E_1935_Zeitung_Nr.095
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Automobilist und eidgen. Finanzprogramm<br />
So oft der Staat Geld benötigt, versteht<br />
er es seit jeher meisterhaft, die Automobilisten<br />
am Wickel zu nehmen. Eidgenossenschaft<br />
und Kantone belasten heute das Motorfahrzeug<br />
finanziell derart, dass die Schrumpfung<br />
des motorisierten Verkehrs unausbleiblich<br />
sein wird. Das eidg. Finanzdepartement aber<br />
scheint anderer Meinung zu sein, und wir<br />
wären nicht erstaunt, wenn die Benzinzollschraube,<br />
parallelgehend mit der weiteren<br />
Verschlechterung der allgemeinen Finanzlage,<br />
abermals um einige Umdrehungen angezogen<br />
würde.<br />
Letzten Freitag fand vorgängig der Publikation<br />
der bundesrätlichen Botschaft über<br />
neue ausserordentliche Massnahmen zur<br />
Wiederherstellung des Finanzgleichgewichtes<br />
im Bundeshaushalt in den Jahren 1936<br />
und 1937 eine Orientierung der Presse über<br />
das finanzielle Ueberbrückungsprogramm<br />
statt. Bei diesem Anlasse referierten die<br />
Vorsteher der einzelnen Finanzabteilungen<br />
über die in ihren Ressorts vorzukehrenden<br />
Massnahmen. Uns interessieren vor allem<br />
die Ausführungen von Oberzollinspektor<br />
Häusermann, bezüglich bundesrätliche Benzinzollpolitik.<br />
Es wurde die Auffassung vertreten,<br />
die am 25. Juni <strong>1935</strong> durch dringlichen<br />
Bundesratsbeschluss eingeführte Zollerhöhung<br />
auf Motortreibstoffen beeinflusse den<br />
Benzinverbrauch nur unwesentlich. Und was<br />
den bescheidenen Rückgang des Benzinkonsums<br />
anbetreffe, so sei dieser bereits vor<br />
Inkrafttreten des neuen Zollzuschlages zu<br />
konstatieren gewesen und zudem sei diese<br />
Schrumpfung auf allgemeine Kriseneinflüsse<br />
zurückzuführen.<br />
Diese Auffassung entspricht der heute noch<br />
im Finanzedepartement vorherrschenden optimistischen<br />
Einstellung zu den Geschehnissen<br />
des Tages. Hätte man beizeiten die Situation<br />
erfasst, und es erhob sich manche<br />
mahnende Stimme, die auf die kommenden<br />
Gefahren aufmerksam machte, hätten wir<br />
heute nicht mit finanziellen Schwierigkeiten<br />
zu kämpfen, wie nie seit Bestehen des<br />
schweizerischen Bundesstaates. Das Defizit<br />
von 172 Mill. Fr., in einem Lande, das von<br />
den Schlägen des Weltkrieges verschon geblieben<br />
ist, zeigt deutlich, dass verantwortliche<br />
Stellen unserer obersten Landesbehörde<br />
falsch kalkulierten. Wir wollen heute über<br />
die Entwicklung des Benzinkonsums seit<br />
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dem 25. Juni a.c. noch kein Urteil fällen.<br />
Das 1. Quartal des kommenden Jahres aber<br />
wird zweifellos den Beweis erbringen, dass<br />
man sich auch auf diesem Gebiete einmal<br />
mehr nach allen Regeln der Kunst vergaloppiert<br />
hat. Wenn der Rückgang des Benzinkonsums<br />
sich bis heute in relativ bescheidenen<br />
Grenzen bewegt, so sind hiefür verschiedene<br />
Momente inassgebend. Der Zollzuschlag<br />
erfolgte bekanntlich inmitten der<br />
laufenden Verkehrssteuerperiode, wodurch<br />
die Autobesitzer ihre Wagen nicht ohne Verlust<br />
an entrichteten kantonalen Steuerbeträgen<br />
stillegen konnten. Wir setzen voraus,<br />
dass Direktor Häusermann sich bei den kantonalen<br />
Motorfahrzeugkontrollen nach dem<br />
1. Januar des nächsten Jahres über den Umfang<br />
der erfolgten Stillegungen erneut orientiert<br />
und dann vielleicht seine Ansicht über<br />
die Auswirkung der bundesrätlichen Benzinpolitik<br />
einer Revision unterzieht. Weiter<br />
möchten wir auch auf die saisonmässige<br />
Konjunktur hinweisen, die der Automobilwirtschaft<br />
in den Sommermonaten einen besondern<br />
Aufschwung verleiht. Die Begründung<br />
des rückläufigen Benzinkonsums durch<br />
allgemeine Krisenerscheinungen, speziell im<br />
.Hinblick auf die vom Finanzdepartement gemachten<br />
Ueberlegungen betreffend Bierbelastung<br />
erachten wir als überholt. Man verneint<br />
eine stärkere steuermässige Erfassung<br />
des Alkohols mit der Begründung, der Konsum<br />
könnte dadurch zurückgehen, aber betreffend<br />
Benzinverbrauch soll diese Argumentation,<br />
auf die immer und immer wieder<br />
von den am motorisierten Strassenverkehr<br />
interessierten Kreisen hingewiesen wird,<br />
keine Gültigkeit haben. Drastischer als aus<br />
dem Vergleich zwischen Bier und Benzin<br />
erhellen sich die Interpretationskünste für<br />
die verschiedenen Steuermassnahmen wohl<br />
kaum.<br />
Der eidgen. Oberzolldirektor erklärte ausserdem,<br />
wir hätten in der Schweiz, verglichen<br />
mit dem Auslande, noch immer einen<br />
viel zu niedrigen Benzinpreis! Es ist traurig,<br />
doch leider wahr, dass von höchster Stelle die<br />
Tatsachen verdreht und auf den Kopf gestellt<br />
serviert werden. Wenn Direktor Häusermann<br />
den inländischen Benzinpreis nur vom<br />
Standpunkt des ausländischen Touristen aus<br />
betrachtet, dann allerdings entspricht seine<br />
Auffassung den Tatsachen^ Aber wir gestatten*<br />
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AUTOMOBTL-REVUE DIENSTAG, 26. NOVEMBER <strong>1935</strong> — N° 95<br />
uns die Frage, in welchem Lande der Erde<br />
sich die Tragbarkeit einer Zollbelastung nach<br />
den ausländischen Konsumenten richte? Es<br />
Scheint, die Oberzolldirektion habe von den<br />
verschiedenen Eingaben betr. Benzinzoll keine<br />
Ahnung, sonst könnte man der Presse kaum<br />
derartige Märchen erzählen, beträgt doch die<br />
Benzinzollbelastung hinsichtlich Warenwert<br />
nicht weniger als 322 Prozent! Erst wenn<br />
der schweizerische Automobilist von allen andern<br />
Verkehrsabgaben befreit wäre, läge ein<br />
Benzinpreis von 43 Rp. pro Liter unter den<br />
ausländischen Ansätzen. Wir müssen die<br />
Oberzolldirektion schon bitten, über ihren eidgenössischen<br />
Horizont hinaus auch die kantonalen<br />
Verkehrssteuern in Rechnung zu stellen<br />
(Durchschnittsbelastung 775 Franken pro<br />
Fahrzeug im Jahre 1933); kommt man doch bei<br />
dieser Berechnung auf einen Benzinpreis von<br />
über 70 Rp., übertroffen einzig durch Italien,<br />
doch stellt er dort in seiner heutigen Höhe<br />
eine einseitige, landesverteidungspolitische<br />
Massnahme dar. Optimistisch betrachtet Dir.<br />
Häusermann auch den ausländischen Autotourisnms<br />
während des laufenden Jahres. Es<br />
scheint, dass man an bestimmten Stellen der<br />
Bundesverwaltung auch vom ununterbrochenen<br />
Rückgang des ausländischen Automobil-<br />
Verkehrs keine Ahnung hat. 165 900 Logiernächte<br />
weniger sind bis Ende Oktober auf<br />
Konto des schrumpfenden Autoverkehrs zu<br />
setzen, was einem indirekten Exportverlust<br />
von mehr als vier Millionen Franken entspricht.<br />
Zwischen Theorie und Praxis<br />
bände nehmen Hess, eine Politik, die weder mit<br />
liegt demnach im Bundeshaus ein tie-defer Graben, schreibt doch die Botschaft in Übereinstimmung steht. Vielleicht hat un-<br />
2. Juni noch mit dem 27. Oktober <strong>1935</strong><br />
wörtlich: « Der Export ist der Schlüssel zur sere oberste Landesbehörde im Verlaufe der<br />
Wiedergesundung unserer Volkswirtschaft». letzten Tage eingesehen, dass einzelne Wirtschaftszweige,<br />
und zu denen rechnen wir in<br />
Nach Minister Stucki aber sind die kleineren<br />
Einnahmen aus dem internationalen Autotourismus<br />
nichts anderes als indirekte Export-<br />
Grenze der Tragfähigkeit belastet sind. Wy.<br />
erster Linie das Autogewerbe, bereits bis zur<br />
verluste!<br />
Diese kleinen Blitzlichter zeigen dem<br />
schweizerischen Automobilisten so recht deutlich,<br />
wie « rosig » seine Situation noch immer<br />
angesehen wird. Schwarz auf weiss beweist<br />
es auch die Botschaft, indem sie schreibt:<br />
«Das hohe Niveau des schweizerischen Autoparks<br />
wird von den Ausländern, die die Schweiz<br />
bereisen, und den Schweizern, die sich im Ausland<br />
umsehen, gleicherweise hervorgehoben. Von den in<br />
der Schweiz Ende September 1934 im Verkehr befindlichen<br />
Personenwagen waren 55 %> nicht später<br />
gebaut worden als 1930 und seither, und 33°/o nicht<br />
später als 1932 und seither. Die Zahl der neu in<br />
Verkehr gesetzten Personenwagen stieg von 9038<br />
im Jahre 1930 auf 9334 im Jahre 1934, wobei freilich<br />
zuzugeben ist, dass der Anteil der kleineren<br />
Wagen zugenommen hat. Im Jahre 1933 standen,<br />
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entwickelte Automobilindustrie und eine geringere<br />
Eisenbahndichtigkeit als die Schweiz, so dass der<br />
grössere Automobilbestand in der Schweiz nicht<br />
wohl anders denn als Ausdruck erhöhter Lebenshaltung<br />
zu bewerten ist. »<br />
Es ist zwecklos, auf solch' unrichtige Argumentationen<br />
und Ueberlegungen näher einzutreten<br />
; doch behalten wir uns vor, im Verlaufe<br />
des I. Quartals des kommenden Jahres auf die<br />
verschiedenen Fehlkalkulationen aufmerksam<br />
zu machen, vor allem darauf, dass man im<br />
Finanzdepartement vergass, die Umorientierung<br />
des Autos vom Luxus- zum Gebrauchsund<br />
Erwerbsfahrzeug in Rechnung zu stellen.<br />
Wir sind durchaus damit einverstanden,<br />
dass sich unsere Wirtschaft nach der Decke<br />
zu strecken hat. Vom Automobilisten wird<br />
man sicherlich nicht behaupten wollen, er entziehe<br />
sich dieser Bürgerpflicht. Mit Glacehandschuhen<br />
werden jedoch die Herren von<br />
der hochlöblichen Eisenbahnergewerkschaft<br />
angetastet, obwohl eine Anpassung des Lohnniveaus<br />
an die tatsächlichen Verhältnisse<br />
schon längst fällig gewesen wäre. Mit Händen<br />
und Füssen stemmt sich aber Nationalrat<br />
Bratschi den Erfordernissen der Stunde entgegen.<br />
Es brauchte dann schon die Krisenstimmung<br />
der abgelaufenen Woche, um die 7<br />
Landesväter auf einen zielsichern Weg zurückzuführen,<br />
zeigte doch der rasche Wechsel<br />
der Finanzprogrammvorlagen, dass sich der<br />
Bundesrat allzusehr ins Schlepptau der Ver-<br />
Autobusbetrieb der Stadt Winterthur. Im Monat<br />
Oktober <strong>1935</strong> wurden auf der 2,25 km langen<br />
Betriebsstrecke 39.654 gegenüber 45.239 Personen<br />
in der entsprechenden Vorjahresperiode befördert.<br />
Die daraus vereinnahmten Beträge belaufen sich<br />
auf die Summe von 6940 Fr. gegenüber 7624 Fr.<br />
im Vorjahre. Gesamthaft eind in den ersten 10<br />
Monaten des laufenden Jahres 401.341 (414.862)<br />
Personen transportiert worden, was einer Gesamteinnahme<br />
von 68.698 (70.749) Fr. entspricht. Für<br />
die ersten 10 Monate der laufenden Rechnungsperiode<br />
stellen sich die gesamten Betriebseinnahmen<br />
auf 70.544 (70.749) Fr., denen an Betriebsausgaben<br />
63.144 (63.349) Fr. gegenüberstehen, was<br />
einem Betriebsüiberschuss von 7400 (1400) Fr. entspricht.<br />
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