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Neujahrsempfang 2018 des Erzbischofs von Bamberg

Erzbischof Dr. Ludwig Schick hat im Januar in Bamberg zum Neujahrsempfang geladen. In dieser Broschüre sind die Reden des Tages dokumentiert. Darunter der Vortrag des stellvertretenden ZDF-Chefredakteurs Elmar Theveßen zur Frage, ob wir einen "Kampf der Kulturen" erleben.

Erzbischof Dr. Ludwig Schick hat im Januar in Bamberg zum Neujahrsempfang geladen. In dieser Broschüre sind die Reden des Tages dokumentiert. Darunter der Vortrag des stellvertretenden ZDF-Chefredakteurs Elmar Theveßen zur Frage, ob wir einen "Kampf der Kulturen" erleben.

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Dokumentation über den<br />

<strong>Neujahrsempfang</strong><br />

<strong>2018</strong><br />

<strong>des</strong> <strong>Erzbischofs</strong> <strong>von</strong> <strong>Bamberg</strong><br />

Dr. Ludwig Schick<br />

13. Januar <strong>2018</strong><br />

in <strong>Bamberg</strong>


2 <strong>Neujahrsempfang</strong> <strong>2018</strong><br />

<strong>Neujahrsempfang</strong> <strong>2018</strong> 3<br />

Programm<br />

BEGRÜSSUNG<br />

Erzbischof Dr. Ludwig Schick<br />

05<br />

GRUSSWORT<br />

Bürgermeister Dr. Christian Lange<br />

FESTVORTRAG<br />

„Islamistischer Terror oder<br />

Kampf der Kulturen?“<br />

Elmar Theveßen, stellvertretender<br />

Chefredakteur <strong>des</strong> ZDF und Leiter<br />

der Hauptredaktion Aktuelles<br />

WORT DES DANKES<br />

Erzbischof Ludwig Schick<br />

19<br />

23<br />

49<br />

MUSIK<br />

Combo der Werkstatt Neues Geistliches Lied<br />

unter der Leitung <strong>von</strong> Tobias Lübbers


4 Erzbischof Dr. Ludwig Schick<br />

Erzbischof Dr. Ludwig Schick 5<br />

BEGRÜSSUNG<br />

ERZBISCHOF DR. LUDWIG SCHICK<br />

Alles beginnt mit der Sehnsucht, so hat die jüdische Schriftstellerin<br />

Nelly Sachs ihre Erfahrung nach einem langen und<br />

schwierigen Leben zusammengefasst. Der ganze Satz lautet:<br />

„Alles beginnt mit der Sehnsucht, immer ist im Herzen Raum<br />

für mehr, für Schöneres, für Größeres, das ist <strong>des</strong> Menschen Größe<br />

und Not“.<br />

Sehr verehrte Damen und Herren,<br />

liebe Schwestern und Brüder!<br />

1. Das neue Jahr ist noch jung und ich möchte Ihnen allen zuerst<br />

ein glückseliges neues Jahr wünschen. Damit <strong>2018</strong> ein gutes Jahr<br />

wird für Sie persönlich, für Ihre Familien und Freunde, für Ihre Arbeit<br />

im Beruf, für Ihren Einsatz in unserer Gesellschaft, aber auch<br />

für die ganze Menschheit und Schöpfung, ist Sehnsucht wichtig, ja<br />

unabdingbar. Die Sehnsucht nach Gerechtigkeit, Friede, Bewahrung<br />

der Schöpfung, nach Erfolg und Fortschritt ist wie ein Motor, der antreibt<br />

und vorwärts bewegt. Alles Schöne und Große, alles Gute und<br />

Heilbringende beginnt mit der Sehnsucht nach dem Schöneren und<br />

Größeren.<br />

2. Diese Sehnsucht ist in unseren Herzen vorhanden. Aber sie wird<br />

so leicht abgedeckelt <strong>von</strong> der Routine <strong>des</strong> Alltags, den täglichen<br />

Pflichten und Sorgen, den Vergnügungen und Zerstreuungen, den<br />

Enttäuschungen und Rückschlägen, <strong>von</strong> unserer Schnelllebigkeit<br />

und Oberflächlichkeit und auch <strong>von</strong> der digitalen Welt, die der Sehnsucht<br />

<strong>des</strong> Herzens keinen Raum lassen.<br />

Anm. d. Red.: Es handelt sich bei dem hier gedruckten Text um ein Transkript der wörtlichen Rede.


6 Erzbischof Dr. Ludwig Schick<br />

Erzbischof Dr. Ludwig Schick 7<br />

Sehnsucht ist nichts Passives, sie macht vielmehr aktiv. Die Herkunft<br />

<strong>des</strong> Hauptwortes ‚Sehnsucht‘ und <strong>des</strong> Tuwortes ‚sehnen‘ ist unklar,<br />

so sagen die Etymologen. Aber vielleicht haben Sehnsucht und sehnen<br />

doch etwas mit dem Hauptwort „Sehne“ zu tun, das unsere<br />

Sprache für die Fasern in unserem Körper benutzt, die für die Anspannung<br />

der Muskeln verantwortlich sind. Die Sehnsucht und das<br />

Sehnen – richtig verstanden – machen aktiv, spannen an und aus,<br />

um zu erreichen, was die Sehnsucht nach Größerem und Schönerem<br />

uns vorstellt. Solcher Sehnsucht bedürfen wir, damit das neue<br />

Jahr ein glückliches und seliges wird, damit unsere Sehnsucht nach<br />

einem glücklichen und seligen Leben erfüllt wird. Ich wünsche Ihnen<br />

allen, dass Sie die Sehnsucht nach Größerem und Schönerem in<br />

allen Situationen und Lebenslagen im neuen Jahr spüren und lebendig<br />

halten und entsprechend aktiv werden.<br />

3. Sehr verehrte Damen und Herren! In diesem Jahr haben wir uns,<br />

die Kirche <strong>von</strong> <strong>Bamberg</strong>, in besonderer Weise die Kultur als Jahresthema<br />

aufgetragen. Über die Kultur nachzudenken, sie zu bewahren,<br />

zu fördern und weiterzuentwickeln, soll unsere Hauptaufgabe sein.<br />

Bei Kultur denken wir zunächst an unsere Kultur hier in Deutschland<br />

und Europa, die mit den Impulsen <strong>des</strong> Evangeliums entstanden ist<br />

und ohne diese Impulse nicht geworden wäre. Alle Bereiche der Kultur<br />

mit den dazugehörigen Wissenschaften, die Kunst in Architektur,<br />

Bildhauerei und Malerei, Musik und Theater, die Gesetze und die<br />

Moral, die Sitten und Gebräuche sind bei uns geprägt vom Geist <strong>des</strong><br />

Evangeliums. Vom Evangelium inspirierte Kultur ist auch in anderen<br />

Kontinenten entstanden. Sie ist anders als bei uns, aber ebenso<br />

eine menschenfreundliche und gemeinwohlorientierte. Auch um<br />

sie müssen wir uns sorgen und sie fördern.<br />

4. Die Grundelemente <strong>des</strong> Evangeliums für unsere und jede Kultur<br />

sind folgende drei:<br />

• Erstens der Glaube an einen guten Gott, der die Menschheit und<br />

Schöpfung zur Vollendung <strong>des</strong> Himmels führt und der jeden Menschen<br />

für die Mitarbeit an dieser Entwicklung ins Leben ruft und der<br />

allen die Liebe als Lebens- und Handlungsprinzip aufträgt; in Jesus<br />

Christus, seinem Sohn, hat er die Menschen dazu erneuert und ihnen<br />

in IHM das Vorbild gegeben.<br />

• Das zweite Element <strong>des</strong> Evangeliums für die Kultur sind die Zehn<br />

Gebote, die sich im Hauptgebot Jesu, der Gottes- und Nächstenliebe,<br />

zusammenfassen lassen, das die Fein<strong>des</strong>liebe einschließt.<br />

• Das dritte Element <strong>des</strong> Evangeliums für die Kultur ist das „Vater<br />

unser“, das all das zusammenfasst und zum Ausdruck bringt, was<br />

das Evangelium als Gottes- und Menschenbild beinhaltet sowie was<br />

den Menschen zu tun aufgetragen ist und was sie erfüllen sollen.


8 Erzbischof Dr. Ludwig Schick<br />

Erzbischof Dr. Ludwig Schick 9<br />

5. Die Aufgabe der Kirche besteht für die Kultur darin, die Sehnsucht<br />

nach dem Größeren und Schöneren unter den Menschen aufrechtzuerhalten<br />

sowie die drei Elemente „Glaube an Gott, die Zehn Gebote<br />

und das Vater unser“ in die Kultur stets neu einzuspielen. Dafür<br />

verkündet die Kirche in ihren Predigten, erteilt sie Schulunterricht<br />

und Katechese, engagiert sie sich in der Erwachsenenbildung, veröffentlicht<br />

sie Stellungnahmen, Verlautbarungen und Dokumente.<br />

Dafür feiert sie ihre Gottesdienste, allen voran die Sakramente und<br />

unter diesen die Eucharistie am Sonntag als wichtigste. Dafür ist<br />

sie karitativ tätig, wobei die Caritas die Seelsorge in allen Freuden<br />

und Leiden der Menschen und den Dienst an den Notleidenden und<br />

Armen, Kranken und Alten umfasst. Damit die Sehnsucht nach dem<br />

Größeren und Schöneren bewahrt bleibt und das Evangelium die<br />

Kultur bereichert, tut Kirche ihren Dienst und dafür ist sie<br />

unersetzbar wichtig.<br />

6. So trägt sie dazu bei, dass Wissen und Glauben und die dazugehörigen<br />

Wissenschaften eine menschenfreundliche und schöpfungsgerechte<br />

Technik und Industrie, Wirtschaft und Handel hervorbringen.<br />

So wirkt sie dabei mit, dass die Kunst in Architektur,<br />

Bildhauerei, Malerei, Musik, auch im Niedrigen und Hässlichen der<br />

Weltgeschichte, die Sehnsucht nach dem Größerem und Schönerem<br />

lebendig erhält. So hilft sie, dass Gesetze entstehen, die die Menschenwürde<br />

achten und den Menschenrechten in allen Bereichen<br />

der Exekutive und der Judikative Raum geben. So fördert die Kirche<br />

eine Kultur, die Bräuche kennt und fördert, die menschenfreundlich<br />

sind und das Größere und Schönere fördern. Dazu gehören auch die<br />

Kreuze und Statuen <strong>von</strong> Maria und den Heiligen an den Häusern,<br />

in den öffentlichen Räumen und in der freien Natur, ebenso unsere<br />

Fronleichnamsprozessionen und Lichterprozessionen, z. B. in der<br />

Fränkischen Schweiz oder die Marienwallfahrt in Hollfeld, in der an<br />

jedem 15. August um Frieden gebetet wird und die vielen Wallfahrten,<br />

die nach Vierzehnheiligen, Gößweinstein und Marienweiher<br />

gehen.<br />

Diese materiellen und immateriellen Kulturgüter beizubehalten<br />

und zu fördern, damit unsere Kultur erhalten bleibt, ist Anliegen<br />

dieses Jahres. Dabei verbinden wir uns mit dem „Europäischen Jahr<br />

<strong>des</strong> kulturellen Erbes“, erinnern uns an die „Allgemeine Erklärung<br />

der Menschenrechte“ vor 70 Jahren, 1948, und wir denken an unsere<br />

Stadt <strong>Bamberg</strong>, deren historische Altstadt vor 25 Jahren zum<br />

Weltkulturerbe durch die UNESCO erklärt wurde.<br />

7. Ich möchte Sie alle zu diesem Jahresempfang begrüßen. Mehr als<br />

begrüßen, möchte ich Ihnen danken. Ich danke Ihnen, dass Sie heute<br />

zu diesem Jahresempfang gekommen sind und damit Ihr Interesse<br />

an der Kirche zum Ausdruck bringen. Ich danke allen, die sich mit


10 Erzbischof Dr. Ludwig Schick<br />

Erzbischof Dr. Ludwig Schick 11<br />

der Kirche oder eigenständig für unsere Kultur einsetzen.<br />

• Das tut unsere Bun<strong>des</strong>- und Lan<strong>des</strong>regierung.<br />

Ich begrüße den Vizepräsidenten <strong>des</strong> Deutschen Bun<strong>des</strong>tages, Herrn<br />

Dr. Hans-Peter Friedrich, den bayerischen Innenminister, Herrn Joachim<br />

Hermann und Frau Melanie Huml, Staatsministerin für Gesundheit<br />

in Bayern. Herzlich willkommen heiße ich den Parlamentarischen<br />

Staatssekretär im Bun<strong>des</strong>entwicklungsministerium, Thomas<br />

Silberhorn. Ihnen, sehr geehrte Frau Landtagsvizepräsidentin Ulrike<br />

Gote und Herrn Landtagsvizepräsident Peter Meyer, ein herzliches<br />

Willkommen. Ihnen, Frau Regierungspräsidentin Heidrun Piwernetz<br />

und Ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern im Bezirk Oberfranken<br />

ein herzliches Danke für Ihr Kommen. Die Bezirke tragen große<br />

Verantwortung für unsere Kultur in den verschiedenen Bereichen.<br />

Deshalb denke ich, wenn ich den Bezirk Oberfranken nenne, auch an<br />

die Bezirke Mittel- und Unterfranken sowie die Oberpfalz.<br />

• Ich grüße Herrn Landrat Johann Kalb und alle Bürgermeisterinnen<br />

und Bürgermeister in der ganzen Erzdiözese und danke ihnen, dass<br />

Sie für das kulturelle Leben vor Ort ein Auge und Ohr haben und sich<br />

dabei auch für den Erhalt der Kirchen, kirchlicher Denkmäler und<br />

kirchlichen Belange und Dienste einsetzen.<br />

• Ich begrüße alle aus dem Bildungsbereich, die Leiterinnen und<br />

Leiter der Kindertagesstätten, der Schulen und Universitäten, alle,<br />

die in Forschung und Lehre Tätigen, die in Erziehung und Bildung<br />

für unsere Kultur Großes leisten und große Verantwortung tragen.<br />

Für alle aus dem Bildungs- und Kulturbereich heiße ich herzlich willkommen<br />

die Professoren Godehard Ruppert und Stefan Leible, die<br />

Rektoren der Universitäten <strong>Bamberg</strong> und Bayreuth sowie Frau Nora<br />

Gomringer <strong>von</strong> der Villa Concordia.<br />

• Die Justiz trägt viel zum Erhalt der Kultur bei. Ich danke und<br />

grüße stellvertretend heute den Präsidenten <strong>des</strong> Oberlan<strong>des</strong>gerichtes<br />

<strong>Bamberg</strong>, Herrn Clemens Lückemann.<br />

• Auch die Polizei, die für die Aufrechterhaltung der Ordnung zuständig<br />

ist, erhält die Kultur <strong>des</strong> gesitteten Lebens und schützt die<br />

Kulturgüter. Ich danke allen Polizistinnen und Polizisten für ihren oft<br />

nicht leichten Dienst und grüße stellvertretend den Präsidenten der<br />

Bayerischen Bereitschaftspolizei, Herrn Wolfgang Sommer.<br />

• Ich heiße die Vertreter der Medien willkommen. Sie tragen durch<br />

Information und Kommentare zur Bewahrung und Propagierung<br />

unseres kulturellen Lebens bei.<br />

• Aus dem kirchlichen Bereich heiße ich willkommen meinen Vorgänger<br />

Erzbischof Dr. Karl Braun, Weihbischof Herwig Gössl, alle<br />

Domkapitulare, die Priester, Diakone und pastoralen Mitarbeiterinnen<br />

und Mitarbeiter, alle im Ordinariat und allen dazugehörigen<br />

Dienststellen Tätigen sowie die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter<br />

der Caritas. Sie alle leisten in ihrem täglichen Leben viel für unsere<br />

Kultur im Bereich unserer Erzdiözese und speisen immer wieder die<br />

Grundelemente <strong>des</strong> Evangeliums in sie ein.


12 Erzbischof Dr. Ludwig Schick<br />

Erzbischof Dr. Ludwig Schick 13<br />

• Unseren Dienst am Evangelium für unsere Kultur dürfen wir in<br />

guter ökumenischer Verbundenheit tun. Ich danke dafür Frau Regionalbischöfin<br />

Dr. Dorothea Greiner und auch den orthodoxen Geschwistern.<br />

Ebenso stehen wir mit den jüdischen und islamischen<br />

Religionsvertretern in gutem Austausch. Danke dafür.<br />

• Ich begrüße die Vertreterinnen und Vertreter der Orden und aller<br />

kirchlichen Verbände.<br />

• Nicht zuletzt heiße ich auch die Mitglieder <strong>des</strong> Diözesanrates, der<br />

Pfarrgemeinde- und Seelsorgebereichsräte willkommen, namentlich<br />

Herrn Dr. Günter Heß. Die Pfarrgemeinderäte werden in diesem<br />

Jahr neu gewählt. Es ist mir ein großes Anliegen, dass sich viele aufstellen<br />

lassen und viele Gläubige wählen. Dadurch erhoffe ich mir<br />

eine Verlebendigung <strong>des</strong> Glaubens und der Kirche und - das war der<br />

wichtigste Wunsch und Auftrag <strong>des</strong> Zweiten Vatikanischen Konzils -,<br />

dass die Kirche in den Herzen aller Menschen neu erwacht. Das muss<br />

das Ziel unseres Strukturprozesses im Erzbistum <strong>Bamberg</strong> sein, den<br />

wir begonnen haben! Mit den Mitgliedern <strong>des</strong> Diözesanrates und<br />

den Pfarrgemeinderäten begrüße ich die Kirchenverwaltungen und<br />

die Damen und Herren <strong>des</strong> Diözesansteuerausschusses. Danke für<br />

ihr kompetentes und engagiertes ehrenamtliches Engagement in<br />

unserer Kirche.<br />

8. Sehr verehrte Damen und Herren! Was hat das Jahresthema<br />

„Kultur“ <strong>des</strong> Erzbistums <strong>Bamberg</strong> mit dem heutigen Vortrag: „Die<br />

Herausforderung – Islamistischer Terror oder Kampf der Kulturen?“<br />

zu tun? Herzlich begrüße ich den stellvertretenden Chefredakteur<br />

<strong>des</strong> ZDF und Fachmann für Terrorismus, Herrn Elmar Theveßen, der<br />

den Festvortrag halten wird. Ich danke Ihnen für Ihre Zusage und Ihr<br />

Kommen.<br />

Die Kulturwissenschaftler sagen uns und die Medien haben es uns<br />

in den letzten Jahren immer wieder vor Augen geführt, dass Krieg<br />

und Terror die radikalsten Zerstörer der Kultur sind. Sie verhindern<br />

bewusst und unbewusst, dass eine menschenfreundliche Kultur erhalten<br />

oder aufgebaut und weiterentwickelt wird, indem sie Angst<br />

verbreiten, Hass schüren und die Gesellschaft spalten. Unter dem<br />

Terrorismus leidet derzeit die ganze Weltgemeinschaft; auch wir<br />

in Deutschland sind nicht da<strong>von</strong> verschont. In den letzten Jahren<br />

haben terroristische Gruppen Kulturdenkmäler zerstört, die zum<br />

Weltkulturerbe gehörten, z. B. Palmyra in Syrien oder in Afghanistan<br />

die großen Buddha-Statuen <strong>von</strong> Bamiyan, ebenso sind im Irak, in<br />

Syrien und an anderen Orten Bibliotheken und Museen mit unwiederbringlichen<br />

Kulturgütern vernichtet worden. Aber nicht nur Kulturdenkmäler<br />

wurden zunichtegemacht, auch das kulturelle Leben<br />

wurde <strong>von</strong> terroristischen Gruppen verhindert oder verboten, Filme,<br />

Theater, Musik und Medien. Gesetze, die den Menschen schützen<br />

und ihm seine Freiheit und seine individuellen und sozialen Wirkmöglichkeiten<br />

erhalten und garantieren sollen,<br />

wurden umgewandelt in


14<br />

Erzbischof Dr. Ludwig Schick<br />

<strong>Neujahrsempfang</strong> <strong>2018</strong> 15<br />

Gesetze der Unterdrückung und der Unfreiheit. Polizei und Militär,<br />

Verwaltung und Administration, die das wohlwollende und friedliche<br />

Miteinander erhalten sollen, wurden in Instrumente der Unterdrückung<br />

und der Gewalt verwandelt. Das Leben in Frieden, Gerechtigkeit<br />

und Gemeinsinn wurde untergraben durch Gewalt und<br />

Unterdrückung. Terrorismus und Kultur haben miteinander zu tun.<br />

Das ist unverkennbar und für jeden nachprüfbar. Der Terrorismus<br />

zerstört und verhindert Kultur, und Kultur, die vom Evangelium inspiriert<br />

ist, verhindert Terrorismus.<br />

Sehr geehrter Herr Theveßen! Ich möchte Ihnen jetzt, nachdem Herr<br />

Bürgermeister Dr. Lange als Vertreter der Stadt <strong>Bamberg</strong> das Grußwort<br />

gesprochen hat, den ich herzlich begrüße und dem ich schon<br />

im Voraus danke – das Mikrofon überlassen. Wir sind gespannt auf<br />

Ihre Ausführungen.


Bürgermeister Dr. Christian Lange 19<br />

GRUSSWORT<br />

BÜRGERMEISTER<br />

DR. CHRISTIAN LANGE<br />

E<br />

xzellenz, hochwürdigster Herr Erzbischof, lieber Herr Theveßen,<br />

meine sehr verehrten Damen, meine sehr geehrten Herren, liebe<br />

Festgäste,<br />

nach dieser beschwingten und inspirierenden Begrüßung zu diesem<br />

<strong>Neujahrsempfang</strong> <strong>des</strong> Erz-bischofs <strong>von</strong> <strong>Bamberg</strong> ist es mir nun eine<br />

Freude, Ihnen auch die besten Grüße der Stadt <strong>Bamberg</strong> zu überbringen.<br />

Ich tue dies auch im Namen <strong>des</strong> Herrn Oberbürgermeisters, <strong>des</strong><br />

gesamten <strong>Bamberg</strong>er Stadtrats – und in diesem Jahr mit einer besonderen<br />

Freude. Mit einer besondere Freude <strong>des</strong>halb, weil es mir,<br />

Exzellenz, hochwürdigster Herr Erzbischof, Gelegenheit gibt, Ihnen<br />

herzlich Danke zu sagen. Danke zu sagen zum einen dafür, dass Sie<br />

nach zwei Jahren <strong>des</strong> Exils zuerst in einer anderen Stadt weiter östlich<br />

in Oberfranken, die wir jetzt in der Einwohnerzahl endlich nachhaltig<br />

überholt haben, und im letzten Jahr in Coburg nun wieder hier<br />

in Ihrer Heimatstadt sind, da wo Sie Ihren Sitz haben, da wo wir Sie<br />

lieben und verehren. Und zum anderen dafür, lieber Herr Erzbischof,<br />

dass wir Sie auch in den letzten Jahren als einen verlässlichen Partner<br />

unserer Stadt haben erleben dürfen beim Ausbau der Kindertageseinrichtungen<br />

mit Ihren Kirchenstiftungen, dem Sozialdienst katholischer<br />

Frauen der Caritas oder dem katholischen Bildungszentrum<br />

am Stephansberg, bei der Sanierung der Schulhäuser – und ich bin<br />

Ihnen als Schulreferent dieser Stadt besonders dankbar dafür, dass<br />

Ihnen die Maria-Ward-Schulen nicht nur so lieb, sondern vor allem<br />

auch so teuer sind –, bei der Pflege <strong>von</strong> Menschen in unseren Senioreneinrichtungen,<br />

beim Einsatz für Flüchtlinge. Und vor allem auch,<br />

dass Sie in Ihrer Neujahrspredigt und auch jetzt in Ihrer Begrüßung<br />

das Jahr <strong>2018</strong> zum Jahr der Kultur erklärt haben. Das Jahr, in dem wir<br />

feiern, dass die Altstadt <strong>von</strong> <strong>Bamberg</strong> vor 25 Jahren in die Liste <strong>des</strong><br />

Anm. d. Red.: Es handelt sich bei dem hier gedruckten Text um ein Transkript der wörtlichen Rede.


20 Bürgermeister Dr. Christian Lange<br />

Bürgermeister Dr. Christian Lange 21<br />

UNESCO Weltkulturerbes aufgenommen worden ist. Und dass Sie<br />

diesem Kulturbegriff auch in Anlehnung an den Kirchenvater Laktanz<br />

vom Kultus her definieren als dei unici pia et religiosa cultura.<br />

Dafür sage ich Ihnen, lieber Herr Erzbischof, im Namen der Stadt,<br />

Ihrer Bürger, der ganzen Region und der ganzen Diözese herzlichen<br />

Dank.<br />

Ich würde gerne noch einen Wunsch für das neue Jahr hinzufügen,<br />

und dies mit Blick auf das gewählte Thema – nicht aus der Sicht eines<br />

Bischofs, nicht aus der Sicht eines einflussreichen Journalisten,<br />

sondern als politisch Handelnder. Ich glaube, dass die Menschen in<br />

unserem Land eine große Verunsicherung ergriffen hat. In Ihren Worten<br />

„eine große Sehnsucht“, Herr Erzbischof. Sie fragen sich: Fühle ich<br />

mich denn in meiner Lebensweise sicher? Finden meine Kinder oder<br />

Enkelkinder einen Arbeitsplatz? Wer pflegt mich eigentlich, wenn ich<br />

Hilfe brauche? Oder: Verändert sich unser Land nicht, wenn so viele<br />

Flüchtlinge und Zuwanderer zu uns kommen?<br />

Die Menschen sehnen sich nach Halt. Se firmari würde der Lateiner<br />

sagen. Ein Großteil der Politik antwortet auf diese Sehnsucht nach<br />

Halt durch mehr Polizeipräsenz, durch Grenzkontrollen, durch den<br />

Ausbau <strong>von</strong> Videoüberwachung, durch die Schließung <strong>von</strong> Flüchtlingsrouten.<br />

Das alles ist wichtig, lieber Joachim, und notwendig,<br />

weil Ängste und Befürchtungen immer<br />

emotional und damit<br />

irrational sind und wir sie nicht durch wissenschaftliche Diskussionen<br />

bearbeiten können.<br />

Dennoch glaube ich, das greift zu kurz. Ich meine, wir brauchen etwas<br />

mehr. Wir müssen über die Haltung, über die gravitas nachdenken,<br />

aus der heraus wir die Herausforderungen angehen. Und ich<br />

meine, dass das Christentum uns hierzu eine gute Grundlage geben<br />

kann. Denn wenn wir verstärkt uns in Erinnerung rufen, dass<br />

alle Menschen Geschöpfe Gottes sind, dann verlieren wir vielleicht<br />

ein bisschen Angst vor dem Unbekannten. Wenn wir uns in Erinnerung<br />

rufen, dass wir im Christentum und als Christen nicht die Aufgabe<br />

haben, unsere eigenen Interessen und unseren eigenen Egoismus<br />

nach vorne zu stellen, sondern dass das Gebot der Gottes- und<br />

Nächstenliebe auch <strong>von</strong> uns verlangt, dass wir uns ein Stück zurücknehmen,<br />

dann schaffen wir uns damit die Spielräume, die wir brauchen,<br />

um die Herausforderungen zu lösen.<br />

Danke!


Elmar Theveßen 23<br />

„Islamistischer Terror oder<br />

Kampf der Kulturen?“<br />

Elmar Theveßen<br />

Wow. Mit dem Heute-Journal-Intro bin ich noch nie begrüßt<br />

worden und so guter Musik. Ganz herzlichen Dank dafür.<br />

Groß Gott zusammen und schönen guten Morgen Ihnen<br />

allen, sehr geehrter Herr Erzbischof, sehr geehrte Damen und Herren.<br />

Ich wünsche Ihnen vorweg erst mal allen Glück, Gesundheit<br />

und Gottes Segen für dieses Jahr <strong>2018</strong>, auf dass es ein gutes Jahr für<br />

uns und für alle Menschen in der Welt werde.<br />

Ich freue mich sehr, dass ich hier in <strong>Bamberg</strong> sein darf. Ich muss leider<br />

gestehen, es schon sehr lange her, dass ich hier war: etwa 37, 38<br />

Jahre. Damals war ich 12, 13 Jahre alt. Ich war mit den Pfadfindern<br />

mit den Georgspfadfindern hier, und wir sind mit dem Bus natürlich<br />

auch nach <strong>Bamberg</strong> gefahren. Ich erinnere mich an die Burg, an den<br />

<strong>Bamberg</strong>er Reiter und auch daran, dass ich mich damals in jenem<br />

Sommer zum ersten Mal unsterblich verliebt habe. Ich verbinde also<br />

wirklich gute Erinnerungen mit der Stadt <strong>Bamberg</strong>.<br />

Ich bin aber eigentlich der, bei dem man sich freut, wenn man ihn<br />

nicht sieht. Denn wenn Sie mich sehen im Fernsehen, bedeutet das<br />

meistens, dass irgendwas Schlimmes passiert ist in der Welt. Aber<br />

es hilft nichts, die Welt ist eben nicht immer so schön, wie wir sie<br />

gerne hätten, sondern es gibt eben schlimme Dinge und düstere<br />

Dinge in der Welt. Diesen Dingen begegnet man nicht, indem man<br />

in Angst verfällt und vor ihnen da<strong>von</strong>läuft, sondern man muss sich<br />

mit ihnen auseinandersetzen, die Hintergründe und Zusammenhänge<br />

auch verstehen. Das ist der Grund, warum ich dann hin und<br />

wieder in Heute oder Heute Journal auftauche, weil ich versuchen<br />

will, diese Zusammenhänge zu erklären. Ich tue das auf Grundlage<br />

der Beschäftigung mit dieser Thematik über mehr als 25 Jahre.<br />

In meinem Studium schon im Bereich der Politikwissenschaft habe<br />

Anm. d. Red.: Es handelt sich bei dem hier gedruckten Text um ein Transkript der wörtlichen Rede.


24 Elmar Theveßen<br />

Elmar Theveßen 25<br />

ich einen Schwerpunkt Extremismus gehabt. Ich habe über viele<br />

Jahre als Journalist darüber berichtet, über die Bad-Kleinen-Affäre,<br />

RAF, Sie erinnern sich vielleicht, über die PKK auf deutschen Straßen,<br />

über die Metro-Bombenanschläge Mitte der 90er-Jahre, verübt<br />

<strong>von</strong> der GIA, der algerischen Front, in Paris damals. Das heißt, über<br />

die Jahre sind viele Kontakte entstanden zu Sicherheitsbehörden im<br />

In- und im Ausland, auch teilweise in extremistische Kreise. Sodass<br />

ich immer versuche, nicht nur auf dem neuesten Stand zu bleiben,<br />

sondern auch Kontakte nutze, um dann, wenn etwas geschieht, die<br />

Dinge ein Stück weit einordnen zu können. Und genau das will ich<br />

heute tun. Sie haben einen großen Fehler gemacht, lieber Herr Erzbischof:<br />

Sie haben einem Fernsehjournalisten, der normalerweise<br />

nur 1.30 Minute zur Verfügung hat, mehr Zeit zur Verfügung gestellt.<br />

Aber ich will versuchen, Sie mitzunehmen auf eine Reise, die<br />

manchmal anstrengend ist, aber die wichtig ist und trotzdem auch<br />

zu etwas sehr Positivem führen kann.<br />

„Islamistischer Terror oder Kampf der Kulturen?“ heißt das Thema.<br />

Ich habe bewusst ein Fragezeichen dahinter gesetzt, weil ich<br />

es gleich vorweg beantworten will: Wir sind nicht in einem Kampf<br />

der Kulturen. Sondern es gibt zwei extremistische Strömungen –<br />

kleine Gruppen, verglichen mit der Mehrheit – zwei extremistische<br />

Strömungen, die uns alle glauben machen wollen, dass wir uns in<br />

diesem Kampf der Kulturen befinden. Je mehr wir, die Mehrheitsgesellschaft,<br />

das glauben, <strong>des</strong>to mehr ist es möglich, dass es wahr<br />

wird, dieser Kampf der Kulturen. Es sind Extremisten auf der islamistischen<br />

Seite, und es sind auch Rechtsextremisten auf der anderen<br />

Seite, die uns in diesen Kampf der Kulturen regelrecht hineintreiben<br />

wollen. Wenn wir es geschehen lassen, dann kann sich und wird sich<br />

da etwas aufschaukeln, <strong>von</strong> dem wir leider jetzt schon einige Anzeichen<br />

in unserer Gesellschaft sehen.<br />

Das ist für mich das schönste Bild <strong>des</strong> Jahres. Das ist die Demonstration<br />

der Menschen in Barcelona nach dem Anschlag im Sommer,<br />

Sie erinnern sich, auf den Ramblas, als ein Mann mit seinem Fahrzeug<br />

dort Menschen ermordet. Da sind Zehntausende, vielleicht<br />

Hunderttausende auf die Straße gegangen, um gemeinsam zu demonstrieren,<br />

egal welchen religiösen, ethnischen oder anderen Hintergrund<br />

sie hatten. Sie wollten damit zeigen: Wir lassen uns nicht<br />

spalten und uns nicht polarisieren durch diesen Terror.<br />

Aber wir müssen gegen diesen Terror auch vorgehen, indem wir uns<br />

intensiv damit beschäftigen, warum er geschieht, warum Menschen<br />

offenbar mitten in Europa bereit sind, andere Menschen zu töten<br />

mit beispielsweise Fahrzeugen auf dem Breitscheidplatz in Berlin<br />

beim Weihnachtsmarkt 2016 oder eben auch mit Bomben, mit<br />

Sprengstoffgürteln. Bis zu dem Zwölfjährigen, der in Ludwigshafen<br />

eine Bombe gebaut hat, um auf einem Weihnachtsmarkt im vorletzten<br />

Jahr einen Anschlag zu verüben, der auch einen Sprengstoffgürtel<br />

offenbar schon gebaut hatte.<br />

Das versteht man nur, wenn man sich intensiver beschäftigt mit<br />

diesen Tätern, warum die das machen. Sie alle haben vielleicht noch<br />

die Bilder im Kopf <strong>von</strong> Brüssel und Paris, als junge Leute auf den<br />

Straßen <strong>von</strong> Paris ermordet wurden im November


26 Elmar Theveßen<br />

Elmar Theveßen 27<br />

2015 <strong>von</strong> anderen jungen Leuten. Der Kurzschluss, den man damals<br />

2015 sehr schnell ziehen konnte, war: Flüchtlingskrise, große Zuwanderungsmengen,<br />

die kommen, und dann wächst der Terror. Das<br />

eine hat unmittelbar mit dem anderen zu tun: Die Flüchtlinge sind<br />

schuld. Diesen Kurzschluss haben manche gezogen. Aber die Wahrheit<br />

ist: Die überwältigende Zahl der Täter der letzten Jahre sind keine<br />

Flüchtlinge, sind nicht hierhergekommen, um Terror zu verüben,<br />

sondern der größte Teil der Täter ist hier in der Mitte unserer Gesellschaft<br />

aufgewachsen. Sie haben die Staatsbürgerschaften unserer<br />

Länder in Europa. Das stellt die große Frage: Warum um Himmels<br />

willen machen junge Leute, die hier aufgewachsen sind, in diesen<br />

Gesellschaften gelebt haben und leben, da mit bei diesem Terror?<br />

Wie beispielsweise dieser junge Mann. Das ist der erste erfolgreiche<br />

islamistische Terrorist auf deutschem Boden. Ein junger Mann<br />

namens Arid Uka, der im Jahr 2011, vielleicht erinnern Sie sich, am<br />

Frankfurter Flughafen das Feuer auf US-Soldaten in einem Bus eröffnete,<br />

zwei getötet hat und mehrere schwer verletzt. Dieser junge<br />

Mann war nicht eingebettet in eine terroristische Struktur, der<br />

war nicht Teil einer extremistischen Gruppe, sondern der hat sich<br />

im stillen Kämmerlein radikalisiert über den Computer mit Zugang<br />

zum Internet und den sozialen Medien. Er hat sich selbst eine Waffe<br />

beschafft und ist dann zum Morden geschritten. Warum macht so<br />

einer das?<br />

Um das zu verstehen, müssen wir uns intensiver mit zwei Feldern<br />

beschäftigen. Das eine Feld ist die Ideologie. Die wird ganz gut deutlich<br />

am Beispiel Spanien, Madrid im Jahr 2004. Im März 2004 wurden<br />

auf die Vorortzüge <strong>von</strong> Madrid Anschläge verübt. Damals sind<br />

190 Menschen gestorben. Wir sind nach Madrid gefahren, um die<br />

Hintergründe dieser Tat aufzuklären, die Zusammenhänge zu verstehen.<br />

Dann sind wir in die größte Moschee <strong>des</strong> Lan<strong>des</strong> gegangen,<br />

das ist das Islamische Kulturzentrum <strong>von</strong> Madrid. Das ist eben nicht<br />

nur ein Gebetsraum, sondern auch eine Schule, Sozialeinrichtungen,<br />

eine Bibliothek. Das alles wird komplett finanziert aus Saudi-Arabien.<br />

Das heißt, dort wird eine sehr extreme Auslegung <strong>des</strong> Koran,<br />

eine extreme Strömung <strong>des</strong><br />

Islam gelehrt. Die finden Sie in diesem<br />

Koran wieder, den Sie da geschenkt bekommen. Das ist<br />

kein normaler Koran. Der normale Koran hätte eigentlich einen Originaltext<br />

in Arabisch, wenn es hoch kommt, noch eine Übersetzung.<br />

Sie bekommen diesen Koran dort geschenkt, und dieser Koran hat<br />

Fußnoten. Das ist ungewöhnlich, denn diese Fußnoten verändern<br />

den Inhalt, machen etwas damit. Das will ich an diesem Beispiel erläutern.<br />

Da steht in der zweiten Sure: „Tötet sie, wo immer ihr auf<br />

sie stoßt, vertreibt sie, <strong>von</strong> wo sie euch vertrieben haben. Wenn sie<br />

gegen euch kämpfen, tötet sie. Wenn sie aber aufhören, so ist Allah<br />

allverzeihend, barmherzig.“ Ja, das ist ein martialischer Satz. Er steht<br />

so im Koran. So wie wir auch martialische Sätze in Teilen der Bibel<br />

haben. Aber wenn man ihn im Wortsinne nimmt, steht da: Wenn<br />

jemand Gewalt gegen dich anwendet, dann darfst und musst du<br />

auch Gewalt anwenden. Wenn der Gegner diese Gewalt einstellt,<br />

musst auch du die Gewalt einstellen. Wenn man so will, alttesta-


28 Elmar Theveßen<br />

Elmar Theveßen 29<br />

mentarisch Auge um Auge, Zahn um Zahn. Jetzt kommt aber die<br />

Fußnote unten drunter dazu. Da steht: „Wenn der Dschihad aufgegeben<br />

wird, wird der Islam zerstört, werden Muslime unterworfen.<br />

Sie verlieren ihre Ehre, ihr Land und ihre Macht.“ Diese Fußnote verändert<br />

das Original, denn die sagt doch nichts mit: Gott ist barmherzig,<br />

wenn der Gegner die Gewalt einstellt. Nein, der Dschihad muss<br />

immer weiter gekämpft werden. Ein Umkehrschluss ist möglich:<br />

Man verliert Ehre, Land und Macht, wenn man eben nicht diesen<br />

Dschihad kämpft. Also wenn in Afghanistan, in Palästina, Irak oder<br />

anderswo Muslime ihre Ehre, ihr Land, ihre Macht verlieren, dann, so<br />

die Lesart, muss der Heilige Krieg gekämpft werden. Der darf nicht<br />

aufgegeben werden.<br />

Das ist eine Verfälschung <strong>des</strong> Originals. Diese Fußnoten stammen<br />

aus dem 12. oder 13. Jahrhundert, geschrieben <strong>von</strong> islamischen<br />

Rechtsgelehrten, die das geschrieben haben in Hetzschriften, die<br />

aus einem Minderwertigkeitskomplex der Verlierer heraus entstanden<br />

sind. Denn damals ist die Stadt Bagdad und das Kalifat erobert<br />

und zerstört worden <strong>von</strong> mongolischen Horden. Nach dieser Niederlage<br />

sind diese Hetzschriften entstanden. Sie finden diese Dinge,<br />

die in den Fußnoten der Pamphlete stehen, und in diesem Fall <strong>des</strong><br />

Koran, die finden Sie in den Hass- und Hetzschriften <strong>von</strong> Osama bin<br />

Laden, <strong>von</strong> Abu Bakr al-Bagdadi, dem selbst ernannten Anführer <strong>des</strong><br />

IS, und anderen. Also eine Verfälschung <strong>des</strong> Islam dient als Grundlage<br />

zur Rechtfertigung <strong>von</strong> Gewalt.<br />

Wir wollten wissen in Madrid: Was macht das mit jungen Leuten,<br />

wenn die das lernen, wenn ihnen das so beigebracht wird? Wir sind<br />

bei diesem Mann gewesen, Herrn El Kamouni. Er ist der Vorsitzende<br />

der marokkanischen Gemeinde in Madrid. Er hat auch ein Restaurant,<br />

und in seinem Restaurant in einem Hinterzimmer haben<br />

sich die Attentäter vom 11. März 2004 getroffen, um ihre Pläne zu<br />

schmieden. Er hat uns erklärt, was das bedeutet. Das bedeutet: Anschläge<br />

im Irak und Israel? Absolut in Ordnung. Dort herrscht Krieg,<br />

dort herrscht Unterdrückung, so seine Lesart, also darf und muss<br />

man dort den Dschihad kämpfen. Anschläge auf Zivilisten? Abso-<br />

lut in Ordnung, wenn der Gegner vorher auch Zivilisten tötet. Also<br />

wenn bei einem amerikanischen Luftschlag, befohlen <strong>von</strong> einem<br />

deutschen Oberst in Kundus in Afghanistan Zivilisten sterben, so die<br />

Lesart <strong>von</strong> Herrn Kamouni, dann darf und muss man auch Zivilisten<br />

töten. Spenden für den Heiligen Krieg sind absolut in Ordnung.<br />

Auch das Hingehen und Mitmachen, der sogenannte Dschihad-Tourismus,<br />

so sagt er: absolut in Ordnung. Eines ist nicht in Ordnung, so<br />

meinte Herr El Kamouni: Anschläge in westlichen Ländern. Dort verlieren<br />

aus seiner Sicht Muslime nicht ihre Ehre, ihr Land, ihre Macht,<br />

also darf man dort keine Gewalt ausüben.<br />

Jetzt gibt es zwei Probleme mit dem, was da steht. Wenn doch die<br />

ersten vier Dinge alle in Ordnung sind, die da stehen, ist dann nicht<br />

der Schritt sehr klein zu sagen, um ein Ziel anderswo zu erreichen,<br />

muss ich auch Anschläge in der westlichen Welt verüben? Also<br />

wenn ich will, dass die spanischen Soldaten aus dem Irak abgezogen<br />

werden, dann verübe ich Anschläge in Madrid. Sie wissen<br />

alle, wie das ausgegangen ist damals: Kurz<br />

nach den Anschlägen gab


30 Elmar Theveßen<br />

Elmar Theveßen 31<br />

es eine Wahl, die Regierung hat gewechselt, und die neue Regierung<br />

Zapatero hat die spanischen Truppen aus dem Irak abgezogen. Das<br />

ist der leuchtende Beweis dafür, dass die Theorie richtig ist: Der<br />

Zweck heiligt die Mittel. Man darf und muss auch Anschläge im<br />

Westen verüben, wenn es diesem Zwecke dient.<br />

Das zweite Problem: Wer definiert denn eigentlich, wo und wie<br />

Muslime ihre Ehre, ihr Land, ihre Macht verlieren? Ist das Kopftuchverbot<br />

in einem europäischen Land schon Verlust der Ehre? Dann<br />

würde das schon ausreichen, um Gewalt, um Krieg, um Terror zu<br />

rechtfertigen.<br />

Diese Ideologie, die ich gerade beschrieben habe, die braucht etwas,<br />

damit sie überhaupt Wirkung entfalten kann. Die braucht einen<br />

fruchtbaren Boden. Deshalb ist es so wichtig, sich auch mit den<br />

Ursachen, mit den Motivationen junger Leute zu beschäftigen, warum<br />

sie bereit sind, da mitzumachen. Das kann man ganz gut an<br />

einem Beispiel erklären aus dem Jahr 2003. Da sind<br />

wir nach Marokko gefahren. Im Mai<br />

2003 gab es Anschläge auf jüdische und spanische Einrichtungen<br />

in Casablanca. Die Täter kamen aus den Slums <strong>von</strong> Casablanca. Dort<br />

sind wir hingefahren. Wir haben uns mit Freunden und Bekannten<br />

der Täter getroffen, und wir haben auch mit Experten geredet. Sie<br />

wissen vielleicht, dass in vielen dieser Länder der Anteil der jungen<br />

Leute extrem hoch ist: 65 Prozent sind unter 30 Jahre alt. Viele leben<br />

unter solchen Umständen auch heute noch, wie wir sie damals<br />

2003 da gesehen haben, in den Slums. Das heißt, sie haben wenig<br />

Perspektive auf eine gute Ausbildung, auf einen Arbeitsplatz, sie<br />

haben wenig Chancen in der marokkanischen Gesellschaft, und sie<br />

haben keine Beteiligung an der politischen Willensbildung in diesen<br />

Ländern, weil in vielen dieser Länder nach wie vor autokratische<br />

Regime beherrschen, die jeden, der anders denkt, der anderes will,<br />

gerne mal als Extremisten oder Terroristen ins Gefängnis sperren.<br />

Vor diesem Hintergrund ist ein Hassprediger in die Slums <strong>von</strong> Casablanca<br />

gegangen und hat gesagt: „Hey, ihr habt keine Perspektive,<br />

ihr habt keine Zukunft, euer Land verrät euch. Ihr seid Opfer. Ihr<br />

müsst euch dagegen wehren. Und ihr könnt es nur tun, wenn ihr<br />

bereit seid, Gewalt anzuwenden und euer Leben auch dafür zu opfern,<br />

weil ihr nichts zu verlieren habt.“<br />

Dieser Hassprediger hat auch gesagt: „Ihr könnt auch<br />

nur erfolgreich sein, wenn ihr euch<br />

gleichzeitig gegen jene


32 Elmar Theveßen<br />

Elmar Theveßen 33<br />

gründe für den hausgemachten Terrorismus identifiziert. Der eine:<br />

die persönliche Wahrnehmung einer wirtschaftlichen und sozialen<br />

Benachteiligung in der Gesellschaft, in der ich lebe. Also ich bin britischer<br />

Staatsbürger, aber ich sehe pakistanisch aus. Dann habe ich<br />

schlechtere Chancen auf eine gute Ausbildung und einen Arbeitsplatz<br />

und erlebe möglicherweise im Alltag Diskriminierung und Ablehnung.<br />

Das Zweite ist eine persönliche Wahrnehmung der Doppelmoral<br />

in der Außenpolitik Großbritanniens, die <strong>von</strong> Freiheit und<br />

Gerechtigkeit redet, aber beiträgt zum Gegenteil: die Folter in Abu<br />

Ghraib, in Guantanamo oder anderswo.<br />

Es sind also exakt die beiden gleichen Motivationen, die auch junge<br />

Leute in Nordafrika damals dazu gebracht haben mitzumachen. Das<br />

ist keine Entschuldigung. Ich will erklären, dass es diesen fruchtbaren<br />

Boden braucht, damit Gewalt und Terror funktionieren.<br />

Das ist Daniel Martin Schneider, ein junger Mann aus Deutschland,<br />

geboren am 9. September 1985, Religion: römisch-katholisch. Er<br />

war ein ziemlich guter Schüler, er hatte im Sommer 2002 vier Einser,<br />

sechs Zweier, drei Dreier und eine Vier auf dem Zeugnis. Man würde<br />

sagen, ein intelligenter junger Mann mit allen Chancen. Dann ist<br />

etwas passiert in seinem Leben: Seine Eltern haben sich scheiden<br />

lassen. Bitte nicht falsch verstehen, ich will nicht suggerieren, dass<br />

Scheidungskinder anfällig sind, Terroristen zu werden. Aber diese<br />

Scheidung war verbunden mit schlimmen Dingen, Gewalt in der<br />

Familie, einem Selbstmordversuch, Alkoholismus in der Familie. Die<br />

Familie ist zerbrochen. Er hat die Orientierung und den Halt verloren.<br />

Bitte nicht falsch verstehen, das entschuldigt ihn überhaupt nicht.<br />

Aber es erklärt, warum er ins Trudeln geraten ist. Er hat die Schule<br />

abgebrochen im Sommer 2003. Da war der Notendurchschnitt<br />

schon etwas gefallen. Dann ist er auf Sinnsuche gegangen nach Brasilien,<br />

hat dort eine junge Frau kennengelernt, mit ihr ein Kind gezeugt,<br />

ist aus dem Land geflogen, weil er kein Geld mehr hatte, und<br />

hat dann in Deutschland erfahren, dass die junge Frau das Kind verloren<br />

hat, weil kein Geld für die medizinische Behandlung das war.<br />

Noch mal: Das entschuldigt ihn nicht. Aber dieser zweite Schicksalswendet,<br />

die die schützende<br />

Hand über die autokratischen Regime<br />

halten.“ Das ist der Westen, der <strong>von</strong> Freiheit und Gerechtigkeit<br />

redet, aber in Wahrheit – so hat der Hassprediger gesagt<br />

– das Gegenteil tut. Siehe Guantanamo, siehe Abu Ghraib und viele<br />

Erfahrungen der letzten Jahre. Dann sind 14 junge Leute mit Rucksackbomben<br />

losgezogen und haben sich damals in Marokko in die<br />

Luft gesprengt und Menschen ermordet.<br />

Also die zwei Hauptmotivationsgründe, damit die Ideologie überhaupt<br />

fruchtbaren Boden findet, sind die persönliche Wahrnehmung<br />

einer Benachteiligung in der eigenen Gesellschaft und die<br />

persönliche Wahrnehmung einer Doppelmoral <strong>des</strong> Westens, der<br />

<strong>von</strong> Freiheit und Gerechtigkeit spricht, aber das Gegenteil tut.<br />

2005 hatten wir in London die Anschläge, Sie erinnern sich, mitten<br />

in der Innenstadt auf die U-Bahn und einen Bus. Der britische Inlandsgeheimdienst<br />

und das Innenministerium haben damals eine<br />

Studie machen lassen und erkundet, warum um Himmelswillen<br />

machen Menschen in der westlichen Gesellschaft mit bei so etwas.<br />

Denen geht es doch viel besser als denen vielleicht in den Slums<br />

<strong>von</strong> Casablanca. In dieser Studie wurden zwei Hauptmotivations-


34 Elmar Theveßen<br />

Elmar Theveßen 35<br />

schlag hat ihn noch ein Stück anfälliger gemacht, und er ist an die<br />

Falschen geraten, an Islamisten im Saarland, die ihm gesagt haben:<br />

„Hey, du, du bist Opfer. Opfer deiner Familie, Opfer dieser Gesellschaft.<br />

Wir sind eine neue Familie, wir kümmern uns um dich, wir<br />

strukturieren deinen Tag, wir geben dir Sinn und Halt. Fünfmal am<br />

Tag Beten. Und wir Muslime übrigens sind auch Opfer. Wir werden<br />

hier benachteiligt und anderswo verfolgt und ermordet.“ Das ist ein<br />

Solidarisierungseffekt eingetreten. Er hat sich in diese, ich würde es<br />

mal islamistische Gang nennen, einbinden lassen, in diese Bande,<br />

ist mit Raub und schwerer Körperverletzung dann auch wegen Widerstands<br />

gegen Vollstreckungsbeamte zu Jugendarrest verurteilt<br />

worden. Hat noch den Wehrdienst als Fallschirmjäger gemacht. Das<br />

war damals die Zeit, als die Folterbilder <strong>von</strong> Abu Ghraib um die Welt<br />

gingen. Dann ist er konvertiert zum Islam, ist über die Türkei nach<br />

Ägypten gegangen, hat an einer Schule dort ein Sprachstudium gemacht,<br />

wo genau diese extreme Auslegung <strong>des</strong> Koran, die ich Ihnen<br />

vorhin gezeigt habe, gelehrt wird, diese Verfälschung. Dann ist er<br />

über Deutschland und die Türkei an den Hindukusch gereist, ist in<br />

einem Lager der islamischen Dschihad-Union ausgebildet worden,<br />

wurde auf der Rückreise gefasst, nach Deutschland abgeschoben<br />

und hat dann mit anderen zusammen hier in Deutschland Terroranschläge<br />

geplant. Sie kennen diesen jungen Mann. Er ist nämlich einer<br />

der vier aus der sogenannten Sauerland-Zelle, die im Jahr 2007<br />

in Haft genommen wurden.<br />

Das zeigt im Grunde genommen, dass der fruchtbare Boden selbstverständlich<br />

auch in Deutschland da sein kann oder da ist, wo so<br />

etwas geschehen kann.<br />

Gegen das, was ich Ihnen beschrieben habe, können Sie nicht alleine<br />

einen Kampf führen mit Polizei, mit Nachrichtendiensten und mit<br />

Militär, sondern Sie müssen sich auch um das Thema Prävention<br />

kümmern, um das Thema Deradikalisierung und um den Kampf gegen<br />

die Ideologie. Wo diese extreme Lesart, diese Verfälschung <strong>des</strong><br />

Islam verbreitet wird, dagegen müssen Sie vorgehen. Das tut man in<br />

Deutschland erst seit etwa anderthalb Jahren. Und um Prävention<br />

und Deradikalisierung kümmert man sich ernsthaft auch erst seit<br />

wenigen Jahren. Der Etat dafür wurde <strong>von</strong> vor vier Jahren 10 Millionen<br />

Euro über 30 Millionen Euro jetzt auf, glaube ich, im nächsten<br />

Haushalt 100 Millionen Euro aufgestockt. Aber ein Konzept dafür,<br />

wie man diese Gelder sinnvoll nutzt, kenne ich bis heute jedenfalls<br />

nicht.<br />

Es ist ein wichtiges Feld, um den fruchtbaren Boden abzugraben,<br />

weil sonst der, obwohl er längst tot ist, weiterhin freie Bahn hat. Osama<br />

bin Laden hat mal in einer Audiobotschaft gesagt: „Ihr jungen<br />

Leute, ihr seid die Ritter <strong>des</strong> Kampfes und die Helden der Schlacht<br />

um Würde und Macht <strong>des</strong> Islam wiederherzustellen. Wir Männer<br />

reiferen Alters haben für die Jungen der Umma die Wegweiser für<br />

den Dschihad aufgestellt und den Pfad vorgezeichnet. Ihr Jungen<br />

müsst diesem Weg nur folgen.“ Er hat ihnen versprochen: Sie können<br />

jemand sein, Anerkennung bekommen, wenn sie mitmachen.<br />

Und der da, sein vermeintlicher Nachfolger Abu Bakr al-Baghdadi,<br />

der selbsternannte Kalif <strong>des</strong> Islamischen Staates, hat diese Botschaft<br />

perfektioniert. Er hat – leider immer noch, obwohl selbst<br />

zerfranst und zerschossen und massiv unter militärischem<br />

Druck – geschafft, was Osama bin Laden nie


36 Elmar Theveßen<br />

Elmar Theveßen 37<br />

geschafft hat: Er hat ein Kalifat, ein Herrschaftsgebiet, das immer<br />

noch einige tausend Quadratkilometer in Syrien und Irak umfasst<br />

trotz <strong>des</strong> Kampfes der letzten Jahre. Und damit projiziert er Macht,<br />

er projiziert Erfolg durch die Bilder, die <strong>von</strong> dort kommen, aber auch<br />

durch die Propaganda, die im Internet und in den sozialen Medien<br />

verbreitet wird.<br />

Das ist das Magazin <strong>des</strong> sogenannten Islamischen Staates, das<br />

heißt Dabiq. Da wird die Propaganda verbreitet, da werden Anleitungen<br />

zum Bombenbau verbreitet und Ähnliches. Es heißt nicht<br />

zufällig Dabiq, weil es ein winziger Ort in der Nähe <strong>von</strong> Aleppo in<br />

Syrien ist. Nach der islamischen Überlieferung ist Dabiq der Ort der<br />

letzten großen Schlacht <strong>des</strong> Islam gegen seine Feinde. Wir kennen<br />

das unter einem anderen Namen: Das heißt Armageddon. Das ist<br />

das Tal <strong>von</strong> Megiddo in der Nähe <strong>von</strong> Haifa in Israel. In der islamischen<br />

Überlieferung ist es Dabiq – nur mit anderen Vorzeichen. Das<br />

lässt sich auch einfach erklären, weil der Prophet eine ganze Menge<br />

abgeschrieben hat aus der Bibel. Wenn Sie den Koran lesen, werden<br />

Sie an vielen Stellen merken, dass Gleichnisse und viele andere<br />

Dinge tatsächlich aus der Bibel genommen sind, weil sein Onkel ihn<br />

sehr intensiv in Christentum und Judentum eingeführt hat. Wenn<br />

da eine apokalyptische Vision versprochen wird in dieser Propaganda,<br />

und dann sehen Sie diese schrecklichen Bilder<br />

aus Syrien und dem Irak, dann funktoniert<br />

das.<br />

Dann können Sie jungen Leuten vermitteln, und zwar besonders<br />

über die sozialen Medien, hier findet ein ganz wichtiger, entscheidender<br />

Kampf statt. Und während ihr in euren Gesellschaften am<br />

Rande lebt, als Abschaum möglicherweise betrachtet werdet, könnt<br />

ihr hier Ritter und Helden dieser Schlacht werden. Ihr könnt Anerkennung<br />

bekommen. Ihr könnt wer sein. Und ihr könnt dann auf Twitter<br />

und Facebook, und wie sie alle heißen, eine eigene Anhängerschaft<br />

bekommen. Es ist heute möglich, mit dem eigenen Helden auf dem<br />

Schlachtfeld direkt in Kontakt zu treten über die sozialen Medien.<br />

Das hat eine so große Sogwirkung in den letzten Jahren entfaltet,<br />

dass alleine aus Westeuropa min<strong>des</strong>tens 7.000 wenn nicht 11.000<br />

Menschen, junge Leute, Mädchen und Jungs, Frauen und Männer, in<br />

die Kriegsgebiete gezogen sind, um sich dort an diesem Kampf zu<br />

beteiligen.<br />

Aber auch das funktioniert nur, wenn die Gesellschaft sich immer<br />

mehr spalten lässt. Im Jahr 2011 wurde in Berlin am Busbahnhof ein<br />

junger Mann festgenommen. In <strong>des</strong>sen Unterhose fand man eine<br />

Speicherkarte. Auf dieser Speicherkarte waren die Strategieschriften<br />

der Al-Qaida, der Terrororganisation <strong>von</strong> Osama bin Laden. Da<br />

stand Folgen<strong>des</strong> drin in einer dieser Strategieschriften: „Wir müssen<br />

nicht mehr und sollten gar nicht mehr die eine große Attacke verüben<br />

wie am 11. September. Wir sollten vielmehr Furcht und Panik<br />

auslösen, indem wir regelmäßig zuschlagen, häufiger zuschlagen<br />

mit kleineren Attacken. Denn dann wird es eine massive Verschärfung<br />

der Sicherheitsmaßnahmen geben. Muslime innerhalb der<br />

westlichen Gesellschaften werden sich entfremden, sie werden sich<br />

unter Druck fühlen, diskriminiert fühlen. Sie werden dann den Hass<br />

der Feinde erkennen und sich dem Dschihad anschließen.“ So steht<br />

es in den Strategieschriften der Al-Qaida, die vom IS übernommen<br />

worden sind.<br />

Also wenn das, was wir in den letzten Jahren quer durch Europa<br />

gesehen haben, eine rechtspopulistische und rechtsextremistische<br />

Bewegung, hier in Deutschland damals Pro NRW und Pro Deutschland,<br />

in England die English Defence League, die die Symbole der


38 Elmar Theveßen<br />

Elmar Theveßen 39<br />

Kreuzfahrer verwendet, um einen Kampf der Kulturen zu suggerieren<br />

und zu sagen: „Hier ist die Abwehrschlacht gegen den Untergang<br />

<strong>des</strong> christlichen Abendlan<strong>des</strong> im Gange“, dann polarisiert das.<br />

Das ist nicht harmlos, denn das hat Folgen – wie beispielsweise im<br />

Jahr 2011, als Anders Breivik, ein junger Mann in Norwegen, 77 vor<br />

allen Dingen junge Leute ermordet hat, weil er der Meinung war,<br />

er müsste als Kreuzfahrer das Abendland, das christliche, vor dem<br />

Untergang retten.<br />

Es kann zu solcher Art <strong>von</strong> Gewalt führen, und diese Gewalt wird<br />

schrecklicherweise auch in Deutschland zunehmend gerechtfertigt.<br />

Sie finden in den Blogs im Internet, aus denen sich übrigens Anders<br />

Breivik hat motivieren lassen in diesen Jahren, solche Ansichten wie<br />

diese: „Weil das gesamte deutsche Establishment und jetzt auch die<br />

Kirche mit dem Islam kollaboriert, ist die Zeit gekommen für eine<br />

schonungslose Anwendung <strong>des</strong> Widerstandsrechts nach Artikel 20<br />

Grundgesetz, ein Kampf mit allen Mitteln, auch bewaffnet, und unter<br />

Bedingungen eines Bürgerkriegs.“ Der Mann, der das geschrieben<br />

hat, heißt Karl Michael Merkle, im Internet unterwegs als Michael<br />

Mannheimer. Nun könnte man sagen: Okay, ein Einzelfall. Ist<br />

übrigens nie rechtskräftig wegen Volksverhetzung verurteilt worden<br />

wegen dieser Äußerung. Aber Karl Michael Merkle steht auf den Podien<br />

<strong>von</strong> Pegida, Dügida, Legida, und wie sie alle heißen, und sagt<br />

genau diese Dinge, nennt die Regierung in Berlin ein verbrecherisches<br />

Regime und rechtfertigt auch die Gewalt. Nun wird er vielleicht<br />

selber keine Gewalt anwenden, aber wir haben, das wissen<br />

Sie alle, in den letzten Jahren Fälle erlebt. Und das Perfide ist, dass<br />

sie das unter dieser Flagge propagieren. Die kennen vielleicht manche<br />

unter Ihnen. Das ist die sogenannte Wirmer Flagge, die Flagge<br />

<strong>des</strong> deutschen Widerstands um Graf Stauffenberg. Ich persönlich<br />

empfinde das als einen Missbrauch und eine Entwürdigung dieser<br />

Flagge, unter der suggeriert wird, man hätte das Recht, bewaffnet<br />

wie in einem Bürgerkrieg sich gegen die Regierung und gegen die<br />

Politik, die politischen Verhältnisse im Lande zu erheben.<br />

Sie kennen den Fall <strong>von</strong> Georgensgmünd, wo ein Reichsbürger einen<br />

Polizisten erschossen hat. Die neuesten Zahlen der Innenminister<br />

sind ja gerade bekannt-geworden, dass die Zahl der Reichsbürger<br />

in Deutschland, die bewaffnet sind teilweise bis an die Zähne, sich<br />

deutlich erhöht hat auf über 15.000. Oder andere Gruppierungen in<br />

der Gesellschaft, die Gewalt rechtfertigen, oder Einzeltäter wie der<br />

Mann, der im Oberbürgermeisterwahlkampf <strong>von</strong> Köln die Kandidatin<br />

Frau Reker mit einem riesigen Messer angegriffen und schwer<br />

verletzt hat vor zwei Jahren.<br />

Auch das gehört dazu: der Amoklauf <strong>von</strong> München. Ja, der Amokläufer<br />

hatte psychische Probleme, auch weil er gemobbt wurde in<br />

der Schule. Aber durch sein Pamphlet wissen wir sehr genau, dass er<br />

massiv auch <strong>von</strong> rechtsextremistischen und rassistischen Motiven<br />

getrieben wurde. Hier ist das Zitat, das steht drin: „Dieser Stadtteil<br />

ist mit dem Virus nahezu komplett infiziert, die ausländischen Untermenschen<br />

mit meist türkisch-balkanischen Wurzeln regieren die<br />

Kriminalität und sind für die Destabilisierung <strong>des</strong> Stadtteils verantwortlich.<br />

Sie haben einen unterdurchschnittlichen IQ“ usw. Dieser<br />

Mann war ein Rechtsextremist, ein Rassist. Ein großes Vorbild für<br />

wie ihn war Anders Breivik, denn er hat sich bewusst den Jahrestag<br />

<strong>des</strong> Angriffs <strong>von</strong> Norwegen, <strong>von</strong> Oslo und Utoya,<br />

ausgesucht, um diesen Anschlag in<br />

München zu begehen.


40 Elmar Theveßen<br />

Elmar Theveßen 41<br />

Oder Franco A., der Offizier der Bun<strong>des</strong>wehr, der in seinem Pamphlet<br />

schreibt, in seiner Abschlussarbeit: „Es lässt sich nicht bestreiten,<br />

dass eine massive Einwanderung, wie wir sie in der Vergangenheit<br />

erlebt haben und wie wir sie heute erleben, zum Untergang der<br />

betroffenen Völker führt. Das ist eine mathematische Gewissheit.<br />

Diese Realität zu tabuisieren, ist ein super subversiver Akt.“ Das ist<br />

erstens falsch, empirisch total zu widerlegen, dass die Behauptung<br />

irgendeine Grundlage hätte, dass im Jahr 2050 wir auf einmal eine<br />

Mehrheit <strong>von</strong> Muslimen in Deutschland oder Europa hätten. Völliger<br />

Blödsinn. Wir haben wachsende Zahlen, aber weit <strong>von</strong> dem entfernt.<br />

Und es als subversiven Akt zu bezeichnen, lässt im Umkehrschluss<br />

dann auch Gewalt dagegen rechtfertigen.<br />

Die andere Seite findet das super. Ich habe Ihnen gerade die rechtsextremistische<br />

Seite gezeigt. Die islamistische Seite nutzt das in ihrer<br />

Propaganda. Da steht in einem Pamphlet <strong>des</strong> Islamischen Staates:<br />

„Die Neonazis versuchen bereits, Politiker und einflussreiche<br />

Leute in der Gesellschaft für ihre Sache, ihre islamfeindliche Sache<br />

zu gewinnen. Diese Teilung wird in den kommenden Jahren noch<br />

klarer, wenn mehr und mehr extrem rechte politische Gruppen mit<br />

Neonazischlägern als ihrer Miliz zu Anführern in Städten und Ländern<br />

gewählt werden.“ Die größten Wahlpartys der<br />

letzten Jahre fanden in Rakka in Syrien<br />

statt. Die haben<br />

sich gefreut über das, was teilweise in Westeuropa in den Wahlen<br />

geschehen ist, weil sie die Polarisierung, die Spaltung der Gesellschaft<br />

brauchen, um neue Anhänger zu werben. Vor diesem Hintergrund<br />

ist tatsächlich eben die Frage: Wie gehen wir mit dieser<br />

Herausforderung um, die auch die Flüchtlinge für uns sind, die da<br />

kommen? Meine persönliche Meinung ist dazu zunächst mal, dass<br />

Hunderttausende <strong>von</strong> ehrenamtlichen und hauptamtlichen Helfern<br />

dazu beigetragen haben in diesem Land zu zeigen, dass wir in der<br />

Lage sind, diese Herausforderungen zu meistern – so schwer das<br />

war und so wichtig es ist, dass politische Maßnahmen auch dafür<br />

sorgen, dass das nicht ungeregelt weitergehen kann –, aber diesen<br />

Menschen ist zu verdanken, dass das bisher ganz gut gelungen ist.<br />

Und dass es keine Rechtfertigung für etwas gibt, was dieser Mann,<br />

der sich gerade anschickt, wiedergewählt zu werden als Präsident<br />

der Tschechischen Republik, in einem Interview gesagt hat, nämlich<br />

dass es eine genetische Abhängigkeit gebe, dass Men-schen aus Algerier,<br />

Libyen oder beispielsweise Mali keine Fähigkeit haben, sich<br />

zu adaptieren.<br />

Wohin so etwas führt, kann man eine Stunde <strong>von</strong> hier in Flossenbürg<br />

sich anschauen gehen. Da findet sich in den Dokumenten die<br />

Begründung, dass man Menschen, die man als andersartig deklariert<br />

hat, zu Zwangsarbeit verurteilen und ermorden, vergasen und<br />

verbrennen kann. Dazu kann so ein Denken führen. Das hat weder<br />

etwas mit europäischer Wertegemeinschaft aus meiner Sicht – und<br />

ich schreibe groß „Kommentar“ über das, was ich Ihnen hier sage,<br />

darüber – nichts mit europäischer Wertegemeinschaft zu tun, und<br />

es hat auch nichts mit Christentum zu tun, mit Christsein. Ich bin<br />

Katholik. Ich bin nicht einer, der jeden Sonntag in die Kirche geht.<br />

Aber ich glaube, dass, wenn man sich einer Herausforderung gegenübersieht,<br />

man wissen muss, auf welchem Fundament man selber<br />

steht. Sie, lieber Herr Erzbischof, haben vorhin in Ihrer Rede einige<br />

Grundprinzipien aus dem Evangelium angesprochen. Eines da<strong>von</strong><br />

steht im Evangelium auch im Kapitel 25 bei Matthäus. Ich zitiere<br />

das mal, das kennen Sie alle, dieses Zitat: „Wahrlich, ich sage euch,


42 Elmar Theveßen<br />

Elmar Theveßen 43<br />

was immer ihr einem dieser meiner geringsten Brüder getan habt,<br />

das habt ihr mir getan. Und was immer ihr einem dieser Geringsten<br />

nicht getan habt, das habt ihr auch mir nicht getan. Und sie werden<br />

hingehen, diese in ewige Pein, die Gerechten aber in das ewige Leben.<br />

„Das bedeutet, dass es am Ende der Tage zu der Frage, ob man<br />

zu den Gerechten gehört hat oder nicht, nicht entscheidend ist, was<br />

man glaubt, sondern es ist entscheidend, was man tut aus diesem<br />

Glauben heraus.<br />

Vor dem Hintergrund ist wichtig, sich zu überlegen, wie man es<br />

hinkriegt, dass der Kampf der Kulturen ausfällt. Der kann ausfallen,<br />

das haben wir selber in der Hand. Es gibt ein paar ganz gute Beispiele,<br />

wie man es hinkriegen kann, aus anderen Ländern. Beispielsweise<br />

indem man Integration als nationale Aufgabe versteht und<br />

Rahmenbedingungen schafft. Zum Beispiel, dass Menschen nicht<br />

abgekoppelt in irgendwelchen Wohnsilos sind, sondern dass man<br />

Zusammengehörigkeit organisiert mit stadtteilübergreifenden Fußgängerzonen,<br />

mit einer engen Anbindung im Nahverkehr, mit Stadtgebieten,<br />

in denen wirtschaftliche Perspektiven möglich sind, beispielsweise<br />

kleine Geschäfte und Marktstände. Das werden Sie nicht<br />

schaffen, wenn Sie die Auflagen, die wir hier gerne in Deutschland<br />

haben, eins zu eins immer nur durchhalten und verlangen, dass ein<br />

Kleinstgeschäft eine Klimaanlage für einige 10.000 Euro einbauen<br />

muss. Dann wird es dieses Kleinstgeschäft nicht geben. Aber wenn<br />

Sie diese Regel für ein paar Jahre aussetzen, dann kann eine Perspektive<br />

entstehen und ein großes Interesse für die Menschen, die<br />

gekommen sind, und zwar für alle, auch die hier schon sind, egal,<br />

welchen ethnischen, religiösen oder anderen Hintergrund sie haben,<br />

dass ihnen daran liegt, dass in ihrer Stadt keine Kriminalität ist<br />

und kein fruchtbarer Boden für Extremismus und Terrorismus.<br />

Das sind keine Wolkenkuckucksheime. Sie können in die Nou Barris<br />

in Barcelona gehen, nach Amsterdam, nach Toronto, nach Boston,<br />

nach Mechelen in Belgien, nicht allzu weit <strong>von</strong> Molenbeek entfernt,<br />

wo das tatsächlich funktioniert. Oder nach Meckenheim in der Nähe<br />

<strong>von</strong> Bonn, wo örtliche Bündnisse sich gebildet haben, die dafür sor-<br />

gen, dass junge Menschen eine Perspektive haben, indem sie ihnen<br />

einen Ausbildungsplatz garantieren, wenn sie den Schulabschluss<br />

schaffen. Also nicht auf dem silbernen Tablett servieren, an Bedingungen<br />

knüpfen, aber eine Perspektive bieten. Das funktioniert<br />

nicht nur da, sondern auch anderswo hervorragend.<br />

Aber das reicht nicht. Sie fragen sich: Warum wirft der jetzt so einen<br />

Fisch an die Wand? Das ist die Tilapia. Wer gerne exotischen Fisch<br />

isst, muss wissen, wo der herkommt. Der wird an der Westküste <strong>von</strong><br />

Afrika unter anderem gefangen. Dann fahren die Fischfangflotten<br />

der Europäischen Union an die Westküste Afrikas, fischen dort die<br />

Fische für uns und zahlen Geld an die Regierungen <strong>von</strong> Mauretanien<br />

und anderen Ländern. Dieses Geld versackt oft, Klammer auf, oft<br />

in korrupten Kanälen, Klammer zu. Und jetzt raten Sie mal, was die<br />

Fischer mit ihren Familien dann machen. Entweder verhungern die<br />

oder suchen sich einen anderen Job. Das wäre das Beste, wenn es<br />

denn welche gäbe. Oder sie werden kriminell. Im schlimmsten Fall<br />

werden sie nicht nur kriminell, sondern zu Terroristen. Wie das funktioniert,<br />

können Sie sich an der Ostküste <strong>von</strong> Afrika ansehen, wo in<br />

Somalia und Kenia wir die Märkte mit billigem Hähnchenfleisch<br />

aus der Europäischen Union geflutet<br />

haben, Geflügelfarmen


44 Elmar Theveßen<br />

Elmar Theveßen 45<br />

zerstört worden sind und manche, die uns mittlerweile als Piraten<br />

oder Terroristen bekannt geworden sind, aus diesen Verhältnissen<br />

kommen.<br />

Wir erschaffen die Probleme teilweise selber mit. Die letzte Variante,<br />

wenn sie nicht Terrorist oder kriminell werden, ist: Sie machen<br />

sich auf den Weg. Sie werden zu Flüchtlingen und versuchen, dahin<br />

zu kommen, wo sie vielleicht eine Perspektive für sich und ihre<br />

Familien finden. Deswegen stimmt, was Barack Obama mal gesagt<br />

hat. Er hat gesagt: „Krieg, Terror und Wanderungsbewegungen sind<br />

Nebenwirkungen der Globalisierung.“ Wir tragen dazu bei. Das sagt<br />

nicht, dass die Globalisierung schlecht ist. Im Gegenteil, die Globalisierung<br />

hat auch unendlich viele Chancen geschaffen rund um den<br />

Erdball. Aber wir müssen sie besser machen, sagt Barack Obama,<br />

sagen auch viele andere – wie dieser Mann, ein Stratege der mal<br />

geschrieben hat: Statt alle Energie aufzuwenden, um uns vor möglichen<br />

Risiken zu schützen, sollten wir sie dafür nutzen, diese Welt<br />

positiv zu gestalten. Und er nennt Beispiele. Darunter eines: In der<br />

Wüste <strong>von</strong> Marokko steht die größte Solaranlage der Welt. Dadurch<br />

entstehen Perspektiven für Menschen in Marokko. Durch diese und<br />

ähnliche Projekte kann man dafür sorgen, dass Perspektiven für<br />

Menschen in Afrika und anderswo entstehen. Sie haben<br />

vielleicht das Stichwort vom so<br />

genannten Marshallplan<br />

für Afrika schon gehört. Es gehört dazu, sich darüber Gedanken<br />

zu machen. Papst Franziskus allen voran hat sich in seiner Enzyklika<br />

intensiv Gedanken dazu gemacht und Vorschläge gemacht. Es ist<br />

wichtig, Perspektiven zu schaffen, damit wir die Probleme, die aus<br />

dem Gegenteiligen entstehen, in den Griff bekommen.<br />

Ich komme zum Schluss und bitte um Entschuldigung, dass ich so<br />

lange gebraucht habe. Ich will Barack Obama noch einmal zitieren.<br />

Der war vorletztes Jahr auf der Industriemesse in Hannover<br />

und hat dort uns Europäern mal richtig was ins Buch geschrieben<br />

in seiner Rede. Er hat gesagt: „Ich sage Ihnen, dem Volk <strong>von</strong> Europa,<br />

vergessen Sie nicht, wer sie sind. Sie sind die Erben <strong>des</strong> Ringens<br />

um Freiheit. Sie sind die Deutschen, Franzosen, Niederländer, Belgier,<br />

Luxemburger, Italiener und, ja, auch die Briten, die sich über die<br />

Trennlinien erhoben und Europa auf den Weg der Einheit gebracht<br />

haben. Sie sind die Polen der Solidarnosc, die Tschechen und Slowaken,<br />

die eine samtene Revolution wagten. Sie sind die Letten, Litauer<br />

und Esten, die ihre Hände für die große Menschenkette der Freiheit<br />

gereicht haben. Sie sind die Ungarn und Österreicher, die einst den<br />

Grenzzaun aus Stacheldraht durchschnitten, und Sie sind die Berliner,<br />

die in jener Novembernacht endlich die Mauer niedergerissen<br />

haben. Sie sind die Menschen <strong>von</strong> Madrid und London, die sich angesichts<br />

der Bombenanschläge weigerten, sich der Angst zu ergeben,<br />

und Sie sind die Pariser die das Bataclan wiedereröffnen. Ihr<br />

seid die Menschen <strong>von</strong> Brüssel mit ihrem Platz voller Blumen und<br />

Flaggen, zwischen denen ein Belgier eine Botschaft hinterließ.“ Und<br />

Barack Obama zitiert dann das, was auf dieser Botschaft steht, da<br />

steht: „Wir brauchen mehr. Mehr Verständigung, mehr Dialog, mehr<br />

Menschlichkeit.“ Und er fügt dann hinzu, an die Europäer gewandt:<br />

„Genau das sind Sie, vereint zusammen. Sie sind Europa, geeint in<br />

der Vielfalt, geleitet <strong>von</strong> den Idealen, die diese Welt erleuchten, und<br />

stärker, wenn Sie geeint zusammenstehen.“<br />

Was für ein Schmalz, könnte man jetzt sagen. Aber er hat Recht. Wir<br />

Europäer und sehr viele, die hier im Publikum sitzen, die viel älter<br />

sind als ich, haben es geschafft, Europa zu einem Erfolgsmodell zu


46 Elmar Theveßen<br />

Elmar Theveßen 47<br />

machen. Freiheit, Sicherheit, Wohlstand, Perspektiven, all das zu ermöglichen.<br />

Und nicht dadurch, dass man sich weiter polarisieren<br />

und spalten lässt, sondern dass man zusammensteht. Was im Umkehrschluss<br />

heißt: Wenn das über Jahrzehnte möglich war und uns<br />

an diesen Punkt gebracht hat, wovor haben wir eigentlich Angst?<br />

Wir müssen keine Angst haben.<br />

Haben wir Angst vor ein paar Idioten, die auf der Domplatte in Köln<br />

in der Silvesternacht die Regeln brechen, das Gastrecht missbrauchen<br />

und Angst verbreiten? Müssen wir vor denen Angst haben?<br />

Oder müssen wir uns einfach überlegen, wie wir sicherstellen, dass<br />

so etwas nicht wieder passiert? Das geht in einem sehr einfachen<br />

Dreisprung. Man muss es nur machen. Erstens: Menschen wie denen,<br />

bevor sie an diesen Punkt kommen, Perspektiven anbieten.<br />

Und noch mal: nicht auf dem silbernen Tablett servieren. Sondern<br />

zweitens: an strikte Bedingungen knüpfen. Wenn man das tut, dann<br />

fehlt noch ein Drittes, nämlich: jeden Regelverstoß hart ahnden. Es<br />

kann nicht sein, dass ein Mensch, der immer und immer wieder<br />

Straftaten begeht, keine Sanktion dafür spürt und am nächsten Tag<br />

wieder auf der Straße steht und Gleiches tut. Denn wenn er keine<br />

Sanktion spürt, sendet diese Gesellschaft das Signal: Du bist uns<br />

gleichgültig, es ist uns egal, was du machst, du kannst gleich weitermachen.<br />

Aber was nicht geht, ist: nur Sanktionen, nur Strafen.<br />

Sondern das funktioniert nur, wenn wir auch Perspektiven bieten<br />

und an strikte Bedingungen knüpfen. Nur in diesem Dreiklang. Da<br />

kam man eine Menge mehr tun in Sachen Prävention.<br />

Das ist hier zum Abschluss das Bild einer Schulklasse, die im Kanzleramt<br />

war, weil sie einen Preis gewonnen hat für ihr Engagement<br />

gegen Gewalt. Unter denen, die da im Kanzleramt waren, war dieser<br />

junge Mann, den sie sehr gut kennen, denn ich habe am Anfang<br />

schon mal <strong>von</strong> ihm erzählt. Das ist Arid Uka, der erste erfolgreiche<br />

islamistische Terrorist auf deutschem Boden.<br />

Hier liegt der Hebeakt: Wie kriegen wir den Fuß in die Tür zwischen<br />

dem Arid Uka da oben und dem da unten? Das ist nicht Aufgabe der<br />

Polizei, der Geheimdienste oder <strong>des</strong> Militärs. Das ist auch wichtig.<br />

Aber es kann nur funktionieren, wenn die gesamte Gesellschaft sich<br />

ein Stück weit verantwortlich fühlt. Wenn Freunde, Bekannte, Verwandte,<br />

Familie, Schule, Vereine, Verbände, Wirtschaftsorganisationen<br />

und auch staatliche Einrichtungen gemeinsam den Menschen<br />

in den Blick nehmen. Und wenn auch die religiösen Gemeinschaften<br />

in Deutschland, die Kirchen, die muslimischen und jüdischen Gemeinden<br />

alle gemeinsam sich um die Menschen kümmern. Dann<br />

wird der fruchtbare Boden so klein, dass Extremisten, egal welcher<br />

Couleur, keine Chance mehr haben.<br />

Das müssen wir irgendwie hinbekommen. Ein Kollege hat das einmal<br />

mit einem ganz guten Satz gesagt, er hat gesagt: Demokratie<br />

ist die beste Regierungsform der Welt, die beste Herrschaftsform<br />

der Welt. Warum? Weil sie so viele Freiheiten lässt. Diese Freiheiten<br />

ermöglichen Wohlstand, Sicherheit, Fortschritt. Aber in dem Moment,<br />

wo die Demokratie angegriffen wird, ist sie die schwächste<br />

Herrschaftsform der Welt. Warum? Weil sie so viele Freiheiten lässt.<br />

Die Freiheiten können missbraucht werden, um die Demokratie zu<br />

untergraben. Und in diesem Moment braucht die Demokratie nicht<br />

irgendwelche Politiker alleine oder irgendwelche Sicherheitsbehörden.<br />

Sie braucht jeden Einzelnen, der in dieser Demokratie, in dieser<br />

Gesellschaft profitiert <strong>von</strong> diesen Freiheiten, um gemeinsam diese<br />

Demokratie zu verteidigen.<br />

Nun komme ich ganz am Ende zurück auf dieses wunderschöne Bild,<br />

wie ich finde. Da steht: „No tinc por!“ Ich habe keine Angst! Das ist<br />

die wichtigste Antwort, die man geben kann. Denn nur, wenn man<br />

keine Angst hat, findet man den Mut, die Zukunft positiv zu gestalten.<br />

Ich bedanke mich ganz herzlich für Ihre Aufmerksamkeit.


48 Erzbischof Dr. Ludwig Schick<br />

Erzbischof Dr. Ludwig Schick 49<br />

WORT DES DANKES<br />

ERZBISCHOF LUDWIG SCHICK<br />

Mir ist es aufgetragen, zum Ende <strong>des</strong> <strong>Neujahrsempfang</strong>s<br />

Dank zu sagen, was ich sehr gerne tue.<br />

Mein erster Dank gilt selbstverständlich Ihnen, verehrter,<br />

lieber Elmar Theveßen. Der lang anhaltende Applaus nach Ihrer<br />

Rede zeigt, dass die Zuhörer Ihnen für Ihre Ausführungen danken.<br />

Sie haben schlüssig und überzeugend dargelegt, dass der Terrorismus<br />

bei uns Folge der Entfremdungen <strong>von</strong> unserer deutschen und<br />

europäischen Kultur ist und dass islamistische Gruppen vor allem<br />

die jungen Menschen, die enttäuscht und frustriert wurden und aus<br />

ihren Einbindungen in unser kulturelles Leben herausgefallen sind,<br />

einfangen und für ihre Ziele missbrauchen können.<br />

Die Antwort auf Terrorismus darf weder Angst noch populistische<br />

Gegenreaktion sein, die nur Wasser auf die Mühlen der Gruppen<br />

sind, die unsere freiheitliche demokratische Gesellschaftsordnung<br />

spalten und zerstören wollen. Angemessene Reaktion ist vielmehr<br />

eine Doppelprävention: Einmal, dass wir unsere Kultur wertschätzen<br />

und sie immer wieder ins Bewusstsein bringen sowie alles tun, dass<br />

niemand aus den Strukturen unserer Kultur herausfällt und dann<br />

<strong>von</strong> Feinden unserer Lebensordnung für seine Zwecke missbraucht<br />

wird. Die zweite Prävention ist, dass wir uns – auch als Gesellschaft<br />

– konsequent gegen die Verletzungen unserer Lebens- und Gesellschaftsordnung,<br />

zu der auch unsere Rechtsordnung gehört, mit<br />

allen Mitteln <strong>des</strong> Rechtsstaates wehren und zeigen, dass wir keine<br />

Angst haben und uns nicht verunsichern lassen. Unsere Kultur ist<br />

eine Kultur der Inklusion, nicht der Exklusion, <strong>des</strong> Dialogs und nicht<br />

der Gesprächsverweigerung, der Menschenwürde und Menschenrechte<br />

für alle, unabhängig <strong>von</strong> Hautfarbe, Rasse und Religion. Die<br />

Angst ist eine Einfallstür für den Terrorismus und den Versuch, die<br />

Gesellschaft umzuwandeln.<br />

Anm. d. Red.: Es handelt sich bei dem hier gedruckten Text um ein Transkript der wörtlichen Rede.


50 Erzbischof Dr. Ludwig Schick<br />

Erzbischof Dr. Ludwig Schick 51<br />

Sie, lieber Herr Theveßen, haben Matthäus 25 in Ihren Ausführungen<br />

zitiert. Ich möchte bezüglich Angst den ersten Johannesbrief<br />

anführen, in dem es heißt: „(Angst) Furcht gibt es in der Liebe nicht,<br />

sondern die vollkommene Liebe vertreibt die (Angst) Furcht“ (1 Joh<br />

4,18).<br />

Wir müssen uns gegen terroristischen Terror wappnen, indem wir<br />

die Sehnsucht nach dem Reich Gottes der Gerechtigkeit, <strong>des</strong> Friedens<br />

und der Freude, wie es im Römerbrief beschrieben ist, wachhalten<br />

und mit all unseren Möglichkeiten auch umsetzen. Die Sehnsucht<br />

nach weltumspannender Gerechtigkeit, Frieden, Bewahrung<br />

der Schöpfung, Solidarität und Wohlergehen für alle Menschen<br />

muss uns erfüllen und bewegen. Daran mitzuwirken, jeder an seinem<br />

Ort, soll der Vorsatz <strong>von</strong> jedem für das neue Jahr <strong>2018</strong> sein.<br />

Danke der Comboband für die musikalische Umrahmung <strong>des</strong> <strong>Neujahrsempfang</strong>es.<br />

Herzlichen Dank auch dem Catering, das uns Essen<br />

und Trinken vorbereitet hat und jetzt gleich servieren wird, wozu ich<br />

Sie alle ganz herzlich einlade. Ein solcher <strong>Neujahrsempfang</strong> muss<br />

vorbereitet, durchgeführt und auch nachbereitet werden.<br />

Dafür danke ich unserer Projektabteilung<br />

im Ordinariat, namentlich Herrn Roland Baierl, und der Stabsstelle<br />

Öffentlichkeitsarbeit mit ihrem Leiter, Herrn Harry Luck.<br />

Ich wünsche uns allen noch ein gutes Zusammensein, gute Gespräche<br />

beim Essen und Trinken. Noch einmal wiederhole ich den<br />

Wunsch, der dreifach <strong>von</strong> Herrn Bürgermeister Dr. Christian Lange,<br />

dem ich für sein Grußwort namens der Stadt <strong>Bamberg</strong> danke, <strong>von</strong><br />

Herrn Elmar Theveßen, und auch <strong>von</strong> mir Ihnen allen zugesprochen<br />

wurde: Ein glückseliges neues Jahr! Wir dürfen dabei auf den Segen<br />

<strong>des</strong> Himmels vertrauen, müssen aber auch unsere Möglichkeiten<br />

für ein solches gutes Jahr <strong>2018</strong> einbringen.<br />

Ich danke Ihnen!


Impressum<br />

Herausgeber:<br />

Redaktion:<br />

Bilder und<br />

Gestaltung:<br />

Der Erzbischof <strong>von</strong> <strong>Bamberg</strong><br />

Hendrik Steffens<br />

Erzbischöfliches Ordinariat<br />

Stabsstelle Öffentlichkeitsarbeit<br />

Domplatz 2, 96049 <strong>Bamberg</strong><br />

Tel. 0951/502-1532<br />

E-Mail: pressestelle@erzbistum-bamberg.de<br />

www.erzbistum-bamberg.de<br />

Hendrik Steffens

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