Weihnachtszeitung 2017 - Straubenhardt
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Weihnachtsmärchen für Kinder: Das Krippenspiel<br />
Theater! Grimmig kickte Emma gegen die Bank, auf der<br />
sie saß. Dann warf sie kampflustig ihre roten Locken<br />
zurück. Dieses Jahr musste sie die Königin des Schultheaterstücks<br />
werden, jawohl, sie, Emma aus der 4a! Das<br />
Pausenzeichen ertönte und alle strömten wieder in ihre<br />
Klassenzimmer. Viele hatten den Zettel mit der Einladung<br />
zum Weihnachtsspiel in der Hand. „Na, interessiert<br />
dich das auch?”, fragte plötzlich jemand hinter ihr. Emma<br />
drehte sich irritiert um. Och nö, der langweilige Hanno,<br />
der immer so schrecklich nett sein wollte. Wortlos<br />
wandte sie sich von ihm ab.<br />
Sehr energisch ging Emma wenige Tage später zur<br />
großen Rollenverteilung für die Aufführung. Ihre Haare<br />
glänzten kupferfarben, sie hatte ein fantastisches pinkfarbenes<br />
Kleid an und würde sie alle umhauen! „Ich<br />
möchte, dass ihr erklärt, wie ihr eure Wunschrollen<br />
umsetzen wollt”, sagte Frau Reiterlein, die Leiterin,<br />
in die Runde, „und jeder darf mitspielen, wir können<br />
auch Bäume, Ochsen und Esel brauchen!” Das wäre ja<br />
das Letzte, dachte Emma. Nein, für sie gab es nur die<br />
Hauptrolle. „Und denkt daran, Kinder, dass es hier um ein<br />
verzweifeltes Paar geht, das keine Bleibe hat. Die Frau<br />
ist hochschwanger, sie sind arm, sie sind bescheiden.”<br />
Bescheiden? Eine Königin war nicht bescheiden. Das<br />
Ganze musste modernisiert werden! Emma stand auf.<br />
In diesem Moment richteten sich alle Blicke auf sie, und<br />
das gefiel ihr. „Also ich würde eine ganz besondere Maria<br />
spielen, die weiß, dass sie wichtig ist, weil ihr Kind später<br />
etwas ganz Besonderes sein wird!” Emma strahlte, bis<br />
das Gelächter losging. Was hatten die nur? Sogar die<br />
Lehrerin schmunzelte. Verwirrt sah sie an sich herunter.<br />
Da stand sie, mit ihrer wilden Lockenmähne, in einem<br />
Abendkleid ihrer Mutter, und wusste nicht, was so<br />
lächerlich sein sollte! Tränen schossen ihr in die Augen<br />
und sie rannte los. Es war so peinlich, und die lachten<br />
noch mehr, als sie beim Laufen auf den Saum des Kleides<br />
trat. Nur weg, die Treppen hoch, da war eine Tür, ganz<br />
oben im Gebäude, ab in den Speicher.<br />
Stunden vergingen. Unten wurden Rollen verteilt,<br />
gespielt und gelacht, das Schulgebäude wurde leer.<br />
Emma saß in ihrer Ecke und wollte niemanden sehen.<br />
Sie hasste die Welt. Es wurde dunkel. Draußen fing<br />
es an zu schneien. Nie wieder würde sie nach Hause<br />
gehen, wo es allen völlig egal war, ob sie eine Königin<br />
war oder nicht, und nie wieder würde sie zu der idiotischen<br />
Theatergruppe gehen! Plötzlich hörte sie etwas.<br />
Es klang hilflos. Es klang lebendig. Was war das? So<br />
langsam bekam sie Angst. Noch nie war sie allein auf<br />
dem Dachboden der Schule gewesen, und das in der<br />
Nacht! Sie spitzte die Ohren. Waren da nicht Schritte?<br />
Und wieder dieses klägliche Jammern, das sie nicht<br />
einordnen konnte. Emma machte sich ganz klein. Die<br />
Schritte kamen näher. „Emma, bist du das?” Sie hob<br />
den Kopf. Hanno! „Lass mich in Ruhe”, wisperte sie, aber<br />
insgeheim war sie heilfroh, dass da ein menschliches<br />
Wesen war. „Klar lass ich dich in Ruhe, du vertreibst<br />
sowieso alle. Aber sag mal, hast du zufällig eine kleine<br />
Katze gesehen? Die muss sich hier irgendwo verkrochen<br />
haben.” Jetzt war Emma doch verblüfft. Sie vertreibe alle?<br />
Und was für eine Katze meinte Hanno?<br />
Und dann folgte eine Nacht, die sie nie<br />
vergessen sollte. Sie fanden das Kätzchen<br />
ganz verängstigt in einer Ecke sitzen. Natürlich<br />
war inzwischen das Schulhaus abgeschlossen<br />
und sie kamen nicht mehr raus!<br />
Der Schnee sammelte sich auf dem Dach<br />
über ihnen, und in diesen dunklen Stunden<br />
erzählte Hanno, wie er das arme Tier gerettet<br />
hatte. Zum ersten Mal konnte Emma mit der<br />
Katze auf dem Schoß berichten, wie einsam<br />
sie eigentlich war. Nach all der Aufregung<br />
hatte sie jemanden gefunden, der sie<br />
tatsächlich verstand. Endlich merkte sie, was<br />
sie wirklich brauchte. Am nächsten Tag war<br />
die Erleichterung beider Eltern groß. Emma<br />
war die Hauptrolle inzwischen egal und sie<br />
spielte zu Weihnachten einen wunderbaren,<br />
rothaarigen Baum neben einem etwas<br />
blassen Baum, auf dessen Schulter eine<br />
kleine Tigerkatze saß. Schröder/DEIKE<br />
Quelle: ©DEIKE PRESS<br />
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