />

an die Bar. Kim schlägt vor, diesen<br />

spanischen Schnaps zu probieren.<br />

Ich bestelle eine Runde. Der erste<br />

Schluck zieht mir fast den Boden<br />

unter den Füßen weg, das Zeug<br />

schmeckt furchtbar! Auch ein großer<br />

Schluck Bier zum Nachspülen<br />

ändert nichts. Währenddessen haben<br />

sich zwei Männer neben uns<br />

niedergelassen. Ich sehe meine<br />

Chance, den ekligen Schnaps loszuwerden<br />

und biete ihnen großzugig<br />

etwas an. So kommen wir ins<br />

Gespräch. Einer von ihnen sei russischer<br />

Soldat gewesen, daher auch<br />

seine Tattoos am Arm. Ich frage<br />

ihn, ob ich diese fotografieren dürfe.<br />

Er willigt ein.<br />

Dann kommt der Moment, den<br />

wir alle gefürchtet haben. Drei<br />

Tage vor der Bundestagswahl wird<br />

das Gespräch politisch. Polternd<br />

beginnt der zweite Mann neben<br />

uns einen endlosen Monolog von A<br />

wie Antifa bis Z wie Zionisten. Er


Impressum<br />

Die Kälte lässt<br />

uns nicht kalt<br />

Text: Reinhard Spöring<br />

Foto: Benjamin Eichler<br />

Mehrere Hundert Menschen in Bremen sind obdachlos,<br />

das heißt, sie leben permanent auf der<br />

Straße. Daneben gibt es sehr viele Menschen ohne<br />

festen Wohnsitz, die in Notunterkünften oder<br />

Wohnheimen leben. Die Gründe für Obdachlosigkeit<br />

sind vielfältig, aber häufig sind es Schicksalsschläge<br />

wie Trennung, Gewalterfahrungen<br />

oder Jobverlust, in deren Folge Menschen auf der<br />

Straße landen. Dieses gravierende soziale Problem<br />

muss mehr Aufmerksamkeit in Politik und Gesellschaft<br />

erfahren.<br />

Viele unserer StraßenverkäuferInnen wissen<br />

aus eigener Erfahrung, an welchen Orten in der<br />

Stadt sich Menschen aufhalten, die kein Dach über<br />

dem Kopf haben. Nicht jeder und jedem sieht man<br />

es auf den ersten Blick an. Es ist tatsächlich nicht<br />

ungewöhnlich, dass jemand im Sommer auf einer<br />

Bank im Bürgerpark oder in den Wallanlagen<br />

übernachtet.<br />

Aber im Winter? Bereits bei Temperaturen,<br />

die deutlich über null liegen, birgt die Nacht unter<br />

freiem Himmel die Gefahr des Auskühlens<br />

und Krankwerdens. Was also wird mit denen, die<br />

keinen geschützten Platz zum Schlafen haben?<br />

Anzeige<br />

Frag einfach die, die es wissen!<br />

Studieren? Ja! Aber was und wo?<br />

Viele Fragen schwirrten mir vor meinem Studium im Kopf herum.<br />

Ich habe mir jemanden gewünscht, der schon studiert und mir<br />

alles darüber erzählen kann. Ehrlich und offen.<br />

Dieser Jemand bin ich heute selber.<br />

Als einer von 14 Studienpaten.<br />

Deine<br />

Studienpaten<br />

Mehr unter: hs-bremerhaven.de/studienpaten<br />

Oft bieten ein heißer Kaffee, eine Suppe und ein<br />

Schlafsack Erste Hilfe in der größten Not. StreetworkerInnen<br />

sind Tag und Nacht unterwegs, um<br />

Menschen aufzusuchen, die auf der Straße leben,<br />

und ihnen zu helfen. Sie stellen auch Verkäuferausweise<br />

für die Zeitschrift der Straße aus und haben<br />

immer einige Ausgaben dabei, damit Neulinge<br />

des Straßenverkaufs gleich erste Erfahrungen<br />

sammeln können. Es steht allen offen, die Hilfsangebote<br />

anzunehmen. Wer Hilfe benötigt, bekommt<br />

sie – schnell und mit der notwendigen Zuwendung.<br />

Denn auch Menschen ohne Obdach und festen<br />

Wohnsitz gehören zu unserer Nachbarschaft. Bitte<br />

ermöglichen und unterstützen Sie diese Arbeit,<br />

speziell in der kälteren Jahreszeit, und spenden<br />

Sie:<br />

Sparkasse Bremen<br />

IBAN: DE22 2905 0101 0001 0777 00<br />

BIC: SBREDE22XXX<br />

Verwendungszweck: Zeitschrift der Straße<br />

Vielen Dank sagen die VerkäuferInnen und das<br />

gesamte Team der Zeitschrift der Straße.<br />

Stephanie<br />

Deine Studienpatin<br />

Cruise Tourism Management<br />

Herausgeber Verein für Innere Mission in Bremen,<br />

Blumenthalstraße 10, 28209 Bremen<br />

Partner<br />

Hochschule Bremerhaven<br />

Büro<br />

Auf der Brake 10–12, 28195 Bremen,<br />

Mo–Fr 10–16 Uhr<br />

Tel. 0421/175 216 27<br />

Kontakt post@zeitschrift-der-strasse.de<br />

Internet www.zeitschrift-der-strasse.de<br />

Anzeigen Preisliste 07, gültig vom 1.12.2016<br />

Kontakt: Michael Vogel,<br />

anzeigen@zeitschrift-der-strasse.de<br />

Abo<br />

nur für Firmen, Institutionen und<br />

Nicht-BremerInnen (45 € / 10 Ausgaben):<br />

abo@zeitschrift-der-strasse.de<br />

Spendenkonto Verein für Innere Mission,<br />

IBAN DE22 2905 0101 0001 0777 00<br />

Sparkasse Bremen<br />

Verwendungszweck (wichtig!): Zeitschrift der Straße<br />

Spenden sind steuerlich absetzbar.<br />

Redaktion<br />

Fotografie<br />

Marketing<br />

Vertrieb<br />

Gesamtleitung<br />

Benjamin Eichler, Philipp Jarke, Reinhard Spöring,<br />

Jan Zier<br />

Leitung: Philipp Jarke, Jan Zier<br />

redaktion@zeitschrift-der-strasse.de<br />

Benjamin Eichler, Christian Holtmann,<br />

Lisa Meyne, Piotr Rambowski, Kim Scholten,<br />

Sara Spiewack<br />

Bildredaktion: Jan Zier<br />

Pia Böttcher, Nina Braun, Corinne Kleber,<br />

Annika Muus<br />

Leitung: Prof. Dr. Dr. Michael Vogel<br />

marketing@zeitschrift-der-strasse.de<br />

Marie Adenrele, Maria Albers, Ragni Bätzel,<br />

Lisa Bäuml, Angelika Biet, Petra Böttcher,<br />

Christian Claus, Eike Kowalewski, Georg Kruppa,<br />

Alaa Mohammadalhasn, Hauke Redemann,<br />

Michael Risch, Sonja Schnurre, Eva Schönberger,<br />

Klaus Seeger, Philipp Seabear,<br />

Dorothea Teckemeyer, Kalle van der Puetten,<br />

Frederike Voß, Diethard von Wehren<br />

sowie viele engagierte VerkäuferInnen<br />

Koordination: Petra Kettler<br />

Leitung: Rüdiger Mantei, Reinhard „Cäsar“ Spöring<br />

vertrieb@zeitschrift-der-strasse.de<br />

Bertold Reetz, Prof. Dr. Dr. Michael Vogel<br />

Gestaltung Fabian Horst, Janina Freistedt<br />

Ottavo Oblimar, Glen Swart<br />

Lektorat Textgärtnerei, Am Dobben 51, 28203 Bremen<br />

V. i. S. d. P. Philipp Jarke / Anzeigen: Michael Vogel<br />

Druck<br />

BerlinDruck GmbH + Co KG, Achim<br />

Papier<br />

Circleoffset White,<br />

ausgezeichnet mit dem Blauen<br />

Umweltengel und dem EU-Ecolabel<br />

Erscheint zehnmal jährlich<br />

Auflage 8.000<br />

Gerichtsstand<br />

& Erfüllungsort Bremen<br />

ISSN 2192-7324<br />

Mitglied im International Network of Street Papers (INSP).<br />

Gefördert durch den Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft.<br />

Die Redaktion übernimmt keine Haftung für unverlangt eingesandte<br />

Manuskripte, Fotos und Illustrationen. Die Zeitschrift der Straße und<br />

alle in ihr enthaltenen Beiträge sind urheberrechtlich geschützt. Mit<br />

Ausnahme der gesetzlich zugelassenen Fälle ist eine Verwertung ohne<br />

Einwilligung des Verlages strafbar. Alle Anbieter von Beiträgen, Fotos<br />

und Illustrationen stimmen der Nutzung in den Ausgaben der Zeitschrift<br />

der Straße im Internet, auf DVD sowie in Datenbanken zu.<br />

Sie erkennen unsere VerkäuferInnen am Verkäuferausweis.<br />

PAPPELSTRASSE<br />

Wo alles im Fluss<br />

ist und nur der<br />

Bote bleibt, jagen<br />

sie verzweifelt das<br />

Glück.<br />

Ab 5.2. beim<br />

Straßenverkäufer<br />

Ihres Vertrauens


Winterzeit! Für die meisten von uns ein guter Grund, gemütlich<br />

Zuhause zu bleiben. Für wohnungslose Menschen ist das öffentliche Leben im<br />

Freien bei eisigem Wind und Minusgraden ein großes, existenzielles Problem.<br />

Helfen Sie mit! Unterstützen Sie unsere Arbeit mit einer Spende, die zu 100%<br />

ankommt. Sie gibt uns Spielraum, im Einzelfall spontan und unbürokratisch<br />

reagieren zu können. Herzlichen Dank dafür.<br />

Spendenkonto<br />

Sparkasse Bremen<br />

www.inneremission-bremen.de<br />

IBAN: DE22 2905 0101<br />

0001 0777 00<br />

BIC: SBREDE22XXX<br />

Stichwort: Das lässt uns<br />

nicht kalt

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