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Wann & Wo 11.03.2018

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WANN & WO Sonntag, 11. März 2018 15<br />

„Ich habe mich nicht als Rebell empfunden, wurde<br />

aber in vielen Dingen als solcher dargestellt, weil<br />

ich bei sehr vielen Initiativen dabei war, die mir<br />

notwendig erschienen sind.“<br />

Meinrad Pichler über sein kulturelles und historisches Engagement in Vorarlberg.<br />

Griechenland hat über die damalige<br />

Jugend gesagt, dass die nichts mehr<br />

tauge, verweichlicht und zu nichts<br />

mehr fähig sei. Der Jammer der<br />

Erwachsenen über die Jugend, der<br />

Alten über bessere Zeiten, sind Konstanten<br />

im Menschsein, müssen mit<br />

der Realität aber nichts zu tun haben.<br />

Die Geschichte auf romantische<br />

Ereignisse zu filtern, macht das Weiterleben<br />

viel leichter, als wenn man<br />

immer sämtliche Probleme, die es<br />

einmal auf dieser Welt gegeben hat,<br />

permanent in sich tragen müsste.<br />

WANN & WO: Wie war das nach der<br />

Zeit des Nationalsozialismus?<br />

Meinrad Pichler: Nach 1945 hatten<br />

Menschen, die unter dem Nationalsozialismus<br />

gelitten haben, unglaublich<br />

an diesen negativen Erfahrungen<br />

zu tragen. Nach ’45 wollten das die<br />

anderen nicht mehr hören. Die ehemaligen<br />

Widerstandskämpfer und<br />

Verfolgten galten als Störenfriede. Sie<br />

wollten über diese Dinge reden und<br />

fragten verzweifelt: „Habt ihr das<br />

alles vergessen?“ Am glücklichsten<br />

waren jene, welche die Operettenwahrheit:<br />

„Glücklich ist, wer vergisst,<br />

was nicht mehr zu ändern ist“ pflegten.<br />

In den Jahren seit ’45 ist aber<br />

auch Unglaubliches geschaffen worden.<br />

Meine Generation war von dem<br />

positiven Grundgefühl getragen, dass<br />

es noch besser wird und noch mehr<br />

aufwärts geht. Persönlich tut es mir<br />

weh, wenn Menschen aus irgendeinem<br />

Kalkül an diesem Österreich<br />

überhaupt nichts Gutes mehr lassen.<br />

WANN & WO: Wie meinen Sie das?<br />

Meinrad Pichler: Wenn politische<br />

Werbung alles negativ zeichnet. Den<br />

Österreichern ist es noch nie so gut<br />

gegangen, wie heute. Mit bestimmten<br />

politischen Zielen wird ihnen aber<br />

etwas anderes eingeredet. Da wird<br />

viel mit Emotion gespielt, vergleichbar<br />

mit den Methoden vor 80 Jahren.<br />

WANN & WO: Wie ist das heute?<br />

Meinrad Pichler: Es gibt Umfragen,<br />

die zeigen, dass es in Österreich<br />

viele gibt, die einen starken Mann<br />

einer Demokratie vorziehen würden.<br />

Demokratie braucht Kompromisse<br />

und keine klaren Lösungen in<br />

Schwarz und Weiß. Darin gibt es<br />

viele Grautöne, aber die braucht es<br />

und sie sind ein Teil unseres Lebens.<br />

WANN & WO: Wie sind Jubelbilder<br />

von Paraden beim Anschluss in<br />

Vorarlberg zu erklären?<br />

„Das Straßenbild und diese begeisterten Fotos<br />

täuschen über die wirkliche Situation hinweg.<br />

Mindestens so viele Leute wie auf der Straße<br />

haben zuhause gebangt, was jetzt kommen wird.“<br />

Meinrad Pichler: Es gab viele die<br />

dachten, viel schlimmer könne es<br />

nicht werden. Das Straßenbild und<br />

diese begeisterten Fotos täuschen<br />

aber über die wirkliche Situation<br />

hinweg. Mindestens so viele Leute<br />

wie auf der Straße haben zuhause<br />

gebangt, was jetzt kommen wird.<br />

Die gesamten Bilder von diesem<br />

11. und 12. März waren arrangiert,<br />

darin waren die Nationalsozialisten<br />

Meister. Solch pompöse politische<br />

Inszenierungen hat es davor in<br />

dieser Form nie gegeben. Sie hatten<br />

neue Möglichkeiten der größeren<br />

Anlage, des Films, der Fotografie.<br />

Alle diese neuen Medien wurden<br />

auch für diese Inszenierung des<br />

Führerkults verwendet. Dieser spielt<br />

eine ganz wesentliche Rolle, dass<br />

dieser „Retter“ Hitler nach Österreich<br />

kommt und das Land aus der<br />

totalen Misere befreit. Die Nationalsozialisten<br />

haben den Anschluss als<br />

Befreiung und als Wiedervereinigung<br />

bezeichnet.<br />

WANN & WO: Wie sieht man als<br />

Historiker den heutigen Wandel in<br />

Kommunikation und neuen Medien?<br />

Meinrad Pichler: Wir sind wieder<br />

in einer Zeit der großen Umwälzung.<br />

Jeder ist offiziell selbst Herr<br />

über seine Medien. Das wurde als<br />

große Hoffnung und Möglichkeit<br />

einer Demokratisierung gesehen. Die<br />

Aktivsten in den Sozialen Medien<br />

Meinrad Pichler über Fotos vom 11. und 12. März 1938.<br />

sind aber jene, die den größten Hass<br />

als Antriebsmittel in sich tragen. Die<br />

Diffamierung der Menschen hinter<br />

einer Meinung hat ein viel größeres<br />

Gewicht bekommen, als der Meinungsaustausch<br />

oder Argumente.<br />

WANN & WO: Wie haben Sie die<br />

Entwicklung von Vorarlberg in den<br />

vergangenen 70 Jahren miterlebt?<br />

Meinrad Pichler: Als Jugendlicher<br />

sehr positiv. Nach fünf Jahren in<br />

Wien habe ich die Realitäten in<br />

der Schule anders empfunden, vor<br />

allem im kulturellen Sektor. Ich war<br />

ja sehr involviert bei den Bregenzer<br />

Randspielen und anderen Kulturinitiativen.<br />

Bis in die 90er-Jahre war<br />

auch die Aufarbeitung des Nationalsozialismus<br />

schwierig. 1980 haben<br />

wir um eine Subvention angesucht,<br />

um das Buch über den Widerstand<br />

in Vorarlberg zu schreiben. Damals<br />

hat die Landesregierung es nicht für<br />

notwendig empfunden. Alles, was<br />

nicht auf Linie der konservativen<br />

Landesregierung war, hat man als zu<br />

Links oder zu kritisch gesehen. Diese<br />

Dinge haben erst in der Ära Purscher<br />

begonnen, sich zu verändern.<br />

WANN & WO: Waren Sie ein Rebell?<br />

Meinrad Pichler: Ich habe mich<br />

nicht als Rebell empfunden, wurde<br />

aber in vielen Dingen als solcher dargestellt,<br />

weil ich bei sehr vielen Initiativen<br />

dabei war, die mir notwendig<br />

erschienen sind.<br />

WANN & WO: Wie blicken Sie auf<br />

die Zeit als Lehrer und Schuldirektor<br />

zurück?<br />

Meinrad Pichler: Die 40 Jahre am<br />

BRG Schoren und am BG Gallus bildeten<br />

für mich ein erfüllendes und<br />

erfülltes Berufsleben.<br />

WANN & WO: Was machen Sie,<br />

wenn es nicht um Geschichte geht?<br />

Meinrad Pichler: Ich versuche jeden<br />

Tag, mindestens halb so viel Zeit wie<br />

am Schreibtisch im Freien zu verbringen.<br />

Ich wandere gern und wenn es<br />

die Bedingungen zulassen, mache<br />

ich alle Wege zwischen Dornbirn und<br />

Hörbranz mit dem Fahrrad. Ich arbeite<br />

eigentlich jeden Tag. Das ist meine<br />

wirkliche Passion. Mich interessiert<br />

es, auf neue Dinge draufzukommen.<br />

Das Schreiben belastet mich eher. Bei<br />

vielen Dingen würde es mir reichen,<br />

wenn ich es für mich weiß.<br />

WANN & WO: Es gibt aber ein neues<br />

Buch: „Menschen in Bewegung: Zeitläufte<br />

und Lebenswege“.<br />

Meinrad Pichler: Meine Kollegen<br />

haben zu meinem 70. Geburtstag<br />

eine Sammlung von Aufsätzen, die<br />

zum Teil schon veröffentlicht wurden,<br />

herausgegeben. Es geht um<br />

Menschen, die ein spannendes oder<br />

schwieriges Leben gemeistert haben.<br />

Um die Verhältnisse, in denen sie<br />

in Vorarlberg gelebt haben. Mich<br />

interessiert der Mensch in seinem<br />

Lebens- und Handlungsumfeld. Was<br />

im Landtag beschlossen worden ist,<br />

kann man nachschauen, aber wie<br />

sich das im Alltag der Menschen ausgewirkt<br />

hat, finde ich spannend.<br />

WORDRAP<br />

Vergangenheit: Wichtig für die<br />

Gegenwart.<br />

Gegenwart: Zu gestalten.<br />

Zukunft: Zu meistern.<br />

Geschichtswissenschaft: Wichtig.<br />

Vorarlberg: Lebensqualität.<br />

Bildung: Die Grundlage für das<br />

Funktionieren einer Gesellschaft.<br />

Familie: Geborgenheit.<br />

Erinnern: Lieber an das Schöne.

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