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E_1939_Zeitung_Nr.022

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BERN, Freitag, 10. März <strong>1939</strong> Automobil-Revue - III. Blatt, Nr. 22<br />

Das Wandbild<br />

und das Publikum<br />

Von Dr. Eduard Briner<br />

Was ist ein Bild? Ein Quadratmeter Niemandsland.<br />

Es steht an der Wand des Ateliers und kehrt<br />

dem Beschauer die Rückseite zu, bis es sich einmal<br />

lohnt, einem seriösen Interessenten die Vorderseite<br />

zu zeigen. Ein Bild will Illusion geben. Und<br />

dabei weiss es selber nicht einmal ganz recht, ob<br />

es vielleicht nicht etwa selbst nur eine Art Illusion<br />

ist. Denn zur realen Wirklichkeit wird es erst<br />

dann, wenn man ihm irgendwo ein Stück Wandfiäche<br />

einräumt, wo es sich frei entfalten und zugleich<br />

auch einen praktischen Gebrauchszweck<br />

erfüllen kann. Denn auch die Kunst will irgendwie<br />

zu den veredelten Gebrauchsdingen des Lebens<br />

gerechnet werden.<br />

Da ist das Wandbild viel besser dran. Es wird<br />

meist nur dann geboren, wenn Auftrag und Bestellung,<br />

Wandfläche und raumschmückender staunen, wenn wir bei einfachen Landkirchen wie<br />

Zweck in Ordnung sind. Es sind also meist Leute etwa in Oberwinterthur oder in Wiesendangen<br />

da, die mit Spannung darauf warten, bis dassehen, wie die Kirchenwände zu einem Bilderbuch<br />

Wandbild fertig ist und die ihm eine dauernde<br />

Existenz garantieren. Und sollte einmal eine verständnislose<br />

Epoche kommen, die dieses Wandbild<br />

schonungslos übertüncht, oder sogar mit einem<br />

von wunderbarer Anschaulichkeit und Lebensfülle<br />

werden. Oder wie an einem Kirchlein des Berner<br />

Oberlandes ein «Jüngstes Gericht» oder.ein «Heiliger<br />

Christophorus» die Heilswahrheiten, die der<br />

Verputz verkleistert, so folgt nachher eine um so Geistliche von der Kanzel herab verkündete, in<br />

pietätvollere, retrospektive Zeit, die das Wandbild anschauliche Bildlichkeit umsetzen. — In der<br />

neu entdeckt und sorgfältig restauriert. — Nun schweizerischen Renaissance-Malerei mischte sich<br />

gibt es aber nicht allzu viele Privatleute, die für<br />

ein Wandgemälde, ein Mosaikbild oder eine Glasmalerei<br />

die entsprechenden Wandflächen und<br />

Geldmittel zur Verfügung stellen können. Behörden<br />

und Verwaltungen, Korporationen und Institute,<br />

müssen diese Aufgabe auf sich nehmen. Oeffentliche<br />

und halböffentliche Gebäude werden mit<br />

solcher Zier ausgestattet, und diese Kunstwerke<br />

bedeuten dann jedesmal ein Geschenk an die<br />

Oeffentlichkeit.<br />

Die Oeffentlichkeit! Im praktischen Leben nennt<br />

man sie eher Publikum. Das ist eine anonyme,<br />

buntgewürfeite Masse von Bildbetrachtern, die kein<br />

kunsthistorisches Examen ablegen, bevor sie über<br />

ein Wandgemälde ihre Glossen machen. Es ist<br />

nicht leicht, der hohen Kunst zu dienen und zugleich<br />

ein Werk zu schaffen, das gegen Schnee<br />

und Regen und gegen die banausischen Urteile<br />

von tausend Passanten imprägniert ist. Die Kunstgeschichte<br />

der Wandmalerei ist eine Kulturgeschichte<br />

ihrer Besteller und Betrachter. Der Geist<br />

einer Epoche spricht wohl nirgends stärker als aus<br />

jenen Bildern, die zu ihrer Zeit von zahllosen'Menschen<br />

mit Neugier bestaunt wurden.<br />

Die schweizerische Wandmalerei hat schon im<br />

Mittelalter auf die verschiedenartigste Weise den<br />

Kontakt mit dem Publikum gefunden. Wir müssen<br />

dann aber ein ganz neuer Bildungsehrgeiz in die<br />

grossdekorative Flächenkunst. Man musste mit der<br />

literarischen Bildung der Zeit schon sehr gut vertraut<br />

sein, um Holbeins allegorische Szenen im<br />

Basler Rathaus oder Tobias Stimmers schwungvolle<br />

Fassadenmalerei am Haus zum Ritter in Schaffhausen<br />

ganz zu verstehen. In der Barockzeit malten<br />

die kirchlichen Dekorateure dann vollends über<br />

die Köpfe der Leute hinweg. Und zwar im buchstäblichen<br />

und im geistigen Sinne. Sie zauberten<br />

die kühnsten Himmelfahrten an die Decken der<br />

Wanddekoration nach der Manier des Berner Bauernmalers Hauswirth, von Hans Fischer in Zürich,<br />

hergestellt für eine Schweizer Ausstellung im Ausland.<br />

Kirchenräume und stellten religiöse<br />

Verzückungen dar, die nur den Auserwählten<br />

vorbehalten sind. — Um so<br />

erstaunlicher wirkt jenes einzigartige<br />

Unternehmen in Luzern, wo man mit<br />

einer Galerie von Oelgemälden direkt<br />

in das Volk hineinging. Denn es gab<br />

in der Zeit um 1600 wohl nirgends<br />

eine volkstümlichere Gemäldegalerie als die<br />

Kapellbrücke und die Spreuerbrücke mit ihren<br />

langen Reihen von Dreieckbildern. Ein Bilderbuch<br />

zur Schweizergeschichte! Da wird z. B. auf einer<br />

Tafel dargestellt, wie Graf Bero zum Andenken<br />

an seinen Sohn, der von einem Bären überwältigt<br />

wurde, ein Münster stiftet, und wie Graf Ulrich<br />

dieses mit reichen Stiftungen bedenkt. Die Verse<br />

sind jeweilen nicht weniger flott geprägt als die<br />

Bilder:<br />

Bero dort ein Münster setzet,<br />

wo sein Sohn den Bären hetzet,<br />

und sich under ihm vergrabt.<br />

Ulrich selbigs reich begabt.<br />

Das ist wirklich volkstümliche Kunst, und zwar<br />

mitten im »Zeitalter hochtrabender Allegorien. —<br />

Die dekorative Malerei lernte dann im 18. Jahrhundert<br />

auch noch, sich mit eleganter Salon-Konversation<br />

zu befreunden. Das beweisen uns die<br />

Panneaux in aristokratischen Wohnräumen. Die<br />

keck hingemalten Anekdoten und Satiren im<br />

Schloss Wülflingen leiten über zu den lustigen<br />

.Sqhnöjkeln und Szenen auf den bemalten Möbeln<br />

des Bauern-Rokoko, die der letzte Ausläufer der<br />

dekorativen Malerei des Barocks sind.<br />

Um die Mitte des vergangenen Jahrhunderts<br />

machte man feierlich-ernste Versuche, die Wandmalerei<br />

neu zu beleben. Dabei ging man nicht vom<br />

Volkstümlichen aus, sondern von einem klassischen<br />

Bildungsideal. Als Gottfried Semper das Eidgenössische<br />

Polytechnikum baute, erhielt die Aula eine<br />

prunkvoll ausgemalte Decke, deren Pomp sich an<br />

Michelangelos Sixtina inspirierte. Die jungen Architekten<br />

sollten in ihrem eigenen Schulhause ein<br />

erhabenes Beispiel raumschmückender Kunst vor<br />

sich haben. Zum ersten Male seit langer Zeit ging<br />

man mit einer bildlichen Dekoration auch wieder<br />

auf die Strosse hinaus. Die Nordfassade des Polytechnikums<br />

erhielt eine imposante Sgraffito-Dekoration,<br />

also eine Schwarzweissmalerei auf dem<br />

Mauerverputz. Das war natürlich nicht das alte,<br />

volkstümliche Sgraffito der Bündnerhäuser. Sondern<br />

eine kunstvolle akademische Komposition in<br />

klassischem Zeichnungsstil. Dieser erste Schritt an<br />

die Oeffentlichkeit war höchst würdevoll. Gelehrte<br />

Humanisten hatten die Bildmotive und Zusammenhänge<br />

ausgedacht, und die lateinischen Sinnsprüche<br />

waren für die Passanten kaum verständlich,<br />

selbst für diejenigen, die einmal in der Lateinschule<br />

gewesen waren. Den Gipfel des Bildungsehrgeizes<br />

erstieg man mit dem Spruch «Non fuerat<br />

nasci nisi ad has», der über den Gestalten der<br />

«Kunst» und «Wissenschaft» angebracht wurde.<br />

«Es war nicht der Mühe wert, geboren zu werden,<br />

wenn nicht für diese!» (Nämlich für die Kunst und<br />

die Wissenschaft.) Nun setzte es allerdings eine<br />

Pressepolemik ab, denn es gab Leute, die solche<br />

akademische Philosophie allzu hochtönend fanden.<br />

Auch auf den Fassadenbildern der Rathäuser<br />

ging es gegen Ende des letzten Jahrhunderts hoch<br />

her. Das edle Pathos, mit dem Ernst Stückelberg<br />

auf seinen historischen Bildern in der Teilskapelle<br />

jeden Schweizer zu begeistern vermochte, verwandelte<br />

sich in theatralische Kraftmeierei, wie<br />

wir es noch heute an den Rathäusern von Schwyz,<br />

Rapperswil und Stein a. Rhein feststellen können.<br />

Bedeutend harmloser und humoriger entwickelte<br />

sich die wiederauflebende Fassadenmalerei in der<br />

Luzerner Altstadt. Man wollte hier offenbar dafür<br />

Busse tun, dass man das alte Hertensteinhaus mit<br />

Holbeins grossartiger Dekoration zerstört hatte.<br />

Gerade in Luzern hat sich die Fassadenmalerei<br />

nun seit einem halben Jahrhundert sinnvoll weiter<br />

entwickelt. Es war z. B. ein ausgezeichneter Gedanke,<br />

ein Haus am Weinmarkt mit einer biblischen<br />

Szene zu bemalen, welche an die berühmten<br />

Passionsspiele des 16. Jahrhunderts erinnert, die<br />

auf diesem Platz stattgefunden haben. Hier wird<br />

das Monumentale durch eine historische Erinnerung<br />

auch heute wieder volkstümlich.<br />

An modernen Ausstellungen •wird vielfach versucht,<br />

auch durch plastische Darstellungen dekorativ<br />

zu wirken: ein riesengrosses Edelweiss diente<br />

an der Schweizer Ausstellung in Stockholm al«<br />

Symbol für dde Schweiz.<br />

Die moderne Wandmalerei hat es gar nicht<br />

so leicht, volkstümlich zu sein. Im Jahre 1919, als<br />

in Basel der «Staatliche Kunstkredit» geschaffen<br />

wurde, damit die Künstler «an öffentlichen Wänden<br />

und Plätzen der Stadt ihre Tätigkeit im Grossen<br />

entfalten können», malte Numa Donze die Legende<br />

Johannes des Täufers in die grosse Brunnennische<br />

am Spalenberg. Warum soll man sich nicht auch<br />

einmal mitten in der Stadt einer altberühmten<br />

Historie gegenüber sehen? Der Basler Witz hat<br />

keineswegs dagegen rebelliert. Bedeutend kitzliger<br />

würde die Sache, als der gleiche Künstler es<br />

wagte, neun Jahre später wieder diese orientalische<br />

Legende zu gestalten, als ein Wettbewerb<br />

für das riesige Halbrundbild in der Bahnhofhalle<br />

von Luzern ausgeschrieben wurde. Salome tanzt<br />

mit dem Haupte des Täufers vor Herodes, umgeben<br />

von Gruppen, die aus einer Schule für Rhythmik<br />

zu stammen scheinen. Und das alles in der<br />

Schalterhalle des Luzerner Bahnhofes! Doch dafür<br />

sind ja Kommissionen eingesetzt, dass solche<br />

Künstlerträume nicht durch die Witze von Gepäckträgern<br />

profaniert werden. Der Urner Heinrich<br />

Danioth rchlug in seinem Entwurf eine fröhliche<br />

Aelplerchilbi auf grünem Hintergrund vor. Dieser<br />

Künstler durfte stolz darauf sein, dass im Jahre<br />

vorher seine ganz herben, kantigen, expressionistischen<br />

Bilder vom «Rütlischwur» und vom «Teilensprung»<br />

wirklich im neuen Teilenspielhaus zu Altdorf<br />

ausgeführt worden waren. Aber für den<br />

Bahnhof Luzern wählte man mildere Töne: Das<br />

friedvolle Blau des Vierwaldstättersees auf dem<br />

Gemälde des Welschschweizers Maurice Barraud<br />

trug den Sieg davon. Heinrich Danioth' entfachte<br />

erst kürzlich mit seiner rassigen, aufrichtigen Art

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