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Inspiration 2/2018 dt

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No 02 | <strong>2018</strong><br />

DAS BERGSPORTMAGAZIN<br />

INSPIRATION<br />

REPORTAGE<br />

KLETTERN: GRANITGENUSS<br />

AM FELDSCHIJEN<br />

KAUFBERATUNG<br />

LEICHTGEWICHT: MIT<br />

KLEINEM GEPÄCK AUF TOUR


SUPERLIGHT INSULATION<br />

CERIUM SL HOODY<br />

Mehr Wärme bei weniger Gewicht. Superleichte<br />

Daunenjacke mit hervorragendem Wärme-<br />

Gewichtsverhältnis, lässt sich extrem klein<br />

verpacken und ist für zusätzliche Wärme mit<br />

einer daunengefütterten Kapuze ausgestattet.<br />

CERIUM SL HOODY – MAUVEINE


ZUSTIEG<br />

ALLES IST<br />

IM FLUSS<br />

Der Mensch liebt es zu kategorisieren, zu bewerten, Vergleiche<br />

anzustellen. Sind die Leistungen von Adam Ondra (siehe unsere<br />

Reportage auf S. 34) höher zu bewerten als diejenigen von Wolfgang<br />

Güllich in den Achtzigerjahren? Wie lassen sich die Leistungen von<br />

Simone Moro vergleichen mit denen von Reinhold Messner?<br />

«Ich freue mich,<br />

wenn wir Sie<br />

inspirieren können!»<br />

Natürlich gibt es darauf keine klaren Antworten. Der Bergsport hat<br />

sich fortlaufend verändert. Die Ausrüstung ist wesentlich leichter,<br />

robuster und leistungsfähiger geworden. Die Sicherheit am Berg<br />

ist dank verbesserten mobilen Sicherungsgeräten und Bohrhaken<br />

höher. Das allgemeine Leistungsniveau ist durch gezieltes Training<br />

oder durch eine stärkere Fokussierung auf eine oder wenige<br />

Dis ziplinen angehoben worden. Und zur Vorbereitung stehen uns<br />

unendlich viel mehr Informationen zur Verfügung – von der Wetterentwicklung<br />

über die Topographie bis zur Routenführung. Und<br />

wenn mal etwas nicht nach Plan läuft, setzen wir heute einen Notruf<br />

ab und können in fast jeder Situation mit Hilfe von aussen rechnen.<br />

Alles ist im Fluss, vieles gerät in Vergessenheit. Wissen Sie beispielsweise,<br />

welches Verdienst dem italienischen Bergführer Giovanni Piaz<br />

zukommt? Und wie Jürg von Känel das Sportklettern in der Schweiz<br />

massgeblich verändert hat? Sie erfahren es in dieser Ausgabe.<br />

In den Bergen lässt sich glücklicherweise auch ganz anderes<br />

erleben als Siegen, Durchhalten und Besserwerden. Ich freue mich<br />

deshalb, wenn wir Sie mit unserem Magazin so inspirieren können,<br />

wie Sie es sich wünschen.<br />

HERZLICHST,<br />

FELIX BÄCHLI, GESCHÄFTSFÜHRER BÄCHLI BERGSPORT AG<br />

INSPIRATION 02 / <strong>2018</strong><br />

1


HIGH PERFORMANCE PUR.<br />

DIE NEUE GENERATION.<br />

ALPINE PRO GTX ® | Alpine www.lowa.ch


REPORTAGE<br />

KLETTERN: GRANITGENUSS<br />

AM FELDSCHIJEN<br />

No 02 | <strong>2018</strong><br />

KAUFBERATUNG<br />

LEICHTGEWICHT: MIT<br />

KLEINEM GEPÄCK AUF TOUR<br />

INHALT<br />

AUSGABE<br />

02 / <strong>2018</strong><br />

WEGWEISER<br />

12<br />

AUSSICHT<br />

Die schönste Seite der Berge 4<br />

3 X 3<br />

Produktneuheiten und Bergsport-News 8<br />

WEGWEISER<br />

Wandern im Lauterbunnental 12<br />

Alpinklettern am Feldschijengrat 22<br />

Sportklettern in Israel 34<br />

EXPERT<br />

Trekking – aber leicht! 18<br />

Sicherheit: Alpinklettern 30<br />

HÖHENLUFT<br />

Eiger Ultra Trail 28<br />

GIPFELTREFFEN<br />

Spitzenkletterer Giuliano Cameroni 40<br />

HAUSBERG<br />

Sportklettern im Basler Jura 46<br />

STANDPLATZ<br />

Auf ein Wort mit Mary Gabrieli 48<br />

CHRONIK<br />

Alpine Techniken 50<br />

LAUTERBRUNNENTAL<br />

Glasklare Bergseen, tosende Wasserfälle an steilen<br />

Felswänden und gurgelnde Gletscherbäche:<br />

Bei Wanderungen im wilden Talschluss des Lauterbrunnentals<br />

bewegt man sich auf alten Saumpfaden<br />

nicht nur nah am Wasser, sondern auch<br />

mitten im UNESCO-Welterbe Schweizer Alpen.<br />

GIPFELGRUSS<br />

Roger Schäli auf Heimaturlaub 54<br />

HOCHGENUSS<br />

Die schönsten Belle-Époque-Hotels 56<br />

DAS BERGSPORTMAGAZIN<br />

INSPIRATION<br />

PARTNERCHECK<br />

Sportkletterfachverlag Filidor 60<br />

GLOSSE 64<br />

Impressum 64<br />

Titelseite: Zwei Kletterer beim Zustieg zur<br />

Couvercle Hütte bei Chamonix. Links thront die<br />

mächtige Nordwand der Grandes Jorasses mit<br />

dem 4208 Meter hohen Walkerpfeiler über dem<br />

Glacier de Leschaux. Foto: PatitucciPhoto<br />

INSPIRATION 02 / <strong>2018</strong><br />

3


4


AUSSICHT<br />

GLÜCKS<br />

BOTE<br />

Nachdem er als erster Kletterer<br />

Alex Hubers «Nirwana» an der<br />

Sonnwendwand, Loferer Steinplatte,<br />

wiederholte, fängt Fabian Buhl<br />

Feuer: Er will seine eigene Route<br />

im selben Stil eröffnen. Alleine.<br />

«Solo-Klettern zeigt mir, wie klein<br />

ich als Kletterer bin», sagt er. Im<br />

März 2017 gelingt ihm die Solo-Rotpunktbegehung<br />

von «Ganesha»,<br />

einer 7-Seillängen-Route im Schwierigkeitsgrad<br />

8c, die sich in unmittelbarer<br />

Nähe zu «Nirwana» befindet.<br />

Da die südexponierte Kalksteinwand<br />

den ganzen Tag über in der Sonne<br />

liegt, startet er mit dem ersten<br />

Licht, ein leichter Wind bringt Kühlung.<br />

Und Ganesha offensichtlich<br />

Glück: Die elefantenköpfige hinduistische<br />

Gottheit gilt als Beseitiger<br />

aller Hindernisse.<br />

Das Video zur Begehung finden Sie hier<br />

youtube.com/watch?v=vDhxzlox64E<br />

SONNWENDWAND,<br />

LOFERER STEINPLATTE, ÖSTERREICH<br />

STEPHAN SCHLUMPF<br />

(STEPHANSCHLUMPF.COM)<br />

INSPIRATION 02 / <strong>2018</strong><br />

5


6


AUSSICHT<br />

HORN<br />

SPIEL<br />

Die Hochtour auf das 3138 Meter<br />

hohe Dossenhorn im Berner Oberland<br />

zählt zu den leichteren, ist<br />

aber alles andere als anspruchslos.<br />

Je nach Routenwahl bietet<br />

sie neben Fels auch Schnee und<br />

Eis, immer aber eine fantastische<br />

Aussicht auf die Engelhorngruppe<br />

und das Rosenlauital. Schon der<br />

Aufstieg zur Dossenhütte durch die<br />

Rosenlauischlucht ist beeindruckend.<br />

Ab der Dossenhütte, die sich<br />

wie ein Greifvogelhorst an die<br />

Felsen schmiegt, wechseln Kletterund<br />

Gehpassagen. Anspruchsvolle<br />

Stellen sind oft mit Bohrhaken,<br />

Bügeln und Drahtseilen versichert,<br />

insgesamt wird die Schwierigkeit<br />

der Route mit T6, WS+ und II (eine<br />

Stelle III-) bewertet.<br />

Die Dossenhütte ist ab Ende Juni geöffnet.<br />

Dort stehen 55 Schlafplätze zur Verfügung.<br />

dossenhuette.ch<br />

DOSSEN<br />

BERNER OBERLAND, SCHWEIZ<br />

PATITUCCIPHOTO<br />

(PATITUCCIPHOTO.COM)<br />

INSPIRATION 02 / <strong>2018</strong><br />

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3 X 3<br />

NEUES AUS<br />

DER WELT DES<br />

BERGSPORTS<br />

FEDER<br />

BETT<br />

Für wärmere Nächte im Zelt, im Camper oder auf der Hütte: Der Versa Quilt ist<br />

leichter Sommerschlafsack und Decke in einem. Mit seinem schmalen Schnitt<br />

passt er bei kühleren Temperaturen aber auch als Liner in einen zweiten, grösseren<br />

Schlafsack. Geöffnet ist er 135 x 210 cm gross. Der Versa Quilt ist mit 650<br />

cuin zertifizierter Entendaune gefüllt, beim Aussenmaterial kommt daunendichtes<br />

Nylon gewebe zum Einsatz. Der Quilt kann mit allen aktuellen Mattenüberzügen<br />

von Exped gekoppelt werden.<br />

VERSA QUILT<br />

EXPED<br />

Gewicht 780 g<br />

Preis CHF 189.–<br />

VIER<br />

FACH<br />

Für die ganze Familie oder vier Freunde: Das Alpha Set 4.2 von Sea to Summit<br />

be steht aus vier kleineren und grösseren Schüsseln, vier Thermobechern und zwei<br />

Töpfen (2,7 und 3,7 Liter). Die Töpfe der Alpha-Serie sind aus hartanodisiertem<br />

Aluminium gefertigt, das einerseits dünnwandig und leicht, andererseits robust<br />

und langlebig ist. Der leicht angeraute Boden der Kochtöpfe steht noch stabiler auf<br />

dem Campingkocher. Alle Teile lassen sich ineinanderstapeln. Übrigens: Schüsseln<br />

und Becher sind frei von Weichmachern und dürfen zu Hause auch in die Mikrowelle<br />

und die Spülmaschine.<br />

HAWAII<br />

URLAUB<br />

Wer schön sein will, muss nicht leiden: Eine<br />

dämpfende Zwischensohle und ein anatomisch<br />

vorgeformtes Fussbett machen die Zehenstegsandale<br />

von Olukai äusserst bequem. Riemen,<br />

Zehensteg und Innensohle der Damen-Sandale<br />

sind aus weichem, hautschmeichelndem Leder<br />

gefertigt. Die leicht profilierte, ausreichend<br />

griffige Sohle aus Gummi­ Leinen-Gemisch färbt<br />

nicht ab. Das Muster der aufwendig bestickten<br />

Innensohle ist von der polynesischen Kultur<br />

inspiriert. Geht übrigens auch nicht auf Kosten<br />

anderer: Das als B Corp zertifizierte Unternehmen<br />

legt hohen Wert auf eine sozial- und<br />

umweltverträgliche Produktion.<br />

PANIOLO<br />

OLUKAI<br />

Preis CHF 95.–<br />

ALPHA POT COOK SET 4.2<br />

SEA TO SUMMIT<br />

Gewicht 1220 g<br />

Preis CHF 144.–<br />

8


ALLES<br />

KÖNNER<br />

«AR» steht bei Arc’teryx für Allround. Entsprechend<br />

ist der AR-395A ein sehr vielseitiger,<br />

hochwertiger Klettergurt, der sich für Sport-,<br />

Alpin-, Mixed- und Eisklettern gleichermassen<br />

eignet. Über verstellbare Beinschlaufen lässt<br />

er sich individuell anpassen. Die spezielle Gurtkonstruktion<br />

verteilt die Belastung gleichmässig<br />

über die Gesamtbreite des Hüftgurts. Das Ergebnis:<br />

mehr Komfort, was sich vor allem bei längeren<br />

Klettersessions bezahlt macht. Gleichzeitig<br />

lässt der Gurt genügend Bewegungsfreiheit. Vier<br />

Materialschlaufen nehmen die Kletterausrüstung<br />

auf, zusätzlich gibt es vier Eisschrauben-Schlaufen<br />

und eine Transportschlaufe auf der Rückseite.<br />

AR-395A<br />

ARC’TERYX<br />

Gewicht 395 g (Grösse M)<br />

Preis CHF 159.–<br />

SOMMER<br />

TAG<br />

Wandertipp für die ganze Familie: Von Grüningen aus um den Lützelsee. Der malerische<br />

See im Kanton Zürich ist bekannt für die vielen Störche, die an seinem Ufer<br />

nisten. Seit 1983 steht er unter Natur- und Landschaftsschutz. Gleich zu Beginn<br />

lohnt ein Abstecher zum Botanischen Garten, der mit vielen Bäumen und Sträuchern<br />

eher den Charakter eines Arboretums hat. Anschliessend führt der Weg zwischen<br />

Weiden und Obstbäumen zum Uferrundweg. Zurück in Grüningen klingt der Tag im<br />

Gasthof «Hirschen» oder «Bären» aus.<br />

UMWELT<br />

FREUNDE<br />

FILIALE<br />

NO. 12<br />

Am 25. Mai <strong>2018</strong> eröffnete in Conthey im Wallis<br />

die zwölfte Bächli Bergsport Filiale ihre Türen.<br />

Sie ist zugleich die zweite französischsprachige<br />

Niederlassung von Bächli. Auf 1500 Quadratmetern<br />

Verkaufsfläche inklusive Outlet erhalten<br />

Kunden eine grosse Auswahl hochwertiger<br />

Bergsportprodukte und umfangreiche Serviceangebote.<br />

Die Fachberatung übernehmen ausgewiesene<br />

Spezialisten.<br />

Schon von Beginn an legte Ternua einen<br />

Schwerpunkt auf nachhaltig produzierte<br />

Outdoorbekleidung. Die Marke wurde vor mehr<br />

als 20 Jahren im Baskenland gegründet. Seit<br />

<strong>2018</strong> sind alle Produkte frei von PFC und ein<br />

Grossteil der Kollektion wird aus recycelten<br />

Materialien hergestellt. Dazu gehören auch<br />

ausrangierte Fischernetze oder Plastikmüll<br />

aus dem Ozean. Die Funktion kommt dabei<br />

nicht zu kurz: Die Hedit Pant ist eine robuste,<br />

flexible Trekkinghose für Frauen. Sie ist mit<br />

zwei seitlichen Taschen und einer reissverschlussgesicherten<br />

Tasche am Oberschenkel<br />

ausgestattet. Ein passender Gürtel ist mit dabei.<br />

HEDIT PANT<br />

TERNUA<br />

Gewicht 340 g<br />

Preis CHF 129.–<br />

Für weitere Informationen<br />

baechli-bergsport.ch/conthey<br />

INSPIRATION 02 / <strong>2018</strong><br />

9


3 X 3<br />

LASTEN<br />

TRÄGER<br />

Steckt einiges weg: Dieser frauenspezifische<br />

Trekkingrucksack verträgt bis zu 23<br />

Kilogramm Gewicht, was ihn für ausgedehnte<br />

Touren mit viel Gepäck qualifiziert.<br />

Er ist mit einem verstellbaren Tragesystem<br />

ausgestattet, schmiegt sich nah an<br />

den Oberkörper an und gewährt so eine<br />

gute Lastenkontrolle. Gleichzeitig ist der<br />

Rücken belüftet. Der Hüftgurt und die<br />

ergonomischen Schultergurte sind weich<br />

gepolstert, der Brustgurt ist stufenlos<br />

verstellbar. Verstaumöglichkeiten gibt<br />

es reichlich: ein geräumiges Hauptfach,<br />

Deckeltasche, separates Bodenfach, elastische<br />

Seitentaschen, Fronttasche, Hüftgurttaschen,<br />

Halterungen für Stock oder<br />

Pickel, mehrere Befestigungsschlaufen<br />

sowie eine seitliche, verstaubare Trinkflaschenhalterung.<br />

Seitliche Kompressionsriemen<br />

reduzieren das Volumen nach<br />

Bedarf. Eine Regenhülle ist integriert.<br />

DEVA 60 II<br />

GREGORY<br />

Gewicht 2050 g<br />

Preis CHF 325.–<br />

KUNDE FRAGT<br />

SCHUHSOHLEN<br />

«Lange Zeit war Vibram die gängige Sohle bei Wanderschuhen.<br />

In den letzten Jahren tauchen immer mehr Schuhmarken auf,<br />

die für ihre Sohlen mit Reifenherstellern zusammenarbeiten – ist<br />

das reines Marketing oder können diese Sohlen was?»<br />

BÄCHLI BERGSPORT ANTWORTET<br />

Josef Inderbitzin, Schwyz<br />

Die Kooperation von Schuh- und Reifenhersteller ist nicht neu: Für<br />

die Entwicklung der ersten rutschfesten Gummisohle arbeitete<br />

Vibram bereits in den 30er-Jahren mit Pirelli zusammen. Während<br />

Vibram bei hochalpinen, steigeisenfesten Schuhen nach wie vor<br />

Marktführer ist, kooperieren immer mehr Hersteller für Wander-,<br />

Zustiegs- oder Trailrunningschuhe mit Pneu-Experten wie Michelin,<br />

Continental oder Goodyear. Reifenhersteller verfügen über viel Wissen<br />

und Erfahrung im Hinblick auf Gummierungen und ihre Eigenschaften<br />

sowie die Profilanordnung. Auto- oder Bikereifen und die Sohlen von<br />

Sportschuhen müssen ähnliche Anforderungen erfüllen: Sie sollen<br />

Grip bieten und so die Sicherheit auf unterschiedlichen Untergründen<br />

erhöhen. Sich ausserdem je nach Einsatzzweck gut selbstreinigen<br />

und robust sein. Die aktuelle Dynamik auf dem Sohlenmarkt steigert<br />

letztendlich den Innovationsdruck und führt damit zu neuen Entwicklungen<br />

und noch spezifischeren, komfortableren Lösungen – all das<br />

ist natürlich im Sinne des Kunden.<br />

Ernst Schärer, Produktmanager Schuhe<br />

Ihre Fragen an: marketing@baechli-bergsport.ch<br />

BERG<br />

ZIEGE<br />

Keine nassen Füsse auf dem Weg zur Wand: Der Zustiegsschuh von Salewa ist mit<br />

einer wasserdichten, aber auch wasserdampfdurchlässigen Gore-Tex-Membran<br />

ausgestattet. Auf längeren Stecken punktet die dämpfende Zwischensohle. Die profilierte<br />

Laufsohle mit Kletterzone bietet viel Traktion auf Fels und Geröll, greift aber<br />

auch auf weicherem Untergrund. Der Schuh liegt eng am Fuss an, über die bis zu<br />

den Zehen reichende Schnürung lässt er sich individuell anpassen. Zusätzliche, mit<br />

der Schnürung gekoppelte Bänder erhöhen den Halt an Ferse und Sohle, was Rutschen,<br />

Scheuern und Blasenbildung reduziert.<br />

WILDFIRE GTX<br />

SALEWA<br />

Gewicht 860 g / Paar (Grösse 8)<br />

Preis CHF 189.–<br />

10


Schöffel Outdoor Hosen –<br />

Die sitzen perfekt<br />

Herren<br />

PANTS KOPER | CHF 99.00<br />

Damen<br />

PANTS SANTA FE | CHF 99.00<br />

50 +<br />

50 +<br />

Elastisch<br />

Elastischer<br />

Bund<br />

Wasserabweisend<br />

Wasserabweisend<br />

Schnell<br />

trocknend<br />

Strapazierfähig<br />

Schnell<br />

trocknend<br />

Strapazierfähig<br />

INSPIRATION 02 / <strong>2018</strong><br />

11


Ein abenteuerlicher Steig<br />

führt zur Silberhornhütte. Er<br />

erlaubt einmailge Tiefblicke<br />

ins Hintere Lauterbrunnental.<br />

VERSTECKTER<br />

WINKEL<br />

12


WEGWEISER LAUTERBRUNNENTAL<br />

TEXT & FOTOS IRIS KÜRSCHNER<br />

Lötscher gaben ihr den Namen.<br />

Das Quellgebiet der weissen<br />

Lütschine ist durch den Taleinschnitt<br />

selbst von Norden nicht<br />

einsehbar. Wer hinter den Vorhang<br />

steiler Felsklippen im Lauterbrunnental<br />

schaut, staunt über<br />

einen wilden Gebirgskessel.<br />

Beim ersten Donnern geht der Blick zum strahlend<br />

blauen Himmel. Erst das zweite Donnern rückt<br />

die Ursache ins Bild: Mit Wucht sucht sich an der<br />

Gletscherflanke vis-à-vis eine Lawine ihren Weg über fast<br />

lotrechte Wände. Was manch einem Gast des Berghotels<br />

Obersteinberg den Kuchenbissen im Hals stecken bleiben<br />

lässt, ist hier im Hinteren Lauterbrunnental ganz alltäglich.<br />

Vor allem im Frühsommer, wenn unzählige Silberfäden das<br />

Gelände durchziehen: angeschwollene Bäche, die als Wasserfälle<br />

über Felsen schiessen und dem Tal seinen Namen<br />

gaben. Die Natur ist hier ganz nah: Vor der Hütte lümmeln<br />

Murmeltiere, gleich unter der Terrasse treffen sich abends<br />

manchmal Steinböcke.<br />

Seit über hundert Jahren gehört die Alp Obersteinberg der<br />

Familie von Allmen. 1989 übernahmen die Geschwister<br />

Dori, Hugo und Hans-Christen den Gastbetrieb von ihren<br />

Eltern. In den Zimmern duftet es nach Holz, durch die<br />

Fenster strahlen weisse Drei- und Viertausender auf dicke<br />

Federbetten. Die Kerzen auf den Nachttischchen und die<br />

Waschschüsseln auf der Kommode sind keine Dekoration.<br />

Es gibt hier weder Strom noch fliessend Wasser. «Heute<br />

nennt man das nostalgisch», sagt Dori und schmunzelt. Die<br />

Sommermonate auf der Alp bedeuten für die Geschwister<br />

viel Aufwand. Dori etwa benutzt zum Waschen eine Wassermotor-Maschine<br />

von 1930. Hans-Christen versorgt die Kühe,<br />

macht aus frischer Milch Butter, Rahm und Käse. Nur Hugo,<br />

der sich einst mit seiner Mulidame Fiona um den Lebensmittel-<br />

und Getränketransport kümmerte, ist nicht mehr.<br />

Vielleicht schaut er jetzt von oben runter und freut sich,<br />

dass einer seiner Cousins immer wieder für Frischkost ins<br />

Tal hinuntereilt, um sie dann auf steilem Pfad 870 Höhenmeter<br />

hinaufzuschleppen. Denn eine Zufahrtsstrasse gibt<br />

es nicht. Stechelberg, das letzte Dorf im Lauterbrunnental,<br />

ist Endstation der Postautolinie wie auch aller öffentlich<br />

zugänglichen Strassen.<br />

DIE MAGIE DES BERGFRÜHLINGS<br />

Mit heute rund 2,5 Millionen Übernachtungen pro Jahr<br />

gehört die Jungfrauregion zu den gefragtesten Urlaubszielen<br />

der Schweiz. Doch bekanntlich werden von der<br />

Masse nur die Klassiker abgeklappert. Schon 1859 muss<br />

das ähnlich gewesen sein, als sich am 9. August der St.<br />

Galler Alpenpionier Weilenmann ins Hintere Lauterbrunnental<br />

aufmachte, flüchtend vor der «Zudringlichkeit<br />

der Wegelagerer, in Gestalt von Führern und Sesselträgern,<br />

Erd- und Himbeerverkäufern, Alphornbläsern<br />

und Echoerweckern, Marqueurs de bâtons, Schnitzereien-<br />

und ‹Souvenirs du Staubbach›-Händlern». Dann<br />

aber «überrascht es angenehm, wenn er, kaum das<br />

Dorf und den Staubbach im Rücken, sich unversehens<br />

von der hehren Stille eines unentweihten Alpenthales<br />

umgeben sieht.» Und weil das Hintere Lauterbrunnental<br />

mit ins UNESCO-Welterbe aufgenommen wurde, wird<br />

das auch so bleiben. Das Tal der 72 Wasserfälle, von<br />

Goethe poetisch verewigt, zeigt seine besondere Magie<br />

im Bergfrühling. Mächtig donnern dann die Holdri- und<br />

Schmadribachfälle. Kraftorte, an denen man nicht selten<br />

ganz alleine steht. Nur zu Fuss erreichbare Berghotels<br />

sind Garant für eine nostalgische Übernachtung. Obersteinberg,<br />

das höchstgelegene, hat sich als Kerzenhotel<br />

einen Namen gemacht. Auch Weilenmann genoss diese<br />

Herberge, wo «gegenüber schauerlich wild, in nackten<br />

Felsflanken die Jungfrau sich thürmt». Dieser Blick<br />

Über glatt geschmirgelte Strählplatten<br />

ist bald die Silberhornhütte erreicht.<br />

INSPIRATION 02 / <strong>2018</strong><br />

13


LAUTER­<br />

BRUNNENTAL<br />

IN ZAHLEN<br />

72<br />

WASSERFÄLLE<br />

20'000<br />

LITER WASSER PRO SEKUNDE<br />

STÜRZEN ALLEIN BEI DEN<br />

TRÜMMELBACHFÄLLEN ZU TALE<br />

Das türkisblaue Wasser des Oberhornsees: magisch, doch klirrend<br />

kalt. Im Hintergrund leuchten die Gletscher des Tschingelhorns.<br />

5<br />

KLEINE GLETSCHER STATT<br />

EINES GROSSEN: DER KLIMA­<br />

WANDEL IST AUCH IM LAUTER­<br />

BRUNNENTAL SICHTBAR<br />

begleitet auch hinauf zum Oberhornsee. Ein türkisblaues<br />

Juwel, das zum Reinspringen verführt, wie Gott einen<br />

geschaffen hat. Wäre das glasklare Wasser nur nicht so<br />

kalt. Aber egal. Es härtet ab und danach fühlt man sich<br />

wie neugeboren. Eine weite Rundhöckerlandschaft breitet<br />

sich hier im Quellgebiet der Weissen Lütschine aus,<br />

umstellt von mächtigen Gletscherbergen. Zwischen dem<br />

Lauterbrunner Breithorn und dem Tschingelhorn fällt der<br />

Blick auf die Wetterlücke. Ende des 13. Jahrhunderts sollen<br />

Lötscher dort herübergewandert sein, um sich neue<br />

Siedlungsräume zu suchen. Sie gründeten Ammerten,<br />

Trachsellauenen, Sichellauenen, Gimmelwald und Mürren.<br />

Nur Gimmelwald und Mürren haben als ehemalige<br />

Walsersiedlungen überlebt. Auch sprachliche Eigenarten<br />

in der Lauterbrunner Mundart weisen auf die Verwan<strong>dt</strong>schaft<br />

mit den Wallisern hin. Begriffe wie «Ggufer» für<br />

loses Gestein oder «Griiffli» für Preiselbeeren sind auf<br />

beiden Seiten gebräuchlich.<br />

Gletscherbäche gurgeln durch leuchtende Blumenmatten,<br />

Moränenwälle aller Grössen und Formen ziehen von<br />

den Gebirgsflanken herunter. Dazwischen verstecken sich<br />

zahlreiche Flachmoore, die im Hochsommer von einem<br />

weissen Wollgras-Meer umgarnt werden. Vielleicht trifft<br />

man auf Andreas Wipf, der zwischen den gletschergeschliffenen<br />

Wannen und Kuppen oft herumstromert.<br />

Dazwischen schlängelt sich ein Pfad zur Schmadrihütte.<br />

Eine Selbstversorgerhütte, in die sich der Geograf gerne<br />

einquartiert, um seine Studien zu intensivieren. «Durch<br />

Erosion sind hier ältere geologische Einheiten wie durch<br />

ein Fenster aufgeschlossen und lassen einen Blick in den<br />

Aufbau der Alpen zu», begeistert er sich. Das Zusammentreffen<br />

von kristallinen und kalkreichen Gesteinen<br />

bringe zudem eine ungeheure Vielfalt in der alpinen<br />

Flora hervor. Blaugras, Alpen-Akelei, Strauss-Glockenblume,<br />

Alpen-Aster und Edelweiss lieben den Kalk am<br />

Obersteinberg und an den Hängen des Spitzhorns. In<br />

den Vorfeldern von Tschingel-, Wetterlücken-, Breithornund<br />

den beiden Schmadrigletschern gedeihen neben<br />

Moosen Pionierpflanzen wie Fleischers Weidenröschen,<br />

Schild-Ampfer und Kleearten. Natürlich kennt er auch die<br />

Plätze von Frauenschuh-Orchideen.<br />

14


WEGWEISER LAUTERBRUNNENTAL<br />

Der Staubbachfall, von Goethe mit seinem Gedicht «Gesang der<br />

Geister über den Wassern» literarisch verewigt: «Strömt von der<br />

hohen | Steilen Felswand | Der reine Strahl | Dann stäubt er lieblich<br />

| In Wolkenwellen | Zum glatten Fels | Und leicht empfangen |<br />

Wallt er verschleiernd | Leisrauschend | Zur Tiefe nieder.»<br />

GLETSCHERDRAMA<br />

Sein besonderes Interesse gilt den Gletschern. Nirgends<br />

könne man die Gletscherschwankungen der Nacheiszeit<br />

so gut studieren wie hier, betont Wipf. Anhand der markanten<br />

Moränenwälle lässt sich der Gletscherhochstand<br />

von 1850 genau rekonstruieren. Für das Schweizerische<br />

Gletscherinventar und bei der Inventarisierung der Gletschervorfelder<br />

und alpinen Schwemmebenen von nationaler<br />

Bedeutung war Wipf für das Hintere Lauterbrunnental<br />

zuständig. Mehr als zwei Kilometer Länge verlor<br />

der Tschingelgletscher. Die einst zusammenhängende<br />

Eisfläche des Gebirgskessels schrumpfte zu fünf Gletschern,<br />

die immer kleiner werden. Wehmut schwingt<br />

da mit, weil der Klimawandel eben doch rascher voranschreitet<br />

als bisher in der Zeitgeschichte üblich. «Vom<br />

Menschen gemacht» lastet auf unseren Schultern. Tosend<br />

donnert der Schmadribachfall über eine Felsstufe<br />

von der Höhenterrasse ins Tal. Durch Alpenrosenbüsche<br />

und Farnkraut weicht der Pfad östlich aus und balan­<br />

INSPIRATION 02 / <strong>2018</strong><br />

PERFEKT GERÜSTET FÜR GRENZENLOSE ABENTEUER,<br />

MIT WENIGER ALS 1,5 KG!<br />

15<br />

ERHÄLTLICH BEI BÄCHLI BERGSPORT


WEGWEISER LAUTERBRUNNENTAL<br />

ciert nun auf der gegenüberliegenden Seite vom Obersteinberg<br />

den Flanken unter Mittaghorn und Äbeni Flue<br />

entlang. Unten in Trachsellauenen wartet der nächste<br />

Kuchenstopp. Möglicherweise donnert es wieder – trotz<br />

blitzblauem Himmel. Manch Einheimischer sagt dann:<br />

Das sind die Rottalherren. Das Berghotel Trachsellauenen<br />

liegt genau vis-à-vis des Rottal-Gletscherschlunds.<br />

Eine blühende, fruchtbare Alp soll das einst gewesen<br />

sein, bevor die Herren von Rotenfluh ihre Untertanen<br />

plagten. Wahre Wüteriche, die gerne auch den Frauen<br />

nachstellten. Als der Schlimmste, so berichtet die Sage,<br />

lüstern ein Hirtenmädchen verfolgte, soll ein schwarzer<br />

Bock der Jungfrau zu Hilfe geeilt sein. Mit seinen gewaltigen<br />

Hörnern stiess er den Mann über eine Felswand in<br />

den Abgrund. Da erzitterte das Land, Felsbrocken und<br />

Eismassen begruben die Rottal-Alp und verbannten die<br />

Willkürherrscher von Rotenfluh in die Gletschereinöde.<br />

Mystik, die an der Neugier kitzelt, vielleicht doch einen<br />

intensiveren Blick ins Rottal zu werfen. Alpinisten nutzen<br />

den Weg zur Rottalhütte, um über den Rottalgrat den<br />

Gipfel der Jungfrau zu erobern. Auf der Suche nach<br />

den abenteuerlichsten Routen auf den Sehnsuchtsberg,<br />

versuchten sich die Alpenpioniere schon 1863 auch am<br />

Nordwest- oder Rotbrättgrat, dort wo das Silberhorn<br />

seinen Schneekegel keck in den Himmel reckt. Weil<br />

diese Route auch heute noch als schwierig gilt, wird sie<br />

nur selten begangen. Bergwanderer aber können bis zur<br />

Silberhornhütte ins alpine Abenteuerland vorstossen,<br />

wenn sie abolute Trittsicherheit und Schwindelfreiheit<br />

mitbringen. Unterhalb der Bäreflue bei der Quelle «Bim<br />

Chalten Brunnen» wechselt man vom Hüttenweg der<br />

«Nirgends kann man die<br />

Gletscherschwankungen<br />

der Nacheiszeit so<br />

gut studieren wie hier».<br />

Rottalhütte nach links in den Hüttenweg zur Silberhornhütte<br />

und hangelt sich dann durch imposante Felsfluchten<br />

in die Höhe.<br />

Bei der Querung über Felsbänder und Plattenschüsse<br />

sieht man sie schon, die winzige Hütte auf dem Sattel<br />

zwischen Schwarzmönch und Jungfraumassiv. Ein Stützpunkt<br />

wie zu Pionierstagen, unbewartet, spektakulär<br />

gelegen, mit ungewöhnlichen Perspektiven auf Eiger,<br />

Mönch und die zerrissenen Gletscher der Jungfrau.<br />

Ganz zu schweigen von den Tiefblicken ins Lauterbrunnental,<br />

zur Kleinen Scheidegg, zur Station Eigergletscher.<br />

Der pure Luxus: Getränke sind vorhanden, dazu<br />

Feuerholz. Im hauseigenen Geschirrsortiment fehlt<br />

selbstverständlich auch das Fonduecaquelon mit Zubehör<br />

nicht. Braucht man also nur noch die Käsemischung<br />

hinaufzutragen. Candlelight-Dinner wie auf dem Obersteinberg,<br />

nur noch archaischer und mit Nervenkitzel.<br />

Was die Rottalherren im Schilde führen, wenn's donnert,<br />

ist nie so ganz sicher.<br />

Informationen zum Hinteren<br />

Lauterbrunnen tal finden Sie unter:<br />

baechli-bergsport.ch/lauterbrunnental<br />

Gletscherschau von der Terrasse<br />

des Kerzenhotels Obersteinberg.<br />

16


PFAD<br />

FINDER<br />

Während die touristischen<br />

Hotspots der Jungfrauregion<br />

von Menschenmassen heimgesucht<br />

werden, warten im Hinteren<br />

Lauterbrunnental, rund<br />

um das Berghotel Obersteinberg,<br />

überraschend stille Wanderpfade.<br />

Wer sie oder andere Bergregionen<br />

entdecken möchte, ist<br />

mit der Produktauswahl von Bächli<br />

Bergsport bestens gerüstet.<br />

«Kaum ein anderes<br />

Tal der Schweiz besticht<br />

durch so viel Historie<br />

und Vielseitigkeit.»<br />

JAN MAURER<br />

MARKETINGLEITER<br />

BÄCHLI<br />

ON TOUR<br />

Wanderpartner gesucht? Wer Lust<br />

hat, die Schweizer Bergwelt in<br />

einer kleinen Gruppe von Gleichgesinnten<br />

zu erkunden, hat bei<br />

einem Tourenangebot von Bächli<br />

Bergsport die Möglichkeit. Zum<br />

Beispiel auf einer zweitägigen<br />

Wanderung (30.06.-01.07.) zur<br />

neuen Monte-Rosa-Hütte in den<br />

Walliser Alpen.<br />

baechli-bergsport.ch/<br />

de/baechliontour<br />

SICHT<br />

WECHSEL<br />

Die Monterosa Cameleon ist eine leichte,<br />

sehr vielseitige Sportsonnenbrille für<br />

Frauen. Die photochromatischen Polycarbonat-Gläser<br />

passen sich innerhalb kurzer<br />

Zeit (etwa 30 Sekunden) an die jeweiligen<br />

Lichtverhältnisse an. Das bedeutet, dass<br />

sich die Lichtdurchlässigkeit im Bereich der<br />

Schutzkategorie 2 bis 4 verändert, was den<br />

Einsatzbereich stark erweitert. Die Brille<br />

eignet sich bei mässiger bis starker Sonneneinstrahlung,<br />

von tieferen Lagen bis ins<br />

Hochgebirge sowie bei hellen Wasser- und<br />

Schneeflächen. Ihre Filter neutralisieren<br />

störende Lichtreflexe, erhöhen den Kontrast<br />

und verbessern so die Sicht insgesamt.<br />

Die Monterosa schliesst sehr gut ab,<br />

die seitlichen Sonnenschutz-Blenden sind<br />

bei Bedarf abnehmbar.<br />

FÜHRUNGS<br />

STAB<br />

Der Sherpa XL ist ein dreiteiliger Trekkingstock<br />

aus hochfestem Aluminium, bei<br />

dem der Fokus auf Robustheit und Langlebigkeit<br />

liegt. Über externe Speed Lock 2<br />

Klemmschellen lässt sich die Stocklänge<br />

stufenlos von 70 bis 145 Zentimeter verstellen.<br />

Mit seiner Maximallänge eignet sich der<br />

Sherpa XL hervorragend für grosse Menschen.<br />

Die weichen Aergon-Griffe aus offenporigem<br />

EVA-Schaumstoff haben eine ergonomisch<br />

geformte Stützfläche am Griffkopf,<br />

die nach unten verlängerte Gummierung erlaubt<br />

schnelles, flexibles Umgreifen in steilen<br />

Passagen oder auf Traversen. Die Teller<br />

können ausgetauscht werden, wodurch der<br />

Stock ganzjährig einsetzbar ist.<br />

WANDER<br />

VOLL<br />

Verregneter Sommer? Hoffentlich nicht. Wie<br />

auch immer die Bedingungen sein werden,<br />

mit dem Marmolada Pro OD sind Wanderer<br />

gewappnet: Der leichte Trekkingschuh<br />

ist mit einer wasserdichten, wasserdampfdurchlässigen<br />

OutDry-Membran ausgestattet.<br />

Diese ist direkt mit dem Obermaterial<br />

– einem Leder-Synthetik-Mix – verbunden,<br />

sodass alle Nähte und Hohlräume versiegelt<br />

sind. Eine EVA-Zwischensohle dämpft und<br />

stützt; die Vibram-Laufsohle bietet guten<br />

Grip. Der Schaft mit speziellen Stretch-Einsätzen<br />

schmiegt sich ähnlich wie ein Socken<br />

eng an den Fuss an. Mittels bis an die Zehen<br />

reichender Schnürung lässt sich der Schuh<br />

zudem gut anpassen. Ein hochgezogener<br />

Gummirand an Fersen und Zehen schützt vor<br />

scharfkantigem Gestein.<br />

MONTE ROSA CAMELEON<br />

JULBO<br />

Preis CHF 189.–<br />

SHERPA XL<br />

LEKI<br />

Gewicht 525 g<br />

Preis CHF 135.–<br />

MARMOLADA PRO OD<br />

SCARPA<br />

Gewicht 1260 g/Paar (Grösse 8)<br />

Preis CHF 339.–<br />

17


DIE LEICHTIGKEIT DES<br />

(UNTERWEGS)SEINS<br />

Je weniger Gepäck, desto weniger Anstrengung – das leuchtet ein.<br />

Aber was lässt man daheim? Und wann lohnt es sich, auf ein<br />

paar Gramm Gewichtsersparnis zu verzichten? Welche Ausrüstung<br />

sich wofür eignet, gilt es immer individuell für jedes Projekt<br />

abzuwägen. Eine Handlungsanleitung.<br />

TEXT MIRJAM MILAD<br />

Zugegeben, ich wäre nicht auf die Idee<br />

gekommen, bei der Mehrtagestour auf<br />

mein geräumiges Tunnelzelt zu verzichten<br />

– nicht in diesem verregneten Sommer!<br />

Mein Mitstreiter offensichtlich schon: «Wenn<br />

wir dein statt mein Zelt nehmen, musst du es<br />

auch alleine tragen». Eine klare Ansage von<br />

jemandem, der seinen Rucksack eigenhändig<br />

umgenäht und überflüssige Riemen weggeschnitten<br />

hat, um Gewicht zu sparen. Mit<br />

18


EXPERT LEICHTGEWICHT<br />

ILLUSTRATION: SOPHIE KETTERER<br />

Skepsis betrachte ich jetzt das ultraleichte<br />

Etwas, das er neben den Rucksack gelegt<br />

hat. Das soll ein Zelt ein? Einwandig und aufs<br />

Nötigste reduziert, scheint es mir eher für<br />

tropische Nächte gemacht. Aber gut, probieren<br />

wir es aus. Seufzend packe ich mein Drei-<br />

Kilo-Heim zurück ins Auto, wenig später wandern<br />

wir los. Jetzt freue ich mich darüber,<br />

weniger tragen zu müssen. Aber wird sich das<br />

Leicht-Zelt in der Praxis bewähren?<br />

SCHRITTWEISE ANPASSUNG<br />

Die Vorteile sehr leichter Ausrüstung liegen<br />

klar auf der Hand: Geringeres Gewicht bedeutet<br />

weniger Belastung für den Körper, späteres<br />

Eintreten von Ermüdungserscheinungen,<br />

unbeschwertes, schnelles Vorwärtskommen.<br />

Dadurch lassen sich weitere Strecken in kürzerer<br />

Zeit und mit weniger Energieaufwand<br />

zurücklegen. Das zeigt sich auch auf unserer<br />

fünftägigen Tour. Glücklicherweise funktioniert<br />

der «Hauch von Nichts» recht gut: Zwar<br />

machen wir Abstriche beim Komfort und<br />

das Platzangebot ist deutlich begrenzter als<br />

in meinem Tunnelzelt. Zu viel Wind verträgt<br />

unser Unterschlupf auch nicht, doch dem<br />

Dauerregen trotzt er tapfer.<br />

Wer das Gewicht seines Wandergepäcks auf<br />

ein Minimum reduzieren möchte, oder aus<br />

gesundheitlichen Gründen reduzieren muss,<br />

sollte sich schrittweise an die für ihn passende<br />

Ausrüstung herantasten. Ausprobieren, was für<br />

einen passt und vor allem – was sich bewährt.<br />

Ganz wichtig: Die Ausrüstung muss immer an<br />

die jeweiligen Bedingungen angepasst sein:<br />

Terrain, Klima, Wetter, Art und Dauer der Route.<br />

Ebenso an die eigene Fitness und Erfahrung.<br />

Denn: Das reduzierte Gepäck lässt unter Umständen<br />

weniger Sicherheitsreserven. Nicht<br />

nur, was den Wetterschutz betrifft – weniger<br />

mitzunehmen bedeutet auch, gegebenenfalls<br />

keinen Ersatz zu haben, wenn etwas kaputt<br />

geht. Und nicht alle leichten Materialien sind<br />

gleich robust. Eine ultraleichte Regenjacke<br />

beispielsweise hält auf einer mehrtägigen<br />

Trekkingtour dem Druck des Rucksacks auf<br />

die Schultern kaum stand. Doch neue Entwicklungen<br />

und Technologien haben in den<br />

letzten Jahren viel verändert. Die Auswahl<br />

an ultraleichten Ausrüstungsgegenständen ist<br />

nicht nur riesig – von minimalistischen Zelten<br />

über spartanisch anmutende Rucksäcke bis hin<br />

zu Wetterschutzjacken, die nicht mehr wiegen<br />

als eine Tafel Schokolade – immer häufiger<br />

bieten ultraleichte Teile auch erstaunlich viel<br />

Komfort und Schutz.<br />

WIE LEICHT IST ULTRALEICHT?<br />

Ultraleicht-Wanderer definieren sich weniger<br />

über das Gewicht der einzelnen Gegenstände,<br />

als über das Gesamtgewicht ihrer Ausrüstung:<br />

Nicht mehr als fünf Kilogramm soll sie wiegen,<br />

sagen einige, wenn man Essen, Wasser und<br />

Brennstoffe abzieht. Ob man sich an diesem<br />

Wert orientiert und wie sehr, bleibt jedem<br />

selbst überlassen. Schliesslich hängt die Entscheidung<br />

auch davon ab, inwieweit man bereit<br />

ist, die persönliche Komfortzone zu verlassen.<br />

Unter Umständen nicht für jede denkbare<br />

Situation ausgerüstet zu sein. Wer bisher mit<br />

«klassischer» Ausrüstung unterwegs war, kann<br />

sich schrittweise an weniger Gewicht herantasten.<br />

Überlegen, welche Dinge unentbehrlich<br />

sind und auf was sich problemlos verzichten<br />

lässt – die Bächli Bergsport Mitarbeiter stehen<br />

gerne mit Rat zur Seite. Denn auch viele leichte<br />

Ausrüstungsgegenstände können in ihrer Summe<br />

ganz schön zu Buche schlagen.<br />

In einem nächsten Schritt gilt es abzuwägen,<br />

welche der unabdingbaren Gepäckstücke durch<br />

weniger schwere ersetzt werden können:<br />

Reicht ein leichterer Schlafsack? Die leichtere<br />

Matte? Ein leichteres Zelt oder sogar ein Tarp?<br />

Welche Kleidungsstücke können funktional<br />

miteinander kombiniert werden und ersparen<br />

so vielleicht eine zusätzliche Schicht? Welche<br />

haben ein besonders gutes Verhältnis von Wärme<br />

zu Gewicht? Isolationsjacken mit Daunen- oder<br />

Kunstfaserfüllung kommen hier beispielsweise<br />

deutlich besser weg als eine Fleecejacke, die<br />

zudem viel Platz im Rucksack einnimmt.<br />

Apropos Platz im Rucksack: Wer von Anfang<br />

an einen kleineren Rucksack wählt,<br />

wird sehr wahrscheinlich weniger Gepäck<br />

mit sich tragen. Denn egal, wie gross der<br />

Rucksack ist: voll wird er immer. Man<br />

muss ja nicht gleich, wie mein Reisepartner,<br />

alle entbehrlichen Riemen abschneiden.<br />

Kann man aber.<br />

19


EXPERT LEICHTGEWICHT<br />

ACHTMAL<br />

GEWICHT SPAREN<br />

5<br />

2<br />

1<br />

7<br />

4<br />

8<br />

3<br />

6<br />

20<br />

Produkte zum Thema Leichtgewicht finden Sie unter: baechli-bergsport.ch/leichtgewicht


1 Die Zelte der Freelite-Serie sind die leichtesten im<br />

Programm von MSR und bieten erstaunlich viel Komfort. Sie<br />

haben eine oder zwei Apsiden und eignen sich für den Einsatz von<br />

Frühling bis Herbst. Passende Footprints optional erhältlich.<br />

FREELITE SERIE MSR<br />

Gewicht ab 1130 / 1330 / 1560 g (je nach Grösse)<br />

Preis CHF 449.- / 529.- / 609.-<br />

2 Gerade mal 73 Gramm bringt der PocketRocket 2 auf<br />

die Waage. Der kompakte und effiziente Gaskocher passt auf alle<br />

gängigen Kartuschen mit Schraubgewinde. Die Flamme lässt sich<br />

fein regulieren, ein Liter Wasser kocht in etwa dreieinhalb Minuten.<br />

BUILT TO LAST<br />

JUST LIKE YOU<br />

POCKETROCKET MSR<br />

Gewicht 73 g<br />

Preis CHF 36.-<br />

3 Das leichte Topfset besteht aus harteloxiertem Aluminium<br />

mit Antihaftbeschichtung auf der Innenseite. Im Set enthalten:<br />

zwei Kochtöpfe mit 1,3 oder 2,3 Liter Volumen, Deckel mit<br />

integriertem Abtropfsieb, Griffzange und Packbeutel.<br />

LITECH POT SET PRIMUS<br />

Gewicht 427 g (1,3 Liter)<br />

Preis ab CHF 74.-<br />

4 Trotz ihrer hohen Wärmeleistung (R-Wert 3,2) ist die<br />

Matte sehr leicht und hat ein Packmass von nur 10 x 23 Zentimetern.<br />

Isolierende Zellen minimieren die Konvektionskühlung und<br />

geben Stabilität. Da die Matte keine feuchtigkeitsempfindliche<br />

Isolation enthält, kann sie mit dem Mund aufgeblasen werden.<br />

NEOAIR XLITE II THERM-A-REST<br />

Gewicht 350 g<br />

Preis ab CHF 179.-<br />

Mauricio Mendez,<br />

Xterra World<br />

Champion<br />

5 Dreiteiliger, faltbarer Carbon-Stock mit fixer Länge<br />

(110, 120, 130 cm). Ein Schutzring aus Aluminium verstärkt die<br />

Verbindungen der einzelnen Segmente. Die Stockspannung wird<br />

schnell und einfach per Knopfdruck entriegelt. Zusammengefaltet<br />

misst der Stock je nach Gesamtlänge 36, 40 oder 43 Zentimeter.<br />

DISTANCE CARBON Z BLACK DIAMOND<br />

Gewicht 275 / 285 /295 g (je nach Länge)<br />

Preis CHF 145.-<br />

6 Minimalistisches Trekking-Han<strong>dt</strong>uch aus leichtem,<br />

saugstarkem und schnell trocknendem Mikrofaser-Mischgewebe.<br />

Aufbewahrungsbeutel inklusive. In unterschiedlichen Grössen<br />

erhältlich.<br />

ULTRALITE II PACKTOWL<br />

Gewicht ab 13 g<br />

Preis ab CHF 15.-<br />

7 Leichter Sommerschlafsack mit kleinem Packmass.<br />

Das Aussenmaterial ist wind- und wasserabweisend, das Innenfutter<br />

leitet Feuchtigkeit ab. Gefüllt mit hochwertiger Gänsedaune<br />

(800 cuin).<br />

SPHERE DOWN SUMMER MAMMUT<br />

Gewicht 370 g (regular)<br />

Preis ab CHF 325.-<br />

SUUNTO 9<br />

8 Sehr leichter Wanderschuh für einfacheres Terrain<br />

oder trainierte Läufer. Das grobe Stollenprofil und die<br />

abgestimmte Gummimischung der Sohle geben viel Grip. Die<br />

Gore-Tex-Membran hält Nässe ab.<br />

X ULTRA 3 MID GTX SALOMON<br />

Gewicht 896 g/Paar (Grösse 8.5)<br />

Preis CHF 189 .-<br />

SUUNTO 9<br />

• 120 Stunden Batterielaufzeit im Ultra Modus<br />

• Intelligente Batterie-Technologie<br />

• Getestet unter extremsten Bedingungen<br />

21


Sehr eindrücklich und überhängend:<br />

Alex Wick klettert die Schlüsselstelle<br />

am Westgrat des Feldschijen.<br />

LUFTIGER<br />

GRANIT<br />

22


WEGWEISER FELDSCHIJENGRAT<br />

TEXT & FOTOS RALF GANTZHORN<br />

Der Urner Granit geniesst weit<br />

herum einen hervorragenden<br />

Ruf für seine Qualität. Trotz der<br />

Beliebtheit der Destination gibt<br />

es auch dort noch einiges zu<br />

entdecken für Kletterer. Der<br />

Feldschijen-Westgrat beispielsweise<br />

ist ein noch wenig bekanntes,<br />

dafür umso lohnenderes Ziel.<br />

Hans Berger ist ein weit gereister Alpinist. Er<br />

kennt die Berge der Welt, ist als Bergführer in<br />

allen Gebirgsgruppen der Alpen unterwegs. Und<br />

er war bis zum Ende des Sommers 2017 Hüttenwart auf<br />

der Salbithütte in den zentralen Urner Alpen. Logisch,<br />

dass er die beiden Traumlinien an seinem Hausberg,<br />

den Salbitschijn, liebt und lobt. Aber er weiss auch um<br />

die Beliebtheit insbesondere des Südgrates, den er selber<br />

als «Symphonie in Granit» in den höchsten Tönen<br />

lobt. Fragt man ihn nach einer Alternative, kommt die<br />

Antwort ohne zu zögern: «Klettert den Westgrat am<br />

Feldschijen!»<br />

«Feldschijen – noch nie gehört!» – das dürfte wohl der<br />

häufigste Kommentar sein, wenn man Alpinisten nach<br />

dem Westgrat des Feldschijen fragt. Und auch ich hatte<br />

ja keine Ahnung. «Wo steht denn der Berg überhaupt?»,<br />

war daher meine nächste Frage an Hans. Von der Terrasse<br />

seiner Hütte zeigt er auf ein relativ unscheinbares<br />

Ensemble von Granitfelsen auf der Südseite des<br />

Göscheneralpsees. Und dort soll eine dem Südgrat des<br />

Salbitschijns vergleichbare Tour zu finden sein?<br />

SELEKTIVER ZUSTIEG<br />

Zu viert machen wir uns auf, die Aussagen des Hüttenwarts<br />

zu überprüfen. Sonja und Simone als starke<br />

Frauen-Seilschaft, Alex und ich als männliches Pendant.<br />

Was sofort als Unterschied zum Salbit ins Auge<br />

fällt, beziehungsweise in die Waden fährt, ist der Zustieg.<br />

Satte 600 Höhenmeter wollen auf einem steilen<br />

Pfad überwunden werden, bevor man die Hand an den<br />

Fels legen darf. Ein Filter, der schon immer die Spreu<br />

GÖSCHENERTAL<br />

IN ZAHLEN<br />

700<br />

METER MISST DIE DAMM-<br />

KRONE DER STAUMAUER<br />

DES GÖSCHENERALPSEES<br />

AUS DEM JAHR 1960<br />

34<br />

JAHRE WAR HANS BERGER<br />

HÜTTENWART DER SALBITHÜTTE<br />

90<br />

METER MISST DIE SALBIT­<br />

HÄNGEBRÜCKE, DIE DAS<br />

KERNSTÜCK DES FUSSWEGES<br />

ZWISCHEN SALBIT- UND<br />

VORALPHÜTTE IST<br />

INSPIRATION 02 / <strong>2018</strong><br />

23


WEGWEISER<br />

URNER<br />

GRANITGRATE<br />

2981 m ist der Salbitschijn hoch, also nicht einmal 3000 m.<br />

Trotzdem zählt der Westgrat zu den längsten Klettergraten<br />

der Alpen überhaupt: 32 Seillängen oder rund<br />

1200 m wollen hier geklettert werden, der «Rolls Royce<br />

unter den Graten».<br />

700 m ist die Dammkrone des Göscheneralpsees breit.<br />

Die als bepflanzter Erddamm ausgeführte Staumauer<br />

wurde 1960 fertiggestellt, das Speicherbecken hat ein<br />

Fassungsvermögen von rund 75 Millionen Kubikmetern.<br />

In dem See befinden sich die Ruinen der ehemaligen<br />

Siedlung Göscheneralp. Die Bewohner wurden umgesiedelt<br />

in den jetzt unterhalb gelegenen Weiler Gwüest.<br />

34 Jahre lang war Hans Berger Hüttenwirt der Salbithütte.<br />

Das lange Zeit als reine Hütte für Kletterer betriebene<br />

Rifugium ist seit 2010 die erste Station einer der<br />

schönsten Mehrtageswandertouren der Alpen: die Urner<br />

Hüttenrunde. Sie führt einmal um das Göschenertal<br />

herum über Salbit-, Voralp-, Bergsee-, Chelenalp-, Damma-<br />

und Albert-Heim-Hütte. Infos finden sich im Buch<br />

Hüttentrekking Bd. 2 Schweiz im Bergverlag Rother.<br />

Eng verbunden mit der Einrichtung der Urner Hüttenrunde<br />

ist der Bau der Salbitbrücke. Diese 90 m lange<br />

Hängebrücke ist das Kernstück des Fussweges zwischen<br />

Salbit- und Voralphütte.<br />

vom Weizen trennte. So stehen wir dann auch nach<br />

zwei Stunden und einem schweisstreibenden Zustieg<br />

alleine im Blockfeld unterhalb des Grates. Wobei unsere<br />

Augen schon dabei sind, den Fels abzusuchen: Wo<br />

ist eine kletterbare Linie? Wie lässt sie sich absichern?<br />

Alex findet als Erster die drei Bohrhaken, welche die<br />

erste Seillänge absichern. Die Routenführung ist eindeutig.<br />

Spreizend und piazend klettert er hinauf zum<br />

ersten Stand direkt auf dem Grat. Das sieht vielversprechend<br />

aus!<br />

Mit dem Erreichen der Gratschneide weicht der konzentrierte<br />

Blick der ersten Klettermeter erstmals der<br />

Weite der Umgebung. Das gesamte Panorama der zentralen<br />

Urner Alpen tut sich auf, eine Landschaft bestehend<br />

aus den Farben Weiss, Grün und Grau. Oder übersetzt:<br />

Eis, Gras und Granit. Eis von immer noch beeindruckenden<br />

Ausmassen ist am Dammastock zu finden, mit<br />

3630 m der höchste Berg im weiten Rund. Seine Gletscher<br />

bzw. deren Schmelzwässer waren es, die vor<br />

rund 70 Jahren den Startschuss zur Errichtung des<br />

Göscheneralpsees gaben. Am Grund des türkisgrünen<br />

Sees des 1960 fertiggestellten Staudamms befinden<br />

sich noch heute der Kirchturm des ehemaligen Dorfes<br />

Göscheneralp. Seine Anwohner hatte man damals umgesiedelt<br />

in den Weiler Gwüest, oberhalb des heute für<br />

Kletterer so wichtigen Zeltplatzes.<br />

GRANIT – DIE URNER FELSBURGEN<br />

Granit wiederum ist die Basis von allem in den Urner<br />

Alpen. Wer in der Schule aufgepasst hat, erinnert<br />

sich: «Feldspat, Quarz und Glimmer, vergess’ ich nimmer!»<br />

Granit ist sicherlich eines der am einfachsten<br />

aufgebauten Gesteine – aus mehr als den genannten<br />

drei Mineralien besteht Granit nicht. Generell und<br />

überall auf der Welt. Und woher kommen sie? Granit<br />

ist ein magmatisches Gestein, entstanden in den Tiefen<br />

unserer Erde. Vor vielen Millionen Jahren drang geschmolzenes<br />

Gestein in die Erdkruste ein und blieb<br />

während ihres Aufstiegs in Tiefen zwischen ca. vier und<br />

sechs Kilometern stecken. Dort hatte der heisse Gesteinsbrei,<br />

den man sich von der Form her ungefähr<br />

vorstellen muss wie einen in das umgebene Gestein<br />

eingelagerten Pilz, dann Zeit. Viel Zeit – um abzuküh­<br />

24


FELDSCHIJENGRAT<br />

len und grosse Kristalle zu bilden. Durch den Abkühlungsprozess<br />

schrumpfte auch der gesamte Gesteinskörper,<br />

es bildeten sich Schrumpfungsrisse, die<br />

– anders als man das z. B. vom Bodensatz einer<br />

Pfütze her kennt – im rechten Winkel zueinander stehen.<br />

Wenn man also den gesamten Gesteinskörper<br />

betrachtet, ist dieser durchzogen von senkrecht aufeinander<br />

stehenden Rissen, so als wäre dieser aus<br />

Quadern unterschiedlicher Grösse aufgebaut. Noch<br />

jedoch steckt das Gebilde tief in der Erdkruste. Und<br />

das wäre auch noch lange so geblieben, hätte nicht<br />

Afrika in seiner Kontinentalbewegung vor ca. 55 Millionen<br />

Jahren einen Nordschwenk vollzogen – auf Kollisionskurs<br />

mit Europa. Es bildeten sich die Alpen, und<br />

zuvor tief im Erdinnern geparkte Gesteine kamen<br />

durch Hebung und Erosion an die Oberfläche. Wasser<br />

konnte jetzt auch den Urner Granit angreifen und<br />

drang in die bereits von der Natur angelegten Schwachstellen<br />

des Gesteins ein – die senkrecht zueinander<br />

stehenden Risse bzw. Klüfte. Durch den sich ständig<br />

wiederholenden Zyklus des Gefrierens und Tauens<br />

sprengte sich das Wasser im wahrsten Sinne des Wortes<br />

in den Fels hinein, die Gletscher der letzten Eiszeit<br />

räumten den entstandenen Schutt zu Tal. Übrig blieben<br />

die Zacken, Plattenfluchten und Grate der Urner<br />

Berge. Riesige Felsburgen, deren Mauern von parallel<br />

zueinander verlaufenden Rissen und Verschnei­<br />

«Ein Traum aus Granit,<br />

noch schöner und<br />

eleganter geht Klettern<br />

eigentlich nicht.»<br />

Der gekonnte Einsatz von Keilen und Friends<br />

hilft Risiken und Nebenwirkungen des<br />

alpinen Kletterns überschaubar zu halten.<br />

Grüne Wiesen und grauer Granit bestimmen<br />

die Umgebung des Göscheneralpsees.<br />

INSPIRATION 02 / <strong>2018</strong><br />

25


WEGWEISER FELDSCHIJENGRAT<br />

dungen wie von einem surrealen Muster überprägt wirken.<br />

Wo der Fels überdeckt ist von ein wenig Erdkrumen,<br />

gedeiht üppiges Gras, dessen intensives Grün in wohltuender<br />

Harmonie zum Grau des Granits steht.<br />

EINE PERFEKTE LINIE<br />

«Stand!» ruft Alex und ich weiss, dass die nächsten 30<br />

oder 40 Meter Klettergenuss folgen werden. Denn der<br />

Grat ist gerade in den unteren Seillängen der pure Genuss,<br />

nie schwerer als der obere V. Grad zieht er sich<br />

gen Himmel. Nach einigen etwas flacheren Metern, bei<br />

denen man seinen Gleichgewichtssinn tänzelnd auf der<br />

Gratschneide überprüfen kann, folgt eine Seillänge, für<br />

die allein sich die gesamte Route lohnt: die Nummer 9!<br />

Fantastisch ausgesetzt piazt man hier eine senkrecht<br />

gestellte Platte hinauf, bestens abgesichert mit einigen<br />

Bohrhaken. Nur an einer Stelle weicht man für wenige<br />

Meter auf die Platte aus, ansonsten klettert man immer<br />

direkt an der nur wenige Zentimeter schmalen Kante.<br />

Ein Traum aus Granit, noch schöner und eleganter geht<br />

Klettern eigentlich nicht. Wobei – auch die Schlüssel­<br />

stelle der gesamten Tour in der 13. Seillänge ist, wenn<br />

man nicht in die Haken greift, eine sich tief in die Erinnerung<br />

eingrabende Einzelstelle. Nicht ganz so luftig<br />

wie die Piazschuppe, dafür aber steil und überhängend,<br />

führt die Route durch ein schmales Dach, das von unten<br />

gesehen erst einmal unkletterbar aussieht. Aber, wie<br />

bereits ein alter Kletterfreund sagte: «Es löst sich alles<br />

auf». Griffe und Struktur bieten deutlich mehr Reibung<br />

und Halt, als es zunächst den Anschein hat.<br />

Nach rund vier Stunden erreichen wir alle den Gipfelblock,<br />

tragen uns in das exklusive Gipfelbuch ein. Die<br />

Feuchte des einsetzenden Regens kann uns die gute<br />

Laune nicht aus dem Gesicht nehmen: Die Route ist ein<br />

Traum. Gegenüber stehen die Granitfluchten des Salbitschijns,<br />

wunderbar einzusehen. Wir sind zu weit weg,<br />

um Menschen zu erkennen, aber es fällt nicht schwer,<br />

sich das Gedränge am Stand oder das Seilchaos bei so<br />

manchem Überholmanöver vorzustellen. Wer eine lohnenswerte<br />

Alternative sucht, sollte auf Hans Berger<br />

hören: «Klettert den Westgrat am Feldschijen!»<br />

Gipfelblock und Gipfelglück im<br />

Regen. Von links: Sonja Schade,<br />

Alex Wick und Simone Bürgeler.<br />

Informationen zum Feldschijengrat<br />

finden Sie unter:<br />

baechli-bergsport.ch/feldschijengrat<br />

26


LINIEN<br />

WAHL<br />

Für alle, denen es nach der<br />

Geschichte vom Feldschijengrat<br />

bereits in den Fingern kribbelt,<br />

hat Bächli Bergsport die passende<br />

Ausrüstung parat. Aber ganz<br />

egal, ob es den beschriebenen<br />

Westgrat oder eine andere aufregende<br />

Route zu entdecken gilt:<br />

Auf diese drei Produkte können<br />

sich Kletterer beim nächsten Felsabenteuer<br />

verlassen.<br />

«Der Feldschijen mit<br />

seinen unterschiedlichen<br />

Routen bleibt immer<br />

spannend.»<br />

SAMUEL BUNDI<br />

ABTEILUNGSLEITER HARTWAREN<br />

CHUR<br />

BÄCHLI<br />

ON TOUR<br />

Wer noch nicht so viel Erfahrung<br />

im Klettern von Mehrseillängen-<br />

Routen hat, lernt im Grundlagenkurs<br />

die nötigen Techniken und<br />

wertvolle Kniffs. Zum Beispiel am<br />

16./17. Juli am Sustenpass im<br />

Berner Oberland.<br />

baechli-bergsport.ch/<br />

de/baechliontour<br />

HÄNGE<br />

PARTY<br />

Der Aquila ist mit seinem breiten, verstellbaren<br />

Hüftgurt und einstellbaren Beinschlaufen<br />

ideal für grosse, kräftige Kletterer.<br />

Er lässt sich sehr vielseitig im Sommer<br />

und im Winter, in der Halle, am Fels ebenso<br />

wie im Eis einsetzen. Das schnörkellose<br />

Design ermöglicht ein geringes Gewicht<br />

und viel Bewegungsfreiheit. Vier Materialschlaufen<br />

– die vorderen beiden versteift,<br />

die hinteren flexibel – bieten genügend<br />

Platz für die Kletterausrüstung. Zudem sind<br />

eine Haulschlaufe und zwei Befestigungsmöglichkeiten<br />

für Caritool Eisschrauben<br />

vorhanden. Die Einbindepunkte sind besonders<br />

widerstandsfähig gegen Seilabrieb. In<br />

fünf Grössen erhältlich.<br />

WARM<br />

HALTER<br />

Wenn die Temperaturen irgendwo zwischen<br />

kalt und warm liegen, kommt das Power<br />

Hoodie zum Einsatz: Eigentlich als Laufshirt<br />

konzipiert, eignet es sich auch bestens zum<br />

Sichern am Fels oder für Kletterpausen. Das<br />

weiche, sehr bequeme Shirt aus dehnbarem<br />

Gewebe wärmt, ist feuchtigkeitsregulierend<br />

und schnell trocknend. Die eng anliegende<br />

Kapuze mit hochschliessendem Kragen<br />

schützt Kopf und Hals vor Kälte und Wind.<br />

Die Ärmel bleiben über Daumenschlaufen<br />

in Position. In die Reissverschlusstasche am<br />

Rücken passen Smartphone oder Schlüssel,<br />

reflektierende Prints erhöhen die Sichtbarkeit<br />

in der Dämmerung.<br />

RINGEL<br />

REIHE<br />

Die neu entwickelte Daisy Chain besteht aus<br />

sechs mittleren Ringen und je einer zusätzlichen<br />

Schlinge an jedem Ende. Die eine erinnert<br />

an eine Expresse und ist mit einem Nimble<br />

Evo Karabiner ausgestattet. Die andere,<br />

lange Schlinge kann zur Selbstsicherung am<br />

Klettergurt eingebunden werden. Die vielseitige<br />

Daisy Chain eignet sich nicht nur für die<br />

Standplatzorganisation, sondern hat weitere<br />

Funktionen: Von der Selbstsicherung über<br />

die Trittleiter bis zum Verbindungsmittel<br />

beim Abseilen mit dem Doppelseil. Aus einem<br />

neuen, einschichtigen Dyneema-Band<br />

bestehend, hat sie eine durchgehende Belastbarkeit<br />

von 24 kN: von einem Ende zum<br />

anderen ebenso wie für jeden einzelnen Ring.<br />

Fehlanwendungen wie bei herkömmlichen<br />

Daisy Chains werden dadurch vermieden.<br />

AQUILA<br />

PETZL<br />

Gewicht 345 g<br />

Preis CHF 112.–<br />

POWER W HOOD<br />

PEAK PERFORMANCE<br />

Gewicht 230 g<br />

Preis CHF 115.–<br />

SPORT CHAIN<br />

CLIMBING TECHNOLOGY<br />

Gewicht 120 g<br />

Preis CHF 62.–<br />

27


6700<br />

HÖHENMETER<br />

TRAIL E101<br />

FIRST<br />

BORT<br />

FAULHORN<br />

2681 M<br />

SCHYNIGE<br />

PLATTE<br />

MÄNNLICHEN<br />

WEITERE DISTANZEN<br />

E51: 51 km / 3100 Höhenmeter<br />

E35: 35 km / 2500 Höhenmeter<br />

E16: 16 km / 960 Höhenmeter<br />

EIGER<br />

GLETSCHER<br />

TRAIL<br />

E101<br />

11:01H<br />

REKORDZEIT 2017<br />

STEPHAN HUGENSCHMIDT<br />

OBERLÄGER<br />

BUSSALP<br />

PFINGSTEGG<br />

600<br />

TEILNEHMER<br />

GRINDELWALD<br />

BURG-<br />

LAUENEN<br />

896 M<br />

GRINDELWALD<br />

101<br />

KILOMETER<br />

STRECKENLÄNGE<br />

EIGER ULTRA TRAIL<br />

Das Panorama grandios, die Strecke brutal: Der 6. Eiger Ultra Trail,<br />

vom 13. bis zum 15. Juli in Grindelwald, zieht wohl gerade deshalb Trailrunner<br />

aus aller Welt magisch an. Mit dabei: die beiden Bächli-Mitarbeiter<br />

Jonas Fischle und Ramon Höfler auf der E101- und der E51-Strecke.<br />

200<br />

KINDER BEIM<br />

KIDS RACE<br />

500<br />

HELFER + SAMARITER, ALPINE<br />

RETTUNG, ÄRZTE, MASSAGE,<br />

BERGFÜHRER<br />

<strong>2018</strong>: IN<br />

60<br />

MINUTEN AUS-<br />

VERKAUFT<br />

650<br />

KILOGRAMM<br />

ORANGEN<br />

4000<br />

BANANEN<br />

<strong>2018</strong>:<br />

3000<br />

LÄUFER AUS 70<br />

NATIONEN<br />

CHF 175<br />

STARTGELD<br />

200<br />

TEILNEHMER BEIM<br />

TRAIL SURPRISE<br />

(500 – 1000 HM, 10 – 15 KM)<br />

2600<br />

LITER COLA<br />

12<br />

VERPFLEGUNGS­<br />

POSTEN:<br />

60<br />

KILOGRAMM BERGKÄSE<br />

VON DER NAHE<br />

GELEGENEN ALP<br />

200<br />

DOSEN<br />

PRINGLES<br />

CHIPS<br />

360<br />

KILOGRAMM<br />

WASSERMELONEN


HÖHENLUFT EIGER ULTRA TRAIL<br />

«NICHT AN DIE DISTANZ DENKEN!»<br />

INTERVIEW MIT JONAS FISCHLE UND RAMON HÖFLER<br />

101 Kilometer, 6700 Höhenmeter:<br />

Das tönt selbst für ambitionierte<br />

Läufer ziemlich streng.<br />

Jonas Fischle: Beim Eiger Ultra Trail<br />

blendest du die Zeit plötzlich aus. Es<br />

ist ein bisschen wie Urlaub, du bist in<br />

den Bergen unterwegs. Und solange<br />

es schön ist, ist alles gut.<br />

Ramon Höfler: Bei mir ist es ja nicht<br />

ganz so lang. Ich starte auf der<br />

E51-Strecke mit 51 Kilometern und<br />

3100 Höhenmetern.<br />

Startet ihr zum ersten Mal, oder seid<br />

ihr beide erfahrene Ultra-Läufer?<br />

Jonas: Mein erster Ultra-Lauf war der<br />

«Mountainman» in Melchsee-Frutt.<br />

Ich hatte mir das nach meinem ersten<br />

Marathon in den Kopf gesetzt mit dem<br />

Ziel, irgendwann den Eiger zu laufen.<br />

Nun starte ich hier zum zweiten Mal.<br />

Ramon: Am Eiger bin ich zweimal auf<br />

der E35-Strecke gestartet und konnte<br />

einmal auf Platz 6 und einmal auf<br />

Platz 7 finishen. Meine Devise: lieber<br />

kürzer und zügiger, dafür aber einige<br />

Läufe im Jahr.<br />

Wie trainiert man für so eine Distanz?<br />

Jonas: Meine Taktik ist, möglichst<br />

nicht an die Distanz zu denken. Wichtig<br />

ist, dass du im Kopf bereit bist,<br />

dich auf diesen Lauf einzulassen. Da<br />

ich im Winter Skitourenrennen mache<br />

und bei der PDG war, habe ich bereits<br />

eine gute Grundlagenausdauer. Diese<br />

halte ich mit langen Skihochtouren,<br />

Bergläufen und Velofahrten aufrecht.<br />

Einige Bergläufe und lange Trainingseinheiten<br />

in den Laufschuhen müssen<br />

natürlich schon auch sein.<br />

Und im Rennen: Wie teilt man<br />

so eine Strecke an?<br />

Ramon: Es ist sinnvoll, sich einen realistischen<br />

Plan zurechtzulegen, um<br />

zu verhindern, dass man zu schnell<br />

losgeht. Wichtig ist, das Streckenprofil<br />

genau zu kennen, um nicht von unvorhergesehenen<br />

Anstiegen überrascht<br />

zu werden. Das kann ziemlich demotivieren.<br />

Aber auch bergab müssen die<br />

Kräfte eingeteilt werden, sonst sind<br />

die Beine schon nach dem ersten Downhill<br />

gekocht.<br />

Beim Material: super spartanisch<br />

oder doch mit etwas Reserven?<br />

Jonas: Das Reglement gibt da ziemlich<br />

konkrete Vorgaben. Meiner Meinung<br />

nach reicht das gut aus, um allen Eventualitäten<br />

gewappnet zu sein. Was ich<br />

immer griffbereit habe, sind eine leichte<br />

Windjacke und Ärmlinge – alles andere<br />

ist im Laufrucksack gut verstaut.<br />

Ramon: So spartanisch, wie es sinnvoll<br />

ist. Das Pflichtmaterial ist sehr üppig.<br />

Das ist auch sinnvoll. Trotzdem möchte<br />

ich nicht mehr dabeihaben als nötig.<br />

Aber wenn ich schon ein Wärmeshirt<br />

einpacke, dann ein gutes, und nicht<br />

nur für die Kontrollen.<br />

Hauptsache durchkommen, oder<br />

mit einer Zielzeit im Kopf?<br />

Jonas: Es gibt immer eine Wunschzeit,<br />

sonst macht man sich was vor.<br />

Bei mir sind das 18 Stunden. Dann<br />

hätte ich mich um zwei Stunden verbessert.<br />

Wenn die 18 Stunden abgelaufen<br />

sind, weiss ich, dass ich noch<br />

weitere acht Stunden habe, bevor das<br />

Ziel geschlossen wird.<br />

Ramon: Ja, fast jeder setzt sich sein<br />

persönliches Ziel, eine bestimmte<br />

Zeit oder einen Rang. Aber bei 50 oder<br />

gar 100 Kilometern ist das erste<br />

Ziel immer das Ankommen.<br />

PACKLISTE E101<br />

Schuh: Sense Ride, Salomon<br />

Rucksack: S-Lab Sense Ultra 8 Set, Salomon<br />

Stirnlampe: Petzl Aktik<br />

Stirnband, Handschuhe, Armlinge<br />

Thermo-Shirt: z.B. Icebreaker Oasis<br />

Wetterschutz: Dynafit Ultralight Gore Tex<br />

Shakedry Jacket, Dynafit React U Pants<br />

Sonnenbrille: Julbo Aerospeed Zebra Light<br />

Verpflegung: (Winforce Flüssigriegel),<br />

2 Bidons je 0,5 l<br />

Trinkbecher: Salomon Soft Cup Speed<br />

Stöcke: Distance Carbon Z, Black Diamond<br />

Rettungsdecke, Verbandsmaterial,<br />

Schmerzmittel, Notfallpfeife, Mobiltelefon,<br />

GoPro-Kamera, Geld, Ausweis<br />

und Kreditkarte für Notfälle<br />

PACKLISTE E51<br />

Schuhe: Salomon Sense Ultra / Sense Ride<br />

Hose: Salomon Sense Pro Short<br />

Wetterschutz: S-Lab Hybrid Jkt. und Pants<br />

Shirt: Salomon Trail Runner ss Tee (kurz & lang)<br />

Rucksack: S-Lab Sense Ultra 5 Set, Salomon<br />

Stöcke: Leki RCM<br />

Sonnenbrille: Adidas Daroga<br />

JONAS FISCHLE (29)<br />

FILIALE KRIENS,<br />

ABTEILUNGSLEITER<br />

SCHUHE<br />

RAMON HÖFLER (28)<br />

FILIALE BASEL,<br />

ABTEILUNGSLEITER<br />

TEXTIL<br />

Verpflegung: 1 Liter Flüssigkeit, Gel / Riegel<br />

Handschuhe, Mütze, Sonnenhut,<br />

Rettungsdecke, Verbandsmaterial,<br />

Smartphone, Pfeife<br />

Alle Infos zum Eiger Ultra Trail<br />

gibt es unter: eigerultratrail.ch<br />

INSPIRATION 02 / <strong>2018</strong><br />

29


SICHERHEIT:<br />

ALPINKLETTERN<br />

Wenn die Tage länger werden und die Temperaturen steigen,<br />

lockt es viele Kletterer wieder aus den Klettergärten in die höher<br />

gelegenen Mehrseillängen-Gebiete wie Rätikon, Furka oder<br />

ins Tessin. Zu Beginn der Saison lohnt sich ein kurzer Check:<br />

Vorbereitung, Material, Seilkommandos. Hier eine kurze Übersicht.<br />

TEXT ALEXANDRA SCHWEIKART<br />

Das Wetter passt, das Ziel ist ausgewählt und<br />

der richtige Kletterpartner hat auch noch Zeit!<br />

Viele Alpinkletterer haben sich oft im Winter<br />

schon eine Wunschliste an Routen zusammengestellt,<br />

die sie jetzt im Sommer anpacken<br />

wollen. Nun muss nur noch der Staub von der<br />

Ausrüstung gepustet werden und das Kletterabenteuer<br />

kann beginnen. Wie so oft schützt<br />

eine gute Vorbereitung vor unangenehmen<br />

Überraschungen: So lohnt es sich im Vorfeld,<br />

die Routen-Topos auszudrucken oder zu fotografieren<br />

und den Zustieg schon am Vorabend<br />

auszukundschaften, falls man in der morgendlichen<br />

Dunkelheit aufbrechen möchte. Manche<br />

Routen sind besonders beliebt. Daher ist es<br />

sinnvoll, noch einen Plan B in der Nähe vorzubereiten<br />

− falls in der geplanten Route schon<br />

andere Seilschaften unterwegs sind.<br />

STANDPLATZ-GEFLÜSTER<br />

Eingespielte Seilschaften verstehen sich blind,<br />

die Seilkommandos sind klar und so kommt<br />

selten Stress auf. Doch im alpinen Gelände<br />

können die Seillängen durchaus 40 Meter und<br />

länger sein. Die Verständigung wird schwierig,<br />

teilweise ist sie unmöglich. Hier hilft das Seil<br />

zur Kommunikation.<br />

Expertentipp: Der Vorsteiger zieht das Seil<br />

ruckartig zwei Meter nach oben, lässt es wieder<br />

fallen und wiederholt dies noch zweimal.<br />

Das signalisiert dem Nachsteiger, dass der<br />

30


EXPERT ALPINKLETTERN<br />

Prusik-Knoten mit 5-7mm Reepschnur<br />

Kreuzklemmknoten mit Bandmaterial<br />

ILLUSTRATION: SOPHIE KETTERER<br />

Vorsteiger «Stand» hat. Alle weiteren Schritte<br />

verlaufen dann nach Plan und ohne Kommandos:<br />

Das Seil wird hochgezogen und der<br />

Nachsteiger klettert nach kurzem Warten los,<br />

wenn das Seil straff ist. Ohne solche Absprachen<br />

kann man leicht Zeit verlieren oder sich<br />

unnötig die Seele aus dem Leib schreien.<br />

INTERNATIONALE<br />

KOMMANDOS<br />

Vorsteiger: «Stand» (engl. «Off Belay»), wenn der<br />

Vorsteiger sicher am Stand ist<br />

Nachsteiger: «Seil ein» (engl. «Off Belay»), wenn<br />

das Seil vom Vorsteiger hochgezogen werden soll<br />

Nachsteiger: «Seil aus» (engl. «That‘s me»), wenn<br />

das Seil beim Nachsteiger straff ist<br />

Vorsteiger: «Nachkommen» (engl. «On belay»), wenn<br />

der Nachsteiger gesichert ist und losklettern kann<br />

Nachsteiger: «Ich komme» (engl. «Climbing»), wenn<br />

der Nachsteiger anfängt zu klettern<br />

STANDPLATZ-DISZIPLIN<br />

Ordnung ist das halbe Leben. Das gilt besonders<br />

am Standplatz! Sind die Seile ineinander<br />

verknotet, gibt es schnell Chaos und Zeitverlust.<br />

Expertentipp gegen Seilchaos: Der Vorsteiger<br />

zieht das Seil ein und legt es sich in Schlaufen<br />

abwechselnd links und rechts über die Beine.<br />

Dabei sind die ersten Schlaufen die längsten<br />

und jede weitere Schlaufe wird kleiner und<br />

kleiner. So liegen die kleinsten Schlaufen<br />

oben auf und können dann wieder leicht dem<br />

Vorsteiger ausgegeben werden.<br />

ABSEILEN<br />

Abseilen sollte man generell nur an absolut<br />

sicheren Fixpunkten: zwei verbundene<br />

Bohrhaken, ein stabiler Baum oder eine solide<br />

Sanduhr. Ein Seilende wird gefädelt und mit<br />

dem anderen Seil mittels gelegtem Sackstich<br />

verbunden (Überstand mindestens 30 Zentimeter).<br />

Die Seile werden einzeln in Schlaufen<br />

aufgenommen, jedes Ende bekommt einen<br />

Knoten, damit man am Ende nicht versehentlich<br />

darüber «hinausseilt». Nach einem beherzten<br />

«Achtung Seil» befördert man die Seile im<br />

hohen Bogen in die Tiefe. Ein Prusik-Klemmknoten<br />

am Seil schafft zusätzliche Sicherheit,<br />

entweder mit einer Reepschnur oder (falls<br />

man sie vergessen hat) mit einer Bandschlinge.<br />

SEILE ABZIEHEN<br />

Zum Zeitpunkt des Abseilens ist der Tag oft<br />

schon fortgeschritten und die Aufmerksamkeit<br />

lässt nach. Da die Seile oben verknotet sind,<br />

kann man sie − unten angekommen − nur an<br />

einem Ende abziehen. Halbseile mit unterschiedlichen<br />

Farben und ein gutes Gedächtnis<br />

sind hier hilfreich.<br />

Expertentipp: Vor dem Abseilen am oberen<br />

Stand schaut man sich die Seile genau an und<br />

legt dann das Seil, welches gezogen wird, in die<br />

RECHTE Öffnung des Sicherungsgerätes. So<br />

weiss man auch noch nach 60 Metern abseilen,<br />

an welchem Seil gezogen wird! Lassen sich<br />

die Seile nicht ziehen, weil beispielsweise die<br />

Banderole vom Seilende im Abseilring hängen<br />

bleibt, kann man das Seil in Wellenbewegungen<br />

schütteln oder das Seil so lange um sich selber<br />

drehen, bis die Drehung oben angekommen ist<br />

und sich das Seil löst.<br />

31


EXPERT ALPINKLETTERN<br />

MATERIALCHECK<br />

Von fast jedem Ausrüstungsgegenstand gibt es spezielle<br />

Alpin-Versionen, die im Vergleich zur Sportkletter-Variante<br />

oft leichter, bequemer oder einfach<br />

praktischer in hohen Wänden sind. Vernähte Bandschlingen<br />

unterschiedlicher Länge und eine Kurzprusik<br />

bilden die Grundausrüstung.<br />

Klettergurt<br />

Der Alpinklettergurt sollte sehr bequem sein, da<br />

man oft mehrere Stunden in der Wand unterwegs<br />

ist und auch mal eine Zeit lang im Gurt hängend am<br />

Standplatz verbringen muss. Dünne, einschneidende<br />

Beinschlaufen sind hier fehl am Platz. Prima<br />

sind mindestens zwei Materialschlaufen auf jeder<br />

Seite, die man gut erreichen kann.<br />

Expressschlingen und Karabiner<br />

Hier kann besonders Gewicht gespart werden,<br />

da man für viele Routen 15 bis 20 Expressschlingen<br />

braucht − alpine Seillängen sind oft deutlich<br />

länger als Sportkletter-Seillängen. Drahtschnapper<br />

an den Karabinern und 11 Millimeter dünne<br />

Dyneema-Schlingen verringern das Gewicht.<br />

Ausserdem sollte man Expressschlingen verschiedener<br />

Länge dabeihaben, um an Stellen mit<br />

ungeradem Seilverlauf die Seilreibung zu verringern.<br />

Kleine, leichte Schraubkarabiner eignen<br />

sich für den Aufbau des Standplatzes. Neben dem<br />

Schraubkarabiner am Sicherungsgerät benötigt<br />

man noch drei weitere Schraubkarabiner und zwei<br />

einzelne Karabiner; beispielsweise für die Schuhe<br />

oder um Schlingen zu verlängern.<br />

Sicherungsgerät<br />

Meistens wird mit zwei Seilen geklettert und auch<br />

wieder abgeseilt, daher benötigt man ein entsprechendes<br />

Sicherungsgerät mit zwei Öffnungen und<br />

einer sogenannten Guide-Funktion, um den Kletterpartner<br />

im Nachstieg von oben am Standplatz<br />

zu sichern. Wichtig ist hier, dass der angegebene<br />

zulässige Seildurchmesser auf dem Sicherungsgerät<br />

mit den verwendeten Seilen übereinstimmt!<br />

Bei ganz dünnen Halb- oder Zwillingsseilen sind<br />

Sicherungshandschuhe nützlich!<br />

Helm<br />

Ein Helm schützt den Kopf bei Steinschlag und<br />

unkontrollierten Stürzen gegen die Wand. Zu beachten<br />

ist hier, dass Kletterhelme keine expliziten<br />

Sturzhelme sind, sondern als Schutzhelm gegen<br />

herabfallende Gegenstände konzipiert sind. Den<br />

besten Anprallschutz zeigen laut einer US-Studie<br />

die sogenannten In-Mold-Helme.<br />

HALBSEIL, ZWILLINGSSEIL ODER<br />

EINFACHSEIL?<br />

Halbseile sind am vielseitigsten einsetzbar, da<br />

man sie entweder beide oder einzeln (sogenannte<br />

Halbseiltechnik) in die Zwischensicherungen<br />

einhängen kann. Die Halbseiltechnik<br />

wird empfohlen, wenn die Sicherungen nicht in<br />

einer geraden Linie liegen (Seilreibung verhindern,<br />

das linke Seil wird links eingehängt,das<br />

rechte Seil rechts) oder die Sicherungen selbst<br />

gelegt wurden, da mit einem einzelnen Seil<br />

weniger Kraft auf die Zwischensicherung wirkt,<br />

als bei zwei eingehängten Seilen. Zwillingsseile<br />

sind die leichtere, dünnere Variante, wobei Zwillingsseile<br />

immer zusammen in die Zwischensicherungen<br />

eingehängt werden müssen. Der<br />

Nachsteiger darf nur an beiden Seilen gesichert<br />

klettern.<br />

Beim alpinen Sportklettern schwieriger Routen<br />

setzt sich das Einfachseil mehr und mehr<br />

durch. Der Vorsteiger nimmt jedoch zusätzlich<br />

eine «Tag Line» oder «Rap Line» mit: ein gleich<br />

langes, dünneres Seil, an dem beispielsweise<br />

ein Rucksack oder Haulbag mit Wasser, Verpflegung<br />

und Jacken hinterhergezogen werden<br />

kann. Zum Abseilen werden dann beide Seile in<br />

voller Länge verwendet.<br />

Expertentipp: Seile mit stark unterschiedlichem<br />

Durchmesser dürfen zum Abseilen<br />

nicht mit einem Sackstich verbunden werden,<br />

da die Gefahr besteht, dass das dünnere Seil<br />

durchrutscht. Zum Abseilen werden die Seile<br />

hier mit einem doppelten Spierenstich verbunden.<br />

Durch den Abseilring wird dann immer<br />

das dickere Seil gefädelt!<br />

Klemmgeräte<br />

Verlässliche Informationen sind hier Gold wert: Wie<br />

ist die Route abgesichert? Brauche ich Keile oder<br />

Cams? Bei einer Route im rissdurchzogenen Granit<br />

von Salbit oder Furka, bei der sogar die Stände<br />

selber eingerichtet werden müssen, sollte man mit<br />

einem doppelten Satz Keilen und Cams planen. Im<br />

kompakten Kalkgestein des Rätikon finden mobile<br />

Sicherungen eher selten Platz; ein Sortiment an<br />

Keilen schadet aber nie: Ein gut gelegter Keil an der<br />

richtigen Stelle beruhigt die Nerven ungemein!


RÜCKZUG AUS DER WAND<br />

MOUNTAIN BOOTS<br />

HANDCRAFTED WITH PASSION<br />

BORN IN BAVARIA – WORN AROUND THE WORLD<br />

ECHTE HANDARBEIT AUS EUROPA<br />

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Hanwag Friction II GTX ®<br />

INSPIRATION 02 / <strong>2018</strong><br />

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Perfekt geeignet für alpines Gelände. Dank GORE-TEX ® Innenfutter sowie<br />

hochwertigem Velours-, Cordura ® - und Neopren-Materialmix hält der<br />

Friction II GTX ® die Füße auch bei anspruchsvoller Kletterei in<br />

Schnee und Eis zuverlässig warm und trocken.<br />

33


34<br />

CLIMB FREE<br />

IM HEILIGEN LAND


WEGWEISER ISRAEL<br />

TEXT DOMINIK OSWALD<br />

FOTOS MIKULAS ZUBEC<br />

Der tschechische Überkletterer<br />

Adam Ondra besucht auf Einladung<br />

von Ofer Blutrich Israel<br />

und klettert dabei mit «Climb<br />

Free» die erste 9a-Route des Landes.<br />

Ein kurzer Einblick in ein nicht<br />

ganz alltägliches Kletterziel.<br />

Ein gepanzertes Fahrzeug kommt uns entgegen. Uri,<br />

unser Fahrer, lässt die Fensterscheibe herunter.<br />

Er wechselt ein paar Worte mit den Soldaten – sie<br />

zeigen in Richtung Sonnenuntergang, Richtung Libanon.<br />

Wir wenden das Fahrzeug – jetzt kennt Uri den richtigen<br />

Weg. Ich frage, ob die Soldaten die Grenze bewachen. «Ja,<br />

aber es ist friedlich hier», versucht Uri uns zu beruhigen.<br />

Es könnte friedlicher nicht sein. Auf einem erdigen Pfad<br />

treten wir in eine Ebene hinaus. Nebst Zikadengeräusch<br />

klingt von fern der Gesang eines Muezzins zu uns herüber.<br />

Sonst ist es ruhig. Dann ertönt ein Schrei. Offenbar<br />

sind sie nicht mehr weit entfernt. Doch als wir sie erreichen,<br />

ist es schon zu spät: Adam Ondra hat soeben die<br />

härteste Route Israels erstbegangen.<br />

Adam folgte einer Einladung von Ofer Blutrich, dem<br />

stärksten Kletterer Israels. Er ist so etwas wie der Motor<br />

des Kletterszene im Heiligen Land. Vor 20 Jahren absolvierte<br />

er seinen obligatorischen Militärdienst, während<br />

eines Jahres war er in feindlichem Gebiet in Libanon stationiert.<br />

«Auf mich wurde mit so ziemlich jedem Geschoss<br />

gefeuert, das ihr euch vorstellen könnt», erzählt er. Doch<br />

Ofer hatte Glück, kam stets mit dem Schrecken davon.<br />

2000 reiste er in die Schweiz, was seine Augen öffnete:<br />

«Dort sah ich zum ersten Mal, was Leben in Frieden<br />

bedeutet.» Er kehrte nach Israel zurück mit einer neuen<br />

Vorstellung von Leben. Kurz danach verliess er die Armee<br />

und begab sich als Rucksacktourist auf eine Weltreise.<br />

«Ich bin als Wanderer gestartet und als Kletterer heimgekehrt»,<br />

sagt er rückblickend. Im Laufe seiner Weltreise<br />

wurde er ins Klettern eingeführt und hatte fortan nur<br />

noch Augen für kletterbaren Fels. Als er 2002 nach Israel<br />

zurückkehrte, hatte er kaum mehr als ein Jahr Klettererfahrung<br />

– und schaffte trotzdem bereits den Schwierigkeitsgrad<br />

7c. Doch seine neu erworbene Fähigkeit<br />

brachte ihm in Israel der Jahrtausendwende wenig, wie<br />

er erzählt: «Klettern war kaum ein Thema in Israel und<br />

wenn, dann wurde es konservativ betrieben. Das heisst,<br />

es wurden einfache Routen geklettert im Sinne von<br />

Alpinismus, aber nicht Sportklettern.» Ofer begann seine<br />

eigenen Routen zu bohren. Nacheinander bescherte er<br />

seinem Land die erste 8a, 8b, 8c, 8c+. Doch die erste 9a<br />

war jemand anderem vorbehalten: Adam Ondra.<br />

VERSTECKT IM NIRGENDWO<br />

Der Ort des Geschehens ist die Nezer Cave: eine Kalkgrotte,<br />

die man nicht erahnen kann. Nur wenige Hundert<br />

Meter von den nächsten libanesischen Siedlungen<br />

entfernt, gibt es keinerlei Anzeichen dafür, dass es<br />

hier in der Nähe kletterbaren Fels geben könnte. Und<br />

doch – plötzlich steht man vor einer Grube, von der man<br />

zuerst nicht viel mehr sieht als ein dichtes Gewirr von<br />

Feigenbaum-Ästen. Nur mit viel Vorstellungsvermögen<br />

kann man die rötlichen Felsen erahnen. Doch wenn man<br />

schliesslich absteigt und hinter die Feigenbäume schaut,<br />

tut sie sich auf: die gewaltige, stark überhängende Nezer<br />

Cave mit den härtesten Routen Israels. Unter 8b gibt's<br />

hier nur wenig zu klettern. Nach seiner erfolgreichen<br />

Erstbegehung hat Adam noch nicht genug. Er klettert<br />

eine 8c+ onsight, die er für die Kamera gleich wiederholt.<br />

Ofer versucht eines seiner Projekte und macht<br />

Hinter dem Feigenbaum:<br />

die gewaltige, stark<br />

überhängende Nezer<br />

Cave mit der härtesten<br />

Route Israels.<br />

INSPIRATION 02 / <strong>2018</strong><br />

35


WEGWEISER<br />

Im Überhang der «Nezer<br />

Cave». Adam Ondra klettert die<br />

Route «Matrix» (8c+) onsight.<br />

zum Ausklettern eine 8b+. Im<br />

Licht der Stirnlampe versucht<br />

Adam schliesslich eine Kombination<br />

zweier Routen, deren<br />

Züge allerdings nicht gelingen<br />

möchten. «Das könnte auch eine<br />

9c sein», meint er, «aber unlohnend.»<br />

Schliesslich gibt er auf. Als wir wieder zur Ebene<br />

hochsteigen, ist der Muezzin verstummt. Hyänen heulen.<br />

Wir steigen in Ofers kleinen Hyundai – knapp fahrtauglich,<br />

Seile im Kofferraum und Black-Diamond-Aufkleber, die<br />

die Rostflecken am Heck knapp bedecken. Die Fahrt nach<br />

Haifa dauert rund zwei Stunden. Adam nach Israel zu<br />

holen, bedeutete einen immensen Aufwand für Ofer, was<br />

allerdings weniger an Adam lag als an der Koordination<br />

mit den Behörden. Für die Nezer Cave musste extra eine<br />

Bewilligung zum Klettern eingeholt werden, da sie um<br />

diese Jahreszeit eigentlich geschlossen ist. Überhaupt sind<br />

die behördlichen Verbote ein Problem. «Die meisten<br />

Gebiete sind ohne ersichtlichen Grund gesperrt», erzählt<br />

Ofer. Das generelle Kletterverbot hängt auch damit zu<br />

sammen, dass man den Staat als Landeigentümer verklagen<br />

könnte, falls einem etwas zustossen sollte.<br />

DER BESTE FELS DER WELT?<br />

Wie schätzt er das Potenzial ein, will ich von Adam wissen.<br />

«Die Nezer Cave gefällt mir sehr gut, aber das wird<br />

trotzdem nicht der neue Hotspot des Kletterns», meint er<br />

trocken, «dazu ist die Grotte zu klein und die Konkurrenz<br />

rund um das Mittelmeer mit Griechenland, Türkei, Italien,<br />

Spanien zu gross». Wir fahren am Galiläa-See vorbei –<br />

auf der anderen Seite liegt Jordanien. Es ist dunkel und<br />

es sind kaum Lichter auszumachen. Wir kommen auf<br />

das norwegische Flatanger zu sprechen, wo Adam Ondra<br />

kürzlich Klettergeschichte geschrieben hat, als er mit<br />

«Project Hard» die erste 9c der Welt geklettert ist. Für<br />

Adam ist das der beste Fels der Welt: «Das sind einfach<br />

richtig klassische Boulder, wie sie sonst am Boden liegen,<br />

die du dort in 45 Metern Höhe antriffst. Und bis du auf der<br />

Höhe bist, kletterst du oft 8b oder mehr.» Adam hat schon<br />

rund dreissig Wochen in Flatanger verbracht, um Change<br />

und jüngst Silence zu klettern. Beides Meilensteine: erste<br />

9b+ der Welt und erste 9c. Und was kommt als Nächstes?<br />

Er schmunzelt nur: «Ich habe immer noch viele Projekte in<br />

Italien, Spanien, Norwegen, Tschechien … 9b, 9b+, vielleicht<br />

härter …»<br />

Ofer Blutrich ist ein stiller Mann mit schwarzen Locken.<br />

Als ich ihn am Ende eines voll bepackten Klettertags<br />

frage, ob er müde sei, antwortet er nur: «No,<br />

I wanna go on.» Der Mann ist voller Energie. Aber<br />

er wirkt manchmal müde, nachdenklich, fast etwas<br />

teilnahmslos. Von den endlosen Erklärungen? Von<br />

den Verhandlungen mit den Behörden? Die Autofahrt<br />

durchs nächtliche Jordantal nach Haifa dauert – es<br />

bleibt viel Zeit, übers Sportklettern zu diskutieren.<br />

Wer klettert als Nächstes 9c? Wann wird die erste 10a<br />

geklettert? Natürlich gibt es darauf keine Antworten.<br />

36


ISRAEL<br />

ISRAEL<br />

IN ZAHLEN<br />

8<br />

KLETTERHALLEN GIBT ES<br />

AKTUELL IN ISRAEL<br />

30<br />

KLETTERGEBIETE LISTET<br />

DIE WEBSITE 27CRAGS.COM<br />

FÜR ISRAEL<br />

32<br />

SPORTKLETTERROUTEN<br />

UND EINEN BOULDER<br />

KÖNNEN IN DER NEZER CAVE<br />

GE KLETTERT WERDEN<br />

Gewürze, die zu bunten Haufen geformt sind. Wir stehen<br />

am Grab von Jesus und an der Klagemauer, als sich<br />

jüdische Gläubige zum Shabbat einfinden. Am Ende des<br />

Tages sitzen wir erledigt in der Hotellobby. Adam liest<br />

immer noch Dinge auf Wikipedia nach: «Das armenische<br />

Viertel haben wir nicht gesehen.» Am nächsten Tag<br />

suchen wir ein Klettergebiet in der Westbank auf, es liegt<br />

am Übergang zur judäischen Wüste. Im Sommer herrschen<br />

hier Temperaturen um 40 Grad Celsius, an Klettern<br />

ist nicht zu denken. Jetzt im November geniessen wir<br />

angenehme 20 Grad. Wir passieren den Checkpoint zum<br />

palästinensischen Autonomiegebiet des Westjordanlandes.<br />

Adam versucht die härteste Route: 8c. Im Onsightversuch<br />

fällt er am Schlüsselzug. Als er ein zweites<br />

Mal einsteigt, steht die Sonne hoch. Er fällt wieder.<br />

«Zu heiss», sagt er. Wir ziehen ab. Den Rest des Tages<br />

verbringen wir am Toten Meer. Weit vor der Küste liegt<br />

ein verlassener Bootssteg mitten im Sand. «Der Wasserspiegel<br />

senkt sich jährlich um einen Meter», erklärt Ofer.<br />

Weil sämtliche Zuflüsse für die Stromgewinnung genutzt<br />

werden, fehlt der Frischwasserzulauf. Das Wasser besteht<br />

zu einem Drittel aus Salz, Schwimmen in der Lauge ist<br />

eine spezielle Erfahrung wegen des starken Auftriebs. Als<br />

Kletterer verbindet mehr als ein Seil: Adam Ondra und Ofer<br />

Blutrich nach Adams Erstbegehung von «Climb Free» (9a).<br />

Ich frage stattdessen, ob Adam sich Gedanken macht<br />

zur politischen Dimension, die seine Reise nach Israel<br />

annehmen könnte. «Ja, das habe ich», antwortet Adam<br />

ganz ruhig. Er ist nicht der Typ Kletterer, der nur Augen<br />

für Felsen hat. Und er fügt an: «Ich komme viel herum,<br />

ich wäre dumm, wenn ich mich nicht für Land und Leute<br />

interessieren würde.» Dennoch: Wer sich nach Israel<br />

einladen lässt, wird automatisch zum Repräsentanten<br />

eines umstrittenen Staats. Und plötzlich ist alles Politik,<br />

wie Adam später erfahren wird.<br />

Tatsächlich spielen Land, Leute und Kultur bei diesem<br />

Trip eine grössere Rolle als das Klettern selbst. Am Ruhetag<br />

führt uns ein Guide durch Jerusalem, die pulsierende<br />

Sta<strong>dt</strong>, in welcher drei von fünf Weltreligionen verwurzelt<br />

sind. Wir schlängeln uns durch den Markt, probieren<br />

Fruchtsäfte, Fladenbrote und an einem iranischen Stand<br />

INSPIRATION 02 / <strong>2018</strong><br />

37


WEGWEISER ISRAEL<br />

wir genug vom «Floaten» haben, schmieren wir<br />

uns mit dem Sandschlamm ein – das soll gut sein<br />

für die Haut. «Ich würde die 9a gerne ‹climb<br />

free› taufen», sagt Adam zu Ofer. «In Anlehnung<br />

an deine Bemühungen, das Klettern in Israel zu<br />

befreien.» Sie einigen sich auf den Namen. Adam<br />

malt «climb» in Ofers schlammbedeckten Rücken<br />

und Ofer «free» auf Adams Rücken.<br />

KLETTERN & POLITIK<br />

Das Bild sorgt später in den sozialen Medien für<br />

Kritik: «climb free» wird als zynische Botschaft<br />

verstanden in einem Land, das sich seit seiner<br />

Staatsgründung vor 70 Jahren in einem freiheitsraubenden<br />

Konflikt befindet. Adam reagiert mit<br />

einem Post: «Ich wollte die Politik eigentlich beiseite<br />

lassen und betonen, dass das Klettern für jeden frei<br />

sein sollte und es nicht wirklich von Land, Religion,<br />

Geschlecht oder Rasse abhängt. Die Lage im<br />

Nahen Osten ist aus europäischer Sicht äusserst<br />

kompliziert und schwer zu verstehen. Freiheit ist<br />

etwas, das dort immer begrenzt sein wird. Klettern<br />

ist ein guter Ausweg, denke ich.»<br />

Route auf dem Rücken: Adam Ondra<br />

und Ofer Blutrich mit Fango-Packung<br />

am Strand des Toten Meers.<br />

38


FREI<br />

KLETTERN<br />

Sie müssen ja nicht gleich Rekorde<br />

aufstellen – aber mit diesen drei<br />

Produkten für ambitionierte Kletterer<br />

können Sie Ihre persönlichen<br />

Ziele gerne höher stecken. Welches<br />

Projekt steht diesen Sommer auf<br />

Ihrer Liste?<br />

«Schon Wolfgang Güllich<br />

sagte, Klettern hiesse,<br />

frei zu sein. Und was<br />

heisst frei sein für uns<br />

heute?»<br />

JONAS SCHILD<br />

BERGSPORTBERATER BERN<br />

BÄCHLI<br />

SERVICE<br />

EINKAUFS-<br />

BEGLEITUNG<br />

Unsicher, welche Hose passt und<br />

für den geplanten Einsatz geeignet<br />

ist? Am besten lassen Sie sich<br />

beraten. Der Bächli Bergsport Einkaufsbegleiter<br />

hilft gerne weiter.<br />

baechli-bergsport.ch/<br />

de/Service/Einkaufsbegleiter<br />

SITZ<br />

SCHAUKEL<br />

Im Inneren des Solutions von Black Diamond<br />

befinden sich drei einzelne, flache Gurtbänder.<br />

Durch diese passt sich der Gurt sehr<br />

gut an die Körperbewegungen an, Druck<br />

wird gleichmässiger verteilt, empfindliche<br />

Stellen am Standplatz oder bei langen Sicherungseinsätzen<br />

werden entlastet. Die<br />

gleiche Technologie kommt auch an den<br />

breiten, EVA-gepolsterten Beinschlaufen<br />

zum Einsatz. Die Beinschlaufen sind nicht<br />

verstellbar, werden jedoch über einen elastischen<br />

Riemen in Position gehalten. Über<br />

eine Slide Bloc Schnalle lässt sich der leichte<br />

Sportklettergurt sehr schnell anziehen.<br />

Der Solution ist mit vier vorgeformten Materialschlaufen<br />

und einer Befestigungsschlaufe<br />

für den Chalkbag ausgestattet.<br />

FEIN<br />

FÜHLER<br />

Die Sohle des Futura besteht aus einer<br />

drei Millimeter dünnen, homogenen<br />

Gummischicht, die komplett ohne Kanten<br />

auskommt. Dadurch ist der Schuh extrem<br />

sensibel und präzise. Der Fuss kann<br />

gleichmässigen Druck auf die Kontaktfläche<br />

ausüben, unabhängig von der Form<br />

des Trittes. Die Vibram XS Grip 2 Gummimischung<br />

gibt sehr guten Grip auf unterschiedlichen<br />

Untergründen und prädestiniert<br />

den Schuh auch für überhängende<br />

Routen. Ein spezielles System in der Zwischensohle<br />

erhöht die Formstabilität, sodass<br />

der Down-Turn des Kletterschuhs<br />

auch bei längerer Nutzung erhalten bleibt.<br />

Über ein Schnellschnürsystem, das mit einem<br />

Klettverschluss kombiniert ist, lässt<br />

sich der Futura mit nur einem Handgriff<br />

öffnen und schliessen.<br />

FREI<br />

GEIST<br />

Der Name ist Programm: Die Nevermind<br />

2 Pants von Montura geben keinen Anlass<br />

zur Sorge. Das elastische Material, eine<br />

Mischung aus Baumwolle, Polyester und<br />

Elasthan, ist locker geschnitten und lässt<br />

viel Bewegungsfreiheit beim Klettern oder<br />

Bouldern. Gleichzeitig ist es robust genug<br />

für gelegentlichen Felskontakt. Der flache<br />

Stretchbund stört nicht unter dem Klettergurt.<br />

Die Hose ist mit zwei Einschubtaschen<br />

und zwei Gesässtaschen mit Klettverschluss<br />

ausgestattet. Mit ihrer lässigen<br />

Optik sieht sie auch im Alltag und auf Reisen<br />

gut aus.<br />

SOLUTION<br />

BLACK DIAMOND<br />

Gewicht 330 g (Grösse M)<br />

Preis CHF 79.–<br />

FUTURA<br />

LA SPORTIVA<br />

Gewicht 430 g (Paar)<br />

Preis CHF 175.–<br />

NEVERMIND 2 PANTS<br />

MONTURA<br />

Gewicht 370 g<br />

Preis CHF 105.–<br />

39


GIPFELTREFFEN GIULIANO CAMERONI<br />

WETTKAMPF IST<br />

NICHT MEIN DING<br />

Der 20-jährige Tessiner Giuliano Cameroni ist einer der stärksten<br />

jungen Kletterer der Welt. Beim Bouldern am Teufelsstein bei<br />

Göschenen verrät er, warum er kein guter Wettkampfkletterer ist –<br />

und trotz aller Faszination für den Sport niemals im Leben Free<br />

Solo klettern würde.<br />

INTERVIEW REMO SCHLÄPFER<br />

Giuliano, an welchen ersten Klettermoment<br />

kannst du dich erinnern?<br />

Als ich sechs Jahre alt war, nahmen<br />

mich meine Mutter und mein Vater<br />

mit zum Bouldern in Chironico. Ich<br />

sah, wie eine Gruppe von Leuten<br />

einen Plattenboulder probierte, der<br />

ungefähr mit der Schwierigkeit 6a+<br />

bewertet ist. Mir gefiel der Boulder, so<br />

wagte ich ebenfalls einen Versuch –<br />

mit Erfolg. Ich durchstieg ihn und war<br />

ziemlich erstaunt, dass nicht alle der<br />

Gruppe den Boulder klettern konnten.<br />

In meiner kindlichen Naivität dachte<br />

ich, wenn ich das kann, dann müssen<br />

es die anderen doch auch können.<br />

Seither sind 14 Jahre vergangen.<br />

Was war bisher der grösste Moment,<br />

den du beim Klettern erlebt hast?<br />

Das war wohl der Durchstieg des<br />

Boulders «Dreamtime» in Cresciano<br />

im Tessin. Fred Nicole hat ihn im<br />

Jahr 2000 erstbegangen, er ist einer<br />

der berühmtesten Boulder der Welt.<br />

Für mich war es aber vor allem<br />

eine traumhafte Linie. Und ich war<br />

motivierter als je zuvor, Zeit in einen<br />

Boulder zu investieren. Ziemlich viel<br />

Zeit. An 25 Tagen, über zwei Jahre<br />

verteilt, feilte ich an den einzelnen<br />

Bewegungen von «Dreamtime», bis<br />

ich die für mich optimale Lösung<br />

gefunden hatte und die äusseren<br />

Bedingungen wie Temperatur und<br />

Feuchtigkeit perfekt waren.<br />

Deine Mutter kletterte als eine der<br />

ersten Frauen eine 8a. Dein Vater<br />

prägte die Tessiner Kletterszene mit<br />

zahlreichen Erstbegehungen. Wie<br />

haben deine Eltern dich beeinflusst?<br />

Klar, ohne meine Eltern würde ich<br />

heute wohl nicht klettern. Als Familie<br />

waren wir fast jedes Wochenende<br />

draussen in der Natur auf der Suche<br />

nach neuen Blöcken und eröffneten<br />

neue Boulder. Das machte mir bereits<br />

als Kind riesig Spass. Obwohl meine<br />

Eltern passionierte Kletterer waren,<br />

FOTO: ZVG<br />

40


GIULIANO CAMERONI<br />

Wenige Tage nach dem Interview<br />

gelingt Giuliano Cameroni die<br />

Erstbegehung einer neuen Route<br />

am Teufelsstein.<br />

INSPIRATION 02 / <strong>2018</strong><br />

41


GIPFELTREFFEN<br />

hatte ich aber nie das Gefühl oder<br />

den Druck, dass ich ebenfalls klettern<br />

müsse. Doch sie haben ihre Begeisterung<br />

für den Sport an mich weitergegeben<br />

und mich stets unterstützt.<br />

Das spürt man. Du scheinst vor Motivation<br />

und Begeisterung fürs Klettern<br />

zu sprudeln. Kannst du dir ein Leben<br />

ohne Klettern überhaupt vorstellen?<br />

Bouldern hat in meinem Leben einen<br />

sehr hohen Stellenwert. Allerdings<br />

gab es auch Phasen, in denen ich nur<br />

selten am Fels anzutreffen war.<br />

Mit 16 Jahren bin ich oft Skateboard<br />

gefahren. Doch ziemlich schnell habe<br />

ich gemerkt, dass es mir am meisten<br />

Spass macht, in den Wäldern des<br />

Tessins neue Felsblöcke zu suchen<br />

und zu klettern.<br />

Hast du darüber nachgedacht, voll<br />

und ganz auf die Karte «Bouldern»<br />

zu setzen?<br />

Klettern zu meinem Beruf zu machen,<br />

ist für mich ganz klar ein Ziel.<br />

Ich möchte so viel wie möglich klettern<br />

und dem Sport etwas zurückgeben,<br />

indem ich neue Routen eröffne<br />

und Gebiete entdecke. Auf der<br />

Fahrt hierher zum Interview habe<br />

ich auch mit meinem Vater über<br />

die Zukunft gesprochen. Wir waren<br />

uns einig, dass es wohl langweilig<br />

und eintönig wird, wenn man nur<br />

noch klettert und jeden Tag am Fels<br />

verbringt. Ich beginne im Herbst ein<br />

Studium, auch um für den Moment<br />

vorzusorgen, an dem ich die Lust<br />

am Klettern verliere. Aber wir sprechen<br />

hier wirklich von der Zukunft.<br />

Nach Abschluss des Studiums werde<br />

ich sicherlich zuerst ein Leben<br />

als Profiathlet verfolgen.<br />

Aber Profikletterer haben auch<br />

gewisse Zwänge gegenüber ihren<br />

Sponsoren. Du musst spektakuläre<br />

Linien oder hohe und riskante Boulder<br />

begehen, die sich vermarkten<br />

lassen. Was würdest du nie machen,<br />

wo liegen für dich die Grenzen?<br />

Ich habe bereits einige Highballs 1<br />

erstbegangen, weil es einfach<br />

wunderschöne Felsformationen und<br />

Boulderrouten waren. Doch wenn<br />

ich riskante Boulder klettere, bin<br />

ich nicht auf der Suche nach dem<br />

Adrenalinkick. Wenn der Ausstieg<br />

eines Felsblocks hoch ist, übe ich<br />

diese Bewegungen zehn, vielleicht<br />

zwanzig Mal, um wirklich sicherzustellen,<br />

dass ich nicht stürze. Was<br />

ich sicher nie machen würde, ist<br />

Free-Solo-Klettern. Ich will mein<br />

Leben beim Klettern nicht aufs<br />

Spiel setzen.<br />

1<br />

Unter einem Highball versteht man eine Boulder ­<br />

route, bei der der Ausstieg so hoch liegt, dass man<br />

nicht mehr abspringen oder stürzen sollte.<br />

Giuliano und Samuel Ometz entfliehen<br />

am Gotthardpass der sommerlichen<br />

Hitze der tiefer gelegenen Gebiete.<br />

FASZINATION<br />

FELS<br />

Giuliano Cameroni, 1997 in<br />

Montagnola bei Lugano geboren,<br />

klettert seit seiner Kindheit. Im<br />

Alter von 16 Jahren schrieb der<br />

Tessiner mit der Begehung des<br />

Boulders «The story of the two<br />

worlds» (Fb 8c) Klettergeschichte.<br />

Er war der jüngste Kletterer,<br />

dem ein Boulder in dieser<br />

Schwierigkeitsklasse gelang.<br />

Die Faszination für die Vertikale<br />

hat Giuliano Cameroni bis heute<br />

nicht verloren. «Dolce Vita» ist<br />

für den 20-Jährigen, wenn der<br />

Tag mit einem guten Cappuccino<br />

um 10 Uhr beginnt, er möglichst<br />

viel Zeit am Fels verbringen<br />

kann und den Tag mit einem guten<br />

Glas Wein ausklingen lässt.<br />

42


Die meisten Profiathleten nehmen<br />

an Wettkämpfen teil. Du hast vor vier<br />

Jahren dem Wettkampfbouldern den<br />

Rücken gekehrt. Warum?<br />

Mir gefällt das Klettern, oder in<br />

meinem Fall Bouldern, an Plastik<br />

nicht. Ich bin lieber draussen in der<br />

Natur. Am Fels sind Tritte und Griffe<br />

nicht farblich vorgegeben und der<br />

Kletterstil ist ganz anders als in den<br />

Kletterhallen. Vor allem bei den Wettkämpfen<br />

entfernt sich der Stil der<br />

Routen immer mehr von den Bewegungen<br />

und Abfolgen am Fels. Wer<br />

einen Wettkampf mitverfolgt – und<br />

das ist sehr spannend und unterhaltsam<br />

– der stellt fest, dass sich die<br />

Boulderrouten durch spektakuläre<br />

Sprünge und dynamische Bewegungen<br />

auszeichnen.<br />

Draussen am Fels bist du top, in der<br />

Halle flop. Warum?<br />

Wie schon gesagt, koppelt sich das<br />

Indoorbouldern immer weiter ab.<br />

Wer an Wettkämpfen erfolgreich<br />

sein will, muss sehr spezifisch und<br />

sehr intensiv trainieren. Viele Wettkampfsportler<br />

trainieren mehrere<br />

Stunden pro Tag in der Boulderhalle,<br />

respektive im Fitnessstudio. Das<br />

ist einfach nicht mein Ding. Gäbe<br />

es Wettkämpfe am Fels, würde ich<br />

sofort mitmachen – und wäre sicher<br />

FOTO LINKS: ZVG, RECHTS: REMO SCHLÄPFER<br />

SUSTAINABLE CLOTHING MOVEMENT<br />

With each product we design, we consider how<br />

it will impact the quality of your adventure, the<br />

environment, and the lives it touches along the way.<br />

INSPIRATION 02 / <strong>2018</strong><br />

43


GIPFELTREFFEN GIULIANO CAMERONI<br />

Schon im Alter von<br />

13 Jahren war Bouldern<br />

Giulianos Leidenschaft.<br />

«Am meisten<br />

Spass macht es, in<br />

den Wäldern des<br />

Tessins neue Felsblöcke<br />

zu suchen<br />

und zu klettern.»<br />

auch erfolgreicher, als ich es beim<br />

Wettkampfklettern war.<br />

Wie schätzt du das Gleichgewicht<br />

zwischen Indoor- und Outdoorklettern<br />

ein?<br />

Der aktuelle Trend zeigt klar in<br />

Richtung «Plastikklettern», wie ich<br />

es gerne nenne. Viele Leute beginnen<br />

heute in Kletterhallen, wagen<br />

jedoch nie den Schritt an den Fels.<br />

So wird Klettern quasi zur Alternative<br />

des reinen Fitnesstrainings an<br />

Geräten. Ich hoffe sehr, dass sich im<br />

Profi- als auch im Amateurbereich<br />

Indoor- und Outdoorklettern auch<br />

in Zukunft die Waage halten, so wie<br />

es auch derzeit noch der Fall ist. Ich<br />

wünsche mir für zukünftige Kletterer-Generationen,<br />

dass auch sie die<br />

Faszination des Felskletterns in der<br />

freien Natur erkennen – und so viel<br />

Zeit wie möglich draussen verbrin­<br />

gen. Zu dieser Faszination möchte<br />

ich mit dem Eröffnen neuer Routen<br />

einen kleinen Beitrag leisten und<br />

hoffe sehr, dass mir das gelingt.<br />

Wo siehst du den Klettersport in<br />

zehn Jahren?<br />

Im Herbst 2016 hat mein Freund<br />

Nalle Hukkataival den schwersten<br />

Boulder der Welt geklettert (9a Fb<br />

auf der Schwierigkeitsskala). Wir<br />

werden sicherlich noch mehr Begehungen<br />

in diesem Schwierigkeitsgrad<br />

erleben. Eine weitere Entwicklung<br />

sehe ich in der Spezialisierung.<br />

Der Franzose Charles Albert, oft<br />

auch Mowgli genannt, ist hier ein<br />

gutes Beispiel. Er klettert barfuss<br />

und begeht schon jetzt Boulder mit<br />

einer Schwierigkeit von 8c+. Ich bin<br />

überzeugt, dass er noch Routen klettern<br />

wird, die niemand sonst klettern<br />

kann, weil sie so spezifisch sind.<br />

VERSCHIEDENE<br />

KLETTER­<br />

DISZIPLINEN<br />

Bouldern<br />

Eine Form des Freikletterns<br />

ohne Seil und Gurt an Felsblöcken,<br />

Felswänden oder an künstlichen<br />

Wänden in Absprunghöhe.<br />

Sportklettern<br />

Unter Sportklettern versteht<br />

man eine Form des Freikletterns<br />

an Felsen oder Kunstwänden,<br />

bei der ein Seil und ein Klettergurt<br />

zur Sicherung verwendet<br />

werden.<br />

Free-Solo-Klettern<br />

Unter Free-Solo-Klettern versteht<br />

man eine Form des Freikletterns<br />

an Felswänden, bei der<br />

im Alleingang und ohne technische<br />

Hilfs- und Sicherungsmittel<br />

geklettert wird. Ein Absturz hat<br />

fatale oder gar tödliche Folgen.<br />

FOTO: ZVG<br />

44


L.I.M Bield Jacket<br />

Minimalistisch und extrem gut<br />

verstaubar – ultraleichter und verlässlicher Wetterschutz<br />

mit komfortablem Design. Die Neuheit aus der „Less-is-more“<br />

Kollektion. Konstruiert aus unserer nachhaltigen<br />

PROOF Membran.<br />

L.I.M Bield Jacket<br />

www.haglofs.com<br />

INSPIRATION 02 / <strong>2018</strong>


H A U S B E R G<br />

VERSTECKT<br />

IM WALD<br />

PROTOKOLL DOMINIK OSWALD<br />

Wald, Hügel – etwas unspektakulär?<br />

Von wegen! Der<br />

Basler Jura hat alles, was ein<br />

richtiger «Hausberg» braucht,<br />

findet Jonas Allemann. Feine<br />

Kalk-Klettereien, ausserhalb<br />

der Alpen. Allerdings: Die<br />

Flühe wollen entdeckt werden<br />

und sie fordern Respekt!<br />

Wenn ich in der Basler Bächli-Filiale meiner Arbeit<br />

als Kundenberater Bergsport nachgehe, tausche<br />

ich mich gerne mit den Kunden über ihre Unternehmungen,<br />

Ambitionen und Erwartungen in den Bergen<br />

aus. Vielfach höre ich, dass sie sich zum Klettern in den Alpen<br />

ausrüsten. Ich frage dann manchmal, weshalb sie bis<br />

in die Alpen fahren, obwohl mir bewusst ist, dass dort die<br />

Musik spielt. Schliesslich fahre ich auch oft in die Alpen.<br />

Oft antworten die Kunden dann: «Ja wohin denn sonst?»<br />

Und dann erzähle ich ihnen vom Basler Jura.<br />

Denn da gibt‘s weit mehr als NUR Hügel und Wälder.<br />

Zugegeben, manchmal muss man die Felsen suchen.<br />

Besonders im Frühling und Sommer sind die Flühe im<br />

üppigen Grün der Wälder versteckt. Dort wo man sie<br />

findet, ist es ruhig, kühl, es duftet nach Frühling und die<br />

Vögel singen. Der Fels ist kompakt und trocken. Eigentlich<br />

erstaunt es mich, dass viele Kletterer den Basler Jura<br />

als Klettergebiet nicht kennen, oder sogar meiden. Wobei,<br />

für das Meiden gibt es schon Gründe: Die Bewertung ist<br />

hart. Auch wer andernorts eine 6c klettert, wird sich an der<br />

einen oder anderen 5c hier die Zähne ausbeissen. Das hat<br />

zum einen damit zu tun, dass es Übersetzungsfehler gab,<br />

als die ursprünglich übliche Alpinskala von der französischen<br />

Skala abgelöst wurde. Zum anderen aber auch, weil<br />

in der Eröffnungsphase um die 80er- und 90er-Jahre eine<br />

gewisse «Kultivierung der Elite» herrschte. Die lokalen<br />

Kletterer wollten bewusst, dass der Basler Jura als eines<br />

der schwierigsten Gebiete gilt. Es sollte keiner kommen<br />

und sich hier leicht seine Lorbeeren verdienen. Der Ruf<br />

etablierte sich und bald kamen die besten Kletterer aus<br />

aller Welt. Um 1986 gab es am Chuenisberg mit der «Ravage»<br />

(8b+/c) die schwerste Route der Welt! Heute ist der<br />

Basler Jura wieder ein bisschen von der Kletter-Weltkarte<br />

B A S L E R J U R A<br />

FOTO: SANDRO VON KÄNEL, ILLUSTRATION: VORLAGE FILIDOR


HAUSBERG BASLER JURA<br />

Rappenfels, Route Salut Phil, 8a+<br />

verschwunden. Obwohl, im vergangenen Sommer schaute<br />

Alex Megos vorbei und hakte eine Vielzahl der harten<br />

Routen ab. Für «Im Reich des Shogun» (9a), welche Eric<br />

Talmadge 2001 nach dreizehn Jahren des Projektierens<br />

erstbegehen konnte, brauchte Megos gerade einmal drei<br />

Versuche – an einem regnerischen Tag. Adam Ondra<br />

hatte 2005 immerhin fünf Anläufe benötigt.<br />

ZURÜCKGEZOGEN IM WALD<br />

Die Kletterei im Basler Jura ist oft technisch anspruchsvoll,<br />

schwer zu lesen, der Grip manchmal schlicht nicht vorhanden<br />

und der Fels nicht immer über alle Zweifel erhaben.<br />

Die Flühe kommen mir manchmal vor wie grosse Tiere,<br />

die zurückgezogen in ihren Wäldern leben und dich erst<br />

mal abblitzen lassen. Aber man kann sich ihnen nähern,<br />

Vertrauen aufbauen und plötzlich beste Freunde werden. So<br />

ging es mir jedenfalls. Früher fuhr ich oft zum Klettern ins<br />

Tessin oder sonst weit weg. Da gehörte ich selber zu jenen,<br />

die keine Augen hatten für das Gute vor der Haustüre. Ich<br />

wusste schon, dass man bei uns klettern kann, dachte<br />

jedoch mehr um einfaches Kraxeln. Schliesslich waren<br />

das auch die Anfänge des Kletterns im Jura: Alpinisten,<br />

die nicht ständig in die Alpen fahren konnten, begannen<br />

an den Flühen zu trainieren. Natürlich gingen sie dann die<br />

eher einfachen Risse und Kamine hoch. Wobei einfach: Ich<br />

kann gut und gerne fünf solche Anstiege aufzählen, die<br />

im vierten oder fünften Grad bewertet sind, einem Kamin<br />

folgen – aber alles andere als leicht sind. Ist man mal drin,<br />

dann kommt man ganz schön ins Schwitzen. Und man<br />

bedenke: Die hatten früher keinen Hochleistungsgummi an<br />

den Sohlen, wie wir heute mit den modernen Kletterfinken.<br />

Und keine Bolts! Viele der rostigen Haken der Erstbegeher<br />

stecken heute noch. Hut ab vor demjenigen, der eine solche<br />

Route mit dieser Sicherung klettert.<br />

Heute bin ich sehr oft und gerne an den heimischen Felsen,<br />

am Wochenende oder nach der Arbeit. Es gibt kaum<br />

etwas Besseres als Feierabendklettern, wenn die Sonne<br />

die Felswand orange leuchten lässt, überall dort, wo sie<br />

einen Durchschlupf durch das Blätterdach findet. Zum<br />

Beispiel an dem Rappenfels. Meine Lieblingsroute dort<br />

ist «Salute Phli» 8a+; sehr technisch, ausdauernd und<br />

mit kleinen Griffen. Für mich eine der schönsten Routen<br />

im gesamten Jura. Mit der «IG Klettern Basler Jura» sind<br />

wir Kletterer gut organisiert. Wir verfolgen aber nicht nur<br />

unsere Interessen, sondern stehen auch mit Kanton, Umweltschutzverbänden<br />

und Landeigentümern in Kontakt.<br />

Das A und O ist doch, dass es harmonisch zugeht. Auch<br />

mit Behörden, die es manchmal nicht so gerne sehen,<br />

wenn an gewissen Felsen geklettert wird, und teils auch<br />

Sektoren schliessen.<br />

Ich versuche das lokale Klettern zu erhalten, indem ich<br />

alte Routen saniere. Die Haken stecken zum Teil schon<br />

seit 30 Jahren im Fels und rosten in allen Farben vor sich<br />

hin. Man will lieber nicht wissen, wie tief sie tatsächlich<br />

im Gestein stecken. Wir haben ein sehr gutes Sanierungskonzept:<br />

Praktisch alle Routen sind heute mit Klebehaken<br />

ausgerüstet, wie man es von Frankreich kennt, also kaum<br />

Bolzenanker und Plättli. Wenn ich eine Route saniere,<br />

dann, wenn möglich, in Absprache mit dem Erstbegeher:<br />

Ich will auf keinen Fall die Route verändern, indem ich die<br />

Haken anders setze. Denn – fast hätte ich den Hauptgrund<br />

vergessen, weshalb viele Kletterer den Basler Jura meiden<br />

– die Hakenabstände haben es teilweise in sich. Auch das<br />

vermutlich ein Erbe der einstigen Elitekultur. Das soll<br />

jedoch niemanden abschrecken. Klettern ist hier so sicher<br />

wie überall sonst. Man muss sich ihnen einfach nähern,<br />

diesen grauen Kalkbäuchen in den dunklen Wäldern. Mit<br />

etwas Zeit wird man Vertrauen aufbauen und sich fragen:<br />

Wieso bin ich nicht schon viel früher hierhergekommen?<br />

INSPIRATION 02 / <strong>2018</strong><br />

47


STANDPLATZ<br />

BOULDERN IM<br />

GLEICHGEWICHT<br />

Grampians, Hueco Tanks, Rocklands – für Mary Gabrieli kommt es nicht<br />

darauf an, wie bekannt eine Boulder-Region ist oder welche Schwierigkeitsgrade<br />

sie zu bieten hat. Vielmehr faszinieren sie die Atmosphäre, die Menschen<br />

und Kulturen um den Fels herum. Seit 30 Jahren bestimmt Bouldern ihr<br />

Leben. Wir trafen sie in Cresciano, dem Boulder-Top-Spot der Schweiz.<br />

TEXT BARBARA MEIXNER<br />

liche Sicht auf die Dinge. Ähnlich wie bei einem Boulder.<br />

Sie blickt auf den rötlichen Stein, der sie gut zwei Meter<br />

überragt. «Wie muss ich mich bewegen, um eine Route zu<br />

schaffen? Welches Material liegt mir vor und wie gehe ich<br />

damit um? Der Fels als Ganzes ist ausschlaggebend.»<br />

Angefangen hat alles mit einem Englischkurs Ende<br />

der 80er-Jahre. «Wir wollten während unseres<br />

USA-Aufenthalts ein bisschen Klettern gehen und<br />

sind im Joshua-Tree-Nationalpark gelandet», sagt Mary<br />

Gabrieli. Dass sie dort auf eine lebenslange Leidenschaft<br />

treffen würde, damit hatte die damals 20-jährige Zürcherin<br />

nicht gerechnet. «Im Nationalpark hatte es zahlreiche<br />

kleinere Felsen und wir probierten das mit dem Bouldern<br />

einfach mal aus!» Was folgte: eine halbjährige Reise kreuz<br />

und quer durch die USA – von Boulder zu Boulder – und<br />

ein Leben an und mit Felsen.<br />

Berge bestimmen seit diesem Zeitpunkt den Lauf der Dinge,<br />

egal, ob bei der Wahl des Reiseziels oder der beruflichen<br />

Entscheidung. «Eigentlich wollte ich Medizin studieren. Aber<br />

dafür war ich zu sehr abgelenkt», erzählt Mary. Nicht im<br />

Negativen, wie sie betont. Durch das Bouldern ergab sich<br />

einfach alles anders als ursprünglich geplant. Als Mitarbeiterin<br />

eines Schweizer Importeurs für Outdoor-Ausrüstung<br />

ist sie auch während ihrer Arbeit in ständigem Kontakt mit<br />

dem Sport. Dennoch gerät ihr jugendliches Interesse für<br />

Medizin und Gesundheit nie in Vergessenheit. Vor 15 Jahren<br />

beginnt sie parallel zu ihrem «normalen» Beruf eine Ausbildung<br />

in Traditioneller Chinesischer Medizin (TCM). Warum<br />

alternative Heilmethoden? Mary interessiert die ganzheit­<br />

Dass es der 157 Zentimeter grossen Frau nicht darum<br />

geht, mit ihren Leistungen zu prahlen, merkt man<br />

spätestens, wenn es um das Thema Schwierigkeitsgrade<br />

geht. Etwas verlegen muss sie erst ihren Partner,<br />

Boulder-Profi und -Legende Fred Nicole fragen. Denn<br />

Mary führt keine Liste. «Mir gefällt es, wenn ich eine<br />

entdeckte Linie schaffe zu durchsteigen. Ich glaube, ich<br />

bin im Moment bei einer 6c. Habe aber auch schon eine<br />

7b geklettert.» Doch allein die Bewertung eines Boulders<br />

ist für die Frau mit der wilden Lockenmähne Nebensache.<br />

Draussen am Fels zu sein und dessen Umgebung<br />

spielen für sie eine weit grössere Rolle. Die Menschen,<br />

die Natur, aber auch Kultur und Literatur – einfach alles,<br />

was um den Stein herum passiert.<br />

Besonders spannend findet sie daher das nahe Paris gelegene<br />

Boulder-Gebiet Fontainebleau, ein Wald, der von<br />

magisch anmutenden Felsformationen durchzogen ist.<br />

«An diesem Ort kann ich schnell einmal das Schloss Fontainebleau<br />

um die Ecke besuchen oder für einen Tag nach<br />

Paris fahren, um dort Kunst und Kultur zu erleben.» Und<br />

selbstverständlich spielt auch Partner Fred eine grosse<br />

Rolle bei der Reiseplanung. «Mit ihm hatte ich zum Glück<br />

immer die Möglichkeit, viel zu reisen. Wenn für Fred ein<br />

Projekt ansteht, dann planen wir gemeinsam.»<br />

FOTO : ZVG<br />

48


MARY GABRIELI<br />

«Viele junge Boulderer<br />

sind sich nicht bewusst, wie<br />

privilegiert sie sind, ohne<br />

Einschränkungen zu reisen und<br />

die Natur nutzen zu können.»<br />

PRIVILEG DER FREIEN NATUR<br />

Doch ihre ursprünglichen Lieblingsziele sind heute<br />

zugänglicher und werden stärker frequentiert. Vor allem<br />

in Gebieten wie Hueco Tanks in Texas oder in den südafrikanischen<br />

Rocklands hat sich daher in den vergangenen<br />

30 Jahren viel verändert. «Grundsätzlich finde<br />

ich es zwar gut, dass sich mehr Menschen für den Sport<br />

interessieren und rausgehen. Aber manchmal bekomme<br />

ich den Eindruck, dass viele junge Boulderer sich<br />

nicht mehr bewusst sind, wie privilegiert sie sind, ohne<br />

Einschränkungen zu reisen und die Natur nutzen zu können.»<br />

Auch hier in Cresciano sind an manchen Tagen gut<br />

200 Menschen unterwegs. Dass nicht alle die Umwelt im<br />

Fokus haben, sondern das Leistungsdenken überwiegt,<br />

sieht die erfahrene Kletterin durchaus kritisch. «Das<br />

Verhalten in der Natur sollte eigentlich allen klar sein.<br />

Dem ist aber nicht so und wir treffen immer wieder auf<br />

Toilettenpapier, Zigarettenstummel, Tape-Reste oder<br />

auch Getränkedosen und -flaschen.» Doch nicht nur die<br />

offensichtliche Umweltverschmutzung stösst bei Mary<br />

auf Unverständnis. «Es gibt Leute, die unbedacht Bäume<br />

fällen und Pflanzen vor einem Boulder entfernen, um<br />

die Linie zu klettern. Sie überlegen sich nicht, dass ihr<br />

Tun enormen Einfluss auf das natürliche Gleichgewicht<br />

haben kann», sagt Mary. Daher versucht sie mit anderen<br />

aktiven Bergsportlern durch gezielte Aufklärung, die<br />

sozialen Medien und Aufräumaktionen hierfür ein Bewusstsein<br />

zu schaffen. «Sollten wir nicht alle versuchen,<br />

das Privileg von freier Natur zu erhalten,<br />

um es an die nächste Generation<br />

weiterzugeben?» Mit diesen Worten<br />

studieren ihre Augen den nächsten<br />

Stein. Langsam und bedächtig, um die<br />

Ganzheit der Linie und die Umgebung<br />

zu verstehen.<br />

Info zum Thema «Chasinthe-Rubbish»<br />

finden Sie unter:<br />

baechli-bergsport.ch/chasintherubbish<br />

INSPIRATION 02 / <strong>2018</strong><br />

49


CHRONIK ALPINE TECHNIKEN<br />

GROSSE<br />

HANS DÜLFER<br />

NAMEN<br />

TEXT DOMINIK PRANTL<br />

Ob Prusik-Knoten, Abalakow-Eissanduhr oder Dülfer-Sitz: In allen Bereichen<br />

des Bergsteigens trifft man ständig auf namhafte Vertreter der Alpinismusgeschichte.<br />

Dabei waren diese oft besonders umstrittene Persönlichkeiten.<br />

FOTO: ARCHIV DES DAV, MÜNCHEN<br />

50


Schlaue Menschen aus dem Bannkreis des<br />

Alpinimus behaupten gerne, man könne<br />

und dürfe das Bergsteigen nicht als Sport<br />

im engeren Sinne bezeichnen. Sport ist<br />

nicht mehr als der banale Vergleich von<br />

Leistungen, ein reines Abrackern und Hecheln für<br />

Zahlen und Zeiten, für Siege und Weiten. Das ist<br />

dem Bergsteiger aber zu platt. Der wahre Bergsteiger<br />

müsse vielmehr die Fähigkeit eines Universalgenies<br />

besitzen, sich Wissen aneignen über Wetter<br />

und Geologie – und natürlich vor allem über die<br />

eigene Evolution. Denn wenn es durch die Pallavicini-Rinne<br />

geht, man dem Hinterstoißer-Quergang<br />

entlanghangelt, die Hasse-Brandler-Route oder<br />

den Preußturm meistert, jene Reminiszenzen an<br />

die Vorväter im Stammbaum des Alpinismus, dann<br />

verwandeln sich die Berge in ein Geschichtsbuch mit<br />

unzähligen Seiten. Es gibt sogar ein paar besonders<br />

Auserwählte, denen man beinahe auf jeder echten<br />

Bergtour begegnet.<br />

FALKE · P.O.BOX 11 09 - D-57376 SCHMALLENBERG / GERMANY<br />

FOCUS<br />

D on’t think about SOCKS<br />

because we do<br />

Da ist zum Beispiel Karl Prusik (1896 – 1961). Eigentlich<br />

sollte heutzutage niemand einen Gletscher<br />

betreten, ohne Prusik zu kennen. Denn ihm begegnet<br />

man spätestens dann, wenn ein Seilpartner aus<br />

der Gletscherspalte zu retten ist. Dafür braucht<br />

es laut Lehrbuch die Prusik-Schlinge, die mit Karl<br />

Prusik genauso eng verknüpft ist wie mit dem Seil.<br />

Wobei es heute gewissermassen Meinungsverschiedenheiten<br />

darüber gibt, ob der bei Entlastung recht<br />

lockere Knoten mit Klemmpotenzial auch politisch<br />

korrekt ist. Einige Kritiker schmerzt der Name Prusik-Knoten<br />

schon beim Hinhören so sehr wie Männer<br />

der ebenfalls gut bekannte Sackstich.<br />

Das liegt daran, dass sich das Lebenswerk des promovierten<br />

Wiener Musiklehrers nicht auf seinen 1931<br />

in der «Österreichischen Alpenzeitung» beschriebenen<br />

Klemmknoten beschränkt. Für gewisse Historiker<br />

war Karl Prusik auch ein Revanchist und Vollnazi mit<br />

entsprechend fragwürdigem Gedankengut. Beim Wikipediasieren<br />

findet sich beispielsweise der Hinweis,<br />

er habe eine «sozialdarwinistische Legitimierung<br />

eines Kampfalpinismus» vertreten. Prusik war unter<br />

anderem Hauptsturmführer der Waffen-SS, weshalb<br />

es vielleicht den ein oder anderen zumindest<br />

erstaunt, dass Fred Beckey und Art Holben einen<br />

unglaublich formschönen Berg im US-Staat Washington<br />

nach ihrer Erstbesteigung Prusik Peak nannten.<br />

Nicht ganz so erstaunlich ist, dass Franz Bachmann<br />

eine weniger bekannte Weiterentwicklung des Prusik-Knotens<br />

vorstellte, der aber eher unter Karabinerklemm-<br />

als unter Bachmann-Knoten bekannt ist.<br />

INSPIRATION 02 / <strong>2018</strong><br />

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51


CHRONIK<br />

VITALIJ MIHAILOVIC ABALAKOW<br />

EINFACH EIN<br />

«GENIALES DING»<br />

Manchmal bringen selbst die<br />

besten Klemmknoten nichts,<br />

wenn man noch nie von Abalakow<br />

gehört hat. Die Gebrüder<br />

Witali Michailowitsch und<br />

Jewgeni Abalakow waren so<br />

etwas wie die Klitschkos des<br />

sowjetischen Bergsteigens. Wann und wie genau dem<br />

älteren Witali einst die Idee zur heute berühmten Abalakow-Eissanduhr<br />

kam, lässt sich vielleicht noch durch<br />

geheime Unterlagen in unentdeckten Sonderbibliotheken<br />

der Kommunistischen Partei der Sowjetunion rekonstruieren.<br />

Aber auch das scheint fraglich. Laut dem in Material-<br />

und Technikfragen hochgradig versierten Magazin<br />

«bergundsteigen» ist jedenfalls nicht einmal bekannt, ob<br />

Witali seine Methode zum Errichten eines Fixpunktes nun<br />

als Eisuhr oder Eissanduhr bezeichnet habe. Doch sei sie<br />

schlicht ein «geniales Ding». Hat man einmal Übung darin,<br />

mit einer Eisschraube zwei Eiskanäle zu bohren, die sich<br />

dann idealerweise auch noch im 60-Grad-Winkel treffen,<br />

lässt sich womöglich auch ein sowjetischer Kampfpanzer<br />

oder zumindest ein Kommando-Stabsfahrzeug daran<br />

befestigen. Laut einer Erhebung des Alpenvereins ist ein<br />

Schwachpunkt einer gut erstellten Abalakow-Eisuhr jedenfalls<br />

eher in der Reepschnur zu finden.<br />

Dabei ist es vielleicht das grösste Wunder und die schönste<br />

Ironie an Abalakow, dass es das geniale Ding überhaupt<br />

unter diesen Namen aus der Sowjetunion in die westliche<br />

Welt schaffte und heute auf jedem Hochtourenkurs der<br />

Welt zu finden ist. Immerhin sollte das Bergsteigen sozialistischer<br />

Prägung ja keineswegs der Sicherheit imperialistischer<br />

Ausländer dienen als vielmehr dem Kommunismus<br />

und sowjetischen Führern. So bestieg Jewgeni Abalakow<br />

1933 beispielsweise mit dem Pik Stalin (7495 m) den<br />

höchsten Berg des Landes, der heute freilich Pik Ismoil<br />

Somoni heisst. Witali wiederum schaffte es nicht nur auf<br />

den Pik Lenin, sondern 1952 auch auf den – kein Witz – Pik<br />

19. Parteitag. Neben der Eissanduhr erfand er auch noch<br />

revolutionäre Klemmkeile und musste trotz seines Nimbus<br />

als mehrfacher russischer «Bergsteiger-Champion» ins<br />

Gefängnis. Ihm wurde vorgeworfen, ein deutscher Spion zu<br />

sein, nachdem er westliche Klettertechniken angewendet<br />

hatte. Vielleicht war auch das Piazen schon Teil seiner<br />

Übungen.<br />

GRADIOSER TYP, WILDER ANARCHIST<br />

Damit nun ab in die Wand, weg von Eis und Schnee, in die<br />

Felsen der Dolomiten zu Giovanni Battista Piaz (1879 –<br />

1948), Spitzname Tita. Er erweitert auch das politische<br />

Spektrum unserer Technikpaten nach Prusik und Abalakow<br />

noch ein Stück. Denn Piaz galt nicht nur als ein<br />

begnadeter Kletterer und Hausmeister der Vajolettürme,<br />

sondern auch als ein Anarchist. Die Bozener Lehranstalt<br />

schloss ihn aus; weder die Faschisten noch die österreichischen<br />

Habsburger mochten ihn; die Kirche empfahl,<br />

Distanz zu ihm zu halten. In einem Nachruf hiess es, er<br />

sei ein grandioser Typ gewesen, aber auch ein «wütendes,<br />

trampelndes und fauchendes Menschenkind», wenn<br />

eine Kletterstelle nicht gelingen wollte. Sein Leitsatz<br />

lautete: «Wie eine Katze musst du klettern.» Sein Hund<br />

namens Satan biss wiederum angeblich am liebsten Polizisten.<br />

Er habe Zwiebeln wie Äpfel gegessen und in seiner<br />

Heimat, dem Fassatal, munkelten die Bauern, dass er sich<br />

dem Teufel verschrieben habe und deshalb nicht stürzen<br />

könnte. Das stimmte freilich nicht, weil er – welch ein<br />

Treppenwitz der Geschichte – 1948 an den Folgen eines<br />

Fahrradunfalls starb. Dabei war er eigentlich schon während<br />

des Zweiten Weltkriegs zum Tode verurteilt worden.<br />

Wen wundert es bei so viel innerem Widerstand, dass<br />

zumindest im deutschsprachigen Raum eine Gegendrucktechnik<br />

beim Klettern von Rissverschneidungen, eben das<br />

Piazen, nach ihm benannt wurde. Sie erinnert ein wenig an<br />

das Aufziehen einer schweren Stahltür – und wird im französischen<br />

und italienischen Sprachraum wiederum eher als<br />

dülfern bezeichnet.<br />

KÜNSTLER AN KLAVIER UND KALK<br />

Eben jener Hans Dülfer (1892 – 1915) war ein Wegbegleiter<br />

und guter Freund von Piaz, «ein Künstler,<br />

am Klavier und im Kalkgestein», wie es in einer Veröffentlichung<br />

des Alpenvereins einmal hiess. Irgendwie<br />

verstärkt sich damit der Eindruck, dass die Alpinisten<br />

früher nicht nur politischer, sondern auch vielfältiger<br />

und einfallsreicher waren. Dülfer erdachte Seilquergänge,<br />

um nicht kletterbare Wandpartien zu überwinden;<br />

seine Marksteine tragen Namen wie Totenkirchl-Westwand<br />

und Fleischbank-Ostwand. Biografen behaupten,<br />

er habe den Fels beim Klettern «gestreichelt», weil er<br />

die Technik über rohe Kraft stellte. Obwohl er erst 1911<br />

aus dem Westen Deutschlands nach Bayern übersiedelte<br />

und schon 1915 im Alter von nur 23 Jahren starb, wurde<br />

in München eine Strasse zu seinen Ehren benannt. Es<br />

gibt diverse Dülfer-Risse und Dülfer-Kamine. Und vor<br />

allem gibt es den Dülfer-Sitz.<br />

In Zeiten von Klettergurt, Abseilachter und sonstigen Hilfen<br />

ist die puristischste aller Abseilmethoden selbstredend<br />

aus der Mode gekommen. Doch gerade ältere Bergführer<br />

FOTOS: ARCHIV DES DAV, MÜNCHEN<br />

52


ALPINE TECHNIKEN<br />

mit einem Prusik-Knoten sichern – während man von der<br />

Abalakow-Eissanduhr im Dülfer-Sitz abseilt.<br />

lehren sie noch gerne, schon aus geschichtlichen Gründen:<br />

das Doppelseil durch die Beine nehmen, hinten um<br />

den Oberschenkel quer über die Brust führen und dann<br />

hinterm Rücken zur Führhand bringen. Und: Vorsicht vor<br />

der Reibungswärme! Theoretisch liesse sich auch zusätzlich<br />

GIOVANNI BATTISTA PIAZ<br />

IN ZUKUNFT EINEN «ABMESSNERN»<br />

Mindestens genauso interessant wie die Paten der<br />

Vergangenheit dürfte freilich sein, welche Namen in Zukunft<br />

den Alpinismus bereichern. Wird man sich künftig<br />

einen «abmessnern», wenn man so fachkundig wie ausgiebig<br />

über Berge doziert? Hat einer «gesteckt», wenn<br />

er die Eigernordwand unter drei Stunden hochrennt oder<br />

mit einem gefälschten Gipfelfoto doch nur «gestangelt».<br />

Und wann genau fällt eine Free-Solo-Tour am El Capitan<br />

unter «honnolding»? Vielleicht werden künftig die<br />

kleinen Erfindungen aber auch immer öfter den Firmen<br />

überlassen. Spricht man doch heute beim Aufstieg am<br />

Seil schon vom Jümarn, benannt nach der Steigklemme<br />

eines Schweizer Herstellers.<br />

INSPIRATION 02 / <strong>2018</strong><br />

53


GIPFELGRUSS ROGER SCHÄLI<br />

HEIMAT<br />

URLAUB<br />

PROTOKOLL THOMAS EBERT<br />

Statt Indien, Patagonien oder Alaska hat sich Alpinist Roger Schäli<br />

für <strong>2018</strong> die Alpen als Ziel vorgenommen. Ohne Rekordjagd, dafür<br />

mit viel Zeit für gründliche Erkundungen – ein kleiner Ausbruch aus<br />

dem Hamsterrad des Expeditionsbergsteigens.<br />

«Warum in die Berge der Welt, wenn es zu Hause noch so viel zu<br />

entdecken gibt? Mein Bergjahr <strong>2018</strong> widme ich ganz den Alpen. Darauf<br />

freue ich mich schon lange. Ich will nicht in Grönland, Alaska<br />

oder Patagonien mehr geklettert sein als in unseren Alpen. In den<br />

Ostalpen etwa – Karwendel, Wetterstein, Wilder Kaiser – da habe<br />

ich teilweise richtige Bildungslücken. Auch im Mont-Blanc-Massiv<br />

steht noch so viel, was man nicht auslassen darf. Meine Alpen-Reise<br />

will ich in möglichst allen Bergsport-Disziplinen ausleben. Aber<br />

ohne Speed-Gedanken. Es gibt kein «60 Touren in 60 Tagen»-Motto.<br />

Das ginge auch gar nicht: Ich möchte eine gute Mischung mit einigen<br />

grossen Touren, die selten oder gar nicht wiederholt wurden.<br />

Das ist es ja genau, was im normalen Expeditionsrhythmus wegfällt:<br />

Für eine «Young Spider» am Eiger müsste man sich als Profibergsteiger<br />

eigentlich in den Hintern treten, um sie zu wiederholen.<br />

Weil Wiederholungen in den Medien aber meist untergehen, macht<br />

man sich gar nicht erst die Mühe. Das ist doch schade! Ich will Profi<br />

sein, wie ich es will, und nicht, wie es sich ergibt. Auch das ist ein<br />

Hintergedanke dieses Projekts. Ein anderer schöner Nebeneffekt:<br />

Nach dem Alpenprojekt bin ich sicher so fit wie nie zuvor. Auf einer<br />

Expedition sind es ja manchmal nur fünf Tage am Berg – bei sechs<br />

bis acht Wochen Aufwand.<br />

«Wir haben mit den Alpen<br />

das beste Gebiet der Welt<br />

vor der Haustür – das muss<br />

man sich immer mal wieder<br />

klarmachen.»<br />

Ganz besonders freue ich mich auf den Austausch mit meinen Seilpartnern.<br />

Christoph Hainz und Simon Gietl sind für die Dolomiten fix<br />

eingeplant, für die Ötztaler Alpen bin ich mit Hansjörg Auer in Kontakt,<br />

auch mit David Lama und den Huber-Brüdern. Als Startschuss<br />

war ich mit Nicolas Favresse in der Eigernordwand. Überall gibt es<br />

kleine, kulturelle Unterschiede: Die jungen Chamoniarden nehmen<br />

das Seil etwas anders auf als wir. Welches Sicherungsgerät ist<br />

gerade im Kommen, was wird auf Tour gegessen, wie wird trainiert?<br />

Das wird eine richtige Bildungsreise durch die Alpen!»<br />

ROGER SCHÄLI<br />

PROFIBERGSTEIGER<br />

54


GIPFELGRUSS<br />

AUS DEN ALPEN<br />

FOTOS: FRANK KRETSCHMANN<br />

55


HOCHGENUSS<br />

ZEITREISE IN DIE<br />

VERGANGENHEIT<br />

FOTO: SABRINA ROTHE<br />

56


BELLE-ÉPOQUE-HOTELS<br />

Tagsüber in Wanderschuhen die Alpenwelt erkunden und die Natur erleben,<br />

abends stilvoll in einem aussergewöhnlichen Hotel mit historischen<br />

Wurzeln, gutem Essen und gelebter Gastfreundschaft übernachten: Das passt<br />

wunderbar zusammen, wie so manche Belle-Époque-Häuser zwischen<br />

dem Genfersee und dem Bündnerland beweisen. Bächli Bergsport stellt vier<br />

Trouvaillen aus der Zeit der vorletzten Jahrhundertwende vor.<br />

TEXT CLAUS SCHWEITZER<br />

Die Wanderer auf dem Weg von Glion nach Les<br />

Avants am Hang über Montreux bleiben stehen vor<br />

dem Hotel Victoria. Sie gucken durch die Hecken<br />

in eine andere Welt hinein: in den Park mit zwitschernden<br />

Vögeln und alten Bäumen, durch die ein sanftes<br />

Lüftchen rauscht. Der Blick klettert hoch an der vanillefarbenen<br />

Fassade des eleganten Gebäudes aus der<br />

Belle Époque, zu einem der Zimmerbalkone, wo sich ein<br />

Gästepaar gerade Tee aus silbernen Kännchen nachgiesst<br />

und über die Köpfe der Passanten hinweg in die<br />

Weite des Genfersees blickt. Bis ans andere Ufer, zum<br />

savoyischen Chablais-Massiv mit dem markanten, von<br />

Ferdinand Hodler oft gemalten Grammont.<br />

französisch-schweizerische Marktküche ist so verlässlich<br />

lecker, dass man es hier problemlos auch einige<br />

Wochen aushalten könnte – wie dies bei den Gästen im<br />

Fin de Siècle gang und gäbe war. In der Lobby liegt das<br />

in Leder gebundene Gästebuch auf. Ein multikulturelles<br />

Zeugnis der Begeisterung, insbesondere auch von<br />

vielen jüngeren Besuchern. Es scheint, sie schätzen das<br />

Traditionshaus als Hüter gewisser Grundwerte. Oder wie<br />

es der Hausherr sagt: «Je mehr Hotels so aussehen, als<br />

könnten sie überall auf der Welt stehen, desto besser<br />

geht es dem Victoria.»<br />

FOTO: ZVG<br />

AUFBRUCH ZU DEN WURZELN<br />

Das Victoria ist der erste Volltreffer bei unserer Suche<br />

nach Schweizer Hotelperlen, die das Lebensgefühl und<br />

das ästhetische Empfinden der Belle Époque spürbar<br />

werden lassen – und bewegungsfreudigen Genussmenschen<br />

ein unvergleichliches Gesamterlebnis in angenehmer<br />

Atmosphäre bieten. Wer die Schwelle zu diesem<br />

Retro-Juwel überschreitet, taucht umgehend in die Zeit<br />

der vorletzten Jahrhundertwende ein – und erst bei der<br />

Abreise wieder in die heutige Realität auf. In den Hallen<br />

und Salons, die mit viktorianischen Kuriositäten, prächtigen<br />

Lüstern und goldgerahmten Spiegeln ausgestattet<br />

sind, leuchtet die Belle Époque, als hätte sie gerade erst<br />

begonnen, und es grenzt fast an ein Wunder, wie unbeschadet<br />

das Haus die Zeiten überstanden hat. Trotzdem<br />

ist es kein Schaustück zum Bewundern, sondern<br />

ein überraschend unprätentiöses Hotel zum Brauchen<br />

und Bewohnen. Toni Mittermair, dem das Victoria vor<br />

dreissig Jahren in die Hände fiel, sorgt zusammen mit<br />

seiner Frau Barbara dafür, dass jeder Gast der Wichtigste<br />

ist und das Hotel jene Gelassenheit ausstrahlt, die<br />

man mit Geld allein nicht kaufen kann. Die Restaurantterrasse<br />

zählt zu den schönsten am Lac Léman, und die<br />

Spätestens dann, wenn man die Balkontür seines Zimmers<br />

öffnet und auf die Weite des Genfersees blickt, wird es<br />

einem ganz leicht ums Herz und schwindelig vor Glück.<br />

VICTORIA,<br />

GLION SUR MONTREUX<br />

victoria-glion.ch<br />

INSPIRATION 02 / <strong>2018</strong><br />

57


HOCHGENUSS<br />

BELLA TOLA,<br />

ST-LUC<br />

bellatola.ch<br />

Das «Hôtel Bella Tola» mischt das Flair der glorreichen<br />

Vergangenheit subtil mit heutiger Energie.<br />

BELLEVUE ZU FÜSSEN DER<br />

EIGERNORDWAND<br />

Nur 40 Kilometer Luftlinie entfernt<br />

liegt die Kleine Scheidegg. Mit dem<br />

Auto ist der Weg jedoch nicht unter<br />

drei Stunden zu schaffen. Zunächst<br />

einmal kostet das abenteuerliche<br />

Bergsträsschen aus dem Val d’Anniviers<br />

Zeit und Nerven, und schliesslich ist das letzte<br />

Stück ab Grindelwald oder Lauterbrunnen nur mit der<br />

Wengernalpbahn (oder zu Fuss) erreichbar.<br />

SCHÖN ALT UND NICHT VON GESTERN<br />

Ein wirklich gutes Hotel gibt dem Gast das Gefühl, gar<br />

nicht in einem Hotel zu wohnen. Das ist die Meinung<br />

von Anne-Françoise und Claude Buchs. Die Gastgeber<br />

und Besitzer des Hôtel Bella Tola im Dörfchen St-Luc<br />

im Val d’Anniviers, unserer zweiten Etappe, schaffen<br />

es, ihre Gäste sehr persönlich zu betreuen. Fast so, als<br />

wären sie in einem privaten Anwesen eingeladen, in<br />

dem für alles gesorgt ist. Mitte des 19. Jahrhunderts<br />

wurden hier die ersten Gäste empfangen, und seit die<br />

Familie Buchs das windschief-verwinkelte Haus vor gut<br />

zwanzig Jahren übernommen und mit subtilen Renovationen<br />

für die heutige Zeit fit gemacht hat, strahlt der<br />

alte Glanz in neuem Stil.<br />

An den Wänden hängen noch Schwarz-Weiss-Aufnahmen<br />

aus jener Zeit, als das Leben eine endlose Party<br />

war, noch niemand Kalorien zählte und keiner auf die<br />

Idee kam, Nikotin oder Alkohol zu meiden. Das unbeschwerte<br />

Grundgefühl der Pionierjahre des alpinen<br />

Tourismus blieb erhalten, und die öffentlichen Räume,<br />

die drei Restaurants und 30 Gästezimmer sind heute<br />

mit Sicherheit schöner, als die ursprünglichen es je<br />

waren. Zudem gibt es heute ein kleines Spa mit einer<br />

Reihe von Verwöhnbehandlungen, die ermatteten<br />

Stä<strong>dt</strong>ern nach einem Wandertag guttun. Abends lassen<br />

die Gäste den historischen Speisesaal aufleben und<br />

geniessen elegante Sorglosigkeit.<br />

Oben auf 2064 Metern über Meer und buchstäblich zu<br />

Füssen der Eigernordwand empfängt das Hotel Bellevue<br />

des Alpes stilbewusste Berg-Enthusiasten, die<br />

Luxus nicht in Hotelsternen, sondern in Landschaftserlebnissen<br />

messen. Das Alpenrefugium wirkt sowohl<br />

von aussen wie von innen bis ins beglückende Detail<br />

so, als sei es seit der Belle Époque in einem gewaltigen<br />

Einmachglas konserviert worden. Dieser Eindruck<br />

ist das Ergebnis einer ungeheuren Anstrengung des<br />

Besitzerpaars Silvia und Andreas von Almen, die das<br />

Bellevue in fünfter Generation führen, jedem Modernisierungswahn<br />

widerstanden und bis heute bewusst auf<br />

technische Errungenschaften wie Fernseher oder Lift<br />

verzichten. In den 62 Zimmern wurden die alten Doppelfenster,<br />

die grossmütterlichen Betten und Lampenschirme,<br />

die Füsschenbadewannen und antiken Armaturen<br />

wo immer möglich erhalten. Die viktorianisch<br />

anmutende Lobby, die knarrenden Holztreppen, die Bar<br />

aus den Zwanzigerjahren – alles erstrahlt heute wie zu<br />

den Glanzzeiten des Hotels, und es braucht nicht viel<br />

Fantasie, um sich die Gäste vorzustellen, die hier anno<br />

dazumal ihre Ferien verbrachten.<br />

Es sei hier nicht verschwiegen, dass der Ausflugsrummel<br />

auf der Kleinen Scheidegg gewöhnungsbedürftig ist. Doch<br />

gegen 19 Uhr, wenn die letzten Bahnen talwärts fahren,<br />

kehrt auf der Passhöhe eine erhabene Ruhe ein und man<br />

fühlt sich wie in einer anderen Welt.<br />

FOTO: YANNICK LUTHY<br />

58


BELLE-ÉPOQUE-HOTELS<br />

BELLEVUE DES ALPES,<br />

KLEINE SCHEIDEGG<br />

scheidegg-hotels.ch<br />

Am frühen Abend,<br />

wenn die Karawanen<br />

der Tagesausflügler<br />

abgezogen sind,<br />

gehört das «Bellevue<br />

des Alpes» den<br />

wenigen Glücklichen,<br />

die hier ein Zimmer<br />

reserviert haben.<br />

ZEITLOS ZAUBERBERGHAFT<br />

Auch das Berghotel Schatzalp, die letzte Station unserer<br />

nostalgischen Tour de Suisse, ist nur mit der Bahn zu erreichen.<br />

Es ist eines der wenigen, im Originalzustand erhaltenen<br />

baulichen Zeugnisse aus der Zeit, als in Davos die<br />

Tuberkulose-Sanatorien wie Pilze aus dem Boden schossen<br />

und der europäische Adel seine Lungenkrankheiten an der<br />

heilenden Höhenluft kurierte. Und es ist ein unverschämt<br />

altmodisches Hotel, in dem zuweilen der morbide Wind zu<br />

wehen scheint, der die Haare des Hans Castorp aus Thomas<br />

Manns epochalem Roman «Der Zauberberg» zerzauste.<br />

Ausserordentlich stimmungsvoll, wenn auch renovationsbedürftig,<br />

sind die Jugendstilzimmer zur sonnigen Talseite mit<br />

grossen Balkonen und original Davoser Liegen. Geradezu<br />

filmreif sind die drei «Kaiserzimmer» (Nr. 101, 201 und 301),<br />

benannt nach Kaiser Wilhelm II., der die Zimmer zehn<br />

Jahre für den Fall einer Tuberkulose-Erkrankung in seiner<br />

Familie gemietet hatte, diese aber nie bewohnte.<br />

BERGHOTEL SCHATZALP,<br />

DAVOS<br />

schatzalp.ch<br />

FOTO: ZVG<br />

Das Team des charismatischen Besitzers Pius App ist<br />

engagierter als in manchem höher besternten Hotel unten<br />

im Dorf, dennoch ist die Schatzalp für Liebhaber konfektionierter<br />

Modernität die schiere Hölle. Jäger verborgener<br />

Hotelschätze hingegen können im nahezu unveränderten<br />

Prachtbau mit den fabelhaften Hallen und der lang gestreckten<br />

Jugendstil-Veranda (der schönsten Sonnenterrasse<br />

von Davos) in die Atmosphäre der Belle Époque eintauchen<br />

und dabei eine Ahnung von Ewigkeit bekommen.<br />

Im Berghotel Schatzalp können naturverbundene Nostalgiker<br />

in eine verloren geglaubte Welt eintauchen,<br />

ohne mit Löchern im Portemonnaie abreisen zu müssen.<br />

INSPIRATION 02 / <strong>2018</strong><br />

59


P A R T N E R C H E C K<br />

F I L I D O R


PARTNERCHECK FILIDOR<br />

ROTPUNKT INS<br />

ABENTEUER PLAISIR<br />

Beim Filidor-Verlag im Kandertal ist der Verleger auch Kletterer, Entdecker,<br />

Illustrator, Fotograf, Texter, Retoucheur und Layouter. Ein Unternehmen,<br />

ein Mann, sieben Professionen – vereint in einer Leidenschaft: Sandro von<br />

Känel führt das Werk seines Vaters Jürg weiter, um die schönsten Klettergebiete<br />

der Schweiz für Genusskletterer zugänglich zu machen.<br />

TEXT YVONNE INEICHEN<br />

FOTO: ARCHIV FILIDOR<br />

Die Plaisir-Führer aus dem Filidor-Verlag sind für<br />

Genusskletterer, was für einen Schüler das Alphabet.<br />

Die Initialzündung, dank der manch einer wunderbare<br />

Erlebnisse hat, die ihm sonst verborgen geblieben<br />

wären. Zu verdanken sind diese literarischen «Naturwunder»<br />

Jürg von Känel. Nach einer äusserst erfolgreichen<br />

Zeit als ambitionierter Kletterer widmete sich der Bergführer<br />

einer neuen Herausforderung. Jürg von Känel beschäftigte<br />

sich intensiv mit der Idee des Plaisir-Kletterns.<br />

Im Jahr 1992 veröffentlichte er sein Erstlingswerk «Schweiz<br />

plaisir». Wer glaubt, die Kletterszene hätte deswegen einen<br />

Kniefall gemacht, irrt. Kontrovers die Diskussionen<br />

bei den Passionierten. Hocherfreut das Echo der Genusskletterer.<br />

War vorher die Kletterwelt für viele eine Scheibe,<br />

wurde sie auf einmal rund. Der Filidor-Verlag war Pionier,<br />

hat Meilensteine gesetzt und tut es heute, rund 32 Jahre<br />

nach seiner Gründung, noch immer. Keine Selbstverständlichkeit.<br />

Denn der Verlag und die Menschen dahinter<br />

blieben von Schicksalsschlägen nicht verschont. Jürg verstarb<br />

im Jahr 2005. Seine Frau Berthi führte den Verlag<br />

weiter, unterstützt von Freunden, Verwan<strong>dt</strong>en und Sohn<br />

Adrian. Auch Jürgs Bruder Res von Känel sprang ein. Das<br />

Schicksal schlug erneut zu. Der Bergführer verunglückte<br />

im Jahr 2009 mit einem Gast am Breithorn tödlich.<br />

EINFACH LOSLAUFEN UND LERNEN<br />

Der zweite Sohn Sandro, eigentlich gelernter Schreiner,<br />

zögerte nicht und schloss die Lücke. Es war wohl eine<br />

Art Vorahnung, dass er im Jahr 2008, nach langer Pause,<br />

seine Kletterfinken wieder hervorgeholt hatte. «Ich bin<br />

ziemlich blauäugig losgelaufen, kannte die Szene nicht,<br />

die Erschliesser der Routen auch nicht. Ich habe mich<br />

einfach reingehängt und beim Umsetzen selbst viel gelernt.<br />

Vielleicht war es sogar ein Vorteil, dass ich wenig Ahnung<br />

hatte. Wer weiss, ob ich den Sprung sonst gewagt<br />

hätte?» So sieht Sandro seine ersten Jahre rückblickend.<br />

Reinknien, ausprobieren, lernen, gewissenhaft sein: Die<br />

Arbeit im und mit dem Verlag hat mit dem Klettersport<br />

viel gemeinsam. Vielleicht konnte das Vorhaben deshalb<br />

gar nicht schiefgehen. Weil Sandro von Känel wieder das<br />

INSPIRATION 02 / <strong>2018</strong><br />

61


PARTNERCHECK<br />

Der Gründer des Filidor-Verlags und der Wegbereiter des<br />

Plaisir-Kletterns in der Schweiz: Jürg von Känel († 2005).<br />

Kletterfieber befallen hat. Und weil er gut mit Menschen<br />

kann. Vernetzen, Kontakte pflegen – die Informationen für<br />

die Führer müssen von irgendwo kommen. «Mein Glück<br />

war wohl auch, dass ich die kontroversen Diskussionen<br />

zum Plaisir-Klettern nicht mitbekommen habe. Ich war<br />

viel zu weit vom Thema weg. Und konnte völlig unvoreingenommen<br />

auf die Menschen zugehen», sagt Sandro.<br />

Dass die Plaisir-Führer bereits einen sehr guten Ruf hatten,<br />

wäre für manch einen ein grosser Druck gewesen. Sandro<br />

nahm es für sich als Vorteil und führt die Vision seines<br />

Vaters mit grosser Freude weiter. «Ich mache es einfach<br />

gerne», kommentiert der Verleger.<br />

VIER JAHRESZEITEN FÜR EIN BUCH<br />

Das ist die beste Voraussetzung für einen guten Job. Die<br />

ganze Vorbereitungsarbeit für neue Führer geschieht von<br />

Frühling bis Herbst. Da ist Sandro draussen am Fels und<br />

im Gelände unterwegs. Routen sichten, klettern, Zustiege<br />

prüfen, Topos skizzieren, fotografieren. «Einen Kletterführer<br />

herauszubringen ist aber auch Schreibtischarbeit. An<br />

Schlechtwettertagen und den ganzen Winter über verbringe<br />

ich sehr viel Zeit am Computer», sagt Sandro. Dazu kommt<br />

«die Skizzen mit Tusche nachzeichnen, einscannen, bearbeiten<br />

und vektorisieren.» Hat man alle Daten beisammen,<br />

geht es ans Layout. Auch das macht der Verleger selbst. Im<br />

Hintergrund wirken helfende Hände mit. Sie lektorieren,<br />

übersetzen die Texte ins Englische und Französische. Um<br />

Buchhaltung und Versand kümmert sich noch immer Berthi<br />

von Känel. Beim Verlag im Kandertal geht es ruhig zu. Zumindest<br />

meistens. Vor dem Druck kann es schon mal etwas<br />

hektisch werden. Liegt das «Gut zum Druck» auf dem Tisch,<br />

wird akribisch kontrolliert, damit ja alles passt. Und doch<br />

ging auch schon etwas daneben. «Beim Führer ‹extrem<br />

SUD› haben wir bei einem Klettergebiet die Zustiegsskizze<br />

vergessen. Obwohl wir Manuskript und ‹Gut zum Druck›<br />

zigmal durchgeschaut haben, hat das niemand realisiert.<br />

Aufgefallen ist es mir selbst, weil ich genau dieses Gebiet<br />

nachschlug.» Der Zustieg wird auf ein Extrablatt gedruckt<br />

und dem Führer beigelegt. Einfach und pragmatisch – so<br />

löst man die Probleme im Kandertal.<br />

MEILENSTEINE<br />

1986 1989 1992 2005<br />

Erster Kletterführer:<br />

«Die schönsten<br />

Sportklettereien im<br />

Berner Oberland»<br />

«Schweiz Extrem»:<br />

der erste Führer<br />

aus dem hauseigenen<br />

Filidor-Verlag<br />

Jürg von Känel<br />

veröffentlicht den<br />

ersten Führer<br />

«Schweiz plaisir»<br />

Jürg von Känels<br />

letztes Projekt:<br />

«Schweiz<br />

plaisir ALPIN»<br />

FOTO: ARCHIV FILIDOR<br />

62


FILIDOR<br />

DIE ZUKUNFT? AUCH DIGITAL<br />

Genauso pragmatisch ist auch der Ansatz, wenn es<br />

um allfällige Kooperationen oder Fusionen geht. Der<br />

Verleger denkt weiter. Auch in die digitale Zukunft. Es<br />

gab viele Gespräche mit Unternehmen, um eine eigene<br />

App zu entwickeln. «Unterschiedliche Vorstellungen, ein<br />

grosser Initialaufwand, die Umsetzung und die Frage<br />

nach der Rentabilität ... Wir haben uns vom Gedanken<br />

verabschiedet», erklärt Sandro. Doch vor etwas mehr<br />

als einem Jahr klopfte Vertical Life beim Verlag an – der<br />

digitale Kletterführer schlechthin. «Ich war skeptisch,<br />

ob es wirklich so reibungslos laufen würde, wie es in<br />

den Gesprächen klang. Aber hei, die Zusammenarbeit<br />

ist super. Ich bin froh, dass wir diese Lösung haben<br />

und unseren Käufern einen Mehrwert bieten können.»<br />

Sandro von Känel strahlt. Seit dem vergangenen Jahr<br />

gibt es zu vier Führern von Filidor die Möglichkeit, sich<br />

diese auf die App zu laden. Weitere folgen fortlaufend.<br />

Für Filidor ist es eine zusätzliche Dienstleistung, ergänzend<br />

und kostenlos zum Buch. Natürlich gibt’s auch<br />

welche, die sich die Führer nur noch über die App besorgen.<br />

«Das gehört dazu», meint Sandro von Känel, «wir<br />

sehen es als Aufwertung».<br />

Erstauflage. Gedruckt und digital, selbstverständlich.<br />

Welche Ideen sonst noch in den Köpfen hausen? Man<br />

wisse nie, was die Zukunft bringt, wiegelt Sandro ab.<br />

Ihm ist wichtig, dass er mit den Erschliessern weiterhin<br />

ein gutes Einvernehmen hat. Er will nah an der Szene<br />

sein und den Menschen eine gute Zeit an schönen Orten<br />

ermöglichen. Sonnenklar ist für Sandro ebenfalls, dem<br />

Verlag die Eigenständigkeit zu erhalten. «Weil wir an<br />

unsere Passion glauben.»<br />

Der Filidor-Verlag wird auch weiterhin Kletter-Perlen<br />

publizieren. Im Jahr 2017 erschienen der «plaisir JURA»<br />

in überarbeiteter Auflage und der «extrem JURA» in<br />

2009<br />

2010 2014<br />

2017<br />

Sandro von Känel<br />

steigt in den<br />

Verlag ein und<br />

vollendet «Schweiz<br />

plaisir SUD».<br />

Das erste Buch<br />

im Filidor-Verlag:<br />

«Sportklettern<br />

Berner Oberland»<br />

Zum 25. Jubiläum<br />

von «Schweiz<br />

extrem» gibt<br />

es das Update<br />

«extrem SUD»<br />

Filidor als App:<br />

In Kooperation<br />

mit Vertical<br />

Life gehen die<br />

Routen digital<br />

INSPIRATION 02 / <strong>2018</strong><br />

63


GLOSSE<br />

SPEED-HIKER ODER<br />

ULTRA-TREKKER?<br />

TEXT THORSTEN KALETSCH<br />

Mein Freund Guido ist ein Trendsetter.<br />

Oder genauer genommen<br />

ein Early Adopter. Er ist es<br />

nämlich nicht, der die Trends setzt, er<br />

lässt sich lediglich früh für neue Strömungen<br />

aller Art begeistern. Um sie<br />

dann im Freundeskreis mit Verve zu<br />

vertreten. Guido war es, der mich vor<br />

Jahrzehnten auf den Boom des Nordic<br />

Walkings aufmerksam machte. Mit<br />

Stöcken, so beschied er mir, mache das<br />

Gehen viel mehr Sinn. Es beanspruche<br />

mehr Muskelgruppen, sei dadurch<br />

ganzheitlicher und letztlich gesünder.<br />

Die Stöcke mit ihren speziellen Schlaufen<br />

kamen mir vom Langlauf her bekannt<br />

vor, trotzdem schrammte ich nur<br />

knapp an einem Kauf vorbei. Auch weil<br />

Guido längst einem neuen Hobby<br />

frönte.<br />

Trailrunning sei in Nordamerika der<br />

neue Trend, schwärmte er. Die neuen,<br />

stabileren und wasserdichten Laufschuhe<br />

ermöglichten im Gelände ein<br />

komplett neues Lauferlebnis. Wie ernst<br />

es ihm war, zeigte mir allein schon die<br />

Impressum<br />

«<strong>Inspiration</strong>», die Kundenzeitschrift der Bächli Bergsport<br />

AG, erscheint 4 x jährlich und ist in allen Filialen kostenlos<br />

erhältlich. Auflage: 130’000 Exemplare<br />

Herausgeber<br />

Bächli Bergsport AG<br />

Gewerbestrasse 12, 8606 Nänikon<br />

Telefon 044 826 76 76<br />

E-Mail info@baechli-bergsport.ch<br />

Tatsache, dass er sich die Domain trailrunning.ch<br />

reserviert hatte, um sie<br />

später einmal gewinnbringend zu verkaufen.<br />

Ich selber hatte kurz darauf<br />

Gelegenheit, Tim Boyle, den CEO und<br />

Präsidenten von Columbia, zu interviewen.<br />

Als er mich mit Begeisterung auf<br />

den neuen Trailrunning-Schuh seines<br />

Unternehmens hinwies, fragte er mich,<br />

ob ich auch Trailrunner sei. Meine unbedarfte<br />

Antwort, in der Schweiz sei<br />

aufgrund der Topografie doch jeder,<br />

der nicht nur auf Strassen laufe, ein<br />

Trailrunner, quittierte er mit einem<br />

wissenden Lächeln. Zwei Wochen später<br />

traf bei mir zu Hause ein Paket mit<br />

einem Trailrunning-Testschuh in meiner<br />

Grösse ein.<br />

Guido aber war längst auf einen neuen<br />

Trend aufgesprungen. Die Domain<br />

trailrunning.ch hatte er nach einigen<br />

Jahren des Wartens zurückgegeben,<br />

just bevor sie eine findige Werbeagentur<br />

einem Hersteller verkaufte. Speed<br />

Hiking sei die ultimative Bewegungsform,<br />

beschwor er mich jetzt. Das sei<br />

sozusagen die Verschmelzung von<br />

Trailrunning und Nordic Walking. «Es<br />

ist Trailrunning mit Stockeinsatz und<br />

Nordic Walking im alpinen Gelände mit<br />

Tempo!» Dass Stöcke auf anspruchsvollen<br />

Wanderungen durchaus Sinn<br />

machen, hatte ich auch schon gelesen.<br />

Redaktion & Layout<br />

Outdoor Publishing GmbH<br />

Eichbergerstrasse 60, 9452 Hinterforst<br />

Telefon 071 755 66 55<br />

E-Mail redaktion@outdoor-publishing.com<br />

Druck<br />

Bruhin AG, Pfarrmatte 6, 8807 Freienbach<br />

Telefon 055 415 34 34<br />

E-Mail info@bruhin-druck.ch<br />

Es leuchtete mir ein, dass Bergläufer<br />

mit Stöcken deutlich schneller auf dem<br />

Niesen waren als solche ohne.<br />

Ich hatte mir deshalb Trekkingstöcke<br />

angeschafft, nicht solche mit Schlaufen<br />

wie beim Nordic Walking. Damit bin ich<br />

oft in den Bergen unterwegs, wähle<br />

beim Aufstieg gerne auch die Direttissima<br />

und mag es, dabei ein schweisstreibendes<br />

Tempo anzuschlagen. Leider<br />

entzieht es sich meiner Kenntnis,<br />

ob ich deshalb ein «Speed Hiker», ein<br />

«Ultra Trekker» oder einfach ein zügiger<br />

Wanderer bin. All jenen, die angesichts<br />

der vielen Bezeichnungen auch<br />

etwas den Überblick verloren haben<br />

oder die den Unterschied zwischen<br />

Trekking und Hiking nicht kennen, kann<br />

ich nur den Weg ins Fachgeschäft empfehlen.<br />

Dort ist man per definitionem<br />

up to date. Und kennt sich auch mit Anglizismen<br />

aus.<br />

Während sich meine Trailrunning-Testschuhe<br />

auch nach zehn Jahren noch<br />

bestens bewähren (notabene im Indoor-Einsatz<br />

auf dem Fitness-Fahrrad),<br />

hat Guido das Interesse am Speed<br />

Hiking längst wieder verloren. Bei unserer<br />

letzten Wanderung brummelte er<br />

etwas von «Ultra Highspeed Trailhiking».<br />

Aber ich habe ihn ehrlich gesagt<br />

nicht so genau verstanden.<br />

Konzept:<br />

outkomm gmbh<br />

Copyright<br />

Alle Beiträge sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwendung<br />

ist ohne Zustimmung des Herausgebers unzulässig<br />

und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen,<br />

Übersetzungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in<br />

elek tronischen und multimedialen Systemen.<br />

ILLUSTRATION: SOPHIE KETTERER<br />

64


NATURE<br />

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eine innovative Stofftechnologie, die<br />

für heißes Wetter konzipiert ist. Sie<br />

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nachhaltig beschafftem Eukalyptus.<br />

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