E_1940_Zeitung_Nr.044
E_1940_Zeitung_Nr.044
E_1940_Zeitung_Nr.044
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
BERN, Dienstag, 29. Oktober <strong>1940</strong><br />
Automobil-Revue - II. Blatt, Nr. 44<br />
Kameradschaft<br />
der Landstrasse<br />
In der Dämmerung des schönen Herbstabends<br />
hatten wir die Stadt passiert und nun begann wieder<br />
die endlose Landstrasse. Die Sonne, die uns<br />
vor der Stadt noch geblendet hatte, war unter den<br />
Horizont getaucht.<br />
Vor unsern Füssen brummte der Motor sein<br />
gleichmässiges Lied, an das wir uns gewöhnt hatten,<br />
ein wohlwollendes Summen, das nun aber ganz<br />
plötzlich für einige Sekunden unterbrochen wurde.<br />
Uns mochte es kaum zum Bewusstsein gekommen<br />
sein, aber der Fahrer hatte schon seine ganze<br />
Spannkraft auf die Ergründung des unerwarteten<br />
Versagens eingestellt. Oeldruck — normal, ein Aufatmen<br />
innerlich! Gleich schnell Hess er den Wagen<br />
weiterlaufen und achtete mit allen Sinnen auf irgend<br />
ein Zeichen, das von einer gestörten Funktion<br />
der Maschine gezeugt hätte. Gut einen Kilometer<br />
hatte der Wagen wieder zurückgelegt, als<br />
ein zweites, etwas längeres Aussetzen des Motors<br />
auch uns, die Mitfahrer, aufschrecken Hess.<br />
«Man hätte eben doch Benzin fassen sollen»,<br />
War die einstimmige Meinung, die dem Fahrer<br />
etwas vorwurfsvoll entgegengehalten wurde. Wenn<br />
er auch widersprach, so geschah dies nicht mit<br />
ganz reinem Gewissen, denn die Diagnose hatte<br />
früher auch schon zugetroffen. Vorläufig gab es<br />
nur eines: suchen weiterzukommen, bis ein Tank<br />
dem scheinbar durstigen Wagen neuen Kraftzuschuss<br />
vermitteln konnte. Es ging auch noch,<br />
zwar wurden die unter voller Motorkraft zurückgelegten<br />
Strecken immer kürzer, aber der breite,<br />
niedere Hügelrücken, den die Strasse da vorne<br />
überschritt, kam doch immer näher. Am Fusse der<br />
Steigung war der Wagen nicht mehr weiterzubringen.<br />
Nach einer Besprechung, die vielleicht<br />
etwas unter dem fröhlichen Niveau einer Ferienunterhaltung<br />
liegen mochte, machte sich der Fahrer<br />
in der angehenden Dunkelheit auf den Weg,<br />
nach dem Dörfchen, das da drüben auf dem Hügel<br />
zu liegen schien.<br />
Vom Hügel her, dort wo der Streifen der Strasse<br />
mit dem Nachthimmel verschmilzt, durchbrechen<br />
zwei helle Lichter die Dunkelheit; ein leises Sausen<br />
schwingt durch die Luft, jaulend kommt immer<br />
schneller ein Ding heran, das ein Automobil sein<br />
muss, aber doch wie ein losgelassenes Ungetüm<br />
anmutet. Instinktiv steht man auf dem äussersten<br />
Rand der Fahrbahn, als das kreischende, in den<br />
höchsten Tönen heulende Rieseninsekt vorbeiflitzt<br />
und nach dem überhellen Schein seiner beiden<br />
Augen uns im allertiefsten Dunkel zurücklässt.<br />
Geisterhaft ändert sich in der gleichen Sekunde<br />
der Ton — mit einem Donnern und immer schwächeren<br />
dumpfen Rauschen entschwindet das rote<br />
Lichtchen.<br />
Wieder erscheint da oben ein Licht, ein kleines<br />
diesmal, und in der stillen Nacht vernimmt man<br />
das leise Schwirren eines Fahrrades, das uns entgegenkommt.<br />
Auf den Anruf steigt der Fahrer ab<br />
und gibt Auskunft — weit und breit weder Haus<br />
noch Dorf, geschweige denn eine Benzinstation.<br />
Nun kommt unser Fahrer aus dem Dörfchen zurück;<br />
Benzin fand er dort keines. In der allgemeinen<br />
Ratlosigkeit geschieht es, dass, eigentlich gegen<br />
jeden inneren Glauben an die Nützlichkeit des<br />
Versuches, der Motor nochmals probiert wird. Und<br />
•— siehe da — er springt an! Vorsichtig wird losgefahren,<br />
ohne Zuversicht, aber trotz allem Unglauben<br />
rollt der Wagen ergeben auf die Höhe des<br />
Hügels hinauf und auf der andern Seite, nur noch<br />
vom Schwergewicht getrieben, wieder hinunter, bis<br />
der Motor eingeschaltet werden muss und uns noch<br />
zupfend und rupfend einige Kilometer weit trägt.<br />
Als es endlich mit der Kraft der Maschine wieder<br />
Schluss ist, sind wir nicht mehr weit von einem<br />
kleinen Landhaus, aus dessen Fenstern noch ein<br />
Lichtschimmer in die Nacht hinaustritt. Mit vieler<br />
Mühe erhalten wir einige Liter Benzin, die glucksend<br />
im Tank verschwinden.<br />
Trotzigem will sich der Motor nicht in Bewegung<br />
setzen. «Vergaserstörung» sagt der Fahrer und<br />
macht R?ch daran, den Vergaser zu öffnen und<br />
nebenbei sein Kleid zu verschmieren. Wie man<br />
sich in solchen Dingen gewohnt ist, gelingt ihm<br />
das zweite besser als das erste. Immerhin wird mit<br />
Kennermiene die Düse durchblasen. Während einer<br />
geplagten Leute ablagert. «Was ist los?» rief/er<br />
schon über die Strasse her. In zwei Minuten hjftte<br />
er den Vergaser auseinander, in einer weitern<br />
nute wieder zusammengeschraubt, dann hitfb er<br />
mit dem Schlüssel leicht auf den kleinen VjflKuumtank,<br />
der da oben an der Spritzwand sass. Der^|Hgj|<br />
leer — statt volll Er verlangte ein Schläuchlein,<br />
und da wir keines bei uns hatten, holte er es aus<br />
seiner riesigen Werkzeugkiste, nebst einem leeren<br />
Oelgeschirr. Nun sog dieser wildfremde Mensch,<br />
der uns fast um Mitternacht auf einer verlassenen<br />
Strasse gefunden, aus Leibeskräften an diesem<br />
Gummischlauch, dessen anderes Ende er in den<br />
Benzintank gesteckt hatte. Er bekam natürlich den<br />
Mund voll Benzin. Spuckend und hustend füllte er<br />
dann den kleinen Tank auf der Spritzwand mit dem<br />
Benzin aus dem Oelgeschirr und erklärte uns, dass<br />
ein Ventil gebrochen sein müsse. Wir würden da<br />
drüben, hinter jenem Hügel, ein paar Häuschen finden,<br />
von dort führe ein kleiner Weg nach links<br />
zu einer Wirtschaft. Dort sollten wir eine Flasche<br />
mit Benzin füllen lassen und, so oft es notwendig<br />
werde, den kleinen Tank wieder auffüllen. Im gleichen<br />
Atemzug fügte er hinzu: «Adieu, gute Fahrt»,<br />
und war schon wieder jenseits der Strasse, bis wir<br />
unsere Dankesworte stammeln konnten. Mit «bitte,<br />
bitte», verschwand er im Führersitz und Hess den<br />
Motor auf Touren kommen. Als der Fahrer mit<br />
einem Geldstück in der Hand zu ihm hinübersprang,<br />
da rief er von seinem Sitz herunter: «Nichts<br />
da — Kameradschaft der Strasse», und fuhr donnernd<br />
los.<br />
Von all den schönen°Erinnerungen unserer Fahrt<br />
ist uns ;diese die wärmste geblieben; der müde<br />
verschmitzte- Chauffeur,- der ,4ins~ seine Idee von<br />
einerSneueh Brüderschaft der Landstrasse in praxi<br />
vorführte, -der sein Ideal von der gegenseitigen<br />
Hilfe so hoch „hielt, dass er es nicht einmal durch<br />
Stunde wird der Vergaser einigemal geöffnet Und<br />
zugeschraubt; als Resultat können zweihundert<br />
Meter Strecke gebucht werden, die mit Ach und<br />
Krach zurückgelegt worden sind. Oefters sind Wagen<br />
an uns in grossem Tempo vorbeigerastj wir<br />
haben um Hilfe gemimt, aber man scheint nachts<br />
in freiem Felde nicht gerne anzuhalten. Trotz unserer<br />
tragikomischen Verzweiflung haben wir das<br />
begriffen und uns mit dem Uebernachten im engen<br />
Wagen langsam abgefunden. Da vernehmen wir<br />
ein fernes dumpfes Rollen —viele Kilometer weit<br />
weg scheint sich etwas mit grosser Macht zu bewegen;<br />
wieder fingern weisse Strahlenbündel über<br />
eine Hügelkuppe und rumpelnd wälzt sich endlich<br />
ein riesenhafter Lastwagen vom Hügel herab uns<br />
entgegen. Wir haben es aufgegeben, uns als Schiffbrüchige<br />
zu gebärden und sind darauf vorbereitet,<br />
den Wagen entschwinden zu sehen, wie alle andern<br />
entschwunden sind. Wie nun aber das Ungetüm<br />
kurz hinter uns laut kreischend zu stehen kommt,<br />
können wir unsern Augen und Ohren nicht trauen.<br />
Aus dem hochliegenden Führersitz -steigt* ein<br />
schmächtiger Chauffeur, mit einer Kruste jenes<br />
verölten Staubes bedeckt, der sich mit der Zeit<br />
gleichsam schützend über die Nerven dieser vielein<br />
wohlverdientes Trinkgeld trüben wollte. Wi*<br />
hatten das Gefühl, einen von der Bruderschaft der<br />
irdischen Landstrasse zu treffen. Es ist ein schönes<br />
und ein seltenes Gefühl geblieben. H. E. S.<br />
Haydn -Anekdoten<br />
(1740-<strong>1940</strong><br />
Es sind 200 Jahre her, seit der damals achtjährige<br />
Joseph Haydn als Chorknabe in den Wiener<br />
Stephansdom aufgenommen wurde und damit<br />
zum erstenmal intensiv mit der Musik in Berührung<br />
kam — ein für seine Entwicklung entscheidender<br />
Vorgang. — Aus seiner späteren Zeit existieren<br />
ungewöhnlich zahlreiche Anekdoten, von denen<br />
wir hier einige wiedergeben.<br />
Während seines zweiten Londoner Aufenthaltes<br />
war Haydn häufiger Gast bei der berühmten<br />
Sängerin Billington, von deren Kunst er immer von<br />
neuem begeistert war. Ueber ihrem Klavier hing<br />
ihr von Reynolds gemaltes Portrait, auf dem die<br />
Künstlerin als Heilige Cäcilie dargestellt war, wie<br />
sie mit andächtiger Miene dem Chor der Engel<br />
lauscht. «Das Bild ist gut», sagte einmal Haydn,<br />
cnur die Auffassung ist falsch.»<br />
«Die Auffassung?» fragte erstaunt die Sängerirk,<br />
«Wieso?»<br />
«Er hat Sie gemalt, wie Sie den Engeln lau«<br />
sehen. Aber er hätte die Engel malen müssen, wie<br />
sie Ihnen zuhören.»<br />
Gleichfalls in London erschien Haydn eines<br />
Tages in einer bekannten Musikalienhandlung:<br />
«Können Sie mir ein paar gute neue Musikstücke<br />
vorlegen?»<br />
«Gewiss, mein Herr», versicherte der Verkäufer.<br />
«Ich habe da gerade ein paar wundervolle Sachen<br />
von Haydn.»<br />
«Ausgerechnet Haydn?» lächelte der Meister.<br />
«Das interessiert mich nun wirklich gar nicht.»<br />
«Wie bitte? Sie mögen Haydn nicht? Haben<br />
Sie etwas gegen seine Musik einzuwenden?»<br />
«Einiges!» versicherte Haydn. «Haben Sie nichts<br />
anderes?»<br />
«Haben schon», entgegnete der Haydnschwär*<br />
mer empört, «aber nicht für so einen unmusikalischen<br />
Menschen wie Sie!»<br />
Ueber die Entstehung des berühmten «Ochsen*<br />
menuetts» erzählt Saphir:<br />
Ein Wiener Metzgermeister stattete Haydn<br />
eines Tages einen Besuch ab. «Sie werden schon<br />
entschuldigen», begann er, «aber ich bin ein ganz<br />
besonderer Verehrer Ihrer Musik. Und weil ich<br />
gehört habe, dass Sie so ein gefälliger Herr sind,<br />
und weil meine Tochter morgen heiratet, wollte<br />
ich Sie gebeten haben, ob Sie mir nicht für die<br />
Hochzeit ein neues Menuett schreiben könnten.»<br />
Haydn, dem sein eigenartiger, Verehrer gefiel,<br />
versprach, das Menuett zu schreiben, und lieferte<br />
es noch am gleichen Abend ab. Am nächsten Tag<br />
aber — Haydn traute seinen Ohren kaum — ertönte<br />
unter seinen Fenstern die neue Komposition.<br />
Er schaute hinaus und sah, malerisch um einen<br />
-blumengeschmückten Prachtochsen mit vergoldeten<br />
Hörnern gruppiert, eine Kapelle, die seine neue<br />
Musik spielte. Als sie verklungen war, trat der<br />
Metzger, von Tochter und Schwiegersohn begleitet,<br />
hervor und hielt eine wohlgesetzte Rede, in<br />
der er erklärte, für so ein schönes Menuett könne<br />
er sich nicht anders erkenntlich erweisen, als dass<br />
er dem Meister seinen allerschönsten Ochsen zum<br />
Präsent mache. Und wie sehr Haydn sich auch<br />
gegen das Geschenk wehrte — der Metzger nahm<br />
es nicht zurück, bis Haydn endlich nachgab. So<br />
ist das Menuett zu seinem unsterblichen Namen<br />
«Das Ochsenmenuett» gekommen.