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E_1936_Zeitung_Nr.050

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12 Automobil-Revue — N° 50<br />

O Zürich,<br />

goldner Braunen!<br />

Von Dr. Eugenie Schwarzwald (Wien)<br />

Von wem Dichtung und Melodie sind, weiss ich<br />

nicht mehr. Aber ich kann an meine Studentenzeit<br />

nicht zurückdenken, ohne dass mir durch Kopf und<br />

Herz ein Lied geht; «O Zürich, goldner Brunnen,<br />

aus dem ich Segen trank.» — Es ist natürlich, dass<br />

die berauschende Freiheit des ersten Universitätsjahres<br />

in der fremden Stadt jedem fühlenden jungen<br />

Menschen unvergesslich bleibt. Aber um die<br />

Jahrhundertwende eine ausländische Studentin in<br />

Zürich sein, war doch noch was ganz anderes.<br />

Wahre Jugend ist immer revolutionär. Um jene<br />

Zeit gar lag der Umsturz geradezu in der Luft.<br />

Völlig aufgewühlt kam man nach Zürich. Mit<br />

einem Male von einer glücklich-regsamen Atmospäre<br />

umgeben, wurde man ruhig und froh. Also<br />

es brauchte nicht durchaus Revolution zu sein! Hier<br />

war durch Evolution allerlei geschaffen, was gut<br />

war: besonnene Internationalität, Sprachenverständigung<br />

auf Grund gemeinsamer Interessen, wahrhaft<br />

demokratische Ordnung, Mässigung des Klassenkampfes<br />

durch Einfachheit der Lebensform aller,<br />

eine unaufdringliche und zielbewusste Selbstdisziplin,<br />

und über allem schwebend: eine heitere Gesittung.<br />

Wie Bergwind vom Säntis umwehte uns<br />

Junge die frische und herbe Luft der republikanischen<br />

Schweiz. Nicht nur die grossen Fragen<br />

schienen uns wohl geordnet. Auch kleine Dinge<br />

können uns entzücken; dass es keine Bettler auf<br />

der Strasse gab; dass Kinder auf belebten Strossen<br />

auf Stelzen gehen durften und die Erwachsenen<br />

ihnen lächelnd auswichen, dass man zu Leuten<br />

kam, die in Hemdärmeln und auf Wachstuch<br />

eine einfache Mahlzeit einnahmen und ohne Wimperzucken<br />

für einen Gemeinschaftszweck schwer<br />

erworbene hundert Fränkli hergaben. Wäre man<br />

ein Schweizer Kind gewesen, so hätte die Gewöhnung<br />

diesen Dingen jeden Reiz genommen.<br />

Wäre man älter gewesen, so hätte man die verborgenen<br />

Schäden, die in keinem Gemeinwesen<br />

fehlen, gesehen oder geahnt. Aber jung sein und<br />

aus staatlich rückständiger Umwelt kommen, hiess<br />

1900 in der Schweiz aus einem frohen Staunen ins<br />

andere fallen.<br />

Was tat es da, dass man Unterrichtsstunden zu<br />

fünfzig Rappen geben, Übersetzungen zu fünf<br />

Pfennig die Zeile anfertigen musste! Man war ja<br />

von Beispielen von Fleiss und Genügsamkeit umgeben.<br />

Die beiden alten Fräulein, deren Schutz<br />

man anvertraut war, gingen ja schon am frühen<br />

Morgen ins «Kundehus», und wenn sie nach zehnstündigem<br />

Arbeitstag nach Hause kamen, machten<br />

sie erst noch den ganzen Haushalt. Wie sollte<br />

man da nicht helfen wollen! Man setzte seinen<br />

ganzen Stolz darein, jeden Samstag die Messingklinken<br />

an dem geliebten Hüsli an der Spitzkehre<br />

besonders glänzend zu putzen, die Wäsche im<br />

Garten mit Sorgfalt aufzuhängen, wobei natürlich<br />

auch die kleine Eitelkeit mit unterlief, zu zeigen,<br />

was eine Studentin alles könne. Besonders gern<br />

aber lief man als das «Poschtkind» fürs ganze<br />

Haus die «akademische Laufbahn» — so nannten<br />

wir die Plattenstrasse — hinunter in den «Konsumverein».<br />

Denn dort sagte einem die Frau des Geschäftes<br />

mit dem Mund und der Mann mit den Augen,<br />

wie sehr man ihnen gefiel. Artigkeiten aber<br />

waren in Zürich selten, denn man lebte in einer<br />

Welt, die etwas steifleinen und philiströs war; da<br />

sie sich aber als zuverlässig und von tausend Humoren<br />

erhellt erwies, verstand man bald den Sinn<br />

des Wortes «urchig» und billigte ihn. In solcher<br />

Atmosphäre gedieh Leib und Seele. War das<br />

Essen, das man sich in der «Sommerau» und in<br />

der «Pomona» kaufte, bei den geringen Mitteln,<br />

die man aufbieten konnte, gar zu dürftig, so gab<br />

es doch Brot und Lenzburger Konfitüre und<br />

Sprüngli-Schokolade und herrliches kaltes Wasser.<br />

Auf der Universität aber war die geistige Nahrung,<br />

wenn auch manchmal etwas lebensabgewandt und<br />

allzu gelehrt, doch immer gediegen, auf das sorgfältigste<br />

zubereitet und mit Ernst und Tiefe gereicht.<br />

Man fühlte es: cresco — ergo sum!<br />

Was von den Erlebnissen aus dem Märchen<br />

meiner Jugend sich am tiefsten in mein Herz eingegraben<br />

hat! Alles! Wo beginnen? Soll ich vom<br />

Zürichsee sprechen, an einem Septembertag in<br />

Licht gebadet und flimmernd von Leben? Oder von<br />

einer wundervollen Sternennacht im August auf<br />

dem Faulhorn, voll von unverstandenen Gefühlen?<br />

Oder von einer aufschlussreichen Unterredung mit<br />

Jakob Bächtold über Gottfried Keller? Ebenso oft<br />

denke ich an einen Winterspaziergang auf den<br />

Uetliberg, um das Nebelmeer zu sehen; noch höre<br />

Ehrenvoll und erfreulich war die Aufgabe, Kollegen<br />

zum Examen zu begleiten. Zuerst hatte man<br />

ich das Glockenläuten aller Zürcher Kirchen in der<br />

Silvesternacht -1899. Noch heute fühle ich dieihnen echt Wiener schwarzen Kaffee zu kochen.<br />

heisse,Freude über einen erhaltenen Seminarpreis,<br />

die Begeisterung über den Wagner-Zyklus im<br />

Stadttheater. Der Besuch der Ufenau hat mir für<br />

immer das Verständnis für Konrad Ferdinand<br />

Meyer erschlossen. Die tiefste Wirkung aber übten<br />

die heftigen Gespräche in meinem kleinen Zimmer,<br />

das nur vier Personen fasste, aber gewöhnlich<br />

vierzehn enthielt. Bei Tee, auf einem merkwürdig<br />

unzulänglichen Spirituskocher, der aber glücklicherweise<br />

nur selten explodierte, bereitet, getrunken<br />

aus Gläsern, die die Gäste in der Tasche<br />

mitgebracht hatten: Gespräche, so heftig, als<br />

hinge das Heil der Welt davon ab, dass wir Zwanzigjährigen<br />

aus allen Ländern uns über,Landerziehungsheime,<br />

Kinderwanderungen, Schulreform einigten.<br />

Auch aufregende Sachen passierten. So<br />

als ich einmal meinen verehrtesten Lehrer nach<br />

Hause begleiten durfte, der so streng war und so<br />

entsetzlich viel wusste. Damals verstand ich das<br />

Wort: «Mit Euch, Herr Doktor, zu spazieren, ist<br />

ehrenvoll und ist Gewinn.» Das Gespräch floss<br />

sanft dahin. Man sprach von Phonetik, und ich<br />

gab 'mir doch keine Blässen, weil ich verstand,<br />

über mein Wissen, das infolge seiner Lücken einem<br />

Emmentaler sehr ähnlich sah, hinweg zu voltigieren.<br />

Bis zuletzt des verehrten Mannes unbestechliches<br />

Auge auf den Büchern unter meinem Arm<br />

hängen blieb. Es war Hettners «Geschichte der<br />

Literatur des 18. Jahrhunderts». «Aber Fräulein,<br />

müssen Sie denn immer Allotria treiben?» Ich war<br />

vernichtet. Dagegen verlief es ganz ohne Konflikt,<br />

als ich einmal den jungen Privatdozenten<br />

allein im Kolleg traf. Er hatte nur drei Hörer und •<br />

wusste nie recht, ob er «mein Herr und meine<br />

Damen» oder «meine Damen und mein Herr» sagen<br />

sollte. Nun waren wir allein, und er brauchte<br />

mich gar nicht anzureden und keine Vorlesung zu<br />

Zeichnung Jean-Louis Clere<br />

Golfspieler.<br />

halten, und da erzählte er mir vom Tulpenzüchten<br />

in Holland, und seither errege ich das Staunen<br />

jedes Holländers durch meine Kenntnis in diesem<br />

Fach. So stolz werde ich nie wieder sein, wie an<br />

jenem Tage, als mich Hedwig Waser zu Ricardo<br />

Huch mitnahm. Ich wagte nicht zu reden und<br />

starrte nur immer die interessante Frau an, die<br />

«Ludolf Ursleu» geschrieben hatte. «Warum sehen<br />

Sie mich so an?», fragte sie. Ich errötete heiss und<br />

stotterte: «Sie sind meine erste berühmte Bekanntschaft.»<br />

*<br />

Dann mussfe man sie hinbringen, auf sie warten,<br />

um sie dann, je nach dem Ausfall der Prüfung,<br />

triumphatorisch zu den andern zu geleiten oder<br />

tröstend nach Hause. Meistens aber ging alles<br />

gut aus. Die Lehrer, die es sonst in dem Geschmack<br />

der damaligen Zeit an autoritativen Mienen<br />

nicht fehlen Hessen, waren in diesen Entscheidungstagen<br />

bei aller forderungsvollen Sachlichkeit<br />

behutsam und schonend. Noch weiss ich, wie ich<br />

an einem glutheissen Julitag des Jahres 1900 bei<br />

der Klausurarbeit vor einem riesigen Stoss<br />

schneeigen Papiers sass. Als hätte ich mindestens<br />

vor, ein zweibändiges Geschichtswerk zu schreiben.<br />

Das mir gegebene Thema hiess: Das Haus<br />

der Brentano, und mir war zumute, als hätte ich<br />

von dieser verflixten Familie noch nie etwas gehört.<br />

Die Sandwiches und Pfirsiche, die mir die Freundin<br />

mitgegeben hatte, waren schon um neun Uhr<br />

morgens gegessen; an den Blumen, die mir ein<br />

Freund geschenkt hatte, hatte ich dutzendmal gerochen,<br />

aber noch immer fiel mir nichts ein. Schon<br />

die versperrte Tür Hess keinen Gedanken in mir<br />

aufkommen. Da tat sich diese auf, und herein trat<br />

Professor F., freundlich verlegen, wie immer.<br />

«Warum schreiben Sie nicht?» Bitte, es fällt mir<br />

nichts ein». «Dann schreiben Sie halt das!» sagteer.<br />

Dann ging er, — und plötzlich fiel mir alles ein, was<br />

nötig war, um die Brentanos ins rechte Licht zu<br />

setzen. — Zu meinem Doktorschmaus im Könstlergütli<br />

aber dichtete Hedwig Waser ein Stück, in<br />

dem alle meine Freunde auftraten und die scheuanmutige<br />

Adele Ott, aus der Nägelistrasse, zum<br />

ersten Male im Leben im ausgeschnittenen Kleid<br />

sich sehen liess: «Du hast ausgesehen wie das<br />

nackte Leben», sagten wir ihr.<br />

Was die reichen Arbeitsjahre in Zürich mir fürs<br />

Leben genützt haben? Selten habe ich Gelegenheit<br />

gehabt, an den Mann zu bringen, was ich vom<br />

Wesen des Anakoluths, von der Analogiebildung<br />

und über das Sinnesvikariat weiss. Und doch wollte<br />

ich nicht um die Welt, ich hätte das alles nicht gelernt.<br />

Sich in seiner Jugend mit so wunderbar unnützen<br />

Dingen beschäftigt zu haben, ist eine Bereicherung<br />

fürs ganze Leben. Wenn einer von uns<br />

im späteren Leben Hingabe an übernommene Arbeiten<br />

und Methoden in ihrer Durchführung, Bescheidenheit<br />

im Unternehmen und Entschiedenheit<br />

im Vollbringen an den Tag gelegt hat, so will mir<br />

beinahe scheinen, er könnte das im germanischen<br />

Seminar in Zürich gelernt haben. Ich selbst bin<br />

Dankes voll bis an den Rand für diese Stadt meiner<br />

Jugend. Nie hätte ich meinen Weg gefunden<br />

ohne die Pestalozzistunden beim lieben, alten Professor<br />

Hunziker. Das Kolleg war von zwei bis drei<br />

Uhr nachmittags an heissen Junitagen angesetzt,<br />

aber man konnte doch nicht einnicken, so lebendig<br />

floss es ihm aus der Seele. Er wollte um jeden<br />

Preis seine jungen Hörer von der Grosse und Bedeutung<br />

des im Leben viel verkannten Schweizer<br />

Pädagogen überzeugen, und es gelang ihm restlos.<br />

So kam ich zum Schulwesen, das mein Hauptberuf<br />

wurde.<br />

Den Krieg, dieses gespenstig entsetzliche Erlebnis,<br />

hat es mir überleben geholfen, dass ich mitten<br />

in der Hungersnot auf den glücklichen Gedanken<br />

kam, dreissig Gemeinschaftsküchen zu errichten,<br />

in denen täglich 20,000 Wiener essen konnten.<br />

Der Ursprung dieses Gedankens war das alkoholfreie<br />

Zürcher Speisehaus der Frau Orelli. Als ich<br />

anfing, Zehntausende von Wiener Schulkindern<br />

aufs Land und ins Ausland zu versenden, wusste<br />

ich es, dass auch diese Aktion auf eine Jugenderinnerung,<br />

die mich mein Leben lang begleitet<br />

hat, zurückzuführen sei. Ich sehe ein Schiff mit<br />

Blumen und Bändern geschmückt, angefüllt mit<br />

glückseligen Kindern, die über den See fahren, bejubelt<br />

von einer Bevölkerung, die ein Riesenschiff,<br />

wie Esther Odermatt in ihrer Dissertation so reizend<br />

ausgeführt hat, mit einem Zärtlichkeitsdiminutiv<br />

ein «Schiffli» nennt, wenn sie zu ihrem Kinde<br />

davon spricht. Am tiefsten verschuldet aber fühlte<br />

ich mich der Schweiz an jenem 12. November,<br />

als das Staatswesen, dem ich angehöre, sich in<br />

eine Republik verwandeln sollte. Mich fand der<br />

Tag bereit. Das liebste Kompliment meines Lebens<br />

empfing ich damals von einer dreizehnjährigen<br />

Schülerin meiner Anstalt, die sagte: «Jetzt sind<br />

wir eine Republik, und alle Leute müssen umlernen,<br />

nur Frau Doktor nicht.»<br />

Daher mag es kommen, dass ich von den vielen<br />

Titeln, die mir das Leben gebracht hat, keinen<br />

Gebrauch mache. Fragt man mich, was ich sei, so<br />

sage ich stolz: eine Zürcher Studentin.<br />

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