Inspiration 2/2018 dt
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
No 02 | <strong>2018</strong><br />
DAS BERGSPORTMAGAZIN<br />
INSPIRATION<br />
REPORTAGE<br />
KLETTERN: GRANITGENUSS<br />
AM FELDSCHIJEN<br />
KAUFBERATUNG<br />
LEICHTGEWICHT: MIT<br />
KLEINEM GEPÄCK AUF TOUR
SUPERLIGHT INSULATION<br />
CERIUM SL HOODY<br />
Mehr Wärme bei weniger Gewicht. Superleichte<br />
Daunenjacke mit hervorragendem Wärme-<br />
Gewichtsverhältnis, lässt sich extrem klein<br />
verpacken und ist für zusätzliche Wärme mit<br />
einer daunengefütterten Kapuze ausgestattet.<br />
CERIUM SL HOODY – MAUVEINE
ZUSTIEG<br />
ALLES IST<br />
IM FLUSS<br />
Der Mensch liebt es zu kategorisieren, zu bewerten, Vergleiche<br />
anzustellen. Sind die Leistungen von Adam Ondra (siehe unsere<br />
Reportage auf S. 34) höher zu bewerten als diejenigen von Wolfgang<br />
Güllich in den Achtzigerjahren? Wie lassen sich die Leistungen von<br />
Simone Moro vergleichen mit denen von Reinhold Messner?<br />
«Ich freue mich,<br />
wenn wir Sie<br />
inspirieren können!»<br />
Natürlich gibt es darauf keine klaren Antworten. Der Bergsport hat<br />
sich fortlaufend verändert. Die Ausrüstung ist wesentlich leichter,<br />
robuster und leistungsfähiger geworden. Die Sicherheit am Berg<br />
ist dank verbesserten mobilen Sicherungsgeräten und Bohrhaken<br />
höher. Das allgemeine Leistungsniveau ist durch gezieltes Training<br />
oder durch eine stärkere Fokussierung auf eine oder wenige<br />
Dis ziplinen angehoben worden. Und zur Vorbereitung stehen uns<br />
unendlich viel mehr Informationen zur Verfügung – von der Wetterentwicklung<br />
über die Topographie bis zur Routenführung. Und<br />
wenn mal etwas nicht nach Plan läuft, setzen wir heute einen Notruf<br />
ab und können in fast jeder Situation mit Hilfe von aussen rechnen.<br />
Alles ist im Fluss, vieles gerät in Vergessenheit. Wissen Sie beispielsweise,<br />
welches Verdienst dem italienischen Bergführer Giovanni Piaz<br />
zukommt? Und wie Jürg von Känel das Sportklettern in der Schweiz<br />
massgeblich verändert hat? Sie erfahren es in dieser Ausgabe.<br />
In den Bergen lässt sich glücklicherweise auch ganz anderes<br />
erleben als Siegen, Durchhalten und Besserwerden. Ich freue mich<br />
deshalb, wenn wir Sie mit unserem Magazin so inspirieren können,<br />
wie Sie es sich wünschen.<br />
HERZLICHST,<br />
FELIX BÄCHLI, GESCHÄFTSFÜHRER BÄCHLI BERGSPORT AG<br />
INSPIRATION 02 / <strong>2018</strong><br />
1
HIGH PERFORMANCE PUR.<br />
DIE NEUE GENERATION.<br />
ALPINE PRO GTX ® | Alpine www.lowa.ch
REPORTAGE<br />
KLETTERN: GRANITGENUSS<br />
AM FELDSCHIJEN<br />
No 02 | <strong>2018</strong><br />
KAUFBERATUNG<br />
LEICHTGEWICHT: MIT<br />
KLEINEM GEPÄCK AUF TOUR<br />
INHALT<br />
AUSGABE<br />
02 / <strong>2018</strong><br />
WEGWEISER<br />
12<br />
AUSSICHT<br />
Die schönste Seite der Berge 4<br />
3 X 3<br />
Produktneuheiten und Bergsport-News 8<br />
WEGWEISER<br />
Wandern im Lauterbunnental 12<br />
Alpinklettern am Feldschijengrat 22<br />
Sportklettern in Israel 34<br />
EXPERT<br />
Trekking – aber leicht! 18<br />
Sicherheit: Alpinklettern 30<br />
HÖHENLUFT<br />
Eiger Ultra Trail 28<br />
GIPFELTREFFEN<br />
Spitzenkletterer Giuliano Cameroni 40<br />
HAUSBERG<br />
Sportklettern im Basler Jura 46<br />
STANDPLATZ<br />
Auf ein Wort mit Mary Gabrieli 48<br />
CHRONIK<br />
Alpine Techniken 50<br />
LAUTERBRUNNENTAL<br />
Glasklare Bergseen, tosende Wasserfälle an steilen<br />
Felswänden und gurgelnde Gletscherbäche:<br />
Bei Wanderungen im wilden Talschluss des Lauterbrunnentals<br />
bewegt man sich auf alten Saumpfaden<br />
nicht nur nah am Wasser, sondern auch<br />
mitten im UNESCO-Welterbe Schweizer Alpen.<br />
GIPFELGRUSS<br />
Roger Schäli auf Heimaturlaub 54<br />
HOCHGENUSS<br />
Die schönsten Belle-Époque-Hotels 56<br />
DAS BERGSPORTMAGAZIN<br />
INSPIRATION<br />
PARTNERCHECK<br />
Sportkletterfachverlag Filidor 60<br />
GLOSSE 64<br />
Impressum 64<br />
Titelseite: Zwei Kletterer beim Zustieg zur<br />
Couvercle Hütte bei Chamonix. Links thront die<br />
mächtige Nordwand der Grandes Jorasses mit<br />
dem 4208 Meter hohen Walkerpfeiler über dem<br />
Glacier de Leschaux. Foto: PatitucciPhoto<br />
INSPIRATION 02 / <strong>2018</strong><br />
3
4
AUSSICHT<br />
GLÜCKS<br />
BOTE<br />
Nachdem er als erster Kletterer<br />
Alex Hubers «Nirwana» an der<br />
Sonnwendwand, Loferer Steinplatte,<br />
wiederholte, fängt Fabian Buhl<br />
Feuer: Er will seine eigene Route<br />
im selben Stil eröffnen. Alleine.<br />
«Solo-Klettern zeigt mir, wie klein<br />
ich als Kletterer bin», sagt er. Im<br />
März 2017 gelingt ihm die Solo-Rotpunktbegehung<br />
von «Ganesha»,<br />
einer 7-Seillängen-Route im Schwierigkeitsgrad<br />
8c, die sich in unmittelbarer<br />
Nähe zu «Nirwana» befindet.<br />
Da die südexponierte Kalksteinwand<br />
den ganzen Tag über in der Sonne<br />
liegt, startet er mit dem ersten<br />
Licht, ein leichter Wind bringt Kühlung.<br />
Und Ganesha offensichtlich<br />
Glück: Die elefantenköpfige hinduistische<br />
Gottheit gilt als Beseitiger<br />
aller Hindernisse.<br />
Das Video zur Begehung finden Sie hier<br />
youtube.com/watch?v=vDhxzlox64E<br />
SONNWENDWAND,<br />
LOFERER STEINPLATTE, ÖSTERREICH<br />
STEPHAN SCHLUMPF<br />
(STEPHANSCHLUMPF.COM)<br />
INSPIRATION 02 / <strong>2018</strong><br />
5
6
AUSSICHT<br />
HORN<br />
SPIEL<br />
Die Hochtour auf das 3138 Meter<br />
hohe Dossenhorn im Berner Oberland<br />
zählt zu den leichteren, ist<br />
aber alles andere als anspruchslos.<br />
Je nach Routenwahl bietet<br />
sie neben Fels auch Schnee und<br />
Eis, immer aber eine fantastische<br />
Aussicht auf die Engelhorngruppe<br />
und das Rosenlauital. Schon der<br />
Aufstieg zur Dossenhütte durch die<br />
Rosenlauischlucht ist beeindruckend.<br />
Ab der Dossenhütte, die sich<br />
wie ein Greifvogelhorst an die<br />
Felsen schmiegt, wechseln Kletterund<br />
Gehpassagen. Anspruchsvolle<br />
Stellen sind oft mit Bohrhaken,<br />
Bügeln und Drahtseilen versichert,<br />
insgesamt wird die Schwierigkeit<br />
der Route mit T6, WS+ und II (eine<br />
Stelle III-) bewertet.<br />
Die Dossenhütte ist ab Ende Juni geöffnet.<br />
Dort stehen 55 Schlafplätze zur Verfügung.<br />
dossenhuette.ch<br />
DOSSEN<br />
BERNER OBERLAND, SCHWEIZ<br />
PATITUCCIPHOTO<br />
(PATITUCCIPHOTO.COM)<br />
INSPIRATION 02 / <strong>2018</strong><br />
7
3 X 3<br />
NEUES AUS<br />
DER WELT DES<br />
BERGSPORTS<br />
FEDER<br />
BETT<br />
Für wärmere Nächte im Zelt, im Camper oder auf der Hütte: Der Versa Quilt ist<br />
leichter Sommerschlafsack und Decke in einem. Mit seinem schmalen Schnitt<br />
passt er bei kühleren Temperaturen aber auch als Liner in einen zweiten, grösseren<br />
Schlafsack. Geöffnet ist er 135 x 210 cm gross. Der Versa Quilt ist mit 650<br />
cuin zertifizierter Entendaune gefüllt, beim Aussenmaterial kommt daunendichtes<br />
Nylon gewebe zum Einsatz. Der Quilt kann mit allen aktuellen Mattenüberzügen<br />
von Exped gekoppelt werden.<br />
VERSA QUILT<br />
EXPED<br />
Gewicht 780 g<br />
Preis CHF 189.–<br />
VIER<br />
FACH<br />
Für die ganze Familie oder vier Freunde: Das Alpha Set 4.2 von Sea to Summit<br />
be steht aus vier kleineren und grösseren Schüsseln, vier Thermobechern und zwei<br />
Töpfen (2,7 und 3,7 Liter). Die Töpfe der Alpha-Serie sind aus hartanodisiertem<br />
Aluminium gefertigt, das einerseits dünnwandig und leicht, andererseits robust<br />
und langlebig ist. Der leicht angeraute Boden der Kochtöpfe steht noch stabiler auf<br />
dem Campingkocher. Alle Teile lassen sich ineinanderstapeln. Übrigens: Schüsseln<br />
und Becher sind frei von Weichmachern und dürfen zu Hause auch in die Mikrowelle<br />
und die Spülmaschine.<br />
HAWAII<br />
URLAUB<br />
Wer schön sein will, muss nicht leiden: Eine<br />
dämpfende Zwischensohle und ein anatomisch<br />
vorgeformtes Fussbett machen die Zehenstegsandale<br />
von Olukai äusserst bequem. Riemen,<br />
Zehensteg und Innensohle der Damen-Sandale<br />
sind aus weichem, hautschmeichelndem Leder<br />
gefertigt. Die leicht profilierte, ausreichend<br />
griffige Sohle aus Gummi Leinen-Gemisch färbt<br />
nicht ab. Das Muster der aufwendig bestickten<br />
Innensohle ist von der polynesischen Kultur<br />
inspiriert. Geht übrigens auch nicht auf Kosten<br />
anderer: Das als B Corp zertifizierte Unternehmen<br />
legt hohen Wert auf eine sozial- und<br />
umweltverträgliche Produktion.<br />
PANIOLO<br />
OLUKAI<br />
Preis CHF 95.–<br />
ALPHA POT COOK SET 4.2<br />
SEA TO SUMMIT<br />
Gewicht 1220 g<br />
Preis CHF 144.–<br />
8
ALLES<br />
KÖNNER<br />
«AR» steht bei Arc’teryx für Allround. Entsprechend<br />
ist der AR-395A ein sehr vielseitiger,<br />
hochwertiger Klettergurt, der sich für Sport-,<br />
Alpin-, Mixed- und Eisklettern gleichermassen<br />
eignet. Über verstellbare Beinschlaufen lässt<br />
er sich individuell anpassen. Die spezielle Gurtkonstruktion<br />
verteilt die Belastung gleichmässig<br />
über die Gesamtbreite des Hüftgurts. Das Ergebnis:<br />
mehr Komfort, was sich vor allem bei längeren<br />
Klettersessions bezahlt macht. Gleichzeitig<br />
lässt der Gurt genügend Bewegungsfreiheit. Vier<br />
Materialschlaufen nehmen die Kletterausrüstung<br />
auf, zusätzlich gibt es vier Eisschrauben-Schlaufen<br />
und eine Transportschlaufe auf der Rückseite.<br />
AR-395A<br />
ARC’TERYX<br />
Gewicht 395 g (Grösse M)<br />
Preis CHF 159.–<br />
SOMMER<br />
TAG<br />
Wandertipp für die ganze Familie: Von Grüningen aus um den Lützelsee. Der malerische<br />
See im Kanton Zürich ist bekannt für die vielen Störche, die an seinem Ufer<br />
nisten. Seit 1983 steht er unter Natur- und Landschaftsschutz. Gleich zu Beginn<br />
lohnt ein Abstecher zum Botanischen Garten, der mit vielen Bäumen und Sträuchern<br />
eher den Charakter eines Arboretums hat. Anschliessend führt der Weg zwischen<br />
Weiden und Obstbäumen zum Uferrundweg. Zurück in Grüningen klingt der Tag im<br />
Gasthof «Hirschen» oder «Bären» aus.<br />
UMWELT<br />
FREUNDE<br />
FILIALE<br />
NO. 12<br />
Am 25. Mai <strong>2018</strong> eröffnete in Conthey im Wallis<br />
die zwölfte Bächli Bergsport Filiale ihre Türen.<br />
Sie ist zugleich die zweite französischsprachige<br />
Niederlassung von Bächli. Auf 1500 Quadratmetern<br />
Verkaufsfläche inklusive Outlet erhalten<br />
Kunden eine grosse Auswahl hochwertiger<br />
Bergsportprodukte und umfangreiche Serviceangebote.<br />
Die Fachberatung übernehmen ausgewiesene<br />
Spezialisten.<br />
Schon von Beginn an legte Ternua einen<br />
Schwerpunkt auf nachhaltig produzierte<br />
Outdoorbekleidung. Die Marke wurde vor mehr<br />
als 20 Jahren im Baskenland gegründet. Seit<br />
<strong>2018</strong> sind alle Produkte frei von PFC und ein<br />
Grossteil der Kollektion wird aus recycelten<br />
Materialien hergestellt. Dazu gehören auch<br />
ausrangierte Fischernetze oder Plastikmüll<br />
aus dem Ozean. Die Funktion kommt dabei<br />
nicht zu kurz: Die Hedit Pant ist eine robuste,<br />
flexible Trekkinghose für Frauen. Sie ist mit<br />
zwei seitlichen Taschen und einer reissverschlussgesicherten<br />
Tasche am Oberschenkel<br />
ausgestattet. Ein passender Gürtel ist mit dabei.<br />
HEDIT PANT<br />
TERNUA<br />
Gewicht 340 g<br />
Preis CHF 129.–<br />
Für weitere Informationen<br />
baechli-bergsport.ch/conthey<br />
INSPIRATION 02 / <strong>2018</strong><br />
9
3 X 3<br />
LASTEN<br />
TRÄGER<br />
Steckt einiges weg: Dieser frauenspezifische<br />
Trekkingrucksack verträgt bis zu 23<br />
Kilogramm Gewicht, was ihn für ausgedehnte<br />
Touren mit viel Gepäck qualifiziert.<br />
Er ist mit einem verstellbaren Tragesystem<br />
ausgestattet, schmiegt sich nah an<br />
den Oberkörper an und gewährt so eine<br />
gute Lastenkontrolle. Gleichzeitig ist der<br />
Rücken belüftet. Der Hüftgurt und die<br />
ergonomischen Schultergurte sind weich<br />
gepolstert, der Brustgurt ist stufenlos<br />
verstellbar. Verstaumöglichkeiten gibt<br />
es reichlich: ein geräumiges Hauptfach,<br />
Deckeltasche, separates Bodenfach, elastische<br />
Seitentaschen, Fronttasche, Hüftgurttaschen,<br />
Halterungen für Stock oder<br />
Pickel, mehrere Befestigungsschlaufen<br />
sowie eine seitliche, verstaubare Trinkflaschenhalterung.<br />
Seitliche Kompressionsriemen<br />
reduzieren das Volumen nach<br />
Bedarf. Eine Regenhülle ist integriert.<br />
DEVA 60 II<br />
GREGORY<br />
Gewicht 2050 g<br />
Preis CHF 325.–<br />
KUNDE FRAGT<br />
SCHUHSOHLEN<br />
«Lange Zeit war Vibram die gängige Sohle bei Wanderschuhen.<br />
In den letzten Jahren tauchen immer mehr Schuhmarken auf,<br />
die für ihre Sohlen mit Reifenherstellern zusammenarbeiten – ist<br />
das reines Marketing oder können diese Sohlen was?»<br />
BÄCHLI BERGSPORT ANTWORTET<br />
Josef Inderbitzin, Schwyz<br />
Die Kooperation von Schuh- und Reifenhersteller ist nicht neu: Für<br />
die Entwicklung der ersten rutschfesten Gummisohle arbeitete<br />
Vibram bereits in den 30er-Jahren mit Pirelli zusammen. Während<br />
Vibram bei hochalpinen, steigeisenfesten Schuhen nach wie vor<br />
Marktführer ist, kooperieren immer mehr Hersteller für Wander-,<br />
Zustiegs- oder Trailrunningschuhe mit Pneu-Experten wie Michelin,<br />
Continental oder Goodyear. Reifenhersteller verfügen über viel Wissen<br />
und Erfahrung im Hinblick auf Gummierungen und ihre Eigenschaften<br />
sowie die Profilanordnung. Auto- oder Bikereifen und die Sohlen von<br />
Sportschuhen müssen ähnliche Anforderungen erfüllen: Sie sollen<br />
Grip bieten und so die Sicherheit auf unterschiedlichen Untergründen<br />
erhöhen. Sich ausserdem je nach Einsatzzweck gut selbstreinigen<br />
und robust sein. Die aktuelle Dynamik auf dem Sohlenmarkt steigert<br />
letztendlich den Innovationsdruck und führt damit zu neuen Entwicklungen<br />
und noch spezifischeren, komfortableren Lösungen – all das<br />
ist natürlich im Sinne des Kunden.<br />
Ernst Schärer, Produktmanager Schuhe<br />
Ihre Fragen an: marketing@baechli-bergsport.ch<br />
BERG<br />
ZIEGE<br />
Keine nassen Füsse auf dem Weg zur Wand: Der Zustiegsschuh von Salewa ist mit<br />
einer wasserdichten, aber auch wasserdampfdurchlässigen Gore-Tex-Membran<br />
ausgestattet. Auf längeren Stecken punktet die dämpfende Zwischensohle. Die profilierte<br />
Laufsohle mit Kletterzone bietet viel Traktion auf Fels und Geröll, greift aber<br />
auch auf weicherem Untergrund. Der Schuh liegt eng am Fuss an, über die bis zu<br />
den Zehen reichende Schnürung lässt er sich individuell anpassen. Zusätzliche, mit<br />
der Schnürung gekoppelte Bänder erhöhen den Halt an Ferse und Sohle, was Rutschen,<br />
Scheuern und Blasenbildung reduziert.<br />
WILDFIRE GTX<br />
SALEWA<br />
Gewicht 860 g / Paar (Grösse 8)<br />
Preis CHF 189.–<br />
10
Schöffel Outdoor Hosen –<br />
Die sitzen perfekt<br />
Herren<br />
PANTS KOPER | CHF 99.00<br />
Damen<br />
PANTS SANTA FE | CHF 99.00<br />
50 +<br />
50 +<br />
Elastisch<br />
Elastischer<br />
Bund<br />
Wasserabweisend<br />
Wasserabweisend<br />
Schnell<br />
trocknend<br />
Strapazierfähig<br />
Schnell<br />
trocknend<br />
Strapazierfähig<br />
INSPIRATION 02 / <strong>2018</strong><br />
11
Ein abenteuerlicher Steig<br />
führt zur Silberhornhütte. Er<br />
erlaubt einmailge Tiefblicke<br />
ins Hintere Lauterbrunnental.<br />
VERSTECKTER<br />
WINKEL<br />
12
WEGWEISER LAUTERBRUNNENTAL<br />
TEXT & FOTOS IRIS KÜRSCHNER<br />
Lötscher gaben ihr den Namen.<br />
Das Quellgebiet der weissen<br />
Lütschine ist durch den Taleinschnitt<br />
selbst von Norden nicht<br />
einsehbar. Wer hinter den Vorhang<br />
steiler Felsklippen im Lauterbrunnental<br />
schaut, staunt über<br />
einen wilden Gebirgskessel.<br />
Beim ersten Donnern geht der Blick zum strahlend<br />
blauen Himmel. Erst das zweite Donnern rückt<br />
die Ursache ins Bild: Mit Wucht sucht sich an der<br />
Gletscherflanke vis-à-vis eine Lawine ihren Weg über fast<br />
lotrechte Wände. Was manch einem Gast des Berghotels<br />
Obersteinberg den Kuchenbissen im Hals stecken bleiben<br />
lässt, ist hier im Hinteren Lauterbrunnental ganz alltäglich.<br />
Vor allem im Frühsommer, wenn unzählige Silberfäden das<br />
Gelände durchziehen: angeschwollene Bäche, die als Wasserfälle<br />
über Felsen schiessen und dem Tal seinen Namen<br />
gaben. Die Natur ist hier ganz nah: Vor der Hütte lümmeln<br />
Murmeltiere, gleich unter der Terrasse treffen sich abends<br />
manchmal Steinböcke.<br />
Seit über hundert Jahren gehört die Alp Obersteinberg der<br />
Familie von Allmen. 1989 übernahmen die Geschwister<br />
Dori, Hugo und Hans-Christen den Gastbetrieb von ihren<br />
Eltern. In den Zimmern duftet es nach Holz, durch die<br />
Fenster strahlen weisse Drei- und Viertausender auf dicke<br />
Federbetten. Die Kerzen auf den Nachttischchen und die<br />
Waschschüsseln auf der Kommode sind keine Dekoration.<br />
Es gibt hier weder Strom noch fliessend Wasser. «Heute<br />
nennt man das nostalgisch», sagt Dori und schmunzelt. Die<br />
Sommermonate auf der Alp bedeuten für die Geschwister<br />
viel Aufwand. Dori etwa benutzt zum Waschen eine Wassermotor-Maschine<br />
von 1930. Hans-Christen versorgt die Kühe,<br />
macht aus frischer Milch Butter, Rahm und Käse. Nur Hugo,<br />
der sich einst mit seiner Mulidame Fiona um den Lebensmittel-<br />
und Getränketransport kümmerte, ist nicht mehr.<br />
Vielleicht schaut er jetzt von oben runter und freut sich,<br />
dass einer seiner Cousins immer wieder für Frischkost ins<br />
Tal hinuntereilt, um sie dann auf steilem Pfad 870 Höhenmeter<br />
hinaufzuschleppen. Denn eine Zufahrtsstrasse gibt<br />
es nicht. Stechelberg, das letzte Dorf im Lauterbrunnental,<br />
ist Endstation der Postautolinie wie auch aller öffentlich<br />
zugänglichen Strassen.<br />
DIE MAGIE DES BERGFRÜHLINGS<br />
Mit heute rund 2,5 Millionen Übernachtungen pro Jahr<br />
gehört die Jungfrauregion zu den gefragtesten Urlaubszielen<br />
der Schweiz. Doch bekanntlich werden von der<br />
Masse nur die Klassiker abgeklappert. Schon 1859 muss<br />
das ähnlich gewesen sein, als sich am 9. August der St.<br />
Galler Alpenpionier Weilenmann ins Hintere Lauterbrunnental<br />
aufmachte, flüchtend vor der «Zudringlichkeit<br />
der Wegelagerer, in Gestalt von Führern und Sesselträgern,<br />
Erd- und Himbeerverkäufern, Alphornbläsern<br />
und Echoerweckern, Marqueurs de bâtons, Schnitzereien-<br />
und ‹Souvenirs du Staubbach›-Händlern». Dann<br />
aber «überrascht es angenehm, wenn er, kaum das<br />
Dorf und den Staubbach im Rücken, sich unversehens<br />
von der hehren Stille eines unentweihten Alpenthales<br />
umgeben sieht.» Und weil das Hintere Lauterbrunnental<br />
mit ins UNESCO-Welterbe aufgenommen wurde, wird<br />
das auch so bleiben. Das Tal der 72 Wasserfälle, von<br />
Goethe poetisch verewigt, zeigt seine besondere Magie<br />
im Bergfrühling. Mächtig donnern dann die Holdri- und<br />
Schmadribachfälle. Kraftorte, an denen man nicht selten<br />
ganz alleine steht. Nur zu Fuss erreichbare Berghotels<br />
sind Garant für eine nostalgische Übernachtung. Obersteinberg,<br />
das höchstgelegene, hat sich als Kerzenhotel<br />
einen Namen gemacht. Auch Weilenmann genoss diese<br />
Herberge, wo «gegenüber schauerlich wild, in nackten<br />
Felsflanken die Jungfrau sich thürmt». Dieser Blick<br />
Über glatt geschmirgelte Strählplatten<br />
ist bald die Silberhornhütte erreicht.<br />
INSPIRATION 02 / <strong>2018</strong><br />
13
LAUTER<br />
BRUNNENTAL<br />
IN ZAHLEN<br />
72<br />
WASSERFÄLLE<br />
20'000<br />
LITER WASSER PRO SEKUNDE<br />
STÜRZEN ALLEIN BEI DEN<br />
TRÜMMELBACHFÄLLEN ZU TALE<br />
Das türkisblaue Wasser des Oberhornsees: magisch, doch klirrend<br />
kalt. Im Hintergrund leuchten die Gletscher des Tschingelhorns.<br />
5<br />
KLEINE GLETSCHER STATT<br />
EINES GROSSEN: DER KLIMA<br />
WANDEL IST AUCH IM LAUTER<br />
BRUNNENTAL SICHTBAR<br />
begleitet auch hinauf zum Oberhornsee. Ein türkisblaues<br />
Juwel, das zum Reinspringen verführt, wie Gott einen<br />
geschaffen hat. Wäre das glasklare Wasser nur nicht so<br />
kalt. Aber egal. Es härtet ab und danach fühlt man sich<br />
wie neugeboren. Eine weite Rundhöckerlandschaft breitet<br />
sich hier im Quellgebiet der Weissen Lütschine aus,<br />
umstellt von mächtigen Gletscherbergen. Zwischen dem<br />
Lauterbrunner Breithorn und dem Tschingelhorn fällt der<br />
Blick auf die Wetterlücke. Ende des 13. Jahrhunderts sollen<br />
Lötscher dort herübergewandert sein, um sich neue<br />
Siedlungsräume zu suchen. Sie gründeten Ammerten,<br />
Trachsellauenen, Sichellauenen, Gimmelwald und Mürren.<br />
Nur Gimmelwald und Mürren haben als ehemalige<br />
Walsersiedlungen überlebt. Auch sprachliche Eigenarten<br />
in der Lauterbrunner Mundart weisen auf die Verwan<strong>dt</strong>schaft<br />
mit den Wallisern hin. Begriffe wie «Ggufer» für<br />
loses Gestein oder «Griiffli» für Preiselbeeren sind auf<br />
beiden Seiten gebräuchlich.<br />
Gletscherbäche gurgeln durch leuchtende Blumenmatten,<br />
Moränenwälle aller Grössen und Formen ziehen von<br />
den Gebirgsflanken herunter. Dazwischen verstecken sich<br />
zahlreiche Flachmoore, die im Hochsommer von einem<br />
weissen Wollgras-Meer umgarnt werden. Vielleicht trifft<br />
man auf Andreas Wipf, der zwischen den gletschergeschliffenen<br />
Wannen und Kuppen oft herumstromert.<br />
Dazwischen schlängelt sich ein Pfad zur Schmadrihütte.<br />
Eine Selbstversorgerhütte, in die sich der Geograf gerne<br />
einquartiert, um seine Studien zu intensivieren. «Durch<br />
Erosion sind hier ältere geologische Einheiten wie durch<br />
ein Fenster aufgeschlossen und lassen einen Blick in den<br />
Aufbau der Alpen zu», begeistert er sich. Das Zusammentreffen<br />
von kristallinen und kalkreichen Gesteinen<br />
bringe zudem eine ungeheure Vielfalt in der alpinen<br />
Flora hervor. Blaugras, Alpen-Akelei, Strauss-Glockenblume,<br />
Alpen-Aster und Edelweiss lieben den Kalk am<br />
Obersteinberg und an den Hängen des Spitzhorns. In<br />
den Vorfeldern von Tschingel-, Wetterlücken-, Breithornund<br />
den beiden Schmadrigletschern gedeihen neben<br />
Moosen Pionierpflanzen wie Fleischers Weidenröschen,<br />
Schild-Ampfer und Kleearten. Natürlich kennt er auch die<br />
Plätze von Frauenschuh-Orchideen.<br />
14
WEGWEISER LAUTERBRUNNENTAL<br />
Der Staubbachfall, von Goethe mit seinem Gedicht «Gesang der<br />
Geister über den Wassern» literarisch verewigt: «Strömt von der<br />
hohen | Steilen Felswand | Der reine Strahl | Dann stäubt er lieblich<br />
| In Wolkenwellen | Zum glatten Fels | Und leicht empfangen |<br />
Wallt er verschleiernd | Leisrauschend | Zur Tiefe nieder.»<br />
GLETSCHERDRAMA<br />
Sein besonderes Interesse gilt den Gletschern. Nirgends<br />
könne man die Gletscherschwankungen der Nacheiszeit<br />
so gut studieren wie hier, betont Wipf. Anhand der markanten<br />
Moränenwälle lässt sich der Gletscherhochstand<br />
von 1850 genau rekonstruieren. Für das Schweizerische<br />
Gletscherinventar und bei der Inventarisierung der Gletschervorfelder<br />
und alpinen Schwemmebenen von nationaler<br />
Bedeutung war Wipf für das Hintere Lauterbrunnental<br />
zuständig. Mehr als zwei Kilometer Länge verlor<br />
der Tschingelgletscher. Die einst zusammenhängende<br />
Eisfläche des Gebirgskessels schrumpfte zu fünf Gletschern,<br />
die immer kleiner werden. Wehmut schwingt<br />
da mit, weil der Klimawandel eben doch rascher voranschreitet<br />
als bisher in der Zeitgeschichte üblich. «Vom<br />
Menschen gemacht» lastet auf unseren Schultern. Tosend<br />
donnert der Schmadribachfall über eine Felsstufe<br />
von der Höhenterrasse ins Tal. Durch Alpenrosenbüsche<br />
und Farnkraut weicht der Pfad östlich aus und balan<br />
INSPIRATION 02 / <strong>2018</strong><br />
PERFEKT GERÜSTET FÜR GRENZENLOSE ABENTEUER,<br />
MIT WENIGER ALS 1,5 KG!<br />
15<br />
ERHÄLTLICH BEI BÄCHLI BERGSPORT
WEGWEISER LAUTERBRUNNENTAL<br />
ciert nun auf der gegenüberliegenden Seite vom Obersteinberg<br />
den Flanken unter Mittaghorn und Äbeni Flue<br />
entlang. Unten in Trachsellauenen wartet der nächste<br />
Kuchenstopp. Möglicherweise donnert es wieder – trotz<br />
blitzblauem Himmel. Manch Einheimischer sagt dann:<br />
Das sind die Rottalherren. Das Berghotel Trachsellauenen<br />
liegt genau vis-à-vis des Rottal-Gletscherschlunds.<br />
Eine blühende, fruchtbare Alp soll das einst gewesen<br />
sein, bevor die Herren von Rotenfluh ihre Untertanen<br />
plagten. Wahre Wüteriche, die gerne auch den Frauen<br />
nachstellten. Als der Schlimmste, so berichtet die Sage,<br />
lüstern ein Hirtenmädchen verfolgte, soll ein schwarzer<br />
Bock der Jungfrau zu Hilfe geeilt sein. Mit seinen gewaltigen<br />
Hörnern stiess er den Mann über eine Felswand in<br />
den Abgrund. Da erzitterte das Land, Felsbrocken und<br />
Eismassen begruben die Rottal-Alp und verbannten die<br />
Willkürherrscher von Rotenfluh in die Gletschereinöde.<br />
Mystik, die an der Neugier kitzelt, vielleicht doch einen<br />
intensiveren Blick ins Rottal zu werfen. Alpinisten nutzen<br />
den Weg zur Rottalhütte, um über den Rottalgrat den<br />
Gipfel der Jungfrau zu erobern. Auf der Suche nach<br />
den abenteuerlichsten Routen auf den Sehnsuchtsberg,<br />
versuchten sich die Alpenpioniere schon 1863 auch am<br />
Nordwest- oder Rotbrättgrat, dort wo das Silberhorn<br />
seinen Schneekegel keck in den Himmel reckt. Weil<br />
diese Route auch heute noch als schwierig gilt, wird sie<br />
nur selten begangen. Bergwanderer aber können bis zur<br />
Silberhornhütte ins alpine Abenteuerland vorstossen,<br />
wenn sie abolute Trittsicherheit und Schwindelfreiheit<br />
mitbringen. Unterhalb der Bäreflue bei der Quelle «Bim<br />
Chalten Brunnen» wechselt man vom Hüttenweg der<br />
«Nirgends kann man die<br />
Gletscherschwankungen<br />
der Nacheiszeit so<br />
gut studieren wie hier».<br />
Rottalhütte nach links in den Hüttenweg zur Silberhornhütte<br />
und hangelt sich dann durch imposante Felsfluchten<br />
in die Höhe.<br />
Bei der Querung über Felsbänder und Plattenschüsse<br />
sieht man sie schon, die winzige Hütte auf dem Sattel<br />
zwischen Schwarzmönch und Jungfraumassiv. Ein Stützpunkt<br />
wie zu Pionierstagen, unbewartet, spektakulär<br />
gelegen, mit ungewöhnlichen Perspektiven auf Eiger,<br />
Mönch und die zerrissenen Gletscher der Jungfrau.<br />
Ganz zu schweigen von den Tiefblicken ins Lauterbrunnental,<br />
zur Kleinen Scheidegg, zur Station Eigergletscher.<br />
Der pure Luxus: Getränke sind vorhanden, dazu<br />
Feuerholz. Im hauseigenen Geschirrsortiment fehlt<br />
selbstverständlich auch das Fonduecaquelon mit Zubehör<br />
nicht. Braucht man also nur noch die Käsemischung<br />
hinaufzutragen. Candlelight-Dinner wie auf dem Obersteinberg,<br />
nur noch archaischer und mit Nervenkitzel.<br />
Was die Rottalherren im Schilde führen, wenn's donnert,<br />
ist nie so ganz sicher.<br />
Informationen zum Hinteren<br />
Lauterbrunnen tal finden Sie unter:<br />
baechli-bergsport.ch/lauterbrunnental<br />
Gletscherschau von der Terrasse<br />
des Kerzenhotels Obersteinberg.<br />
16
PFAD<br />
FINDER<br />
Während die touristischen<br />
Hotspots der Jungfrauregion<br />
von Menschenmassen heimgesucht<br />
werden, warten im Hinteren<br />
Lauterbrunnental, rund<br />
um das Berghotel Obersteinberg,<br />
überraschend stille Wanderpfade.<br />
Wer sie oder andere Bergregionen<br />
entdecken möchte, ist<br />
mit der Produktauswahl von Bächli<br />
Bergsport bestens gerüstet.<br />
«Kaum ein anderes<br />
Tal der Schweiz besticht<br />
durch so viel Historie<br />
und Vielseitigkeit.»<br />
JAN MAURER<br />
MARKETINGLEITER<br />
BÄCHLI<br />
ON TOUR<br />
Wanderpartner gesucht? Wer Lust<br />
hat, die Schweizer Bergwelt in<br />
einer kleinen Gruppe von Gleichgesinnten<br />
zu erkunden, hat bei<br />
einem Tourenangebot von Bächli<br />
Bergsport die Möglichkeit. Zum<br />
Beispiel auf einer zweitägigen<br />
Wanderung (30.06.-01.07.) zur<br />
neuen Monte-Rosa-Hütte in den<br />
Walliser Alpen.<br />
baechli-bergsport.ch/<br />
de/baechliontour<br />
SICHT<br />
WECHSEL<br />
Die Monterosa Cameleon ist eine leichte,<br />
sehr vielseitige Sportsonnenbrille für<br />
Frauen. Die photochromatischen Polycarbonat-Gläser<br />
passen sich innerhalb kurzer<br />
Zeit (etwa 30 Sekunden) an die jeweiligen<br />
Lichtverhältnisse an. Das bedeutet, dass<br />
sich die Lichtdurchlässigkeit im Bereich der<br />
Schutzkategorie 2 bis 4 verändert, was den<br />
Einsatzbereich stark erweitert. Die Brille<br />
eignet sich bei mässiger bis starker Sonneneinstrahlung,<br />
von tieferen Lagen bis ins<br />
Hochgebirge sowie bei hellen Wasser- und<br />
Schneeflächen. Ihre Filter neutralisieren<br />
störende Lichtreflexe, erhöhen den Kontrast<br />
und verbessern so die Sicht insgesamt.<br />
Die Monterosa schliesst sehr gut ab,<br />
die seitlichen Sonnenschutz-Blenden sind<br />
bei Bedarf abnehmbar.<br />
FÜHRUNGS<br />
STAB<br />
Der Sherpa XL ist ein dreiteiliger Trekkingstock<br />
aus hochfestem Aluminium, bei<br />
dem der Fokus auf Robustheit und Langlebigkeit<br />
liegt. Über externe Speed Lock 2<br />
Klemmschellen lässt sich die Stocklänge<br />
stufenlos von 70 bis 145 Zentimeter verstellen.<br />
Mit seiner Maximallänge eignet sich der<br />
Sherpa XL hervorragend für grosse Menschen.<br />
Die weichen Aergon-Griffe aus offenporigem<br />
EVA-Schaumstoff haben eine ergonomisch<br />
geformte Stützfläche am Griffkopf,<br />
die nach unten verlängerte Gummierung erlaubt<br />
schnelles, flexibles Umgreifen in steilen<br />
Passagen oder auf Traversen. Die Teller<br />
können ausgetauscht werden, wodurch der<br />
Stock ganzjährig einsetzbar ist.<br />
WANDER<br />
VOLL<br />
Verregneter Sommer? Hoffentlich nicht. Wie<br />
auch immer die Bedingungen sein werden,<br />
mit dem Marmolada Pro OD sind Wanderer<br />
gewappnet: Der leichte Trekkingschuh<br />
ist mit einer wasserdichten, wasserdampfdurchlässigen<br />
OutDry-Membran ausgestattet.<br />
Diese ist direkt mit dem Obermaterial<br />
– einem Leder-Synthetik-Mix – verbunden,<br />
sodass alle Nähte und Hohlräume versiegelt<br />
sind. Eine EVA-Zwischensohle dämpft und<br />
stützt; die Vibram-Laufsohle bietet guten<br />
Grip. Der Schaft mit speziellen Stretch-Einsätzen<br />
schmiegt sich ähnlich wie ein Socken<br />
eng an den Fuss an. Mittels bis an die Zehen<br />
reichender Schnürung lässt sich der Schuh<br />
zudem gut anpassen. Ein hochgezogener<br />
Gummirand an Fersen und Zehen schützt vor<br />
scharfkantigem Gestein.<br />
MONTE ROSA CAMELEON<br />
JULBO<br />
Preis CHF 189.–<br />
SHERPA XL<br />
LEKI<br />
Gewicht 525 g<br />
Preis CHF 135.–<br />
MARMOLADA PRO OD<br />
SCARPA<br />
Gewicht 1260 g/Paar (Grösse 8)<br />
Preis CHF 339.–<br />
17
DIE LEICHTIGKEIT DES<br />
(UNTERWEGS)SEINS<br />
Je weniger Gepäck, desto weniger Anstrengung – das leuchtet ein.<br />
Aber was lässt man daheim? Und wann lohnt es sich, auf ein<br />
paar Gramm Gewichtsersparnis zu verzichten? Welche Ausrüstung<br />
sich wofür eignet, gilt es immer individuell für jedes Projekt<br />
abzuwägen. Eine Handlungsanleitung.<br />
TEXT MIRJAM MILAD<br />
Zugegeben, ich wäre nicht auf die Idee<br />
gekommen, bei der Mehrtagestour auf<br />
mein geräumiges Tunnelzelt zu verzichten<br />
– nicht in diesem verregneten Sommer!<br />
Mein Mitstreiter offensichtlich schon: «Wenn<br />
wir dein statt mein Zelt nehmen, musst du es<br />
auch alleine tragen». Eine klare Ansage von<br />
jemandem, der seinen Rucksack eigenhändig<br />
umgenäht und überflüssige Riemen weggeschnitten<br />
hat, um Gewicht zu sparen. Mit<br />
18
EXPERT LEICHTGEWICHT<br />
ILLUSTRATION: SOPHIE KETTERER<br />
Skepsis betrachte ich jetzt das ultraleichte<br />
Etwas, das er neben den Rucksack gelegt<br />
hat. Das soll ein Zelt ein? Einwandig und aufs<br />
Nötigste reduziert, scheint es mir eher für<br />
tropische Nächte gemacht. Aber gut, probieren<br />
wir es aus. Seufzend packe ich mein Drei-<br />
Kilo-Heim zurück ins Auto, wenig später wandern<br />
wir los. Jetzt freue ich mich darüber,<br />
weniger tragen zu müssen. Aber wird sich das<br />
Leicht-Zelt in der Praxis bewähren?<br />
SCHRITTWEISE ANPASSUNG<br />
Die Vorteile sehr leichter Ausrüstung liegen<br />
klar auf der Hand: Geringeres Gewicht bedeutet<br />
weniger Belastung für den Körper, späteres<br />
Eintreten von Ermüdungserscheinungen,<br />
unbeschwertes, schnelles Vorwärtskommen.<br />
Dadurch lassen sich weitere Strecken in kürzerer<br />
Zeit und mit weniger Energieaufwand<br />
zurücklegen. Das zeigt sich auch auf unserer<br />
fünftägigen Tour. Glücklicherweise funktioniert<br />
der «Hauch von Nichts» recht gut: Zwar<br />
machen wir Abstriche beim Komfort und<br />
das Platzangebot ist deutlich begrenzter als<br />
in meinem Tunnelzelt. Zu viel Wind verträgt<br />
unser Unterschlupf auch nicht, doch dem<br />
Dauerregen trotzt er tapfer.<br />
Wer das Gewicht seines Wandergepäcks auf<br />
ein Minimum reduzieren möchte, oder aus<br />
gesundheitlichen Gründen reduzieren muss,<br />
sollte sich schrittweise an die für ihn passende<br />
Ausrüstung herantasten. Ausprobieren, was für<br />
einen passt und vor allem – was sich bewährt.<br />
Ganz wichtig: Die Ausrüstung muss immer an<br />
die jeweiligen Bedingungen angepasst sein:<br />
Terrain, Klima, Wetter, Art und Dauer der Route.<br />
Ebenso an die eigene Fitness und Erfahrung.<br />
Denn: Das reduzierte Gepäck lässt unter Umständen<br />
weniger Sicherheitsreserven. Nicht<br />
nur, was den Wetterschutz betrifft – weniger<br />
mitzunehmen bedeutet auch, gegebenenfalls<br />
keinen Ersatz zu haben, wenn etwas kaputt<br />
geht. Und nicht alle leichten Materialien sind<br />
gleich robust. Eine ultraleichte Regenjacke<br />
beispielsweise hält auf einer mehrtägigen<br />
Trekkingtour dem Druck des Rucksacks auf<br />
die Schultern kaum stand. Doch neue Entwicklungen<br />
und Technologien haben in den<br />
letzten Jahren viel verändert. Die Auswahl<br />
an ultraleichten Ausrüstungsgegenständen ist<br />
nicht nur riesig – von minimalistischen Zelten<br />
über spartanisch anmutende Rucksäcke bis hin<br />
zu Wetterschutzjacken, die nicht mehr wiegen<br />
als eine Tafel Schokolade – immer häufiger<br />
bieten ultraleichte Teile auch erstaunlich viel<br />
Komfort und Schutz.<br />
WIE LEICHT IST ULTRALEICHT?<br />
Ultraleicht-Wanderer definieren sich weniger<br />
über das Gewicht der einzelnen Gegenstände,<br />
als über das Gesamtgewicht ihrer Ausrüstung:<br />
Nicht mehr als fünf Kilogramm soll sie wiegen,<br />
sagen einige, wenn man Essen, Wasser und<br />
Brennstoffe abzieht. Ob man sich an diesem<br />
Wert orientiert und wie sehr, bleibt jedem<br />
selbst überlassen. Schliesslich hängt die Entscheidung<br />
auch davon ab, inwieweit man bereit<br />
ist, die persönliche Komfortzone zu verlassen.<br />
Unter Umständen nicht für jede denkbare<br />
Situation ausgerüstet zu sein. Wer bisher mit<br />
«klassischer» Ausrüstung unterwegs war, kann<br />
sich schrittweise an weniger Gewicht herantasten.<br />
Überlegen, welche Dinge unentbehrlich<br />
sind und auf was sich problemlos verzichten<br />
lässt – die Bächli Bergsport Mitarbeiter stehen<br />
gerne mit Rat zur Seite. Denn auch viele leichte<br />
Ausrüstungsgegenstände können in ihrer Summe<br />
ganz schön zu Buche schlagen.<br />
In einem nächsten Schritt gilt es abzuwägen,<br />
welche der unabdingbaren Gepäckstücke durch<br />
weniger schwere ersetzt werden können:<br />
Reicht ein leichterer Schlafsack? Die leichtere<br />
Matte? Ein leichteres Zelt oder sogar ein Tarp?<br />
Welche Kleidungsstücke können funktional<br />
miteinander kombiniert werden und ersparen<br />
so vielleicht eine zusätzliche Schicht? Welche<br />
haben ein besonders gutes Verhältnis von Wärme<br />
zu Gewicht? Isolationsjacken mit Daunen- oder<br />
Kunstfaserfüllung kommen hier beispielsweise<br />
deutlich besser weg als eine Fleecejacke, die<br />
zudem viel Platz im Rucksack einnimmt.<br />
Apropos Platz im Rucksack: Wer von Anfang<br />
an einen kleineren Rucksack wählt,<br />
wird sehr wahrscheinlich weniger Gepäck<br />
mit sich tragen. Denn egal, wie gross der<br />
Rucksack ist: voll wird er immer. Man<br />
muss ja nicht gleich, wie mein Reisepartner,<br />
alle entbehrlichen Riemen abschneiden.<br />
Kann man aber.<br />
19
EXPERT LEICHTGEWICHT<br />
ACHTMAL<br />
GEWICHT SPAREN<br />
5<br />
2<br />
1<br />
7<br />
4<br />
8<br />
3<br />
6<br />
20<br />
Produkte zum Thema Leichtgewicht finden Sie unter: baechli-bergsport.ch/leichtgewicht
1 Die Zelte der Freelite-Serie sind die leichtesten im<br />
Programm von MSR und bieten erstaunlich viel Komfort. Sie<br />
haben eine oder zwei Apsiden und eignen sich für den Einsatz von<br />
Frühling bis Herbst. Passende Footprints optional erhältlich.<br />
FREELITE SERIE MSR<br />
Gewicht ab 1130 / 1330 / 1560 g (je nach Grösse)<br />
Preis CHF 449.- / 529.- / 609.-<br />
2 Gerade mal 73 Gramm bringt der PocketRocket 2 auf<br />
die Waage. Der kompakte und effiziente Gaskocher passt auf alle<br />
gängigen Kartuschen mit Schraubgewinde. Die Flamme lässt sich<br />
fein regulieren, ein Liter Wasser kocht in etwa dreieinhalb Minuten.<br />
BUILT TO LAST<br />
JUST LIKE YOU<br />
POCKETROCKET MSR<br />
Gewicht 73 g<br />
Preis CHF 36.-<br />
3 Das leichte Topfset besteht aus harteloxiertem Aluminium<br />
mit Antihaftbeschichtung auf der Innenseite. Im Set enthalten:<br />
zwei Kochtöpfe mit 1,3 oder 2,3 Liter Volumen, Deckel mit<br />
integriertem Abtropfsieb, Griffzange und Packbeutel.<br />
LITECH POT SET PRIMUS<br />
Gewicht 427 g (1,3 Liter)<br />
Preis ab CHF 74.-<br />
4 Trotz ihrer hohen Wärmeleistung (R-Wert 3,2) ist die<br />
Matte sehr leicht und hat ein Packmass von nur 10 x 23 Zentimetern.<br />
Isolierende Zellen minimieren die Konvektionskühlung und<br />
geben Stabilität. Da die Matte keine feuchtigkeitsempfindliche<br />
Isolation enthält, kann sie mit dem Mund aufgeblasen werden.<br />
NEOAIR XLITE II THERM-A-REST<br />
Gewicht 350 g<br />
Preis ab CHF 179.-<br />
Mauricio Mendez,<br />
Xterra World<br />
Champion<br />
5 Dreiteiliger, faltbarer Carbon-Stock mit fixer Länge<br />
(110, 120, 130 cm). Ein Schutzring aus Aluminium verstärkt die<br />
Verbindungen der einzelnen Segmente. Die Stockspannung wird<br />
schnell und einfach per Knopfdruck entriegelt. Zusammengefaltet<br />
misst der Stock je nach Gesamtlänge 36, 40 oder 43 Zentimeter.<br />
DISTANCE CARBON Z BLACK DIAMOND<br />
Gewicht 275 / 285 /295 g (je nach Länge)<br />
Preis CHF 145.-<br />
6 Minimalistisches Trekking-Han<strong>dt</strong>uch aus leichtem,<br />
saugstarkem und schnell trocknendem Mikrofaser-Mischgewebe.<br />
Aufbewahrungsbeutel inklusive. In unterschiedlichen Grössen<br />
erhältlich.<br />
ULTRALITE II PACKTOWL<br />
Gewicht ab 13 g<br />
Preis ab CHF 15.-<br />
7 Leichter Sommerschlafsack mit kleinem Packmass.<br />
Das Aussenmaterial ist wind- und wasserabweisend, das Innenfutter<br />
leitet Feuchtigkeit ab. Gefüllt mit hochwertiger Gänsedaune<br />
(800 cuin).<br />
SPHERE DOWN SUMMER MAMMUT<br />
Gewicht 370 g (regular)<br />
Preis ab CHF 325.-<br />
SUUNTO 9<br />
8 Sehr leichter Wanderschuh für einfacheres Terrain<br />
oder trainierte Läufer. Das grobe Stollenprofil und die<br />
abgestimmte Gummimischung der Sohle geben viel Grip. Die<br />
Gore-Tex-Membran hält Nässe ab.<br />
X ULTRA 3 MID GTX SALOMON<br />
Gewicht 896 g/Paar (Grösse 8.5)<br />
Preis CHF 189 .-<br />
SUUNTO 9<br />
• 120 Stunden Batterielaufzeit im Ultra Modus<br />
• Intelligente Batterie-Technologie<br />
• Getestet unter extremsten Bedingungen<br />
21
Sehr eindrücklich und überhängend:<br />
Alex Wick klettert die Schlüsselstelle<br />
am Westgrat des Feldschijen.<br />
LUFTIGER<br />
GRANIT<br />
22
WEGWEISER FELDSCHIJENGRAT<br />
TEXT & FOTOS RALF GANTZHORN<br />
Der Urner Granit geniesst weit<br />
herum einen hervorragenden<br />
Ruf für seine Qualität. Trotz der<br />
Beliebtheit der Destination gibt<br />
es auch dort noch einiges zu<br />
entdecken für Kletterer. Der<br />
Feldschijen-Westgrat beispielsweise<br />
ist ein noch wenig bekanntes,<br />
dafür umso lohnenderes Ziel.<br />
Hans Berger ist ein weit gereister Alpinist. Er<br />
kennt die Berge der Welt, ist als Bergführer in<br />
allen Gebirgsgruppen der Alpen unterwegs. Und<br />
er war bis zum Ende des Sommers 2017 Hüttenwart auf<br />
der Salbithütte in den zentralen Urner Alpen. Logisch,<br />
dass er die beiden Traumlinien an seinem Hausberg,<br />
den Salbitschijn, liebt und lobt. Aber er weiss auch um<br />
die Beliebtheit insbesondere des Südgrates, den er selber<br />
als «Symphonie in Granit» in den höchsten Tönen<br />
lobt. Fragt man ihn nach einer Alternative, kommt die<br />
Antwort ohne zu zögern: «Klettert den Westgrat am<br />
Feldschijen!»<br />
«Feldschijen – noch nie gehört!» – das dürfte wohl der<br />
häufigste Kommentar sein, wenn man Alpinisten nach<br />
dem Westgrat des Feldschijen fragt. Und auch ich hatte<br />
ja keine Ahnung. «Wo steht denn der Berg überhaupt?»,<br />
war daher meine nächste Frage an Hans. Von der Terrasse<br />
seiner Hütte zeigt er auf ein relativ unscheinbares<br />
Ensemble von Granitfelsen auf der Südseite des<br />
Göscheneralpsees. Und dort soll eine dem Südgrat des<br />
Salbitschijns vergleichbare Tour zu finden sein?<br />
SELEKTIVER ZUSTIEG<br />
Zu viert machen wir uns auf, die Aussagen des Hüttenwarts<br />
zu überprüfen. Sonja und Simone als starke<br />
Frauen-Seilschaft, Alex und ich als männliches Pendant.<br />
Was sofort als Unterschied zum Salbit ins Auge<br />
fällt, beziehungsweise in die Waden fährt, ist der Zustieg.<br />
Satte 600 Höhenmeter wollen auf einem steilen<br />
Pfad überwunden werden, bevor man die Hand an den<br />
Fels legen darf. Ein Filter, der schon immer die Spreu<br />
GÖSCHENERTAL<br />
IN ZAHLEN<br />
700<br />
METER MISST DIE DAMM-<br />
KRONE DER STAUMAUER<br />
DES GÖSCHENERALPSEES<br />
AUS DEM JAHR 1960<br />
34<br />
JAHRE WAR HANS BERGER<br />
HÜTTENWART DER SALBITHÜTTE<br />
90<br />
METER MISST DIE SALBIT<br />
HÄNGEBRÜCKE, DIE DAS<br />
KERNSTÜCK DES FUSSWEGES<br />
ZWISCHEN SALBIT- UND<br />
VORALPHÜTTE IST<br />
INSPIRATION 02 / <strong>2018</strong><br />
23
WEGWEISER<br />
URNER<br />
GRANITGRATE<br />
2981 m ist der Salbitschijn hoch, also nicht einmal 3000 m.<br />
Trotzdem zählt der Westgrat zu den längsten Klettergraten<br />
der Alpen überhaupt: 32 Seillängen oder rund<br />
1200 m wollen hier geklettert werden, der «Rolls Royce<br />
unter den Graten».<br />
700 m ist die Dammkrone des Göscheneralpsees breit.<br />
Die als bepflanzter Erddamm ausgeführte Staumauer<br />
wurde 1960 fertiggestellt, das Speicherbecken hat ein<br />
Fassungsvermögen von rund 75 Millionen Kubikmetern.<br />
In dem See befinden sich die Ruinen der ehemaligen<br />
Siedlung Göscheneralp. Die Bewohner wurden umgesiedelt<br />
in den jetzt unterhalb gelegenen Weiler Gwüest.<br />
34 Jahre lang war Hans Berger Hüttenwirt der Salbithütte.<br />
Das lange Zeit als reine Hütte für Kletterer betriebene<br />
Rifugium ist seit 2010 die erste Station einer der<br />
schönsten Mehrtageswandertouren der Alpen: die Urner<br />
Hüttenrunde. Sie führt einmal um das Göschenertal<br />
herum über Salbit-, Voralp-, Bergsee-, Chelenalp-, Damma-<br />
und Albert-Heim-Hütte. Infos finden sich im Buch<br />
Hüttentrekking Bd. 2 Schweiz im Bergverlag Rother.<br />
Eng verbunden mit der Einrichtung der Urner Hüttenrunde<br />
ist der Bau der Salbitbrücke. Diese 90 m lange<br />
Hängebrücke ist das Kernstück des Fussweges zwischen<br />
Salbit- und Voralphütte.<br />
vom Weizen trennte. So stehen wir dann auch nach<br />
zwei Stunden und einem schweisstreibenden Zustieg<br />
alleine im Blockfeld unterhalb des Grates. Wobei unsere<br />
Augen schon dabei sind, den Fels abzusuchen: Wo<br />
ist eine kletterbare Linie? Wie lässt sie sich absichern?<br />
Alex findet als Erster die drei Bohrhaken, welche die<br />
erste Seillänge absichern. Die Routenführung ist eindeutig.<br />
Spreizend und piazend klettert er hinauf zum<br />
ersten Stand direkt auf dem Grat. Das sieht vielversprechend<br />
aus!<br />
Mit dem Erreichen der Gratschneide weicht der konzentrierte<br />
Blick der ersten Klettermeter erstmals der<br />
Weite der Umgebung. Das gesamte Panorama der zentralen<br />
Urner Alpen tut sich auf, eine Landschaft bestehend<br />
aus den Farben Weiss, Grün und Grau. Oder übersetzt:<br />
Eis, Gras und Granit. Eis von immer noch beeindruckenden<br />
Ausmassen ist am Dammastock zu finden, mit<br />
3630 m der höchste Berg im weiten Rund. Seine Gletscher<br />
bzw. deren Schmelzwässer waren es, die vor<br />
rund 70 Jahren den Startschuss zur Errichtung des<br />
Göscheneralpsees gaben. Am Grund des türkisgrünen<br />
Sees des 1960 fertiggestellten Staudamms befinden<br />
sich noch heute der Kirchturm des ehemaligen Dorfes<br />
Göscheneralp. Seine Anwohner hatte man damals umgesiedelt<br />
in den Weiler Gwüest, oberhalb des heute für<br />
Kletterer so wichtigen Zeltplatzes.<br />
GRANIT – DIE URNER FELSBURGEN<br />
Granit wiederum ist die Basis von allem in den Urner<br />
Alpen. Wer in der Schule aufgepasst hat, erinnert<br />
sich: «Feldspat, Quarz und Glimmer, vergess’ ich nimmer!»<br />
Granit ist sicherlich eines der am einfachsten<br />
aufgebauten Gesteine – aus mehr als den genannten<br />
drei Mineralien besteht Granit nicht. Generell und<br />
überall auf der Welt. Und woher kommen sie? Granit<br />
ist ein magmatisches Gestein, entstanden in den Tiefen<br />
unserer Erde. Vor vielen Millionen Jahren drang geschmolzenes<br />
Gestein in die Erdkruste ein und blieb<br />
während ihres Aufstiegs in Tiefen zwischen ca. vier und<br />
sechs Kilometern stecken. Dort hatte der heisse Gesteinsbrei,<br />
den man sich von der Form her ungefähr<br />
vorstellen muss wie einen in das umgebene Gestein<br />
eingelagerten Pilz, dann Zeit. Viel Zeit – um abzuküh<br />
24
FELDSCHIJENGRAT<br />
len und grosse Kristalle zu bilden. Durch den Abkühlungsprozess<br />
schrumpfte auch der gesamte Gesteinskörper,<br />
es bildeten sich Schrumpfungsrisse, die<br />
– anders als man das z. B. vom Bodensatz einer<br />
Pfütze her kennt – im rechten Winkel zueinander stehen.<br />
Wenn man also den gesamten Gesteinskörper<br />
betrachtet, ist dieser durchzogen von senkrecht aufeinander<br />
stehenden Rissen, so als wäre dieser aus<br />
Quadern unterschiedlicher Grösse aufgebaut. Noch<br />
jedoch steckt das Gebilde tief in der Erdkruste. Und<br />
das wäre auch noch lange so geblieben, hätte nicht<br />
Afrika in seiner Kontinentalbewegung vor ca. 55 Millionen<br />
Jahren einen Nordschwenk vollzogen – auf Kollisionskurs<br />
mit Europa. Es bildeten sich die Alpen, und<br />
zuvor tief im Erdinnern geparkte Gesteine kamen<br />
durch Hebung und Erosion an die Oberfläche. Wasser<br />
konnte jetzt auch den Urner Granit angreifen und<br />
drang in die bereits von der Natur angelegten Schwachstellen<br />
des Gesteins ein – die senkrecht zueinander<br />
stehenden Risse bzw. Klüfte. Durch den sich ständig<br />
wiederholenden Zyklus des Gefrierens und Tauens<br />
sprengte sich das Wasser im wahrsten Sinne des Wortes<br />
in den Fels hinein, die Gletscher der letzten Eiszeit<br />
räumten den entstandenen Schutt zu Tal. Übrig blieben<br />
die Zacken, Plattenfluchten und Grate der Urner<br />
Berge. Riesige Felsburgen, deren Mauern von parallel<br />
zueinander verlaufenden Rissen und Verschnei<br />
«Ein Traum aus Granit,<br />
noch schöner und<br />
eleganter geht Klettern<br />
eigentlich nicht.»<br />
Der gekonnte Einsatz von Keilen und Friends<br />
hilft Risiken und Nebenwirkungen des<br />
alpinen Kletterns überschaubar zu halten.<br />
Grüne Wiesen und grauer Granit bestimmen<br />
die Umgebung des Göscheneralpsees.<br />
INSPIRATION 02 / <strong>2018</strong><br />
25
WEGWEISER FELDSCHIJENGRAT<br />
dungen wie von einem surrealen Muster überprägt wirken.<br />
Wo der Fels überdeckt ist von ein wenig Erdkrumen,<br />
gedeiht üppiges Gras, dessen intensives Grün in wohltuender<br />
Harmonie zum Grau des Granits steht.<br />
EINE PERFEKTE LINIE<br />
«Stand!» ruft Alex und ich weiss, dass die nächsten 30<br />
oder 40 Meter Klettergenuss folgen werden. Denn der<br />
Grat ist gerade in den unteren Seillängen der pure Genuss,<br />
nie schwerer als der obere V. Grad zieht er sich<br />
gen Himmel. Nach einigen etwas flacheren Metern, bei<br />
denen man seinen Gleichgewichtssinn tänzelnd auf der<br />
Gratschneide überprüfen kann, folgt eine Seillänge, für<br />
die allein sich die gesamte Route lohnt: die Nummer 9!<br />
Fantastisch ausgesetzt piazt man hier eine senkrecht<br />
gestellte Platte hinauf, bestens abgesichert mit einigen<br />
Bohrhaken. Nur an einer Stelle weicht man für wenige<br />
Meter auf die Platte aus, ansonsten klettert man immer<br />
direkt an der nur wenige Zentimeter schmalen Kante.<br />
Ein Traum aus Granit, noch schöner und eleganter geht<br />
Klettern eigentlich nicht. Wobei – auch die Schlüssel<br />
stelle der gesamten Tour in der 13. Seillänge ist, wenn<br />
man nicht in die Haken greift, eine sich tief in die Erinnerung<br />
eingrabende Einzelstelle. Nicht ganz so luftig<br />
wie die Piazschuppe, dafür aber steil und überhängend,<br />
führt die Route durch ein schmales Dach, das von unten<br />
gesehen erst einmal unkletterbar aussieht. Aber, wie<br />
bereits ein alter Kletterfreund sagte: «Es löst sich alles<br />
auf». Griffe und Struktur bieten deutlich mehr Reibung<br />
und Halt, als es zunächst den Anschein hat.<br />
Nach rund vier Stunden erreichen wir alle den Gipfelblock,<br />
tragen uns in das exklusive Gipfelbuch ein. Die<br />
Feuchte des einsetzenden Regens kann uns die gute<br />
Laune nicht aus dem Gesicht nehmen: Die Route ist ein<br />
Traum. Gegenüber stehen die Granitfluchten des Salbitschijns,<br />
wunderbar einzusehen. Wir sind zu weit weg,<br />
um Menschen zu erkennen, aber es fällt nicht schwer,<br />
sich das Gedränge am Stand oder das Seilchaos bei so<br />
manchem Überholmanöver vorzustellen. Wer eine lohnenswerte<br />
Alternative sucht, sollte auf Hans Berger<br />
hören: «Klettert den Westgrat am Feldschijen!»<br />
Gipfelblock und Gipfelglück im<br />
Regen. Von links: Sonja Schade,<br />
Alex Wick und Simone Bürgeler.<br />
Informationen zum Feldschijengrat<br />
finden Sie unter:<br />
baechli-bergsport.ch/feldschijengrat<br />
26
LINIEN<br />
WAHL<br />
Für alle, denen es nach der<br />
Geschichte vom Feldschijengrat<br />
bereits in den Fingern kribbelt,<br />
hat Bächli Bergsport die passende<br />
Ausrüstung parat. Aber ganz<br />
egal, ob es den beschriebenen<br />
Westgrat oder eine andere aufregende<br />
Route zu entdecken gilt:<br />
Auf diese drei Produkte können<br />
sich Kletterer beim nächsten Felsabenteuer<br />
verlassen.<br />
«Der Feldschijen mit<br />
seinen unterschiedlichen<br />
Routen bleibt immer<br />
spannend.»<br />
SAMUEL BUNDI<br />
ABTEILUNGSLEITER HARTWAREN<br />
CHUR<br />
BÄCHLI<br />
ON TOUR<br />
Wer noch nicht so viel Erfahrung<br />
im Klettern von Mehrseillängen-<br />
Routen hat, lernt im Grundlagenkurs<br />
die nötigen Techniken und<br />
wertvolle Kniffs. Zum Beispiel am<br />
16./17. Juli am Sustenpass im<br />
Berner Oberland.<br />
baechli-bergsport.ch/<br />
de/baechliontour<br />
HÄNGE<br />
PARTY<br />
Der Aquila ist mit seinem breiten, verstellbaren<br />
Hüftgurt und einstellbaren Beinschlaufen<br />
ideal für grosse, kräftige Kletterer.<br />
Er lässt sich sehr vielseitig im Sommer<br />
und im Winter, in der Halle, am Fels ebenso<br />
wie im Eis einsetzen. Das schnörkellose<br />
Design ermöglicht ein geringes Gewicht<br />
und viel Bewegungsfreiheit. Vier Materialschlaufen<br />
– die vorderen beiden versteift,<br />
die hinteren flexibel – bieten genügend<br />
Platz für die Kletterausrüstung. Zudem sind<br />
eine Haulschlaufe und zwei Befestigungsmöglichkeiten<br />
für Caritool Eisschrauben<br />
vorhanden. Die Einbindepunkte sind besonders<br />
widerstandsfähig gegen Seilabrieb. In<br />
fünf Grössen erhältlich.<br />
WARM<br />
HALTER<br />
Wenn die Temperaturen irgendwo zwischen<br />
kalt und warm liegen, kommt das Power<br />
Hoodie zum Einsatz: Eigentlich als Laufshirt<br />
konzipiert, eignet es sich auch bestens zum<br />
Sichern am Fels oder für Kletterpausen. Das<br />
weiche, sehr bequeme Shirt aus dehnbarem<br />
Gewebe wärmt, ist feuchtigkeitsregulierend<br />
und schnell trocknend. Die eng anliegende<br />
Kapuze mit hochschliessendem Kragen<br />
schützt Kopf und Hals vor Kälte und Wind.<br />
Die Ärmel bleiben über Daumenschlaufen<br />
in Position. In die Reissverschlusstasche am<br />
Rücken passen Smartphone oder Schlüssel,<br />
reflektierende Prints erhöhen die Sichtbarkeit<br />
in der Dämmerung.<br />
RINGEL<br />
REIHE<br />
Die neu entwickelte Daisy Chain besteht aus<br />
sechs mittleren Ringen und je einer zusätzlichen<br />
Schlinge an jedem Ende. Die eine erinnert<br />
an eine Expresse und ist mit einem Nimble<br />
Evo Karabiner ausgestattet. Die andere,<br />
lange Schlinge kann zur Selbstsicherung am<br />
Klettergurt eingebunden werden. Die vielseitige<br />
Daisy Chain eignet sich nicht nur für die<br />
Standplatzorganisation, sondern hat weitere<br />
Funktionen: Von der Selbstsicherung über<br />
die Trittleiter bis zum Verbindungsmittel<br />
beim Abseilen mit dem Doppelseil. Aus einem<br />
neuen, einschichtigen Dyneema-Band<br />
bestehend, hat sie eine durchgehende Belastbarkeit<br />
von 24 kN: von einem Ende zum<br />
anderen ebenso wie für jeden einzelnen Ring.<br />
Fehlanwendungen wie bei herkömmlichen<br />
Daisy Chains werden dadurch vermieden.<br />
AQUILA<br />
PETZL<br />
Gewicht 345 g<br />
Preis CHF 112.–<br />
POWER W HOOD<br />
PEAK PERFORMANCE<br />
Gewicht 230 g<br />
Preis CHF 115.–<br />
SPORT CHAIN<br />
CLIMBING TECHNOLOGY<br />
Gewicht 120 g<br />
Preis CHF 62.–<br />
27
6700<br />
HÖHENMETER<br />
TRAIL E101<br />
FIRST<br />
BORT<br />
FAULHORN<br />
2681 M<br />
SCHYNIGE<br />
PLATTE<br />
MÄNNLICHEN<br />
WEITERE DISTANZEN<br />
E51: 51 km / 3100 Höhenmeter<br />
E35: 35 km / 2500 Höhenmeter<br />
E16: 16 km / 960 Höhenmeter<br />
EIGER<br />
GLETSCHER<br />
TRAIL<br />
E101<br />
11:01H<br />
REKORDZEIT 2017<br />
STEPHAN HUGENSCHMIDT<br />
OBERLÄGER<br />
BUSSALP<br />
PFINGSTEGG<br />
600<br />
TEILNEHMER<br />
GRINDELWALD<br />
BURG-<br />
LAUENEN<br />
896 M<br />
GRINDELWALD<br />
101<br />
KILOMETER<br />
STRECKENLÄNGE<br />
EIGER ULTRA TRAIL<br />
Das Panorama grandios, die Strecke brutal: Der 6. Eiger Ultra Trail,<br />
vom 13. bis zum 15. Juli in Grindelwald, zieht wohl gerade deshalb Trailrunner<br />
aus aller Welt magisch an. Mit dabei: die beiden Bächli-Mitarbeiter<br />
Jonas Fischle und Ramon Höfler auf der E101- und der E51-Strecke.<br />
200<br />
KINDER BEIM<br />
KIDS RACE<br />
500<br />
HELFER + SAMARITER, ALPINE<br />
RETTUNG, ÄRZTE, MASSAGE,<br />
BERGFÜHRER<br />
<strong>2018</strong>: IN<br />
60<br />
MINUTEN AUS-<br />
VERKAUFT<br />
650<br />
KILOGRAMM<br />
ORANGEN<br />
4000<br />
BANANEN<br />
<strong>2018</strong>:<br />
3000<br />
LÄUFER AUS 70<br />
NATIONEN<br />
CHF 175<br />
STARTGELD<br />
200<br />
TEILNEHMER BEIM<br />
TRAIL SURPRISE<br />
(500 – 1000 HM, 10 – 15 KM)<br />
2600<br />
LITER COLA<br />
12<br />
VERPFLEGUNGS<br />
POSTEN:<br />
60<br />
KILOGRAMM BERGKÄSE<br />
VON DER NAHE<br />
GELEGENEN ALP<br />
200<br />
DOSEN<br />
PRINGLES<br />
CHIPS<br />
360<br />
KILOGRAMM<br />
WASSERMELONEN
HÖHENLUFT EIGER ULTRA TRAIL<br />
«NICHT AN DIE DISTANZ DENKEN!»<br />
INTERVIEW MIT JONAS FISCHLE UND RAMON HÖFLER<br />
101 Kilometer, 6700 Höhenmeter:<br />
Das tönt selbst für ambitionierte<br />
Läufer ziemlich streng.<br />
Jonas Fischle: Beim Eiger Ultra Trail<br />
blendest du die Zeit plötzlich aus. Es<br />
ist ein bisschen wie Urlaub, du bist in<br />
den Bergen unterwegs. Und solange<br />
es schön ist, ist alles gut.<br />
Ramon Höfler: Bei mir ist es ja nicht<br />
ganz so lang. Ich starte auf der<br />
E51-Strecke mit 51 Kilometern und<br />
3100 Höhenmetern.<br />
Startet ihr zum ersten Mal, oder seid<br />
ihr beide erfahrene Ultra-Läufer?<br />
Jonas: Mein erster Ultra-Lauf war der<br />
«Mountainman» in Melchsee-Frutt.<br />
Ich hatte mir das nach meinem ersten<br />
Marathon in den Kopf gesetzt mit dem<br />
Ziel, irgendwann den Eiger zu laufen.<br />
Nun starte ich hier zum zweiten Mal.<br />
Ramon: Am Eiger bin ich zweimal auf<br />
der E35-Strecke gestartet und konnte<br />
einmal auf Platz 6 und einmal auf<br />
Platz 7 finishen. Meine Devise: lieber<br />
kürzer und zügiger, dafür aber einige<br />
Läufe im Jahr.<br />
Wie trainiert man für so eine Distanz?<br />
Jonas: Meine Taktik ist, möglichst<br />
nicht an die Distanz zu denken. Wichtig<br />
ist, dass du im Kopf bereit bist,<br />
dich auf diesen Lauf einzulassen. Da<br />
ich im Winter Skitourenrennen mache<br />
und bei der PDG war, habe ich bereits<br />
eine gute Grundlagenausdauer. Diese<br />
halte ich mit langen Skihochtouren,<br />
Bergläufen und Velofahrten aufrecht.<br />
Einige Bergläufe und lange Trainingseinheiten<br />
in den Laufschuhen müssen<br />
natürlich schon auch sein.<br />
Und im Rennen: Wie teilt man<br />
so eine Strecke an?<br />
Ramon: Es ist sinnvoll, sich einen realistischen<br />
Plan zurechtzulegen, um<br />
zu verhindern, dass man zu schnell<br />
losgeht. Wichtig ist, das Streckenprofil<br />
genau zu kennen, um nicht von unvorhergesehenen<br />
Anstiegen überrascht<br />
zu werden. Das kann ziemlich demotivieren.<br />
Aber auch bergab müssen die<br />
Kräfte eingeteilt werden, sonst sind<br />
die Beine schon nach dem ersten Downhill<br />
gekocht.<br />
Beim Material: super spartanisch<br />
oder doch mit etwas Reserven?<br />
Jonas: Das Reglement gibt da ziemlich<br />
konkrete Vorgaben. Meiner Meinung<br />
nach reicht das gut aus, um allen Eventualitäten<br />
gewappnet zu sein. Was ich<br />
immer griffbereit habe, sind eine leichte<br />
Windjacke und Ärmlinge – alles andere<br />
ist im Laufrucksack gut verstaut.<br />
Ramon: So spartanisch, wie es sinnvoll<br />
ist. Das Pflichtmaterial ist sehr üppig.<br />
Das ist auch sinnvoll. Trotzdem möchte<br />
ich nicht mehr dabeihaben als nötig.<br />
Aber wenn ich schon ein Wärmeshirt<br />
einpacke, dann ein gutes, und nicht<br />
nur für die Kontrollen.<br />
Hauptsache durchkommen, oder<br />
mit einer Zielzeit im Kopf?<br />
Jonas: Es gibt immer eine Wunschzeit,<br />
sonst macht man sich was vor.<br />
Bei mir sind das 18 Stunden. Dann<br />
hätte ich mich um zwei Stunden verbessert.<br />
Wenn die 18 Stunden abgelaufen<br />
sind, weiss ich, dass ich noch<br />
weitere acht Stunden habe, bevor das<br />
Ziel geschlossen wird.<br />
Ramon: Ja, fast jeder setzt sich sein<br />
persönliches Ziel, eine bestimmte<br />
Zeit oder einen Rang. Aber bei 50 oder<br />
gar 100 Kilometern ist das erste<br />
Ziel immer das Ankommen.<br />
PACKLISTE E101<br />
Schuh: Sense Ride, Salomon<br />
Rucksack: S-Lab Sense Ultra 8 Set, Salomon<br />
Stirnlampe: Petzl Aktik<br />
Stirnband, Handschuhe, Armlinge<br />
Thermo-Shirt: z.B. Icebreaker Oasis<br />
Wetterschutz: Dynafit Ultralight Gore Tex<br />
Shakedry Jacket, Dynafit React U Pants<br />
Sonnenbrille: Julbo Aerospeed Zebra Light<br />
Verpflegung: (Winforce Flüssigriegel),<br />
2 Bidons je 0,5 l<br />
Trinkbecher: Salomon Soft Cup Speed<br />
Stöcke: Distance Carbon Z, Black Diamond<br />
Rettungsdecke, Verbandsmaterial,<br />
Schmerzmittel, Notfallpfeife, Mobiltelefon,<br />
GoPro-Kamera, Geld, Ausweis<br />
und Kreditkarte für Notfälle<br />
PACKLISTE E51<br />
Schuhe: Salomon Sense Ultra / Sense Ride<br />
Hose: Salomon Sense Pro Short<br />
Wetterschutz: S-Lab Hybrid Jkt. und Pants<br />
Shirt: Salomon Trail Runner ss Tee (kurz & lang)<br />
Rucksack: S-Lab Sense Ultra 5 Set, Salomon<br />
Stöcke: Leki RCM<br />
Sonnenbrille: Adidas Daroga<br />
JONAS FISCHLE (29)<br />
FILIALE KRIENS,<br />
ABTEILUNGSLEITER<br />
SCHUHE<br />
RAMON HÖFLER (28)<br />
FILIALE BASEL,<br />
ABTEILUNGSLEITER<br />
TEXTIL<br />
Verpflegung: 1 Liter Flüssigkeit, Gel / Riegel<br />
Handschuhe, Mütze, Sonnenhut,<br />
Rettungsdecke, Verbandsmaterial,<br />
Smartphone, Pfeife<br />
Alle Infos zum Eiger Ultra Trail<br />
gibt es unter: eigerultratrail.ch<br />
INSPIRATION 02 / <strong>2018</strong><br />
29
SICHERHEIT:<br />
ALPINKLETTERN<br />
Wenn die Tage länger werden und die Temperaturen steigen,<br />
lockt es viele Kletterer wieder aus den Klettergärten in die höher<br />
gelegenen Mehrseillängen-Gebiete wie Rätikon, Furka oder<br />
ins Tessin. Zu Beginn der Saison lohnt sich ein kurzer Check:<br />
Vorbereitung, Material, Seilkommandos. Hier eine kurze Übersicht.<br />
TEXT ALEXANDRA SCHWEIKART<br />
Das Wetter passt, das Ziel ist ausgewählt und<br />
der richtige Kletterpartner hat auch noch Zeit!<br />
Viele Alpinkletterer haben sich oft im Winter<br />
schon eine Wunschliste an Routen zusammengestellt,<br />
die sie jetzt im Sommer anpacken<br />
wollen. Nun muss nur noch der Staub von der<br />
Ausrüstung gepustet werden und das Kletterabenteuer<br />
kann beginnen. Wie so oft schützt<br />
eine gute Vorbereitung vor unangenehmen<br />
Überraschungen: So lohnt es sich im Vorfeld,<br />
die Routen-Topos auszudrucken oder zu fotografieren<br />
und den Zustieg schon am Vorabend<br />
auszukundschaften, falls man in der morgendlichen<br />
Dunkelheit aufbrechen möchte. Manche<br />
Routen sind besonders beliebt. Daher ist es<br />
sinnvoll, noch einen Plan B in der Nähe vorzubereiten<br />
− falls in der geplanten Route schon<br />
andere Seilschaften unterwegs sind.<br />
STANDPLATZ-GEFLÜSTER<br />
Eingespielte Seilschaften verstehen sich blind,<br />
die Seilkommandos sind klar und so kommt<br />
selten Stress auf. Doch im alpinen Gelände<br />
können die Seillängen durchaus 40 Meter und<br />
länger sein. Die Verständigung wird schwierig,<br />
teilweise ist sie unmöglich. Hier hilft das Seil<br />
zur Kommunikation.<br />
Expertentipp: Der Vorsteiger zieht das Seil<br />
ruckartig zwei Meter nach oben, lässt es wieder<br />
fallen und wiederholt dies noch zweimal.<br />
Das signalisiert dem Nachsteiger, dass der<br />
30
EXPERT ALPINKLETTERN<br />
Prusik-Knoten mit 5-7mm Reepschnur<br />
Kreuzklemmknoten mit Bandmaterial<br />
ILLUSTRATION: SOPHIE KETTERER<br />
Vorsteiger «Stand» hat. Alle weiteren Schritte<br />
verlaufen dann nach Plan und ohne Kommandos:<br />
Das Seil wird hochgezogen und der<br />
Nachsteiger klettert nach kurzem Warten los,<br />
wenn das Seil straff ist. Ohne solche Absprachen<br />
kann man leicht Zeit verlieren oder sich<br />
unnötig die Seele aus dem Leib schreien.<br />
INTERNATIONALE<br />
KOMMANDOS<br />
Vorsteiger: «Stand» (engl. «Off Belay»), wenn der<br />
Vorsteiger sicher am Stand ist<br />
Nachsteiger: «Seil ein» (engl. «Off Belay»), wenn<br />
das Seil vom Vorsteiger hochgezogen werden soll<br />
Nachsteiger: «Seil aus» (engl. «That‘s me»), wenn<br />
das Seil beim Nachsteiger straff ist<br />
Vorsteiger: «Nachkommen» (engl. «On belay»), wenn<br />
der Nachsteiger gesichert ist und losklettern kann<br />
Nachsteiger: «Ich komme» (engl. «Climbing»), wenn<br />
der Nachsteiger anfängt zu klettern<br />
STANDPLATZ-DISZIPLIN<br />
Ordnung ist das halbe Leben. Das gilt besonders<br />
am Standplatz! Sind die Seile ineinander<br />
verknotet, gibt es schnell Chaos und Zeitverlust.<br />
Expertentipp gegen Seilchaos: Der Vorsteiger<br />
zieht das Seil ein und legt es sich in Schlaufen<br />
abwechselnd links und rechts über die Beine.<br />
Dabei sind die ersten Schlaufen die längsten<br />
und jede weitere Schlaufe wird kleiner und<br />
kleiner. So liegen die kleinsten Schlaufen<br />
oben auf und können dann wieder leicht dem<br />
Vorsteiger ausgegeben werden.<br />
ABSEILEN<br />
Abseilen sollte man generell nur an absolut<br />
sicheren Fixpunkten: zwei verbundene<br />
Bohrhaken, ein stabiler Baum oder eine solide<br />
Sanduhr. Ein Seilende wird gefädelt und mit<br />
dem anderen Seil mittels gelegtem Sackstich<br />
verbunden (Überstand mindestens 30 Zentimeter).<br />
Die Seile werden einzeln in Schlaufen<br />
aufgenommen, jedes Ende bekommt einen<br />
Knoten, damit man am Ende nicht versehentlich<br />
darüber «hinausseilt». Nach einem beherzten<br />
«Achtung Seil» befördert man die Seile im<br />
hohen Bogen in die Tiefe. Ein Prusik-Klemmknoten<br />
am Seil schafft zusätzliche Sicherheit,<br />
entweder mit einer Reepschnur oder (falls<br />
man sie vergessen hat) mit einer Bandschlinge.<br />
SEILE ABZIEHEN<br />
Zum Zeitpunkt des Abseilens ist der Tag oft<br />
schon fortgeschritten und die Aufmerksamkeit<br />
lässt nach. Da die Seile oben verknotet sind,<br />
kann man sie − unten angekommen − nur an<br />
einem Ende abziehen. Halbseile mit unterschiedlichen<br />
Farben und ein gutes Gedächtnis<br />
sind hier hilfreich.<br />
Expertentipp: Vor dem Abseilen am oberen<br />
Stand schaut man sich die Seile genau an und<br />
legt dann das Seil, welches gezogen wird, in die<br />
RECHTE Öffnung des Sicherungsgerätes. So<br />
weiss man auch noch nach 60 Metern abseilen,<br />
an welchem Seil gezogen wird! Lassen sich<br />
die Seile nicht ziehen, weil beispielsweise die<br />
Banderole vom Seilende im Abseilring hängen<br />
bleibt, kann man das Seil in Wellenbewegungen<br />
schütteln oder das Seil so lange um sich selber<br />
drehen, bis die Drehung oben angekommen ist<br />
und sich das Seil löst.<br />
31
EXPERT ALPINKLETTERN<br />
MATERIALCHECK<br />
Von fast jedem Ausrüstungsgegenstand gibt es spezielle<br />
Alpin-Versionen, die im Vergleich zur Sportkletter-Variante<br />
oft leichter, bequemer oder einfach<br />
praktischer in hohen Wänden sind. Vernähte Bandschlingen<br />
unterschiedlicher Länge und eine Kurzprusik<br />
bilden die Grundausrüstung.<br />
Klettergurt<br />
Der Alpinklettergurt sollte sehr bequem sein, da<br />
man oft mehrere Stunden in der Wand unterwegs<br />
ist und auch mal eine Zeit lang im Gurt hängend am<br />
Standplatz verbringen muss. Dünne, einschneidende<br />
Beinschlaufen sind hier fehl am Platz. Prima<br />
sind mindestens zwei Materialschlaufen auf jeder<br />
Seite, die man gut erreichen kann.<br />
Expressschlingen und Karabiner<br />
Hier kann besonders Gewicht gespart werden,<br />
da man für viele Routen 15 bis 20 Expressschlingen<br />
braucht − alpine Seillängen sind oft deutlich<br />
länger als Sportkletter-Seillängen. Drahtschnapper<br />
an den Karabinern und 11 Millimeter dünne<br />
Dyneema-Schlingen verringern das Gewicht.<br />
Ausserdem sollte man Expressschlingen verschiedener<br />
Länge dabeihaben, um an Stellen mit<br />
ungeradem Seilverlauf die Seilreibung zu verringern.<br />
Kleine, leichte Schraubkarabiner eignen<br />
sich für den Aufbau des Standplatzes. Neben dem<br />
Schraubkarabiner am Sicherungsgerät benötigt<br />
man noch drei weitere Schraubkarabiner und zwei<br />
einzelne Karabiner; beispielsweise für die Schuhe<br />
oder um Schlingen zu verlängern.<br />
Sicherungsgerät<br />
Meistens wird mit zwei Seilen geklettert und auch<br />
wieder abgeseilt, daher benötigt man ein entsprechendes<br />
Sicherungsgerät mit zwei Öffnungen und<br />
einer sogenannten Guide-Funktion, um den Kletterpartner<br />
im Nachstieg von oben am Standplatz<br />
zu sichern. Wichtig ist hier, dass der angegebene<br />
zulässige Seildurchmesser auf dem Sicherungsgerät<br />
mit den verwendeten Seilen übereinstimmt!<br />
Bei ganz dünnen Halb- oder Zwillingsseilen sind<br />
Sicherungshandschuhe nützlich!<br />
Helm<br />
Ein Helm schützt den Kopf bei Steinschlag und<br />
unkontrollierten Stürzen gegen die Wand. Zu beachten<br />
ist hier, dass Kletterhelme keine expliziten<br />
Sturzhelme sind, sondern als Schutzhelm gegen<br />
herabfallende Gegenstände konzipiert sind. Den<br />
besten Anprallschutz zeigen laut einer US-Studie<br />
die sogenannten In-Mold-Helme.<br />
HALBSEIL, ZWILLINGSSEIL ODER<br />
EINFACHSEIL?<br />
Halbseile sind am vielseitigsten einsetzbar, da<br />
man sie entweder beide oder einzeln (sogenannte<br />
Halbseiltechnik) in die Zwischensicherungen<br />
einhängen kann. Die Halbseiltechnik<br />
wird empfohlen, wenn die Sicherungen nicht in<br />
einer geraden Linie liegen (Seilreibung verhindern,<br />
das linke Seil wird links eingehängt,das<br />
rechte Seil rechts) oder die Sicherungen selbst<br />
gelegt wurden, da mit einem einzelnen Seil<br />
weniger Kraft auf die Zwischensicherung wirkt,<br />
als bei zwei eingehängten Seilen. Zwillingsseile<br />
sind die leichtere, dünnere Variante, wobei Zwillingsseile<br />
immer zusammen in die Zwischensicherungen<br />
eingehängt werden müssen. Der<br />
Nachsteiger darf nur an beiden Seilen gesichert<br />
klettern.<br />
Beim alpinen Sportklettern schwieriger Routen<br />
setzt sich das Einfachseil mehr und mehr<br />
durch. Der Vorsteiger nimmt jedoch zusätzlich<br />
eine «Tag Line» oder «Rap Line» mit: ein gleich<br />
langes, dünneres Seil, an dem beispielsweise<br />
ein Rucksack oder Haulbag mit Wasser, Verpflegung<br />
und Jacken hinterhergezogen werden<br />
kann. Zum Abseilen werden dann beide Seile in<br />
voller Länge verwendet.<br />
Expertentipp: Seile mit stark unterschiedlichem<br />
Durchmesser dürfen zum Abseilen<br />
nicht mit einem Sackstich verbunden werden,<br />
da die Gefahr besteht, dass das dünnere Seil<br />
durchrutscht. Zum Abseilen werden die Seile<br />
hier mit einem doppelten Spierenstich verbunden.<br />
Durch den Abseilring wird dann immer<br />
das dickere Seil gefädelt!<br />
Klemmgeräte<br />
Verlässliche Informationen sind hier Gold wert: Wie<br />
ist die Route abgesichert? Brauche ich Keile oder<br />
Cams? Bei einer Route im rissdurchzogenen Granit<br />
von Salbit oder Furka, bei der sogar die Stände<br />
selber eingerichtet werden müssen, sollte man mit<br />
einem doppelten Satz Keilen und Cams planen. Im<br />
kompakten Kalkgestein des Rätikon finden mobile<br />
Sicherungen eher selten Platz; ein Sortiment an<br />
Keilen schadet aber nie: Ein gut gelegter Keil an der<br />
richtigen Stelle beruhigt die Nerven ungemein!
RÜCKZUG AUS DER WAND<br />
MOUNTAIN BOOTS<br />
HANDCRAFTED WITH PASSION<br />
BORN IN BAVARIA – WORN AROUND THE WORLD<br />
ECHTE HANDARBEIT AUS EUROPA<br />
GEZWICKTE MACHART // WIEDERBESOHLBAR<br />
EXTREM LANGLEBIG<br />
Hanwag Friction II GTX ®<br />
INSPIRATION 02 / <strong>2018</strong><br />
WWW.HANWAG.DE<br />
Kälteisolierter, steigeisenfester Bergschuh für Gletscher und Fels.<br />
Perfekt geeignet für alpines Gelände. Dank GORE-TEX ® Innenfutter sowie<br />
hochwertigem Velours-, Cordura ® - und Neopren-Materialmix hält der<br />
Friction II GTX ® die Füße auch bei anspruchsvoller Kletterei in<br />
Schnee und Eis zuverlässig warm und trocken.<br />
33
34<br />
CLIMB FREE<br />
IM HEILIGEN LAND
WEGWEISER ISRAEL<br />
TEXT DOMINIK OSWALD<br />
FOTOS MIKULAS ZUBEC<br />
Der tschechische Überkletterer<br />
Adam Ondra besucht auf Einladung<br />
von Ofer Blutrich Israel<br />
und klettert dabei mit «Climb<br />
Free» die erste 9a-Route des Landes.<br />
Ein kurzer Einblick in ein nicht<br />
ganz alltägliches Kletterziel.<br />
Ein gepanzertes Fahrzeug kommt uns entgegen. Uri,<br />
unser Fahrer, lässt die Fensterscheibe herunter.<br />
Er wechselt ein paar Worte mit den Soldaten – sie<br />
zeigen in Richtung Sonnenuntergang, Richtung Libanon.<br />
Wir wenden das Fahrzeug – jetzt kennt Uri den richtigen<br />
Weg. Ich frage, ob die Soldaten die Grenze bewachen. «Ja,<br />
aber es ist friedlich hier», versucht Uri uns zu beruhigen.<br />
Es könnte friedlicher nicht sein. Auf einem erdigen Pfad<br />
treten wir in eine Ebene hinaus. Nebst Zikadengeräusch<br />
klingt von fern der Gesang eines Muezzins zu uns herüber.<br />
Sonst ist es ruhig. Dann ertönt ein Schrei. Offenbar<br />
sind sie nicht mehr weit entfernt. Doch als wir sie erreichen,<br />
ist es schon zu spät: Adam Ondra hat soeben die<br />
härteste Route Israels erstbegangen.<br />
Adam folgte einer Einladung von Ofer Blutrich, dem<br />
stärksten Kletterer Israels. Er ist so etwas wie der Motor<br />
des Kletterszene im Heiligen Land. Vor 20 Jahren absolvierte<br />
er seinen obligatorischen Militärdienst, während<br />
eines Jahres war er in feindlichem Gebiet in Libanon stationiert.<br />
«Auf mich wurde mit so ziemlich jedem Geschoss<br />
gefeuert, das ihr euch vorstellen könnt», erzählt er. Doch<br />
Ofer hatte Glück, kam stets mit dem Schrecken davon.<br />
2000 reiste er in die Schweiz, was seine Augen öffnete:<br />
«Dort sah ich zum ersten Mal, was Leben in Frieden<br />
bedeutet.» Er kehrte nach Israel zurück mit einer neuen<br />
Vorstellung von Leben. Kurz danach verliess er die Armee<br />
und begab sich als Rucksacktourist auf eine Weltreise.<br />
«Ich bin als Wanderer gestartet und als Kletterer heimgekehrt»,<br />
sagt er rückblickend. Im Laufe seiner Weltreise<br />
wurde er ins Klettern eingeführt und hatte fortan nur<br />
noch Augen für kletterbaren Fels. Als er 2002 nach Israel<br />
zurückkehrte, hatte er kaum mehr als ein Jahr Klettererfahrung<br />
– und schaffte trotzdem bereits den Schwierigkeitsgrad<br />
7c. Doch seine neu erworbene Fähigkeit<br />
brachte ihm in Israel der Jahrtausendwende wenig, wie<br />
er erzählt: «Klettern war kaum ein Thema in Israel und<br />
wenn, dann wurde es konservativ betrieben. Das heisst,<br />
es wurden einfache Routen geklettert im Sinne von<br />
Alpinismus, aber nicht Sportklettern.» Ofer begann seine<br />
eigenen Routen zu bohren. Nacheinander bescherte er<br />
seinem Land die erste 8a, 8b, 8c, 8c+. Doch die erste 9a<br />
war jemand anderem vorbehalten: Adam Ondra.<br />
VERSTECKT IM NIRGENDWO<br />
Der Ort des Geschehens ist die Nezer Cave: eine Kalkgrotte,<br />
die man nicht erahnen kann. Nur wenige Hundert<br />
Meter von den nächsten libanesischen Siedlungen<br />
entfernt, gibt es keinerlei Anzeichen dafür, dass es<br />
hier in der Nähe kletterbaren Fels geben könnte. Und<br />
doch – plötzlich steht man vor einer Grube, von der man<br />
zuerst nicht viel mehr sieht als ein dichtes Gewirr von<br />
Feigenbaum-Ästen. Nur mit viel Vorstellungsvermögen<br />
kann man die rötlichen Felsen erahnen. Doch wenn man<br />
schliesslich absteigt und hinter die Feigenbäume schaut,<br />
tut sie sich auf: die gewaltige, stark überhängende Nezer<br />
Cave mit den härtesten Routen Israels. Unter 8b gibt's<br />
hier nur wenig zu klettern. Nach seiner erfolgreichen<br />
Erstbegehung hat Adam noch nicht genug. Er klettert<br />
eine 8c+ onsight, die er für die Kamera gleich wiederholt.<br />
Ofer versucht eines seiner Projekte und macht<br />
Hinter dem Feigenbaum:<br />
die gewaltige, stark<br />
überhängende Nezer<br />
Cave mit der härtesten<br />
Route Israels.<br />
INSPIRATION 02 / <strong>2018</strong><br />
35
WEGWEISER<br />
Im Überhang der «Nezer<br />
Cave». Adam Ondra klettert die<br />
Route «Matrix» (8c+) onsight.<br />
zum Ausklettern eine 8b+. Im<br />
Licht der Stirnlampe versucht<br />
Adam schliesslich eine Kombination<br />
zweier Routen, deren<br />
Züge allerdings nicht gelingen<br />
möchten. «Das könnte auch eine<br />
9c sein», meint er, «aber unlohnend.»<br />
Schliesslich gibt er auf. Als wir wieder zur Ebene<br />
hochsteigen, ist der Muezzin verstummt. Hyänen heulen.<br />
Wir steigen in Ofers kleinen Hyundai – knapp fahrtauglich,<br />
Seile im Kofferraum und Black-Diamond-Aufkleber, die<br />
die Rostflecken am Heck knapp bedecken. Die Fahrt nach<br />
Haifa dauert rund zwei Stunden. Adam nach Israel zu<br />
holen, bedeutete einen immensen Aufwand für Ofer, was<br />
allerdings weniger an Adam lag als an der Koordination<br />
mit den Behörden. Für die Nezer Cave musste extra eine<br />
Bewilligung zum Klettern eingeholt werden, da sie um<br />
diese Jahreszeit eigentlich geschlossen ist. Überhaupt sind<br />
die behördlichen Verbote ein Problem. «Die meisten<br />
Gebiete sind ohne ersichtlichen Grund gesperrt», erzählt<br />
Ofer. Das generelle Kletterverbot hängt auch damit zu<br />
sammen, dass man den Staat als Landeigentümer verklagen<br />
könnte, falls einem etwas zustossen sollte.<br />
DER BESTE FELS DER WELT?<br />
Wie schätzt er das Potenzial ein, will ich von Adam wissen.<br />
«Die Nezer Cave gefällt mir sehr gut, aber das wird<br />
trotzdem nicht der neue Hotspot des Kletterns», meint er<br />
trocken, «dazu ist die Grotte zu klein und die Konkurrenz<br />
rund um das Mittelmeer mit Griechenland, Türkei, Italien,<br />
Spanien zu gross». Wir fahren am Galiläa-See vorbei –<br />
auf der anderen Seite liegt Jordanien. Es ist dunkel und<br />
es sind kaum Lichter auszumachen. Wir kommen auf<br />
das norwegische Flatanger zu sprechen, wo Adam Ondra<br />
kürzlich Klettergeschichte geschrieben hat, als er mit<br />
«Project Hard» die erste 9c der Welt geklettert ist. Für<br />
Adam ist das der beste Fels der Welt: «Das sind einfach<br />
richtig klassische Boulder, wie sie sonst am Boden liegen,<br />
die du dort in 45 Metern Höhe antriffst. Und bis du auf der<br />
Höhe bist, kletterst du oft 8b oder mehr.» Adam hat schon<br />
rund dreissig Wochen in Flatanger verbracht, um Change<br />
und jüngst Silence zu klettern. Beides Meilensteine: erste<br />
9b+ der Welt und erste 9c. Und was kommt als Nächstes?<br />
Er schmunzelt nur: «Ich habe immer noch viele Projekte in<br />
Italien, Spanien, Norwegen, Tschechien … 9b, 9b+, vielleicht<br />
härter …»<br />
Ofer Blutrich ist ein stiller Mann mit schwarzen Locken.<br />
Als ich ihn am Ende eines voll bepackten Klettertags<br />
frage, ob er müde sei, antwortet er nur: «No,<br />
I wanna go on.» Der Mann ist voller Energie. Aber<br />
er wirkt manchmal müde, nachdenklich, fast etwas<br />
teilnahmslos. Von den endlosen Erklärungen? Von<br />
den Verhandlungen mit den Behörden? Die Autofahrt<br />
durchs nächtliche Jordantal nach Haifa dauert – es<br />
bleibt viel Zeit, übers Sportklettern zu diskutieren.<br />
Wer klettert als Nächstes 9c? Wann wird die erste 10a<br />
geklettert? Natürlich gibt es darauf keine Antworten.<br />
36
ISRAEL<br />
ISRAEL<br />
IN ZAHLEN<br />
8<br />
KLETTERHALLEN GIBT ES<br />
AKTUELL IN ISRAEL<br />
30<br />
KLETTERGEBIETE LISTET<br />
DIE WEBSITE 27CRAGS.COM<br />
FÜR ISRAEL<br />
32<br />
SPORTKLETTERROUTEN<br />
UND EINEN BOULDER<br />
KÖNNEN IN DER NEZER CAVE<br />
GE KLETTERT WERDEN<br />
Gewürze, die zu bunten Haufen geformt sind. Wir stehen<br />
am Grab von Jesus und an der Klagemauer, als sich<br />
jüdische Gläubige zum Shabbat einfinden. Am Ende des<br />
Tages sitzen wir erledigt in der Hotellobby. Adam liest<br />
immer noch Dinge auf Wikipedia nach: «Das armenische<br />
Viertel haben wir nicht gesehen.» Am nächsten Tag<br />
suchen wir ein Klettergebiet in der Westbank auf, es liegt<br />
am Übergang zur judäischen Wüste. Im Sommer herrschen<br />
hier Temperaturen um 40 Grad Celsius, an Klettern<br />
ist nicht zu denken. Jetzt im November geniessen wir<br />
angenehme 20 Grad. Wir passieren den Checkpoint zum<br />
palästinensischen Autonomiegebiet des Westjordanlandes.<br />
Adam versucht die härteste Route: 8c. Im Onsightversuch<br />
fällt er am Schlüsselzug. Als er ein zweites<br />
Mal einsteigt, steht die Sonne hoch. Er fällt wieder.<br />
«Zu heiss», sagt er. Wir ziehen ab. Den Rest des Tages<br />
verbringen wir am Toten Meer. Weit vor der Küste liegt<br />
ein verlassener Bootssteg mitten im Sand. «Der Wasserspiegel<br />
senkt sich jährlich um einen Meter», erklärt Ofer.<br />
Weil sämtliche Zuflüsse für die Stromgewinnung genutzt<br />
werden, fehlt der Frischwasserzulauf. Das Wasser besteht<br />
zu einem Drittel aus Salz, Schwimmen in der Lauge ist<br />
eine spezielle Erfahrung wegen des starken Auftriebs. Als<br />
Kletterer verbindet mehr als ein Seil: Adam Ondra und Ofer<br />
Blutrich nach Adams Erstbegehung von «Climb Free» (9a).<br />
Ich frage stattdessen, ob Adam sich Gedanken macht<br />
zur politischen Dimension, die seine Reise nach Israel<br />
annehmen könnte. «Ja, das habe ich», antwortet Adam<br />
ganz ruhig. Er ist nicht der Typ Kletterer, der nur Augen<br />
für Felsen hat. Und er fügt an: «Ich komme viel herum,<br />
ich wäre dumm, wenn ich mich nicht für Land und Leute<br />
interessieren würde.» Dennoch: Wer sich nach Israel<br />
einladen lässt, wird automatisch zum Repräsentanten<br />
eines umstrittenen Staats. Und plötzlich ist alles Politik,<br />
wie Adam später erfahren wird.<br />
Tatsächlich spielen Land, Leute und Kultur bei diesem<br />
Trip eine grössere Rolle als das Klettern selbst. Am Ruhetag<br />
führt uns ein Guide durch Jerusalem, die pulsierende<br />
Sta<strong>dt</strong>, in welcher drei von fünf Weltreligionen verwurzelt<br />
sind. Wir schlängeln uns durch den Markt, probieren<br />
Fruchtsäfte, Fladenbrote und an einem iranischen Stand<br />
INSPIRATION 02 / <strong>2018</strong><br />
37
WEGWEISER ISRAEL<br />
wir genug vom «Floaten» haben, schmieren wir<br />
uns mit dem Sandschlamm ein – das soll gut sein<br />
für die Haut. «Ich würde die 9a gerne ‹climb<br />
free› taufen», sagt Adam zu Ofer. «In Anlehnung<br />
an deine Bemühungen, das Klettern in Israel zu<br />
befreien.» Sie einigen sich auf den Namen. Adam<br />
malt «climb» in Ofers schlammbedeckten Rücken<br />
und Ofer «free» auf Adams Rücken.<br />
KLETTERN & POLITIK<br />
Das Bild sorgt später in den sozialen Medien für<br />
Kritik: «climb free» wird als zynische Botschaft<br />
verstanden in einem Land, das sich seit seiner<br />
Staatsgründung vor 70 Jahren in einem freiheitsraubenden<br />
Konflikt befindet. Adam reagiert mit<br />
einem Post: «Ich wollte die Politik eigentlich beiseite<br />
lassen und betonen, dass das Klettern für jeden frei<br />
sein sollte und es nicht wirklich von Land, Religion,<br />
Geschlecht oder Rasse abhängt. Die Lage im<br />
Nahen Osten ist aus europäischer Sicht äusserst<br />
kompliziert und schwer zu verstehen. Freiheit ist<br />
etwas, das dort immer begrenzt sein wird. Klettern<br />
ist ein guter Ausweg, denke ich.»<br />
Route auf dem Rücken: Adam Ondra<br />
und Ofer Blutrich mit Fango-Packung<br />
am Strand des Toten Meers.<br />
38
FREI<br />
KLETTERN<br />
Sie müssen ja nicht gleich Rekorde<br />
aufstellen – aber mit diesen drei<br />
Produkten für ambitionierte Kletterer<br />
können Sie Ihre persönlichen<br />
Ziele gerne höher stecken. Welches<br />
Projekt steht diesen Sommer auf<br />
Ihrer Liste?<br />
«Schon Wolfgang Güllich<br />
sagte, Klettern hiesse,<br />
frei zu sein. Und was<br />
heisst frei sein für uns<br />
heute?»<br />
JONAS SCHILD<br />
BERGSPORTBERATER BERN<br />
BÄCHLI<br />
SERVICE<br />
EINKAUFS-<br />
BEGLEITUNG<br />
Unsicher, welche Hose passt und<br />
für den geplanten Einsatz geeignet<br />
ist? Am besten lassen Sie sich<br />
beraten. Der Bächli Bergsport Einkaufsbegleiter<br />
hilft gerne weiter.<br />
baechli-bergsport.ch/<br />
de/Service/Einkaufsbegleiter<br />
SITZ<br />
SCHAUKEL<br />
Im Inneren des Solutions von Black Diamond<br />
befinden sich drei einzelne, flache Gurtbänder.<br />
Durch diese passt sich der Gurt sehr<br />
gut an die Körperbewegungen an, Druck<br />
wird gleichmässiger verteilt, empfindliche<br />
Stellen am Standplatz oder bei langen Sicherungseinsätzen<br />
werden entlastet. Die<br />
gleiche Technologie kommt auch an den<br />
breiten, EVA-gepolsterten Beinschlaufen<br />
zum Einsatz. Die Beinschlaufen sind nicht<br />
verstellbar, werden jedoch über einen elastischen<br />
Riemen in Position gehalten. Über<br />
eine Slide Bloc Schnalle lässt sich der leichte<br />
Sportklettergurt sehr schnell anziehen.<br />
Der Solution ist mit vier vorgeformten Materialschlaufen<br />
und einer Befestigungsschlaufe<br />
für den Chalkbag ausgestattet.<br />
FEIN<br />
FÜHLER<br />
Die Sohle des Futura besteht aus einer<br />
drei Millimeter dünnen, homogenen<br />
Gummischicht, die komplett ohne Kanten<br />
auskommt. Dadurch ist der Schuh extrem<br />
sensibel und präzise. Der Fuss kann<br />
gleichmässigen Druck auf die Kontaktfläche<br />
ausüben, unabhängig von der Form<br />
des Trittes. Die Vibram XS Grip 2 Gummimischung<br />
gibt sehr guten Grip auf unterschiedlichen<br />
Untergründen und prädestiniert<br />
den Schuh auch für überhängende<br />
Routen. Ein spezielles System in der Zwischensohle<br />
erhöht die Formstabilität, sodass<br />
der Down-Turn des Kletterschuhs<br />
auch bei längerer Nutzung erhalten bleibt.<br />
Über ein Schnellschnürsystem, das mit einem<br />
Klettverschluss kombiniert ist, lässt<br />
sich der Futura mit nur einem Handgriff<br />
öffnen und schliessen.<br />
FREI<br />
GEIST<br />
Der Name ist Programm: Die Nevermind<br />
2 Pants von Montura geben keinen Anlass<br />
zur Sorge. Das elastische Material, eine<br />
Mischung aus Baumwolle, Polyester und<br />
Elasthan, ist locker geschnitten und lässt<br />
viel Bewegungsfreiheit beim Klettern oder<br />
Bouldern. Gleichzeitig ist es robust genug<br />
für gelegentlichen Felskontakt. Der flache<br />
Stretchbund stört nicht unter dem Klettergurt.<br />
Die Hose ist mit zwei Einschubtaschen<br />
und zwei Gesässtaschen mit Klettverschluss<br />
ausgestattet. Mit ihrer lässigen<br />
Optik sieht sie auch im Alltag und auf Reisen<br />
gut aus.<br />
SOLUTION<br />
BLACK DIAMOND<br />
Gewicht 330 g (Grösse M)<br />
Preis CHF 79.–<br />
FUTURA<br />
LA SPORTIVA<br />
Gewicht 430 g (Paar)<br />
Preis CHF 175.–<br />
NEVERMIND 2 PANTS<br />
MONTURA<br />
Gewicht 370 g<br />
Preis CHF 105.–<br />
39
GIPFELTREFFEN GIULIANO CAMERONI<br />
WETTKAMPF IST<br />
NICHT MEIN DING<br />
Der 20-jährige Tessiner Giuliano Cameroni ist einer der stärksten<br />
jungen Kletterer der Welt. Beim Bouldern am Teufelsstein bei<br />
Göschenen verrät er, warum er kein guter Wettkampfkletterer ist –<br />
und trotz aller Faszination für den Sport niemals im Leben Free<br />
Solo klettern würde.<br />
INTERVIEW REMO SCHLÄPFER<br />
Giuliano, an welchen ersten Klettermoment<br />
kannst du dich erinnern?<br />
Als ich sechs Jahre alt war, nahmen<br />
mich meine Mutter und mein Vater<br />
mit zum Bouldern in Chironico. Ich<br />
sah, wie eine Gruppe von Leuten<br />
einen Plattenboulder probierte, der<br />
ungefähr mit der Schwierigkeit 6a+<br />
bewertet ist. Mir gefiel der Boulder, so<br />
wagte ich ebenfalls einen Versuch –<br />
mit Erfolg. Ich durchstieg ihn und war<br />
ziemlich erstaunt, dass nicht alle der<br />
Gruppe den Boulder klettern konnten.<br />
In meiner kindlichen Naivität dachte<br />
ich, wenn ich das kann, dann müssen<br />
es die anderen doch auch können.<br />
Seither sind 14 Jahre vergangen.<br />
Was war bisher der grösste Moment,<br />
den du beim Klettern erlebt hast?<br />
Das war wohl der Durchstieg des<br />
Boulders «Dreamtime» in Cresciano<br />
im Tessin. Fred Nicole hat ihn im<br />
Jahr 2000 erstbegangen, er ist einer<br />
der berühmtesten Boulder der Welt.<br />
Für mich war es aber vor allem<br />
eine traumhafte Linie. Und ich war<br />
motivierter als je zuvor, Zeit in einen<br />
Boulder zu investieren. Ziemlich viel<br />
Zeit. An 25 Tagen, über zwei Jahre<br />
verteilt, feilte ich an den einzelnen<br />
Bewegungen von «Dreamtime», bis<br />
ich die für mich optimale Lösung<br />
gefunden hatte und die äusseren<br />
Bedingungen wie Temperatur und<br />
Feuchtigkeit perfekt waren.<br />
Deine Mutter kletterte als eine der<br />
ersten Frauen eine 8a. Dein Vater<br />
prägte die Tessiner Kletterszene mit<br />
zahlreichen Erstbegehungen. Wie<br />
haben deine Eltern dich beeinflusst?<br />
Klar, ohne meine Eltern würde ich<br />
heute wohl nicht klettern. Als Familie<br />
waren wir fast jedes Wochenende<br />
draussen in der Natur auf der Suche<br />
nach neuen Blöcken und eröffneten<br />
neue Boulder. Das machte mir bereits<br />
als Kind riesig Spass. Obwohl meine<br />
Eltern passionierte Kletterer waren,<br />
FOTO: ZVG<br />
40
GIULIANO CAMERONI<br />
Wenige Tage nach dem Interview<br />
gelingt Giuliano Cameroni die<br />
Erstbegehung einer neuen Route<br />
am Teufelsstein.<br />
INSPIRATION 02 / <strong>2018</strong><br />
41
GIPFELTREFFEN<br />
hatte ich aber nie das Gefühl oder<br />
den Druck, dass ich ebenfalls klettern<br />
müsse. Doch sie haben ihre Begeisterung<br />
für den Sport an mich weitergegeben<br />
und mich stets unterstützt.<br />
Das spürt man. Du scheinst vor Motivation<br />
und Begeisterung fürs Klettern<br />
zu sprudeln. Kannst du dir ein Leben<br />
ohne Klettern überhaupt vorstellen?<br />
Bouldern hat in meinem Leben einen<br />
sehr hohen Stellenwert. Allerdings<br />
gab es auch Phasen, in denen ich nur<br />
selten am Fels anzutreffen war.<br />
Mit 16 Jahren bin ich oft Skateboard<br />
gefahren. Doch ziemlich schnell habe<br />
ich gemerkt, dass es mir am meisten<br />
Spass macht, in den Wäldern des<br />
Tessins neue Felsblöcke zu suchen<br />
und zu klettern.<br />
Hast du darüber nachgedacht, voll<br />
und ganz auf die Karte «Bouldern»<br />
zu setzen?<br />
Klettern zu meinem Beruf zu machen,<br />
ist für mich ganz klar ein Ziel.<br />
Ich möchte so viel wie möglich klettern<br />
und dem Sport etwas zurückgeben,<br />
indem ich neue Routen eröffne<br />
und Gebiete entdecke. Auf der<br />
Fahrt hierher zum Interview habe<br />
ich auch mit meinem Vater über<br />
die Zukunft gesprochen. Wir waren<br />
uns einig, dass es wohl langweilig<br />
und eintönig wird, wenn man nur<br />
noch klettert und jeden Tag am Fels<br />
verbringt. Ich beginne im Herbst ein<br />
Studium, auch um für den Moment<br />
vorzusorgen, an dem ich die Lust<br />
am Klettern verliere. Aber wir sprechen<br />
hier wirklich von der Zukunft.<br />
Nach Abschluss des Studiums werde<br />
ich sicherlich zuerst ein Leben<br />
als Profiathlet verfolgen.<br />
Aber Profikletterer haben auch<br />
gewisse Zwänge gegenüber ihren<br />
Sponsoren. Du musst spektakuläre<br />
Linien oder hohe und riskante Boulder<br />
begehen, die sich vermarkten<br />
lassen. Was würdest du nie machen,<br />
wo liegen für dich die Grenzen?<br />
Ich habe bereits einige Highballs 1<br />
erstbegangen, weil es einfach<br />
wunderschöne Felsformationen und<br />
Boulderrouten waren. Doch wenn<br />
ich riskante Boulder klettere, bin<br />
ich nicht auf der Suche nach dem<br />
Adrenalinkick. Wenn der Ausstieg<br />
eines Felsblocks hoch ist, übe ich<br />
diese Bewegungen zehn, vielleicht<br />
zwanzig Mal, um wirklich sicherzustellen,<br />
dass ich nicht stürze. Was<br />
ich sicher nie machen würde, ist<br />
Free-Solo-Klettern. Ich will mein<br />
Leben beim Klettern nicht aufs<br />
Spiel setzen.<br />
1<br />
Unter einem Highball versteht man eine Boulder <br />
route, bei der der Ausstieg so hoch liegt, dass man<br />
nicht mehr abspringen oder stürzen sollte.<br />
Giuliano und Samuel Ometz entfliehen<br />
am Gotthardpass der sommerlichen<br />
Hitze der tiefer gelegenen Gebiete.<br />
FASZINATION<br />
FELS<br />
Giuliano Cameroni, 1997 in<br />
Montagnola bei Lugano geboren,<br />
klettert seit seiner Kindheit. Im<br />
Alter von 16 Jahren schrieb der<br />
Tessiner mit der Begehung des<br />
Boulders «The story of the two<br />
worlds» (Fb 8c) Klettergeschichte.<br />
Er war der jüngste Kletterer,<br />
dem ein Boulder in dieser<br />
Schwierigkeitsklasse gelang.<br />
Die Faszination für die Vertikale<br />
hat Giuliano Cameroni bis heute<br />
nicht verloren. «Dolce Vita» ist<br />
für den 20-Jährigen, wenn der<br />
Tag mit einem guten Cappuccino<br />
um 10 Uhr beginnt, er möglichst<br />
viel Zeit am Fels verbringen<br />
kann und den Tag mit einem guten<br />
Glas Wein ausklingen lässt.<br />
42
Die meisten Profiathleten nehmen<br />
an Wettkämpfen teil. Du hast vor vier<br />
Jahren dem Wettkampfbouldern den<br />
Rücken gekehrt. Warum?<br />
Mir gefällt das Klettern, oder in<br />
meinem Fall Bouldern, an Plastik<br />
nicht. Ich bin lieber draussen in der<br />
Natur. Am Fels sind Tritte und Griffe<br />
nicht farblich vorgegeben und der<br />
Kletterstil ist ganz anders als in den<br />
Kletterhallen. Vor allem bei den Wettkämpfen<br />
entfernt sich der Stil der<br />
Routen immer mehr von den Bewegungen<br />
und Abfolgen am Fels. Wer<br />
einen Wettkampf mitverfolgt – und<br />
das ist sehr spannend und unterhaltsam<br />
– der stellt fest, dass sich die<br />
Boulderrouten durch spektakuläre<br />
Sprünge und dynamische Bewegungen<br />
auszeichnen.<br />
Draussen am Fels bist du top, in der<br />
Halle flop. Warum?<br />
Wie schon gesagt, koppelt sich das<br />
Indoorbouldern immer weiter ab.<br />
Wer an Wettkämpfen erfolgreich<br />
sein will, muss sehr spezifisch und<br />
sehr intensiv trainieren. Viele Wettkampfsportler<br />
trainieren mehrere<br />
Stunden pro Tag in der Boulderhalle,<br />
respektive im Fitnessstudio. Das<br />
ist einfach nicht mein Ding. Gäbe<br />
es Wettkämpfe am Fels, würde ich<br />
sofort mitmachen – und wäre sicher<br />
FOTO LINKS: ZVG, RECHTS: REMO SCHLÄPFER<br />
SUSTAINABLE CLOTHING MOVEMENT<br />
With each product we design, we consider how<br />
it will impact the quality of your adventure, the<br />
environment, and the lives it touches along the way.<br />
INSPIRATION 02 / <strong>2018</strong><br />
43
GIPFELTREFFEN GIULIANO CAMERONI<br />
Schon im Alter von<br />
13 Jahren war Bouldern<br />
Giulianos Leidenschaft.<br />
«Am meisten<br />
Spass macht es, in<br />
den Wäldern des<br />
Tessins neue Felsblöcke<br />
zu suchen<br />
und zu klettern.»<br />
auch erfolgreicher, als ich es beim<br />
Wettkampfklettern war.<br />
Wie schätzt du das Gleichgewicht<br />
zwischen Indoor- und Outdoorklettern<br />
ein?<br />
Der aktuelle Trend zeigt klar in<br />
Richtung «Plastikklettern», wie ich<br />
es gerne nenne. Viele Leute beginnen<br />
heute in Kletterhallen, wagen<br />
jedoch nie den Schritt an den Fels.<br />
So wird Klettern quasi zur Alternative<br />
des reinen Fitnesstrainings an<br />
Geräten. Ich hoffe sehr, dass sich im<br />
Profi- als auch im Amateurbereich<br />
Indoor- und Outdoorklettern auch<br />
in Zukunft die Waage halten, so wie<br />
es auch derzeit noch der Fall ist. Ich<br />
wünsche mir für zukünftige Kletterer-Generationen,<br />
dass auch sie die<br />
Faszination des Felskletterns in der<br />
freien Natur erkennen – und so viel<br />
Zeit wie möglich draussen verbrin<br />
gen. Zu dieser Faszination möchte<br />
ich mit dem Eröffnen neuer Routen<br />
einen kleinen Beitrag leisten und<br />
hoffe sehr, dass mir das gelingt.<br />
Wo siehst du den Klettersport in<br />
zehn Jahren?<br />
Im Herbst 2016 hat mein Freund<br />
Nalle Hukkataival den schwersten<br />
Boulder der Welt geklettert (9a Fb<br />
auf der Schwierigkeitsskala). Wir<br />
werden sicherlich noch mehr Begehungen<br />
in diesem Schwierigkeitsgrad<br />
erleben. Eine weitere Entwicklung<br />
sehe ich in der Spezialisierung.<br />
Der Franzose Charles Albert, oft<br />
auch Mowgli genannt, ist hier ein<br />
gutes Beispiel. Er klettert barfuss<br />
und begeht schon jetzt Boulder mit<br />
einer Schwierigkeit von 8c+. Ich bin<br />
überzeugt, dass er noch Routen klettern<br />
wird, die niemand sonst klettern<br />
kann, weil sie so spezifisch sind.<br />
VERSCHIEDENE<br />
KLETTER<br />
DISZIPLINEN<br />
Bouldern<br />
Eine Form des Freikletterns<br />
ohne Seil und Gurt an Felsblöcken,<br />
Felswänden oder an künstlichen<br />
Wänden in Absprunghöhe.<br />
Sportklettern<br />
Unter Sportklettern versteht<br />
man eine Form des Freikletterns<br />
an Felsen oder Kunstwänden,<br />
bei der ein Seil und ein Klettergurt<br />
zur Sicherung verwendet<br />
werden.<br />
Free-Solo-Klettern<br />
Unter Free-Solo-Klettern versteht<br />
man eine Form des Freikletterns<br />
an Felswänden, bei der<br />
im Alleingang und ohne technische<br />
Hilfs- und Sicherungsmittel<br />
geklettert wird. Ein Absturz hat<br />
fatale oder gar tödliche Folgen.<br />
FOTO: ZVG<br />
44
L.I.M Bield Jacket<br />
Minimalistisch und extrem gut<br />
verstaubar – ultraleichter und verlässlicher Wetterschutz<br />
mit komfortablem Design. Die Neuheit aus der „Less-is-more“<br />
Kollektion. Konstruiert aus unserer nachhaltigen<br />
PROOF Membran.<br />
L.I.M Bield Jacket<br />
www.haglofs.com<br />
INSPIRATION 02 / <strong>2018</strong>
H A U S B E R G<br />
VERSTECKT<br />
IM WALD<br />
PROTOKOLL DOMINIK OSWALD<br />
Wald, Hügel – etwas unspektakulär?<br />
Von wegen! Der<br />
Basler Jura hat alles, was ein<br />
richtiger «Hausberg» braucht,<br />
findet Jonas Allemann. Feine<br />
Kalk-Klettereien, ausserhalb<br />
der Alpen. Allerdings: Die<br />
Flühe wollen entdeckt werden<br />
und sie fordern Respekt!<br />
Wenn ich in der Basler Bächli-Filiale meiner Arbeit<br />
als Kundenberater Bergsport nachgehe, tausche<br />
ich mich gerne mit den Kunden über ihre Unternehmungen,<br />
Ambitionen und Erwartungen in den Bergen<br />
aus. Vielfach höre ich, dass sie sich zum Klettern in den Alpen<br />
ausrüsten. Ich frage dann manchmal, weshalb sie bis<br />
in die Alpen fahren, obwohl mir bewusst ist, dass dort die<br />
Musik spielt. Schliesslich fahre ich auch oft in die Alpen.<br />
Oft antworten die Kunden dann: «Ja wohin denn sonst?»<br />
Und dann erzähle ich ihnen vom Basler Jura.<br />
Denn da gibt‘s weit mehr als NUR Hügel und Wälder.<br />
Zugegeben, manchmal muss man die Felsen suchen.<br />
Besonders im Frühling und Sommer sind die Flühe im<br />
üppigen Grün der Wälder versteckt. Dort wo man sie<br />
findet, ist es ruhig, kühl, es duftet nach Frühling und die<br />
Vögel singen. Der Fels ist kompakt und trocken. Eigentlich<br />
erstaunt es mich, dass viele Kletterer den Basler Jura<br />
als Klettergebiet nicht kennen, oder sogar meiden. Wobei,<br />
für das Meiden gibt es schon Gründe: Die Bewertung ist<br />
hart. Auch wer andernorts eine 6c klettert, wird sich an der<br />
einen oder anderen 5c hier die Zähne ausbeissen. Das hat<br />
zum einen damit zu tun, dass es Übersetzungsfehler gab,<br />
als die ursprünglich übliche Alpinskala von der französischen<br />
Skala abgelöst wurde. Zum anderen aber auch, weil<br />
in der Eröffnungsphase um die 80er- und 90er-Jahre eine<br />
gewisse «Kultivierung der Elite» herrschte. Die lokalen<br />
Kletterer wollten bewusst, dass der Basler Jura als eines<br />
der schwierigsten Gebiete gilt. Es sollte keiner kommen<br />
und sich hier leicht seine Lorbeeren verdienen. Der Ruf<br />
etablierte sich und bald kamen die besten Kletterer aus<br />
aller Welt. Um 1986 gab es am Chuenisberg mit der «Ravage»<br />
(8b+/c) die schwerste Route der Welt! Heute ist der<br />
Basler Jura wieder ein bisschen von der Kletter-Weltkarte<br />
B A S L E R J U R A<br />
FOTO: SANDRO VON KÄNEL, ILLUSTRATION: VORLAGE FILIDOR
HAUSBERG BASLER JURA<br />
Rappenfels, Route Salut Phil, 8a+<br />
verschwunden. Obwohl, im vergangenen Sommer schaute<br />
Alex Megos vorbei und hakte eine Vielzahl der harten<br />
Routen ab. Für «Im Reich des Shogun» (9a), welche Eric<br />
Talmadge 2001 nach dreizehn Jahren des Projektierens<br />
erstbegehen konnte, brauchte Megos gerade einmal drei<br />
Versuche – an einem regnerischen Tag. Adam Ondra<br />
hatte 2005 immerhin fünf Anläufe benötigt.<br />
ZURÜCKGEZOGEN IM WALD<br />
Die Kletterei im Basler Jura ist oft technisch anspruchsvoll,<br />
schwer zu lesen, der Grip manchmal schlicht nicht vorhanden<br />
und der Fels nicht immer über alle Zweifel erhaben.<br />
Die Flühe kommen mir manchmal vor wie grosse Tiere,<br />
die zurückgezogen in ihren Wäldern leben und dich erst<br />
mal abblitzen lassen. Aber man kann sich ihnen nähern,<br />
Vertrauen aufbauen und plötzlich beste Freunde werden. So<br />
ging es mir jedenfalls. Früher fuhr ich oft zum Klettern ins<br />
Tessin oder sonst weit weg. Da gehörte ich selber zu jenen,<br />
die keine Augen hatten für das Gute vor der Haustüre. Ich<br />
wusste schon, dass man bei uns klettern kann, dachte<br />
jedoch mehr um einfaches Kraxeln. Schliesslich waren<br />
das auch die Anfänge des Kletterns im Jura: Alpinisten,<br />
die nicht ständig in die Alpen fahren konnten, begannen<br />
an den Flühen zu trainieren. Natürlich gingen sie dann die<br />
eher einfachen Risse und Kamine hoch. Wobei einfach: Ich<br />
kann gut und gerne fünf solche Anstiege aufzählen, die<br />
im vierten oder fünften Grad bewertet sind, einem Kamin<br />
folgen – aber alles andere als leicht sind. Ist man mal drin,<br />
dann kommt man ganz schön ins Schwitzen. Und man<br />
bedenke: Die hatten früher keinen Hochleistungsgummi an<br />
den Sohlen, wie wir heute mit den modernen Kletterfinken.<br />
Und keine Bolts! Viele der rostigen Haken der Erstbegeher<br />
stecken heute noch. Hut ab vor demjenigen, der eine solche<br />
Route mit dieser Sicherung klettert.<br />
Heute bin ich sehr oft und gerne an den heimischen Felsen,<br />
am Wochenende oder nach der Arbeit. Es gibt kaum<br />
etwas Besseres als Feierabendklettern, wenn die Sonne<br />
die Felswand orange leuchten lässt, überall dort, wo sie<br />
einen Durchschlupf durch das Blätterdach findet. Zum<br />
Beispiel an dem Rappenfels. Meine Lieblingsroute dort<br />
ist «Salute Phli» 8a+; sehr technisch, ausdauernd und<br />
mit kleinen Griffen. Für mich eine der schönsten Routen<br />
im gesamten Jura. Mit der «IG Klettern Basler Jura» sind<br />
wir Kletterer gut organisiert. Wir verfolgen aber nicht nur<br />
unsere Interessen, sondern stehen auch mit Kanton, Umweltschutzverbänden<br />
und Landeigentümern in Kontakt.<br />
Das A und O ist doch, dass es harmonisch zugeht. Auch<br />
mit Behörden, die es manchmal nicht so gerne sehen,<br />
wenn an gewissen Felsen geklettert wird, und teils auch<br />
Sektoren schliessen.<br />
Ich versuche das lokale Klettern zu erhalten, indem ich<br />
alte Routen saniere. Die Haken stecken zum Teil schon<br />
seit 30 Jahren im Fels und rosten in allen Farben vor sich<br />
hin. Man will lieber nicht wissen, wie tief sie tatsächlich<br />
im Gestein stecken. Wir haben ein sehr gutes Sanierungskonzept:<br />
Praktisch alle Routen sind heute mit Klebehaken<br />
ausgerüstet, wie man es von Frankreich kennt, also kaum<br />
Bolzenanker und Plättli. Wenn ich eine Route saniere,<br />
dann, wenn möglich, in Absprache mit dem Erstbegeher:<br />
Ich will auf keinen Fall die Route verändern, indem ich die<br />
Haken anders setze. Denn – fast hätte ich den Hauptgrund<br />
vergessen, weshalb viele Kletterer den Basler Jura meiden<br />
– die Hakenabstände haben es teilweise in sich. Auch das<br />
vermutlich ein Erbe der einstigen Elitekultur. Das soll<br />
jedoch niemanden abschrecken. Klettern ist hier so sicher<br />
wie überall sonst. Man muss sich ihnen einfach nähern,<br />
diesen grauen Kalkbäuchen in den dunklen Wäldern. Mit<br />
etwas Zeit wird man Vertrauen aufbauen und sich fragen:<br />
Wieso bin ich nicht schon viel früher hierhergekommen?<br />
INSPIRATION 02 / <strong>2018</strong><br />
47
STANDPLATZ<br />
BOULDERN IM<br />
GLEICHGEWICHT<br />
Grampians, Hueco Tanks, Rocklands – für Mary Gabrieli kommt es nicht<br />
darauf an, wie bekannt eine Boulder-Region ist oder welche Schwierigkeitsgrade<br />
sie zu bieten hat. Vielmehr faszinieren sie die Atmosphäre, die Menschen<br />
und Kulturen um den Fels herum. Seit 30 Jahren bestimmt Bouldern ihr<br />
Leben. Wir trafen sie in Cresciano, dem Boulder-Top-Spot der Schweiz.<br />
TEXT BARBARA MEIXNER<br />
liche Sicht auf die Dinge. Ähnlich wie bei einem Boulder.<br />
Sie blickt auf den rötlichen Stein, der sie gut zwei Meter<br />
überragt. «Wie muss ich mich bewegen, um eine Route zu<br />
schaffen? Welches Material liegt mir vor und wie gehe ich<br />
damit um? Der Fels als Ganzes ist ausschlaggebend.»<br />
Angefangen hat alles mit einem Englischkurs Ende<br />
der 80er-Jahre. «Wir wollten während unseres<br />
USA-Aufenthalts ein bisschen Klettern gehen und<br />
sind im Joshua-Tree-Nationalpark gelandet», sagt Mary<br />
Gabrieli. Dass sie dort auf eine lebenslange Leidenschaft<br />
treffen würde, damit hatte die damals 20-jährige Zürcherin<br />
nicht gerechnet. «Im Nationalpark hatte es zahlreiche<br />
kleinere Felsen und wir probierten das mit dem Bouldern<br />
einfach mal aus!» Was folgte: eine halbjährige Reise kreuz<br />
und quer durch die USA – von Boulder zu Boulder – und<br />
ein Leben an und mit Felsen.<br />
Berge bestimmen seit diesem Zeitpunkt den Lauf der Dinge,<br />
egal, ob bei der Wahl des Reiseziels oder der beruflichen<br />
Entscheidung. «Eigentlich wollte ich Medizin studieren. Aber<br />
dafür war ich zu sehr abgelenkt», erzählt Mary. Nicht im<br />
Negativen, wie sie betont. Durch das Bouldern ergab sich<br />
einfach alles anders als ursprünglich geplant. Als Mitarbeiterin<br />
eines Schweizer Importeurs für Outdoor-Ausrüstung<br />
ist sie auch während ihrer Arbeit in ständigem Kontakt mit<br />
dem Sport. Dennoch gerät ihr jugendliches Interesse für<br />
Medizin und Gesundheit nie in Vergessenheit. Vor 15 Jahren<br />
beginnt sie parallel zu ihrem «normalen» Beruf eine Ausbildung<br />
in Traditioneller Chinesischer Medizin (TCM). Warum<br />
alternative Heilmethoden? Mary interessiert die ganzheit<br />
Dass es der 157 Zentimeter grossen Frau nicht darum<br />
geht, mit ihren Leistungen zu prahlen, merkt man<br />
spätestens, wenn es um das Thema Schwierigkeitsgrade<br />
geht. Etwas verlegen muss sie erst ihren Partner,<br />
Boulder-Profi und -Legende Fred Nicole fragen. Denn<br />
Mary führt keine Liste. «Mir gefällt es, wenn ich eine<br />
entdeckte Linie schaffe zu durchsteigen. Ich glaube, ich<br />
bin im Moment bei einer 6c. Habe aber auch schon eine<br />
7b geklettert.» Doch allein die Bewertung eines Boulders<br />
ist für die Frau mit der wilden Lockenmähne Nebensache.<br />
Draussen am Fels zu sein und dessen Umgebung<br />
spielen für sie eine weit grössere Rolle. Die Menschen,<br />
die Natur, aber auch Kultur und Literatur – einfach alles,<br />
was um den Stein herum passiert.<br />
Besonders spannend findet sie daher das nahe Paris gelegene<br />
Boulder-Gebiet Fontainebleau, ein Wald, der von<br />
magisch anmutenden Felsformationen durchzogen ist.<br />
«An diesem Ort kann ich schnell einmal das Schloss Fontainebleau<br />
um die Ecke besuchen oder für einen Tag nach<br />
Paris fahren, um dort Kunst und Kultur zu erleben.» Und<br />
selbstverständlich spielt auch Partner Fred eine grosse<br />
Rolle bei der Reiseplanung. «Mit ihm hatte ich zum Glück<br />
immer die Möglichkeit, viel zu reisen. Wenn für Fred ein<br />
Projekt ansteht, dann planen wir gemeinsam.»<br />
FOTO : ZVG<br />
48
MARY GABRIELI<br />
«Viele junge Boulderer<br />
sind sich nicht bewusst, wie<br />
privilegiert sie sind, ohne<br />
Einschränkungen zu reisen und<br />
die Natur nutzen zu können.»<br />
PRIVILEG DER FREIEN NATUR<br />
Doch ihre ursprünglichen Lieblingsziele sind heute<br />
zugänglicher und werden stärker frequentiert. Vor allem<br />
in Gebieten wie Hueco Tanks in Texas oder in den südafrikanischen<br />
Rocklands hat sich daher in den vergangenen<br />
30 Jahren viel verändert. «Grundsätzlich finde<br />
ich es zwar gut, dass sich mehr Menschen für den Sport<br />
interessieren und rausgehen. Aber manchmal bekomme<br />
ich den Eindruck, dass viele junge Boulderer sich<br />
nicht mehr bewusst sind, wie privilegiert sie sind, ohne<br />
Einschränkungen zu reisen und die Natur nutzen zu können.»<br />
Auch hier in Cresciano sind an manchen Tagen gut<br />
200 Menschen unterwegs. Dass nicht alle die Umwelt im<br />
Fokus haben, sondern das Leistungsdenken überwiegt,<br />
sieht die erfahrene Kletterin durchaus kritisch. «Das<br />
Verhalten in der Natur sollte eigentlich allen klar sein.<br />
Dem ist aber nicht so und wir treffen immer wieder auf<br />
Toilettenpapier, Zigarettenstummel, Tape-Reste oder<br />
auch Getränkedosen und -flaschen.» Doch nicht nur die<br />
offensichtliche Umweltverschmutzung stösst bei Mary<br />
auf Unverständnis. «Es gibt Leute, die unbedacht Bäume<br />
fällen und Pflanzen vor einem Boulder entfernen, um<br />
die Linie zu klettern. Sie überlegen sich nicht, dass ihr<br />
Tun enormen Einfluss auf das natürliche Gleichgewicht<br />
haben kann», sagt Mary. Daher versucht sie mit anderen<br />
aktiven Bergsportlern durch gezielte Aufklärung, die<br />
sozialen Medien und Aufräumaktionen hierfür ein Bewusstsein<br />
zu schaffen. «Sollten wir nicht alle versuchen,<br />
das Privileg von freier Natur zu erhalten,<br />
um es an die nächste Generation<br />
weiterzugeben?» Mit diesen Worten<br />
studieren ihre Augen den nächsten<br />
Stein. Langsam und bedächtig, um die<br />
Ganzheit der Linie und die Umgebung<br />
zu verstehen.<br />
Info zum Thema «Chasinthe-Rubbish»<br />
finden Sie unter:<br />
baechli-bergsport.ch/chasintherubbish<br />
INSPIRATION 02 / <strong>2018</strong><br />
49
CHRONIK ALPINE TECHNIKEN<br />
GROSSE<br />
HANS DÜLFER<br />
NAMEN<br />
TEXT DOMINIK PRANTL<br />
Ob Prusik-Knoten, Abalakow-Eissanduhr oder Dülfer-Sitz: In allen Bereichen<br />
des Bergsteigens trifft man ständig auf namhafte Vertreter der Alpinismusgeschichte.<br />
Dabei waren diese oft besonders umstrittene Persönlichkeiten.<br />
FOTO: ARCHIV DES DAV, MÜNCHEN<br />
50
Schlaue Menschen aus dem Bannkreis des<br />
Alpinimus behaupten gerne, man könne<br />
und dürfe das Bergsteigen nicht als Sport<br />
im engeren Sinne bezeichnen. Sport ist<br />
nicht mehr als der banale Vergleich von<br />
Leistungen, ein reines Abrackern und Hecheln für<br />
Zahlen und Zeiten, für Siege und Weiten. Das ist<br />
dem Bergsteiger aber zu platt. Der wahre Bergsteiger<br />
müsse vielmehr die Fähigkeit eines Universalgenies<br />
besitzen, sich Wissen aneignen über Wetter<br />
und Geologie – und natürlich vor allem über die<br />
eigene Evolution. Denn wenn es durch die Pallavicini-Rinne<br />
geht, man dem Hinterstoißer-Quergang<br />
entlanghangelt, die Hasse-Brandler-Route oder<br />
den Preußturm meistert, jene Reminiszenzen an<br />
die Vorväter im Stammbaum des Alpinismus, dann<br />
verwandeln sich die Berge in ein Geschichtsbuch mit<br />
unzähligen Seiten. Es gibt sogar ein paar besonders<br />
Auserwählte, denen man beinahe auf jeder echten<br />
Bergtour begegnet.<br />
FALKE · P.O.BOX 11 09 - D-57376 SCHMALLENBERG / GERMANY<br />
FOCUS<br />
D on’t think about SOCKS<br />
because we do<br />
Da ist zum Beispiel Karl Prusik (1896 – 1961). Eigentlich<br />
sollte heutzutage niemand einen Gletscher<br />
betreten, ohne Prusik zu kennen. Denn ihm begegnet<br />
man spätestens dann, wenn ein Seilpartner aus<br />
der Gletscherspalte zu retten ist. Dafür braucht<br />
es laut Lehrbuch die Prusik-Schlinge, die mit Karl<br />
Prusik genauso eng verknüpft ist wie mit dem Seil.<br />
Wobei es heute gewissermassen Meinungsverschiedenheiten<br />
darüber gibt, ob der bei Entlastung recht<br />
lockere Knoten mit Klemmpotenzial auch politisch<br />
korrekt ist. Einige Kritiker schmerzt der Name Prusik-Knoten<br />
schon beim Hinhören so sehr wie Männer<br />
der ebenfalls gut bekannte Sackstich.<br />
Das liegt daran, dass sich das Lebenswerk des promovierten<br />
Wiener Musiklehrers nicht auf seinen 1931<br />
in der «Österreichischen Alpenzeitung» beschriebenen<br />
Klemmknoten beschränkt. Für gewisse Historiker<br />
war Karl Prusik auch ein Revanchist und Vollnazi mit<br />
entsprechend fragwürdigem Gedankengut. Beim Wikipediasieren<br />
findet sich beispielsweise der Hinweis,<br />
er habe eine «sozialdarwinistische Legitimierung<br />
eines Kampfalpinismus» vertreten. Prusik war unter<br />
anderem Hauptsturmführer der Waffen-SS, weshalb<br />
es vielleicht den ein oder anderen zumindest<br />
erstaunt, dass Fred Beckey und Art Holben einen<br />
unglaublich formschönen Berg im US-Staat Washington<br />
nach ihrer Erstbesteigung Prusik Peak nannten.<br />
Nicht ganz so erstaunlich ist, dass Franz Bachmann<br />
eine weniger bekannte Weiterentwicklung des Prusik-Knotens<br />
vorstellte, der aber eher unter Karabinerklemm-<br />
als unter Bachmann-Knoten bekannt ist.<br />
INSPIRATION 02 / <strong>2018</strong><br />
FALKE TK5 Short Trend<br />
Mit seiner leichten Polsterung und seinem Merinowoll-Mix<br />
sorgt die knöchellange Wandersocke TK5 Short Trend für<br />
guten Schuhkontakt und gute Wärmeisolation bei Stä<strong>dt</strong>ereisen<br />
oder Freizeitaktivitäten. Der schnelle Feuchtigkeitstransport<br />
sowie die optimale Passform garantieren die<br />
perfekte Temperatur und hohen Komfort am Fuß.<br />
Material: 40% Polypropylen, 35% Schwurwolle,<br />
25% Polyamid<br />
51
CHRONIK<br />
VITALIJ MIHAILOVIC ABALAKOW<br />
EINFACH EIN<br />
«GENIALES DING»<br />
Manchmal bringen selbst die<br />
besten Klemmknoten nichts,<br />
wenn man noch nie von Abalakow<br />
gehört hat. Die Gebrüder<br />
Witali Michailowitsch und<br />
Jewgeni Abalakow waren so<br />
etwas wie die Klitschkos des<br />
sowjetischen Bergsteigens. Wann und wie genau dem<br />
älteren Witali einst die Idee zur heute berühmten Abalakow-Eissanduhr<br />
kam, lässt sich vielleicht noch durch<br />
geheime Unterlagen in unentdeckten Sonderbibliotheken<br />
der Kommunistischen Partei der Sowjetunion rekonstruieren.<br />
Aber auch das scheint fraglich. Laut dem in Material-<br />
und Technikfragen hochgradig versierten Magazin<br />
«bergundsteigen» ist jedenfalls nicht einmal bekannt, ob<br />
Witali seine Methode zum Errichten eines Fixpunktes nun<br />
als Eisuhr oder Eissanduhr bezeichnet habe. Doch sei sie<br />
schlicht ein «geniales Ding». Hat man einmal Übung darin,<br />
mit einer Eisschraube zwei Eiskanäle zu bohren, die sich<br />
dann idealerweise auch noch im 60-Grad-Winkel treffen,<br />
lässt sich womöglich auch ein sowjetischer Kampfpanzer<br />
oder zumindest ein Kommando-Stabsfahrzeug daran<br />
befestigen. Laut einer Erhebung des Alpenvereins ist ein<br />
Schwachpunkt einer gut erstellten Abalakow-Eisuhr jedenfalls<br />
eher in der Reepschnur zu finden.<br />
Dabei ist es vielleicht das grösste Wunder und die schönste<br />
Ironie an Abalakow, dass es das geniale Ding überhaupt<br />
unter diesen Namen aus der Sowjetunion in die westliche<br />
Welt schaffte und heute auf jedem Hochtourenkurs der<br />
Welt zu finden ist. Immerhin sollte das Bergsteigen sozialistischer<br />
Prägung ja keineswegs der Sicherheit imperialistischer<br />
Ausländer dienen als vielmehr dem Kommunismus<br />
und sowjetischen Führern. So bestieg Jewgeni Abalakow<br />
1933 beispielsweise mit dem Pik Stalin (7495 m) den<br />
höchsten Berg des Landes, der heute freilich Pik Ismoil<br />
Somoni heisst. Witali wiederum schaffte es nicht nur auf<br />
den Pik Lenin, sondern 1952 auch auf den – kein Witz – Pik<br />
19. Parteitag. Neben der Eissanduhr erfand er auch noch<br />
revolutionäre Klemmkeile und musste trotz seines Nimbus<br />
als mehrfacher russischer «Bergsteiger-Champion» ins<br />
Gefängnis. Ihm wurde vorgeworfen, ein deutscher Spion zu<br />
sein, nachdem er westliche Klettertechniken angewendet<br />
hatte. Vielleicht war auch das Piazen schon Teil seiner<br />
Übungen.<br />
GRADIOSER TYP, WILDER ANARCHIST<br />
Damit nun ab in die Wand, weg von Eis und Schnee, in die<br />
Felsen der Dolomiten zu Giovanni Battista Piaz (1879 –<br />
1948), Spitzname Tita. Er erweitert auch das politische<br />
Spektrum unserer Technikpaten nach Prusik und Abalakow<br />
noch ein Stück. Denn Piaz galt nicht nur als ein<br />
begnadeter Kletterer und Hausmeister der Vajolettürme,<br />
sondern auch als ein Anarchist. Die Bozener Lehranstalt<br />
schloss ihn aus; weder die Faschisten noch die österreichischen<br />
Habsburger mochten ihn; die Kirche empfahl,<br />
Distanz zu ihm zu halten. In einem Nachruf hiess es, er<br />
sei ein grandioser Typ gewesen, aber auch ein «wütendes,<br />
trampelndes und fauchendes Menschenkind», wenn<br />
eine Kletterstelle nicht gelingen wollte. Sein Leitsatz<br />
lautete: «Wie eine Katze musst du klettern.» Sein Hund<br />
namens Satan biss wiederum angeblich am liebsten Polizisten.<br />
Er habe Zwiebeln wie Äpfel gegessen und in seiner<br />
Heimat, dem Fassatal, munkelten die Bauern, dass er sich<br />
dem Teufel verschrieben habe und deshalb nicht stürzen<br />
könnte. Das stimmte freilich nicht, weil er – welch ein<br />
Treppenwitz der Geschichte – 1948 an den Folgen eines<br />
Fahrradunfalls starb. Dabei war er eigentlich schon während<br />
des Zweiten Weltkriegs zum Tode verurteilt worden.<br />
Wen wundert es bei so viel innerem Widerstand, dass<br />
zumindest im deutschsprachigen Raum eine Gegendrucktechnik<br />
beim Klettern von Rissverschneidungen, eben das<br />
Piazen, nach ihm benannt wurde. Sie erinnert ein wenig an<br />
das Aufziehen einer schweren Stahltür – und wird im französischen<br />
und italienischen Sprachraum wiederum eher als<br />
dülfern bezeichnet.<br />
KÜNSTLER AN KLAVIER UND KALK<br />
Eben jener Hans Dülfer (1892 – 1915) war ein Wegbegleiter<br />
und guter Freund von Piaz, «ein Künstler,<br />
am Klavier und im Kalkgestein», wie es in einer Veröffentlichung<br />
des Alpenvereins einmal hiess. Irgendwie<br />
verstärkt sich damit der Eindruck, dass die Alpinisten<br />
früher nicht nur politischer, sondern auch vielfältiger<br />
und einfallsreicher waren. Dülfer erdachte Seilquergänge,<br />
um nicht kletterbare Wandpartien zu überwinden;<br />
seine Marksteine tragen Namen wie Totenkirchl-Westwand<br />
und Fleischbank-Ostwand. Biografen behaupten,<br />
er habe den Fels beim Klettern «gestreichelt», weil er<br />
die Technik über rohe Kraft stellte. Obwohl er erst 1911<br />
aus dem Westen Deutschlands nach Bayern übersiedelte<br />
und schon 1915 im Alter von nur 23 Jahren starb, wurde<br />
in München eine Strasse zu seinen Ehren benannt. Es<br />
gibt diverse Dülfer-Risse und Dülfer-Kamine. Und vor<br />
allem gibt es den Dülfer-Sitz.<br />
In Zeiten von Klettergurt, Abseilachter und sonstigen Hilfen<br />
ist die puristischste aller Abseilmethoden selbstredend<br />
aus der Mode gekommen. Doch gerade ältere Bergführer<br />
FOTOS: ARCHIV DES DAV, MÜNCHEN<br />
52
ALPINE TECHNIKEN<br />
mit einem Prusik-Knoten sichern – während man von der<br />
Abalakow-Eissanduhr im Dülfer-Sitz abseilt.<br />
lehren sie noch gerne, schon aus geschichtlichen Gründen:<br />
das Doppelseil durch die Beine nehmen, hinten um<br />
den Oberschenkel quer über die Brust führen und dann<br />
hinterm Rücken zur Führhand bringen. Und: Vorsicht vor<br />
der Reibungswärme! Theoretisch liesse sich auch zusätzlich<br />
GIOVANNI BATTISTA PIAZ<br />
IN ZUKUNFT EINEN «ABMESSNERN»<br />
Mindestens genauso interessant wie die Paten der<br />
Vergangenheit dürfte freilich sein, welche Namen in Zukunft<br />
den Alpinismus bereichern. Wird man sich künftig<br />
einen «abmessnern», wenn man so fachkundig wie ausgiebig<br />
über Berge doziert? Hat einer «gesteckt», wenn<br />
er die Eigernordwand unter drei Stunden hochrennt oder<br />
mit einem gefälschten Gipfelfoto doch nur «gestangelt».<br />
Und wann genau fällt eine Free-Solo-Tour am El Capitan<br />
unter «honnolding»? Vielleicht werden künftig die<br />
kleinen Erfindungen aber auch immer öfter den Firmen<br />
überlassen. Spricht man doch heute beim Aufstieg am<br />
Seil schon vom Jümarn, benannt nach der Steigklemme<br />
eines Schweizer Herstellers.<br />
INSPIRATION 02 / <strong>2018</strong><br />
53
GIPFELGRUSS ROGER SCHÄLI<br />
HEIMAT<br />
URLAUB<br />
PROTOKOLL THOMAS EBERT<br />
Statt Indien, Patagonien oder Alaska hat sich Alpinist Roger Schäli<br />
für <strong>2018</strong> die Alpen als Ziel vorgenommen. Ohne Rekordjagd, dafür<br />
mit viel Zeit für gründliche Erkundungen – ein kleiner Ausbruch aus<br />
dem Hamsterrad des Expeditionsbergsteigens.<br />
«Warum in die Berge der Welt, wenn es zu Hause noch so viel zu<br />
entdecken gibt? Mein Bergjahr <strong>2018</strong> widme ich ganz den Alpen. Darauf<br />
freue ich mich schon lange. Ich will nicht in Grönland, Alaska<br />
oder Patagonien mehr geklettert sein als in unseren Alpen. In den<br />
Ostalpen etwa – Karwendel, Wetterstein, Wilder Kaiser – da habe<br />
ich teilweise richtige Bildungslücken. Auch im Mont-Blanc-Massiv<br />
steht noch so viel, was man nicht auslassen darf. Meine Alpen-Reise<br />
will ich in möglichst allen Bergsport-Disziplinen ausleben. Aber<br />
ohne Speed-Gedanken. Es gibt kein «60 Touren in 60 Tagen»-Motto.<br />
Das ginge auch gar nicht: Ich möchte eine gute Mischung mit einigen<br />
grossen Touren, die selten oder gar nicht wiederholt wurden.<br />
Das ist es ja genau, was im normalen Expeditionsrhythmus wegfällt:<br />
Für eine «Young Spider» am Eiger müsste man sich als Profibergsteiger<br />
eigentlich in den Hintern treten, um sie zu wiederholen.<br />
Weil Wiederholungen in den Medien aber meist untergehen, macht<br />
man sich gar nicht erst die Mühe. Das ist doch schade! Ich will Profi<br />
sein, wie ich es will, und nicht, wie es sich ergibt. Auch das ist ein<br />
Hintergedanke dieses Projekts. Ein anderer schöner Nebeneffekt:<br />
Nach dem Alpenprojekt bin ich sicher so fit wie nie zuvor. Auf einer<br />
Expedition sind es ja manchmal nur fünf Tage am Berg – bei sechs<br />
bis acht Wochen Aufwand.<br />
«Wir haben mit den Alpen<br />
das beste Gebiet der Welt<br />
vor der Haustür – das muss<br />
man sich immer mal wieder<br />
klarmachen.»<br />
Ganz besonders freue ich mich auf den Austausch mit meinen Seilpartnern.<br />
Christoph Hainz und Simon Gietl sind für die Dolomiten fix<br />
eingeplant, für die Ötztaler Alpen bin ich mit Hansjörg Auer in Kontakt,<br />
auch mit David Lama und den Huber-Brüdern. Als Startschuss<br />
war ich mit Nicolas Favresse in der Eigernordwand. Überall gibt es<br />
kleine, kulturelle Unterschiede: Die jungen Chamoniarden nehmen<br />
das Seil etwas anders auf als wir. Welches Sicherungsgerät ist<br />
gerade im Kommen, was wird auf Tour gegessen, wie wird trainiert?<br />
Das wird eine richtige Bildungsreise durch die Alpen!»<br />
ROGER SCHÄLI<br />
PROFIBERGSTEIGER<br />
54
GIPFELGRUSS<br />
AUS DEN ALPEN<br />
FOTOS: FRANK KRETSCHMANN<br />
55
HOCHGENUSS<br />
ZEITREISE IN DIE<br />
VERGANGENHEIT<br />
FOTO: SABRINA ROTHE<br />
56
BELLE-ÉPOQUE-HOTELS<br />
Tagsüber in Wanderschuhen die Alpenwelt erkunden und die Natur erleben,<br />
abends stilvoll in einem aussergewöhnlichen Hotel mit historischen<br />
Wurzeln, gutem Essen und gelebter Gastfreundschaft übernachten: Das passt<br />
wunderbar zusammen, wie so manche Belle-Époque-Häuser zwischen<br />
dem Genfersee und dem Bündnerland beweisen. Bächli Bergsport stellt vier<br />
Trouvaillen aus der Zeit der vorletzten Jahrhundertwende vor.<br />
TEXT CLAUS SCHWEITZER<br />
Die Wanderer auf dem Weg von Glion nach Les<br />
Avants am Hang über Montreux bleiben stehen vor<br />
dem Hotel Victoria. Sie gucken durch die Hecken<br />
in eine andere Welt hinein: in den Park mit zwitschernden<br />
Vögeln und alten Bäumen, durch die ein sanftes<br />
Lüftchen rauscht. Der Blick klettert hoch an der vanillefarbenen<br />
Fassade des eleganten Gebäudes aus der<br />
Belle Époque, zu einem der Zimmerbalkone, wo sich ein<br />
Gästepaar gerade Tee aus silbernen Kännchen nachgiesst<br />
und über die Köpfe der Passanten hinweg in die<br />
Weite des Genfersees blickt. Bis ans andere Ufer, zum<br />
savoyischen Chablais-Massiv mit dem markanten, von<br />
Ferdinand Hodler oft gemalten Grammont.<br />
französisch-schweizerische Marktküche ist so verlässlich<br />
lecker, dass man es hier problemlos auch einige<br />
Wochen aushalten könnte – wie dies bei den Gästen im<br />
Fin de Siècle gang und gäbe war. In der Lobby liegt das<br />
in Leder gebundene Gästebuch auf. Ein multikulturelles<br />
Zeugnis der Begeisterung, insbesondere auch von<br />
vielen jüngeren Besuchern. Es scheint, sie schätzen das<br />
Traditionshaus als Hüter gewisser Grundwerte. Oder wie<br />
es der Hausherr sagt: «Je mehr Hotels so aussehen, als<br />
könnten sie überall auf der Welt stehen, desto besser<br />
geht es dem Victoria.»<br />
FOTO: ZVG<br />
AUFBRUCH ZU DEN WURZELN<br />
Das Victoria ist der erste Volltreffer bei unserer Suche<br />
nach Schweizer Hotelperlen, die das Lebensgefühl und<br />
das ästhetische Empfinden der Belle Époque spürbar<br />
werden lassen – und bewegungsfreudigen Genussmenschen<br />
ein unvergleichliches Gesamterlebnis in angenehmer<br />
Atmosphäre bieten. Wer die Schwelle zu diesem<br />
Retro-Juwel überschreitet, taucht umgehend in die Zeit<br />
der vorletzten Jahrhundertwende ein – und erst bei der<br />
Abreise wieder in die heutige Realität auf. In den Hallen<br />
und Salons, die mit viktorianischen Kuriositäten, prächtigen<br />
Lüstern und goldgerahmten Spiegeln ausgestattet<br />
sind, leuchtet die Belle Époque, als hätte sie gerade erst<br />
begonnen, und es grenzt fast an ein Wunder, wie unbeschadet<br />
das Haus die Zeiten überstanden hat. Trotzdem<br />
ist es kein Schaustück zum Bewundern, sondern<br />
ein überraschend unprätentiöses Hotel zum Brauchen<br />
und Bewohnen. Toni Mittermair, dem das Victoria vor<br />
dreissig Jahren in die Hände fiel, sorgt zusammen mit<br />
seiner Frau Barbara dafür, dass jeder Gast der Wichtigste<br />
ist und das Hotel jene Gelassenheit ausstrahlt, die<br />
man mit Geld allein nicht kaufen kann. Die Restaurantterrasse<br />
zählt zu den schönsten am Lac Léman, und die<br />
Spätestens dann, wenn man die Balkontür seines Zimmers<br />
öffnet und auf die Weite des Genfersees blickt, wird es<br />
einem ganz leicht ums Herz und schwindelig vor Glück.<br />
VICTORIA,<br />
GLION SUR MONTREUX<br />
victoria-glion.ch<br />
INSPIRATION 02 / <strong>2018</strong><br />
57
HOCHGENUSS<br />
BELLA TOLA,<br />
ST-LUC<br />
bellatola.ch<br />
Das «Hôtel Bella Tola» mischt das Flair der glorreichen<br />
Vergangenheit subtil mit heutiger Energie.<br />
BELLEVUE ZU FÜSSEN DER<br />
EIGERNORDWAND<br />
Nur 40 Kilometer Luftlinie entfernt<br />
liegt die Kleine Scheidegg. Mit dem<br />
Auto ist der Weg jedoch nicht unter<br />
drei Stunden zu schaffen. Zunächst<br />
einmal kostet das abenteuerliche<br />
Bergsträsschen aus dem Val d’Anniviers<br />
Zeit und Nerven, und schliesslich ist das letzte<br />
Stück ab Grindelwald oder Lauterbrunnen nur mit der<br />
Wengernalpbahn (oder zu Fuss) erreichbar.<br />
SCHÖN ALT UND NICHT VON GESTERN<br />
Ein wirklich gutes Hotel gibt dem Gast das Gefühl, gar<br />
nicht in einem Hotel zu wohnen. Das ist die Meinung<br />
von Anne-Françoise und Claude Buchs. Die Gastgeber<br />
und Besitzer des Hôtel Bella Tola im Dörfchen St-Luc<br />
im Val d’Anniviers, unserer zweiten Etappe, schaffen<br />
es, ihre Gäste sehr persönlich zu betreuen. Fast so, als<br />
wären sie in einem privaten Anwesen eingeladen, in<br />
dem für alles gesorgt ist. Mitte des 19. Jahrhunderts<br />
wurden hier die ersten Gäste empfangen, und seit die<br />
Familie Buchs das windschief-verwinkelte Haus vor gut<br />
zwanzig Jahren übernommen und mit subtilen Renovationen<br />
für die heutige Zeit fit gemacht hat, strahlt der<br />
alte Glanz in neuem Stil.<br />
An den Wänden hängen noch Schwarz-Weiss-Aufnahmen<br />
aus jener Zeit, als das Leben eine endlose Party<br />
war, noch niemand Kalorien zählte und keiner auf die<br />
Idee kam, Nikotin oder Alkohol zu meiden. Das unbeschwerte<br />
Grundgefühl der Pionierjahre des alpinen<br />
Tourismus blieb erhalten, und die öffentlichen Räume,<br />
die drei Restaurants und 30 Gästezimmer sind heute<br />
mit Sicherheit schöner, als die ursprünglichen es je<br />
waren. Zudem gibt es heute ein kleines Spa mit einer<br />
Reihe von Verwöhnbehandlungen, die ermatteten<br />
Stä<strong>dt</strong>ern nach einem Wandertag guttun. Abends lassen<br />
die Gäste den historischen Speisesaal aufleben und<br />
geniessen elegante Sorglosigkeit.<br />
Oben auf 2064 Metern über Meer und buchstäblich zu<br />
Füssen der Eigernordwand empfängt das Hotel Bellevue<br />
des Alpes stilbewusste Berg-Enthusiasten, die<br />
Luxus nicht in Hotelsternen, sondern in Landschaftserlebnissen<br />
messen. Das Alpenrefugium wirkt sowohl<br />
von aussen wie von innen bis ins beglückende Detail<br />
so, als sei es seit der Belle Époque in einem gewaltigen<br />
Einmachglas konserviert worden. Dieser Eindruck<br />
ist das Ergebnis einer ungeheuren Anstrengung des<br />
Besitzerpaars Silvia und Andreas von Almen, die das<br />
Bellevue in fünfter Generation führen, jedem Modernisierungswahn<br />
widerstanden und bis heute bewusst auf<br />
technische Errungenschaften wie Fernseher oder Lift<br />
verzichten. In den 62 Zimmern wurden die alten Doppelfenster,<br />
die grossmütterlichen Betten und Lampenschirme,<br />
die Füsschenbadewannen und antiken Armaturen<br />
wo immer möglich erhalten. Die viktorianisch<br />
anmutende Lobby, die knarrenden Holztreppen, die Bar<br />
aus den Zwanzigerjahren – alles erstrahlt heute wie zu<br />
den Glanzzeiten des Hotels, und es braucht nicht viel<br />
Fantasie, um sich die Gäste vorzustellen, die hier anno<br />
dazumal ihre Ferien verbrachten.<br />
Es sei hier nicht verschwiegen, dass der Ausflugsrummel<br />
auf der Kleinen Scheidegg gewöhnungsbedürftig ist. Doch<br />
gegen 19 Uhr, wenn die letzten Bahnen talwärts fahren,<br />
kehrt auf der Passhöhe eine erhabene Ruhe ein und man<br />
fühlt sich wie in einer anderen Welt.<br />
FOTO: YANNICK LUTHY<br />
58
BELLE-ÉPOQUE-HOTELS<br />
BELLEVUE DES ALPES,<br />
KLEINE SCHEIDEGG<br />
scheidegg-hotels.ch<br />
Am frühen Abend,<br />
wenn die Karawanen<br />
der Tagesausflügler<br />
abgezogen sind,<br />
gehört das «Bellevue<br />
des Alpes» den<br />
wenigen Glücklichen,<br />
die hier ein Zimmer<br />
reserviert haben.<br />
ZEITLOS ZAUBERBERGHAFT<br />
Auch das Berghotel Schatzalp, die letzte Station unserer<br />
nostalgischen Tour de Suisse, ist nur mit der Bahn zu erreichen.<br />
Es ist eines der wenigen, im Originalzustand erhaltenen<br />
baulichen Zeugnisse aus der Zeit, als in Davos die<br />
Tuberkulose-Sanatorien wie Pilze aus dem Boden schossen<br />
und der europäische Adel seine Lungenkrankheiten an der<br />
heilenden Höhenluft kurierte. Und es ist ein unverschämt<br />
altmodisches Hotel, in dem zuweilen der morbide Wind zu<br />
wehen scheint, der die Haare des Hans Castorp aus Thomas<br />
Manns epochalem Roman «Der Zauberberg» zerzauste.<br />
Ausserordentlich stimmungsvoll, wenn auch renovationsbedürftig,<br />
sind die Jugendstilzimmer zur sonnigen Talseite mit<br />
grossen Balkonen und original Davoser Liegen. Geradezu<br />
filmreif sind die drei «Kaiserzimmer» (Nr. 101, 201 und 301),<br />
benannt nach Kaiser Wilhelm II., der die Zimmer zehn<br />
Jahre für den Fall einer Tuberkulose-Erkrankung in seiner<br />
Familie gemietet hatte, diese aber nie bewohnte.<br />
BERGHOTEL SCHATZALP,<br />
DAVOS<br />
schatzalp.ch<br />
FOTO: ZVG<br />
Das Team des charismatischen Besitzers Pius App ist<br />
engagierter als in manchem höher besternten Hotel unten<br />
im Dorf, dennoch ist die Schatzalp für Liebhaber konfektionierter<br />
Modernität die schiere Hölle. Jäger verborgener<br />
Hotelschätze hingegen können im nahezu unveränderten<br />
Prachtbau mit den fabelhaften Hallen und der lang gestreckten<br />
Jugendstil-Veranda (der schönsten Sonnenterrasse<br />
von Davos) in die Atmosphäre der Belle Époque eintauchen<br />
und dabei eine Ahnung von Ewigkeit bekommen.<br />
Im Berghotel Schatzalp können naturverbundene Nostalgiker<br />
in eine verloren geglaubte Welt eintauchen,<br />
ohne mit Löchern im Portemonnaie abreisen zu müssen.<br />
INSPIRATION 02 / <strong>2018</strong><br />
59
P A R T N E R C H E C K<br />
F I L I D O R
PARTNERCHECK FILIDOR<br />
ROTPUNKT INS<br />
ABENTEUER PLAISIR<br />
Beim Filidor-Verlag im Kandertal ist der Verleger auch Kletterer, Entdecker,<br />
Illustrator, Fotograf, Texter, Retoucheur und Layouter. Ein Unternehmen,<br />
ein Mann, sieben Professionen – vereint in einer Leidenschaft: Sandro von<br />
Känel führt das Werk seines Vaters Jürg weiter, um die schönsten Klettergebiete<br />
der Schweiz für Genusskletterer zugänglich zu machen.<br />
TEXT YVONNE INEICHEN<br />
FOTO: ARCHIV FILIDOR<br />
Die Plaisir-Führer aus dem Filidor-Verlag sind für<br />
Genusskletterer, was für einen Schüler das Alphabet.<br />
Die Initialzündung, dank der manch einer wunderbare<br />
Erlebnisse hat, die ihm sonst verborgen geblieben<br />
wären. Zu verdanken sind diese literarischen «Naturwunder»<br />
Jürg von Känel. Nach einer äusserst erfolgreichen<br />
Zeit als ambitionierter Kletterer widmete sich der Bergführer<br />
einer neuen Herausforderung. Jürg von Känel beschäftigte<br />
sich intensiv mit der Idee des Plaisir-Kletterns.<br />
Im Jahr 1992 veröffentlichte er sein Erstlingswerk «Schweiz<br />
plaisir». Wer glaubt, die Kletterszene hätte deswegen einen<br />
Kniefall gemacht, irrt. Kontrovers die Diskussionen<br />
bei den Passionierten. Hocherfreut das Echo der Genusskletterer.<br />
War vorher die Kletterwelt für viele eine Scheibe,<br />
wurde sie auf einmal rund. Der Filidor-Verlag war Pionier,<br />
hat Meilensteine gesetzt und tut es heute, rund 32 Jahre<br />
nach seiner Gründung, noch immer. Keine Selbstverständlichkeit.<br />
Denn der Verlag und die Menschen dahinter<br />
blieben von Schicksalsschlägen nicht verschont. Jürg verstarb<br />
im Jahr 2005. Seine Frau Berthi führte den Verlag<br />
weiter, unterstützt von Freunden, Verwan<strong>dt</strong>en und Sohn<br />
Adrian. Auch Jürgs Bruder Res von Känel sprang ein. Das<br />
Schicksal schlug erneut zu. Der Bergführer verunglückte<br />
im Jahr 2009 mit einem Gast am Breithorn tödlich.<br />
EINFACH LOSLAUFEN UND LERNEN<br />
Der zweite Sohn Sandro, eigentlich gelernter Schreiner,<br />
zögerte nicht und schloss die Lücke. Es war wohl eine<br />
Art Vorahnung, dass er im Jahr 2008, nach langer Pause,<br />
seine Kletterfinken wieder hervorgeholt hatte. «Ich bin<br />
ziemlich blauäugig losgelaufen, kannte die Szene nicht,<br />
die Erschliesser der Routen auch nicht. Ich habe mich<br />
einfach reingehängt und beim Umsetzen selbst viel gelernt.<br />
Vielleicht war es sogar ein Vorteil, dass ich wenig Ahnung<br />
hatte. Wer weiss, ob ich den Sprung sonst gewagt<br />
hätte?» So sieht Sandro seine ersten Jahre rückblickend.<br />
Reinknien, ausprobieren, lernen, gewissenhaft sein: Die<br />
Arbeit im und mit dem Verlag hat mit dem Klettersport<br />
viel gemeinsam. Vielleicht konnte das Vorhaben deshalb<br />
gar nicht schiefgehen. Weil Sandro von Känel wieder das<br />
INSPIRATION 02 / <strong>2018</strong><br />
61
PARTNERCHECK<br />
Der Gründer des Filidor-Verlags und der Wegbereiter des<br />
Plaisir-Kletterns in der Schweiz: Jürg von Känel († 2005).<br />
Kletterfieber befallen hat. Und weil er gut mit Menschen<br />
kann. Vernetzen, Kontakte pflegen – die Informationen für<br />
die Führer müssen von irgendwo kommen. «Mein Glück<br />
war wohl auch, dass ich die kontroversen Diskussionen<br />
zum Plaisir-Klettern nicht mitbekommen habe. Ich war<br />
viel zu weit vom Thema weg. Und konnte völlig unvoreingenommen<br />
auf die Menschen zugehen», sagt Sandro.<br />
Dass die Plaisir-Führer bereits einen sehr guten Ruf hatten,<br />
wäre für manch einen ein grosser Druck gewesen. Sandro<br />
nahm es für sich als Vorteil und führt die Vision seines<br />
Vaters mit grosser Freude weiter. «Ich mache es einfach<br />
gerne», kommentiert der Verleger.<br />
VIER JAHRESZEITEN FÜR EIN BUCH<br />
Das ist die beste Voraussetzung für einen guten Job. Die<br />
ganze Vorbereitungsarbeit für neue Führer geschieht von<br />
Frühling bis Herbst. Da ist Sandro draussen am Fels und<br />
im Gelände unterwegs. Routen sichten, klettern, Zustiege<br />
prüfen, Topos skizzieren, fotografieren. «Einen Kletterführer<br />
herauszubringen ist aber auch Schreibtischarbeit. An<br />
Schlechtwettertagen und den ganzen Winter über verbringe<br />
ich sehr viel Zeit am Computer», sagt Sandro. Dazu kommt<br />
«die Skizzen mit Tusche nachzeichnen, einscannen, bearbeiten<br />
und vektorisieren.» Hat man alle Daten beisammen,<br />
geht es ans Layout. Auch das macht der Verleger selbst. Im<br />
Hintergrund wirken helfende Hände mit. Sie lektorieren,<br />
übersetzen die Texte ins Englische und Französische. Um<br />
Buchhaltung und Versand kümmert sich noch immer Berthi<br />
von Känel. Beim Verlag im Kandertal geht es ruhig zu. Zumindest<br />
meistens. Vor dem Druck kann es schon mal etwas<br />
hektisch werden. Liegt das «Gut zum Druck» auf dem Tisch,<br />
wird akribisch kontrolliert, damit ja alles passt. Und doch<br />
ging auch schon etwas daneben. «Beim Führer ‹extrem<br />
SUD› haben wir bei einem Klettergebiet die Zustiegsskizze<br />
vergessen. Obwohl wir Manuskript und ‹Gut zum Druck›<br />
zigmal durchgeschaut haben, hat das niemand realisiert.<br />
Aufgefallen ist es mir selbst, weil ich genau dieses Gebiet<br />
nachschlug.» Der Zustieg wird auf ein Extrablatt gedruckt<br />
und dem Führer beigelegt. Einfach und pragmatisch – so<br />
löst man die Probleme im Kandertal.<br />
MEILENSTEINE<br />
1986 1989 1992 2005<br />
Erster Kletterführer:<br />
«Die schönsten<br />
Sportklettereien im<br />
Berner Oberland»<br />
«Schweiz Extrem»:<br />
der erste Führer<br />
aus dem hauseigenen<br />
Filidor-Verlag<br />
Jürg von Känel<br />
veröffentlicht den<br />
ersten Führer<br />
«Schweiz plaisir»<br />
Jürg von Känels<br />
letztes Projekt:<br />
«Schweiz<br />
plaisir ALPIN»<br />
FOTO: ARCHIV FILIDOR<br />
62
FILIDOR<br />
DIE ZUKUNFT? AUCH DIGITAL<br />
Genauso pragmatisch ist auch der Ansatz, wenn es<br />
um allfällige Kooperationen oder Fusionen geht. Der<br />
Verleger denkt weiter. Auch in die digitale Zukunft. Es<br />
gab viele Gespräche mit Unternehmen, um eine eigene<br />
App zu entwickeln. «Unterschiedliche Vorstellungen, ein<br />
grosser Initialaufwand, die Umsetzung und die Frage<br />
nach der Rentabilität ... Wir haben uns vom Gedanken<br />
verabschiedet», erklärt Sandro. Doch vor etwas mehr<br />
als einem Jahr klopfte Vertical Life beim Verlag an – der<br />
digitale Kletterführer schlechthin. «Ich war skeptisch,<br />
ob es wirklich so reibungslos laufen würde, wie es in<br />
den Gesprächen klang. Aber hei, die Zusammenarbeit<br />
ist super. Ich bin froh, dass wir diese Lösung haben<br />
und unseren Käufern einen Mehrwert bieten können.»<br />
Sandro von Känel strahlt. Seit dem vergangenen Jahr<br />
gibt es zu vier Führern von Filidor die Möglichkeit, sich<br />
diese auf die App zu laden. Weitere folgen fortlaufend.<br />
Für Filidor ist es eine zusätzliche Dienstleistung, ergänzend<br />
und kostenlos zum Buch. Natürlich gibt’s auch<br />
welche, die sich die Führer nur noch über die App besorgen.<br />
«Das gehört dazu», meint Sandro von Känel, «wir<br />
sehen es als Aufwertung».<br />
Erstauflage. Gedruckt und digital, selbstverständlich.<br />
Welche Ideen sonst noch in den Köpfen hausen? Man<br />
wisse nie, was die Zukunft bringt, wiegelt Sandro ab.<br />
Ihm ist wichtig, dass er mit den Erschliessern weiterhin<br />
ein gutes Einvernehmen hat. Er will nah an der Szene<br />
sein und den Menschen eine gute Zeit an schönen Orten<br />
ermöglichen. Sonnenklar ist für Sandro ebenfalls, dem<br />
Verlag die Eigenständigkeit zu erhalten. «Weil wir an<br />
unsere Passion glauben.»<br />
Der Filidor-Verlag wird auch weiterhin Kletter-Perlen<br />
publizieren. Im Jahr 2017 erschienen der «plaisir JURA»<br />
in überarbeiteter Auflage und der «extrem JURA» in<br />
2009<br />
2010 2014<br />
2017<br />
Sandro von Känel<br />
steigt in den<br />
Verlag ein und<br />
vollendet «Schweiz<br />
plaisir SUD».<br />
Das erste Buch<br />
im Filidor-Verlag:<br />
«Sportklettern<br />
Berner Oberland»<br />
Zum 25. Jubiläum<br />
von «Schweiz<br />
extrem» gibt<br />
es das Update<br />
«extrem SUD»<br />
Filidor als App:<br />
In Kooperation<br />
mit Vertical<br />
Life gehen die<br />
Routen digital<br />
INSPIRATION 02 / <strong>2018</strong><br />
63
GLOSSE<br />
SPEED-HIKER ODER<br />
ULTRA-TREKKER?<br />
TEXT THORSTEN KALETSCH<br />
Mein Freund Guido ist ein Trendsetter.<br />
Oder genauer genommen<br />
ein Early Adopter. Er ist es<br />
nämlich nicht, der die Trends setzt, er<br />
lässt sich lediglich früh für neue Strömungen<br />
aller Art begeistern. Um sie<br />
dann im Freundeskreis mit Verve zu<br />
vertreten. Guido war es, der mich vor<br />
Jahrzehnten auf den Boom des Nordic<br />
Walkings aufmerksam machte. Mit<br />
Stöcken, so beschied er mir, mache das<br />
Gehen viel mehr Sinn. Es beanspruche<br />
mehr Muskelgruppen, sei dadurch<br />
ganzheitlicher und letztlich gesünder.<br />
Die Stöcke mit ihren speziellen Schlaufen<br />
kamen mir vom Langlauf her bekannt<br />
vor, trotzdem schrammte ich nur<br />
knapp an einem Kauf vorbei. Auch weil<br />
Guido längst einem neuen Hobby<br />
frönte.<br />
Trailrunning sei in Nordamerika der<br />
neue Trend, schwärmte er. Die neuen,<br />
stabileren und wasserdichten Laufschuhe<br />
ermöglichten im Gelände ein<br />
komplett neues Lauferlebnis. Wie ernst<br />
es ihm war, zeigte mir allein schon die<br />
Impressum<br />
«<strong>Inspiration</strong>», die Kundenzeitschrift der Bächli Bergsport<br />
AG, erscheint 4 x jährlich und ist in allen Filialen kostenlos<br />
erhältlich. Auflage: 130’000 Exemplare<br />
Herausgeber<br />
Bächli Bergsport AG<br />
Gewerbestrasse 12, 8606 Nänikon<br />
Telefon 044 826 76 76<br />
E-Mail info@baechli-bergsport.ch<br />
Tatsache, dass er sich die Domain trailrunning.ch<br />
reserviert hatte, um sie<br />
später einmal gewinnbringend zu verkaufen.<br />
Ich selber hatte kurz darauf<br />
Gelegenheit, Tim Boyle, den CEO und<br />
Präsidenten von Columbia, zu interviewen.<br />
Als er mich mit Begeisterung auf<br />
den neuen Trailrunning-Schuh seines<br />
Unternehmens hinwies, fragte er mich,<br />
ob ich auch Trailrunner sei. Meine unbedarfte<br />
Antwort, in der Schweiz sei<br />
aufgrund der Topografie doch jeder,<br />
der nicht nur auf Strassen laufe, ein<br />
Trailrunner, quittierte er mit einem<br />
wissenden Lächeln. Zwei Wochen später<br />
traf bei mir zu Hause ein Paket mit<br />
einem Trailrunning-Testschuh in meiner<br />
Grösse ein.<br />
Guido aber war längst auf einen neuen<br />
Trend aufgesprungen. Die Domain<br />
trailrunning.ch hatte er nach einigen<br />
Jahren des Wartens zurückgegeben,<br />
just bevor sie eine findige Werbeagentur<br />
einem Hersteller verkaufte. Speed<br />
Hiking sei die ultimative Bewegungsform,<br />
beschwor er mich jetzt. Das sei<br />
sozusagen die Verschmelzung von<br />
Trailrunning und Nordic Walking. «Es<br />
ist Trailrunning mit Stockeinsatz und<br />
Nordic Walking im alpinen Gelände mit<br />
Tempo!» Dass Stöcke auf anspruchsvollen<br />
Wanderungen durchaus Sinn<br />
machen, hatte ich auch schon gelesen.<br />
Redaktion & Layout<br />
Outdoor Publishing GmbH<br />
Eichbergerstrasse 60, 9452 Hinterforst<br />
Telefon 071 755 66 55<br />
E-Mail redaktion@outdoor-publishing.com<br />
Druck<br />
Bruhin AG, Pfarrmatte 6, 8807 Freienbach<br />
Telefon 055 415 34 34<br />
E-Mail info@bruhin-druck.ch<br />
Es leuchtete mir ein, dass Bergläufer<br />
mit Stöcken deutlich schneller auf dem<br />
Niesen waren als solche ohne.<br />
Ich hatte mir deshalb Trekkingstöcke<br />
angeschafft, nicht solche mit Schlaufen<br />
wie beim Nordic Walking. Damit bin ich<br />
oft in den Bergen unterwegs, wähle<br />
beim Aufstieg gerne auch die Direttissima<br />
und mag es, dabei ein schweisstreibendes<br />
Tempo anzuschlagen. Leider<br />
entzieht es sich meiner Kenntnis,<br />
ob ich deshalb ein «Speed Hiker», ein<br />
«Ultra Trekker» oder einfach ein zügiger<br />
Wanderer bin. All jenen, die angesichts<br />
der vielen Bezeichnungen auch<br />
etwas den Überblick verloren haben<br />
oder die den Unterschied zwischen<br />
Trekking und Hiking nicht kennen, kann<br />
ich nur den Weg ins Fachgeschäft empfehlen.<br />
Dort ist man per definitionem<br />
up to date. Und kennt sich auch mit Anglizismen<br />
aus.<br />
Während sich meine Trailrunning-Testschuhe<br />
auch nach zehn Jahren noch<br />
bestens bewähren (notabene im Indoor-Einsatz<br />
auf dem Fitness-Fahrrad),<br />
hat Guido das Interesse am Speed<br />
Hiking längst wieder verloren. Bei unserer<br />
letzten Wanderung brummelte er<br />
etwas von «Ultra Highspeed Trailhiking».<br />
Aber ich habe ihn ehrlich gesagt<br />
nicht so genau verstanden.<br />
Konzept:<br />
outkomm gmbh<br />
Copyright<br />
Alle Beiträge sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwendung<br />
ist ohne Zustimmung des Herausgebers unzulässig<br />
und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen,<br />
Übersetzungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in<br />
elek tronischen und multimedialen Systemen.<br />
ILLUSTRATION: SOPHIE KETTERER<br />
64
NATURE<br />
MADE.<br />
Die unschlagbare Mischung aus<br />
Merino und TENCEL ® . Cool-Lite ist<br />
eine innovative Stofftechnologie, die<br />
für heißes Wetter konzipiert ist. Sie<br />
vereint den Tragekomfort und die<br />
Atmungsfähigkeit von Merino mit<br />
TENCEL ® , einer Pflanzenfaser aus<br />
nachhaltig beschafftem Eukalyptus.<br />
Cool-Lite ist leicht, seidig-weich<br />
und transportiert Schweiß schneller<br />
ab als reines Merino.
OUR NEW<br />
ULTIMATE JACKET<br />
398g<br />
HIKING<br />
GR. SCHEIDEGG<br />
SWITZERLAND<br />
MAMMUT.COM