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Rampenlicht: Automotive<br />

Rampenlicht: Automotive<br />

Rückgrat<br />

Automotive l Vor 50 Jahren setzte die niederbayerische Wirtschaft mit der Übernahme der Dingolfinger Glas-Werke durch BMW zum<br />

großen Sprung an. „Automotive“ ist heute das Rückgrat der niederbayerischen Wirtschaft und viel mehr als BMW, aber ohne BMW wäre<br />

dieser ganze Wirtschaftszweig in der heutigen Stärke gar nicht denkbar. Gegenwärtig ist der Regierungsbezirk Boom-Land. Sorglos in<br />

die Zukunft blicken kann die Branche allerdings nicht.<br />

Schon das Vorspiel war eine heiße Nummer:<br />

Goggo, auch zärtlich „Goggerl“ genannt. Goggerl<br />

hatte aber nichts mit Gogo-Tanz zu tun und auch<br />

nichts mit Wienerwald. Goggo war eine niederbayerische<br />

Automarke, geboren in Dingolfing im Hause<br />

Glas. Goggo ist nach kurzem, sehr intensiven<br />

Leben im zarten Teenager-Alter verschieden und<br />

wird heute beinahe als Mythos verehrt.<br />

„Da Goggo“, gebaut von dem einstigen mittelständischen<br />

Autobauer Hans Glas GmbH, war einmal<br />

Dingolfings industrielles Aushängeschild und fehlt<br />

bis heute – liebevoll gepflegt – auf keiner Oldtimer-<br />

Ausstellung. Der „G<strong>LA</strong>S Automobilclub international<br />

e. V.“ betreut die Besitzer noch existierender<br />

Fahrzeuge weltweit mit Informationen, Ersatzteilen,<br />

einer Club-Zeitschrift und einem Inter<strong>net</strong>portal. In<br />

der Nähe von Dingolfing gibt es noch einige Glas-<br />

Museen mit vielen ausgestellten Goggomobilen.<br />

Ursprünglich als Landmaschinenfabrik seit<br />

1883 in Pilsting ansässig, setzte in der Nachkriegszeit<br />

der damalige Juniorchef Andreas Glas<br />

alles auf Roller und siedelte das Unternehmen<br />

nach Dingolfing um. Der Markt für Landmaschinen<br />

schrumpfte, in Italien sah man den großen Erfolg<br />

von Vespa, und auch Deutschland war offenbar<br />

bereit für ein solches Zweirad.<br />

Mit einem Nachkriegsroller<br />

begann die Wachstumsspirale.<br />

Unternehmerisch war der Goggo in der damaligen<br />

Zeit ein veritabler Geniestreich: In Technik<br />

und Gesamtkonzept seinen deutschen Konkurrenten<br />

überlegen – dem Messerschmitt Kabinenroller,<br />

der BMW Isetta, dem Lloyd und der Heinkel<br />

Kabine – eroberte sich der Goggo einen hohen<br />

Marktanteil. Ein Jahr nach dem Beginn der Produktion<br />

exportierte Glas in 36 Länder. Täglich wurden<br />

170 Fahrzeuge hergestellt. 1957 entwickelte<br />

Glas eine Coupé-Version sowie einen Transporter<br />

und einen Pick-Up.<br />

Nach und nach wurden die Motoren stärker,<br />

die Karosserien eleganter, das Programm Schritt<br />

um Schritt erweitert. Die Marke Glas stieß mit<br />

einer Limousine und einem Cabrio in das Mittelklassesegment<br />

vor. 1963 stellte Glas auf der IAA in<br />

Frankfurt das Sportcoupé Glas 1300 GT und die Limousine<br />

1500 vor, die später als Glas 1700 in Serie<br />

ging. Beide Modelle wurden von dem italienischen<br />

Designer Pietro Frua entworfen. Glas war damit in<br />

die oberen Preisregionen vorgestoßen.<br />

Auf der IAA 1965 stellten die Dingolfinger<br />

den Glas V8 vor. Seine schnittige Form, ebenfalls<br />

von Frua entworfen, brachte ihm den Spitznamen<br />

„Glaserati“ ein. Es wurde allerdings nur eine Kleinserie<br />

produziert. Der Produktionsaufwand war zu<br />

hoch und die gesamte Kostenstruktur des Unternehmens<br />

hatte sich ungünstig entwickelt.<br />

„Glaserati“ Höhepunkt und<br />

zugleich Anfang vom Ende.<br />

In der Region war aber im Gefolge der Glas-<br />

Fabrikation eine breit gefächerte Zulieferbranche<br />

und eine starke Industriebasis entstanden – aus<br />

einer Reparaturwerkstätte für Landmaschinen war<br />

Dingolfings größter Arbeitgeber geworden. 1967<br />

waren bei Glas rund 4.500 Mitarbeiter beschäftigt,<br />

bei damals knapp 11.600 Einwohnern. Dingolfing<br />

hatte sich zu einem industriellen Zentrum Ostbayerns<br />

entwickelt<br />

Doch Glas hatte nach sensationellen Erfolgen<br />

überdreht und kam wirtschaftlich ins Trudeln. Da<br />

kam BMW als der weiße Ritter. Was ein ziemlicher<br />

Krimi war. Denn BMW war selbst noch weit<br />

entfernt vom großen Erfolg. Nicht lange zuvor war<br />

noch die Übernahme von BMW durch Glas in den<br />

Wirtschaftsredaktionen diskutiert worden. Außerdem<br />

war auch Landshut damals als großer niederbayerischer<br />

BMW-Standort im Gespräch; auch<br />

Glas hatte dort bereits eine Dependance.<br />

Glas stimmte für 9,1 Millionen DM einer<br />

Übernahme durch BMW zu. Am 10. November<br />

1966 wurde in Dingolfing eine Versammlung der<br />

gesamten Glas-Belegschaft einberufen. Anlass:<br />

die Verkündung der Übernahme der Glas GmbH<br />

durch die BMW AG München, die am 2. Januar<br />

1967 erfolgen sollte. Was das für Dingolfings – und<br />

Niederbayerns – Zukunft bedeuten sollte, hat sich<br />

wohl niemand träumen lassen, und nach einer solchen<br />

Erfolgsgeschichte sah es zunächst auch gar<br />

nicht aus.<br />

Die Glas-Automobilwerke in Dingolfing wurden<br />

als BMW-Werk Dingolfing Bestandteil der Bayerischen<br />

Motorenwerke. Die Glas-Modelle wurden<br />

mit der Zeit aus der Produktion genommen. Als<br />

letztes Modell lief 1969 ein Goggomobil vom Band.<br />

Genau 50 Jahre nach der geschichtsträchtigen<br />

Betriebsversammlung fanden am 10. November<br />

2016 in den Werken Dingolfing und Landshut<br />

erneut Sonderbetriebsversammlungen der gesamten<br />

Belegschaft statt. Sie bildete den Auftakt zum<br />

Jubiläumsjahr „50 Jahre BMW in Niederbayern“.<br />

Das Werk Dingolfing ist heute der größte europäische<br />

Produktionsstandort der BMW Group.<br />

Rund 1.600 Automobile der BMW 3er, 4er, 5er, 6er<br />

und 7er Reihe laufen hier täglich von den Bändern.<br />

In Summe wurden 2015 über 360.000 Fahrzeuge<br />

im Werk gebaut. Damit stammte fast jeder fünfte<br />

weltweit verkaufte BMW aus niederbayerischer<br />

Produktion.<br />

Glas wird BMW und Niederbayern<br />

setzt zum großen Sprung an.<br />

Dingolfing ist bekannt als Produktionsstätte<br />

für die „großen“ BMW Baureihen. So wurden und<br />

werden hier seit Anfang der 1970er Jahre sämtliche<br />

Generationen der BMW 5er, 6er und 7er Reihe<br />

gefertigt – inklusive M- und Individual-Varianten.<br />

Auch der 2015 auf den Markt gekommene jüngste<br />

BMW 7er, Flaggschiff und Innovationsträger der<br />

Marke, ist wieder „made in Dingolfing“. In den<br />

letzten Jahren wurde die Modellpalette auch um<br />

Varianten der BMW 3er und 4er Reihe erweitert,<br />

so dass derzeit fünf Baureihen und über ein Dutzend<br />

verschiedener Modelle am Standort gefertigt<br />

werden. Das Werk Dingolfing erweist sich so als<br />

eines der flexibelsten Automobilwerke weltweit.<br />

Mit über 17.500 Mitarbeitern<br />

größter Arbeitgeber der Region.<br />

Aktuell sind am Standort Dingolfing über<br />

17.500 Mitarbeiter und über 800 Auszubildende<br />

in 14 Lehrberufen beschäftigt. Der BMW Group<br />

Standort Dingolfing ist damit nicht nur mit Abstand<br />

größter Arbeitgeber der Region, sondern<br />

einer der größten Industriebetriebe des Landes.<br />

Die Mitarbeiter werden mittels eines ausgeklügelten<br />

Pendelbussystems aus ganz Niederbayern an<br />

ihren Arbeitsplatz in Dingolfing und zurück an den<br />

Wohnort gefahren.<br />

Insgesamt arbeiten in den beiden niederbayerischen<br />

BMW Group Werken Dingolfing und<br />

Landshut rund 22.000 BMW Mitarbeiter – also<br />

rund jeder Dritte in Deutschland.<br />

Im Sommer 1951 startete Glas mit seinem<br />

ersten Roller; benannt nach einem Enkel des Firmengründers:<br />

der Goggo-Roller. Ausgestattet mit<br />

einem 123-Kubik-Zweitakter und solidem, robustem<br />

Fahrgestell, wurde dieser mit rund 60.000<br />

Stück zum meisterverkauften Roller der damaligen<br />

Bundesrepublik. Es folgten verschiedene Modelle<br />

und dann – ab 1955, als das deutsche Wirtschaftswunder<br />

auch die breiten Bevölkerungsschichten<br />

langsam erreichte – das erste Auto aus Dingolfing:<br />

das Goggomobil, der kleine Viersitzer zum Preis<br />

von 3.000 DM. In den folgenden Jahren entstanden<br />

verschiedene Versionen mit maximal 20 PS<br />

und 400 Kubik.<br />

Anlässlich der 50-Jahr-Feier zeigte Ministerpräsident<br />

Cockpit-Fertigung im Werk Landshut:<br />

BMW Vision NEXT beim Jubilumsfest.<br />

Neben der automobilen Kernfertigung ist auch<br />

die Fertigung von Automobilkomponenten wie<br />

Pressteilen oder Fahrwerks- und Antriebskomponenten<br />

am Standort Dingolfing angesiedelt. Ebenso<br />

werden hier die Rohkarosserien für sämtliche<br />

Rolls-Royce Modelle gebaut. Aufgrund der hohen<br />

Aluminium-Kompetenz und der langjährigen Erfahrung<br />

im Bereich alternative Antriebe hat sich<br />

das Werk Dingolfing auch als konzerninternes<br />

Kompetenzzentrum für die Produktion von E-Antriebskomponenten<br />

etabliert. So liefert das Werk<br />

Dingolfing maßgebliche Elektrifizierungsumfänge<br />

für die BMW i Modelle und Plug-in-Hybride der<br />

BMW Group. Gefertigt werden diese Umfänge im<br />

Horst Seehofer, dass er in einen Goggo passt.<br />

hohe Kompetenz im Leichtbau.<br />

12 WirtschaftsLEBEN l Ausgabe Landshut 5 l Herbst 2017<br />

WirtschaftsLEBEN l Ausgabe Landshut 5 l Herbst 2017 13<br />

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