E_1929_Zeitung_Nr.099
E_1929_Zeitung_Nr.099
E_1929_Zeitung_Nr.099
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
U AUTOMOBIL-REVUE <strong>1929</strong> — N ü 99<br />
Wie Künstler leben...<br />
Pariser Wohn- und Hangerkolonien<br />
Wie beherbergt Paris, die Mutter aller<br />
Künste und Künstler, ihre Schützlinge? In<br />
den letzten Jahren, seit München und Dresden<br />
als Kunststätten immer mehr übersehen<br />
werden, wird die Frage nach Ateliers in Paris<br />
immer grösser. Profitsüchtige Vermieter<br />
bauen mit wenig Kapital grosse Kolonien,<br />
kleine, armselige Hüttchen. In'russigen Industrievierteln,<br />
meist in unbenutzten Höfen<br />
Die Meinen Wohnhütten in einem dunklen Hofe des Montparaasse.<br />
den ganzen Tag schreit, wohnt und arbeitet<br />
er. Durch die halbofiene Türe sieht man angefangene<br />
Bilder und Windeln.<br />
Im Hofe malt eine burschikose Berlinerin<br />
mit geschwungenem Pinsel. Natürlich malt<br />
sie die angrenzende, rauchende Fabrik.<br />
« Volkselend, soziale Kunst.»<br />
Zwischen roten Möbeln und bunten Behängen<br />
hämmert und lärmt ein kleiner, schwarzeines<br />
Hinterhauses, entstehen diese Siedlungen,<br />
in denen das junge Künstlervolk primitiv seiner fernen Heimat wollte er sich in'seiner<br />
haariger Spanier. Die ganze Farbenpracht<br />
aber teuer wohnen kann. Künstler, wirkliche Bude schaffen. Vom Morgen zürn Abend<br />
und die es zu sein glauben, Leute aus aller trällert er mit seinem schrillen Grammophon<br />
Welt, Amerikaner, Chinesen, Südländer um die Wette.<br />
hausen hier friedlich nebeneinander, alle erfüllen<br />
ihre dürftigen Wohnungen mit pulsen-<br />
Schweizer. Ein zierliches, französisches<br />
Das kleinste aller Ateliers bewohnt ein<br />
dem Leben. Hier werden Pläne geschmiedet, Mädchen hat er bei sich. Früher stand sie<br />
Sehnsüchte werden genährt, Hoffnungen blühen<br />
auf und gehen zugrunde, Arbeit, Trauer,<br />
ihm Modell.<br />
Not und Freude wechseln Tag auf Tag.<br />
Eine Kolonie in der Nähe der Porte d'Orleans;<br />
36 kleine Häuschen lehnen da eines<br />
an dem andern, ganz versteckt zwischen den<br />
grossen Häusermauern und rauchen aus winzigen<br />
Kaminen ihre Wohnlichkeit in die Luft.<br />
Es ist eine selbständige, kleine Stadt, mit<br />
eigenen Gesetzen und Anschauungen über Leben<br />
und Moral, voll von Freiheit und Genialität.<br />
Das ganze Viertel ringsum wird durch<br />
sie bestimmt. Laden wachsen aus dem Boden,<br />
sorgen sich um ihr Wohl und passen sich<br />
ihren Bedürfnissen an. Das Völklein ist auch<br />
hier international.<br />
Da ist ein Amerikaner mit ewiger Pfeife<br />
und wallendem Haar, samtener Hose und<br />
vollendeter Haltung. Unter offener Tür betrachtet<br />
er seine Arbeit, kneift beschauend<br />
mit einem Auge, dann spuckt er ab und zu<br />
drei Meter zur Seite. Alle bewundern ihn ob<br />
seiner Fertigkeit.<br />
Daneben eine französische Aviatikerin. Wozu<br />
braucht sie ein Atelier? Es ist Drang nach<br />
Romantik und Künstlertum. Sie ist lang und<br />
dürr, gefällt sich in grellfarbigen Kleidern<br />
und lässt sich von zahlreichen Gästen um ihre<br />
interessante Umgebung beneiden.<br />
In malerischem Durcheinander, zwischen<br />
staubigen Büchern und Bildern, lebt ein junger,<br />
sentimentaler Oesterreicher seinem idealen<br />
und seinem realen Durst.<br />
Ein anderer — Engländer ist er. Mit einer<br />
kleinen, blassen Frau und einem Kind, das Viele Ateliers liegen zu ebener Erde<br />
Zwischen Bett und Ofen entstehen die Werke.<br />
In der Kolonie leben die tollsten Gegensätze<br />
dicht nebeneinander, verbunden durch ihr<br />
eines gemeinsames Ideal: die Kunst.<br />
Nino, Paris.<br />
Mit Illustrationen des Verlassers.<br />
Die „grosse Liebe"<br />
Ein Richter, der ein Prachtskerl ist.<br />
In Wien stand ein junger 23jähriger Mensch<br />
wegen Mordversuchs vor Gericht. Es handelte<br />
sich um eine missglückte « Tötung auf<br />
Verlangen ». Seine 17jährige Freundin hatte<br />
ihn gebeten, sie zu erschiessen, der junge<br />
Mann hatte abgewandten Gesichts losgedrückt<br />
und sie nur leicht verwundet. Erwähnenswert?<br />
Als « Fall» kaum. Aber der Fall<br />
ist damit noch gar nicht zu Ende, denn die<br />
beiden jungen, haltlosen Menschen haben das<br />
unerhörte Glück, vor einem Richter erscheinen<br />
zu müssen, der besser noch als seine Gesetzesbücher<br />
die Menschen kennt. Und der<br />
Richter spricht Worte voll grosser, überzeugender<br />
Weisheit, reale Worte, vor denen die<br />
schwärmerische, einzige «Liebe bis in den<br />
Tod» kläglich beigibt. Und der Journalist<br />
deutet den tiefen Sinn des Verhörs und sein<br />
Stift rettet ihn der Allgemeinheit. Darum, obwohl<br />
uns der «Fall» sehr gleichgültig sein<br />
kann, veröffentlichen wir den in der «B. Z.<br />
a. M.» erschienenen Dialog.<br />
Der Vorsitzende wünschte etwas über die<br />
näheren Umstände zu erfahren.<br />
«Wir wollten beide sterben,» sagte der<br />
junge Mann.<br />
« Na ja. Aber warum...? Sie liebten einander,<br />
nicht wahr, und konnten sich, nehme<br />
ich an, aus irgendeinem Grunde nicht heiraten.<br />
Waren die Eltern dagegen?... Reichte<br />
das Geld nicht..3 War eines von Ihnen<br />
krank? »<br />
«Nichts davon. Meine Eltern waren ganz<br />
einverstanden, Annas Eltern kümmern sich<br />
kaum um ihre Tochter. Ich habe eine gute<br />
Stellung und Aussicht auf Vorwärtskommen.<br />
Anna ist ebenfalls tätig. Gesund sind wir<br />
beide...»<br />
« Uso war eines von Ihnen dem andern untreu.<br />
..? »<br />
« Wir liebten einander unendlich. Und gerade<br />
deshalb wollten wir sterben.»<br />
«Bitte, reden Sie nicht solch unsinniges<br />
Zeug.»<br />
«Ich spreche die Wahrheit. Wir hatten<br />
solch wahnsinnige Angst, dass unser Glück<br />
nicht dauern könne. Wir wussten doch:<br />
nichts hat Bestand. Wir waren so weltentrückt,<br />
und wir wollten nicht wieder zur<br />
Welt hinunter, die so hart und nüchtern ist.»<br />
«So was haben Sie wohl im Kino gesehen?»<br />
« Wir gingen gar nicht ins Kino. Wir gingen<br />
überhaupt nirgends hin, nur immer, ohne<br />
zu sprechen, Hand in Hand auf der Strasse<br />
und sahen uns an.»<br />
«Na ja. So was haben wir ja alle mehr<br />
oder weniger durchgemacht. Aber in solche<br />
Stimmungen versinkt man doch nicht mit<br />
Haut und Haaren, zum Donnerwetter...! »<br />
«Wir sind darin versunken und konnten<br />
nicht mehr heraus.»<br />
« Und da haben Sie sich, weltentrückt, einen<br />
Revolver gekauft — nicht wahr — und haben<br />
sich, weltentrückt, ein Hotelzimmer gemietet<br />
und — na, wie ist es also weitergegangen..?><br />
« Anna bat mich auf den Knien und mit emporgehobenen<br />
Händen, sie zu töten. Sie habe<br />
keine Kraft mehr, den Alltag zu ertragen,<br />
alles komme ihr nichtig vor, sie bringe für<br />
nichts, ausser für unsere Liebe, auch nur das<br />
geringste Interesse auf...»<br />
« So. Und da haben Sie, als Mann, sie natürlich<br />
aufgerüttelt, haben ihr vermutlich gesagt,<br />
das sei gar keine Liebe, sondern nichts<br />
weiter als blauer Dunst und armselige Genusssucht.<br />
Stimmt's? Haben ihr klar gemacht,<br />
dass Liebe sich an der Wirklichkeit<br />
beweisen müsse, und dass sie bloss ein elender<br />
Dreck sei, wenn sie da versage...? ><br />
« Nein, das habe ich ihr nicht gesagt. Mich<br />
hatte die Liebe ja auch so furchtbar melancholisch<br />
gemacht. Ich war auch ganz mutlos<br />
und kraftlos.»<br />
« Aber auf das Mädchen zu schiessen, dazu<br />
hatten Sie Kraft genug...! Und nachher<br />
wollten Sie sich ursprünglich selbst umbringen?<br />
><br />
« Ja. Aber ich habe dann lieber nach der<br />
Rettungswache telefoniert...»<br />
« Eigentlich müsste man ja Leute wie Sie<br />
exemplarisch bestrafen. Denn es ist wahrhaftig<br />
mehr als strafbar, wenn erwachsene Menschen<br />
eine solche Heidenangst vor, dem bisschen<br />
Glück haben. Denken Sie doch mal, wie<br />
gut es die Natur eingerichtet hat, dass sowas<br />
nicht dauert! Menschen, die einander jahraus,<br />
jahrein immer bloss melancholisch anblinzeln,<br />
die würden ja verblöden! Es gibt<br />
schon so viel entsetzliches Leid in der Welt,<br />
dass es leider sogar der wirklichen Liebe,<br />
der tapferen Liebe nicht immer gelingt, drüber<br />
weg zu kommen — und Sie wagen es, mit<br />
dergleichen Zerrbildern grosser Gefühle sich<br />
aufzuspielen...?! »<br />
Der junge Mann bekam zwei Monate strengen<br />
Arrest mit Bewährungsfrist.<br />
Das junge Mädchen, das als Zeugin erschienen<br />
war, fiel ihm weinend um den Hals.<br />
Der Richter erklärte zum Schluss: « Also,<br />
Fräulein, wenn ich Ihnen raten kann, so verlangen<br />
Sie während der nächsten zwei Jahre<br />
nicht wieder von Ihrem Bräutigam, er solle<br />
Sie und sich töten. Denn dann müsste er<br />
ohne Gnade die beiden Monate absitzen!»<br />
Schneeschuhe<br />
sind für die Autler-Familie<br />
unentbehrlich. Wir empfehlen:<br />
Damen-Modelle Fr. 10.75,12.75-24.50<br />
Damen-Russenstiefel Fr. 21.-u. 32.50<br />
Herren-Modelle Fr. 14.75,21.-u. 24.50<br />
Kinder-Modelle Fr. 9.80,10.75 - 15.75<br />
Schuhhaus z. Bischoff<br />
Rutishauser-Bischoff, St. Gallen<br />
Kugelgasse 3 Tel. 10.90<br />
Eine bleibende<br />
Erinnerung<br />
an?<br />
sich<br />
Die<br />
Uhr, die<br />
selbst<br />
ARNOLD WÜEST<br />
Gegen kalte Füsse im Auto<br />
schützen Sie sich am besten<br />
mit den beliebten echten<br />
SPEZIAL-KATZENPELZ-SCHUHEN<br />
ohne und mit Korkzwischensohlen<br />
in Ia. Ausführung 1 für<br />
Fr. 54.80, 56.50, 59.80 u. 65.-<br />
Höchste Präzision und Zuverlässigkeit<br />
Beim guten Uhrmacher<br />
erhältlich<br />
VERTRIEB FfiRDIE SCHWEIZ:<br />
HARWOOO-UHREN A.-O., QRENCHEN<br />
ST. GALLEN<br />
TkLpPHON 44.65<br />
SPEISER». ASSE 2«<br />
3ürtcfi 1<br />
tftorcfiQnaaffa<br />
6