soziologie heute Dezember 2009
Das erste und einzige illustrierte soziologische Fachmagazin im deutschsprachigen Raum. Wollen Sie mehr über Soziologie erfahren? www.soziologie-heute.at
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22 <strong>soziologie</strong> <strong>heute</strong> <strong>Dezember</strong> <strong>2009</strong><br />
stimmten menschlichen Verhalten im<br />
Sinne seiner göttlichen Vorbestimmung.<br />
Die religiöse Praxis umfasst auf der einen<br />
Seite die öffentliche religiöse Praxis,<br />
in der man mit der Gemeinschaft<br />
zusammentrifft, auf der anderen Seite<br />
die private religiöse Praxis, für die<br />
insbesondere das individuelle Gebet<br />
typisch ist. In der Dimension der religiösen<br />
Erfahrungen geht es um die<br />
Rekonstruktion subjektiver Eindrücke<br />
religiöser Berührungen, also der individuellen<br />
Wahrnehmung Gottes oder<br />
religiöser Mächte. Die Dimension religiöse<br />
Konsequenzen versucht, die<br />
Bedeutung der eigenen Religiosität für<br />
den Lebensalltag aufzuspüren. Dabei<br />
wird zum Beispiel danach gefragt, inwieweit<br />
religiöse Normen noch als bindend<br />
für das eigene Handeln im Alltag<br />
angesehen werden.<br />
Zwar stehen alle fünf Dimensionen zueinander<br />
in Beziehung (und der Glaube<br />
erweist sich nach verschiedenen Studien<br />
als die am stärksten ausstrahlende<br />
Dimension), aber Menschen greifen in<br />
unterschiedlichen Kombinationen auf<br />
sie zurück. So ist eine Person eher an<br />
den Ritualen orientiert, die ihr Sicherheit<br />
geben, will aber möglicherweise<br />
gar nicht so viel über ihre Religion wissen<br />
(weil sie dies sogar eher verunsichern<br />
würde) und steht jeglicher Form<br />
religiöser Erfahrung skeptisch gegenüber.<br />
Eine andere Person wiederum<br />
kann sich gerade in Distanz zu Kirche,<br />
religiöser Gemeinschaft und Ritualen<br />
definieren, aber in die persönliche Religiosität,<br />
welche sich aus religiösem<br />
Wissen, religiösen Erfahrungen und<br />
einem tiefen Gottesglauben speist, zurückziehen.<br />
Es sind also verschiedene<br />
Kombinationsmöglichkeiten von Religiosität<br />
gegeben.<br />
Der Vorteil dieses Vorgehens liegt auf<br />
der Hand: Es ermöglicht eine wesentlich<br />
differenziertere Betrachtung des<br />
Phänomens Religiosität und trägt dessen<br />
Komplexität Rechnung. Zudem<br />
öffnet es nun die Chance verschieden<br />
ausgelegte Religionen, zumindest was<br />
den Grad und die Zusammensetzung<br />
ihrer Religiositätsprofile in der Gesellschaft<br />
angeht, miteinander vergleichen<br />
zu können.<br />
Ein gezielter Transfer dieser Überlegungen<br />
in eine größere Studie wurde<br />
unlängst von Stefan Huber[5] in<br />
seiner modifizierten Konzeption der<br />
Glock-Typologie für den international<br />
vergleichend angelegten Bertelsmann<br />
Religionsmonitor realisiert. Er<br />
unterscheidet in der Dimension der<br />
religiösen Praxis zusätzlich zwischen<br />
kollektiver Praxis und individueller<br />
Praxis. Die so gewonnenen sechs Dimensionen<br />
der Religiosität wurden<br />
dann anhand von Fragebatterien gesondert<br />
erfasst und mit einem Indikator<br />
der Zentralität von Religion für das<br />
eigene Leben verbunden. Ergebnis ist<br />
einerseits eine Aussage über die Position<br />
der Religiosität im psychischen System<br />
des Individuums, sowie über die<br />
inhaltlich-kombinatorische Ausgestaltung<br />
dieser Religiosität andererseits.<br />
Mit diesem Instrumentarium wurden<br />
dann auch kultur- und religionsvergleichende<br />
Analysen möglich.<br />
Abb. 2: Ein selektiver Einblick in die Fra<br />
Neben diesem konzeptionellen Vorgehen<br />
erfolgte in den letzten Jahrzehnten<br />
aber auch eine breite Entwicklung von<br />
Fragestellungen, die sich in ganz unterschiedliche<br />
Richtungen religiöser<br />
Konkretisierungen bewegten. So wurde<br />
die Frage gestellt, inwieweit man<br />
auch ohne Kirche religiös sein kann,<br />
ob man Spiritualität als wichtig für das<br />
eigene Leben erachtet oder an Astrologie<br />
glaubt. Auch die Bezüge zwischen<br />
Religion und Politik oder zwischen<br />
Religion und Wissenschaft wurden erfragt<br />
und Begründungen für den Austritt<br />
oder den Verbleib in einer Kirche<br />
ermittelt. Zumeist erfolgte die Konzeption<br />
entsprechender Fragen vor dem<br />
Hintergrund theoretischer Fragestellungen.<br />
Dabei zielt die Erfassung der<br />
religiösen Sozialisation auf die Frage<br />
nach der Tradierung oder des Traditionsabbruches,<br />
wie ihn die Säkularisierungstheorie<br />
behauptet, während<br />
die Frage nach einer Religiosität ohne<br />
Kirche den Gedanken des Individualisierungsmodells<br />
des Religiösen aufgreift.<br />
Die Ermittlung der Beziehungen<br />
zwischen Religion und Politik wiederum<br />
zielt auf den Aspekt der für die<br />
Säkularisierungstheorie bedeutsamen<br />
funktionalen Differenzierung der Gesellschaft.<br />
Es ist oft weniger wichtig, die reinen<br />
Häufigkeitsverteilungen des Antwortverhaltens<br />
auf eine Frage abzubilden.<br />
Foto: Rolf-van-Melis, pixelio<br />
Interessant ist es vor allem festzustellen,<br />
in wie weit zwischen den verschiedenen Äußerungen<br />
Zusammenhänge bestehen; damit<br />
können auch mögliche Erklärungen gegeben<br />
werden - ein primäres Ziel der quantitativempirischen<br />
Religions<strong>soziologie</strong>.