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E_1940_Zeitung_Nr.040

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BERN, Dienstag, 1. Oktober <strong>1940</strong><br />

Automobil-Revue - II. Blatt, Nr. 40<br />

Südliche Idylle<br />

Eines Abends im Frühling, als Gilgian müde und<br />

von der langen Krankheit aufgezehrt, am abendlichen<br />

See sass und in die Ferne hinausträumte,<br />

stand plötzlich Sonja vor ihm.<br />

Sie hatten sich lange nicht gesehen.<br />

Viele Jahre lagen zwischen dem letzten Beisammensein<br />

und diesem seltsam melancholischen<br />

Abend, an dem die Laternen früh angezündet wurden<br />

und weisser Dunst über den See zog:<br />

Jahre der Irrungen und Wirrungen ...<br />

Als sie sich damals die Hände' zum Abschied<br />

reichten, feierten- frohe Menschen das Fest des<br />

herbstlichen Segens. Auf den Bergen flammten die<br />

Freudenfeuer, und der See und seine Ufer erstrahlten<br />

im Lichterglanz. - -<br />

Sie standen lange, nachdem die schaulustige<br />

Menge sich in den engen Gassen der Stadt verloren<br />

hatten, an der Quaimauer und sahen versunken<br />

über die dunkle Fläche hinaus, auf der noch<br />

da und dort ein lichtumfluteter Nachen tanzte.<br />

Von Johannes Vincent Venner.<br />

Gilgian und Sonja klang es wie eine hochzeit- von Neggia in einer Alphütte rasteten und mit den<br />

liehe Mahnung des Waldgottes Pan,.,<br />

Hirten die köstliche Polenta mit hartem Käse<br />

*<br />

schmausten; das mundete ihnen besser, denn je<br />

ein Festmahl zuvor.<br />

Rasch hatten sie sich mit den Berglern ange-*<br />

freundet, und zum Abschied wurde ihnen ein Cafe<br />

nero con grappa vorgesetzt.<br />

Ein anderes Blatt.<br />

Sie wanderten der wildschäumenden Bavona<br />

entlang durch das stillste der Tessiner Täler.<br />

Ueber hängende Drahtbrücken schaukelten sie<br />

zum andern Ufer hinüber, wo zwischen bemoostem<br />

Urweltgetrümmer Alpenrosenstauden flammten.<br />

Wie herrlich schmeckten zum herben, roten<br />

Nostrano die am Wege gesammelten Kastanien, die<br />

sie in der Kaminglut der kleinen Osteria in Foroglio<br />

rösteten.<br />

Damals pflückten sie am Wege die letzten Himbeeren<br />

und Brombeeren. Die Alpenrosen waren<br />

am Verblühen. Die Sehnsucht zeichnete eine tiefe<br />

Rune in ihr Herz: Zur Zeit der neuen Alpenrosenblüte<br />

wollten sie wieder da hinaufpilgern und von<br />

der Höhe ins Vedascatal, nach Indemini, ans Kamin<br />

der alten Rosina, wo man so geborgen sass<br />

und von dem grauen Mütterchen so liebevoll be-<br />

Wieder ein anderes Blatt:<br />

Gilgian erinnerte sich eines milden Herbsttages, treut wurde, wie vom eigenen, das schon so lange<br />

als sie nach langer Wanderung auf der Passhöhe, ^sich.zum letzten Schlummer hingelegt hat.<br />

Auf der Passhöhe stehen die Alpenrosenbüsche<br />

meterhoch links und rechts vom Wege, und der<br />

Blick schweift tief hinab, über die wetterharten,<br />

grauen Mauern und Dächer des Dörfchens hinweg<br />

zu andern Weilern und Gehöften, die verstreut in<br />

diesem einsamsten Tale liegen.<br />

Wie fröhlich war die Heimfahrt auf dem Auto<br />

der Strassenarbeiter.<br />

Gilgian hielten sie für einen Neapolitaner und<br />

Sonja für eine Russin. Sie lachten mit blitzenden<br />

Zähnen, wenn Sonja ihre drei italienischen Brokn<br />

ken zusammensuchte.<br />

Bild reihte sich an Bild, wie die Perlen sien<br />

an einer Kette reihen, und jedes war schön wie<br />

eine Perle.<br />

Die erste Zeit blühte hoch in Gilgians Herzen.<br />

Er wartete jeden Morgen bei der Antoniuskirche<br />

auf Sonja. Zwischen Oleander und Lorbeer standen<br />

vor der alten Osteria del Santo zwei Tische<br />

und ein paar Stühle.<br />

Die Wirtin freute sich über ihr Glück und<br />

war stolz, dass die beiden Forestieri mit ihrer Verliebtheit<br />

zu ihr kamen. Sie schenkte Sonja jeden<br />

Morgen einen Teller frisch gepflückter Trauben.<br />

Und nun war die Frau, an die er in seiner Seelennot<br />

immer dachte, wenn die Sehnsucht um eine<br />

neue Heimat weinte, wieder gekommen.<br />

Sachte zog er sie neben sich auf die Bank. Ihre<br />

Gedanken kamen und gingen den gleichen Weg.<br />

Hinter beiden lagen die Scherben eines zerbrochenen<br />

Glücks. Sie waren zwei Entzauberte, die ein<br />

gütiger Stern zusammengeführt hatte.<br />

Gilgian hielt die Hände Sonjas sanft, zart und doch<br />

so fest, dass sie sich nie mehr aus den seinen lösen<br />

sollten, denn er wusste, dass sie gekommen<br />

war. ihn zu suchen.<br />

Nun schenkten die gütigen Mächte den beiden<br />

alternden Liebenden eine wundersam selige Zeit.<br />

Sie pilgerten durch die Tage so leicht und beschwingt,<br />

wie nie zuvor in ihrer Jugend. Gilgian<br />

erinnerte sich einer Wanderung.<br />

Es war an einem Oktobersonntagmorgen.<br />

Links zauderte der Fluss breit und träge über<br />

die Ebene, an Sandbänken und Schilfdickicht, an<br />

Erlenbüschen und magern Aeckerchen mit Buchweizen<br />

und Mais vorbei. Rechts von der Strasse<br />

stiegen die Weinberge steil hinan.<br />

Bis zum nackten Felsen stand auf jedem Fussbreit<br />

Humus ein kleiner Rebstock mit prallreifen<br />

Trauben.<br />

Frohgemut wanderten Gilgian und Sonja durchs<br />

Land und summten ein Wanderlied. Hing ihnen<br />

der Himmel nicht voller Geigen? ...<br />

Und dann der nächtliche Heimweg. Auf den<br />

schwarzen Haaren der Frau spielte der Silberhauch<br />

des besternten Himmels.<br />

Gilgian blätterte weiter zurück im Buche der<br />

Erinnerungen.<br />

Ein Blatt war darin, von kleinen, feinen Hekkenrosen<br />

umrankt und das Hohelied der Liebe<br />

stand in flammenden Versen darauf geschrieben:<br />

Es war im Frühling ... Es war im Frühling ...<br />

Es war aber gar nicht im Frühling, sondern im<br />

rotleuchtenden Herbst und nicht im Rosengarten<br />

von Sansoucis, sondern im einsamen Centovalli<br />

zwischen wilden Lorbeerbüschen. Rings standen<br />

alte, würdige, knorrige Kastanienbäume. Die braunen,<br />

glänzenden Früchte sprengten gerade ihre<br />

stachligen Hüllen und klopften im Gleichtakt auf<br />

den mürben, schwarzen Waldboden.<br />

Auf der andern Seite der Strasse zog sich eine<br />

lange hohe Mauer hin. Dahinter lag der Friedhof.<br />

Gilgian erzählte Sonja von diesem und jenem<br />

Schläfer, die dort zur letzten Ruhe gebettet Wim<br />

den, und die ihm einst im Leben nahe standen.<br />

Von der wilden Gräfin Reventlof und der zarten<br />

blonden Frau des Dichters Klabund, der fern<br />

von seiner grossen Liebe auch irgendwo begraben<br />

liegt. Die 'Bücher der Reventlof wurden einst viel<br />

gelesen: aber, als sie gestorben war, baumelte ein<br />

einziger Kranz an ihrem Sarg und ein paar arme<br />

Dichter mit ausgefransten Hosen und schiefgetretenen<br />

Schuhen begleiteten ihn.<br />

Und von andern Schläfern erzählte er Sonja;<br />

möge ihnen allen die Erde leicht sein.<br />

Hand in Hand stiegen sie an manchen Abenden<br />

die Strasse empor, die von Sankt Antonius zum<br />

Kirchlein von Monti della Trinitä hinaufführt. Hier<br />

oben sieht man weit über den See hin, bis tief nach<br />

Italien hinein.<br />

Sie sassen auf der Bank vor der Kirche, bis<br />

die Dämmerung das Land verschleierte und der<br />

Mond über dem Tamaro emporstieg. Er zog ein<br />

silbernes Band über die spiegelglatte Fläche zu<br />

ihren Füssen, spielte um die Türme der Kirchen<br />

und Kapellen und Hess die Blätter der Olivenbäume<br />

in seinem Glänze erzittern.<br />

In der Stadt unten summte es wie in einem<br />

Bienenkorb. Von der Piazza Grande klang Lachen<br />

und Singen zu ihnen empor, und die Glocken<br />

mahnten an die davoneilenden Stunden.<br />

Das waren köstliche Abende. Sie schauten und<br />

lauschten. In den Lorbeerbüschen der alten Gärten<br />

schlugen die Nachtigallen, im Brewald oben<br />

rief das Käuzchen, und unter dem Dach des Kirchturms<br />

gurrten die Tauben im Traume,<br />

Unten auf dem See zog ein Schiff südwärts.<br />

Die gepeitschten Wellen glitzerten im Möndlicht,<br />

und die silberne Spur wurde länger und länger,<br />

breiter und breiter und verging erst, als der Dampfer<br />

um das Delta der Maggia herum gegen Ascona<br />

zu fuhr.<br />

Gilgian erwachte aus seiner Träumerei.<br />

So kahl und kalt das Großstadtzimmer sonst<br />

war, in dem er dahingraute: auf einmal war es<br />

sonnig und hell geworden. So sonnig wie Gilgians<br />

Herz, das von Sonja träumte..*

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