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E_1928_Zeitung_Nr.011

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jvnil — <strong>1928</strong> AUTOMOBIL-REVUß 15<br />

Der Sowjet-Richtungszeiger.<br />

Eine epochemachende Erfindung!<br />

Kein Problem ist im sowjetlstischen Russland<br />

einfach genug, als dass man ihm nicht<br />

mit Fragebogen, Statistiken, Gutachten, Spezialkommissionen,<br />

Prüfungsausschüssen und<br />

Kontrollinstanzen zu Leibe geht — hundert<br />

gegen eins ist zu wetten, dass im Effekt langwieriger<br />

Prüfungen eines halben Dutzend<br />

oder mehr Instanzen die komplizierteste, weiteste,<br />

umständlichste Lösung gewählt wird;<br />

diese dann freilich bis ins Tüpfelchen durchorganisiert.<br />

Ob sie noch praktisch bleibt, ist<br />

weniger wichtig, wenn sie nur neu, eigen,<br />

planmässig ist.<br />

Wer zweifelt? Bitte sehr, dieser Tage hiess<br />

nach einem deutschen Blatt, dem wir diesen<br />

Bericht entnehmen, das Problem: die Moskauer<br />

Autos brauchen Richtungsweiser. Es<br />

kann dahingestellt bleiben, ob sie sie wirklich<br />

brauchen; denn von drei, vier Punkten abgesehen,<br />

ist von irgendeiner merklichen Verkehrsdichte<br />

keine Rede, und die Zahl der<br />

Autos ist gegenüber anderen Fuhrwerken verschwindend.<br />

Aber — man denkt hier gern in<br />

tiefsten Russland dauernd in den Hauptstrassen<br />

hat, die hier zum ersten Male ein Auto<br />

sehen. Ob hier ein einfacher Wirfkarm verstanden<br />

und beachtet würde, wäre noch zu<br />

erproben. Dass der neue Apparat unverständlich<br />

bleibt, ist sicher; aber er ist wirklich<br />

wohldurchdacht, organisatorisch und<br />

theoretisch ohne Fehl!<br />

Wie berühmte Menschen<br />

arbeiteten.<br />

Ein gewisser Komfort auch in unseren Arbeitsräumen<br />

ist dem modernen Menschen zum<br />

Bedürfnis geworden. Man glaubt heute kaum<br />

mehr «richtig arbeiten» zu können, ohne<br />

ein gut eingerichtetes Bureau zur Verfügung<br />

zu haben. Interessant ist deshalb die in einem<br />

Wiener Blatte erschienene Uebersicht über<br />

Arbeitsort und Arbeitsgewohnheiten berühmter<br />

Leute, der wir folgendes entnehmen:<br />

Blättern wir in der Geschichte, dann finden<br />

wir, dass fast alle grossen und berühmten<br />

Männer unter den bescheidensten Verhältnissen<br />

lebten und arbeiteten. Walter von der<br />

Vogelweide wurde fünfzig Jahre alt bis er,<br />

Dezennien: also das Problem ist da, der der fahrende Sänger, ein eigenes Dach über<br />

Richtungsweiser soll « organisiert» werden, seinem Kopie hatte- In Nürnberg zeigt das<br />

mag er auch erst in der Zukunft nötig sein. Dürrer-Haus die klassisch arme Arbeitsstätte<br />

dieses Meisters, die an Einfachheit<br />

In irgendeinem rückständigen kapitalistischen<br />

Staate würde nunmehr der Polizeichef die vielleicht nur noch von den Wohnstuben<br />

Anbringung eines oder zweier Winker oder Beethovens und Schuberts unterboten wird.<br />

eines ähnlichen Apparates anordnen; da man Wer jemals auf der Wartburg war, wird<br />

in verschiedenen Ländern und in vielen sogar wohl nie mehr das enge Zimmerchen vergessen,<br />

in dem Luther sich abmühte, den Deut-<br />

ziemlich viel Autoverkehr hat, haben sich ja<br />

längst nur wenige Formen dieser Einrichtung schen die Bibel zu schenken. Mozart, Haydn,<br />

als praktisch herauskristallisiert. Aber im Qrillparzer, Bauernfeld, Saar, Lenau, sie alle<br />

neuen Russland kann man so natürlich nicht arbeiteten in kahlen Zimmern. Schillers niedrige<br />

Arbeitsstube, in der auch sein Feld-<br />

verfahren — wo bliebe da alle Freude am Organisieren,<br />

am Studieren, am Theoretisieren? bett stand, ist ebenso bekannt wie die leere<br />

Und ausserdem soll der erste Arbeiterstaat, Werkstatt Adolf von Menzels, von der der<br />

ein Sechstel der Erdoberfläche, nicht einen Künstler selber sagte, sie sähe aus, als ob<br />

eigenen Richtungsweiser schaffen,, einen, der der Exekutor alles fortgenommen hätte.<br />

nicht nur den Weg des Autos, sondern der<br />

auch symbolisch in die Morgenröte der Zukunft<br />

weist?<br />

Nun also — das Resultat angestrengter<br />

Studien liegt vor. Das Modell ist vom Erfin-<br />

Anderseits zeichnen sich wieder berühmte<br />

Menschen durch ganz eigentümliche Gewohnheiten<br />

beim Schaffen aus, die sehr bezeichnend<br />

für sie sind. So erzählen bekanntlich die<br />

Schüler von Sokrates, dass er beim Nach-<br />

der einer zahlreichen Kommission von Ver-denketretern aller denkbaren Moskauer Wirt-<br />

blieb und so stundenlang ausharren konnte,<br />

über ein Problem unbeweglich stehen<br />

schafts- und Verkehrsbehörden vorgeführt bis er die Lösung gefunden hatte. Auch der<br />

worden. Die Kommission war entzückt und weise Seneca gab sich gern seinen Gedanken<br />

hat beantragt, dass dieser Sowjet-Richtungsweiser<br />

für alle Moskauer Autos vorgeschriedeckt,<br />

da er als Blutarmer leicht fror und<br />

ganz hin, aber im — Bett, schön gut zugeben<br />

wird. Er kostet zwar — nach unsicherem<br />

Voranschlag und bei Voraussetzung Ebenfalls im Bett schufen Calvin, Rossini und<br />

dann zu jeder Geistesarbeit unfähig war.<br />

einer Massenproduktion — so an die 175 Fr.; Mark Twain, welche letzterer oft tagelang in<br />

aber er ist auch sehr schön. Es ist der vollendetste<br />

Richtungsweiser, den man organi-<br />

Humorstück arbeitete. Im Bett kamen oft<br />

den Federn liegen konnte, wenn er an einem<br />

sieren kann: rechts, links, geradeaus, vorwärts,<br />

rückwärts, Bremsen und die Absicht besten Einfälle, so dass er stets Papier und<br />

auch dem Walzerkönig Johann Strauss die<br />

des Schnellerfahrens (wen interessiert die?) Blei neben sich auf dem Nachtkästchen liegen<br />

kündet er weithin an. Für das Land der kühnen<br />

Technisierung, Industrialisierung und Me-<br />

rasch genug erreichen konnte, komponierte<br />

hatte; einmal aber, als er das Papier nicht<br />

chanisierung des ganzen Lebens ist er eigentlich<br />

einfach, so kompliziert er auch dem schentuch hin, das als einzigartige Sehens-<br />

er einfach seine Walzertakte auf ein — Ta-<br />

Westeuropäer scheint: ein rundes Gehäuse würdigkeit auch heute noch mit den Notenköpfen<br />

erhalten ist. Knut Hamsun, der grosse<br />

mit Mattscheiben an einer Seite des Wagens,<br />

die Scheiben in vier Sektoren geteilt, darin nordische Dichter, schrieb vieles bei Nacht<br />

vier sehr starke Lampen (ihr Licht muss ja im Bett. Er selbst erklärt, dass er nach einigen<br />

Stunden Schlaf plötzlich wach wird und<br />

auch in der Sonne zu sehen sein), ein kleines<br />

Gewirr von Einfach-, Parallel- und Doppelanschlüssen,<br />

endlich beim Chauffeur sechs arbeiten kann.<br />

dann klar denkend und äusserst empfindsam<br />

Sehr viele Berühmtheiten arbeiteten nur in<br />

der Nacht, weil sie nur dann schaffen zu können<br />

meinten. Da ist vor allem Balzac, der um<br />

Mitternacht aufstand und dann bis zum Mor-<br />

Schaltknöpfe. Und nicht nur letzterer, der<br />

nebenbei ja auch steuern und aufpassen soll,<br />

sondern auch die biederen Droschkenkutscher<br />

und Fuhrleute, endlich noch das Publikum<br />

müssen nun lernen: zwei Lampen oben heisst<br />

«geradeaus», links oben und rechts unten<br />

Licht heisst «ich bremse », zwei Lampen unten<br />

«rückwärts», vier Lichtpunkte «ich fahre<br />

schneller > usw.<br />

Und dies alles in einer Stadt, wo weder ein<br />

Chauffeur noch ein Kutscher sich um irgendeine<br />

Fahrregel kümmert, wo unter Fuhrleuten<br />

und Publikum reichlich Analpheten sind, in<br />

einer Stadt, die zahllose Besucher aus dem<br />

Kaffee u<br />

J. Gleller-Rindlishaclier<br />

„ A.-G.<br />

Zürich<br />

MITTAG- u. ABENDESSEN<br />

nach Ifenu oder Tages/earte<br />

Währschafte Zvieri „<br />

gen arbeitete. Richelieu schlief nach dem<br />

Abendessen einige Stunden und arbeitete<br />

dann bis zum Frühstück, worauf er sich wieder<br />

niederlegte. Tolstoi setzte sich in seinen<br />

letzten Jahren zumeist abends zum Schreibtisch,<br />

wenn die Fensterladen geschlossen waren<br />

und zwei Kerzen brannten. Auch Dostojewski<br />

arbeitete gern bei Kerzenlicht.<br />

Schillers Vorliebe für den Geruch faulender<br />

Aepfel, durch den er zum Arbeiten angeregt<br />

wurde, ist allgemein bekannt. An einem<br />

kleinen Tisch durchwachte dieser Genius<br />

ganze Nächte über seinen herrlichen Werken<br />

und nahm ab und zu ein paar faule Aepfel,<br />

die stets in den Schubladen vorrätig lagen,<br />

hervor, um durch sie seine durch einen ewigen<br />

Stockschnupfen abgestumpften Geruchsnerven<br />

aufzufrischen und sich so anzuregen.<br />

Goethe verstand dies? Vorliebe seines Freundes<br />

nicht und stets überkam ihn eine grosse<br />

Uebelkeit, wenn er zum Schreibtisch Schillers<br />

trat. Goethe selbst ging, während er diktierte,<br />

in seinem Arbeitszimmer auf und ab, die<br />

Hände auf dem Rücken. Anatole France war<br />

ein Schwerarbeiter der Feder, jede Stunde<br />

am Schreibtisch bereitete ihm buchstäblich<br />

Qualen. Er lief in seinem Zimmer auf und ab,<br />

bis ihm der Anfang zu einem neuen Absatz<br />

gelang. War dieser niedergeschrieben, so<br />

fing die Lauferei von neuem an, bis der nächste<br />

Satz geformt war. Flaubert, der neuerdings<br />

wieder stärker gelesen wird, war ein<br />

Opfer seiner Sucht nach Genauigkeiten. Er<br />

las 400 Seiten, nur um eine Zypresse in zwei<br />

Sätzen richtig beschreiben zu können und<br />

studierte 107 Werke über den Ackerbau, um<br />

sich im «Bouvard et Pecuchet» sachkundig<br />

über denselben äussern zu können. So arbeitete<br />

er ohne Unterbrechung von früh bis<br />

abends, und es heisst, dass sein Diener nur<br />

RORSCHACH<br />

HOTEL SCHIFF<br />

Grosse See-Terrasse<br />

Bekannt gute Küche und Kellen<br />

Telephon 7.<br />

Gast<br />

.oanende Ausflugsziele und Serien<br />

lutenthalte (ilr Automobilisten ver<br />

angen in ihrem eigenen Interesse<br />

ofort Spezia lotterte für ein solche?<br />

Feld bei der<br />

Administration der<br />

„Automotm-Kaviis" Bern<br />

Ergrautes Haar<br />

erhält seine frühere Farbe wieder durch<br />

B/rken-Britlan tin e<br />

Kein neues Präparat, 40jähr. Erfahrung.<br />

Verbürgt Wirkung und Zuverlässigkeit.<br />

Gen e r a d L o t:<br />

J. Baer'8 EPÜeil, Römerschloss-Apotlieke, ZÜPiCH 7<br />

Telephon H 6010 Asylstrasse *7C\<br />

Sonntags zu ihm sprechen durfte. Böcklin<br />

konnte sich in seine Arbeit so verbohren, dass<br />

er den Pinsel nicht einmal fortlegte, um sich<br />

Eüin<br />

Schiölände 28, beim BeUevue. — Vorzügliche Küche,<br />

Reine Natur-Weine.<br />

Prachtv, Runds. Grosse Spielplätze<br />

i. Gesellschaften. Bauern -SpezlalH.<br />

Bekannt vorzügliche KOohe<br />

und Keller.<br />

Jules Verne war, wie männiglich weiss,<br />

ein Schriftsteller. Aber der hundertste Geburtstag,<br />

den er in diesem Monate hätte<br />

feiern können, ist zugleich auch ein technischer<br />

Gedenktag.<br />

Und die Automobilisten und die Segler der<br />

Lüfte haben alle Ursache, an dieser Jahrhundertfeier<br />

des Mannes zu gedenken, der mit<br />

den modernen Verkehrsmitteln Kontinente<br />

und Welten mass, als dies alles noch als<br />

Utopie verschrien war.<br />

Denn Jules Verne war mit seinen Romanen<br />

ein Wegbereiter populärer Technik<br />

und ein Förderer naturwissenschaftlichen<br />

Wissensdranges wie selten einer. An seinen<br />

spannenden Reise- und Abenteuer-Erzählungen:<br />

«Reise um die Welt in 80 Tagen»,<br />

« 5 Wochen im Luftballon», « Reise ins Innere<br />

der Erde», «Von der Erde auf den<br />

Mond» usw., haben sich ganze Generationen<br />

ergötzt, und mit heisser Gier haben wir uns<br />

in der Jugend nächtelang (wohl noch bei<br />

der Petroleumlampe) in seine atemhemmenden<br />

Romane vertieft.<br />

Heute ist es stiller um ihn geworden. Die<br />

Tragik seines Erfolges war, dass er zu<br />

seiner Zeit mit blühender und fast wilder<br />

Phantasie kühn prophezeit hat, was dereinst<br />

wahr werden sollte und unsere Zeit<br />

verwirklicht hat.<br />

Gewiss, wir fahren noch nicht zum Mond<br />

oder in den Erdmittelpunkt hinein, aber<br />

das Weltall ist erobert, wir fahren in den<br />

Tiefen der Meere, und unsere Stimme kann<br />

ohne Draht über Kontinente verbreitet werden.<br />

So ist es offensichtlich, dass das Interesse<br />

an Jules Vernes Werk verblassen musste<br />

und in dem Moment, da all diese Wunder,<br />

die er unter Anwendung naturwissenschaftlicher<br />

Gesetze an seinem' Schreibtisch ersann,<br />

wahr wurden, seine Romane nicht<br />

mehr jene magnetische Kraft ausüben<br />

konnten, die die heute lebende Generation<br />

in ihrer Jugend noch erlebte*<br />

ZÜRICH 1 Hotel-Rest. SEEHOF<br />

stein e. Rft.<br />

Schönster Ausflugspunkt<br />

HEB<br />

Cp<br />

Dieser «bon gargon tres franeais» hat in<br />

dem Buch natürlich auch einen Namen.<br />

Er heisst genau so, wie er wirklich hiess,<br />

mit einer kleinen Buchstabenänderung,<br />

Briant.<br />

Heute schreibt sich der Schuljunge aus<br />

Nantes, den Jules Verne protegierte,<br />

Aristide Briand.<br />

Mag zünftige Literaturkritik Jules Verne<br />

auch mit Verachtung strafen, dies kleine<br />

Intermezzo zeigt &eine feine Spürnase, die<br />

sich auch in grossen technischen Dingen<br />

nicht irrte, und aus unserer Erinnerung ist<br />

er nicht zu bannen.<br />

Q

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