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Wann & Wo 11.03.2018

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14 Sonntag, 11. März 2018 WANN & WO<br />

Sonntags-Talk<br />

Zur Person<br />

Name: Meinrad Pichler Geboren: 18. November 1947<br />

Beruf: Historiker, ehem. Direktor BG Gallus (in Pension)<br />

Herkunft/<strong>Wo</strong>hnort: Hörbranz/Bregenz<br />

Wirken: (u.a.) Aufarbeitung der NS-Zeit in Vorarlberg:<br />

„Nachträge zur neueren Vorarlberger Landesgeschichte“<br />

WANN & WO traf Meinrad Pichler im Kuppelsaal der Vorarlberger Landesbibliothek, der bis zur Verschandelung durch die Nazis eine Klosterkirche war.<br />

Fotos: MiK, Bertolini Verlag<br />

„Hier feierten die Nazis eine Orgie“<br />

Historiker Meinrad<br />

Pichler im Sonntags-Talk<br />

über den Anschluss in<br />

Vorarlberg im März 1938<br />

und unsere Gegenwart.<br />

MARTIN BEGLE<br />

martin.begle@wannundwo.at<br />

WANN & WO: Heute Abend jährt<br />

sich der Anschluss an Nazideutschland<br />

zum 80. Mal. Was hat sich in<br />

Vorarlberg in diesen Tagen getan?<br />

Meinrad Pichler: An diesem Abend<br />

des 11. März war die Landesregierung<br />

nicht von Wien aus informiert,<br />

was sich in der Bundeshauptstadt<br />

ereignet hat. Nur die Nationalsozialisten<br />

wussten Bescheid, tagten<br />

bereits seit 17 Uhr und haben nur auf<br />

Anrufe aus Wien gewartet, die sie<br />

dann auch erhalten haben. Wenige<br />

Minuten nach der Demission von<br />

Schuschnigg und seiner Rede hat<br />

der illegale Gauleiter Plankensteiner<br />

beim Landeshauptmann angerufen<br />

und ihm mitgeteilt, er habe jetzt<br />

die Macht in Vorarlberg übernommen.<br />

Der LH hat das zur Kenntnis<br />

genommen, weil er außer der Radio-<br />

Ansprache von Schuschnigg nichts<br />

gehört hatte. So ähnlich war es auch<br />

in den anderen Bundesländern. Am<br />

11. März haben die österreichischen<br />

Nationalsozialisten die Macht übernommen,<br />

beim Einmarsch der Deutschen<br />

einen Tag später war Österreich<br />

bereits in nationalsozialistischer<br />

Hand. Es war eine Machtergreifung<br />

auf drei Ebenen: Von unten, indem<br />

auf der Straße die Nazis aufmarschiert<br />

sind. Von oben, indem die<br />

NS-Führungsgarnitur aus Österreich<br />

eine eigene Regierung und Landesregierungen<br />

gegründet hat. Und von<br />

außen, weil von Deutschland so viel<br />

Druck auf die Regierung kam, dass<br />

sie kapituliert hat.<br />

WANN & WO: Wir befinden uns<br />

in der Landesbibliothek. Was ist in<br />

diesen alt-ehrwürdigen Hallen vor 80<br />

Jahren passiert?<br />

Meinrad Pichler: Vor dem Nationalsozialismus<br />

hat es keine ausgebaute<br />

Landesbibliothek gegeben, währenddessen<br />

schon gar nicht. Der herrliche<br />

Kuppelsaal war ja früher eine Kirche,<br />

die durchaus mit dem Nationalsozialismus<br />

zu tun hat. Hier in der<br />

ehemaligen Klosterkirche fand im<br />

Jahre 1940 ein großer Auftritt statt.<br />

Die Patres wurden vertrieben und<br />

die Nationalsozialisten haben in der<br />

Kirche die Messgewänder angezogen<br />

und eine Juxmesse gehalten. Es gibt<br />

sogar Fotografien davon, wie sie diese<br />

Kirche in einem großen Besäufnis<br />

im Kuppelsaal entheiligt haben. Hier<br />

wo wir sitzen, feierten die Nazis<br />

damals eine Orgie.<br />

WANN & WO: Was waren die Verbrechen<br />

der Nazis in Vorarlberg?<br />

Meinrad Pichler: Mindestens 80<br />

Menschen aus Vorarlberg wurden<br />

wegen ihrer politischen Gesinnung<br />

hingerichtet oder sind in Konzentrationslagern<br />

umgekommen. Das wäre<br />

aber ohne Denunziationen durch<br />

Fanatiker aus der Bevölkerung nicht<br />

möglich gewesen.<br />

WANN & WO: 1947 in Hörbranz<br />

geboren. Wie war Ihre Kindheit und<br />

Jugend in der Nachkriegszeit?<br />

Meinrad Pichler: Ich bin in einer<br />

Bauernfamilie aufgewachsen. Meine<br />

Erinnerungen sind geprägt von viel<br />

Freiheit, viel Arbeit und einem sehr<br />

anregenden Elternhaus.<br />

WANN & WO: War früher nicht alles<br />

besser?<br />

Meinrad Pichler: Natürlich nicht.<br />

Wer in der Gegenwart lebt, sieht diese<br />

und ihre Probleme viel deutlicher<br />

und kritischer, als die Vergangenheit.<br />

Aber vor 100 Jahren hat man auch<br />

schon gejammert, dass es früher<br />

besser war. Bereits Sokrates im alten

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