E_1933_Zeitung_Nr.036
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14 MfrOMOBIL-REVUE <strong>1933</strong> - N° 36<br />
haben gehört, du könntest kein Blut<br />
sehen, wie...? »<br />
Es sind Kinder unter den Bufenden.<br />
Der alte Mann zuckt zusammen wie unter<br />
einem Schmerz. Aber dann hebt er die<br />
Hand. Und zwei Männer heben zwei Stangen.<br />
Zwischen den Stangen spannt sich,<br />
über Meter hin, ein Band: « Die Grausamkeit<br />
der Stierkämpfe schändet die Ehre<br />
der Heimat! Was ist wichtiger: der Profit<br />
der Krämer oder die Ehre des Landes? »<br />
Man liest es und lacht. Die Stiere wenden<br />
ein wenig die mächtigen Häupter und<br />
glotzen. « Siehst du, Chatalon », ruft es,<br />
« die Bullen lesen es auch! Sie sollen auch<br />
antworten! »<br />
Chatalon hebt nochmals die Hand. Da<br />
heben sich zehn, zwanzig Hände, das sind<br />
die tapferen Hände seiner Getreuen, da<br />
rufen zehn, zwanzig mutige Stimmen im<br />
Chor: « Erbarmen mit den Tieren! »<br />
Das Eufen, das Lachen verwirrt die vier<br />
Stiere. Sie stampfen unruhig mit den<br />
mächtigen Beinen, sie werfen die Häupter<br />
zurück, sie bleiben stehen, zerren nach<br />
hinten. Die beiden Knechte fluchen. Ein<br />
paar ängstliche Frauen weichen zurück.<br />
Der Polizist nähert sich.<br />
Aber Monsieur Chatalon hat schon zum<br />
zweiten Male die Hand gehoben, hinauf<br />
zu dem riesigen Plakat, das zu schwanken<br />
beginnt, weil der Polizist die Träger zurückdrängt.<br />
Und der Sprechchor ruft:<br />
« Nieder mit den Stierkämpfen, nieder mit<br />
den Stier »<br />
Das andere erstickt ein gellender Schrei.<br />
Der mächtige Bulle zur Linken hat einen<br />
Satz gemacht, scheu geworden durch<br />
das schwankende Plakat. Der führende<br />
Knecht liegt am Boden. Als er wieder<br />
aufspringt und nach dem Halteseil fassen<br />
will, ist die Kette gerissen, die das Tier<br />
an die drei Todesgefährten bindet. Die<br />
zentimeterstarke Kette ist gerissen wie<br />
Zunder... Die Menschen fliehen schreiend<br />
in die Türen der Häuser. Aber nur wenige<br />
finden Platz in den Hausgängen, dannsind<br />
sie verstopft. Die übrigen hängen vor<br />
den Türen wie Trauben.<br />
Der Stier stampft, die Kopfsteine dröhnen,<br />
als wollten sie splittern unter der<br />
Wucht der stampfenden Säulen aus Knochen<br />
und Hörn und Fleisch. Der Schweif<br />
schlägt mächtig, die Nüstern schnauben,<br />
die Augen blinzeln klein und tückisch in<br />
die Sonne. Der Knecht sucht noch einmal<br />
das Seil zu fassen, wird weggeschleudert,<br />
flieht in die Menge. Die drei noch Gefesselten<br />
werfen sich gegeneinander, auseinander,<br />
brüllend — bald wird auch diese<br />
Kette reissen, nun muss auch dieser<br />
Knecht sich retten...<br />
Die Menschen sind noch immer wie<br />
Trauben geballt, keiner wagt sich zu lösen<br />
und allein zu fliehen, dumpf herrscht der<br />
Trieb zum Gefährten, zur Gemeinschaft,<br />
schreiend drängen sie, treten, schreien,<br />
lockendes Ziel dem Tier... Der Polizist<br />
hat den Revolver frei. Er schiesst. Er<br />
trifft irgendwo in den Berg aus Fleisch,<br />
nutzlos. Aber der Stier heult auf, der<br />
Knall macht sein Blut rasen. Er wendet<br />
sich dem Menschenklumpen zu, vor dem<br />
der Polizist steht. Er senkt den gewaltigen<br />
Kopf, es sieht aus, als tragen die Vorderfüsse<br />
einen Felsbrocken, zum Schleudern<br />
bereit. Waagrecht steht die Schärfe der<br />
weitausladenden HÖrner und sticht auf<br />
den Menschenballen zu, waagrecht in<br />
Höhe der Menschenbrust, waagrecht und<br />
schnell. Ein paar Sekunden: dann geschieht<br />
es, dann sind Fleischfetzen da und<br />
Stöhnen und Sterben...<br />
Aber dort, mitten auf dem kurzen Weg<br />
zwischen Stier und Menschenballen, steht<br />
plötzlich ein Hindernis. Ein Mensch. Ein<br />
alter Mensch... Weicht, wie das Tier auf<br />
ihn zustampft, seitwärts aus, langsam und<br />
lockend. Das Tier lässt sich ablenken,<br />
stürmt zur Seite, los auf den einsamen<br />
Feind.<br />
Und in Monsieur Chatalon, der da vor<br />
der Bestie steht, wehrlos, allein und schon<br />
sehr alt, geht Seltsames vor. Zweimal erst<br />
hat er Stierkämpfe gesehen, einmal, als er<br />
den Entschluss fasste, solche Kämpfe zu<br />
verhindern und zum anderen Mal bei jener<br />
Demonstration. Er hat nicht den Degen<br />
des Matadors, den er dem Stier in die Kehle<br />
stechen kann. Er hätte auch keine Freude<br />
an diesem Kampf, keinen Sinn dafür, wenn<br />
er selbst den Degen hätte. Er hat nur Ekel<br />
davor, Ekel und sich selbst, seinen alten,<br />
langsamen Körper, und seine Verantwortung<br />
für diese wimmernde Menge Hilflosigkeit.<br />
Aber er handelt wie ein Matador, wie ein<br />
Espada. Er bleibt stehen, bis der heranrasende<br />
Stier Zentimeter vor ihm steht.<br />
Dann biegt er blitzschnell aus — der<br />
Turm aus Fleisch und Hörn rast meterweit<br />
vorbei, vorüber... Schon hat Monsieur<br />
Chatalon sich gewendet. Seine hellen<br />
Augen haben den neuen Angriff des Tieres<br />
scharf gesehen. Seine rudernden Arm9<br />
lenken es wiederum von den anderen ab.<br />
Dann steht er wieder. Weicht wieder aus,<br />
im letzten, im allerletzten Augenblick...<br />
Brüllen ist über dem Platz. Der Polizist<br />
hat die gefesselten drei Stiere zusammengeschossen,<br />
ehe sie sich lpsreissen konnten.<br />
Sie wälzen sich auf den Steinen,,ihr Blut<br />
schäumt. Türen öffnen sich, Menschen-<br />
Strömen in Häuser, die kühl und sicher,<br />
sind und Schutz geben. Leer wird dei<br />
Platz. Nur der Stier überrast ihn, kämpft<br />
seinen Kampf mit dem Feind, der sein<br />
Freund ist, sein einziger Freund.<br />
Der Polizist hat seine paar Revolverkugeln<br />
verschossen. Die Strasse herauf,<br />
die eben die Stiere kamen, knattert ein Polizeiauto.<br />
In einer halben, einer Viertelminute<br />
wird es hier sein. Hilfe für Monsieur<br />
Chalaton! Aus den Fenstern hangen<br />
die Menschen. Schreien, winken. Monsieur<br />
Chalaton soll sich in dies Haus flüchten,<br />
in jenes Haus. Die Tür ist auf. Flieh,<br />
Chatalon, flieh!<br />
Aber Monsieur Chatalon darf die Augen<br />
nicht von dem Stier lassen. Muss laufen,<br />
stehen, ausweichen. Muss immer mehr die<br />
Kampfwut des Stieres reizen, im Herzen<br />
die Sehnsucht, ihm Frieden zu geben. Und<br />
doch werden die alten Beine schwach, und<br />
der Schweiss beisst in den Augen, und die<br />
Sonne blendet. Jetzt rast der Stier wieder<br />
heran, mit verdoppelter Wucht. Jetzt biegt<br />
Chatalon noch einmal aus. Jetzt donnert<br />
der Stier viele Meter weit vorbei .. Da<br />
gönnt sich Monsieur Chatalon einen Blick,<br />
einen einzigen Blick über den Platz. Der<br />
ist leer von Menschen. Nur drei tote Stiere<br />
und der eine lebendige, und dort das Poli-<br />
Ein schwedischer Geigenbauer löst das Geheimnis<br />
der Stradivarius-Violinen.<br />
Ein geschickter schwedischer Geigenbauer,<br />
Otto Sand, behauptet, dem Geheimmittel<br />
auf die Spur gekommen zu sein, mit<br />
dem Stradivarius den wundervollen Ton<br />
seiner berühmten Violinen zustande gebracht<br />
hat. Sand hat sich 12 Jahre mit<br />
diesem rätselhaften Problem beschäftigt<br />
und ist zu dem Schlüsse gekommen, dass,<br />
wie auch früher angenommen wurde, das<br />
Geheimnis in der Zusammensetzung des<br />
Lacks, den der. alte Meister gebrauchte, zu<br />
suchen sei. Sand hat dieses Geheimnis<br />
nicht direkt gelöst, aber bei der Analyse<br />
des Lacks ist ihm der Geruch aufgefallen,<br />
und mit Hilfe einer besonderen Art ägyptischen<br />
Harzes hat er einen Lack von derselben<br />
Qualität erfunden, die auch die alten<br />
Geigen besitzen. Die Technische Hochschule<br />
zu Stockholm wird durch besondere<br />
Sachverständige prüfen lassen, ob Sands<br />
Violinen wirklich die guten Vorzüge der<br />
Stradivarius-Geigen besitzen und seine Behauptungen<br />
je nach Befund bestätigen, tia.<br />
Es möchte jeder Hund so weiterleben.<br />
Präsident Roosevelt wird im « Weissen<br />
Hause» von einer prächtigen englischen<br />
Bulldogge, « General Qrant» genannt, bewacht<br />
werden. Das Tier hat kürzlich auf<br />
einer Hundeausstellung den ersten Preis<br />
gewonnen und ist 25,000 Fr. wert. « General<br />
zeiauto. Monsieur Chatalon kann, will<br />
fliehen. Aber seltsam: wie er laufen will,<br />
taumeln die Beine. Er stolpert ein paar<br />
Schritte. Verwickelt sich in etwas. Es ist<br />
das Plakat, sein Plakat, das da auf dem<br />
Pflaster liegt. Monsieur Chatalon stürzt,<br />
wälzt sich auf den Steinen. Ein Felsblock<br />
donnert heran, ein Felsblock mit zwei nadelscharfen,<br />
mächtigen Spitzen und zwei<br />
schmalen Schlitzen, welche Augen sind,<br />
waagrecht, nun schräg nach unten ... Der<br />
Felsblock wälzt sich gegen ihn, stösst zu,<br />
springt wieder auf — Monsieur Chatalon.<br />
fliegt durch die Luft, gegen die Mauer, ein<br />
blutiger Ballen ...<br />
Dann eine Serie von Schüssen. Stumm<br />
bricht das Tier zusammen ...<br />
Nach Tagen erwacht Monsieur Chatalon.<br />
Alles ist weiss um ihn, alles ist weiss an<br />
ihm, sein ganzer Körper ist ein Verband.<br />
Aber er werde durchkommen, sagt der Arzt.<br />
Monsieur Chatalon sieht den Arzt fragend<br />
an.<br />
«Ja», antwortet die Schwester,