E_1935_Zeitung_Nr.065
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Bern, Dienstag, 13. August <strong>1935</strong> III. Blatt der „Automobil-Revue " No. 65<br />
Schtaf.<br />
tächetnder Bruder Schlaf,<br />
wenn Dein goldener Speer mich traf,<br />
oder Dein Lied mich betörte:<br />
Immer war ich ein Teil,<br />
war ich ein Stück von Dir,<br />
Nun, wie auf einem Seil,<br />
Tänzer, der nie mir gehörte,<br />
tanzest Du nächtlich vor mir.<br />
Fremd, mit bunten, flatternden Tüchern geschmückt,<br />
all meinen Wünschen, all meinem Sehnen<br />
entrückt,<br />
Irgend wer, ohne Liebe, Frieden und Hass,<br />
aber Dein Mund. Lieber, dünkt mich, ist heimwehblass...<br />
Gertrud Bürgi.<br />
Hobo wird der ruhelose wandernde Arbeiter<br />
in Nordamerika genannt. Er ist der Schwerund<br />
Hartarbeiter in der Bauindustrie, in der<br />
Landwirtschaft, im Bergbau und im Schifffahrtswesen.<br />
In allen schweren, grosse körperliche<br />
Anstrengungen erfordernden Verrichtungen<br />
ist er zu treffen.<br />
Häufig finden wir ihn auf Schiffen in der<br />
schmachtenden Hitze der Dampfkessel als<br />
Stoker (Heizer), in fieberschwangeren Sumpfgegenden<br />
bei Drainierungsarbeiten, in der<br />
sengenden Wüstensonne beim Bau- und Unterhalt<br />
von Eisenbahnen, in der grimmen<br />
Kälte des Prairiewinters beim Eissägen, bei<br />
gefährlichen Tunnelbauten, bei Taucherarbeiten<br />
und bei kühnen Kletterstücken, die in der<br />
Bau- und Bergindustrie erforderlich sind. Er<br />
ist überall da zu finden, wo. Wagemut, Abenteuer<br />
und strenge aufreibende Arbeit sich<br />
kombinieren lassen.<br />
Die Reize der Natur, der Anblick fremder<br />
Städte, ferner Länder und Meere, von denen<br />
er zu Hause gelesen und geträumt hat, nähren<br />
seine Phantasie. Wanderlust, Sensationsjagerei<br />
und Unzufriedenheit treiben den Hobo<br />
von Stelle zu Stelle. In seinen Reihen finden<br />
sich oft Männer von überraschend guter Bildung,<br />
von mannigfach köstlichen Erfahrungen<br />
L\ind trefflichen Berufskenntnissen.<br />
Das rastlose Leben dieser « menschlichen »<br />
Zugvögel beginnt durchschnittlich im fünfzehnten<br />
Lebensjahr. Zum Grossteil aus den<br />
breiten Schichten des Volkes kommend, verlässt<br />
der zukünftige Hobo missmutig und gelangweilt<br />
sein Elternhaus.<br />
Die erste Reise ist an und für sich schon<br />
halsbrecherisch. Als « blinder Passagier » auf<br />
Personen- oder Güterzügen erreicht er meist<br />
sein erstes Reiseziel. Mit Vorliebe betätigt er<br />
sich an kurzfristigen Unternehmungen; aber<br />
nicht selten wird dann aus einem solchen<br />
ruhelosen wandernden Arbeiter in wenigen<br />
Wochen ein tüchtiger Vorarbeiter oder Meister.<br />
Während seiner Anstellungszeit ist er<br />
meist extrem sparsam, denn schon grübelt,<br />
er nach neuen Reisezielen, die er dann oft<br />
Wochen im voraus mit seinen Gesinnungsgenossen<br />
des langen und breiten bespricht. Ist<br />
der Winter nahe, so geben Hunderte von Hobos<br />
ihren letzten Cent aus; um gutgekleidet<br />
in den luxuriösen Saisonzügen dem warmen<br />
Süden zuzueilen oder in den transkontinentalen<br />
Schnellzügen nach dem sonnigen Kalifornien<br />
zu reisen. Wäre es nicht an seiner<br />
schwieligen Hand und seinem wettergebräunten<br />
Gesicht, so würde er wohl schwerlich in<br />
dieser Reiserolle als Hobo erkannt.<br />
Ist seine Barschaft zu Ende, so beginnt das<br />
Arbeiten. Seine Tätigkeit hat nun wieder einen<br />
neuen Impuls erhalten, er will, wenn die<br />
heisse Sommerszeit naht, möglichst bequem<br />
dem kühlen Norden zureisen.<br />
Ein erfahrener Hobo kann mit Erfolg zu<br />
vielseitigen Beschäftigungen verwendet werden.<br />
Beispielsweise als Mineur, Kranenführer,<br />
Lokomotivheizer, Streckenarbeiter, Chauffeur,<br />
Zeichner, Vermessungsgehilfe, Bureauangestellter,<br />
Lagerkoch usw.<br />
Der Hobo nimmt sich keine Zeit, über Lohn<br />
und Streikfragen zu verhandeln. Er übernimmt<br />
eine Arbeit mit einem vereinbarten<br />
Lohnsatz. Entstehen Streitfragen, so rollt er<br />
seine Decken mit den sieben Habseligkeiten<br />
wieder zusammen und greift zum « Wanderstab<br />
».<br />
Er mag im Staate Georgia russbedeckt von<br />
einem Güterzug heruntersteigen und den<br />
Pflanzern bei der Pfirsichernte mithelfen.<br />
Oder er motort in einem alten, verbeulten,<br />
rostfleckigen Auto mit einigen Kumpanen von<br />
Boston nach dem Staate Oregon, lässt vielleicht<br />
das unbrauchbar gewordene Fahrzeug<br />
irgendwo an einem Strassenrande stehen und<br />
hilft den Fischern am Columbiafluss beim<br />
ergiebigen Salmenfang.<br />
Kalifornien kann mit Recht das Paradies<br />
der Hobos genannt werden. Wir finden hier<br />
sein Gesicht in den Massenszenen der kostbarsten<br />
Filme. Es sei hier auch konstatiert,<br />
dass mehrere der beliebtesten Filmschauspieler<br />
Hollywoods früher ein freies, frohes Hoboleben<br />
führten. Hier kann sich der Hobo<br />
auf einem verhältnismässig kleinen Gebiete<br />
zahlreicher Abwechslungen erfreuen. Alles<br />
scheint hier näher als anderswo; die Berge,<br />
die leblose Wüste, die schattigen Wälder,<br />
fruchtbare Täler, das Meer mit seinen hochromantischen<br />
Küstenstrichen, lockende Fruchtplantagen<br />
und zahlreiche wildwachsende<br />
Trauben und Beeren. Er arbeitet in den Stauwerkbauten,<br />
gräbt nach Gold, fällt die riesigen<br />
Redwoodbäume in den Wäldern, hilft bei<br />
der unangenehmen Reisernte im Sacramentotal<br />
und pflückt mit den Pflanzern im San Joaquintale<br />
die saftigen Orangen. Im Wandern<br />
nascht er da, wo ihm der Ueberfluss auffällt<br />
von süssen Feigen, durststillenden Melonen,<br />
wohlschmeckenden Nüssen, Kirschen und andern<br />
Steinfrüchten aller Art. In Südkalifornien<br />
braucht er nicht notwendig das schüt-<br />
zende Dach eines Hauses als Nachtherberge,<br />
denn das Klima ist mild und angenehm; so<br />
kampiert er auf freiem Felde mit dem prachtvollen<br />
Sternenhimmel als sein Zeltgewölbe.<br />
Wir treffen diese ruhelosen Seelen in den<br />
sandigen Wüsten des Südwestens als Goldr<br />
Sucher. Für Wochen und Monate sind sie verschollen.<br />
Dann tauchen sie irgend an einem<br />
bewohnten Punkte am Rande dieser Einöde<br />
auf, hart mitgenommen von Strapazen und<br />
Entbehrungen. Zuweilen ist einer unter Tausenden<br />
als reicher Mann zurückgekehrt, doch<br />
die Grosszahl der « Goldkranken » war nur<br />
um ein blosse Abenteuer reicher geworden.<br />
Junge, starke Burschen folgen alljährlich<br />
der gutbezahlten Weizenernte, die im Juni im<br />
Staate Oklahoma beginnt und im Oktober mit<br />
Drescharbeiten im zentral gelegenen Kanada<br />
zum Abschluss kommt.<br />
Manch bekannte Persönlichkeit in Nordamerika<br />
ist jahrelang als Hobo herumgewandert.<br />
Grosse Schriftsteller und bekannte Dichter<br />
tauchen zuweilen für Monate in dieses<br />
abenteuerliche Arbeiterwanderleben unter, um<br />
neuen Stoff für ihre Werke zu sammeln.<br />
Es gibt heute noch Leute, die den Hobo einfach<br />
als Tramp oder Vagabunden bezeichnen.<br />
Dem ist nicht so, wie ein bekanntes Blatt, der<br />
« San Francisco Examiner », vor einiger Zeit<br />
feststellte: «Hobo ist ein wandernder freier<br />
Arbeitsmann, der sich das Recht anmasst, die<br />
Welt zu sehen. Ein Tramp ist ein nichtstuender<br />
wandernder Vagabund.»<br />
Qastspiel &ei At$aJlcmea<br />
In seinem Autobuch «Rennen — Sieg — Re- flüchtig kannte. Ich pflege in diesem Fall zu<br />
korde», dessen Lektüre jedermann bestens empfoh- sagen: « Wir standen noch per Sie miteinander » ...<br />
len sei, berichtet Caracciola wie folgt über seine Neben mir sass Bonini, einer der besten Rennerfolgreiche<br />
Auslandsverpflichtung:<br />
monteure von Alfa Romeo, und nun zogen wir los,<br />
1931 war ein aufregendes Jahr gewesen. die endlose Via Emilia entlang, eine Strasse, die<br />
Wi'f Üraflchten uns ifeine Märchen zu erzäMen? ssä iic1F s scfi?äg" durch Oberitalien zieht, und'dann hin~<br />
mit dem dicken, guten Tier, dem SSK, war kein auf in den Apennin.<br />
Silber mehr zu gewinnen. Wenigstens nicht mehr Es war ganz eigenartig: mir lag noch der nein<br />
internationalen Rennen.<br />
senhafte Mercedes-Benz im Griff... dieser Dampfer,<br />
Rund,sechs Jahre lang hatte er sich unerhört den man mit sanfter Gewalt durch die Kurven fühtapfer<br />
geschlagen... Sieger in hundert Schlachten ren musste, denn wenn der einmal aus der vorge-<br />
— der Rennsportwagen, der aus einem massiven schriebenen Richtung kam, ,war der Traum aus,<br />
Tourenwagen entwickelt worden war. Als Touren- dann ging er hin, wo er wollte... wer ihn aber zu<br />
und Sportwagen war er noch immer einer der be- nehmen wusste, der fuhr damit wie mit einer<br />
sten der Welt. Aber als Rennwagen waren seine Lokomotive.<br />
Tage gezählt. Und nun dieser Gegensatz: der Alfa Romeo —<br />
Draussen, auf den grossen Rennen, startete die hier ging alles so federleicht, Kupplung, Lenkung...<br />
Phalanx der Eisenfresser mit neuen, unheimlich schälten konnte ich mit den Fingerspitzen, und<br />
schnellen Maschinen: Bugattis berühmter 2,3er war das Kurvenfahren war ein einziges Vergnügen. Der<br />
jetzt erst richtig in Form; dazu hatte der Molshei- Alfa ging schlank und lustig durch die Kuryen<br />
mer im Hintergrund noch den grossen 4,9-Liter — wie eine Tänzerin. Allerdings: auf der Geraden<br />
300 PS und nur 1200 Kilo. Aussichtslos, sich mit tanzte er auch, und das war weniger schön. Im<br />
diesem Gegner herumzuschlagen.<br />
Anfang brauchte ich die ganze Breite der Strasse.<br />
Und nun ging ein neuer Stern auf: Alfa Romeo! Ich schielte zu Bonini hinüber und fragte ihn,<br />
Alfa Romeo — die Mailänder Firma, die 1924 was denn mit dem Wagen los sei. Aber der<br />
schon einmal wie ein Komet hochgerast und in die Junge grinste nur und meinte: c Das ist Immer so<br />
führende Stellung im Rennsport gekommen war, — i m übrigen fahren Sie ja den Alfa, wie wenn<br />
um nachher wieder zu verschwinden, war wieder Sie nie ein anderes Automobil gefahren hätten. Ich<br />
da. Und wie!<br />
kenne mich aus; ich bin mit jedem von unseren<br />
Der neue Rennwagen der Mailänder Fabrik Fahrern schon einmal die Tausend Meilen gesah<br />
gut und schnell aus: ein schlankes Chassis mit fahren. »<br />
einem Achtzylinder, der mindestens 200 PS hergab; Auf dieser Trainingsfahrt musste ich also wieein<br />
Motor nur, und etwas Blech darüber — ein to- der einmal umlernen. Ich sagte bereits, dass mir<br />
bender Haufen Gewalt.<br />
mein leichter Alfa Romeo zunächst etwas drollig<br />
Für diese Wagen gab es in Deutschland keine vorkam, und dieses Gefühl blieb, bis wir in Rom<br />
Gegner mehr.<br />
waren.<br />
Selbst Mercedes-Benz musste die Flagge, die In Rom machten wir für diesen Tag Schluss.<br />
siegreich über allen Rennbahnen Europas geweht Wir ruhten uns aus, sprachen noch über die<br />
hatte, einziehen. Jahrelang hatte diese Fabrik für Strecke, unterhielten uns über den Wagen und gin-<br />
Deutschlands Stellung im internationalen Sport gen dann frühzeitig ins Bett. Am andern Morgen<br />
schwere Opfer gebracht — jetzt ging es nicht sollte es weiter gehen, quer durch Italien hinüber<br />
mehr.<br />
zum Adriatischen Meer, nach Ancona.<br />
Nur wenige wohlhabende Privatfahrer, die im Als ich am nächsten Morgen einstieg, kam mir<br />
Besitze eines der schnellen SSK-Wagen waren, das Auto ganz verändert vor: lieb und zutraulich,<br />
konnten noch auf eine gewisse freundschaftliche wie wenn wir schon jahrelang in bester Freund-<br />
Zusammenarbeit mit dem Werk rechnen. Schaft zusammen durch die Welt gegondelt wären.<br />
Das war, zumindest vorläufig, das Ende meiner Im Rennen selbst hatte ich Pech. '•<br />
Laufbahn als Fahrer eines deutschen Rennwagens. Von Brescia aus lag ich an der Spitze, immer<br />
Ich musste ausziehen und ging zu Alfa Romeo, in Führung, und gewann die Coppa Mussolini, den<br />
Ich wusste: es war nur ein Gastspiel. Lange und Pokal des Duce, für den schnellsten Fahrer auf<br />
oft war ich mit Freund Neubauer zusammengeses-, dem Abschnitt zwischen Brescia und Rom. 1550<br />
sen. Wir hatten Pläne geschmiedet, von neuen Kilometer lang lag ich vorn, und s,chon sah es aus,<br />
Rennwagen gesprochen, die einst kommen würden als ob ich meinen Sieg vom Jahre zuvor wieder-<br />
— — stärker, schneller und schöner als je ein holen würde.<br />
Rennwagen zuvor. Aber das waren Träume, Hoff- Er wiederholte sich nicht. Eine Ventilfeder<br />
nungen auf bessere Zeiten, und mit Träumen brach, 50 Kilometer vor dem Ziel, und an diesem<br />
pflegt man keine Rennen zu gewinnen.<br />
paar Gramm Stahldraht hatte der Erfolg gehangen.<br />
Das Jahr 1932 bei Alfa Romeo Hess sich nicht Die Mühen waren umsonst gewesen,<br />
schlecht an.<br />
Meinen ersten grossen Erfolg mit dem Alfa<br />
Zuerst musste ich mich einmal an den neuen Romeo holte ich mir in Monte Carlo. Dieses Ren-<br />
Wagen gewöhnen, mit dem ich zum erstenmal beim nen, das mitten durch die Stadt führt, ist mit sei-<br />
Training für die Tausend Meilen bekannt wurde, nen zahllosen Kurven eines der schwersten, die ich<br />
die ich im Jahre zuvor mit dem schweren Merce- kenne. Vom Start weg lag die Führung bei unserer<br />
des-Benz gewonnen hatte. Mannschaft. Das ganze Rennen war unser Privat-<br />
Wenn man von einem Wagen zu einem andern vergnügen. Vergnügen ist vielleicht ein bisschen zu<br />
hinüberwechselt, ist das immer ein komisches Ge- viel gesagt — jedenfalls fühlten wir uns als die<br />
fühl. Jeder Kraftfahrer kennt das — wenn er die Herren des Rennens. Runde um Runde wetzten<br />
erste Ausfahrt mit dem neuen Automobil unter- wir an Hausecken vorüber, fegten wir über die<br />
nimmt, ist die ganze Welt verändert; man sitzt ein einzige kurze Gerade unten am Meer, hetzten und<br />
bisschen höher, die Beine müssen sich erst mit jagten uns, bis das Rennen schliesslich nur noch<br />
dem veränderten Widerstand der Pedale abfinden, ein Zweikampf zwischen Nuvolari und mir war.<br />
kurz, es ist genau so, wie wenn Grossvaters alter Es war Pech, dass der gute Nuvolari gegen das<br />
und durchgesessener Lehnstuhl neu gepolstert wird Ende des Rennens zurückfiel. Er hatte Schwierigund<br />
der alte Herr nun in dem « neuen > Sessel sich keiten mit der Brennstoffzufuhr, musste auf Regar<br />
nicht wohl fühlt.<br />
serve umschalten — wenn ich ihn in dieser Situa-<br />
Genau so ging es mir zunächst mit dem Alfa, tion überholt hätte, wäre das nicht sehr kamerad-<br />
Mir wurde da ein Auto anvertraut, mit dem ich schaftlich gewesen, denn der Sieg der Marke stand<br />
noch längst nicht einig war und das ich erst recht ja nicht auf dem.Spiel.<br />
Die mächtigste Burgruine Misox unterhalb<br />
des Dorfes.<br />
Der Schluss des Rennens stand im Zeichen<br />
einer edlen Freundschaft: mit einigen Metern Abstand<br />
fuhr ich hinter Nuvolari her, und wir gingen<br />
unter dem Gebrüll und der Begeisterung von Tausenden<br />
von Zuschauern fast gleichzeitig durchs<br />
Ziel: 2 A Sekunden trennten uns!<br />
Eine neue Serie begann: auf dem Nürburgring,<br />
meinem alten Kampfgelände, gewann ich das Eifelrennen,<br />
und gerade auf dieser schwierigen Strecke<br />
zeigte sich die Ueberlegenheit eines leichten modernen<br />
Rennwagens über den schweren Wagen,<br />
den ich selbst oft genug in dieser Gegend geschaukelt<br />
hatte.<br />
Ein paar Wochen später, mitten in der Saison,<br />
platzte die grosse Ueberraschung. Giovannini, der<br />
Leiter der Rennabteilung von Alfa, führte uns<br />
Rennfahrer feierlich in den Versuchsbau, und was<br />
gab es da zu sehen? Einen neuen Rennwagen! Sehr<br />
schlank. Sehr schmal: Eine Karosserie mit nur<br />
einem Sitz, das Lenkrad genau in der Mitte.<br />
Da stand nun das Fabelwesen, von dem wir<br />
schon so viel gehört hatten. Wir standen um das<br />
Ding herum, vorläufig noch sehr misstrauisch, und<br />
warteten ab.<br />
Am nächsten Tag waren wir in Monza zum<br />
Training. Als erster stieg Campari in den Apparat<br />
und legte los — nun, es war nicht sehr berühmt.<br />
Nuvolari blinzelte mir zu und meinte: « Na,<br />
da werden wohl wir uns erst in das komische,<br />
Automobil setzen müssen, um zu zeigen, wie man<br />
so etwas fährt! ><br />
. Campari kam zurück, stieg aus,.sagte kein Wort<br />
Jetzt kamen wir dran — und blamierten uns ganz<br />
furchtbar. Nuvolari fuhr genau so wie ich: wie<br />
die Nachtwächter kreisten wir um die Bahn. Wir<br />
machten lange Gesichter und sassen nach dieser<br />
Proberunde sehr still und bescheiden an der Mittagstafel.<br />
Das Besondere und Eigenartige an diesem ersten<br />
Renneinsitzer war eben, dass man genau in der<br />
Mitte sass. Es gab kein Rechts und kein Links.<br />
Bei jedem andern Wagen hatte man seine sichere<br />
Kurventechnik: für gewöhnlich fährt man die Kurven<br />
auf der Seite des Fahrersit»s schneller, sicherer,<br />
präziser. Diese Begriffe und Anhaltspunkte<br />
fehlen hier. Wir hatten noch nicht das richtige<br />
Gefühl für die Entfernungen. Da sass man nun<br />
einsam auf einem Thrönchen, murkste einen<br />
schrecklichen Stiefel zusammen und war kreuzunglücklich.<br />
Noch fehlte jedes Gefühl für den<br />
Einschlag der Lenkräder und für die Spur, die der<br />
Wagen in der Kurve durchläuft.<br />
Wieder machten wir die gleiche Erfahrung, die<br />
ich schon von meinem Training mit dem ersten<br />
Alfa Romeo kannte: man braucht eine gewisse'<br />
Zeit, um die neuen Eindrücke zu verarbeiten; eine<br />
Pause, in der man abgelenkt wird. Wenn man<br />
dann in den Wagen steigt, klappt alles wunderbar.<br />
Auf einmal ist der Kontakt da. Man fährt mit<br />
dem neuen Wagen so präzis und sicher wie mit,<br />
dem alten, und an jenem Nachmittag noch dreh-;<br />
ten wir in Monza wahnsinnig schnelle Runden, die<br />
alten Bahnrekorde wurden zum Teufel gejagt, und<br />
wir wussten: mit diesem Auto hatten wir sämtliche<br />
Rennen in unsern Taschen!<br />
Dieser neue « Monoposto » hatte es in sich. In<br />
Monaten und Jahren stiller Arbeit war er herangereift.<br />
Nun wurde er losgelassen und fegte wie<br />
ein Gewitter über die Rennstrecken Europas, 1 ein<br />
Rennwagen, der keinen Gegner mehr kannte.<br />
Rennen um Rennen, Sieg auf Sieg, bis in die<br />
letzten Tage des Sportjahres, bis zu meinem Sieg<br />
im Grossen Preis von Italien in Monza.<br />
Das war mein letztes Rennen für lange Zeit.<br />
Auch Alfa Romeo zog sich offiziell vom'Rennsport<br />
zurück und eine ganz neue Form des Rennbetriebs<br />
tat sich auf: die Scuderia Ferrari, die in<br />
aller Ruhe und Heimlichkeit den ganzen Vorrat an<br />
schnellen Rennwagen von Alfa Romeo gekauft hatte.<br />
Diese Scuderia Ferrari war, wenn man es so<br />
nennen will, ein Rennfahrerverein, besser noch:<br />
eine Rennfahreraktiengesellschaft. Ein reicher<br />
Sportsmann stellte das Geld zum Kauf der Renn«<br />
wagen und der Transportfahrzeuge zur Verfügung:,<br />
holte und engagierte ein halbes Dutzend guter<br />
und berühmter Rennfahrer, die das lebende Inventar<br />
bei diesem Wanderzirkus waren.<br />
Das ist der Trick an der Sache: es müssen min«<br />
destens zwei ganz grosse < Kanonen > dabei »ein.