E_1935_Zeitung_Nr.010
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6 AUTQMOBIL-FEVUE <strong>1935</strong> - N° 10<br />
Luftfahrt<br />
Erste Eindrücke<br />
als Autogiro-Pilot.<br />
Willi Eberschweiler.<br />
Ich machte meine erste nähere Bekanntschaft<br />
mit der fliegenden Windmühle im letzten<br />
Sommer, als ich für die Alpar ein neues<br />
Kabinenflugzeug in London abzuholen hatte.<br />
— Die wenigen Tage, die ich in London<br />
weilte, waren ausgefüllt mit Geschäften. Zu<br />
diesen Geschäften gehörte auch der Auftrag,<br />
mit der Cierva Autogiro^Comp. persönlich<br />
Fühlung zu nehmen und mir den neuesten<br />
Typ, den C. 30, vorführen zu lassen. Denn<br />
die Alpar beabsichtigte, diesen nun serienmässig<br />
hergesteiften Typ eventuell anzuschaffen<br />
und auf seine Eignung für die<br />
Schweiz hin zu erproben.<br />
So stand ich denn eines Nachmittags auf<br />
dem Parkflugplatz Hanworth und betrachtete<br />
mit kritischem Auge die Demonstrationsflüge<br />
des Chefpiloten Brie, um schliesslich selbst<br />
unter dem wirbelnden Rotor zu sitzen und<br />
am Doppelsteuer einen Flug zu machen. Ich<br />
will nicht behaupten, dass ich mich während<br />
dieses ersten Autogiro-Fluges absolut sicher<br />
fühlte! Denn ich sagte mir, dass ein zu langsames<br />
Drehen oder gar Stillstehen des Rotors<br />
den sichern Absturz zur Folge haben<br />
müsste, und meine Unkenntnis von Konstruktionseinzelheiten<br />
Hess mich damals an die<br />
Möglichkeit einer solchen Panne glauben. —<br />
Trotzdem war ich natürlich nicht so befangen,<br />
dass mich der ungewöhnlich kurze<br />
Start und die schon beim Zusehen sensationelle<br />
Landung nicht beeindruckt hätten.<br />
Zwischen Start und Landung, in genügender<br />
Sicherheitshöhe, überliess mir Brie das<br />
Steuer und ich würgte mittels des herunterhängenden<br />
Rotorsteuerknüppels einige Kurven<br />
in die Luft, Hess die Maschine im überzogenen<br />
Zustand eine Zeitlang absacken,<br />
stieg wieder hoch und schaute von Zeit zu<br />
Zeit misstrauisch nach dem gleichmässig<br />
drehenden Flügel über mir. Nach einem fallschirmartigen<br />
Abstieg (das Wort Gleitflug<br />
ist hier kaum mehr am Platz!) setzte Brie<br />
das Flugzeug direkt neben dem Hangar auf,<br />
ohne mehr als zwei, drei Meter, also praktisch<br />
überhaupt nicht, zu rollen.<br />
Auf Grund dieser Vorführungen und noch<br />
eingezogener Auskünfte bestellte die Alpar<br />
einen solchen C. 30. — Am 19. Januar traf'<br />
das Flugzeug in Bern ein. Der englische Pilot<br />
Richardson hatte nun die Aufgabe. Ingenieur<br />
Gsell, vom Eidg. Luftamt, und mich in<br />
die Geheimnisse des Autogiro-FIiegens einzuführen,<br />
damit wir in der Lage seien, die<br />
Ausbildung weiterer Piloten des Eidg. Luftamtes,<br />
der Alpar und einiger Instruktionsoffiziere<br />
der Fliegertruppe selbst in die Hand<br />
zu nehmen. Am 21. Januar begann der Unterricht.<br />
Schon die Tatsache, als alter Pilot und<br />
Fluglehrer selbst wieder am Doppelsteuer zu<br />
sitzen, kam mir etwas komisch vor. Auch<br />
musste ich durch das Vertrautwerden mit<br />
den mechanischen und aerodynamischen Vorgängen<br />
und mit dem Prinzip des Drehflügels<br />
überhaupt zunächst das Zutrauen zum Autogiro<br />
gewinnen. Unser Lehrer sprach als richtiger<br />
Engländer natürlich nicht deutsch, so<br />
dass wir die ganzen technischen Erläuterungen<br />
auf Englisch entgegennehmen, oft mit<br />
Hilfe der Zeichensprache erfassen mussten.<br />
Er erklärte zunächst die Startvorbereitungen,<br />
die, verglichen mit denen des normalen Flugzeuges,<br />
ziemlich kompliziert sind. — Die<br />
drei kleinen Drehflügel, die zusammen den<br />
Rotor bilden, wirken natürlich erst als Tragfläche,<br />
wenn der Rotor dreht. Und zwar<br />
braucht er beim C 30 zum Erreichen des normalen<br />
Auftriebes 180—200 Touren pro Mi-<br />
nisreichen Gelände eine gewaltige Verbesserungnute.<br />
Diese Tourenzahl muss schon vor dem<br />
Start erreicht werden. Während dies früher<br />
Das Kurven geschieht durch ein Neigen der<br />
durch das rasche Abziehen eines um die Rotorachse<br />
gewickelten Seiles, später durch<br />
Rotorebene in den gewünschten Drehsinn;<br />
dieses Neigen wird eingeleitet durch ein Seitwärtsdrücken<br />
des hängenden Steuerknüppels,<br />
Ablenkung des Propellerwindstrahls auf die<br />
Rotorblätter erreicht wurde, kann beim C. 30<br />
und zwar mit etwas stärkerem Ausschlag, als<br />
der Rotor durch den Motor auf Touren gebracht<br />
werden. Diese Verbindung des Dreh-<br />
wenn man mit einem normalen Flugzeug eine<br />
flügels mit dem Motor geschieht durch ein<br />
Gestänge, Zahnräder und eine Reibungskupplung.<br />
Sie besteht aber nur beim stillstehenden<br />
Flugzeug am Boden! Während des Fluges<br />
wird der Rotor ausschliesslich durch<br />
den Luftstrom, der durch die horizontale<br />
oder vertikale Bewegung des Flugzeuges gegen<br />
die Drehflügel bläst, angetrieben.<br />
Das Flugzeug wird mit stehendem Rotor<br />
zum Startort gerollt und in die Startrichtung,<br />
bei Wind genau in die Windrichtung (gegen<br />
den Wind) gedreht. Nun werden die Radbremsen<br />
festgezogen und der Rotor durch<br />
Einschalten der Kupplung langsam auf Touren<br />
gebracht Dies geschieht durch ein sukzessives<br />
Steigern der Motortourenzahl auf<br />
ca. 1500 Umdrehungen. Bei dieser Drehzahl<br />
hat der Rotor etwa 185—190 Touren pro<br />
Minute erreicht: der Flügel ist «gebaut». In<br />
diesem Augenblick wird der sog. Schnellauslöser<br />
(Quickreleaser) nach vorn geschoben<br />
und dadurch gleichzeitig mit der Auslösung<br />
der Radbremsen der Rotor vom Motor losgekuppelt.<br />
Bevor der Rotor an Touren wieder<br />
verloren hat, wird der Gashebel auf Vollgas<br />
geschoben und gestartet. Schon nach dem<br />
ersten Anrollen des Flugzeuges wird der<br />
Steuerknüppel vollständig nach hinten gezogen.<br />
Dadurch erhält die Drehflügelfläche einen<br />
maximalen Anstellwinkel und das Flugzeug<br />
den für einen kurzen Start notwendigen<br />
Maximalauftrieb. Es hebt sich zunächst mit<br />
den beiden Vorderrädern und dann mit dem<br />
bis zuletzt gesteuerten Schwanzrad vom Boden<br />
ab und ist nach ca. 25 bis 50 Metern<br />
Startlänge vollständig in der Luft. Die Startlänge<br />
hängt ab: zunächst von der Belastung<br />
des Flugzeuges, dann von der Stärke des Gegenwindes,<br />
von der. Bodenbeschaffenheit —<br />
und von der Drehzahl des Rotors. Einmal in<br />
der Luft, steigt der Autogiro etwa wie ein<br />
Die Landung selbst wird technisch so vollzogen,<br />
dass das in etwa 50 Metern Höhe et-<br />
sehr gut steigendes Sportflugzeug. Er hat<br />
aber gegenüber diesem neben dem kürzeren<br />
Start den grossen Vorteil, dass er sofort, also<br />
vor dem Erreichen einer bestimmten Geschwindigkeit,<br />
gefahrlos gekurvt werden<br />
kann. Das allein bedeutet in unserem hinder-<br />
Kurve ohne Seitensteuer, also nur mit der<br />
Verwindung, fliegen wollte. Eine gleiche Verstellung<br />
der Rotorebene durch Drücken des<br />
Knüppels nach vorn oder Ziehen desselben<br />
nach hinten ergibt die Wirkung des Tiefenbzw.<br />
Höhensteuers. Alle Steuerbewegungen<br />
sind etwas «gröber» und verlangen eine grössere<br />
Muskelanstrengung als die (zum Teil<br />
allerdings kompensierten) Steuer normaler<br />
Flugzeuge der gleichen Grössenordnung, und<br />
— woran man sich ganz besonders gewöhnen<br />
muss — das Flugzeug reagiert bedeutend<br />
langsamer.<br />
Trotz dieser langsameren Steuerreaktion<br />
ist die Flugsicherheit ganz bedeutend erhöht.<br />
Während die Steuer normaler Flugzeuge<br />
nicht mehr, oder doch nur ungenügend, reagieren,<br />
sobald das Flugzeug unter einer bestimmten<br />
Minimalgeschwindigkeit geflogen<br />
wird, bleibt die direkte Rotorsteuerung immer,<br />
d. h. auch beim langsamsten Fliegen,<br />
voll wirksam. Aus diesem Grunde, und weil<br />
der Rotor nicht nur durch die Vorwärtsbewegung<br />
des Flugzeuges, sondern auch durch<br />
die vertikale Abwärtsbewegung auf den erforderlichen<br />
Touren gehalten wird, kann das<br />
Autogiro-Flugzeug ausserordentlich langsam,<br />
z. B. noch mit ca. 20 km Eigengeschwindigkeit,<br />
geflogen und gesteuert werden. Das bedeutet<br />
praktisch ein Stillstehen über dem Objekt,<br />
ja bei Gegenwind von grösserer Stärke<br />
kann mit Leichtigkeit rückwärts geflogen<br />
werden! Auf der andern Seite aber erlaubt<br />
der C. 30 auch horizontale Vorwärtsgeschwindigkeiten<br />
von 160 und mehr Kilometern.<br />
Der « Gleitflug » des Autogiro ist, richtig<br />
ausgeführt, schon fast ein fallschirmartiger<br />
Abstieg. Er wird in einem « Gleitwinkel»<br />
vollzogen, wie dies mit einem normalen<br />
Flugzeug nie auch nur annähernd getan werden<br />
könnte.<br />
was « nachgestochene > Flugzeug in Bodennähe<br />
wieder etwas « flacher genommen»<br />
wird, worauf in ca 1K m Höhe über dem<br />
Boden (also bedeutend höher als bei der Landung<br />
des Normalflugzeuges) der Steuerknüppel<br />
vollständig nach hinten gezogen werden<br />
muss. Dadurch erhält der Rotor, wie beim<br />
Start, einen maximalen Anstellwinkel, das<br />
Flugzeug richtet sich auf und berührt mit dem<br />
Schwanzrad zuerst den Boden. Kurz nachher<br />
folgen die Vorderräder und fast im gleichen<br />
Augenblick hält das Flugzeug ohne jede Benützung<br />
von Bremsen an.<br />
Nach diesen technischen Ausführungen, die<br />
vielleicht mehr den Fachmann interessieren<br />
werden, komme ich noch kurz auf unsern<br />
Unterricht zurück. Neun Doppelsteuerflüge<br />
genügten, um mich für den Alleinflug reif zu<br />
machen. Seither habe ich bei Schneegestöber,<br />
bei schralendem und böigem Wind trainiert,<br />
meinen ersten Passagierflug gemacht und<br />
das Autogirofliegen schon ein wenig dorthin<br />
abgeschoben, wohin das Fliegen beim Berufsflieger<br />
hingehört: ins Unterbewusstsein.<br />
Für den absoluten Anfänger aber dürfte<br />
das Autogirofliegen kaum leichter zu erlernen<br />
sein, als das Steuern eines normalen<br />
Sportflugzeuges; dagegen bringt es gegenüber<br />
diesem zweifellos eine bedeutende Erhöhung<br />
der Flugsicherheit für solche Flieger,<br />
die nicht in der Lage sind, diese Sicherheit<br />
durch genügendes Training zu gewährleisten.<br />
Daher ist es gut denkbar, dass das Autogiro-<br />
Flugzeug der Alpar den Anstoss für eine<br />
neue Entwioklungsrichtung der Sportfliegerei<br />
geben könnte.<br />
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