E_1936_Zeitung_Nr.013
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— AutmnoMl-Hevue<br />
Der Herr lüftete höflich den Hut und'sagte:<br />
Ich sehe, Sie warten auch schon lange. Könnten<br />
wir nicht vielleicht zusammen warten? »<br />
Das Fräulein mit dem Jägerhüterl blickte<br />
erstaunt auf, besah sich Zuerst einmal den<br />
Herrn, bevor sie sich besann, ob sie überhaupt<br />
antworten soll oder nicht. Ihr Urteil fiel jedoch<br />
günstig aus: « Schön, einverstanden! Aber<br />
lange warte ich nicht mehr. Eine Freundin von<br />
mir sollte mit dem 20.34 ankommen. Jetzt ist<br />
es beinahe 21 Uhr. »<br />
Der Herr lachte auf: « Mit demselben Zug<br />
hätte meine Frau eintreffen sollen. Aber<br />
manchmal verspätet sie sich. Warten wir also<br />
noch fünf Minuten.»<br />
Der Herr dachte für sich: Herzig ist sie!<br />
Gottlob traf meine Frau nicht ein. Hab' ich<br />
ein Glück! Auf alle Fälle muss heute nacht<br />
Frau Dora Henzing gut aufpassen, dass ihr tit.<br />
Gatte ihr hübsch treu bleibt.<br />
Im Köpfchen unter dem Jägerhüterl ging folgendes<br />
vor sich: Ist ja eigentlich eine Frechheit,<br />
mich einfach so anzurempeln. Er sieht<br />
aber nett und anständig aus und ein bisschen<br />
plaudern kann doch nichts schaden. Ich werde<br />
es morgen meiner Freundin Dora Henzing erzählen,<br />
was sie mit ihrer Verspätung angerichtet<br />
hat.<br />
Nun, das Paar stand da, machte sehr höflich,<br />
mit ganz kleinen und etwas fadenscheinigen<br />
Witzchen zwischenhinein, Konversation und<br />
fror im übrigen entsetzlich. Zwar wurden sie<br />
von der Bahnhofhalle vor dem dichten Schnee<br />
geschützt, aber der Wind blies tüchtig.<br />
Punkt neun Uhr machte er den Vorschlag,<br />
sie ein Stückchen zu begleiten: «Unsere Frauen<br />
sind augenscheinlich entgleist,» meinte er lachen,<br />
und sie fügte bei: « Na, wenn nur wir<br />
hübsch im Geleise bleiben. »<br />
Man trat auf die Strasse. Der Schnee blies<br />
in grossen, schweren Flocken und der Herr<br />
schlug den Mantelkragen hoch. Beinahe war<br />
es für weitere Unterhaltung zu kalt und zu<br />
stürmisch. Als sie jedoch an einer verlockenden<br />
Konditorei vorbeikamen, proponierte er:<br />
« Wie wäre es, rasch eine Tasse Kaffee trinken<br />
zu gehen. Bei diesem Schneegestöber muss<br />
man doch unbedingt etwas Warmes trinken,<br />
ehe man zu Bette geht. » Sie zögerte. Da aber<br />
eben ein neuer Bisenstoss um die Ecke fegte,<br />
gab sie nach und entschuldigte sich: « Nun ja,<br />
bei diesem Schneegestöber!»<br />
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Ja, bei diesem Schneegestöber!<br />
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Freuden der Abfahrt gemessen zu<br />
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Bad und Gasthof zur Linde, Wattwil<br />
Wie es kam, weiss man so recht nie, aber<br />
plötzlich war es elf Uhr und die Rechnung<br />
lautete auf 4 Tassen Kaffee, 2 Kirsch und 2<br />
Cointreaux. Der Herr hängte ungeniert auf<br />
der Strasse seiner Unbekannten ein und das<br />
Jägerhüterl kam aus dem Lachen kaum mehr<br />
'raus. Es war also auf alle Fälle sehr vergnügt<br />
und man hatte sich ausgezeichnet unterhalten.<br />
Vor der Haustüre des Jägerhüterl sagte er:<br />
« Nun schlage ich Ihnen mal was vor: Ich habe<br />
keine blasse Ahnung, wer Sie sind. Ich kenne<br />
Sie aber ganz genau. Sie sind allerliebst, jung,<br />
fröhlich, gut gebaut und gefallen mir famos.<br />
Wie Sie heissen, ist eigentlich gar nicht so interessant.<br />
Bleiben wir also ohne Namen, lassen<br />
wir die konventionelle Verstellung beiseite<br />
und treffen wir uns morgen abend wieder am<br />
Bahnhof. Einverstanden? »<br />
Das Jägerhüterl gab sich Mühe, so zu handeln,<br />
wie ihr die Mutter vor ein paar Jahren<br />
noch eingeschärft hatte. Da aber der Abend<br />
eine nicht üble Abwechslung im öden Dasein<br />
geboten hatte, da der Herr ja verheiratet und<br />
wohl aus diesem Grunde eigentlich anständig,<br />
sozusagen sehr anständig gewesen war, gab sie<br />
ihm lachend die Hand: «Schön, abgemacht.<br />
Morgen abend, 20.34 Uhr, am Bahnhof.»<br />
Zu Hause fand der Herr seine Frau. Sie<br />
war nicht im geringsten aufgebracht und erzählte,<br />
dass der Zug, des Schnees wegen, beinahe<br />
eine , ganze Stunde Verspätung gehabt<br />
habe und fügte, ohne zu fragen, bei: « Du wirst<br />
wohl einen Freund angetroffen haben und daher<br />
erst jetzt nach Hause kommen. »<br />
Der Herr stimmte wahrheitsgetreu bei: « Ja,<br />
ja, ich habe einen Freund getroffen und da<br />
sind wir bei diesem Schneegestöber noch rasch<br />
etwas trinken gegangen. »<br />
Vor dem Einschlafen überdachte er die Lage:<br />
Eigentlich hätte ich meiner Frau alles erzählen<br />
können. Wenn sie aber den « Freund » als<br />
Selbstverständlichkeit vorschiebt, hat es doch<br />
gar keinen Zweck, genaue Details über den<br />
Freund anzugeben. Sonst glaubt sie doch, ich<br />
unterschlage die Hälfte meines kleinen Erlebnisses,<br />
Und morgen — na ja, morgen muss<br />
leider das Jägerhüterl vergeblich auf mich<br />
warten.<br />
Frau Dora telephonierte am nächsten Morgen<br />
ihrer Freundin und entschuldigte sich, als<br />
sie erfuhr, dass ihre Freundin sie hatte abholen<br />
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wollen. Die Zugsverspätung, das schlimme<br />
Schneegestöber worauf das Jägerhüterl<br />
ebenfalls vom « schlimmen Schneegestöber»<br />
stöhnte und. als Entschädigung zu den Henzings<br />
zum Mittagessen eingeladen wurde.<br />
Als Herr Henzing nach Hause kam und das<br />
Jägerhüterl in innigster Unterhaltung mit seiner<br />
Frau antraf, wurde ihm beinahe schwarz<br />
vor den Augen. Da aber Frauen in solchen<br />
Fällen besser Haltung bewahren, fasste er sich,<br />
setzte ein sehr konventionelles Lächeln auf<br />
(mit Mühe!), als seine Frau ihn vorstellte und<br />
drückte zwar zitternd aber doch formgemäss<br />
die hingestreckte Hand, Durch ein sekundenlanges<br />
Augenblinzeln kam die Abmachung zustande:<br />
Man sagt nichts und man hat nichts<br />
erlebt. Gar nichts!<br />
Es wäre alles gut gegangen, wenn nicht während<br />
des Essens Frau Dora plötzlich von dem<br />
ausserordentlichen Schneegestöber zu erzählen<br />
angefangen hätte, worauf sie sich wunderte,<br />
dass sowohl ihr Gatte wie ihre Freundin von<br />
einem heftigen Hustenanfall ergriffen wurden<br />
und die Gesichter hinter den Servietten verstecken<br />
mussten. Schliesslich murmelten die<br />
beiden Schuldigen: «Ja, bei diesem Schneegestöber!<br />
» Frau Dora stutzte, dachte kurz<br />
nach und: « Richtig, Ihr habt ja beide auf mich<br />
gestern in diesem Schneesturm gewartet. Komisch<br />
eigentlich, dass Ihr einander nicht gesehen<br />
habt!»<br />
Es gibt noch Frauen, die nichts bemerken —<br />
aber meistens haben sie es schon bemerkt und<br />
wollen nichts bemerken.<br />
Alte Haussprüche<br />
aus dem Berner Oberland<br />
Ob dem Eingang des neuerbauten Heimes<br />
von der Hand des Zimmermeisters oder<br />
Schnitzlers einige ernste Worte eingraben zu<br />
lassen, die vor der Mit- und Nachwelt vom Erbauer<br />
zeugen mochten, war eine schöne Sitte<br />
der Väter. Meist ist es ein schlichtes Bekenntnis<br />
frommer Sinnesart.<br />
Der Hausbau hat gewiss grosse materielle<br />
Opfer auferlegt; an irdischem Gut gemessen<br />
stellt er also keinen geringen Wert dar, indessen:<br />
Aler wäld sinn vnd mvt<br />
steiht nach der ehr vnd gvt /<br />
vnd wann sie das erwerben<br />
so liegen sie vnd starben,<br />
wie in der Nähe von Kandersteg der Hausspruch<br />
eines Bauherrn aus dem Jahre 1603<br />
mahnt. Ebenso demütig und schicksalsergeben<br />
klingt dieser kurze Bauspruch von 1791:<br />
Hier baute ich ein neues haus /<br />
Stirb viellicht der erste draus.<br />
Wieviel ernstes Erleben mag über den Erbauer<br />
hingegangen sein, bis er so reif war,<br />
diese Worte über der Schwelle seines täglichen<br />
Aus- und Eingangs anzubringen!<br />
Auch in Form eines ziemlich trotzig-kriegerischen<br />
Gottvertrauens offenbart sich oft die<br />
fromme Sinnesart der Alten. Wer durch das<br />
enge Tal der Lütschine nach Wilderwil wandert,<br />
wo auf dem von Bergen bedrängten,<br />
knappen Boden der Dorfschaft in alten Tagen<br />
vielleicht mancherlei Privatfehden in der<br />
Schwebe waren, liest an einem der ältesten<br />
Häuser den köstlichen Vers:<br />
Ich achte mine Hasser «<br />
Als einen Tropfen Wasser,<br />
Der vom Tach herniderfallt.<br />
Wenn sie mich auch niden,<br />
Müssen sie doch liden,<br />
Dass mich Gottes Guet erhalt.<br />
Und ein Bauherr in Ried achtet seine<br />
« Hasser »<br />
Gleich wie das Rägenwasser,<br />
Das vom Dach herniederfliesst.<br />
Wenn sie mich auch neiden,<br />
Müssen sie doch leiden,<br />
Dass mir Gott mein Helfer ist.<br />
Kürzer und ebenso unbekümmert ein ajidrer:<br />
Lass neider Neiden und hasser Hassen /<br />
Was Gott mier gibt muss man mier lassen!<br />
Gegenüber kritisierenden Nachbarn sucht der<br />
Bauherr Trost beim Allmächtigen, so in Wattfluh<br />
(1752):<br />
Es ist kein Man so weys noch alt,<br />
das er bauwe das Jederman Gfalt.<br />
Ob er gleich Sein bestes thut,<br />
So halt man Ihms doch nicht für gut.<br />
Wer aber Gott vertraut,<br />
derselb hat weislich und wohl gebaut.<br />
* Wie denn überhaupt die Kritikaster in vielen<br />
Hausinschriften kräftig zurechtgewiesen<br />
werden: i;<br />
Mancher mich rieht.<br />
Betracht sich selber nicht:<br />
Betrachtet er sein<br />
So vergäss er mein.<br />
Oder etwas gröber:<br />
Hier buw ich nach meinem sinn<br />
Ob ich schon nicht jemand gefeiig bin.<br />
Dem es nicht gefahlt<br />
Dar denck Ehr hab es nicht bezalt.<br />
Und über die Schweizer Grenzen hinaus ist<br />
ein ähnlicher Hausvers fast im ganzen deutschen<br />
Sprachgebiet zu finden:<br />
Wer will bauen an der Strassen,<br />
Muss die Leute reden lassen.<br />
Andere Türinschriften führen dem Vorübergehenden<br />
einen Satz weltlich-ernster Lebensweisheit<br />
vor Augen, den vielleicht der Erbauer<br />
des Hauses am eigenen Schicksal besonders<br />
deutlich erfahren, wie etwa in Stiegeischwand,<br />
Adelboden (von 1824):<br />
Ein Freund in der Noth,<br />
ein Freund in dem Tod,<br />
ein Freund unterm Rücken:<br />
das sind drei starke Brücken.<br />
Wer offenen Auges die Heimat durchwandert,<br />
der stösst auf Schritt und Tritt auf ähnliche<br />
Denkmäler der Altvorderen, Vermächtnisse,<br />
die als Quellen ernsten inneren Erlebens<br />
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