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E_1936_Zeitung_Nr.086

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BERN, Freitag, 23. Oktober <strong>1936</strong><br />

Automobil-Revue, II. Blatt - Nr. 86<br />

In den Urwäldern Brasiliens, in diesem unwegsamen,<br />

ewig wuchernden, geheimniserfüllten<br />

Vegetationsmassiv, gibt es einen Teufel,<br />

der des Nachts sein Versteck verlässt und, an<br />

den Rändern der dichten Wälder lautlos<br />

schwebend, nach einem Opfer sucht. Er trägt<br />

seine satanische Fratze durch die blauen<br />

Nächte dieser tropischen Gegenden und findet<br />

mit einem überweltlichen Instinkt jedes in sei-*<br />

nem Bereich schlafende Wesen, das seinen.<br />

teuflischen Neigungen ein geeignetes Opfer zu<br />

bieten vermag.<br />

. Als ich zum erstenmal diesem Di'abolo, wie<br />

ihn die Brasilianer nennen, zum Opfer fiel,<br />

war es eine jener blaudurchstrahlten Nächte,<br />

wie man sie nur unter dem sternübersäten<br />

Himmel der Tropen kennenlernt. Ich lag, fast<br />

hackt, unter einem Dach aus Palmblättern und<br />

war mit einem dichten Mosklteiro zugedeckt.<br />

Gesicht und Füsse hatte, ich mit einem von Indianern<br />

hergestellten, penetrant riechenden<br />

Talg zum Schutz gegen Moskitos beschmiert.<br />

Vor den Stechmücken war ich wohl geschützt,<br />

"»aber nicht vor dem Teufel.<br />

Damals, nach jener Nacht, ich hatte besonders<br />

tief geschlafen, erwachte ich wie aus<br />

einer Ohnmacht und fühlte mich so elend und<br />

matt, dass ich mich kaum erheben konnte.<br />

v Mühsam richtete ich mich auf. Bleischwer lag<br />

es in meinen Gliedern, mein Kopf summte, und<br />

zitternd zwang ich mich von den Knien auf<br />

die Beine.<br />

Ich war zwei Schritte seitwärts gewankt und<br />

kam dort zu stehen, wo ich beim Schlafen<br />

meine Füsse hingestreckt hatte. Meinen Zustand<br />

konnte ich mir nicht erklären. War ich<br />

krank geworden? Hatte mich das gelbe Fieber?<br />

... Da fühlte ich unter meinen Sohlen<br />

etwas Nasses, Schleimiges. Es war Blut. Ich<br />

stand in einer hellroten, schleimigen Blutlache.<br />

Es fiel mir nicht ein, diese blutige Ausscheidung<br />

mit meinem Schwächezustand in Einklang<br />

zu bringen. Meine Ahnungslosigkeit begann<br />

mich sogar ein wenig zu ängstigen. Ich<br />

hatte das Gefühl, als ob ich jeden Augenblick<br />

niedersinken müsste. Trotzdem raffte ich alle<br />

Willenskraft zusammen und wankte zu Ribeira<br />

hinüber, der unweit von mir unter einer<br />

Bastmatte lag. Ich weckte ihn. Auch er<br />

konnte sich meinen Zustand nicht erklären<br />

und neigte wie ich zu der Ansicht: beginnendes<br />

Fieber.<br />

Wieder überkam ich das Gefühl, niedersinken<br />

zu müssen. Dem vorzubeugen, Hess ich<br />

mich .neben Ribeira nieder, der augenblicklich<br />

aufsprang.<br />

Plötzlich riss er seine Augen weit auf.<br />

«Vielleicht,» stiess er etwas erregt hervor,<br />

« vielleicht sind Sie von einer Giftschlange gebissen<br />

worden? Ich hole auf jeden Fall die<br />

Serumspritze, man kann nicht wissen. »<br />

Nachdem Ribeira davongeeilt war, erhob ich<br />

'mich abermals und ging, alle Energie, zusammennehmend,<br />

dem Reisegefährten nach. Das<br />

Gehen machte mir nun keine Schwierigkeiten<br />

mehr. Ich war'schwach, doch ich. fühlte mich<br />

wohl. Sollte ich diesem Zustand trauen?<br />

Als ich zur Hängematte Sonhor Baroas kam,<br />

•war dieser schon auf den Beinen, denn Ribeira<br />

hatte ihm erzählt, ich müsse von einer<br />

Schlange gebissen worden sein. Nachdem ich<br />

aber erklärt hatte, dass ich ausser einer im<br />

Schwinden begriffenen Mattigkeit kein Unbehagen<br />

fühle, begann sich das Gesicht unseres<br />

Expeditionsleiters aufzuhellen. Zuerst untersuchte<br />

er meine Stirn, dann die Ellbogen und<br />

verlangte zuletzt die Füsse zu sehen. Da war<br />

Vampire im Urwald<br />

Von Egon Schott<br />

es jener- Blutschleim, der für ihn, den Erfahrenen,<br />

das Rätsel löste. « Kommen Sie, » sagte<br />

er, « ich möchte mir die Stelle ansehen, wo Sie<br />

geschlafen haben. Nicht wahr, eine schleimige<br />

Blutlache war am Fussende Ihres Lagers? »<br />

« Ja, das stimmt. »<br />

«Nun, mein Freund, Sie sind von einem<br />

Vampir angezapft worden; allerdings in "einem<br />

Masse, wie ich es bisher noch nicht gesehen<br />

habe. »<br />

Jetzt begann auch ich zu begreifen. Theoretisch<br />

kannte ich schon längst den unheimlichen<br />

Diabolo der brasilianischen Tropen. Die<br />

Praxis hatte lange auf sich warten lassen;<br />

nun war auch ich ein Opfer dieses teuflischen<br />

Vampirs geworden!<br />

ren, dass der Vampir ein kreisrundes Stück<br />

Haut, fast von der Grosse eines Rappenstückes,<br />

ausgeschnitten hatte, um dann erst<br />

eine kleine dreieckige Vertiefung in das<br />

Fleisch zu machen. An den Hühnern sind die<br />

Wunden oft kleiner als eine Linse, ebenso wie<br />

an den Menschen. Es ist sicher, dass der Vam-<br />

.Das Eigenartige an diesen Fledermäusen<br />

ist, dass,sie sich nur an den schlafenden Menschen<br />

pir zugleich mit dem Anzapfen irgendeine<br />

heranmachen. Es ist unmöglich, diese gefühllosmachende Flüssigkeit in die Wunde<br />

Tiere zu täuschen, und viele Forscher haben<br />

schon versucht, sich nächtelang schlafend zu<br />

stellen, um den Blutsauger bei seiner nahezu<br />

unerklärlichen Arbeit zu sehen. Es gelang<br />

ihnen nie. Selbst dann nicht, wenn zwei oder<br />

drei Schläfer von einem vierten Nichtschlafenden<br />

beobachtet wurden.<br />

spritzt, denn sonst müssten leichtere Schläfer<br />

wenigstens durch den Schmerz geweckt werden.<br />

In der Zeit, die wir in jener Vampirgegend<br />

verbrachten, wurden dann nahezu alle Expeditionsteilnehmer<br />

einmal oder öfter angezapft.<br />

Nur Senhor Ribeira blieb verschont. Allerlei<br />

So vorsichtig sie beim Menschen sind, so Witze kursierten über die Unverdaulichkeit<br />

dreist können sie bei Tieren sein. Pferden und<br />

Rindern setzen sie sich für gewöhnlich an den<br />

Widerrist und halten sich mit den Hängekrallen<br />

fest. Ich habe bei Rindern und Pferden<br />

Wunden geseheni die dadurch entstanden wa-<br />

seines Blutes, und ein bigotter Caboclo behauptete,<br />

Ribeira habe sich die Füsse mit<br />

Weihwasser besprengt. Wir alle aber vergassen<br />

des Schutzengels des Brasilianers: unseres<br />

« Domingos ».<br />

Domingo (Sonntag) hiess nämlich ein junger<br />

Ozelot, dem wir seinen Namen gegeben hatten,<br />

weil er an einem Sonntag gefangen und m u|lse're<br />

Gemeinschaft aufgenommen worden war<br />

und auch, weil er das reinste Sonntagsvergnügen<br />

für uns abgab. * \<br />

Domingo wurde nachts an eine dünne, aber<br />

drei Meter lange Kette gelegt, und zwar immer<br />

von Ribeira. Wir waren froh, von Domingo,<br />

der doch nachts erst jagdeifrig wurde und<br />

nach jedem Falter haschte, unbehelligt zu bleiben.<br />

So kam es, dass der Ozelot sein Lager<br />

stets mit Ribeira teilte.<br />

Eines Nachts lag ich mit Ribeira zusammen.<br />

Schutz gegen den Diabolo bot nur dann ein<br />

dichter Moskiteiro, wenn zwischen ihm und<br />

dem entblössten Körperteil ein gewisser Abstand<br />

vorhanden war; ansonsten gelang es den<br />

Vampiren restlos, den Schläfer durch das Moskitonetz<br />

hindurch anzuzapfen. Oft hatten wir<br />

mühsam ein straff gespanntes Organtindach<br />

über uns gebaut und mussten am Morgen feststellen,<br />

dass es an mehreren Stellen « durchgeschnitten<br />

» war; natürlich von den Vampiren.<br />

Zum Anzapfen kam es in diesen Fällen<br />

nicht, aber unsere Moskiteiros wurden dadurch<br />

eine Hochburg für Stechmücken.<br />

So lagen wir unbekümmert um diese Teufel,<br />

nur gegen Moskitos geschützt, und schliefen,<br />

so gut es die drückende Dampfatmosphäre<br />

zuliesse.<br />

Plötzlich, nach kurzem Schlaf, wurden wir<br />

beide geweckt; irgend jemand hieb uns ins<br />

Gesicht, trat uns in den Bauch und sprang<br />

wie toll herum. — Dann merkten wir, dass es<br />

Domingo war, denn seine Kette machte ein unverkennbares<br />

Geräusch.<br />

Beim Licht sahen wir, dass der junge Ozelot<br />

etwas mit seinen Pfoten niederdrückte, abwechselnd<br />

mit der linken und dann wieder<br />

mit der rechten; es war ein Vampir.<br />

Domingo war ja nicht besonders erfahren<br />

im Fangen beissender Tiere, aber er Hess den<br />

einmal zu Boden gedrückten Blutsauger nicht<br />

mehr los. Ribeira wollte seinem Liebling helfen,<br />

griff dazwischen, sprang aber, trotz seiner<br />

nicht geringen Leibesfülle, wie vom Teufel<br />

gebissen empor. Unser Domingo folgte nun<br />

den Gesetzen der Tschungel, das Raubtier in<br />

ihm wurde wach und, obwohl der Vampir seine<br />

scharfen Krallen und Zähne zu gebrauchen<br />

verstand, biss ihn Domingo tot.<br />

Nun hatten wir einen Diabolo vor uns. Unheimlich<br />

waren seine spitzen Hängekrallen,<br />

noch unheimlicher die skalpellscharfen Zähne<br />

und scheusslich diese Teufelsfratze. Jetzt<br />

wussten wir, wer Ribeira vor diesen Blutsaugern<br />

immer beschützt hatte: der kleine Ozelot.<br />

Der Brasilianer war ausser sich vor Freude.<br />

Er drückte unseren, nein, nun seinen Domingo<br />

so heiss an die Brust, dass er dafür einen gelinden<br />

Biss in die Nase bekam.

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