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Neujahrsempfang 2018 des Erzbischofs von Bamberg

Erzbischof Dr. Ludwig Schick hat im Januar in Bamberg zum Neujahrsempfang geladen. In dieser Broschüre sind die Reden des Tages dokumentiert. Darunter der Vortrag des stellvertretenden ZDF-Chefredakteurs Elmar Theveßen zur Frage, ob wir einen "Kampf der Kulturen" erleben.

Erzbischof Dr. Ludwig Schick hat im Januar in Bamberg zum Neujahrsempfang geladen. In dieser Broschüre sind die Reden des Tages dokumentiert. Darunter der Vortrag des stellvertretenden ZDF-Chefredakteurs Elmar Theveßen zur Frage, ob wir einen "Kampf der Kulturen" erleben.

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32 Elmar Theveßen<br />

Elmar Theveßen 33<br />

gründe für den hausgemachten Terrorismus identifiziert. Der eine:<br />

die persönliche Wahrnehmung einer wirtschaftlichen und sozialen<br />

Benachteiligung in der Gesellschaft, in der ich lebe. Also ich bin britischer<br />

Staatsbürger, aber ich sehe pakistanisch aus. Dann habe ich<br />

schlechtere Chancen auf eine gute Ausbildung und einen Arbeitsplatz<br />

und erlebe möglicherweise im Alltag Diskriminierung und Ablehnung.<br />

Das Zweite ist eine persönliche Wahrnehmung der Doppelmoral<br />

in der Außenpolitik Großbritanniens, die <strong>von</strong> Freiheit und<br />

Gerechtigkeit redet, aber beiträgt zum Gegenteil: die Folter in Abu<br />

Ghraib, in Guantanamo oder anderswo.<br />

Es sind also exakt die beiden gleichen Motivationen, die auch junge<br />

Leute in Nordafrika damals dazu gebracht haben mitzumachen. Das<br />

ist keine Entschuldigung. Ich will erklären, dass es diesen fruchtbaren<br />

Boden braucht, damit Gewalt und Terror funktionieren.<br />

Das ist Daniel Martin Schneider, ein junger Mann aus Deutschland,<br />

geboren am 9. September 1985, Religion: römisch-katholisch. Er<br />

war ein ziemlich guter Schüler, er hatte im Sommer 2002 vier Einser,<br />

sechs Zweier, drei Dreier und eine Vier auf dem Zeugnis. Man würde<br />

sagen, ein intelligenter junger Mann mit allen Chancen. Dann ist<br />

etwas passiert in seinem Leben: Seine Eltern haben sich scheiden<br />

lassen. Bitte nicht falsch verstehen, ich will nicht suggerieren, dass<br />

Scheidungskinder anfällig sind, Terroristen zu werden. Aber diese<br />

Scheidung war verbunden mit schlimmen Dingen, Gewalt in der<br />

Familie, einem Selbstmordversuch, Alkoholismus in der Familie. Die<br />

Familie ist zerbrochen. Er hat die Orientierung und den Halt verloren.<br />

Bitte nicht falsch verstehen, das entschuldigt ihn überhaupt nicht.<br />

Aber es erklärt, warum er ins Trudeln geraten ist. Er hat die Schule<br />

abgebrochen im Sommer 2003. Da war der Notendurchschnitt<br />

schon etwas gefallen. Dann ist er auf Sinnsuche gegangen nach Brasilien,<br />

hat dort eine junge Frau kennengelernt, mit ihr ein Kind gezeugt,<br />

ist aus dem Land geflogen, weil er kein Geld mehr hatte, und<br />

hat dann in Deutschland erfahren, dass die junge Frau das Kind verloren<br />

hat, weil kein Geld für die medizinische Behandlung das war.<br />

Noch mal: Das entschuldigt ihn nicht. Aber dieser zweite Schicksalswendet,<br />

die die schützende<br />

Hand über die autokratischen Regime<br />

halten.“ Das ist der Westen, der <strong>von</strong> Freiheit und Gerechtigkeit<br />

redet, aber in Wahrheit – so hat der Hassprediger gesagt<br />

– das Gegenteil tut. Siehe Guantanamo, siehe Abu Ghraib und viele<br />

Erfahrungen der letzten Jahre. Dann sind 14 junge Leute mit Rucksackbomben<br />

losgezogen und haben sich damals in Marokko in die<br />

Luft gesprengt und Menschen ermordet.<br />

Also die zwei Hauptmotivationsgründe, damit die Ideologie überhaupt<br />

fruchtbaren Boden findet, sind die persönliche Wahrnehmung<br />

einer Benachteiligung in der eigenen Gesellschaft und die<br />

persönliche Wahrnehmung einer Doppelmoral <strong>des</strong> Westens, der<br />

<strong>von</strong> Freiheit und Gerechtigkeit spricht, aber das Gegenteil tut.<br />

2005 hatten wir in London die Anschläge, Sie erinnern sich, mitten<br />

in der Innenstadt auf die U-Bahn und einen Bus. Der britische Inlandsgeheimdienst<br />

und das Innenministerium haben damals eine<br />

Studie machen lassen und erkundet, warum um Himmelswillen<br />

machen Menschen in der westlichen Gesellschaft mit bei so etwas.<br />

Denen geht es doch viel besser als denen vielleicht in den Slums<br />

<strong>von</strong> Casablanca. In dieser Studie wurden zwei Hauptmotivations-

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