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Untitled - Freie Universität Berlin

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13<br />

Art. 3 Abs. 1 VO Nr. 1/2003 erweitert den Vorrang des EG-Rechts bei kollektiven („zwei- und<br />

mehrseitigen“) wettbewerbsbeschränkenden Vereinbarungen; für die Zweischrankentheorie bleibt<br />

kein Raum mehr. 3 Aufgrund der Zwischenstaatlichkeitsklausel in Art. 101 AEUV bleiben vom Vorrang<br />

des EG-Rechts ausgenommen nur Vereinbarungen von lokaler und regionaler Reichweite, namentlich<br />

im Einzelhandels- und Dienstleistungsbereich, da diese zwischenstaatlichen Handel i.S.<br />

von Art. 101 Abs. 1 AEUV in aller Regel nicht berühren. 4 Angesichts der weiten Interpretation dieses<br />

Tatbestandsmerkmals durch die vom Europäischen Gerichtshof 5 bestätigte Praxis der EG-<br />

Kommission fallen ca. drei Viertel aller vertraglichen Wettbewerbsbeschränkungen unter Art. 101<br />

AEUV. Sie sind damit einer eigenständigen Beurteilung durch das nationale Recht entzogen. Vor<br />

diesem Hintergrund wäre es unzweckmäßig gewesen, das deutsche System der Anmeldung und<br />

Administrativfreistellung für lokale und regionale Wettbewerbsbeschränkungen aufrechtzuerhalten. 6<br />

Ein vom deutschen Gesetzgeber fortgeführter Wettbewerb der Kartellrechtssysteme, der den kleineren<br />

Unternehmen härtere bürokratische Fesseln auferlegt als den größeren Unternehmen, würde in<br />

der Tat dem polemischen Vorwurf Nahrung geben: „Die Großen lässt man laufen, die Kleinen hängt<br />

man.“ Das neue GWB gibt daher das bisherige System der §§ 2-13 GWB auf und übernimmt im<br />

neuen § 2 GWB das dem deutschen Recht bislang unbekannte EG-rechtliche System der Gruppenfreistellungsverordnungen.<br />

Die (verfassungsrechtlich allerdings nicht völlig bedenkenfreie) dynamische<br />

Verweisung in § 2 GWB auf die jeweils geltenden EG-Gruppenfreistellungsverordnungen 7 unter<br />

Verzicht auf die bisherige Kasuistik der §§ 2-8 GWB ist zu begrüßen. Ein Nebeneinander beider<br />

Systeme wäre unter dem Aspekt der Rationalisierung und Europäisierung des Privatrechts unzweckmäßig<br />

gewesen. 8<br />

Umso mehr ist es zu bedauern, dass der Gesetzgeber den bisherigen Freistellungstatbestand für Mittelstandskartelle<br />

(§ 4 GWB) systemwidrig in einem neuen § 3 GWB beibehält. Da § 1 GWB als<br />

Folge der Angleichung an Art. 101 Abs. 1 AEUV gemäß der De-minimis-Bekanntmachung der<br />

Kommission 9 ohnehin nur solche horizontalen und vertikalen Wettbewerbsbeschränkungen erfasst,<br />

die einen kumulierten Marktanteil von 10% bzw. 15% überschreiten, ist für eine weiterreichende<br />

Legalisierung von Mittelstandskartellen, die nicht die Freistellungsvoraussetzungen des § 2 GWB<br />

erfüllen, kein wettbewerbspolitisch vertretbarer Spielraum. Obendrein ist § 3 legislatorisch verunglückt.<br />

Die Norm arbeitet mit einer Fiktion, d.h. einer unwiderlegbaren Vermutung: Die Voraussetzungen<br />

des § 2 Abs. 1 gelten auch dann als erfüllt, wenn sie von Mittelstandskartellen nicht erfüllt<br />

werden; denn würden sie erfüllt, so gälte ja § 2 des Entwurfs; § 3 wäre überflüssig. Durch die Fiktion<br />

wird verdeckt, dass für innerstaatliche Mittelstandskartelle ein Freiraum geschaffen werden soll,<br />

der über die Freistellungsmöglichkeiten nach europäischem Recht hinausgeht.<br />

3 Dazu Möschel in: Immenga/Mestmäcker, GWB, 3. Aufl. 2001, § 19 RdNr. 201ff.<br />

4 Vgl. dazu die neue Bekanntmachung der EU-Kommission über den Begriff der Beeinträchtigung des zwischenstaatlichen<br />

Handels, ABl. EG vom 27.04.2004 Nr. C 101/81.<br />

5 Zwei Beispiele dazu: EuGH Slg. 1998, I-1983, 2003 Javico; EuGH Slg. 1997, I-4411 Ferrière Nord.<br />

6 Dagegen Möschel, WuW 2003, S. 571: „Das europäische Einheitsrecht wird in Zukunft zu einer Fehlerpotenzierung<br />

führen.“<br />

7 GVO Nr. 2659/2000 (Forschung und Entwicklung); GVO Nr. 2658/2000 (Spezialisierungsvereinbarungen); GVO<br />

Nr. 358/2003 (Versicherungssektor); GVO Nr. 2790/1999 (Vertikale Vereinbarungen); GVO Nr. 1400/2002 (Kfz.-<br />

Sektor).<br />

8 Dazu näher Säcker, in: Münchener Kommentar zum BGB, 4. Aufl. 2003, Einl. RdNr. 194.<br />

9 Bekanntmachung der Kommission über die Vereinbarungen von geringer Bedeutung, die den Wettbewerb gemäß<br />

Artikel 81 Abs. 1 des Vertrages zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft nicht spürbar beschränken, ABl. EG vom<br />

22.12.2001 Nr. C 368/13.

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