E_1940_Zeitung_Nr.052
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oder die Abenteuer Jerome Tippy's<br />
1. Fortsetzung.<br />
Roman von Franz Carl Endres<br />
Der Herr eilte in das Haus zurück, das junge<br />
Mädchen verhüllte rasch Kopf und Gesicht mit<br />
einem weissen Schleier, der über ihren Schultern<br />
lag und eilte dem Herrn in das Haus nach. Der<br />
grinsende Neger aber, ein riesenhafter Mensch,<br />
stürzte an die Gittertüre, öffnete sie, legte seine<br />
schwere Hand auf Tippys Schulter und sagte ihm<br />
in schlechem Negeramerikanisch, er möge sich<br />
schleunigst entfernen. Er stehe hier auf fremdem<br />
Grund und auf einer Seite der Villa, zu der gar<br />
kein Weg führe. Es mache den Eindruck, dass er<br />
Uebles im Sinne habe. Er scheine einen Einbruch<br />
vorzubereiten, er sehe überdies gemein wie ein<br />
Stromer aus.<br />
Das war Jerome Tippy zuviel. Er begann laut<br />
zu schimpfen und nach seinem Sechsläufigen zu<br />
greifen, den er an einem Gürtel unter der Jacke<br />
trug. Dieser Bewegung kam der Neger zuvor und<br />
schlug dem armen Tippy zwei, drei runde, gute<br />
Hiebe auf die Kinnbacken.<br />
Als Jerome aus seiner Ohnmacht erwachte, war<br />
er allein. Soweit sein Auge blickte, keine menschliche<br />
Behausung, nur jenseits des Gitters die stille<br />
Villa mit verhängten Fenstern.<br />
Und dann war Tippy von Pontius zu Pilatus<br />
gelaufen, hatte aber nichts erreichen können. Die<br />
Behörden zuckten die Achseln und behaupteten,<br />
sie könnten diesen Selbstschutz des Villenbesitzers,<br />
der in so menschenleerer Gegend wohne, nicht bestrafen,<br />
zumal Jerome Tippy sowohl über einige<br />
Zäune gestiegen sei, um an das Gittertor zu gelangen,<br />
als auch den ihn wegweisenden Neger mit der<br />
Pistole bedroht habe. Und als Jerome Tippy wenigstens<br />
für den verprügelten anderen Neger Gerechtigkeit<br />
forderte, zuckten die Behörden wiederum<br />
die Achseln. Ein wenig Disziplin tue dieser<br />
schwarzen Gesellschaft ganz gut. Und als Jerome<br />
Tippy wütend entgegnete, die Behörden stünden<br />
wohl noch immer auf dem kanibalischen Standpunkt<br />
der Südstaaten vor dem Sezessionskriege,<br />
erreichte er nur eine Ordnungsstrafe von 10 Dollar<br />
wegen ungebührlichen Benehmens gegenüber der<br />
Staatsgewalt und im übrigen die etwas höhnische<br />
Bemerkung, dass wenn man so negerfeindlich gesinnt<br />
wäre, man ja Gelegenheit hätte, den boxenden<br />
Diener des Villenbesitzers zu strafen.<br />
In einem privaten Auskunftsbureau erfuhr<br />
Tippy, dass der Villenbesitzer Gabbas heisse, das<br />
Mädchen seine Tochter sei, dass er seit kurzem<br />
diesen dem Staat gehörigen Besitz "gemietet höbe,<br />
ihn fast nie verlasse und unermesslich reich sei.<br />
«Deshalb also», schloss Jerome Tippy seine<br />
Erzählung, «deshalb also geschieht ihm nichts.<br />
Weil er jeden zahlt, der ihm auf die Finger sieht,<br />
Weil er jeden besticht, der amtlich von ihm etwas<br />
verlangt, weil er sich als sehr brauchbares Element<br />
dieser ganz verrotteten Gesellschaft erwiesen hat.»<br />
In diesem Augenblick meldete der Diener, dass<br />
das Essen bereit sei und verhinderte dadurch weitere,<br />
sehr ehrenrührige Angriffe Tippys gegen die<br />
Regierung des Staates Florida und die Stadtverwaltung<br />
von Jacksonville.<br />
Während Moore den dicken Journalisten in das<br />
Speisezimmer schob, versuchte dieser noch die<br />
Frage anzubringen, ob man denn nicht wenigstens<br />
das märchenhaft schöne Mädchen aus den Händen<br />
ihres barbarischen Vaters befreien solle. Aber er<br />
bekam keine Antwort auf diese Frage. Der Anblick<br />
köstlicher Speisen und Getränke konnte das heisse<br />
kalifornische Blut Tippys so weit beruhigen, dass<br />
er ganz plötzlich seinen Zorn auf Cabbas vergass<br />
und sich mit sichtlicher Vorfreude an dem kleinen<br />
in der Ecke des grossen Saales gedeckten Tisch<br />
Moore gegenüber niederliess.<br />
Die mächtige, in der Mitte des Raumes stehende,<br />
für grosse Gesellschaft berechnete Tafel<br />
war mit einer seidenen Decke bedeckt. An den<br />
Wänden hingen wertvolle Gobelins und vor den<br />
Fenstern schwere Vorhänge. Weiche Teppiche<br />
saugten jedes Geräusch der Tritte eines in Frack<br />
und habe in die bleigrauen Dünste geblickt, die<br />
über seinem Spiegel lasten. »<br />
Da lächelte Ralph Moore uqd sagte ganz leise<br />
und wie nebenbei:<br />
«Miss Maud Harvey bittet Sie, auf unserer<br />
Reise ihr Gast zu sein. ><br />
Das war zuviel für den dicken Kalifornier. Er<br />
begann einen wahrhaftigen Indianertanz aufzufühund<br />
kurzen seidenen Hosen servierenden Dieners<br />
auf.<br />
Jerome Tippy genoss es kindlich, in einem reichen<br />
Hause gut zu Abend zu essen. Er wurde sanft<br />
und sanfter, und als schliesslich zu den prachtvollen<br />
Floridaorangen eine Flasche uralten Kalifornierweines<br />
vom Diener auf den Tisch gestellt<br />
wurde, Moore selbst einschenkte und von einem<br />
Grass von der alten Heimat sprach, da versuchten<br />
helle Tränen den steilen Weg über Jeromes dicke<br />
Wangen zu finden. Selbst das Wippen war seliger<br />
Ruhe gewichen und Jerome Tippy reichte seinem<br />
Wirt über den Tisch die Hand.<br />
« Moore, Moore, Sie sind doch der beste Mann<br />
in den Staaten.»<br />
Und Jerome Tippy trank mit Verständnis und<br />
Andacht, mit Hingebung und Rührung den schweren<br />
und süssen Gruss seiner fernen Heimat. Dann,<br />
als sie wieder in Ralphs Zimmer sassen und rauchten,<br />
kam er auf die Orientreise Mauds zu sprechen.<br />
Da schien ihm der Augenblick gekommen zu<br />
sein, einen ganz geheimen und lang gehegten<br />
Wunsch zu äussern. Trotz seiner wilden Vergangenheit<br />
und trotz seines rücksichtslosen Auftretens<br />
in der Oeffentlichkeit war Tippy ein schüchterner<br />
Mensch, dem nichts so schwer fiel, als um irgend<br />
etwas zu bitten. Er konnte sich auch jetzt nicht<br />
entschliessen, obwohl der kalifornische Wein das<br />
Seinige getan, direkt seinen Wunsch auszusprechen,<br />
sondern begann mit einer diplomatischen Einleitung.<br />
«Muss prachtvoll sein, endlich mal rauszukommen<br />
aus dieser Enge. Fremde Menschen, fremde<br />
Länder sehen! Sich rühren, frei sein, Gefahren bestehen,<br />
Entdeckungen machen, Erinnerungen sammeln,<br />
neue Eindrücke verarbeiten! Wie beneide<br />
ich Sie, Moore, um diese Reise. ><br />
Moore lächelte und trat mit Tippy an die<br />
Wandkarte. Er erklärte ihm den geplanten Reiseweg.<br />
Tippy folgte mit gespanntester Aufmerksamkeit<br />
und seine Fragen und Einwände versetzten<br />
Moore in Erstaunen, denn sie bewiesen eingehende<br />
Kenntnisse über vorderasiatische Verhältnisse.<br />
«Woher wissen Sie denn das alles? » fragte<br />
Moore.<br />
Tippy wurde rot wie ein Schuljunge, den man<br />
bei einer Lausbuberei ertappt.<br />
«O, ich habe das alles studiert, damit ich etwas<br />
von Ihrer Reise habe und damit ich alles besser<br />
verstehe, was Sie, wie ich mit Sicherheit annehme,<br />
der Redaktion des «Florida-Leuchtturm» aus Palästina<br />
berichten werden. Ich bin im Traume schon<br />
oft über den Ozean gefahren, ich bin schon oft<br />
auf dem Oelberge gestanden und habe jenseits vom<br />
Kidrontale die heilige Stadt zu meinen Fassen liegen<br />
sehen. Erst gestern war ich am 1 Toten Meere<br />
ren. Dann aber besann er sich plötzlich, packte<br />
Moore vorne bei den Rockknöpfen, schüttelte ihn<br />
und rief: « Ist das Ihr Ernst, Mann, ist das nicht<br />
nur so geredet? Wollen Sie etwa einen armen Veteranen<br />
der Feder zum Narren halten? Wollen Sie<br />
meines Vaters besten Sohn verulken? »<br />
Moore lachte ihm ins Gesicht. «Es ist mein<br />
Ernst, Tippy, Sie junger Mann! Donnerwetter, Sie<br />
sind wirklich jünger als Sie aussehen. Wer wird<br />
sich denn so kannibalisch freuen.»<br />
«Kannibalisch? » brüllte Tippy, « gut, nennen<br />
Sie es kannibalisch! Soll ich hier bei Ihnen meine<br />
Gefühle verbergen? Mein Herz wohnt ganz dicht<br />
bei der Natur und nur die Rücksicht auf Ihre Hausdame<br />
hindert mich daran, aus diesem Revolver »,<br />
dabei zog er seinen schweren mexikanischen Sechsläufer,<br />
den er in irgendeiner seiner unendlich vielen<br />
Taschen verborgen hatte, heraus, « aus diesem<br />
Revolver hier sechs Freudenschüsse in die vor<br />
Langeweile stinkende Luft von Jacksonville abzugeben.<br />
»<br />
Moore hatte alle Mühe, ihn zu beruhigen und<br />
zur Versorgung seiner Mordwaffe zu bewegen, was<br />
endlich nur dadurch gelang, dass eine neue Flasche<br />
Kalifornier die Begeisterung Tippys in das Sentimentale<br />
umformte. Und dabei blieb es. Es war<br />
spät in der Nacht, als der Journalist, infolge eines<br />
sehr rührenden Gedankens erneut mit Tränen in<br />
den Augen und infolge des alten Kaliforniers mit<br />
den poetischen Geistern im Gehirne, das Haus<br />
Moores verliess, nicht ohne die kühnsten und<br />
abenteuerlichsten Pläne des seligen Richard Löwenherz<br />
alle Ehre gemacht hätten.<br />
Aber was sind Träume der Menschen gegen die<br />
Wirklichkeit! Hätte Tippy damals geahnt, was sich<br />
alles ereignen sollte, vielleicht hätte er vor der Romantik<br />
der Wirklichkeit, selbst in dem wackeligen<br />
Zustand, in dem er sich befand, noch eine untadelhafte<br />
Verbeugung gemacht.<br />
Es gab nun keinen Tag mehr, an dem Tippy<br />
nicht wegen irgendeiner höchst wichtigen Reiseangelegenheit<br />
in der Wohnung Moores vorsprach.<br />
Aber die Frage nach der geheimnisvollen Villa und<br />
der zu befreienden' Jungfrau schien aus seinem<br />
Gedächtnis ausgelöscht zu sein. Die nächsten Wochen<br />
waren ausschliesslich mit Vorbereitungen gewaltigster<br />
Natur angefüllt. Tippy bewaffnete sich,<br />
als müsste er allein den Ungläubigen das heilige<br />
Grab entreissen. Er verproviantierte sich,, als<br />
hiesse es, den Rest seines Lebens in der Sinaiwüste<br />
zuzubringen, er beschaffte sich, weiss Gott, wer<br />
ihm das Geld dazu lieh, eine riesenhafte Bibliothek<br />
von Nachschlagewerken, die er sorgfältigst in eiserne<br />
Schiffskisten packte, er Hess sich von den<br />
vereinigten Apothekern Jacksonvilles eine Reiseapotheke<br />
zusammenstellen, deren Mixturen und<br />
Tabletten genügt hätten, ein erkranktes Volk der<br />
Gesundheit wieder zuzuführen. Kurz, er war den<br />
ganzen Tag bis tief in die Nacht hinein fieberhaft<br />
beschäftigt, Im « Florida-Leuchtturm » erschien ein<br />
Leitartikel, der über Mordtaten beduinischer Scharen<br />
und Bedrohung der heiligen Stätten der Christenheit<br />
in Palästina berichtete und angetan war,<br />
das Herz jedes braven Christenmenschen aufs<br />
tiefste zu erschüttern. Der Schluss des Artikels<br />
brachte in fetten Lettern die für Jacksonville bedeutsame<br />
Nachricht, dass der Feuilletonredakteur<br />
des «Florida-Leuchtturm», Jerome Tippy, im<br />
Interesse einwandfreier Aufklärung über die oben<br />
angeführten besorgniserregenden Verhältnisse sich<br />
demnächst persönlich in das Heilige Land begeben<br />
werde.<br />
Diese Nummer des «Florida-Leuchtturm » war<br />
in einer halben Stunde nach ihrem Erscheinen auf<br />
der Strasse ausverkauft und Jerome Tippy war von<br />
nun an nicht nur der geistige, sondern auch der<br />
religiöse Mittelpunkt seiner zahlreichen Verehrer.<br />
Der gute Tippy sonnte sich an dieser immensen<br />
Vergrösserung seiner persönlichen Bedeutung für<br />
die brave Stadt Jacksonville und legte sich eine<br />
Würde und eine erhabene Gemessenheit bei, die<br />
nur dann aus dem Geleise kam, wenn er bei Moore<br />
Beratungen abhielt, Beratungen, die stets einer<br />
oder mehreren Flaschen des alten Kalifornierweines<br />
das Dasein kosteten. Es waren glückliche<br />
Wochen für Tippy, die nicht einmal dadurch getrübt<br />
wurden, dass die «Jacksonville-Post» in<br />
einem Leitartikel den Feuilletonredakteur des<br />
«Florida-Leuchtturm», als « einen mit der öffentlichen<br />
Meinung der Vereinigten Staaten freventlich<br />
jonglierenden Narren » bezeichnete.<br />
II.<br />
Die geheimnisvolle Villa.<br />
Mitten in den Vorbereitungen zur Abreise besuchte<br />
Ralph Moore einen seiner Freunde, der<br />
eine Farm in der Nähe von Hibernia am St. Johns<br />
River hatte. Es war eine linde Vollmondsnacht,<br />
als er in seinem Auto auf der grossen von Hibernia<br />
nach Jacksonville führenden Landstrasse nach<br />
Hause zurückfuhr. Er sass im Grund des offenen<br />
Wagens und Hess den Chauffeur das Tempo<br />
massigen. Der Duft der Orangengärten, die scharfen<br />
Schattenrisse der Platanen und das Glitzern<br />
des Stromes schufen ihm ein Traumland, in dem<br />
seine Gedanken lustwandelten.<br />
Heute früh war er bei Maud Harvey gewesen.<br />
Sie hatte wieder zur Abreise gedrängt, war ungeduldig,<br />
dass die Angelegenheit des Schiffes, das<br />
von einer "New Yorker Reederei gemietet werden<br />
sollte, noch immer nicht erledigt war, schien aber<br />
mit Moores Einladung an Jerome Tippy recht<br />
einverstanden zu sein, denn sie hatte gelacht und<br />
gesagt:<br />
« Wir werden einen glänzenden Berichterstatter<br />
unserer Abenteuer haben und vor allem einen<br />
fidelen Kumpan, der uns beide aufheitern wird,<br />
was wir, wie ich denke, sehr notwendig haben. »<br />
Maud Harvey war der lebendige Gegensatz zu<br />
den lebenslustigen und geistig anspruchslosen Damen<br />
der Gesellschaft von Jacksonville. Ihr Ernst,<br />
der fast männliche Züge trug, Hess sie diese Gesellschaft,<br />
so gut es ging, meiden. Sie interessierte<br />
sich weder für Sport noch für Klatsch, weder für<br />
Moden noch für Flirt. Einzig und allein die Studien<br />
über den Orient erfüllten ihre Tage. Ihnen oblag<br />
sie mit einer Zähigkeit, die einem strebenden Gelehrten<br />
zur Ehre gereicht hätte.<br />
Ihr natürlicher Ernst war in den letzten Wochen<br />
noch auffälliger geworden. Die stolze Schönheit<br />
ihrer schlanken und grossen Gestalt und ihres<br />
fast römischen geschnittenen Gesichtes, aus dem<br />
grosse graue Augen mit auffallender Klarheit in<br />
die Umwelt blickten, war unnahbar und wirkte<br />
wie die einer der Masse der Menschen entrückten<br />
Königin. Der Ernst im Wesen Mauds lastete wie<br />
ein Alp auf der Seele des jungen Gelehrten, der<br />
selbst still und wenig heiter war und den die<br />
grosse Frage nach der Ehrlichkeit seiner Gefühle<br />
diesem seltenen Mädchen gegenüber immer tieferen<br />
und freudloseren Grübeleien zugeführt hatte.<br />
Maud hätte es leicht gehabt, diese Grillen zu<br />
verscheuchen, aber das wollte sie nicht. Sie liebte<br />
Ralph, war aber viel zu stolz, um seiner Schüchternheit<br />
— denn diese hielt sie für das Motiv seines<br />
Schweigens — einen Pfad zu ihrem Herzen<br />
freundlich zu weisen. So quälte sie sich und ihn<br />
und verlernte Lachen und Fröhlichkeit.<br />
(Fortsetzung folgt.)<br />
BERNE RESTAURANT<br />
DU THßÄTRE<br />
Französisches Restaurant<br />
im<br />
I. Stock<br />
Im Parterre-Restaurant<br />
Orchester Lore Durant