soziologie heute Dezember 2009
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<strong>Dezember</strong> <strong>2009</strong> <strong>soziologie</strong> <strong>heute</strong> 11<br />
Public Observer<br />
Der „Staatsfunk“ – unreformierbar bis zuletzt?<br />
von Bernhard Martin<br />
Der ORF beklagte in der Bilanz 2008<br />
ein Loch von 100 Millionen Euro. Falls<br />
nicht der Staat Geld zuschießt oder<br />
Sparpakete der Geschäftsführung greifen<br />
wird die nächste ORF-Bilanz schwerlich<br />
darstellbar sein. Inzwischen konnte<br />
die Bundesregierung eine Beschwerde<br />
der Privaten vor der EU-Kommission<br />
abwehren. Die Gesetzeslage muss nun<br />
aber schleunigst repariert werden. Wesentliche<br />
Punkte: Eine unabhängige<br />
Medienbehörde soll entstehen und das<br />
ORF-Programm auf Public Value geprüft<br />
werden. So weit so gut, aber: Der<br />
ORF will (mehr) Steuergeld – der Staat<br />
soll jährlich bis zu 60 Mio. EUR aus der<br />
Gebührenbefreiung für Einkommensschwache<br />
„refundieren“. 50 Mio. EUR<br />
Kosten soll der ORF nachhaltig kürzen.<br />
Sparen will dieser ausgerechnet beim<br />
Kulturauftrag (Stichwort: Auflösung des<br />
Rundfunk-Symphonie-Orchesters, Stopp<br />
der Filmförderung,…). – Typisch österreichischer<br />
Kuhhandel.<br />
Der Marktführer ORF ist schwer defizitär,<br />
obwohl er seit Inkrafttreten des so<br />
genannten dualen Rundfunksystems laufend<br />
gegen Gesetze verstößt. Etwa mit<br />
verbotenen Werbeformen in den Landesstudios.<br />
Verurteilungen durch den<br />
Bundeskommunikations¬senat erfolgen<br />
ohne Geldstrafen und beleiben daher<br />
wirkungslos. – Wieso sollte die ORF-<br />
Geschäfts¬führung diese „Strukturen“ ändern<br />
(selbst wenn sie es könnte)? Die mangelnde<br />
Verpflichtung zur Abbildung von<br />
Kostenwahrheit in der Unternehmensführung<br />
ermöglicht weiter fürstliche Gehälter,<br />
Produktions¬kostenzuschüsse aller Art,<br />
zweifelhafte Geschäftspraktiken, Marktverstopfung<br />
und „kreative Buchführung“.<br />
– Ist in einer Medienlandschaft in der die<br />
Irrlichter ORF 1, „Krone“, „News“,… der<br />
Öffentlichkeit seit Jahr und Tag heimleuchten<br />
überhaupt anderes möglich?<br />
Verdient Österreich (gemeint ist nicht die<br />
Zeitung…) nur solche Massenmedien?<br />
Medien und Propaganda<br />
Seit Paul Lazarsfelds RAVAG-Studie im<br />
Wien der 1930er Jahre mühen sich die<br />
Parteien, den „Volksempfänger“ zwecks<br />
Mobilisierung und Machterhalt propagandistisch<br />
einzusetzen. Auch in der Zweiten<br />
Republik werden mit dem gebührenfinanzierten<br />
Betrieb des ORF nicht nur demokratiepolitische<br />
Ziele verfolgt. Zwar geht<br />
es im Gesetz primär um mediale Grundversorgung<br />
und diese wichtige Staatsaufgabe<br />
braucht nun mal eine Rundfunkanlage samt<br />
Administration. – Und <strong>heute</strong>, so wichtig wie<br />
eh und je: unabhängige Journalisten.<br />
Über die Jahrzehnte hat sich im noch immer<br />
kameralistisch verwalteten Österreich<br />
die Politik und die öffentliche Verwaltung<br />
– und zu letzterer gehört laut Verfassung<br />
auch der staatliche Rundfunk – ihre Positionen<br />
als persönliche Erbpacht eingerichtet.<br />
– Stichwort: ORF-Landesstudios. Für die<br />
Politik scheint wesentlich, dass die bis ins<br />
letzte Tal politisierten und politisierenden<br />
Landesstudios keinen betriebswirtschaftlichen<br />
Strukturreformen unterworfen werden.<br />
Das zivilgesellschaftliche Interesse an<br />
unabhängiger Information sowie an Bildung<br />
für die Massen durch öffentlich-rechtlich finanzierte<br />
Programme wird durch die Quote<br />
unterlaufen. Dafür darf es nicht mehr Steuergeld<br />
geben.<br />
Das mediensoziologische Standardwerk<br />
„Ideology and Modern Culture“ (1990) des<br />
britischen Soziologen John B. Thompson<br />
lässt übertragen auf Österreich nur einen<br />
Schluss zu: nachhaltige Entflechtung von<br />
Politik und Medien. Andernfalls steht die<br />
Demokratie, in der die Gewaltentrennung<br />
durch eine kritische (Medien-)Öffentlichkeit<br />
beobachtet wird, auf verlorenem Posten.<br />
Damit die public watchdog-Funktion<br />
nicht bloßes Lippenbekenntnis bleibt, ist<br />
unabhängige Medienregulierung unverzichtbar.<br />
Die KOMM Austria ist mit ihrem<br />
Geschäftsapparat – der Rundfunk- und Telekom-Regulierungsbehörde<br />
GmbH – aber<br />
nur gesellschaftsrechtlich privatisiert. Weil<br />
der Bundeskommunikationssenat als entscheidender<br />
Teil dem Bundeskanzler(amt)<br />
beigestellt ist, überrascht es wenig, dass<br />
mit der bisher geübten (Spruch-)Praxis<br />
keine ausreichende Liberalisierung erzielt<br />
wurde.<br />
Unabhängige Regulierung gefordert<br />
Die Rahmengesetze (KOMM Austria-, ORF-,<br />
Privatfernseh-Gesetz u.a.) sind also zu novellieren<br />
– entsprechend dem EU-Beihilfenregime<br />
und der Richtlinie für audiovisuelle<br />
Medien. Dafür ist es notwendig, einen autonom<br />
aufgestellten Regulator zu schaffen. Er<br />
wäre dem Parlament zu verpflichten – wie<br />
auch der Rechnungshof – und nicht dem<br />
Kanzleramt.<br />
Eine solche teils auch personell zu erneuernde<br />
„KOMM Austria/RTR-neu“ – analog<br />
zur britischen Ofcom – muss zudem die<br />
Kompetenz erhalten, gegen medienwirtschaftliche<br />
Verflechtungen entsprechend<br />
zu EU-Wettbewerbs- und -Beihilfen-Regime<br />
unabhängig vorgehen zu können. Ein<br />
neuer Regulator hat im Sinne einer verantwortungsvoll<br />
zu erbringenden, öffentlichen<br />
Dienstleistung den Medienmarkt<br />
autonom steuern zu können.<br />
In einem EU-Mitgliedsstaat sind öffentlichfinanziert<br />
erbrachte Güter und Werte in<br />
ihrer Qualität demokratisch zu bewerten.<br />
– Das Volk entscheidet, ob das betreffende<br />
Gut besser staatlich oder privat produziert<br />
wird. Dieser demokratische Zugang<br />
macht unter dem Stichwort public value<br />
auch bei den ehedem staatlichen Rundfunkanstalten<br />
von sich Reden. – Der ORF<br />
hat in seinem ersten Public Value-Bericht<br />
die Qualität seiner Programme nur intern<br />
und nicht auch extern evaluieren lassen.<br />
Es fand also keine unabhängig durchgeführte,<br />
statistisch valide Erhebung im demokratischen<br />
Sinne statt.<br />
Public Value und ethisches Verhalten<br />
In Demokratien haben Massenmedien<br />
auch die Pflicht, ihr Publikum zwecks<br />
Staatskontrolle kritisch zu informieren.<br />
Wo nur zwischen Machtmissbrauch und<br />
Korruptionsbereitschaft taktiert wird, regiert<br />
Chaos. – Aus der im Geiste und in<br />
der Sprache klaren EU-Ordnung gilt es,<br />
im Mitgliedsstaat die gebotene Anleitung<br />
für Gesetzestexte und ethisches Handeln<br />
zu extrahieren. Wie auf der britischen<br />
Insel muss Politik auch hierzulande die<br />
Bevölkerung darüber aufklären, worin<br />
der öffentliche Wert unabhängig regulierter<br />
Medienlandschaften besteht. Das ist<br />
nicht leicht, denn diese/r Wert/e ist/sind<br />
zunächst nur immateriell.<br />
Die Reform einer korrumpierten Medienlandschaft<br />
bedarf eines begleitenden<br />
ethischen Vorgehens. Das zeigt der für<br />
den britischen Markt formulierte „code<br />
of conduct“ für Medienschaffende. – Eine<br />
ethische Orientierung mit soziologischem<br />
Demokratieverständnis bildet gerade für<br />
die vielen (neuen) Medienschaffenden<br />
(Stichwort: „Web 2.0“) eine Perspektive<br />
für ihre gesellschaftlich verantwortungsvolle<br />
Aufgabe.<br />
Dr. Bernhard Martin ist freischaffender<br />
Mediensoziologe in Wien.